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HARVARD COLLEGE
LIBRARY
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raOM TBB BIQUBST OF
MRS. ANNE E. P. SEVER
OF BOSTON
Widmn ofCoL Jamm Wamn Sever
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[^l^JnJL ZtX^ t J
BEITRÄGE
^^ZÜB
GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE;^
UND LITERATUR.
UNTEB MITWIBKUNQ VON
HEBMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HEBAUSGEGEBEN
VON
EDUARD SIEYER8.
w
XXIV. BAND.
HALLE A. S.
MAX KIEMEYSR
77/78 GR. STEINSTRASSE
1899
I
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/^'^'TkA. !X<^
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INHALT.
Seite
lieber Hartmann yon Ane (fortsetzung). Von F. Saran . . . 1
Zur romanischen und deutschen rhythmik. Von demselben 72
üntersachnngen über Heinrich Heslers ETangelinm Nicodemi. Von
KHelm 85
Zn Wolframs Parzival. Von W. Braune 188
Zu Hartmanns Bede vom glauben. Von A. Leitzmann . . . 206
Eriemhilt Von K. Bohnenberger 221
Ueber den coigunctiv praeteriti im bairisch-OBterreichischen. Von
A.E. Schönbach 232
Eber. Von C. C. Uhlenbeck 239
Zum altenglischen Boetius. Von A. S. Napier 244
Altengl. getcd, getel 'zahl*. Von demselben 246
üeber die vom dichter des Anegenge benutzten quellen. Von
V. Teuber 247
Das Verhältnis der frauenmonologe in den lyrischen und epischen
deutschen dichtungen des 12. und angehenden 13. Jahrhunderts.
Von B. Lesser 361
Ags. fmesce. Von E. Sievers 383
Textkritische bemerkungen. 1. Zum Erec. 2. Zum Iwein. 3. Zum
Armen Heinrich. Von G. Ehrismann 384
Beiträge zum mhd. Wortschatz. Von demselben 392
Zur geschichte von oder. Von W. Hörn 403
Miscellen. Von A. Gebhardt , .406
(L Zu Wolfram: S.406. — H. Brausch: S.409. — HI. An.
vceringjar: S.411. — IV. Völuspa5,l— 4: S.412.
Ein Schlusswort zu Cederschiölds ausgäbe der Bovis saga. Von
E. Kölbing 414
Erwiderung. Von C. Cederschiöld 420
Eine berichtigung. Von J.Meier 424
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INHALT.
Seite
Beiträge zur vorgermanischen lantgeschichte. I. Znr erlänterang
des germanischen at. Von S. Bn gge 425
Znr geschichte der adjectiva anf -isch. Von A. Qoetze . , . 464
Zn Hartmanns Eede vom glanben. Von Fr. y. d. Leyen . . . 522
Etymologisches. Von F. A. Wood 527
Ueber den gotischen dat. plnr. nahtam. Von H. Pipping . . 534
Znr heimat der Volcae. Von S. Mnller 537
Zu Beitr. 24, 403. Von W. Hörn 544
Alte lesezeichen in einer Ortnithandschrift. Von J. Lnnzer. . 545
Der artikel bei personennamen. Von 0. Behaghel 547
Henlied. Von A. Goetze 549
Zum Schlutterscandal. Von E. Sievers 551
Berichtigungen 552
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,J
BErXKÄGE
ZUB
GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE
UND,
UKTER MITWIRKUNG VON
HERMAHN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HERAUSGEGEBEN
VON
EDUARD BIETERS.
XXIY. BAND. 1. HEFT.
HALLE A. S.
MAX NISSMBYER
77 78 GR. STBINSTRASSB
1899
Die herren niitarbeiter werden gebeten, zu ihren manuscripten
nur lose quartblätter zu verwenden, nur eine seite zu be-
INHALT.
Seite
Ueber Hartmann von Aue (fortsetznng). Von F. Saran . . . 1
Zur romanischen und deutschen rhythmik. Von demselben . 72
Untersuchungen über Heinrich Heslers Evangelium Nicodemi. Von
K. Helm ^ . . . . 85
Zu Wolframs Parzival. Von W. Braune 188
Zu Hartmanns Rede vom glauben. Von A. Lei tz mann . . . 206
Kriemhilt. Von K. Bohnenberger 221
Ueber den conjunctiv praeteriti im bairisch-öeterreichischen. Von
A.E. Schönbach 232
Eber. Von C. C. Uhlenbeck 239
Zum alt^nglischen Boetius. Von A. S. Napier 244
Altengl. getcelf ^etel 'zahU. Von demselben 246
Znr^nachricht !
Es wird gebeten, alle auf die redaction der 'Beiträge' bezüg-
lichen Zuschriften und Sendungen an Professor Dr. E. Sievers
in Leipzig-Gohlis (Turnerstrasse 26) zu richten.
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FEB 16 1899')
/
UEBER HARTMANN Vi '^
(Forteetzung.)
Das sog. II. bilchlein.
vn. Inhalt und oompositlon.
Die Situation aus der das büchlein erwachsen ist oder sein
soll, lässt sich aus gelegentlichen hinweisen des dichtera er-
schUessen. Ebenso kann man ein wenn auch nur schattenhaftes
bild von den personen entwerfen, um deren beziehungen es sich
handelt. Schönbach hat Ueb.Hartm. v. Aue s. 365 f. das wesent-
liche zusammengestellt; doch lässt sich mancherlei nachtragen.
Der dichter ist noch ein junger mann (597 ff.), höchst-
wahrscheinlich ein ritter (v. 79ff. 304 ff.). VermutUch ist er
ministeriale: er betont in y. 523 ff., dass er nicht nur oft bei
damen seines Standes, sondern auch bei vornehmeren glück
gehabt habe und dass er weit im reiche herumkomme (714 ff.
817). Man denkt dabei zunächst an kriegsdienste um sold
oder an reisen im gefolge eines herm. Auf kriegerischen
beruf weist v. 487 ff., bes. v. 492. Auf ein wechselvolles leben,
in dem beute und frauengunst eine rolle gespielt haben, deutet
v. 468 hin. Darum wundert man sich weniger, wenn der
Schreiber intime angelegenheiten ziemlich offenherzig behan-
delt (v. 526 ff.) und auch in bezug auf die empfängerin des
briefes unverblümt redet (v. 660—663).
Aber der dichter war zugleich ein gebildeter mann. Er
betont, dass er schreibe (v. 121). Er besitzt eine genaue
kenntnis der literatur: parallelen zu allen werken Eartmanns,
zum Tristan, Wigalois, Freidank, zur Krone, zu Burkard von
Hohenfels sind nachweisbar, wobei über deren deutung einst-
weilen nichts vorausgenommen werden soll. Dass er auch die
gelehrte bildung hatte, darf man, glaube ich, aus der kunst-
Bcsträge zur Kcschichte der deutschen spräche. XXIV. 1
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2 8ABAN
gerechten disposition seines Werkes schliessen, auf die später
eingegangen werden soll. VieUeicht war er in der kanzlei
eines grossen herrn beschäftigt.
Dieser ritter hat nun mit einer juncfrauwe (246 ft 647)
ein minneverhältnis angeknüpft. Juncfrauwe ist 'junge dame'^
ob verheiratet oder nicht, bleibt ungewis. Wahrscheinlich ist
sie unverheiratet: andernfalls hätten die worte v. 157 äne
friunde frage u.s.w. keinen rechten sinn. Sie ist mit dem
dichter von gleichem stand: das folgt mittelbar aus v. 523 ff.
Sie hat ihm auch, ohne dass es die angehörigen ahnen, ihre
liebe geschenkt, d. h. sie nimmt seinen dienst an. Durch dies
Verhältnis setzt sie ihren ruf aufs spiel (153 ff. 167. 352 ff.
365); er ist hin, wenn es bekannt wird. Denn die annähme
der ritterdienste (801 ff.) stellt bestimmte gunstbezeugungen
in aussieht, auf die der dienende ritter auch v. 656 ff. rechnet.
Nun merken die friunt die Sache und die liebenden
werden durch aufpasser (huote) getrennt (v. 79. 314. 329. 368).
Ausserdem muss der ritter wahrscheinlich dienstlich oft fem
von der dame sein (v. 817). So können sich beide nur selten
sehen (v.329). Trotzdem bleibt die dame treu: sie hat auch
nach der trennung dem ritter ihre treue liebe versichert
(323 — 27) und der scheint auch überzeugt, dass die geliebte
ihm noch ergeben sei (v. 264f.).
Dies die grundlage des büchleins. Aus ihr begreift sich
auch sein Inhalt Die liebenden sind getrennt: leicht können
in ihr zweifei auftauchen, ob der ritter treu bleibe. Es gilt
dann, diese in einem briefe niederzuschlagen. Leicht kann
auch mit der zeit die treue der dame wankend werden: so
wird der dichter mahnen, beständig zu bleiben. Selbstverständ-
lich muss in einem 'bfichlein' das zweite motiv zurücktreten
und die beteuerungen der liebe und treue von selten des
mannes den mittelpunkt bilden. So ist es denn auch in
unserem gedieht. Im geleit steht das thema:
Y. 811 kleines büechel, 8W& ich s!,
8ö wone mlner fronwen bl,
wie min zxuige und min munt
imd tno ir stflBte minne knnt . .
Doch fehlt v.797 nicht das andere:
BUB b! min frouwe gemant
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UEBEB HABTMANK VON AÜE. S
Aber der dichter verfällt nicht in die eintönigkeit fort-
gesetzter liebesversichenmgen oder unaufhörlicher klagen. Er
erreicht seinen zweck durch einen besonderen kunstgriff. Um
die dame von der festigkeit seiner liebe und treue zu über-
zeugen, schildert er den zustand, in dem sich sein gemüt seit
der trennung befindet und sein leid. Er zeigt wie die Unter-
brechung des glücklichen Verhältnisses auf ihn wirkt: wie er
leidet, wie er versucht der pein zu entgehen, wie ihm das
nicht gelingt. Nach allen selten erörtert er seine Stimmungen:
wie fest muss seine liebe sein, wenn sie dennoch stand hält —
soll und wird sich die leserin sagen. Unmittelbare liebes-
versicherungen und mahnungen fehlen dabei nicht, aber sie
werden doch mehr gelegentlich gegeben und ermüden darum
nicht. Ausserdem dienen sie besonders als schlusspointen
der teile.
Schon in der weise sein thema anzugreifen zeigt sich der
dichter als geschickten Schriftsteller. Noch mehr in der anord-
nung der gedanken. Die Schilderung seines grossen Unglücks
und seines seelenzustandes gibt er nämlich in form einer kunst-
gerecht disponierten abhandlung. Das ist schon Hartm. v. Aue
s. 59 erkannt, aber nicht so ausgeführt, wie es die sache ver-
dient. Denn eben der logische aufbau ist das interessante an
dem gedieht. Schönbach, der im anschluss an meinen hinweis
wenigstens etwas genauer darauf eingeht^ urteilt ganz lichtig
(s.366): 'die Schrift ist ein dialektisches kunststück; wir be-
sitzen in der gesammten mhd. literatur kein zweites werk dieses
umfangs, das in so festgeschlossener argumentation zu über-
zeugen sucht'.
Das thema wird nämlich in zwei hauptteilen abgehandelt.
Der erste A reicht von v. 53 — 450, der andere B von 451—796.
Beide teile sind also fast gleich lang.
A schildert das leid und den gemütszustand des liebenden
sozusagen positiv. Drei teile jeder mit zwei unterteilen sind
erkennbar. I) Hätte ich doch nie das glück der liebe erlangt,
denn die liebe ist die Ursache meiner quäl: 1) mein glück-
liches minneverhältnis ist mir durch seine Zerstörung ein Un-
glück, 2) meine treue liebe eben durch ihre beständigkeit ein
ewiger schmerz, n) Zwar kommen mir, wie natürlich, die
gedanken das Verhältnis zu lösen, aber sie können nie zur tat
1*
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4 fiARAN
führen: denn 1) so leichtherzig mich über meine liebe hinweg-
zusetzen, hindert mich die hoffnnng auf einen glücklichen
ansgang nnd mein ehrgefühl, 2) und die einsieht, dass meine
dame mir keinen anlass bietet, dergleichen zu tun. III) Also
besteht das Verhältnis zu meiner pein weiter und 1) bringt
mir neben ehre viel schmach, 2) und verkehrt meine natürliche
denkweise ganz in ihr gegenteil. — In eine unmittelbare
erklärung der treue läuft der teil A aus.
In B wählt der Verfasser ein anderes mittel, die ungewöhn-
liche stärke seines liebesleides anschaulich zu machen. Es
ist mehr negativ. Er weist nach, dass gegen seinen schmerz
keines der mittel hilft, die man dagegen empfiehlt, ja dass
er selbst die eigene pein selbstquälerisch noch vermehre.
I) Gegen das leid vermag meine kraft nichts: 1) weder der
entschluss zu verzichten, 2) noch liebesrausch mit anderen
damen, 3) noch der wille zur freude. II) Die erfahrungen
der kundigen werden an meinem fall zu schänden: 1) weder
folgt bei mir auf leid freude, 2) noch habe ich mir bei der
wähl meines glückes glück erwählt. HI) Durch zweifei an
der geliebten verderbe ich mir jegliche hoffnungsvolle Stim-
mung: ich denke immer an die alten erfahrungen 1) 'aus den
äugen, aus dem sinn', 2) die weiber sind veränderlich, 3) das
werben eines mannes ist gefährlich und widerstand dagegen
auf die dauer schwer. — In einer mahnung zur treue klingt
dieser teil aus. Wie der Verfasser in A zuletzt bewies, dass
ihm keine andere wähl als beständigkeit bleiben könne, so fügt
er auch hier gleich die gründe bei, mit denen sich die dame
die notwendigkeit treu zu bleiben klar machen möge.
Dem hauptstück A + B geht eine einleitung voraus, die
in ihrem ersten teil die gedanken von A vorbereitet, im zweiten
auf die von B hindeutet.
Den schluss bilden die verse 797—810.
Dem ganzen angehängt ist das geleit, welches das thema,
den zweck der darlegung deutlich angibt.
Eine disposition wird es erleichtern, die technik des Ver-
fassers kennen zu lernen und zugleich in das Verständnis des
Inhaltes einzudringen.
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ÜEBER HABTMANK VON AUE. 5
Disposition des bfiehleins.
SSmleitong: Klageruf über das herzeleid durch liebe . 1 — 52
a) 1 — 32: das leid habe ich selbst über mich gebracht
b) 33 — 52: aber selbst mir heraushelfen kann ich nicht.
Hauptstüok:
A Darlegung des leides (positiv) 53—450
I 53 — 170: ich habe leid gerade von dem was mir freude
und glück bringen sollte.
1. 53—136: ein glückliches minneverhältnis ist mir
durch hiwte zum Unglück geworden, unter dem
ich schwer leide.
a) 53—89: die wisen und auch ich hielten ein
geziemendes minneverhältnis für das ideal
des ritterlichen lebens (53 — 78): — darum
gieng ich ein solches ein (79 — 89).
b) 90 — 136: aber das gegenteü ist eingetroffen
durch die huote (90—102).
Also glück bringt mir Unglück; glücklich darum,
wem nie glück zu teil ward (103—136)!
2. 137 — 170: gerade meine treue schafft mir pein.
a) 137 — 144: treue und beständigkeit soll das
schönste glück sein.
b) 145 — 170: das gegenteü ist wahr. Sie bringt
nur kummer.
Muss ich immer Ton der geliebten fem sein, dann
wehe mir!
n 171—342: meine pein erweckt gedanken an auflösung
des Verhältnisses: sie können nicht zur tat führen.
1. 171 — 270: leichtherzig wie ein tor zu sein hindert
mich hoffnung, ehrgefühl und mein vorteil.
a) 171—240: der vernünftige hat es schlecht,
der narr gut (171—211);
ich stehe zwischen beiden, möchte aber
zuweilen lieber ein narr sein (212 — 240).
b) 241—270: das würde geschehen, wenn mich
nicht hoffnung (241—248), ehrgefühl (249
—260) und mein vorteil (261—270) ab-
hielten^
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BARAK
2. 271—342: grond zur auflOsang gibt mir die dame
nicht.
a) 271—286: anblick fremden glttckes (271 —
278) und die lockere anffassung anderer von
der minne (279-286) könnten mich verleiten.
b) 287—342: h&tte ich grund, so löste ich es
auf. Aber ich habe keinen: sie ist ohne
falsch.
Anch sie soU aber geduldig sein und meinen
schmen teilen (302—342)!
in 343 — 106: also dauert das Verhältnis zu meiner quäl
weiter.
1. 343 — 380: ich werde zum spott der leute, weil
ich fast verrückt geworden bin.
a) 343 — 360: mein Verhältnis bringt mir gewis
ehre.
b) 361—380: aber auch schände.
2. 381—406: meine ganze denkweise wird verkehrt.
a) 381—395: der glückliche fürchtet den tod,
b) 396—406: ich wünsche ihn.
Abflchlass: die Sachlage macht es notwendig,
tren zu bleiben.
Gründe: a) Ton zwei Übeln wähle das kleinere:
also lieber tren und selig, als untreu
und yerdammt (406—426).
ß) leid ist als gegensatz zur freude nötig
(427-450).
B Die stärke des leides (negativ): nichts kann es lin-
dem, ich selbst mehre es 451 — 796
I 451—580: eigene kraft vermag nichts dagegen.
1. 451—506: ich kann nicht verzichten.
a) 451—463: man verzichte auf das was man
nicht festhalten kann.
b) 464 — 476: sonst konnte ich es. Jetzt nicht
2. 507 — 540: ich kann die liebe nicht übertäuben.
a) 507—527: liebe vergisst man durch liebe.
b) 528—540: bei mir schlägt das mittel nicht an.
3. 541—580: ich kann mich nicht bezwingen.
a) 541—557: ein starker mann muss sich be-
herschen kOnnen.
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UEBEB HABTMANK VOK AUE. 7
b) 558-580 ich werde den liebesgram nicht los.
Weicht die huoie nicht, dann endet nnr der tod
meinen gram (571—580).
n 581—643: alle erf abrangen werden an meinem fall zu
schänden.
1. 581—614: keine freude anf leid.
a) 581—590: freude folgt auf leid; bei schaden
ist auch nutzen.
b) 591—614: bei mir ist es anders.
2. 615—643: ich habe selbst zum Unglück gewählt
a) 615—626: wer teilt und wählt, kann nie
Unglück haben; und doch geschieht es.
b) 627—643: ich habe unglück dabei gehabt.
Offenhar ist alles im leben snfall nnd glUckssache
(636-643)1
m 644 — 752: ich peinige mich selbst mit zweifeln an der
geliebten.
1. 644—673: sie ist vielleicht unbeständig.
a) 644—665: wenn sie nur beständig ist:
b) 666 — 673: aber 'aus den äugen, aus dem sinn'.
2. 674—696: sie ist vielleicht leichtsinnig.
a) 674—685: wahre liebe vergeht nicht;
b) 686—696: wenn sie aber leichtsinnig ist?
3. 697—752: die männer sind gefährlich.
a) 697—726: ehrgefühl und zurückgezogenheit
werden eine untreue hindern.
b) 727—752: manneswerbung ist gefährlich und
widerstand auf die dauer schwer.
Abschlnss: 753—796: aber sie mnss ja mit mir
zusammenhalten, denn
a) 753—786: die unbeständige ist gott und
menschen yerhasst; die brave wird geliebt.
ß) 787—796: es gibt nicht so yiel treue männer
wie ich einer bin.
Sohluss: 797 — 810: ich bin also treu, sie sei es auch. Dann
bleiben wir vereint.
Geleit. 811—826.
d) 811—820: anrede an das büchlein.
ß) 821—826: heileswunsch an die geliebte.
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8 BARAK
Man sieht ans dieser disposition, dass die gliedernng bis
in die kleinsten unterteile hinein geht, und zwar stehen die
gruppen, wie Schönbach bemerkt, i. a. im gleichgewicht (s. 367).
A hat ungefähr 400 verse, B 345. Jeder dieser hauptteile
zerfällt zunächst in drei unterteile (L IL III) von verschiedenem
umfang. Jeder dieser mit ausnähme von B I und m zerfällt
in zwei kleinere teile (1, 2), und alle diese sind zweiteilig in
ganz ausgesprochener weise (a — b).
Die teile A, B und I. IL m werden fast regelmässig durch
«inen ausruf oder einen allgemeinen satz abgeschlossen. Petit-
druck macht sie kenntlich. Die Schlüsse von A und B ent-
sprechen einander. Dort wird aus der in 1. 11. EEI. geschilderten
Sachlage erwiesen, dass der liebende treu sein müsse. Hier
werden die gründe dafür beigebracht, warum der geliebte nicht
untreu werden könne. Die abschlüsse der teile I. n. HE werden
dazu benutzt, directe klagen oder mahnungen an die geliebte
anzubringen. Ein besonderer schluss fehlt nur hinter A II, 1,
doch sind die letzten verse 261 — 70 so gefasst, dass sie wie
ein emphatischer abschluss wirken.
Welches der gedankengang des büchleins ist, zeigt die
disposition. Man wird sich aus ihr davon überzeugen, dass
Schönbach (a. a. o. s. 362 ff .) die folge der gedanken nicht zu-
treffend darstellt. Namentlich kann man nicht aufrecht halten,
was er s. 366 erklärt, jedem satze folge eine replik, ihr schliesse
sich eine duplik an, und so fort bis zu ende. Das gilt höch-
stens für B ni, den teil in dem der dichter seine selbstquäle-
rischen zweifei in geschlossener kette vorträgt: für die vorher-
gehenden stücke gilt es nicht. Auch von gesprächsform finde
ich nichts in dem büchlein. Es ist ein brief, der freilich
seiner anläge nach eigentlich abhandlung zu nennen wäre;
diesen Charakter verleugnet er wenigstens nirgends.
Die gedanken die den Inhalt der A 1 1, 2. n 1, 2 u. s. w.
bilden, werden meist so abgehandelt, dass ein allgemeiner
erfahrungssatz vorangestellt und dann scharf dagegen Wider-
spruch erhoben wird.
A II = Y. 53 ff. ich hoere ie noch die wisen
loben nnde prtsen
* Yolkomene minne
aber y. 90 das h&t sich nu yerk^ret , . . und
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ÜEBER HABTMANN VON AüE.
V.98
daz ist mir niht se gaote komen.
AI2 = v.l37ff,
ich hörte sagen msere
daz trinwe nnd staßte wsere
aller sselden beste . . .
v.l45f.
ich wirdes anders gewar.
ni = v. 171-178
ez lebent wserllche
TÜ harte ungeliche
sanfte in ir mnote
der töre nnd der fmote . . .
und das ist recht. Dies wird in woldisponierter darstellung
bewiesen. 180—204: der fruote, 205—211: der töre. Nun die
pointe von 1 a: 212 — 240 ich bin weder ganz fruot noch ganz
töre, möchte zuweilen aber lieber töre sein. Aber — mit 241
kommt die wendung — vor dem töre werden schützt mich die
hoffnung, u.s.w.
A n 2 (v. 271 ff.) bringt zimächst wider allgemeine er-
örterungen über den treuen und untreuen. Mit v. 293 ff. setzt
die abwehr solcher gedanken ein.
Diese gewohnheit, seine gefühle im anschluss an allgemeine
erfahrungssätze zu schildern, erklärt auch, weshalb der Ver-
fasser des liebesbriefes so häufig aussprüche der wisen und
sprichwortliches heranzieht. Namentlich bedingt es die anläge
von B n, dass die wisen hier oft auftreten. Denn dieser teil
soll ja zeigen, dass die allgemeinen erfahrungen im faUe des
dichters nicht zutreffen. Dass bei dieser berufung auf die
kundigen eine ziemliche belesenheit des dichters in der lite-
ratur seiner zeit hervortritt, ist nicht verwunderlich. Zu den
von andern und mir beigebrachten parallelen trage ich hier
noch nach
Büchl. 477 ff. Sit nn die wisen haben geseit . .
daz sich ein wol fnuner man
alles des getroBSten kan
des er niht gehaben mac.
Vgl. dazu Wigalois 35, 28 ff.:
dö teter als der biderbe man
der sich des wol getroesten kan
swes er niht gehaben mac.
Während bis B 11 die darstellung mehr ruhig ist, wird
in B m die bewegnng lebhafter. Das erreicht der Verfasser
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10 8ABAN
durch die schon H. y. Aue s. 59 erkannte engere Verbindung
der unterteile. Ganz wirksam, um die darlegung zu beendigen.
Oben musste Schönbachs ansieht abgelehnt werden, als
sei das werk nachbildung der gesprächsform. Mehr trifft es
zu, wenn er s. 366 findet, das büchlein sei ein mit lebhafter
beredsamkeit vorgetragenes plaidoyer. Der dichter ftihlt sich
zwar durchaus in der läge eines schreibenden — vgl. v. 121
für war ouch ich daz schribe — aber das ganze ist doch stark
rhetorisch gefärbt. Nun verrät die ganze anläge der arbeit
gute dialektische Schulung; offenbar hat der Verfasser gelehrte
bildung. Darum liegt nahe zu vermuten, dass im H. büchlein
versucht ist, eine beim Studium der rhetorik und dialektik
erworbene fertigkeit im disponieren und vortragen auf ein
thema der minnepoesie anzuwenden. Ich möchte in der tat
glauben, dass der liebesbrief nach den regeln der schule ge-
arbeitet ist, die man aus Cicero und Quintilian kennen lernte.
Kenner der mittelalterlichen rhetorik und dialektik werden
das vielleicht im einzelnen nachweisen können. Wir haben
die bekannten drei teile: exordium, iractatio und condusio. Die
tractatio ist zweiteilig: A mit seiner positiven erörterung eine
art confirmatio, B im Charakter mehr der refutatio vergleichbar.
Im exordium fehlt nicht das jpWnwjpiwm (1 — 18), in der condusio
nicht die peroratio (811 ff.).
Auch die zahlreichen antithesen passen sehr gut zu dem
rhetorischen wesen des gedichtes. Nicht minder die eingewebten
citate, die sehr oft als belege oder zierphrasen aus auctores
locupUtissimi verstanden werden müssen und nicht schlechthin
als selbstwiderholungen oder zufällige reminiscenzen gedeutet
werden dürfen.
Wie dem nun auch sei, jedenfalls zeigt diese tatsache,
dass der Verfasser des büchleins zwar ein gebildeter und be-
lesener mann, ein scharf denkender und origineller köpf war,
aber kein dichter. Von poesie ist in dem werk wenig zu
spüren, desto mehr aber von witz und dialektischer gewant-
heit. Der ausdruck der empfindung ist gemacht. Wirkliche
leidenschaft und wärme des gefühls gibt es darin nicht, dafür
rhetorisch zugespitzte Wendungen und geistreiche oxjrmora.
Versucht aber der Verfasser zum gemüt zu sprechen, dann
wird er sentimental (z. b. 403 ff.). Ich muss also trotz Schön-
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ÜEBEB HABTMANK VON AÜB. 11
bachs urteil (s. 368) auf dem meinigen beharren, das ich H.y. A.
s. 60 ausgesprochen habe. Nur möchte ich den dichter nicht
mehr als *nachtreter' und *compilator' verurteilen. Denn er
hat sicher nicht daran gedacht, dies erzeugnis seiner müsse den
werken eines Hartmann oder Gottfried, ^ &n denen er sich
gebildet, zur seite zu stellen.
Man tut darum, meine ich, dem dichter des Armen Hein-
rich und einer reihe vorzüglicher lieder grosses unrecht, wenn
man ihm das poetisch wertlose büchlein zuschreibt. Liest
man dieses ohne jeden philologischen nebengedanken, lässt
man es rein als dichtung auf sich wirken, so macht es einen
durchaus unerfreulichen eindruck. Keine wahre empflndung,
aber die phraseologie der leidenschaft, wenig poesie, aber viel
dialektik und geistreiches hin- und herreden. Der Verfasser
war zweifellos ein temperamentvoUer und gescheiter mann,
aber eben nur ein guter redner und disputator, kein guter
dichter. Schon die bis ins kleinste durchgeführte logische
disposition, die u. a. durch die bekannten prosaischen Partikeln
(sit, Sit nu.., aber u.s.w.) dem leser geradezu aufgedrängt
wird und die oben das angelegte Schema zeigt, vernichtet von
vornherein jede poetische Wirkung. Der poetische eindruck
beruht eben nicht auf einer wolgefügten schlusskette, son-
dern auf der einheitlichen, wolgefügten entwickelung eines
Vorgangs, der anschaulich sein oder mehr ins gebiet des
gefühls fallen kann. Nach den proben, die Hartmann in seinen
letzten Uedem (insbesondere MF 205, 1 ff. 212,37. 214,12. 217,14)
und im Iwein von seiner kunst gegeben hat, liebesempflndungen
und liebesangelegenheiten stimmungsvoll darzustellen, sollte
man ihm doch besseres zutrauen als dies büchlein. Dies selbst
dann, wenn man annimmt, dass er hier nicht eigene, erlebte
Stimmungen darstellt, sondern bloss zur Unterhaltung seiner
dame ein so eigenartiges werk aus der phantasie geschöpft
habe; nicht aber wenn man mit Schönbach s. 347 glaubt, das
zweite büchlein beziehe sich auf ein Verhältnis echter gegen-
seitiger Zuneigung und auf wählte liebe, die sich eben in der
bedrängnis entfaltet habe. Wer Hartmann diese reine verstandes-
dichtung zutraut, unterschätzt seine dichterische bedeutung sehr.
') Nachahmung Gottfriedfl: vgl. Büchl. 39—36 mit Trist. 1863 ff.
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12 SABAN
Mir scheint auch, dass Schönbach in dem gedieht m viel
persönliches und erlebtes findet. Er sagt s. 367: 'als der dichter
das büchlein schrieb, war er über die erste glut der neigung
hinaus gekommen; noch liegt ihm daran sich die gunst der
frau zu erhalten, aber er fasst schon kfihler auch den fall
ins äuge, dass es ihm nicht mehr gelingen möchte. Ohne
zweifei trägt er schuld, er ist schon wirklich untreu gewesen,
die frau kann es erst werden, und nun ist es ihm wichtig,
sie ins unrecht zu setzen. Nicht umsonst widerholt er, dass
sie es sich zuschreiben mttsse, wenn das Verhältnis abgebrochen
werde. Seinen mahnreden und beteuerungen klingt das teil
st mir sin ee here seltsam nach; dieser liebe blüht keine er-
füUung mehr'. Auf die differenz mit der auffassung der läge,
die Schönbach s.347 vorträgt, braucht man kein gewicht zu
legen, aber ich bezweifle, dass das büchlein mehr als ein
schriftstellerisches erzeugnis ist. Sollte die form des büchleins
nicht bloss ein mittel der darstellung sein, um gewisse Stim-
mungen in einem passenden rahmen zum Vortrag zu bringen?
Das minneverhältnis und die trennung durch huote, nament-
lich aber das was der Verfasser über seine lebenslage berichtet,
mag wirklich sein. Das büchlein aber als echten liebesbrief
aufzufassen, gerichtet an die geliebte, um sie zur beständigkeit
zu mahnen, scheint mir völlig unmöglich. Der ganze ton ist
so, als ob der Verfasser sich ein publicum vorstellte. Er fällt
zwar nirgends aus der rolle {iu v. 386 ist zusatz Haupts), aber
die art wie er von seiner dame in der dritten person spricht
und die ganze weise des Vortrags deutet darauf hin. Offenbar
hat der ritter nur die allgemeine Situation, in der er sich
befand, benutzt und aus ihr heraus das büchlein componiert^
das er als ein technisches kunststück für die öffentlichkeit
bestimmte. Für mich beweiskräftig ist der teil B IL Dieser
schildert die vergeblichen versuche die der ritter gemacht hat,
um von seiner liebe loszukommen. Man wird nicht glauben,
dass ihm diese bekenntnisse bei seiner dame zur empfehlung
gereichten. Hatte er wirklich mit seinem gedieht den zweck
den Schönbach ihm zuschreibt, dann konnte er kaum un-
geschickter vorgehen. Durchschlagend ist aber die stelle
V. 507— 540. Seiner dame in einem liebesbrief dergleichen zu
schreiben wäre vollendete roheit. Ist die form des büchleins
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UEBEB HABTMANN TON AUE. 13
nur einkleidung, so mildert sich die stelle. Aber auch dann
bleibt sie ein unerhörter Verstoss gegen die kunstform deren
sich der Verfasser bedient^ und zeigt, dass er eben kein kttnstler
ist. Es bleibt mir schwer verständlich, dass man einer sitt-
lichen persönlichkeit wie Hartmann, einem so bedeutenden kttnst-
ler, dergleichen verse und an solchem orte zuschreiben kann.
VnL Zur kritik und erklärong.
In diesem capitel mögen einige besserungsvorschläge und
erklämngen zum text des bflchleins platz finden. Dabei liegt
Haupts text zu gründe und werden die H. v. A. s. 89 ft ge-
machten vorschlage als bekannt vorausgesetzt Ich muss zu-
weilen ausfuhrlicher sein, als es die bedeutung der stellen an
sich verlangt Der grund ist, dass es mehrfach nötig wird,
mich gegen die etwas scharfen angriffe Schönbachs in seinem
schon oft citierten buche (s. 374 ff.) zu verteidigen. Ich hoffe
nachweisen zu können, dass nicht immer ich derjenige bin der
unrecht hat
Die oben mitgeteilte disposition zeigt, dass die absätze bei
Haupt zuweilen nicht zweckmässig gewählt sind. H. v. A. s. 89,
bei Bech und dann bei Schönbach sind besserungsvorschläge
zu finden. Mit v. 14 beginnt kein neuer teil (Schönb. s. 362).
V. 4 solte ist nicht 'könnte' (Bech), sondern 'müsste'. V. 8 zu
dem sich begunde vgl Berl. heldenb. 5, s. xxi und Grimms Gr.
4, 36. Hinter v. 28 setze man einen punkt, hinter v. 31 wäre
ein kolon deutlicher. Hinter v. 34 ein komma. Zu v. 33
—36 vgl Trist 1863 ff. Hinter v. 41 ein komma, hinter 42
Semikolon. daa bezieht sich auf v. 42. Vgl. 22—32. V. 72
lies diu.
V. 79 schreibt die hs. tcirs leben. Lachmann vermutet
umnschleben. Diese besserung ist an sich — darauf weist
Schönbach s. 375 mit grund hin — sehr gut und sinngemäss.
Aber man fragt: wie kommt der Schreiber auf das sinnlose
wirs? Offenbar durch eine Verlesung. Ich suche nun H. v. A.
s. 89 eine solche wahrscheinlich zu machen, allerdings wie
Schönbach mit recht tadelt, in zu künstlicher weise. Aus
ritts soll durch dreifache vertauschung der unverständliche
ausdruck entsprungen sein. Trotzdem kann man an der mög-
lichkeit einer paläographischen ableitung festhalten, nehme
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14 nkKAX
dann aber rifs znm ansgang. Das r wird vom sclireiber ge-
legentlich in u verlesen, wie Zingerle, Zs. fda. 27,138 nach-
weist Oefter ^ in r, ebda. s. 139 unten. Dass dann nnter
Vernachlässigung des abkürzenden hakens aus rits uirs, end-
lich wirs entstehen konnte, ist also gewis möglich. Ob freilich
die lesart tcirs gerade auf diesem wege oder einfach durch
flüchtigkeit eingetragen wurde, bleibe dahingestellt: mindestens
steht dem Schriftbild und dem klänge nach mrsleben einem
rif sieben näher als einem wunschleben. Nun kommt dazu, dass
unmittelbar vorher in v. 67 das wort rittersieben steht und
V. 79 ausdrücklich darauf zurückdeutet. Warum also nicht
lieber dies in den text setzen? Dass es vorher v. 67 richtig
geschrieben worden, ist natürlich kein einwand. In v. 79 war
das wort eben so undeutlich, dass der Schreiber den sinn nicht
gleich erkannte. Lange darüber nachzudenken aber fiel ihm
schwerlich ein: er schrieb hin was er zu lesen glaubte.
Jedoch lege ich auf diese ableitung keinen wert. Ich
möchte nur Schönbachs kritik gegenüber darauf hindeuten, dass
sie möglich ist.
Schönbach selbst verzichtet überhaupt auf eine solche
und meint: 'im ernste jedoch genügt es, darauf zu verweisen,
dass wunschleben bisher nur in guten mhd. Schriftwerken,
nämlich nur bei Hartmann von Aue (Iwein 11. A. Heinr. 393)
gefunden, also wol wie der ganze begriff wünsch in späterer
zeit unverständlich geworden ist und demgemäss in unver-
standenes verlesen wurde'. Dieser hinweis genügt aber nicht:
vielmehr kann diese erklärung Schönbachs mit Sicherheit
widerlegt werden. Der Schreiber der Ambraser hs. verstand
nämlich den ausdruck wunschleben sehr wol; denn an jener
Iweinstelle setzt er dafür ein wunnsamesleben. Ebenso ver-
stehen es die jungen hss. z und r: diese bieten wunschlich l
und erwunstes l Im A. Heinr. hat B auch wunschliches leben.
Es kommt dazu, dass das wort wünsch und seine composita
in der Ambraser hs. wenigstens in den Hartmanmschen werken,
die das büchl. umgeben, selten verlesen wird. Im Erec z. b.
von den zehn stellen, die ich Bechs index entnehme, nur in
V.2741: die hs. hat hier wüst. 6487 ist vnns keine Verlesung,
sondern absichtliche änderung des sinnes. Ueberdies steht
n. büchl. V. 113 wünsch ganz richtig in der hs.
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T7EBEB HABTMANK VON AüE. 15
AnstOssig, wie SchOnbach meint, konnte mir Hartmanns
wunschleben im II. büchl. nnmöglich sein. Denn eben das habe
ich mich bemüht nachzuweisen, dass der Verfasser dieses ge-
dichtes die werke des Auers genau kennt und benutzt. Da
die Wendung dae selbe umnsehleben nebst dem folgenden reim
gegeben im A. Heinr. steht (v. 393. 394), so hätte man, Lach-
manns conjectur als richtig angenommen, einen neuen beweis
dafür, wie gründlich der Verfasser die werke seines meisters
studiert hat.
V. 80 halte ich trotz Schönbach an Bechs Up fest. Die
verse 79 — 80 nehmen v. 72 ff. wider auf und zwar mit den-
selben ausdrücken. Ausserdem ist sinen vltz geben in mtner
froutoen gewalt gewis nicht mhd., weil dem vliis geben dabei
eine kaum glaubliche anschaung zu gründe liegt. Auch finde
ich keine parallelen dazu. V.81 kurzer ausdruck für *in
die gewalt derjenigen, die jetzt meine dame ist'. V. 94
übersetzt Haupt 'der sich doch leicht erfüllen konnte'. Aber
Mn ist * haben', nicht 'erlangen'. Vgl. Iw. 7864 ichn habe ge-
dingen noch wän. Genauer also: 'den ich leicht d.i. mit grund
hegen konnte'. Y. 95 ist scelden gemach nach Paul, Mhd. gr.
§ 190, 1 zu beurteilen, etwa 'mein ruhiges glück', 'das selige
behagen' (Bech). V. 98 nimmt v. 90 wider auf. Beide dae
haben gleiche bedeutung. Haupts auffassung ist also der
Schönbachs (s. 376) vorzuziehen. V. 99 ist kein anlass ab-
zusetzen. Vgl. die disposition. V. 102 steht dem sinne nach
v. 99 und 100 gleich. Der nachsatz ist mit einer im mhd. ge-
wöhnlichen freiheit zwischen die da^sr-sätze eingeschoben. V. 99 :
100 = ie gesach : Unheiles.
V. 117—120 ergibt die hs.
daz Tor min trüren waere
dd ich was &ne swaere,
daz wser min beste frende nü.
Hier werden die verse Greg. 505 — 507 nachgeahmt. Dort
haben die ausgaben
das ß ir trüren wsere
d6 si was &ne swsere,
daz was ir bestiu vreude hie,
imd zwar ist ^ in V. 505 nirgends überliefert, sondern conjectur
Beneckes. Nun hat Haupt das vor der Ambraser hs. durch
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16 8ASAH
das e Beneckes, d. h. eine Überlieferung durch eine Vermutung
ersetzt. H.y.A. s.90 habe ich dem gegenüber betont, dass
die Überlieferung des Gregor keinen anhält für das e biete,
weil alle hss. änderten. Es sei darum methodisch richtiger,
die Gregorstelle nach dem büchlein zu bessern als umgekehrt,
also im Gregor wie im büchlein vor statt i zu schreiben.
Schönbach entgegnet darauf: 'mit der berufung auf Gregor 505
steht es übel. Dort verhält sich die Überlieferung so:
Dojs ir tr, w. A
Daz er ir tr. w. D
Dy ane tr. w. EJK,
das heisst: die hss. ändern nicht alle, wie Saran behauptet
Vielmehr ist ein wort in A ausgefallen, EJE haben das [?]
fortgebildet und durch Dy einen neuen bezug des satzes, durch
cme einen andern sinn hergestellt. In D ist eine spur des
alten erhalten: er. Die beziehungen von D zu den übrigen
hss. sind nach Zwierzina, Zs. fda. 37, 124 nicht klar zu legen.
Aber dass dieses er in D leichter auf i denn auf vor zurück-
zuführen ist, wird niemand bestreiten'. So übel, wie Schönbach
meint, steht es aber mit meiner berufung auf die Gregorhss.
doch nicht.
Freilich glaube ich nicht mehr, dass alle hss. dort ändern,
so dass ein schluss auf das ursprüngliche nicht möglich sei
(H. V. A. s. 90), vielmehr genügt die lesart von A dem sinne
vollkommen. Weder das i Beneckes noch das vor, das ich
vorgeschlagen habe, ist von nöten. Man setze hinter v. 503
einen punkt und übersetze: 'die dame ward über den rat des
bruders froh. (Der ausdruck 'froh' wird nun eingeschränkt:)
Ihre freude wurde aber nur so, wie es ihre läge erlaubte.
Von wirklicher freude wusste sie nichts: denn ein zustand,
der bei ihr zur zeit als sie noch nicht von dem leid gedrückt
wurde, traurigkeit gewesen wäre, der war in dieser läge
ihre grösste freude, der zustand nämlich, dass sie wenigstens
aufhörte zu weinen', d. h. der höchste grad ihrer sogenannten
freude in ihrem jetzigen zustand war das blosse nichtweinen.
Man sieht, sowol e wie vor ist hier völlig überflüssig, dies
um so mehr als das modale hie v. 507 mit einem temporalen
e keineswegs einen guten gegensatz ausmachen würde. Im
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UBBBB HABTMANN VON AUE. 17
l)ücMem dagegen hat man keinen gnind das vor anzufechten.
Es ist offenbar zusatz des dichters. Um aber einen stampfen
gegensatz wie e — hie zu vermeiden, hat er zugleich das hie
(Greg. V.507) in nü verändert. Nun bringen die verse 117—
119 die doppelte antithese: vor — nü, truren — beste vreude und
damit tritt die stelle zu denen, über die ich H. v. A. s. 44 ge-
handelt habe. Auch sie ist stilisiert worden, um pointierten,
gegensätzlichen ausdruck zu gewinnen.
Ist also an der Gregorstelle nichts fortgefallen, so lag
auch für die abschreiber kein grund vor, eine unklar gewordene
lesart zu verbessern, wie Schönbach will. Was die abweichungen
der hss. verschuldet hat, sieht man leicht, wenn nicht bloss
zeile 505 für sich, sondern die stelle im ganzen betrachtet
wird. Zudem sind Schönbachs angaben über die lesarten in
einem punkte nicht ganz richtig. Es hat
A
daz ir truren waere daz was ir bestiu vreude hie
do si was ane swsere daz si niuwan ir weinen lie.
Dies ist also die richtige lesart. Deren sinn, der in der tat
kaum bequem zu finden war, haben die Schreiber der andern
hss. nicht verstanden. Darum ändern sie, und nicht etwa, weil
die vorläge durch ausfall eines wortes unklar geworden war.
J, das zu derselben klasse wie A gehört, hat (Beitr. 3, 95 b
V. 8 ff.):
die 4ne truren were Tnd ir best firöd wz hie
wond si WZ 4ne swere daz waz so si ir wainen lie.
Die andere hss.-klasse bietet
E
dy ane trewe wsre daz was ir bestiu vreude hie
do si was ane swsere daz si nye von ir weinen lie.
E hat den sinn ganz verkehrt. Es versteht offenbar: 'die
beste freude der einst im glück treulosen war immer zu weinen'.
K liest nach Zs. fda. 37, 132 unten
daz ir truren waere des was ir beste fr6d hie
des si was an ir swsere daz si nüme ir weinen lie.
Schönbach hat sich hier bei der anführung der lesarten ver-
sehen: er identificiert die von E mit denen von E und J. K hat
Beiträge zur geschichte der deutscfaen spräche. XXIV. 2
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18 SARAK
offenbar alles misyerstanden. In den zwei schlusszeflen stellt
es denselben sinn her wie E.
D, dessen Stellung nach Zwierzina a.a.O. s. 214 nicht sicher
bestimmt werden kann, hat
daz er ir tniren wsere daz was ir bestin vrende hie
do was ane swsere daz si niawan ir weinen lie.
Schönbach bemerkt dazu, das er sei ein rest des ursprüng-
lichen e. Aber warum? Ueberblickt man den Zusammenhang,
so sieht man woher das er stammt. D lässt nämlich in der
nächsten zeile (v. 506) das si fort. Offenbar will es den sinn:
*dass er (der bruder der soeben v. 500 aufgehört zu sprechen)
ihr schmerz gewesen war, wurde da nicht mehr betrauert'.
Ich kann also Schönbachs beweisführung zu gunsten
des e nicht gelten lassen. Seine bemerkung s. 377 oben trifft
zu, spricht aber gegen vor im bttchlein durchaus nicht. Der
dichter hat hier die zeit vor und nach dem unglück gleich-
zeitig vor äugen und wählt danach die zeitpartikeln.
V. 147 und 150 {ir auf triuwen) vgl. Paul, Mhd. gr. § 230
anm. Bechs änderung scelden (v. 147) ist unnötig. Vielleicht
ist aber doch besser von miner triuwe mit rücksicht auf v. 138
und 156. V. 148 — 149 ist beim vorlesen als beiläufige an-
merkung zu nehmen. Also in parenthese zu schliessen oder
doch zu denken. V. 152 ist dcus einfach causal 'weil'. Das
sol von 165 nimmt das von 160 wider auf. Den sinn der verse
164 ff. hat Bech nicht genau gefasst und darum Haupts rich-
tige besserung in v. 170 (nimmer statt ymmer) verworfen. 'Ist
es mir bestimmt, ihr nicht lohnen zu dürfen, dann möge mein
ganzes leben in solchem seelenschmerz verlaufen, dass meine
klagen nie ein ende nehmen'. Ez verklagen nach Paul, Mhd.
gr. § 220 zu beurteilen. Zu 179 ff. vgl. Freidank (Grimm)
78, 7—8.
V. 199 ist überliefert jse rehte ^ol begän. Haupt findet
offenbar den vers schlecht und schreibt daher solde. Daran
nehme ich H. v. A. s. 90 anstoss und schlage vor tvol ee rehte
sol begän, Schönbach nennt wol ein klägliches flickwort. Das
ist es allerdings und zudem, wie ich jetzt sehe, unnötig. Also
lese man einfach wie die hs. schreibt. Der rhythmus des
Verses verlangt nämlich keine besserung. Der vers erscheint
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UEBBB HABTMAKN VON AüE. 19
nur dann zu kurz, wenn man ihn auf dem papier scandiert.
Liest man ihn sinngemäss, so muss ze rehte, d. i. 'ordentlich'
stark betont werden. Dadurch wird die silbe reh- erheblich
länger als in normaltoniger Stellung (in folge der dehnung
des -Ä-) und auf das -te fällt dann ein kleines gewicht So
wird die geforderte zeit durchaus passend ausgefällt. Vgl.
auch V. 611 unrehte geseit Schönbachs einwand s. 377 ist mir
übrigens nicht ganz klar. Ich habe bei soJde an dem con-
junctiy als solchem keinen anstoss genommen, sondern nur am
tempus. Solde nimmt Schönbach als Irrealis. Aber der dichter
widerholt v. 198—200 doch nur den gedanken den er v. 193.
194 mit ganz ähnlicher construction ausgedrückt hat: dort
sagt er er bedarf, swer . . . dienen sol\ warum hier nun irreal,
wo doch die hs. wider überliefert: swer ..,sol begän, der darf. .?
Beide male ist der sinn: *wer die pflicht hat den beiden herm
zu dienen, der muss sich rühren'. Irreale fassung des ge-
dankens wäre gar nicht passend. Vgl. auch I. büchl. v. 1284
siver in ze rehte sol begän Wenn ein conjunctiv nötig wäre,
so könnte man nur an süle denken, im anschluss an die be-
kannte mhd. gewohnheit (vgl. Paul, Mhd. gr.* § 359, s. 155 f.),
Hinter v.202 ist ein kolon vielleicht wirksamer. Zu v.212
—220 vgl. Krone 33—37:
wan mir ist leider benomen ouch swüere ich wol, daz ich z\ige
daz ich der gar yolkomen yon den tören ein teil,
einer wol geheizen müge.
V.206 treffen Schönbachs einwände zu. Es ist mit Haupt
lihten zu lesen. Eben auf den leichtsinn des toren fällt das
gewicht, nicht auf sein unhöfisches wesen. V.287 swache
= 'niedrig gesinnt' passt durchaus. Was R v. A. s. 58 unten
über dies adverbium gesagt wird, ist also nicht richtig.
V. 320. 321 wider eine angehängte, beiläufige bemerkung, wie
277 1 148 f. 350 f. 458 f. Am besten sind die verse in parenthese
zu setzen, otich — niht = nicht einmal. V. 323 ist meine er-
klärung H. v. A. s. 91 sehr gezwungen. Man beurteile die
phrase ez erliden nach Pauls Gr. § 220 und übersetze sie mit
'ausharren'. Das ez in v. 324 darf man gewis streichen.
Ebenso streiche man nach H. v. A. s. 91 die klammem v. 325
und 326 und lese:
2*
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20 0ABAH
alsd daz st niht bewege (als si mir doch enboten Mt
nnser fremden öde dehein ander rat von frinntlicher steetekeit), n.s.w.
Das heisst: 4ch wünsche, dass sie mich liebe, und dazu, da^
sie die kraft habe auszuharren, ohne durch unsere entfemung
oder irgend etwas anderes erschüttert zu werden (was sie
mich übrigens trotz der dazwischen getretenen hindemisse . . .
hat versichern lassen)'. Zur parenthese vgl. oben zu 320. 321.
y. 396 1. daran (so die hs.), und hinter dro ein kolon.
Daran weist auf das folgende hin: ^insofern nun tröstet mich,
was ihn schreckt'. Zu 424 vgl. Schönbach s. 192. Mit
V. 427 beginnt ein neuer absatz, wie Bech richtig gesehen hat.
In diesem verse lese ich jetzt mit Haupt trüren. Ebenso v. 447.
Vgl. dazu V. 151. V. 455 es gevolgen 'gehorsam sein'. Vgl
A. H. 1017. Es auf rät zu beziehen empfiehlt sich nicht. Paul,
Gr. § 222. V. 458 f. vgl. oben zu 820, V. 464 für noch
lies ottcÄ. Bech schreibt joch. Vgl. unten zu 774.
V.477 — 490 ist bei Bech der Zusammenhang nicht ganz
klar, zcßme v. 484 ist potential (Paul, Gr. § 281 anm.). Die ir
in V. 485 sind allgemein 'die leute'. 496 sind si wider die
tcisen. Zu 479 vgl. Henrici z. Iw. 3179. V. 485 steigert den
Inhalt von 484: 'ja ich würde sogar das gerede fürchten, ich
sei ohne persönlichen mut und tapferkeit im kämpf, wenn ich
nicht bis jetzt noch immer mit ehren aus jeder schwierigen
läge hervorgegangen wäre'. Hinter v. 511 ist ein punkt zu
setzen. Mit 541 beginnt ein neuer teil; also ein absatz!
(Schönbach s. 364). V. 588 ist so einfach satzverbindend.
Vgl. Mhd. wb. 2^, s. 458b. Also etwa: 'auch meine ich dass die
leute sagen ...'. Bech erklärt die stelle nicht richtig.
V. 618 streiche das komma. Dannoch weist auf stvenne in
V. 620. 'Sogar dann, wenn einer sich wirklich das beste ge-
nommen hat, ist der ausgang unsicher oder kann die sache
geradezu schlimm ablaufen'. V. 621 bringt eine neue Steige-
rung: 'ja selbst wenn alle weit meint' u.s.w. V. 625 reht
= stand (als herr). V. 644 mit Bech einen absatz. Zu
V. 679 f. vgl. I. büchl. 1501 f. V. 474 neuer absatz.
V. 687 kehre ich mit Schönbach zu Haupts gasihers zurück.
Vgl. Lichtenst. 552, 5 ff. V. 697 neuer absatz. Hinter
V. 700 punkt; ebenso hinter 702.
Der sinn der verse 753—762 ist nicht leicht zu ermitteln.
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UEBEB HABTMAKN VON AUE. 21
Vorher peinigt sich der dichter mit zweifehl an der treue der
geliebten. Er hält es für viel gefährlicher, wenn die dame im
jähr auch nur einen wackeren und redefertigen mann kennen
lernt, als wenn er das ganze jähr in der nähe eines edeln
weibes ist. Denn er muss werben, was schwer zum ziel führt.
Sie aber braucht nur abzulehnen, wobei man eher einmal erliegt.
Tür solchen zweifei gibt es aber wider einen trost: von dem
glaube ich, dass er mehr ins gewicht fällt als jener (v. 727 ff.
ausgeführte) gedanke. Sollen wir beide je unser liebe froh
werden, dann kann sie gar nicht anders als immer zu mir
zu halten. Andernfalls nämlich (ptich) wird mir zwar von ihr
nie liebes geschehen, aber auch ihr Schicksal wird schlimm
sein; niemand würde das hindern können'. Sie würde nämlich
der Verachtung aller anheimfallen. Hinter v. 758 ist ein punkt
zu setzen, hinter 760 ein komma und hinter 761 ein Semi-
kolon. V. 761 lies so (für und) wie die hs. hat. Der sinn von
759 dürfte sein: ^kommt nämlich unserem Verhältnis diese
hilfe nicht (sc. nämlich dass sie immer auf meiner seite mit-
kämpft)'.
V. 774 schreibt die hs. wan lip guot noch ere. Noch ist
falsch und Haupt änderte es darum in joch, indem er eine
Verlesung annahm. H. v. A. s. 49 wende ich dagegen ein, dass
joch im guten mhd. nicht mehr die copulative bedeutung 'und'
habe. Ich nehme an, das äuge des abschr eibers sei in die
darüber stehende zeile abgeirrt, und so stamme das noch aus
V. 773. Schönbach sagt s. 378; 'was nennt Saran »gutes mhd.«?
Jedenfalls nicht das des 12. und 13. jh.'s, auch nicht das Hart-
manns von Aue, denn da findet sich überall joch, das gleich-
artiges verbindet'.
Ueberall bei Hartmann? Das rein copulative jocÄ (= unde
zwischen zwei zu bindenden begriffen: von diesem ist allein die
rede) findet sich nach ausweis der Specialwörterbücher, Lach-
manns und Haupts anmerkungen sowie der glossare ßechs nie
in den Liedern, im L büchl., Gregor und A. Heinr. Im Iw. hat
die hs. A 6inmal joh gegen unde in allen andern hss. (v. 4931).
Lachmann setzt aber unde in den text mit der bemerkung:
^joh, nicht ganz gegen Hartmanns Sprachgebrauch'. Um dies
äusserst zurückhaltende 'nicht ganz' zu rechtfertigen, verweist
er auf Haupt z. Erec v. 6265, wo aus dem Erec allerdings vier
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22 SARAN
beispiele angeführt werden. Man sehe sich aber die Über-
lieferung dieser stellen an:
V. 6265 \ Haupt joch, Bech ouch,
6691 L , I
7530 ^' """^^ axisggjoch.
9916 ) )
V. 6456 hat Bech unnötigerweise joch: Haupt mit der hs. doch.
V. 7681 hs. noch, Haupt joch. Hier ist noch zu erwähnen
n, büchl. 464 hs. noch, Bech joch: ich schlage oben zur stelle
OMCA vor. Also ist im Erec das rein copulative joch
auch nicht ein einziges mal überliefert Was nun die
citierten stellen anbetrifft, so ist in v. 7681 das noch der hs.
keine Verlesung sondern 'Verbesserung' des abschreibers. Das
deweder verwechselte er mit tveder und setzte dann statt des
unde, was gewis in der vorläge stand, das entsprechende noch
ein. Verstanden hat er die stelle nicht, wie ein blick auf
die Überlieferung lehrt. An allen andern stellen bietet die
Überlieferung auch, und es mttsste erst nachgewiesen werden,
dass ouch nicht möglich sei. Mir scheint es sehr passend.
Es dient offenbar dazu, häufung des unde zu vermeiden.
Schönbachs behauptung, copulatives joch finde sich überall
bei Hartmann, ist also dahin zu berichtigen, dass es sich tat-
sächlich nie bei ihm findet.
Schönbach meint nun auch, joch sei sonst im guten mhd.
des 12. und 13. jh.'s üblich. Aber die beispiele des Mhd. wb.
(unter no. 1) sprechen nicht dafür. Sie stammen aus gedichten
älteren stUes wie Genesis, Kaiserchronik, Alexander u. a.
Stellen aus höfischen dichtem fehlen. Auch Lexer fügt nur
noch aus der thür. Elisabeth einige hinzu, keine aus obd.
quellen. In MF., bei Walther, Gottfried, Wolfram, Wimt, im
Nib.-lied findet sich, soweit ich sehe, kein copulatives joch.
J. Grimm, Gr. 3, 271 betont, dass das wort überhaupt im 13. jh.
seltener vorkomme, nur die quellen des 12, jh.'s hätten es öfter.
Dabei scheidet er aber die bedeutungen noch nicht. Ich sehe
also nicht, auf welche tatsachen Schönbach seine aussage über
jod^ stützt, und muss darum meine emendation der büchlein-
stelle noch immer für die einfachste und richtige halten.
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TJEBEB HABTMANN VON AüE. 23
IX. Die eohtheitsfrage und die Chronologie.
Die ansieht, das büchlein sei ein werk Hartmanns, hat
erst Haapt aufgestellt. Sie ist aber nie allgemein anerkannt
worden. Bech bestritt sie, femer Bechstein (Tristan 1 2, s.35),
Schreyer und Kauffmann (H.V.A. s.40f.). Auch Bartsch hat
sich dagegen ausgesprochen (Liederd.^ s. xlu unten). Dann
habe ich H. v. A. s. 39 ff. versucht, die unechtheit mit neuen
gründen darzutun. Trotzdem hält Vogt in seiner recension
meiner schrift (Zs. f dph. 24, 244 f.) an Haupts meinung fest und
Schönbach verteidigt sie, indem er die gründe einzeln zu
widerlegen sucht, die man gegen Hartmanns Verfasserschaft
vorgebracht hat*)
Aber auch Vogts und Schönbachs bemerkungen überzeugen
nicht davon, dass Haupt richtig gesehen habe, und sie können
nicht überzeugen, weil keiner von beiden den hauptpunkt
meines beweises widerlegt. Ja sonderbarer weise wird er von
beiden gar nicht erwähnt und scheint von ihnen völlig über-
sehen worden zu sein. Was Schönbach bemängelt, sind meist
nebensächliche dinge. Sie wiegen für sich allein auch nach
meiner ansieht nicht schwer genug, die unechtheit zu sichern:
es sind beweisgründe zweiten ranges, die nur im verein mit
den hauptgründen etwas bedeuten.
Zunächst ist festzuhalten: das büchlein ist ohne den
namen des Verfassers überliefert Zweifelt man wie
Schönbach nicht daran, dass es Hartmann gedichtet, dann
mnss dies auch so bewiesen werden, dass keine zweifei mehr
bleiben. Es nützt nicht einmal etwas zu zeigen, dass er es
verfasst haben könnte.
Wie steht es nun mit diesem nach weis?
Dass es nichts für Hartmann beweist, dass das büchlein
unter Hartmanns werken steht (was zudem nicht ganz richtig
ist: H. V. A. s. 39 f.), dass es nicht gegen ihn zeugt, wenn sein
name hier fehlt, ist selbstverständlich (Schönbach s. 345). Auch
die wenigen abweichungen vom wortgebrauch des Auers, die
ich im büchlein gefunden, bedeuten an sich nicht viel; ich er-
wähne sie in meiner arbeit deshalb zum schluss, um zu zeigen,
0 NeuerdingB spricht sich Kr ans, Zs. f. d. dsterr. gymn. 1898, s. 242,
aus stüistäflchen gründen für die oneohtheit ans.
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24 SARAH
dass ich ihnen allein keine bedeutung beilege. Die yorUebe
für antithesen, pointen iL s.w. leitet Schönbach aus dem all-
gemeinen Charakter des werkes ab: eine abhandlung rhetorischen
Stiles fordert in der tat eine besondere Schreibweise. Und wenn
Stahl, Eeimbrechnng bei H. y. A. s. 24 zeigt, dass die Sätze des
büchleins wesentlich länger sind als in den übrigen dichtungen,
so kommt das yielleicht ebendaher: rhetorik zieht periodenbau
nach sich. Auch diese gründe sind also nicht so überzeugend,
dass sie allein etwas ausrichteten.
Nun freilich bezweifle ich eben, dass Hartmann auf der
höhe seines könnens und seinem wesen nach je im stände war,
ein so rhetorisches, unpoetisches, rein dialektisches werk zu
schreiben und für poesie auszugeben. Ich yermisse eben das
in dem liebesbrief, was Schönbach s. 349 den persönlichen stil
des künstlers nennt. Schönbach findet (s. 350 ff.) keine spuren
einer fremdartigen, mit Hartmanns persönlichkeit unyereinbaren
indiyidualität: ich finde im gegenteil nichts yon Hartmanns
art — die grossen und kleinen entlehnungen ausgenommen.
Schönbach hält das büchlein für ein ganz yorzügliches gedieht
(s.368): ich halte es für eine gut disponierte abhandlung und
kein gedieht. Hier stehen sich eben die ansichten gegenüber.
Streiten lässt sich darüber nicht wol. Auf die angeführten
punkte einzugehen ist darum yergeblich. Ich wende mich
also zu dem was objectiy klargelegt werden kann und deshalb
eher erfolg verspricht.
Schönbach führt unter no. 5 an, die gegner der echtheit
sagten, gar yieles befinde sich in dem werklein, das Hartmann
nicht zugetraut werden dürfe (s. 350 f.). Bei dieser gelegen-
heit citiert er auch meine schrift öfters. Die bemerkungen
die er s. 350 ff. daran knüpft und die ich dort selbst nachzu-
lesen bitte, muss ich also auch auf mich beziehen. Dabei hat
aber Schönbach eins, wie es scheint, yöllig übersehen, und das
ist um so wichtiger für die beurteilung meiner arbeit, als es
eben die bedingung ist, unter der allein ich solche mehr ethi-
schen bedenken gelten lasse. Er übersieht nämlich, dass ich
an dem ton und Inhalt des büchleins nur darum anstoss nehme,
weil ich yorher die Überzeugung ausgesprochen habe, dass der
liebesbrief nach sämmtlichen dichtungen Hartmanns
geschrieben ist. Es heisst auf s. 57: 'fällt das büchlein
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UEBEB HABTHAüm VOK AUE. 25
äberhanpt ans ende der werke des Auers, so kann er
ans inneren nnd formellen gründen nicht der antor sein'. Ich
behaupte keineswegs, dass Hartmann unmöglich je ein solches
werk habe dichten können, ich behaupte nur, dass er nicht
mehr dazu im stände war, nachdem er den Gregor und Arm.
Heinr. verfasst hatte. Denn in diesen gedichten spricht sich,
namentlich im A. H., eine so schroffe abwendung von dem welt-
lichen wesen, besonders dem minnewesen aus, dass man nicht
annehmen darf, der dichter habe nach ihnen wider ein minne-
yerhältnis angefangen, habe sich wider schrankenlos der weit
hingegeben. Auch Schönbach tut das nicht: er stellt eben das
buchlein vor Greg, und A. Heinr., in die nähe des Iwein und
geht so der eigentlichen Schwierigkeit aus dem wege. Aber
er geht ihr eben nur aus dem wege und hebt sie nicht weg.
Denn dernachweis, dass das n. bttchlein nach sämmtlichen
werken des Auers anzusetzen ist, bildet den kern meiner
beweisführung; den hauptpunkt dieses nach weises aber hat
Schönbach (und ebenso Vogt) weder widerlegt noch überhaupt
angegriffen, ja nicht einmal beachtet. Wollte Schönbach
wirklich dartun, dass meine ansieht unrichtig sei, dann
musste er jenen widerlegen und positiv nachweisen, dass das
büchlein vor den Gregor und A.H. fällt. Die bedeutung alles
dessen, was ich über den Charakter der dichtung und die
starke benutzung von Hartmanns werken vorbringe, beruht
durchweg auf der richtigkeit jenes ansatzes.
Jener hauptpunkt ist folgender (s. 43 — 45). Paul hat ge-
zeigt, dass die widerholungen in den nicht echten werken
Hartmanns nicht absichtlich, sondern zufällig sind.^ Bei ähn-
lichen Situationen und gedanken griff der dichter absichtslos
zu ausdrücken die er schon früher benutzt oder geprägt hatte.
Das tut jeder dichter: man beobachtet es bei alten dichtem
ebenso wie bei Goethe und Schiller. Es ist also auch für
Hartmann nicht auffallend. Wie umfangreich oder überein-
stimmend solche selbstwiderholungen sein können, ist nicht zu
sagen. Das hat individuelle gründe, über die sich kaum
rechten lässt. Aber eins ist bei den widerholungen des büch-
leins übersehen worden und wird trotz meines hinweises von
>) Eine atUQiahme s. unten 8.31 f.
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M SABAN
Vogt und Schönbach noch immer übersehen, dass sich ffir
die meisten und augenfälligen stellen ein bestimmtes
princip der entlehnung nachweisen lässt (s. 43). Unter
diesen stellen sind wider mehrere im einklang mit jenem
princip, also in ganz bestimmten sinne überarbeitet
Zu diesen neu stilisierten stellen kommt jetzt auch Greg. 505
— 507, wie oben s. 17 nachgewiesen ist. Der grund zu ent-
lehnen und zu ändern ist aber, antithetische Wendungen zu
bekommen, und dies streben hängt deutlich mit der rhetori-
schen, dialektischen art des ganzen gedichtes zusammen. Es
ist mithin nicht zufällig.
Hieraus folgt allein schon mit Sicherheit, dass der un-
bekannte Verfasser des büchleins sämmtliche werke Hartmanns
genau kannte als er dichtete. Aus dem Inhalt und Charakter
des Werkes folgt dann weiter ebenso sicher, dass Hartmann
nicht der dichter ist. Vgl. H. v. A. s. 47.
Wenn nun der Verfasser die gewohnheit hat, stellen aus
Hartmanns dichtungen als citate und gleichsam proben seiner
literaturkenntnis einzuflechten, so ist doch höchst wahrscheinlich,
dass er auch dann entlehnt, wenn stellen seines gedichtes mit
solchen anderer dichtungen als denen Hartmanns überein-
stimmen. In betracht kommen Gottfrieds Tristan, Burkard
V. Hohenfels (H. v. A. s. 60 fussnote), Wigalois, Freidank und
Krone. Vgl. oben abschnitt YIU. Das bflchlein fällt dann
nach diesen werken.
Der andere grund den ich vorgebracht habe, beruht auf
der beobachtung, dass die verstechnik Hartmanns in den ver-
schiedenen werken verschieden ist. Da man zunächst an-
nehmen muss, dass sich der dichter in dieser beziehung immer
mehr vervollkommnet, so hat das im versbau vollendetere
gedieht immer als das jüngere zu gelten.
Die frage nach dem werte des büchleins in rein technischer
hinsieht hängt darum auf das engste zusammen mit der frage,
wie die dichtungen Hartmanns chronologisch aufeinander folgen.
Ein excurs meiner arbeit (s. 46 ff.) geht darum auf dies problem
etwas ein. Dem ganzen zweck meiner schrift nach steht die
frage nach dem Verhältnis des büchleins zu den dichtungen
Hartmanns natürlich im Vordergründe. Auf das Verhältnis der
letzteren unter einander kommt es weniger an, obgleich ich
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UEBER HABTHANK VON AUB. 27
die dort gefundene Chronologie noch immer für die wahrschein-
lichste halte.
Sieht man von allen formalen kriterien ab, so stehen
folgende stellen zur Verfügung, die reihenfolge der werke Hart-
manns zu erschliessen.
Iw. 2792 ff. und vielleicht auch 2572 ff. (Naumann, Zs. fda.
22, 41). Man folgert daraus mit recht, dass Hartmann hier bei
seinen zuhörem den Inhalt des Erec als bekannt voraussetzt.
Den hatten sie aber offenbar aus seiner eigenen bearbeitung
kennen gelernt. Neuerdings bestreitet es Piquet in seiner
Ätude sur Hartmann d'Aue 1898 (s. 217 ft) und setzt den Erec
nach dem Iwein an. Er meinl^ Hartmann zeige im Erec
grösseres geschick und grössere selbst&ndigkeit in der be-
arbeitung als im Iwein. Aber man kann die bekannte tat-
sache, dass sich der Iwein enger an das französische original
anschliesst als der Erec, auch so erklären, dass Hartmann dort
als an dem meisterwerk des Franzosen nicht so viel zu ändern
brauchte oder wagte als am Erec. Wenn er dann am original
des Gregor wider mehr änderte, so lag das gewis an dessen
mangeln. Femer behauptet Piquet, bei parallelen stünden die
verse im Erec alle mal weniger gut im Zusammenhang als im
Iwein. Bewiesen hat er das aber nicht.
Auch formale kriterien gibt es, die den Erec mit Sicher-
heit als die älteste der erzählungen Hartmanns erweisen. Ich
will sie gleich hier zusammenstellen. Im Erec stehen weitaus
die meisten fremdwörter. Später hat der dichter sich ihrer
entwöhnt. Vgl. H. v. A. s. 54 und Piquet. Worte wie halt,
degen, eilen, isengetvant, isentvät, hneht (= ritter), magedin, rant
(= schtU)j schaß, snel, snelheit u. ä. fast nur im Erec, verein-
zelt noch im Iwein. 0 Es sind ausdrücke eines älteren poeti-
schen Stiles, die Hartmann mit der zeit aufgiebt. Das erste
büchlein tritt übrigens in dieser beziehung nahe zum Erec.
Vgl. unten die tabelle. Schlagend ist der gebrauch des rühren-
den reimes.2) I. büchl. 1644 verse: 16 rühr, reime, Erec 10135 v.:
110 r. r., Iwein 8166 v.: 27 r. r., Gregor 4006 v.: 21 r. r., Arm.
Heinr. 1524 v.: 8 r. r. Der grammatische reim des Iwein 7151
—7160 ist als den rührenden gleichartig natürlich mitzuzählen.
^) YoB, Diction and rime-teclmic s. 9 ff. >) Ebda. s. 60ff.
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28 8ARAN
Man sieht aus den zahlen, dass — unter berftcksichtigiing der
verszahl — I. büchl. und Erec zusammen stehen und von allen
anderen werken durch eine grosse kluft getrennt sind.
Neuerdings hat auch Zwierzina (Verh. d. 44. vers. deutsch,
philol. u. schulm. s. 124 f.) stilistische gründe für das höhere alter
des Erec vorgebracht. Im Erec ist herre meist apposition:
Erec der herre). Diese Wendung dient nur dazu, herre in den
reim zu bringen um eine bequeme versbindung zu haben. Solche
flickreimerei weiss Hartmann im Iwein zu vermeiden: dort
braucht er herre nur in der anrede (lieber herre) und in der
prägnanten bedeutung 'herr' (über knechte) u. ä. m. Nach alle-
dem ist kein grund an der richtigkeit der ansieht zu zweifeln,
die Haupt ausgesprochen hat.
Von wert für die Chronologie ist dann zweitens die eln-
leitung zum Gregor, jetzt am besten bei Zwierzina, Zs. fda.
37, 407 ff. Sie ist schon von Naumann, Zs. fda. 22, 38 ff. benutzt,
aber nicht consequent.
Hartmann bekennt daselbst: 'mein sinn hat oft meine
zunge dazu gebracht, viel von dem zu sprechen, das lohn der
weit zum zweck hat. Das hat ihm seine unerfahrene Jugend
angeraten. Nun aber ist es, wie ich genau weiss, ganz ver-
kehrt auf seine Jugend zu bauen und zu denken: »was du in
der Jugend sündigst, kannst du im alter wider gut machen«.
Denn ein plötzlicher tod kann den sünder wegnehmen, ehe er
busse getan. Darum möchte ich bei zeiten den weg der sünde
verlassen und mich durch ein gott wolgefälliges werk von der
Sünde befreien, die ich aus nachlässigkeit mit worten auf
mich geladen habe. Denn ich zweifle nicht daran, dass auch
die grösste missetat des menschen vergeben wird, wenn sie ihn
reut und er sie nicht wider tut. Die geschichte Gregors
beweist es'.
H. V. A. habe ich s. 56 das nü in v. 6 temporal genommen
und betont. Ich glaubte, diu tumben jär und das nü ständen
im gegensatz und Hartmann stelle daher seine unreife Jugend
und ,sein jetziges reifes alter gegenüber. Diese deutung ist
aber gezwungen. Nü ist anreihend: 'nun', 'nun aber'. Auf
ein reifes mannesalter darf man also aus dieser einleitung
nicht schliessen. Vielmehr hat Naumann recht, wenn er meint,
Hartmajin stehe hier noch in der jtigent (a. a. o. s.40). Denn
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UEBEB HABTMANK VON AÜE. 29
eben das ist ja der gedanke der einleitung: 'ich will noch in
der jugent busse tun, damit es nicht zu spät wird. Wer weiss,
wie lange ich lebe'.
Nun ist freilich das aus dem Zusammenhang der stelle
klar: diu tuniben jär sind für Hartmann vorüber. Ist er auch
junc, so ist er doch nicht mehr tump zu nennen. Wie alt
Hartmann gewesen, als er diese worte schrieb, ist natürlich
nicht zu sagen. Jugent ist ein dehnbarer begriff. Ich stelle
ihn mir als dreissiger vor. Wie lange er sich für tump ge-
halten, lässt sich ebensowenig bestimmen. Bis ende der zwan-
ziger wird man diese zeit ausdehnen dürfen, freilich ohne irgend
welche Sicherheit
Welche seiner dichtungen verurteilt nun Hartmann?
Offenbar die weltlichen, die dieser einleitung vorausgehen.
Wie aus dem ausdruck gesprochen hervorgeht, denkt er dabei
an seine reimpaargedichte. Aber welche sind das? Es kann
sich überhaupt nur handeln um Lbüchlein, Erec und Iwein.
Denn den Ann. Heinr. können wir nicht herziehen. Er ist ja,
wie seine einleitung ausspricht, geschrieben zu gottes ehren
und erst dann den lesem zur Unterhaltung. Der lohn soll
nicht weltlicher sein, sondern geistlicher: die fürbitte des hörers.
Zu den verurteilten dichtungen gehören nun zweifellos
I. bflchlein und Erec. Denn in beiden wird ausdrücklich be-
tont, dass sie erzeugnisse der tumben jär seien. Vgl. I. büchL
12651 swie tomp ich nü 8€lbe bm,
ich wil dir rfiten gnoten sin.
Dazu die stellen die Schönbach s. 282 ff. bespricht. Im Erec
gehören hierher die bekannten verse, wo sich der dichter
einen tuniben kneht nennt (v. 1603 und 7480). Namentlich die
erstere stelle ist bedeutsam, da sich Hartmann an ihr genau
so charakterisiert wie im Lbüchlein. Man darf darum ohne
bedenken annehmen, dass dies Streitgedicht und der Erec
einander zeitlich sehr nahe stehen. Daran zweifelt man jetzt
auch nicht mehr (Piquet ausgenommen).
Als eine rein weltliche erzählung muss man auch den
Iwein mit unter die frühsten dichtungen rechnen, die im Gregor
verurteilt werden. Man tat das zunächst nicht. Naumann
bleibt trotz der Gregoreinleitung bei Lachmanns ansatz und
hält ihn für das letzte werk unseres dichters.
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80 SARAN
Tut man das, dann kann man Hartmanns worte in
jener einleitung nur als vorübergehende Stimmung auffassen,
die später einer milderen und freieren denkweise weicht. So
Paul, der in der einleitung zu seiner kleinen ausgäbe auf
Rudolf von Ems hinweist. Zu widerlegen ist diese ansieht
nicht, ausser durch den positiven nachweis der wirklichen
Chronologie. Dennoch aber liegt sie gewis nicht zunächst.
Gerade die worte einl. v. 50 und si niht wider niufcet sprechen
doch dafür, dass der dichter dauernd auf rein weltliche poesie
verzichten will. Jedenfalls muss man den Iwein dann vor den
Gregor setzen, wenn irgend welche andern gründe von belang
dafür entdeckt werden können. Solche sind m. e. vorhanden.
Schönbach macht auf die stelle Iw. 6574 ff. aufmerksam.
Sie lautet:
swer daz nü Tür ein wunder mit der er anders niht enpflac,
iemer ime selben sa^ dem weiz niht daz ein biderhe man
daz im ein onsippin magt sich aUes des enthalten kan
nahtes also n&hten lac des er sich enthalten wil.
Sie fehlt bei Chrestien. Der zusatz zeigt das sittliche Selbst-
gefühl des dichters. Mit recht behauptet nun Schönbach, dass
der dichter nach dem Gregor keinen so stolzen aussprach ge-
wagt hätte (s. 458) und darum der Iwein nicht wol nach dem
Gregor angesetzt werden könne.
Es kommen hinzu die inhaltsbeziehungen der werke.
Erec und Iwein verherrlichen rittertum und minne. Gregor
und A.H. sind geistlichen Charakters, ^ eine grappierung, aof
die ich H. v. A. s. 107 f. hingewiesen und in ihrer bedeutung für
die Chronologie gewürdigt habe. Schönbach nimmt sie an,
und neuerdings hat auch Piquet seine auffassung von Hart-
manns entwicklung ganz darauf gegründet. Man bedenke
dazu, dass Hartmann den Iwein Chrestiens schon für seinen
Erec benutzt (Schönbach s. 458): offenbar beschäftigte er sich
in seiner ersten periode eingehend mit den dichtungen dieses
meisters, bis er dann später durch innere erlebnisse zu einer
andern weise des dichtens getrieben wurde.
^) Wackemagel steUt sie Lit. V^ 208 ff. der anläge seiner literatur-
geschichte nach auch zusammen. Aber er hält diese stoffliche Zusammen-
gehörigkeit nicht zugleich für eine zeitliche. Auf eine Chronologie yer-
zichtet er ausdrücklich. Vgl. Wackemagel-Toischer, Arm. H. s. 18 f.
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UEBBB HABTMAKN VOK AUE. 31
Nun meint man freilich, der Iwein falle nach dem A.H.,
weil wie Naumann a.a.O. s.43 behauptet, die verse des A.H.
1 — 28 zu den ähnlichen versen Iw. 21 — ^80 im Verhältnis des
Originals zur nachbüdung ständen. Aber das wird von Nau-
mann nur behauptet, nicht bewiesen. Benecke (zu v. 22) führt
allerdings dafür einen gmnd an, freilich einen etwas sonderbaren:
die verse des A.H. seien freier und leichter, die stelle also
ursprünglicher und älter. Näher liegt doch die annähme, dass
Hartmann im A.H. die etwas unbeholfene periode des Iwein
widerholend zerlegt und dadurch die stelle verbessert habe.
Mir scheint die einleitung des A. H. jünger als die des Iwein.
Sie verrät deutlich den einfluss der Stimmung die den Gregor
beherscht. Im Iwein dichtet Hartmann, wenn er seine zeit
nicht nützlicher anwenden kann, imA.H., um schwer drückende
zeit andern leichter zu machen (vgl. auch San Marte bei Haupt,
A. H.* S. xvra). Dort schreibt er nur, weil er weiss, dass die
leute es gern hören: hier in erster linie um gott zu ehren
(wie den Gregor), dann auch den leuten zu liebe. Also
durchweg im A.H. eine viel ernstere auffassung seiner kunst
(vgl. H. V. A. s. 54 fussn. 2). Dazu kommt, dass die stelle im
A. H. weit leichter und lesbarer ist als die im Iwein, wie schon
Benecke anmerkt. Das spricht für spätere abfassung, wie oben
gesagt.
Es tritt noch eins hinzu. Hartmann nennt und charak-
terisiert sich in seinen werken absichtlich, und zwar gleich in
der einleitung. So im L büchl. v. 29, Iwein v. 28 und Gregor
V. 173. Aber an diesen drei stellen steht das persönliche mit
dem namen immer am schluss der einleitung, unmittelbar vor
beginn des eigentlichen inhalts. Hier im A.H stehen diese
angaben voran, am beginne der einleitung. Ausserdem folgt
V. 18 noch ein grund für diese gewohnheit: er möchte sich die
forbitte des lesers oder hörers sichern. In den andern werken
wird nie ein solcher grund angegeben. Diese besondere anläge
der einleitung des A.H. ist natürlich beabsichtigt; sie ist wahr-
scheinlich die antwort auf irgend welche bemerkungen die sich
jemand über Hartmanns gewohnheit, insbesondere über die
hervorhebung seiner gelehrsamkeit (im Iwein) bez. deren her-
vortreten (im Gregor) erlaubt hat. Ohne zweifei nimmt Hart-
mann in ilur absichtlich auf den Iwein bezug und widerholt die
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32 SABAN
Selbstcharakteristik aus Opposition ausführlich und zwar am
anfang des ganzen. Zugleich lehnt er den Vorwurf der eitel-
keit indirect durch v. 18 ab.
Ist diese beurteilung der einleitung richtig, dann folgt
auch daraus, dass der A.H. das letzte werk des Auers ist.
Man fragt: wer ist derjenige dem Hartmann Opposition
macht? Man denkt zunächst an Wolfram. Wie Hartmann
im Iwein seine gelehrsamkeit betont, so betont Wolfram im
Parz. 115, 25 ff. und Wh. 2, 19 ff., dass ihm diu buoch fremd seien.
Das bedeutet, er habe die gelehrte (lateinische, schulmässige)
bildung nicht genossen. Es bedeutet nicht, wie man vielfach
glaubt, er habe überhaupt keine bildung und könne weder
lesen noch schreiben. Im Willehalm liegt das zu tage. Es
handelt sich dort um den gegensatz der ansichten und kennt-
nisse die das natürliche denken (sin) und wissenschaftliches
Studium der gelehrten kirchlichen literatur (der buoche) gibt.
Aber auch im Parzival ist es nicht anders. Man scheint zn
glauben, v, 115,28 bedeute ^damit (sc. mit der Versicherung ihrer
gelehrten bildung) fangen viele ihre werke an'. In diesen
Worten spürt man dann einen seitenhieb auf Hartmanns ein-
leitungen, bes. die des Arm. Heinr. Diese erklärung halte ich
nicht für zulässig. Erstens passt das genuoge nicht (auch nicht
wenn man es als übertreibende Verallgemeinerung nimmt), falls
bloss Hartmann gemeint ist. Femer heisst urhap nemen
nicht ^anheben etwas zu tun' sondern ^entspringen, seinen
Ursprung nehmen', also 'anheben zu sein'. Vgl. die beispiele
bei Lexer. Genuoge kann darum hier nur auf aventiuren
gehen. Also: 'wer die fortsetzung wünscht, der betrachte
meine erzählung nicht als ein gelehrtes werk: von gelehrtem
wesen verstehe ich auch nicht einen buchstaben (buochstap
in einer durch das voraufgehende buoch humoristisch gefärbten
bedeutung). Viele aventiuren haben ja freilich dort (in der
gelehrsamkeit) ihren Ursprung: diese hier dagegen geht ohne
beihilf e der gelehrsamkeit ihren weg'. Wolfram will also
hier offenbar die meinung abwehren, als habe der Inhalt seines
Werkes in letzter Instanz einen gelehrten, lateinischen Ursprung
oder solle mit gelehrsamkeit abgehandelt werden. Man konnte
das denken, da er in den ersten zwei büchem scheinbar ge-
schichte des hauses Anjou erzählt. Aventiuren deren Ursprung
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ÜBBBB HAfiTlIANN VON AüE. 33
in der gelehrten literatur Hegt, gab es in der tat viele:
Alexander, Eneide, Karlsepen, die legenden u.s.w. Vgl. übrigens
auch den anfang des Ezzoliedes.
Trotzdem ist nicht undenkbar, dass zwischen dieser stelle
nnd Hartmanns einleitungen eine beziehung besteht. Wolfram
kennt in den ersten sechs büchem des Parzival sicher Erec
mid Iwein (vgl Pipers Zusammenstellung, Wolfr. v. Esch. 1, 24);
kenntnis des A. Heinr. ist ihm in b. 1 — 6 meines Wissens nicht
nachgewiesen. Er kennt mithin die einleitung des Iwein^ wo
Hartmann seine gelehrsamkeit hervorhebt und damit seine
dichtung als ein werk der gelehrsamkeit hinstellt. Während
also Hartmann seinen Iwein wie ein gelehrtes buch beurteilt
wissen möchte, während die Ursprünge des Gregor in der
gelehrten literatur liegen und das gedieht selbst (vgl. schon
dessen einleitung) mit der buoche stiure vert, lehnt Wolfram
jede mittelbare oder unmittelbare beziehung zur gelehrsamkeit
ab. Er verlangt also, dass man seine dichtung anders beurteile
als die seines berühmten Vorgängers, mit dem er, der anfänger,
sich nun messen will. Die Parzivalstelle enthält daher nicht
eine Verspottung Hartmanns (dazu hatte der junge Wolfram,
der mit seinem ersten werk hervortrat, gar keine veranlassung),
sondern sie soll dem vorbeugen, dass man den Parzivaldichter
ohne weiteres mit dem masse messe, das man an die werke
des allgemein berühmten wisen Hartmann anlegte. Besorgnis
vor der kritik hat sie ebenso sehr eingegeben als stolzes
Selbstgefühl
Wolfram lehnt also wenigstens für seine person Hart-
manns weise der dichtung ab. Dass Hartmann bei gelegenheit
darauf geantwortet ist wahrscheinlich. Ich halte es darum
nicht für unmöglich, dass sich die einleitung des A. Heinr.
gegen Wolframs ablehnung der buoche richtet Darum wird
gleich zu anfang das geleret und diu buoch betont. Zugleich
wird damit eine indirecte polemik gegen solche verbunden,
die die namensnennung für eitelkeit halten. Wolfram ist
damit natürlich nicht gemeint, denn er nennt sich auch (Parz.
114, 12). Wol solche die es in der weise der volkspoesie für
unpassend erachteten ihren namen zu nennen.
Ist diese deutung richtig, dann sind die ersten bücher
des Parzival schon vor dem abschluss des A. Heinr. heraus-
Bdträge zur geschichte der deutschen spräche. XXIV. 3
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34 SASAV
gekommen, doch so, dass beide werke bald nach einander
erschienen.
Für den A.Heinr. ist der terminns ad quem 1203. Denn
etwa in diesem jähr beginnt Wimt den Wigalois zn schreiben;
dies werk benutzt aber von vornherein alle werke Hartmanns.
Vgl. diese Beitr. 21, 259. Wolfram verrät kenntnis des A.Heinr.
erst Parz. 9, 455, 1 ff. (nachahmung der einleitung). Gottfried
kennt ihn schon von vornherein: vgl. Trist. 157 f. 163. 177
(A. Heinr. 23). 247 (A. Heinr. 43). 254 (A. Heinr. 79). 311 ft
(A. Heinr. 153 ff.). Aber auch die einleitung des Parzival, damit
also dessen erste bficher: Trist. 4636 ff.
Nun freilich lernt Wimt Wolframs erste bficher später
kennen als den A. Heinr. (vgl. a. a. o. s. 267). Das beweist aber
gegen meinen ansatz nichts. Denn der A. Heinr. war das werk
eines schon weit berühmten dichters, ausserdem nur kurz,
daher schnell abzuschreiben und zu verbreiten. Die sechs
bücher Wolframs aber abzuschreiben dauerte lange, auch war
ihr Verfasser noch ohne ruf. Ihre Verbreitung konnte darum
sehr wol langsamer erfolgt sein. Auch mag der zufall ge-
waltet haben.
Das erscheinen von Parz. 1 — 6 und A. Heinr. darf man um
1202/3 ansetzen. Man bekäme dann die reihe: Erec, Iwein
(Gregor); Parz. 1—6; A. H.; Parz. b. 7 ff., Tristan und Wigalois.
Ist nun der A. Heinr. erst im anfang des 13. ]h.'s er-
schienen, so findet auch das
d& mite er swnre stiinde
mGlite Stifter machen
und überhaupt die ganze dem ritterlichen leben sehr abholde
Stimmung der erzählung eine erklärung.
Stü(Bre stunde ist 'drückende, schmerzliche zeit', schwerlich
bloss 'langeweile\ Und in der tat war die zeit manchmal für
einen Schwaben drückend. Denn es war die zeit des krieges
zwischen Philipp von Schwaben und Otto, der die Vasallen
beider immer unter den waffen hielt und die frohe Stimmung
der zeit vor 1197 nicht aufkommen liess. Wie diese wirren
die ritterliche gesellschaft beeinflussten, wissen wir auch aus
dem Wigalois. Vgl diese Beitr. 21, 269 ff.
Es weist also alles darauf, den Iwein vor den Gregor und
den A. Heinr. zu setzen. Hicht derselbe einen besonders
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UEBBB HABTMAHN VON AüE. 35
Yollendeten eindrack, so vergesse man nicht, dass er eben das
meisterwerk Chrestiens ziemlich treu widergibt, eine tatsache,
die Piqnet mit recht betont (l^tade snr Hartm. d'Aue, 1898,
S.219). Man darf die Verdienste des Franzosen nicht dem
Deutschen zuschreiben. Der A.Heinr. aber ist gewis keine
Übersetzung, sondern die bearbeitung einer lateinischen ge-
schichte. Die verschiedene beschaff enheit der vorlagen muss
eine Untersuchung über die Chronologie berücksichtigen (vgl.
auch SchOnbach s.457).
Die kritische Verwendung der zu geböte stehenden Zeug-
nisse ergibt also die reihe I. büchlein und Erec, Iwein, Gregor,
A.Heinr. Damit hat man aber nur die relative Chronologie,
nicht die absolute. Kann man über diese etwas ermitteln?
Das büchlein steht sicher zur liebespoesie Hartmanns in
beziehung, fällt daher vor 1189. Den Erec setzt man wegen
der* erwähnung von Ck)nnelant nach dem kreuzzug an. Not-
wendig ist das keineswegs. Die stelle beweist nichts weiter,
als dass Hartmann eine allgemeine kenntnis von Iconium hatte
und dass er meinte, sein publicum werde sich für die notiz
interessieren. Das war vor dem kreuzzug von 1189 eben so
möglich wie nachher. Man kann also den Erec ganz vor den
kreuzzug setzen. Das empfiehlt sich besonders wegen der
beziehung zum I. büchl. (oben s. 27. 29).
Es fragt sich, ob man es nicht auch mit dem Iwein tun
muss. Schönbach meint, der dichter stehe im Iwein noch ganz
im minneleben (s. 461). Er weist hin auf die einschübe v. 2971 ff.
1621 ff. u. &. Schönbachs annähme scheint mir in der tat sehr
glaublich. Man kann sich vorstellen, dass Hartmann das Ver-
hältnis von Laudine und Iwein mit zügen aus seinem eigenen,
unglücklichen ausstattete, dass der Iwein also zeitlich den
letzten und besten seiner minnelieder gleich steht. *) Vielleicht
ist dann seine anfängliche Opposition gegen den minnedienst
grund, dass er zuerst gerade den Erec zur bearbeitung wählte,
einen roman, dessen held seine dame recht schlecht behandelt.
Nimmt man an, dass Erec und Iwein in die periode der
minnepoesie, also vor 1189 faUen, dann liegt eine weitere
>) Man beachte auch: gehaz findet sich nur im Iwein (10 mal nnd immer
im reim). Sonst bei Hartmann nnr MF 207, 85. Yos s. 16.
3*
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36 SABAN
yermntimg nahe. Mit dem beginn der kreuzzugspoesie sehen
wir in Hartmanns gemüt einen völligen nmschwung eintreten.
Er sagt sich von der weit los, um nunmehr auf sein seelen-
heil bedacht zu sein. Ist dieser nmschwung der ende der
acht^ger jähre eintrat, identisch mit der abkehr von der
weit, die wir aus der einleitung des Gregor sehen? Das ist
mir höchst wahrscheinlich. Man vergleiche die einleitung mit
dem kreuzlied 209, 25 + 210, 11 + 210, 35. In beiden die
klage, aus tumpheit der weit gefolgt zu sein: Greg. 5: MF 210, 13.
Die sorge um das ewige leben Greg. 31 ft: MF 211, 3 ft Vor
allem aber die gleiche Stimmung. Dann müsste man annehmen,
Hartmann habe den Gregor nach seiner rückkehr vom kreuz-
zug gedichtet, nach längerer pause in seinem dichten, nicht
mehr als tun^er man, der er bis zum kreuzzug war, aber doch
noch als junger mensch. Setzt man seine geburt um 1160, so
ist ohne zwang durchzukommen. Hartmanns todesjahr hängt
von der datierung der Krone ab. Diese wird von Haupt, wie
mir scheint etwas zu spät, um 1220 angesetzt Um 1205 lebt
Hartmann jedenfalls noch, was man aus dem Tristan und
Wigalois ersieht. Vgl. Beitr. 21, 267.
Legt man diesen erwägungen wert bei, so würden sich
zwei epochen in Hartmanns leben und dichten "ergeben:
1) Die der weltlichen dichtung: minnelied und Artus-
roman. Lbüchlein und Erec den älteren (etwa ton 14. 4. 7),
Iwein den jüngeren minneliedern gleichzeitig. Auf wie viel
jähre diese dichtungen zu verteilen sind, ist nicht zu sagen.
Ich habe Beitr. 23, 108 an 1187 und 1188 gedacht: jetzt wo ich
geneigt bin, auch den Iwein vor 1189 anzusetzen, würde ich
ca. 1180 — 88 vorziehen. Doch sind alle solche ausätze reine
Vermutung.
2) Die Periode der geistlich-moralischen dichtung:
Gregor und Armer Heinrich. Beide perioden getrennt durch
den kreuzzug von 1189.
Es folgt hieraus, und deshalb habe ich diese construction
gewagt, dass man nicht in Schwierigkeiten gerät, wenn der
einleitung des Gregor volle bedeutung beigelegt wird. Man
gelangt im gegenteil auf diese weise unter benutzung dessen
was früher über die minnepoesie ermittelt ist, zu einer auf-
fassung des lebens und dichtens Hartmanns, die an sich sehr
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UBBEB HABTMANN VON AÜB. 37
viel Wahrscheinlichkeit hat und der von mir H/y. A. s. 105
vorgetragenen wegen ihrer einfachheit noch vorzuziehen ist.
Widerlegt werden könnte die relative Chronologie der
werke Hartmanns freilich durch heranziehung rein formeller
kriterien. Ergibt aber die beobachtung des formalen eine
reihenfolge die mit jener ftbereinstimmt, dann stützt das nicht
nur jene reihe, sondern ist mittelbar wider ein beweis fftr die
richtigkeit und brauchbarkeit der methode. Denn darüber
entscheidet schliesslich doch der erfolg.
Drei versuche, formale kriterien anzuwenden, sind bisher
gemacht worden: Untersuchung des Versbaues, der reimbrechung
und der reime nebst der spräche. Die erstere, die ich zuerst
in grösserem umfange vorgenommen habe, hat nun wirklich
dasselbe ergebnis gehabt, das eben aus textstellen gewonnen
worden ist. Sie fordert darum mindestens beachtung: sie wie
Schönbach als principiell verfehlt zu behandeln ist ungerecht-
fertigt. Auch Vogt tut das nicht: er stimmt s. 243 dem princip
i. a. bei, ohne sich allerdings ausdrücklich für meine reihen-
folge zu entscheiden.
Die von mir angewante methode ist folgende.
Man nimmt in den höfischen romanen des 12. 13. jh.'s das
bestreben wahr, gewisse eigenheiten der älteren reimverstechnik
(Bolandslied, Alexander u.a.) zu beseitigen und den vers einem
idealschema:
X — X — X — X— oaer x — x — x — x
anzunähern. Man vermddet es, viele zwei- und mehrsilbige
Senkungen zu brauchen und vor allem Senkungen (natürlich
mit ausnähme der letzten, d.h. vierten) ausfallen zu lassen.
Dies streben, das im grossen die ganze gute erzählungsliteratur
beherscht, kommt auch bei Hartmann zum Vorschein, um so
mehr als er am anfang dieser entwickelung steht, ja sie
wesentlich mit einleitet. Man wird daher an der hand einer
Statistik bei Hartmann das fortschreiten dieser bewegung fest-
stellen und damit die folge seiner erzählungen bestimmen
können. Zwei fälle von Senkungsausfall sind hierbei zu
scheiden: der eine, in dem der entstehende einsilbige verstakt
durch ein selbständiges wort^ der andere, in dem er durch eine
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38 SARAN
unselbständige silbe gebildet wird. Fälle der ersteren art
habe ich mit W, solche der zweiten mit S bezeichnet
Schönbach wendet gegen diese zählangen ein (s. 348X
wenn sie etwas beweisen sollten, müssten sie vollständig sein:
Stichproben hälfen nichts. Nun habe ich zwar die proben
reichlich bemessen und sie, wie ein blick auf die tabelle SL y. A.
s. 50 zeigt, möglichst gleichmässig durch die werke verteilt,
immerhin aber würde Vollständigkeit grössere Sicherheit ge-
währen. Es ist also zweckmässig eine neue und zwar voll-
ständige Zählung vorzunehmen.
Gegen die art der Zählung erhebt Henrici, Jahresber. 13,
s. 264 bedenken. Es sei wie bei den späteren dichtem, so
auch bei den jüngeren Schreibern zeitgewohnheit gewesen, die
Senkungen, besonders zwischen zwei Wörtern auszufüllen. Die
überlieferten texte gäben also schon in den späteren hss. wenig
gewähr für des dichters gebrauch. Bedenklich sei es ferner,
dass ich Gregor und A. Heinr. nach Paul, Erec, büchlein und
Iwein aber nach Haupt und Lachmann benutzt, in der mei-
nung, diese beiden herausgeber hätten keine Senkungen aus-
gefüllt. Aber die Lachmannschen regeln über unde, niutvet,
gen. d. inf. auf -ennes, die aufnähme niederdeutscher formen
dienten doch grossenteils diesem bestreben. Diesem einwand
zu begegnen habe ich diesmal alle dichtungen mit ausnähme
des Gregor nach Lachmanns und Haupts texten gelesen, ohne
irgend welche änderung daran vorzunehmen, auch da wo sie
mir nötig schien. Die anderen bedenken Henricis wiegen nicht
allzu schwer. Wenn auch die Schreiber des öfteren Senkungen
ausfüllen, so sind diese fälle doch gewis in weitaus den meisten
fällen durch vergleichung der hss. zu ermitteln. Damm sind
eben kritische ausgaben benutzt. Aber auch dann^ wenn eine
anzahl solcher Schreiberveränderungen mit in die texte ein-
gegangen sind, kommen sie bei der masse der untersuchten
verstakte doch schwerlich in betracht. Dasselbe gilt, scheint
mir, für die bemerkungen Henricis über den gebrauch von
unde, niuwet u. s. w. Fehler der herausgeber in dieser beziehung
heben sich durch widerkehr in den andern werken doch wol
auf. Dass Zählungen, wie ich sie vornehme, den Sachverhalt
absolut genau darstellen, glaube ich natürlich nicht Dass sie
ihn relativ völlig ausreichend verdeutlichen, meine ich allerdings.
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UKBEB HABTMANN VON AUE. 39
Trotzdem bedarf meine methode noch einer berichtigung.
Es handelt sich um allgemein rhythmisches, was SchOnbach,
Vogt n. a. entgangen ist.
Hartmanns reimzeilen sind, was sich von selbst versteht,
sprechverse. Sie gehören als solche zu der art des rhythmus,
die ich 'poetischen rhythmus' nennen will und stehen den
strengen rhythmen der mnsik und tanzknnst (auch des kinder-
spruches u. &.) fem. Der 'strenge' rhythmus zwängt die teile
der spräche (Wörter, silben u.s.w.) nach dauer und bis zu
einem gewissen grade auch schwere in feste Verhältnisse, die
oft dem accent ganz zuwider sind, meist wenigstens sehr von
ihm abweichen. Der poetische rhythmus (der in der musik
z. b. im rhythmus gewisser formen des begleiteten recitativs
und der Sequenzen der röm.-kathoL liturgie nahe verwante
hat) yerh< sich zum sprachaceent anders. Der poetische
rhythmus ist eine art, die in der mitte steht zwischen dem
'strengen' rhythmus, der den tanz, gewisse formen der musik
(die sog. geschlossenen) und den auszählspruch beherscht, und
dem 'freien', wie ihn die rhythmische prosa (in der musik z. b.
das seccorecitatiy) hat. Diese rhythmusart ist ergebnis einer
mischung der beiden andern, reinen arten. Denn durch ein-
dringen des sprachlichen rhythmus in das gefüge der strengen
formen heben sich diese gelockert und einen neuen Charakter
bekommen. Ich habe in der abhandlung 'Zur metrik Otfrieds
von Weissenburg' (Festschrift f. Sievers, 1896) den Vorgang an
einem beispiel dai*gestellt, das auch fUr den mhd. reimvers
grosse bedeutung hat.
Da der sich ergebende poetische rhythmus trotz seiner
nahen beziehungen zu den formen des strengen den sprach-
aceent nicht verletzen darf, ohne hässlich zu werden, so sind
für ihn gewisse eigenschaften des strengen rhythmus aus-
geschlossen, eben weil sie sich nicht mit dem accent vertragen.
Man kann ganz wol singen Iw. 79 ee handen gevangen =
J I J i J J I J i J -.^1_JL1 mit 4 thesen, von denen 2 vier-
zeitig sind. Beim vorlesen ist das aber unmöglich. Da
mfissen die strengen Zeitverhältnisse zu gunsten solcher weichen,
die sinn- und stügemäss an dieser stelle im accent möglich
sind; sodann mfissen sich die gewichts Verhältnisse der silben
im anschluss an den accent verändern. Sinn- und stügemäss
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40 SABAK
gelesen hat der vers also das Schema x-x x-x* ^ enthält
also für das ohr nur 2 thesen (2 yerstakte), obwol sein Schema
auf ein armetrom von 4 thesen (4 takten) zurückdeutet.
Es bedarf nur des hinweises auf die germanische allitera-
tionsdichtung, um zu verstehen, wie sich aus ein und demselben
strengen metrum _JL-.1-1_1 mit seinen verschiedenen
artformen (-_l_I._i.l, _^1-_^1, _l-^l_lu.s.w.) eine
fülle verschiedener poetischer rhythmen entwickeln konnte,
rhythmen von ganz verschiedener taktzahl. Aus *-l-.I.-I-_l
entwickeln sich verse wie Iwein 87 deheine schäner nie gewdn
(== 4 thesen, 4 takte); *ä 1_^-^1 > Iw. 39: in vil fächern
wSrde (3 thesen, 3 takte); *-^l_^l > Iw. 34: nach richer ge-
wönheit (2 thesen, 2 takte) u.s.w.
Eine rhythmik des mhd. reimverses hat zuerst die auj^abe,
festzustellen, welche rhythmischen typen z.b. im Iwein wirk-
lich vorliegen. Sie hat also genau so, wie es Sievers gelehrt,
die Zeilen des romans zu analysieren, dann verwante formen
zusammenzustellen und endlich die ganze masse nach gattungen
(typen) und arten zu ordnen. Dann ergibt sich das typensjrstem
des Iweins eben so wie Sievers ein solches für den Beowulf,
die Edda u.s.w. gefunden hat.
Wenn nun ein vers wie Iw. 79 ae hdnden gevdngen sinn-
und stilgemäss vorgelesen (nicht scandiert!) nur zwei hebungen
hat (dass er historisch auf eine form mit 4 zurückweist, ist
etwas ganz anderes), dann ist es offenbar unrichtig zu sagen,
in diesem vers sei zweimal die Senkung unterdruckt und er sei
vierhebig. Tatsächlich hört niemand mehr als zwei thesen
und Senkungen werden nicht vermisst. Man kann nur dies
behaupten: in dem vierhebigen urmetrum, auf das verse von
solchem bau hinweisen, war zweimal hebung und folgende
Senkung zusammengezogen.
Nun kann allerdings wenigstens die vierhebigkeit des alten
reimverses gewahrt bleiben, wenn es der dichter versteht, die
mittel recht auszunutzen, die der sprachaccent bietet
Wenn in der rede zwei stärker betonte Silben an einander
stossen, so wird die erste gedehnt und es ergibt sich ein ein-
druck, der einer rhythmischen zusammenziehung gleich em-
pfunden wird. Versteht es der dichter in metren wie
^alL^l^L oder -.l-3£!-l
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UEBEB HABTMAKK VON AUE. 41
anf die erste und zweite, bez. zweite nnd dritte hebung sprach-
liche hauptaccente zu bringen, so wird der yers 4 hebig (bez.
als 3 J) und asynartetisch geffihlt;
2.b. Iw. 71 er sprich: h^r Kalögreint
28 er was genant Hartman.
Wenn femer in der rede eine silbe emphatisch oder mn
eines gegensatzes willen besonders stark betont wird, so wird
sie überdehnt. Dann bekommt die nächste, auch wenn sie
schwach von gewicht ist, grössere stärke. Dieser mittelbare
stärke- (und zeit-) Zuwachs wird wie ein nebenictus empfunden.
Silbengruppen der art können auch zur füllung von sprach-
lichem LI dienen. Vgl. zu IL bftchL v. 199 (oben s. 19).
Z.b. Iwein y. 17 so lebt doch iemer stn nam. lernet ist
emphatisch. Darum ie- zu überdehnen, -mer bekommt im an-
schluss an die Überdehnung von ie- zeit- und gewichtsyermeh-
mng und so klingt der yers tatsächlich . . . iSimr . . . ohne irgend
wie gegen den sprachaccent zu yerstossen.
Um wenigstens -zeitliche gleichmässigkeit der yerse zu
bewirken, wird die pause (p) verwendet. Iw. 208 stinke (p)
swä der ist Stinke würde nicht klingen. Eine kleine pause
Tor sivä macht den yers den andern gleichlaufend.
Nun ist klar, dass yerse in denen durch die aufgezählten
mittel des sprachaccents der eindruck yon synkope der Senkung
heryorgebracht wird, an sich nicht schlechter zu sein brauchen
als yerse yon ganz alternierendem rhythmus. Ebensowenig
verse die wie Iw. 79. 80 zweihebig sind. Verse mit freiem
Wechsel der thesenzahl (yon zwei bis yier; auch bloss eine
these ist denkbar) können, wie die alliterationspoesie zeigt,
gerade in der erzählung sinn- und stilgemäss verwendet werden
und vortrefflich wirken. Wenn also Hartmann und die höfischen
erzähler beginnen, typen zu meiden, die auf asjmartetische
versformen zurückweisen (wie Iw. 79 und 80), oder gar noch
selbst asynartetisch sind (wie Iw. 17. 28. 71 und viele andere),
so ist das zunächst nicht schlechthin als eine ^Verbesserung'
des Verses zu deuten, sondern als eine änderung seines stil-
charakters. Dass damit auch eine Verbesserung der technik
verbunden sei, braucht man natürlich nicht zu leugnen. Sie
scheint mir bei Hartmann klar.
Heine Zählungen der W und S bedeuten also zunächst
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42 8ABAN
nichts anderes, als dass der reimvers unter den bänden Ebit-
manns seinen stilcharakter ändert. Die grfinde für diese
änderong sind zwei: das Vorbild des französischen acbtsübers,
des versmasses der Artnsromane, und dann der bOfiscbe cbarakter
der dichtnng selbst, wie ihn besonders Hartmann herausgearbeitet
hat. Dass Hartmann jenen französischen vers nachahmt, ist
schon lange erkannt (vgl.Wackemagel-Toischer,AJieinr.s.32fL).
Wackemagel sagt daselbst, aus der frfihmhd. reimprosa habe
sich durch nachahmung des regelmässigen verses französischer
romane der regelmässige mhd. reimvers entwickelt. Dies ist
insofern nicht ganz richtig, als die form der frähmhd. dich-
tungen nicht gereimte prosa, sondern dasselbe metrum ist,
dessen sich die ahd. reimdichtungen, besonders Otfried bedienen
(vgl. verf.. Zur metrik Otfrieds von Weissenburg, a.a.o.&204).
Im übrigen aber ist Wackemagels anschauung richtig, wie ich
ebendort s. 200 betont habe. Dass sich Hartmann von Chre-
stiens vers beeinflussen lässt, wird niemand wundem.
Die entwicklung des altdeutschen reimverses bis in das
13. jh. würde also folgendermassen zu deuten sein.
Der altdeutsche reimvers hatte sich in alter zeit aus einem
strengen liedmetrum entwickelt, so wie ich es a. a. o. s. 201 ff.
dargestellt habe. Er hatte dann schon in ahd. zeit, noch mehr
in frühmhd., die freiheiten angenommen, die den sprechvers
charakterisieren.
Die zahl der hebungen wechselte von 2 (1?) bis 4, die
Senkungen, bes. der auftakt waren oft mehrsilbig, oft waren
sie 'sprachlich nicht ausgedrückt' ('auftaktlose' und asjrnaite-
tische verse) u.s.w. Es war eine reihe formen, jede von eigenem
ästhetischen we!rt aus den artformen der alten strengen tetra-
podie erwachsen, und so ergab sich ein System poetischer
rhythmen, das von dem Charakter der urmetra wenig mehr an
sich hatte. Für die Litanei hat es Dütschke (Hall. diss. 1889)
ermittelt: es wäre sehr zu wünschen, dass es auch für andere
dichter statistisch dargestellt würde.
Durch den Wechsel dieser zahlreichen formen entstand
eine äusserst mannigfaltige folge von schweren und leichten,
gefüllten und minder vollen, langen und kurzen reihen, die
der poesie einen äusserst beweglichen, bequemen, unter um-
ständen saloppen Charakter verlieh.
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ÜEBEB HABTXAim VON AUE. 43
Eben dies aber widersprach dem stil der neuen, höfischen
kanst^ im besondem der Hartmannschen. Sie zielt nicht anf
erregnng, sondern auf beruhigung ab, sie ist nicht lebhaft oder
gar leidenschaftlich, sondern massroll und fein. Scherer
schildert Liit.-gesch.^ s. 165 das wesen des Hartmannschen Vor-
trags vortrefflich. Wie der dichter war, so musste der vers
werden. Es galt also alle die formen auszuschliessen bez. ihre
Verwendung zu beschränken, die der dichtung die lebhafte
bewegnng und das eindringliche geben oder die schwerfällig
den anmutigen fluss der rede hemmen. Das sind besonders die
typen mit ftbervollen Senkungen (einschL des auftakts), dann
aber die welche auf alte musikalisch -strenge asynarteten zu-
rttckweisen, sei es dass sie im Verhältnis zum vierhebigen vers
zu kurz und leicht oder durch zusammenstoss von schweren
Silben in ihrem lauf stockend, schwerfällig bez. pathetisch
waren.
Es galt m. a. w. den alten reimvers dem gleichmässigen
Schema x-x-x-x- (bez. Ix) anzunähern, einem metrum,
dessen vierhebige form zugleich das romanische zur Verfügung
stellte. So kommt es, dass die Senkung mehr und mehr regel-
mässig wird, dass der dichter möglichst die zahl von 4 thesen
^bez. 3 ^) zu erreichen sucht und dass die verstypen beschränkt
werden, die auf alte asynartetische metra zurückgehen. Es findet
eine grosse Umwälzung im stilcharakter des reimverses statt.
Eine Untersuchung über die metrik der Hartmannschen
reimdichtungen, die etwa in der weise geführt würde, wie sie
Dütschke unter anleitung von Sievers für die Litanei geführt
hat, würde gewis eine sichere Chronologie der Hartmannschen
dichtungen ergeben. Sie würde nebenbei zugleich das sicherste
mittel sein, die fragen über synkope und apokope schwacher
vocale zu lösen und einen reinen text zu gewinnen, der, wie
Lachmann durchaus richtig erkannt hat, ohne metrik nicht zu
erreichen ist.
Meine Statistik kann nicht beanspruchen, die metrischen
änderungen in Hartmanns versen auch nur annähernd zum
ausdruck zu bringen. Sie erstreckt sich bloss auf eine
Seite der metrischen entwicklung. Selbst diesen stellt sie
nur sehr im groben dar. Sie zeigt nämlich zahlenmässig, wie
die verse abnehmen, die auf alte asynarteten hinweisen oder
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44
SABAN
noch asynartetisch sind. Aber dies doch nur ganz im nmriss,
da sie vom takt und nicht, wie es das richtige ist, yon der
reimzeile ausgeht. Es entgeht also meiner Statistik der unter-
schied im typengebrauch: verse wie *-^^-JL1, *-_l-^i_,
♦-1-Z-1-1, *-j:1«-L-1 geben aUe dieselbe zahl 1. Und
doch ist es sehr wesentlich, wie häufig im Verhältnis metra
jeder art gebraucht werden. Es entgehen der Statistik auch
sonst noch viele feinheiten des Versbaues, die fär die Wirkung
der dichtung bedeutsam sind, z.b. der gebrauch einsilbiger
Wörter an bestimmten stellen.
Trotz dieser mängel liefert die Zählung doch ergebnisse,
die mit dem übereinstimmen, was die kritische Verwendung
der Selbstzeugnisse Hartmanns ergeben hat. Ich lege ihr darum
auch jetzt noch denselben wert bei wie früher, so lange icli
nicht durch eine umfassende Untersuchung von ihrer Unrichtig-
keit überzeugt werde. Man muss bedenken, dass sie eben nur
das allergröbste der Veränderung von Hartmanns versban
darlegt, dass sich die unterschiede zwischen den werken also
bei einer vollständigen Untersuchung noch als grösser heraus-
stellen werden.
Die resultate meiner .neuen Zählung sind nun folgende.
Um die grundlagen der procentzahlen genau controlierbar zu
machen, gebe ich die einzelnen posten an. Im übrigen vgl
meine schrift s. 50f.
Den Erec zähle ich nicht durch, weil mir seine Stellung
in der reihe gesichert scheint.
Lbüchlein (ohne
S. G.).
no. der verse
w + s
W
S
S — W
1-100
13
2
11
+ 9
101-200
17
5
12
+ 7
201-300
14
4
10
+ 6
301-400
25
9
16
+ 7
401-500
35
18
17
- 1
501-600
18
11
7
- 4
601-700
19
8
11
+ 3
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CBBEB HABTHAHM YOH ACIS.
45
no. der verse
w + s
W
S
S-W
701-800
23
7
16
+ 9
801—900
38
16
22
+ 6
901-1000
27
11
16
+ 5
1001—1100
28
11
17
-h 6
1101—1200
28
15
13
-2
1201-1900
21
15
6
— 9
laOl— 1400
25
14
11
-3
1401-1500
21
12
9
— 3
1501— leoo
36
17
19
+ 2
1601-1644
17
9
8
— 1
Von 400 zu 400 versen berechnet ist das ergebnis:
yene
W + S
W
S
8— W
1—400
69
20
49
+ 29
401-800
85
44
51
+ 7
801-1200
121
63
68
+ 15
1201—1600
108
58
45
+ 13
1601-1644
17
9
8
- 1
Sa.
405
184
221
+ 37
Iwein.
▼erse
W + S
W
S
125
44
81
125
62
63
145
71
74
129
53
76
109
43
66
107
50
57
113
47
66
116
52
64
104
43
61
150
77
73
s-w
1-400
401—800
801—1200
1201-1600
1601—2000
2001-2400
2401-2800
2801-3200
3201-3600
3601-4000
+ 37
+ 1
+ 3
+ 23
+ 23
+ 5
+ 19
+ 12
+ 18
— 4
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46
SJlXAK
verse
W + 8
W
S
8-W
4001-4400
186
77
59
— 18
4401—4800
131
70
61
- 9
4801-5200
149
71
78
+ 7
5201-5600
116
50
66
+ 16
5601-^000
143
61
82
+ 21
6001—6400
151
58
93
+ 35
6401-«800
134
70
64
- 6
6801—7200
154
70
84
+ 14
T201-7600
148
66
82
+ 16
7601-8000
129
60
79
+ 29
8001—8166
49
24
25
+ 1
Sa. 8166 TT.
2663
1209
1454
+ 246
Gregor.
▼eree
W + S
W
S
S-W
1-400
104
30
74
+ 44
401-800
110
41
69
+ 28
801-1200
110
48
62
+ 14
1201-ieOO
96
36
60
+ 24
1601-2000
112
85
77
+ 42
2001-2400
108
42
66
+ 24
2401—2800
94
28
66
+ 38
2801-3200
133
49
84
+ 35
3201--8600
119
47
72
+ 25
3601-4000
143
55
88
+ 38
4001-4006
8
1
2
+ 1
Sa. 4006 w.
1132
412
720
+ 318
Arm. Heinrioh.
▼erse
W + S
W
S
S-W
1-400
401-800
131
103
40
39
91
64
+ 51
+ 26
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tTBBBR SAXnUSS VOS AUE.
47
Terae
w + s
W
S
S-W
801-1200
laoi— 1620
97
97
43
44
54
53
+ 11
+ 9
Sa. 1620 TT.
428
166
9f&,
+ 96
n. büohlein.
Tetae
W + S
W
S
8-W
1—100
30
4
26
+ 22
101-200
24
7
17
+ 10
201-300
23
4
19
+ 15
301-400
22
9
13
+ 4
401^500
21
10
11
+ 1
601-600
24
6
19
+ 14
601-700
27
6
21
+ 15
701-800
25
10
15
+ 5
801-826
4
2
2
0
oder nach versen von je 400:
▼erse
w + s
W
S
S-W
1-400
401-800
801-826
99
97
4
24
31
2
75
66
2
+ 51
+ 35
Sa. 826 w.
200
57
143
+ 86
In procenten ausgedrückt stellen sich die ergebnisse so dar:
Titel
W + S
W
s
s-w
I. büchl.
24,63
11,19
13,44
4- 2,25
Iwein
32,61
14,80
17,80
3,00
Gregor
28,25
10,28
17,97
7,69
A. Heinr.
28,15
10,92
17,23
6,31
n. büchl.
24,21
6,90
17,31
10,41.
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48 8ARAN
Wie man aus der vergleichung mit der älteren tabelle in
H. y. A. s. 51 sieht, sind die absoluten unterschiede unbedeutend :
die Stichproben und die vollständigen Zählungen geben im
wesentlichen dasselbe resultat Schönbachs bedenken gegen
Stichproben erweisen sich dadurch als hinfällig.
Nur eins lehrt diese neue tabelle, nämlich dass für Gregor
und A. Heinr. jene wie schon gesagt etwas grobe methode nicht
hinreicht, die Chronologie zu bestimmen. Die differenzen der
betreffenden zahlen sind so gering, dass man aus ihnen nichts
schliessen kann. Dass die metrik beider gedichte sich trotzdem
sehr von einander unterscheiden mag, ergibt sich aus meinen
früheren bemerkungen von selbst.
Die tabelle lehrt aber weiterhin mit entschiedenheity
erstens dass der Iwein vor Gregor und A. Heinr. liegt, und
dann, dass das H. büchlein an das ende der ganzen reihe fällt.
Beides war schon oben aus andern grUnden mit Wahrschein-
lichkeit bez. Sicherheit erschlossen worden. In diesem zu-
sammengehen der ei^ebnisse liegt ein starker beweis für ihre
richtigkeit.
Nun findet freilich Vogt, meine Zählungen seien ungenau.
Er sagt: ^nach diesen [meinen beobachtungen] wfirden die
Senkungen besonders zwischen zwei verschiedenen werten im
zweiten büchlein weit seltener ausgelassen sein als in allen
übrigen dichtungen Hartmanns. Ich bin zu einem andern er-
gebnisse gekommen. Nach meiner Zählung fehlt die Senkung
in den 826 versen des zweiten büchleins zwischen zwei ver-
schiedenen Worten 88 mal, zwischen zwei silben eines wertes
188 mal; in den 826 ersten versen des ersten büchleins kommt
der erste fall 87 mal, der zweite 91 mal vor. Danach zeigt
sich also in jenen sogar eine merkwürdige Übereinstimmung
zwischen den beiden büchlein; in diesem dagegen steht das
zweite büchlein dem Gregor und Iwein näher, wo in der
gleichen verszahl zwischen zwei silben eines wertes die Senkung
llOmal bez. 141mal unausgefüllt bleibt'. Schönbach stinmit
dem auf s.348 bei: Togt hat gezeigt, dass Sarans Zählungen
ungenau sind: damit fällt auch ihr ergebnis'. Freilich erklärt
er sich unmittelbar darauf gegen die Verwendung von Stich-
proben: 'will man aus statistischen Zusammenstellungen etwas
erschliessen, dann müssen sie vollständig sein, Stichproben
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T7BBEB HABTMANN VON AUE. 49
helfen gar nichts'. Vogts nachweis beruht aber eben auf einer
Stichprobe. Seine zahlen stimmen überdies genau zu meinen
angaben^ so dass ich hier weder Vogts noch SchOnbachs tadel
begreife.
Denn dass das n.bfichlein in der zahl der S mit Erec,
Iwein, Gregor, A. Heinr. nahezu auf gleicher stufe steht, zeigt
meine procenttabelle H. v. A. s. 51. Vogt sagt also mit dem
einen teil seiner bemerkung — wenn man einmal Stichproben
znlässt — nur das was meine tabelle auch enthält. Nach
meiner neuen, vollständigen Zählung ist die verwantschaft in
diesem punkte noch näher. Dass das IL büchlein im punkte
der S dem ersten femer bleibt, sieht man ebenfalls deutlich
ans meiner tabelle s. 51: Lbüchl. 13, 99 (jetzt 13, 44) — n. büch-
lein 17, 40 (jetzt 17, 31). Auch damit widerholt Vogt nur meine
ergebnissa
Dass femer das ü. büchl. in der zahl der W den 826 versen
vom anfang des ersten ganz nahe steht, habe ich ebenfalls be-
merkt. Es folgt aus dem was ich H. v. A. s. 52 mitteile, von
selbst In v.l— 800 des Lbüchl. habe ich dort s.52 gezählt 87 W:
Vogt zählt in v. 1—826 — auch 87, also bei 26 versen diffe-
renz genau dieselbe zahl! Berechtigt dieser geringe unter-
schied zu dem urteil, dass meine Zählung ungenau sei? Ich
bezweifle, dass Vogt bei erneuter Zählung wider genau 87 W
findet. Da man denselben mhd. vers oft verschieden lesen
kann, so finde ich zwischen meiner und Vogts Zählung viel-
mehr eine überraschende Übereinstimmung.
Wie sehr nun aber SchOnbachs wamung vor dem gebrauch
— wenigstens unzureichender und nicht genau controlierter —
Stichproben am platze ist, das zeigt sich gerade in diesem
falle deutlich, wo er sein urteil über meine Statistik eben auf
eine solche gründet. Es wundert mich um so mehr, dass Schön-
bach dieser probe Vogts so viel bedeutung beilegt, als er schon
aus meinen angaben über die W des L büchleins (H. v. A. s.52)
hätte ersehen können, dass er sich gerade auf jene Stichprobe
nicht verlassen durfte.
Dort (vgl. jetzt oben s.441) zeige ich nämlich, dass das
Lbüchl. in metrischer hinsieht unter allen dichtungen Hart-
manns eine Sonderstellung einnimmt. Es ist für dies gedieht
charakteristisch, dass in ihm anfangs die beseitigung der
Bdiräfe rar gescliichte der deutschen iprache. XXIV. 4
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50
'einsilbigen verstakte' überraschend gat gelangen ist, duss
aber die im anfang erreichte glätte der yerse nicht dauert,
dass man fast von 100 zu 100 yersen das zurfickgehen von
diesem höheren Standpunkt der technik beobachten kann. So
kommt es, dass von den beiden hälften des I. büchleins, das,
den sog. 'leich' natürlich abgerechnet, 1644 yerse umfasst, die
erstere unverhältnissmässig viel glattere yerse aufweist, als
die zweite in der sie z. t. sehr uneben sind. Ich habe H. v. A.
s. 52 gezählt L btichl. y. 1—800: W = 87, S = 110,
y. 801—1644: W = 136, S = 120.
Hätte also Vogt seine Stichprobe yon 826 yersen nicht mit y. 1,
sondern mit y. 801 begonnen, so würde er das entgegengesetzte
resultat bekommen haben.
Femer habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für
die beurteilung der Hartmannschen technik nicht einseitig bloss
die W oder bloss die S herangezogen werden dürfen, sondern
auch das yerhältnis der W zu den S. Dass dies für den
rhythmischen eindruck yon grosser bedeutung ist, liegt auf
der band. Wenn wie Vogt sagt, das 11. büchl. in den S dem
Iw., Greg., A. Heinr. näher, der Klage femer steht, dafür aber
sich dem ersten teil der Klage in den W sehr nähert, so be-
weist das streng genommen nichts anderes als dass die technik
des n. büchleins yon der dieser dichtungen grundverschieden
ist, da sie eben mit ihren ziffem in der tabeUe für Hartmsjins
werke nicht eingeordnet werden kann.
Das eigentümliche verhalten des L büchleins in bezu^ auf
das yerhältnis der W und S zeigt die neue tabelle oben s. 44 f.
deutlicher. H. v. A. s. 52 habe ich versucht es zu erklären.
Dort wird es auf das bestreben zurückgeführt, die W-fonnen
zu beseitigen, eine arbeit, deren durchführung die kraft des
dichters noch nicht gewachsen war und bei der sie darum
allmählich erlahmte. Dass der dichter aber überhaupt die
absieht fassen konnte die W zu beseitigen, erklärt H. v. A. & 53
folgendermassen: ^Hartmann hat vei^sucht, im I. büchlein die
formalen gesetze der lyrik durchzuführen. Als lyriker hatte
er schon eine ziemliche höhe erreicht, ein feines gefüM füi-
regelmässigen versbau bekommen, mit epischen dichtungen
hatte er sich gar nicht beschäftigt. Was wunder wenn ei* in
einem gedieht dessen inhalt ja der minnepoesie entnommen
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UEBEB HABTHAinir VON AÜE. 51
ist, auch die formglätte derselben anstrebt? Er sucht schon
jetzt die brücke zwischen der neuen tradition der lyrik und
der alten der epik zu schlagen, deren yoUendung erst einer
viel späteren zeit vorbehalten war'.
Diese erklärung ist aber aus grflnden der rhythmik un-
möglicL Ich konnte sie nur zu einer zeit aufstellen, wo ich
in übereinstinunung mit den ttbUchen anschauungen die tiefe
kluft noch nicht sah, die zwischen 'strengem' und 'poetischem'
rhythmus liegt Eine einwirkung der lyrik, die in jener zeit
ja keine buch-, sondern eine singlyrik war, auf die reimpaar-
dichtung ist in der weise, wie ich es H.V.A. annahm, aus-
geschlossen. Musik und poesie haben ihre besonderen traditionen,
und ihre formen können sich nicht mehr beeinflussen, wenn sie
sich einmal differenziert haben.
Es gibt nur 6inen weg von strengen musikalischen rhythmen
zu poetischen, den worauf ich unter anderm auch in der ab-
handlung über die metrik Otfrieds von Weissenburg hingewiesen
habe. Es können gewisse liedgattungen im verlauf der histo-
rischen entwickelung ihre strenge form, auch die melodie auf-
geben und zur poesie übertreten, aber von den strengen formen
der musik führt zur ausgebildeten Sprechpoesie unmittelbar
keine brücke, jedenfalls nicht in dem sinne, wie es H. v. A. s. 53
angenommen wurde. Die Sonderstellung des I. büchleins muss
demnach anders erklärt werden. Das ist auch nicht schwer.
Die W und S werden im büchlein zweifellos mit absieht
vermieden. Hartmann will sich eine neue verstechnik schaffen.
Warum tritt dies bestreben nun gerade im I. büchlein so deut-
lich hervor? Eben aus dem I. büchlein erfahren wir, dass
Hartmann vor abfassung desselben eine reise nach Nordfrank-
reich gemacht hat. An den höfen dieser gegend herschte die
neue ritterliche dichtung, besonders die Chrestiens. Sie lernte
Hartmann dort kennen und bewundem. Dass er bald ent-
schlossen war diesem muster nachzustreben, beweisen Erec
und Iwein, die die ersten fruchte seines Studiums sind. Mit
dem Inhalt jener höfischen dichtungen prägte sich aber seinem
ohr auch der anmutige, gleichmässige fall des afrz. achtsilblers
in seinem alternierenden rhythmus ein. Die erste reimdichtung
die er nach der rflckkehr verfasste, war nun, wie man gewis
mit recht amümmt, das L büchlein. Sie wird darum natürlich
4*
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52 SABiür
metrisch noch am meisten unter dem einflnss des frz. verses
stehen y dessen gang Hartmann möglichst genau nachbilden
wollte. Das ist auch der fall, freilich nur in der ersten h&lfte
(bis 800). Denn es gelang dem dichter nicht, den vorschweben-
den rhjrthmus in der spräche durchweg auszuprägen: es gelang
einigermassen nur im anfang der dichtung; in der andern
hälfte erlahmt die kraft , und die alte rhythmik zieht den
dichter wider an sich. Jenen versuch macht Hartmann dann
nicht wider. Er strebt nunmehr danach , das alte heimische
und das neue frz. versprincip zu vereinigen, eine versart zu
finden, die das charakteristische der fruhmhd. technik nicht
ganz anhebe und andererseits doch dem Vorbild des frz. acht-
silblers folge. In der tat macht Hartmanns vers, wie ihn be-
sonders der A. Heinr. zeigt, die mitte zwischen altheimischer
und französischer technik. Vgl. auch Beitr. 23, 94 ff., wo für
die lyrik ähnliche tendenzen nachgewiesen werden.
Das merkwürdige Verhältnis der beiden hälften des I. buch-
leins in metrischer hinsieht erklärt sich also sehr einfach daraus,
dass dies werk noch unmittelbar unter dem eindruck franzö-
sischer verse gedichtet ist und sich bestrebt, diesen möglichst
widerzugeben. Erst später hat sich Hartmann sein eigenes
rhythmisches ideal geschaffen.
Es ergibt sich somit, dass meine statistischen Zählungen in
jeder hinsieht die Chronologie bestätigen, die man aus der
vergleichung der selbstzeugnisse gewonnen hat
Von der reimbrechung aus zu einer Chronologie zu kommen
hat K Stahl versucht in seiner dissertation 'Die reimbrechung
bei Hartmann von Aue', Rostock 1888 (rec. von Glöde, Lit-bL
1889, s. 407). Er gewinnt die reihe Erec — Gregor — Iwein
— A. Heinr. Diese stimmt mit der meinigen, insofern sie Erec
und A. Heinr. an den anfang und schluss, Gregor und Iwein
in die mitte setzt. Aber mir scheint die ganze art, wie Stahl
seine Untersuchung ansetzt und führt, methodisch nicht richtig
und darum sein ergebnis unverwertbar. Glöde ausserdem meint
S.408, reimbrechung allein gebe nicht den ausschlag: sie sei
nur im verein mit vielen andern kriterien beweiskräftig. Ich
habe keine Untersuchung hierüber angestellt, glaube aber auf
grund der angaben Stahls doch, dass jenes kriterium einen hohen
wert hat, bei richtiger Verwendung vielleicht auch allein genügt
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ÜEBBB HABTlCAim TON AUE. 58
Ueber die rhythmische bedeatnng der reimbrechung wird Zar
metrik Otfrieds y. Weissenburg s. 194 f. gehandelt. Es ist dort
die rhythmische entwicklnng kurz angedeutet, deren notwendiges
Schlussglied die brechung der rime bildet. Ans jener darstellung
ergibt sich auch, nach welchen regeln die erscheinnng statistisch
aufgenommen werden muss. Man hat von der tatsache auszu-
gehen, dass ein reimpaar von haus aus den wert einer musika-
lischen Periode hat; der erste vers ist Vordersatz (a), der andere
nachsatz (b). In der musik der geschlossenen, strengen form
hat sich das wort der weise und ihrem rhjrthmus unterzuordnen.
Also muss da entsprechend der melodiefllhrung am perioden-
schlnss (d. i hinter dem zweiten reim) ein relativ starker, auf
der cäsur (d. h. hinter dem ersten reim) ein relativ schwacher
Sinneseinschnitt statt haben. Jedenfalls muss der cftsureinschnitt
schwächer sein als der am periodenende, weil sonst die periode
nicht zusammenhalten würde (vgl.Beitr.23,52f. [§22]). Schwindet
nun der strenge rhythmus nebst melodie, so wird das alte Ver-
hältnis von cäsur und periodenschluss zunächst traditionell
gewahrt. So ist es noch in der ahd. und frühmhd. dichtnng.
Allmählich aber ändert sich das. Man bestrebt sich, aus
ästhetischen gründen das Verhältnis der Schlüsse umzukehren.
Dadurch wird das rhjrthmische System der periode zerrissen:
die rime werden gebrochen. Eine lockerung des Perioden-
systems und eine Vorstufe zur brechung ist es schon, wenn
die cäsur dem periodenschluss an stärke gleichgemacht wird.
Will man nun statistisch aufzeigen, wie sich dieses bestreben
geltend macht, so darf man nicht mit Stahl das Verhältnis von
satz und reimbrechung in den Vordergrund stellen. Ebenso-
wenig darf man reimbrechung nur da annehmen, wo hinter
dem ersten reime ein pnnkt steht (Stahl s. 11). Man hat viel-
mehr einfach die fälle zu zählen, in denen jedesmal die innere
Verbindung eines reimpaares loser ist als die Verbindung des
ersten reimverses mit dem vorausgehenden oder des zweiten
mit dem folgenden, oder in denen beide reimpaare völlig aus-
einander gerissen sind. So würde z. b. im I. büchlein gebrochen
sein reimpaar 1/2. Gebunden ist 3 + 4; weiter: 5/6, 7/8, 9 +
10, 11 + 12, 13/14, 15 + 16, 17/18, 19/20 etc. Dabei wären
schwere und leichte fälle der brechung bez. bindung zu scheiden.
Nützlich ist es vielleicht^ die fälle besonders zu zählen, in denen
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54
die sinneseinsclmitte als gleich gefühlt werden (so z. b. 3 : 4;
15 : 16). Fehler oder nngenauigkeiten würden sich bei hin-
reichend grossem mateiial gegenseitig ausgleichen. Die ergeb-
nisse wären dann einfach auf je 100 reimpaare procentaaliter
zu berechnen. Unterscheidungen der art wie sie Stahl macht,
sind als besondere fälle jener 3 hauptgattungen aufzunehmen,
also in zweite linie zu rücken. Sie sind wertvoll für die be-
urteilung der kunst des dichters.
Schönbach tadelt an Stahls arbeit, dass sie nirgends auf
das Verhältnis der poetischen angäbe zur form eingehe. Nun
ist ja gewis richtig, dass der gegensatz von reimbrechung und
bindung absichtlich zur erreichung bestimmter zwecke ver-
wendet werden kann. Aber ich glaube nicht, dass eine Sta-
tistik die auf eine Chronologie ausgeht, jene möglichkeit be-
sonders zu betonen braucht Sie wird sich damit begnügen,
die fälle der bindung festzulegen, wo sie zweifellos sinn- und
stilgemäss ist, brechung minder gut wäre. Im allgemeinen
aber dürfte gerade dieser punkt geringe bedeutung haben.
Wo ist denn im einzelnen falle brechung oder bindung nötig
oder auch nur wolgefällig und wo nicht? Ich bezweifle, dass
man diese frage unzweideutig beantworten kann.
Man wird z.b. sagen: reimbrechung erhöht die lebendig-
keit der darstellung, bes. des dialogs (vgl. Stahl s. 27). Das
ist i. a. gewis richtig. Muss aber lebhaftigkeit immer zur reim-
brechung führen? Kann sie nicht auf andere weise (z. b. durch
die wähl der verstypen) ausgedrückt werden? Der dichter
hat gewisse Stimmungen zu erregen so mannigfaltige mittel,
dass man ihm schwerlich im einzelnen nachrechnen kann.^
Ich meine also gegen SchOnbach: hat man bemerkt, dass
sich ein dichter immer mehr bestrebt, die perioden zu brechen
— und für Hartmann ist das zweifellos — , dann zähle man
einfach die fälle in der oben angedeuteten weise. Man wird
daraus meiner Überzeugung nach einen wertvollen, vielleicht
an sich schon genügenden anhält gewinnen, die reihe der
dichtungen zu bestimmen. Das Verhältnis von Inhalt und form
zu betrachten wird zur Scheidung der fälle, jedenfalls aber für
das Verständnis der dichterischen kunst von grossem wert sein;
0 Vgl. Verf., Die emheit des Fanstmonologs, Zs. fdph. 90, 538— 545.
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UEBBB HABTMAKN VON AUS. 55
aber ftkr den nächsten zweck der Chronologie würde die auf-
gewendete mfihe und zeit schwerlich im Verhältnis zum wert
der ergebnisse stehen.
Stahls ergebnisse halte ich also aus rhjrthmischen gründen
nicht für stichhaltig. Sie sind unverwendbar für oder gegen
meine Chronologie.
Damit fällt freilich auch der grund, den er auf s. 27 gegen
die echtheit des büchleins vorbringt oder er wird wenigstens
zweifelhaft. Dies büchlein bricht nämlich die reime unver-
Mltnismässig oft, geht damit sogar über den A. Heinr. hinaus,
wie Stahl behauptet. Immerhin sieht man aber doch so viel,
dass es auch in diesem punkt von Hartmanns werken abweicht.
Noch ein dritter versuch ist gemacht worden auf objective
art festzustellen, wie sich Hartmanns dichtungen an einander
schliessen: B. J.Yos, The diction and rime-technic of Hart-
mann V. A., Leipzig 1896 (rec. v. K Helm, Lit-bl. 1898, s.264).
Der Verl versucht durch beobachtung des wortgebrauchs und
der reimtechnik zu einer Chronologie zu kommen. Ansätze zu
dieser methode finden sich schon bei Haupt, Naumann, Lemcke,
Greve (s. 60), Zwierzina (Zs. fda. 40, 237—241), doch ist Vos
wegen der zahl und Vollständigkeit der belege als ihr eigent-
licher Vertreter anzusehen.
S.7 — 41 werden eine reihe von Wörtern alphabetisch zu-
zusammengestellt, die in den werken Hartmanns mehr oder
weniger oft vorkommen. Aus dieser tabelle werden dann
Schlüsse gezogen. Aber der verf. hat es unterlassen zu über-
legen, ob solche Schlüsse aus dem wortgebrauch überhaupt wert
haben und wie weit etwa.
Zunächst musste bedacht werden — Haupt, Jänicke u. a.
waren darin vorangegangen — ob besondere gründe dem
dichter nahe legten, gewisse Wörter oder Wendungen allmählich
zu meiden. Das ist nun sicher der fall. Wörter wie balt,
degen, eUen, isengewant, isenwät, kneht (= ritter), rant (= schild),
schaß, snel, snelheit u. a. werden im höfischen roman gemieden,
weil sie 'unhöfisch' schienen, d. h. weil sie durch die dichtung
älteren Stiles so fest mit der Vorstellung des rittertums älteren
Stiles verknüpft waren, dass sie mit den neuen idealen nicht
mehr recht stimmten: ein ritter war für die phantasie der
Umgebung Hartmanns etwas anderes, feineres als ein degen\
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56 8ABAN
mit jenem wort yerbanden sich ganz andere associationen ak
mit diesem oder gar mit kneht (dem das guot, d.l 'vomehm,
bevorzugt' freilich fast nie fehlt). Lässt sich nachweisen, dass
auch Hartmann solche Wörter allmählich meidet, dann bedeutet
das allerdings nicht wenig. Die beobachtung ergibt nun, daas
solche Wörter i. a. nur im Erec und L büchl. vorkommen, dann
verschwinden. Das sichert, wie schon oben bemerkt, den frühen
ansatz beider dichtungen. Für die reihe der ftbrigen ergibt
sich, dass im Iwein die besonders charakteristischen (degen,
knehi, schaft) noch zuweilen da sind, im Gregor aber ver-
schwinden. Das spricht für das relativ höhere alter des Iweins.
Man vergleiche folgende tabeUe:
I. bttchl. Erec Iwein Greg. A-Heinr.
halt - 2 3 — _ _
degen — 11 4 — —
degenlich — 1 — — —
eUen — 6 11 —
eUenthaft — 3 — i _
ich genende — 1 — — —
genendic 1 2 — 1 —
genendecllchen 1 2 1 — —
genendekeit — 1 — — _
helt — 14 1 —
isengewant — 9 1 __ —
Isenw&t — 1 — — —
kneht (=ritter) — 21 5 — —
magedin — 3 _ _ —
rant — 4 _ _ _
Schaft — 11 1 -_ -_
snel — 1 — — —
snelle 1 3 — — —
snelheit — 2 — — —
Zum teil hängt dies auch mit dem Inhalt zusammen. Gerade
für die wichtigsten kann man es aber nicht behaupten.
Im Zusammenhang mit dem erörterten steht es wol auch,
wenn Wörter wie Mrlich (Er. 5 m), herlkken (Er. 2 m.; Iw. 1 m.),
manlich Er. 8 m. ; Iw. 4 m. ; Gr. 1 m.), manl%(^ (I. b. 1 m.; Er. 3 m.)
allmählich verschwinden. Sie passten vermutlich nicht mehr
zu Hartmanns Vorstellung vom idealritter bez. mann. Um-
gekehrt vgl. hövesch und seine sippe.
Im übrigen scheinen mir zu chronologischen Schlüssen nur
solche Wörter geeignet, die oft vorkommen iw4 zugleich ohne
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UEBEB HABTMAKN VON AUE. 57
sonderlichen unterschied mit synonymen wechseln können.
Besonders Partikeln. Vos hat auf einiges selbst hingewiesen.
So nimmt der gebrauch von dagen (nebst compositis) vom Iwein
an ab (Iw., Greg., A. Heinr. stehen sich i. a. gleich), der von
swigen (und compositis) entsprechend zu (im A. Heinr. wider
ab). Harte nimmt vom Iwein an ganz bedeutend zu und bleibt
im Gregor und A.Heini*. auf der höhe, vü dagegen nimmt
merklich ab. Starke verhält sich ähnlich wie harte. Es wird
also statt des blasseren vil öfters ein volleres wort gewählt.
Andere solche paare ergeben nichts, wie z.b. dicke und ofte,
hceren und verneinen.
Weitaus die meisten der von Vos beigebrachten Wörter sind
m. e. für eine Chronologie ganz ungeeignet. Houbet kommt Er.
36 m., Iw. 8 m., Greg. Sm. vor. Das wort als solches ist ganz
unverfänglich. Was soll sein gebrauch ffir die Chronologie
bedeuten?
Bei andern werten ist einfluss der lectüre zu berücksich-
tigen. Im Iwein findet sich das wort gehaz 10 m., sonst in
den reimpaardlchtungen nie. Dafür vient u. ä. Wahrschein-
lich ist Hartmann hier das ihm an sich bekannte wort durch
irgend einen literarischen einfluss neu 'in den sinn gekommen;
es gefiel ihm und er brauchte es nun öfter. Literarische ein-
flüsse können ihm aber ebensogut ein wort, das er im Iwein
nicht mehr verwendet, im Greg, oder A. Heinr. wider empfohlen
haben.
Wenn Vos darauf hinweist, dass Gregor und Erec viele
Worte der tabelle gemeinsam hätten (s. 69), so ist zunächst zu
bemerken, dass die angeführten gar nicht charakteristisch sind.
Femer ist die gegenprobe nicht gemacht: ob die fälle des Unter-
schiedes oder der zusammenstimmung überwiegen, muss fest-
gestellt werden, wenn über relative verwantschaft etwas aus-
gesagt werden soll. Dann ist zu bedenken: Hartmann hat
seine erzählungen ohne zweifei an seinem hofe vorgelesen.
Las er nun den Erec, während er am Gregor arbeitete, so
konnten ihm Wörter aus jenem, die er im Iwein zufällig nicht
anwendet, sehr wol wider ins gedächtnis kommen. Diese
möglichkeit hat Vos überhaupt nicht erwogen.
Ich kann also den sprachlichen beobachtungen von Vos
nur wenig bedeutung beimessen. So weit sie brauchbar sind
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58 BARAK
bestätigen sie meine oben nen begründete reihenfolge. Im
allgemeinen zeigen sie, dass man mit dieser methode nicht viel
ansrichten kann, weil sie überaus umständlich und unsicher ist
Was nun die reime anbetrifft, so liegt auf der hand, dass
aus der häufigkeit der reimvocale und gewisser reimgruppen
nichts gewonnen werden kann (vgl. Helm a. a. o.). Auch die
beobachtung der 'unreinen' reime hilft zu nichts. Höchstens
könnte man in der völligen reinheit der reime des A. Heinr.
einen beweis dafür sehen, dass diese dichtung die jüngste ist
Dafür ist sie aber auch die kürzeste.
Wert hat in diesem teil der arbeit von Vos nur die Zu-
sammenstellung über die rührenden reime. Es finden sich näm-
lich von solchen reimpaaren im
I. büchlein 16 (excl. 'leich'),
Erec . 110,
Iwein . 27 (incl. der stelle 7151—60, die natür-
lich nicht weggelassen werden darf),
Gregor 21,
A. Heinr. 8.
Berücksichtigt man den umfang der dichtungen, dann er-
gibt sich, dass Lbüchl. und Erec von den andern dichtungen
durch eine grosse kluft getrennt sind. Iw., Greg., A. Heinr.
stehen sich dagegen so nahe, dass man keine Schlüsse ziehen
darf. Genaueres für die reihenfolge der strittigen werke lernt
man also nicht Immerhin bekommt man wider ein unverächt-
liches Zeugnis für das alter von I. büchlein und Erec (vgl.
oben s. 27). —
Es ergibt sich also aus den vorstehenden erörterungen:
von den zwei gründen die ich für die Chronologie des n. büch-
leins geltend gemacht, hat den ersten niemand angefochten oder
gar widerlegt; der zweite ist zwar angegriffen worden, aber
ohne ausreichende gründe. Vielmehr ist gerade meine Chrono-
logie der echten reimpaardichtungen Hartmanns von Schönbach
angenommen. Das büchlein ist also tatsächlich nach sänunt-
lichen werken des Auers geschrieben. Es fällt an das ende
der reihe, nicht in die mitte, wie Schönbach annimmt, ohne es
zu beweisen. Dann kann es aber auf keinen fall ein werk Hart-
manns sein, wie ich H. v. A. s. 57 f. zeige, in einer auseinander-
setzung der ich auch jetzt nichts weiter hinzuzufügen habe.
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ÜEBEB HABTMANN VON AüB. 59
Welche neuen positiven gründe führt nun SchOnbach an,
mn Hanpts annähme aufrecht zu erhalten? Er behauptet zu-
nächst s. 361, das zweite (und vor allem erste) büchlein hingen
mit Hartmanns liebeslyrik aufs engste zusammen. Das erste
büchlein gehöre zum ersten, das andere zu einem zweiten
minneverhältnis. Diese behauptung lässt sich nur dann recht-
fertigen, wenn das U. büchlein spätestens mit dem Iwein gleich-
zeitig ist Es muss aber weit hinter alle werke des Auers
fallen, wie oben gezeigt. Also braucht man mit dieser annähme
Schönbachs nicht weiter zu rechnen.
Femer sagt Schönbach s. 368: 'dass der Verfasser dieses
ganz vorzüglichen [?] gedichtes nicht wol jemand anders sein
kann als Hartmann von Aue, lässt sich meiner ansieht nach
mit Sicherheit erweisen. Meine analyse hat ihren zweck voll-
ständig verfehlt, wenn es ihr nicht gelungen ist zu zeigen,
dass die beiden stellen 121—136. 145—153, die mit MF. 214,
12 ff. 27 ff. wörtlich [?] übereinstimmen, in organischem zu-
sammenhange mit dem vorausgehenden und nachfolgenden
stehen. Kein ausschreiber und nachahmer ist so geschickt,
dass er andere in dieser weise zu eitleren vermöchte; ganz
abgesehen davon, dass der dichter des ü. büchleins es wirklich
nicht nötig hatte, von fremden zu borgen. Nur wer sich selbst
anführt, verfügt so souverain über das angeführte'.
Ob es der dichter des II. büchleins nötig hatte zu borgen
oder nicht, darüber unten. Tatsache ist jedenfalls, dass er
überaus häufig aussprüche von gewährsmännem heranzieht,
um seine erörterungen daran zu knüpfen oder um sie zur
Widerlegung zu brauchen. Autoren zu citieren ist der Ver-
fasser, vermutlich als kenner der rhetorik und dialektik, ge-
wöhnt; war es doch auch in den lateinischen versen und der
lateinischen prosa ganz üblich, phrasen und stellen berühmter
dichter nachzuahmen oder einzuflechten. Der Schreiber des
büchleins hat mit diesen stellen aus Hartmann gewis nur einen
beweis seiner kennerschaft liefern wollen und darin einen
Vorzug seines Werkes gesehen. Warum soll ein nachahmer
werke seiner Vorgänger nicht auch einmal mit geschick be-
nutzen, was hier entschieden der fall ist? Jenen allgemeinen
erwägnngen Schönbachs vermag ich keinen besonderen wert
beizulegen.
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60 8ABAK
Sind nun weiter die fraglichen stellen wirklich so orga-
nisch und unlösbar mit dem Inhalt des ü. bfichleins ver-
bunden?
Zunächst 121—136 = MF. 214, 12—22. Schon oben ist
angemerkt worden, dass Schönbach den gedankengang des
liebesbriefes nicht immer richtig darstellt und namentlich darin
fehlt, dass er eine fortlaufende dialektische gedankenentwick-
lung durch das ganze gedieht hin annimmt. Meine disposition
auf s. 5 ff. zeigt das. Auf jeden fall beginnt mit v. 137 ein
neuer unterteil (AI 2), der dem gleichgestellt ist, der vorausgeht
(A 1 1) und dessen gedanke nicht aus dem vorhergehenden
folgt. Die bemerkung Schönbachs s. 363 oben, mit v. 137 be-
ginne die darstellung eines einzelfalles [zur begrändung dessm
was vorausgeht?] ist darum nicht zu billigen. Dort in A 1 1
(v. 53 — 136) sagt der dichter, sein glückliches minneverhältnis
habe ihm doch Unglück gebracht; hier in A 1 2 sagt er weiter,
ebenso bringe ihm die treue nicht freude sondern gerade pein.
Also ist keine causale Verbindung der teile 1 1 und 2 vorhanden.
Beide sind coordiniert.
Aber auch mit dem vorausgehenden sind die verse 121—136
nicht so organisch und unlösbar verbunden, dass sie nicht ent-
lehnt sein könnten. Auch hier hat Schönbach den logischen
Zusammenhang nicht erkannt (s. 362 ff.). Er scheint mit v. 121
einen neuen gedankengang anzusetzen: ouch (v. 121) sei ad-
versativ 'andererseits', eine entgegnung dialektisch einleitend.
Aber das ist unmöglich. V. 121 ff. beginnt nicht einen neaen
teil (ein solcher beginnt erst v. 137), sondern schliesst effect-
voU den ersten. All hebt v. 53 (hinter der einleitung) nach
gewohnheit des dichters mit einem allgemeinen erfahrungssatz
an, den auch er anerkennen muss: 4ch höre, dass eine liebe
die zum ziel gelangt, das schönste ist. Femer (ouch v. 60)
sehe ich selbst, dass glückliche liebe die herzen froh macht
und zwar mit recht. Wenn man nämlich (v. 65) das los derer
betrachtet, die da glücklich sind, dann ist in der tat nicht zu
leugnen, dass ein glückliches minneverhältnis das beste leben
ist, das gott geben kann'. V. 79 wird nun angedeutet, dass
der dichter jener erfahrung entsprechend ein minneverhältnis
und zwar ein 'vollkommenes' eingegangen ist. Aber (v.90 — 102)
jenes glück ist gerade sein unglück geworden. Es ergibt sich
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UEBEB HABTMAKN VON AÜE. 61
also, dass jener allgemeine satz falsch ist: vielmehr mnss er
sagen, sein gläck bringe ihm unglück.
Dieser gedanke, der zwischen y. 102 und 103 zu ergänzen
ist, wird nun von y. 103 — 120 in emphatischer weise immer
wider ausgesprochen. Das ich in y. 103, mich in y. 104 u.s. w.
sind zu betonen. Die mannigfochsten antithesen müssen dazu
herhalten, ihn einzuschärfen. Y. 121 — 136 setzt dieser leiden-
schaftlichen rede die kröne aul 'Darum (auch v. 121) schreibe
ich das auch als eine Wahrheit nieder, glücklich ist nur der,
dem nie glück zu teil geworden'. Damit wird, wie man sieht,
das g^enteil der allgemeinen behauptung zu anfang von teil
All (v. 53 ff.) angestellt. Das (mch von v. 121 ist also keines-
wegs adversativ, sondern folgert bez. bekräftigt (vgl. Mhd. wb.
2,1,450 c).
Ohne zweifei ist das ganze sehr geschickt aufgebaut, und
der paradoxe gedanke der die pointe bildet, sehr gut vor-
bereitet. Aber dass diese verse 121—136 so organisch und
unlösbar in dem ganzen stünden, dass ein nachahmer sie nicht
hätte anbringen können, finde ich nicht. An sich reichte es
hin, wenn der dichter mit dem trumpf von v. 117—120 schlösse,
der schon kräftig genug ist.
Ausserdem sieht man klar, wie der Verfasser den abschluss
dieses teiles, in dem er seine verzweifelte Stimmung schildert,
aus lauter nur leicht veränderten citaten zusammengebaut hat:
V. 103—113 vgl. Iw. 7066—7074,
V.116 „ A.Heinr.712,
v. 117— 120 „ Greg. 505— 507,
V. 121— 136 „ MF. 214, 12— 22.
Die mittel um seine gefühle auszudrücken, borgt er; die stelle
des liebesbriefes, wo der grösste schwung gefühlt wird, ist nicht
selbständig!
Grerade die verse also, die Schönbach zum beweis dafür
verwendet, dass sie originell seien, beweisen evident, dass
wir es mit einem nachahmer zu tun haben.
Auch die andere steUe büchl. 146—153 = MF. 214, 27—33
beweist nichts für Schönbach. Teil A I 2 beginnt wie 1 mit
einer allgemeinen erfahrung (137—144): treue und beständig-
keit soll für leib und seele von allem was glück ist, das beste
sein. y. 145 wird die entgegengesetzte erfahrung gemacht und
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62
zur darstellnng die bekannte Strophe Hartmanns benutzt Ver-
mutlich ist der ganze teil erst aus der antithese Hartmanns
herausgewachsen: darum passt die stelle auch so gut hinein.
— Aber warum soll ein nachahmer diesen teil nicht haben
schreiben können?
Die verse 157—159 sind nach Schönbach s. 363. 369 citat
aus einer liebesbotschaft der frau. Warum? Derartiges deutet
der text nirgends an. Wenn ein dichter eben zwei Strophen
Hartmanns benutzt hat, dann liegt doch wol am nächsten zu
glauben, dass er auch die andern lieder seines lieblingsdichters
kennt und ausschreibt. Uebrigens .sind die dort stehenden
Wendungen und die zu gründe liegende Situation im minne-
sang so beliebt, dass sie der dichter des büchleins auch anders-
woher als aus Hartmann haben könnte. Vgl. Beinmar MF.
192, 38 (y. 31 steht das angesüichen von b&chlein 154, das bei
Hartmann fehlt); Hausen ebda. 54, 1 dieselbe Situation (ygL
bes. 55, 5).
Das MF. 212, 37 als Hartmannisch bezeichnete lied soll
nach Schönbach s.370 von einer dame gedichtet sein. Das
n. bächlein sei die antwort Hartmanns darauf. Wo aber sind
die gründe für diese behauptung?
Alle diese constructionen Schönbachs haben die vorgefasste,
doch nirgends bewiesene annähme zur Voraussetzung, das zweite
büchlein und die daiin benutzten lieder Hartmanns gehörten
ihrer entstehung nach zusammen. Dass an eine solche beziehung
nicht zu denken ist, habe ich oben nachgewiesen. Schönbachs
darlegungen entbehren also der realen grundla^e.
Meine ansieht, dass das sog. ü. büchlein Hartmann nicht
gehört, halte ich demnach als völlig unwiderlegt fest. Es ist
also eine etwas verfrühte behauptung Helms, wenn er Lit-bL
1898, S.264 seinen lesem versichert: 'das sog. zweite büchlein
kann jetzt, nachdem Schönbach und Vos auf ganz verschiedenen
wegen zum gleichen resultat gelangt sind, mit bestimmtheit
als ein werk Hartmanns betrachtet werden'.
Wer ist nun der Verfasser des liebesbriefes? Es finden
sich darin stellen aus sämmtlichen werken Hartmanns, auch
parallelen zu Wigalois, Freidank, Ki*one. Wörtlich benutzt
ist eine Strophe Burkards von Hohenfels. Wer Hartmanns
Verfasserschaft retten will, muss annehmen, dass die büchlein-
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ÜBBER HAimfAXH VOH AÜB. 6S
stellen original, die parallelen in den andern mhd. werken
abgeleitet seien. Das w&i'e eine aosflncht die ein unbefangener
von Yom herein ablehnen wird. Das bttchlein rfickt also
mindestens in das zweite viertel des 13. jh.'s. Die Untersuchung
der metrischen technik, insbesondere der reimbrechung würde
gewis ermöglichen, die Chronologie noch genauer zu bestimmen.
Auf eins kann ich aber noch hinweisen. Wenn auch der
Verfasser als meister Hartmann verehrt, so kennt er doch auch
Gottfried und ahmt ihm nach: vgl. v. 33—36 mit Trist v. 1863 ff.
Aüch vierreim an prägnanter stelle wie bfichl. 99 — 102 liebt
Gottfried; vgl. Trist 131— 134. 233— 236 ff, 11875 ff. Ja —
and das scheint mir ausschlaggebend — ohne Gottfrieds Tristan
wäre das ganze bfichlein wie ich glaube, nicht geschrieben.
Die Situation des ritters im büchlein ist nämlich derjenigen
zi^nlich gleich, in der sich Tristan am ende von Gottfrieds
dichtnng befindet. Wie der dichter durch huote von seiner
geliebten getrennt in der ferne weilt oder schweift, so ist auch
Tristan fern von der blonden Isöt in Arundel. Auch ihm ist
ein gluckliches 'vollkommenes' minneverhältnis zum Unglück
geworden. Die Stimmung beider liebenden ist ganz ähnlich.
Dazu kommen einzelne beziehungen des Inhalts.
Der Verfasser des büchleins kennt als sicheres mittel gegen
senede£ leü daz man liebes müge
mit liebe yergezzen.
Das mittel versucht er. So denkt auch Tristan:
T. 19430 iemer gesenftet werden,
dis liep, daz mir ans wirret, daz mnoz mit fremedem liebe wesen.
daz mir benimet lip nnde sini Ich hän doch dicke daz gelesen
da Ton ich sns beswseret bin, nnd weiz wol daz ein trütschaft
sol mir daz ftf der erden benimet der anderen ir kraft.
T. 19465 ich wirde Ithte derran
gewende ich m!ne sinne ein trinrelöser Tristan.
m€ danne an eine minne, nft sol ich ez versnochen.
(Vgl Mehl. 515.)
Bei Ulr. v. Türheim (Massmann s. 498) heisst es dann übrigens
Wolter Tristan Ift den nnsin
nnt tno die gedanke hin
die dir din heil verk§rent
nnd gar din €re un§rent.
(Vgl. BtichL 550-568.)
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64 BARAK
Die zweite Is6t heisst juncfrouwe 502,19. Tristan und Isot
Weisshand yermählen sich. Vgl. nun die erzählung von der
hochzeitsnacht und was folgt bei Ulrich: Massm. 503, 6. 7
IsÖt, der er sich Mte yerzigen,
diu kom im wider in den sin.
(Vgl. Bttchl. 533. 534.)
Ebda. 33 ff. denkt Tristan den namen der fernen Isöt, während
er eine andere Isöt triutet (vgl. Bftchl. 532. 535). Dann Isötes
vorwürfe 506, 20 ff.
din herze mich niht meinet,
ez ist diu hlonde Isolde
diu diz gehet geboten h&t.
ich h&n diz nein und lige d&
so ist si verre und h&t diz ja.
(Vgl. Bttchl. 536 ff.)
Die zweifei an der beständigkeit der dame, die bfichl. v. 644
bringt, lassen sich wenigstens mit Tristans zweifeln Gottfr.
19469 ff. einigermassen vergleichen, obgleich sie im übrigen
anderer art sind. Auch das motiv der narrheit bfichl. 171 ff.
könnte mit dem Tristanstoff zusammenhängen.
Dass den büchleinstellen die herangezogenen verse der
beiden dichtungen unmittelbar zu gründe lägen, soll hiermit
nicht behauptet werden. Nur so viel scheint mir gewis, dass
der dichter des büchleins motive dem Tristanstoff in der
psychologischen Vertiefung entnahm, wie ihn Gottfried in
Deutschland zuerst bekannt gemacht hat. Das büchlein fällt
offenbar in eine zeit, der die Situationen des Tristan, und zwar
ihrem seelischen gehalt nach, lieb und bekannt waren. Vor
dem erscheinen des Werkes (Sottfrieds, also rund vor 1210, ist
ein werk wie das büchlein nicht wol denkbar. Auch dies
passt völlig zu der oben ermittelten zeit. Ich halte daher an
meiner H.V.A. s.60 gegebenen datierung 'um 1230' fest bis
eine bessere nachgewiesen ist.
HALLE a. S., august 1898.
NACHTEAG.
Nach abschluss meiner Untersuchung ist erscUeaen: Carl
Kraus, Das sog. ü. büchlein und Hartmanns werke (Abhand-
lungen zur german. philol., festgabe für B. Heinzel Halle 1898).
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UEBEB HARTHAKN VON AUE. 65
Ein hinweis auf diese sorgfältige und wertvolle arbeit möge
hier noch platz finden.
Auch Kraus kommt zu dem ergebnis, dass das bflchlein
nicht von Hartmann verfasst sein kann. Bedeutsam ist, dass
er auf ganz anderem wege dazu gelangt als meine arbeit.
Weder literarhistorische noch metrische gründe führt er an,
sondern rein technische: spi^achgebrauch und reimgewohnheit.
Er weist auf grund seines vollständigen materiales nach, dass
die reime
n. büchl. 17 zernime : Bunne 11. bttchl. 259 sinne : inne
822 h^re : m€re n.s.w. 519 jngende : tagende
409 daz ein : Kwem 337 klagenne : tragenne
für Hartmann unmöglich sind; femer dass v. 653 swirt, v. 30
sneüen list, 402 dol gegen seinen Sprachgebrauch Verstössen*
Endlich dass das büchlein, die echtheit vorausgesetzt, nicht in
die Chronologie der Hartmannschen werke passe und zwar aus
gründen des Sprachgebrauchs.
Wer sich gegen die kraft der gründe verschliesst, die ich
aus der Stilisierung der entlehnungen, aus der metrik und aus
andern tatsachen hergenommen habe, wird für diese rein
sprachlichen beobachtungen von Kraus vielleicht empfang-
licher sein, obwol meiner meinung nach die von mir Hartm.
V. Aue s. 43—45 festgestellte und oben s. 26 nochmals betonte
tendenz allein schon die unechtheit sicher stellt. Diesen haupt-
teil meiner beweisführung hat man — Piquet ausgenommen
— leider nicht genügend beachtet, und das dürfte nicht zum
wenigsten der gmnd gewesen sein, dass die Überzeugung von
der unechtheit so wenig an boden gewonnen hat. Selbst
Kraus erwähnt jene meine ausführungen nicht, scheint ihnen
also auch seine aufmerksamkeit nicht zugewendet zu haben.
Mit Zuversicht meint der verf. andrerseits (s, 40), dass die
werke Hartmanns die reihe bilden: I. büchlein (und lieder),
Erec, Gregor, A. Heinr., Iwein. Das ist die folge der reim-
versdichtungen Hartmanns, die Lachmann und Haupt an-
nehinen und zwar auf grund von reim- und Sprachgebrauch.
Auch K. Zwierzina hat sich dieser ansieht angeschlossen und
sie, wenigstens für die reimpaardichtungen, in derselben fest-
gabe für R. Heinzel mit sehr grosser Sicherheit vorgetragen.
Der titel seiner reichhaltigen und namentlich für das problem
Beiträge fur geichichte der deutschen spräche. XXIV. 5
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66 SARAN
der mhd. dichtersprache wichtigen abhandlung ist: Beobach-
tungen zum reimgebrauch Hartmanns und Wolframs (s. 437
—511). üeber die Stellung der lieder äussert er sich hier
nicht. Kraus hat sie im anschluss an meine beweisfnhrung
Beitr. 23 alle in die nähe des I. büchleins gesetzt: Zwierzina
ist meiner argumentation minder geneigt (vgl seine kritik
s. 451 und 452 am schluss der f ussnote). Es ist nicht nötig, des-
halb auf die sache zurückzukommen.
Kraus und Zwierzina billigen die Chronologie Lachmanns
und Haupts. Das ist begreiflich, da sie dasselbe kriterium
benutzen wie jene: den Wechsel im Sprachgebrauch, wie ihn
die reimstatistik erkennen lehrt. Es ist nun nicht za be-
zweifeln, dass dies kriterium von hohem wert ist. Aber die
grundlagen der ansieht beider gelehrten kann man erst dann
wirklich prüfen, wenn das ganze material in übersichtlicher
form mitgeteilt ist, auf das sie ihre annähme stützen. Was
in den beiden oben citierten au&ätzen beigebracht wird, ge-
nügt m. e., so anregend es ist, keineswegs, die Ordnung* der
dichtungen zu sichern. Namentlich wäre es erwünscht, geaauer
die grundsätze zu wissen, nach denen der gesammelte stoff
benutzt ist. Es scheint mir, als ob Zwierzina den gemachten
beobachtungen gelegentlich etwas zu viel gewicht beilege.
Und wenn er mir s. 451 fussnote vorwirft, ich hätte in meinem
buch die interessantesten beobachtungen der altmeister unter-
schätzt, so will ich das für die zeit jener erstlingsarbeit (disser-
tation von 1889) nicht leugnen. Aber ich möchte doch daxauf
hinweisen, dass eben jene beobachtungen selbst die altmeister
nicht gehindert haben, das IL büchlein für zweifellos echt zu
halten, ein werk, dessen unechtheit nun auch für Zwierzina
völlig feststeht.
' Es handelt sich bei der chronologischen frage um die
Stellung des Iwein. Ich setze ihn — wie nun auch Schönbach
— genau in die mitte der fünf fraglichen dichtungen. Kraus
und Zwierzina nach Lachmann und Haupt ans ende. Für
meine Ordnung *L büchlein, Erec, Iwein, Gregor, A. Heinrich'
sprechen vor allem die einleitung des Gregor, die psychologische
Wahrscheinlichkeit und die entwicklung der metrik. Die ersten
beiden momente sind an und für sich nicht ausschlaggebend,
die metrische Statistik aber fällt sehr in die wagschale. Durch
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UEBBR HARTMANN VON AUE. 67
ubemnstimmung mit deren ergebnis gewinnen dann auch die
beiden ersten gründe bedeutend an wert. Für die reihe 'Lbüch-
lein, Gregor, A. Heinr., Iwein' werden besonders von Zwierzina
Wortwahl und reimgebrauch angeführt.
Ist die reihenfolge Lachmanns richtig, so haben wir im
Iw. eine metrische entvncklung bergab bei zunehmender 'Ver-
besserung' der sprachform. Jene versstatistik aber bleibt,
so lange sie nicht als verfehlt erwiesen ist, ein beweismoment,
das nicht vernachlässigt werden darf. Wenn die anerkannte
reihe *L büchlein, Erec — Gregor, A. Heinr.' und die unecht-
heit des n.büchleins durch sie bestätigt wird, so darf man
den Iwein nicht ohne zwingenden grund ihrem bereich ent-
ziehen.
Nimmt man meine Chronologie als richtig an, so muss
man fragen: wie weit sind beobachtungen über Wortwahl und
reimtechnik für die Zeitfolge zwingend? Mir scheint, dass
Zwierzinas Sammlungen in diesem punkt noch eine methodische
bearbeitung vertragen.
Zunächst können jene Sprachbeobachtungen nicht so bequem
und einfach statistisch aufgenommen werden, wie metrische.
Zahlen beweisen bei ihnen nur dann etwas, wenn sie relativ
bedeutend sind.
Beobachtet man die glättung des verses, so kann i. a.
rücksicht auf den Inhalt bei seite bleiben. Für den Sprach-
gebrauch und die reimtechnik ist der erzählte Stoff aber von
grosser bedeutung. Viele Wörter die im Erec und Iwein zu
brauchen sind, passen für den A. Heinr. nicht. Zwierzina
deutet selbst s. 502 an, dass der reichliche gebrauch von dagm
und verdagen im anfang des Iwein mit der Situation zusammen-
hängt. Kommt also ein wort im Erec 30 mal, im Gregor 3 mal,
im Iwein 1 oder 2 mal vor, so wird i. a. der unterschied von
Erec und andererseits Gregor und Iwein für die Chronologie
bedeutung haben. Der unterschied zwischen Gregor und Iwein
aber kann auf zufall beruhen. Trotz des Verhältnisses 6 : 1
(bez. 3 : 1) ist er nicht bedeutend genug gegenüber dem Ver-
hältnis des Erec : Iwein (16 : 1 oder 18 : 1),
Die beobachtungen bei Zwierzina liefern, so weit ich sehe,
fast durchweg grosse differenzen zwischen Erec einer- und
Gregor, A. Heinr., Iwein andererseits. Aber das Verhältnis
5*
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68 SABAN
von Iwein : Gregor ist nicht so evident. Es bewegt sich zu-
meist in zahlenverhältnisseu die nicht von der priorität des
Gregor überzeugen.
Aber nehmen wir auch einmal an, der Gregor stehe
zweifellos tiefer als der Iwein: was bedeutet das? Zwierzina
weist selbst auf die 'rückfälle' hin (s. 447. 455. 458. 644).
Wörter die der dichter meiden will, kommen ihm doch in die
feder, weil er einmal unachtsam oder durch lange arbeitspause
aus der Übung gekommen ist. Damit Hesse sich schon viel
entschuldigen. Nun aber: man nehme an, der Iwein falle vor
den kreuzzug, der Gregor danach, wie ich oben vermutet habe.
Dann muss eigentlich der Gregor tiefer stehen als der Iwein,
und zwar merklich. Einerseits wegen der rückfälle. Dann
wegen der doch wol erheblichen arbeitspause und der ablenkung
auf praktische dinge: das literarische leben und arbeiten hörte
für eine zeit lang völlig auf. Weiter wegen des Übergangs
vom Artusroman zur legende. Der setzt einen Wechsel auch
in der lectüre voraus, einen Wechsel der nicht wol ohne folgen
auf den stil sein konnte. Zugleich ändert sich der kunstwert
der quellen: dort Chrestiens meisterwerk, hier eine massige
Gregordichtung, Dort ist Hartmann fast nur Übersetzer, hier
mehr bearbeiter.
Dass femer die form des Iwein, dieses der tendenz nach
rein höfischen gedichtes, auch möglichst dem empfindlichen
geschmack eines höfischen publicums angepasst wurde, ist
wenigstens zu vermuten. Die tendenz des Gregor und A. Heinr.
richtet sich gegen das höfische ideal: es ist daher gewis nicht
unwahrscheinlich, dass sich der dichter im formellen nun freier
bewegt. Um so mehr, da er nach dem erfolg des Iwein
autorität wurde und mit seiner technik auch gesetze gab, nicht
mehr bloss empfieng. Zwierzina führt aus Wolframs und
Wirnts reimgebrauch interessante einzelheiten dafür an (vgL
s. 501 fussn.).
Wenn also die beobachtung der spräche ergeben sollte,
dass vom Erec zum Iwein ein grosser f ortschritt, vom Iweiu
zum Gregor ein merkliches sinken, dann bis zum A. Heinr.
wider ein steigen zu beobachten sei, so würde das, meine ich,
nur sein, was nach läge der dinge zu erwarten wäre.
Man kann auch fragen, ob nach dem tode von Hartmanns
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ÜEBEB HARTMANN VON AÜE. 69
herrn und nach dem kreuzzng je wider ein so lebhafter ge-
dankenanstausch zwischen dichter and hörerkreis statt fand,
ob Hartmann seit der zeit nicht mehr an leser als an hßrer
dachte, n.dgl.
Beachtenswert scheint mir sodann, was Zwierzina selbst
zugibt, dass nicht der ganze Iwein auf der höhe der Vollendung
stehe. In den letzten 500 yersen finden sich, wie es s. 481
heisst, 'zahlreiche nachlässigkeiten'. Ebenso s. 484: ^ gesät steht
in jener partie, in der wir bereits zu widerholten malen reime
erscheinen sahen, die der dichter sonst im Iwein mied'. Ist
das ein hinweis auf das nachlassen in der arbeit am ausdruck,
das der Gregor zeigt? Offenbar wurde der schluss des Iwein
wol etwas eilig ausgeführt. Auch die ersten 1000 verse sind
nicht gleich sauber wie die mitte; vgl. s. 502 f.
Der Iwein ist also darum so vollkommen in der spräche,
weil der dichter darin mit höchster anspannung die regeln
beobachtete, die er sich gegeben. Sobald er weniger sorgsam
sein kann oder will, treten formen wider ein, die er eigentlich
verbannt hat.
Femer muss man bedenken, dass jene Verbesserungen des
ausdrucks mit vollem bewusstsein, mit rttcksicht aufs vorlesen
in andern dialekten gemacht wurden. Es sind darum zum
grossen teil nur vorsichtsmassregeln, aber nicht allmähliche
technische fortschritte wie jene glättung der verse. Was aber
bewusst, auf grund deutlicher regeln (zuweilen, wie Zwierzina
meint, auch auf grund unrichtiger anschauungen, vgl. Kraus
s. 41) geschieht, kann jederzeit laxer ausgefülirt oder nach
belieben unterlassen werden. Eine Statistik muss darum solche
dinge individuell behandeln. Metrische fortsphritte geschehen
i. a. aus dem gefühl heraus; continuität ist darum als das princip
anzunehmen, nach der ihre Statistik zunächst beurteilt werden
muss. Continuirliche Zahlenreihen bei Wortwahl und reim-
gebrauch darf man, glaube ich, schon theoretisch nicht ver-
langen.
Wichtig ist auch bei der beurteilung von 'rttckfällen' zu
scheiden, ob sie formen und Wörter betreffen, die dem dichter
als seinem dialekt zugehörig geläufig waren oder andere dinge.
Hartmanns dialekt eignet Team, kämen. Es steht im Erec
86 mal (8 : 1000), im Iwein 7 mal (ca. 1 : 1000), im Gregor
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70 BARAK
21 mal (5 : 1000), im A. Heim\ Imal (ca. 1 : 1000). Von den
7 fällen des Iwein finden sich 6 in v. 1—1000. Der siebente
(v. 3143) ist also 'rückfall'. Was bedeuten diese zahlen?
Man könnte sagen, Iwein und A. Heinr. stehen ungefähr gleich:
also haben wir hier einen beweis für die späte abfassung des
Iwein. Das wäre aber unrichtig.
Zunächst ist klar, dass der dichter nach dem Erec meiden
will, die genannten formen zu reimen. Grund ist nach Zwier-
zinas einleuchtender Vermutung s. 503, dass er erfuhr, jene
formen seien dialektisch und würden anderswo durch kam,
Jiomen ersetzt. Aber seit wann meidet sie Hartmann wirk-
lich. Wann hat er also jene sprachliche beobachtung gemacht?
Zwierzina bemerkt wider ganz richtig: um v. 1000 des Iwein.
Wie soll man nun aber die Chronologie damit vereinigen?
Ist Iwein das letzte der werke, dann haben wir die auffallende
tatsache: v. 1—1000 steht fast ganz auf dem Standpunkt des
Erec (6 : 1000). Aber sowol der Gregor (5 : 1000) wie beson-
ders der A. Heinr. (1 : 1000) stehen erheblich besser. Wenn
Zwierzina s. 503 oben meint, Iw. 1—1000 stehe noch ganz auf
der stufe des Erec und Gregor, so ist das etwas viel behauptet,
mindestens beurteilt er die differenz von 3 pro mille in diesen
falle etwas zu gelinde.
Bleibt also nur die annähme: Iw. 1 — 1000 ist ein ruckfall
in die technik des Erec. Das meint auch Zwierzina s. 503.
Er fügt hinzu: ^solche rückfälle zu anfang neuer, sonst sorg-
fältiger gereimter gedichte sind uns ja nun schon etwas alt-
bekanntes'. Ueber das einmalige kam des A. Heinr. äussert
er: 'wenn es nicht zufall ist'. Ich will ihm hier nicht vor-
rücken, was er s. 458 fussn. 2 andern vorhält. Aber sehr über-
zeugend für die Chronologie Lachmanns ist die Verteilung der
kam, kämen doch schwerlich. Der fall wiegt besonders schwer,
weil es sich um ein unentbehrliches, alltägliches wort handelt.
Nehmen wir meine Chronologie an, so deutet sich die sache
leicht, wie mii' scheint.
Erec und Iwein 1—1000 stehen gleich, weil sie auch
zeitlich einander folgen. Um v. 1000 macht Hartmann jene
beobachtung und meidet nun die formen bis auf einen zufälligen
rückfall im Iwein ganz, mit vollem bewusstsein.
Zwischen Iwein und Gregor liegt eine lange arbeitspause,
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UEBEB HABTMAKN VON AÜE. 71
vielleicht der kreuzzug, der tod des herm u. a. Damm im
Gregor wider die seit Iwein 1000 verpönten formen, aber doch
nicht so zahlreich wie Iw. 1 — 1000. Der rttckfall ist nm so
leichter zu verstehen, als die formen dem dialekt Hartmanns
angehören, ihm also von selbst in die feder flössen. Erst im
iu Heim*, sind sie wider ausgemerzt^ der darum dem Iwein in
dieser beziehung nahe steht^ streng genommen ihn an Sorgfalt
in diesem punkt übertrifft
Endlich macht der versbau vom Iwein zum Gregor einen
merklichen fortschritt. Hat die arbeit am rhythmus die auf-
merksamkeit des dichters vom sprachlichen abgelenkt? Vgl.
Zwierzinas erörterung s. 455 unten.
Diese erwägungen und bedenken die ich mir erlaubt habe
hier noch vorzubringen, machen es mir unmöglich, meine
Chronologie der werke Hartmanns für unrichtig zu halten.
Wenn ich auch das problem durch meine darlegungen oben
8. 27 fL noch keineswegs für erledigt erachte, so sehe ich doch
bis jetzt gar keinen grund, einen rückzug anzutreten. Es
w&re im Interesse der sache zu wünschen, dass Zwierzina den
S.451 verheissenen stringenten beweis in umfassender weise
wirklich in angriff nähme. Falls er gelingt, werde ich gern
meine ansieht mit der richtigeren vertauschen.
[Berichtigung. In der disposition anf s. 5 ist die stelle z. 20. 21
T. u. nicht eine clansel, sondern sie gehOrt, wie 8.61 zeigt, znr beweis-
föhnmg selbst. Sie ist also an die Toraosgehenden worte *dnrch die huote
(90 — 102)' in corpnsschrift angeschlossen zn denken. *— S. 8, z. 9 tilge 'HI'
nnd 'fast^ z. 15 'HI' nnd z. 17 ff. die worte *£in besonderer schlnss —
wirken'.]
HALLE a. 8., 24. october 1898. FRANZ SARAN.
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ZUR ROMANISCHEN UND DEUTSCHEN
RHYTHMIK.
Beitr. 23, 66 ff. habe ich versucht nachzuweisen, dass der
begriff ^zehnsilbler' in der romanischen rhythmik mehrdeutig
sei. Hinter einem vers der im text 10 silben aufweist, können
die rhythmischen formen des Sechsers und des Vierers — dieser
in gepresster art — stehen. Es handelt sich nun darum, den
wichtigen rhythmischen unterschied schon aus dem text zu
erkennen. Auf s. 79 ist gezeigt, wie dazu die sogenannte
*cäsur' — nach genauer terminologie vielmehr ^binnencäsur' zu
nennen (vgl. a. a.o. s. 47, § 8. s. 49, § 10) — und ihre behandlung
dienen kann.
Der Sechser ---_•-; ^IL--^L- (bez. L7\) ist eine
weit verbreitete und sehr einfache form. Er hat als primäre
reihe einen verhältnismässig schwachen einschnitt. Im text
braucht denselbe nur leicht (durch wortschluss) angedeutet zu
sein; zuweilen wird er völlig übergangen, so dass nur die
modulation der ganzen reihe die grundteilung erkennen lässt
Man spricht im letzten fall von ^versen ohne (binnen-)cäsur';
nicht ganz richtig, man mflsste denn ^cäsur' geradezu als 'ein-
schnitt' verstehen. Der vierer, das dekasyllabon (s. 75ff.),
hat als secundäre reihe eine viel stärkere binnencäsur: sie ist
unter allen umständen ein einschnitt und darum im text
stets zu sehen. Denn sie ist, wie s. 77 zeigt, aus einer früheren
'cäsur' entstanden dadurch, dass die periode von 2 gliedern,
jedes zu 4 takten (bez. füssen) in ein viertaktiges glied von
2 abschnitten umgewandelt ist. Die grenze zwischen den
gliedern, d. h. die 'cäsur', wurde somit zu einer grenze zwischen
abschnitten (vgl. s. 47, § 8), d.h. einer 'binnencäsur'. Diese
Umwandlung heisst 'pressung' und ist ein Vorgang, aus dem
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ZUB ROMAK. UND DEUTSCHEN RHYTHMIK. 73
allein sich die eigentttmlichen formen erklären, die die moderne
instrumentalmosik vorzugsweise benutzt und die der antiken
rhythmik ganz fremd sind. Die hauptform des dekasyllabons
ist im französischen lv^^.1; v^.!.v^v^l- (bez. ^A).
Der anschaulichkeit wegen mögen hier einige analysen
dekasyllabischer Strophen folgen. Durch ligaturen (im Schema
dui-ch ^-^ angedeutet) und einmischung anderer verstypen wird
das bild gelegentlich ein wenig verdunkelt.
B6ranger, Le coin de ramiti6, in Musique des chansons
de Beranger, Paris, Garnier frires, s. 14:
L^amouT) Thymen, Tint^rSt, la folie,
anx quatre coins se disputent nos jonrs:
L'amiti6 yient compl^ter la partie;
mais qn^on lui fait de manvais tours!
Lora qu'anx plaisirs r&me se livre enti^re,
notre raison ne brille qu^k moiti^,
Et la Folie attaque la premiöre
le coin de Tamiti^, le coin de Tamiti^,
le coin de Tamiti^.
2. JLww^; v^v:.v..v^s:C- I ^^^^S:.:^C:jd. (achtsilWerl)
• ^ v-A*y v-A-/ ^yv-/ ■^ v>v-/ — • s-/ /\ I — v>v-/^-, V-/ V-^V->\-A^ — ^
A ' f . ' ' : ' ' . ' ' I ' '
Rh. Schema: 1 a — b Beimschema: a— h
2a — b. a — b.
3 a— b c— d
4a — b — b' c — d + d — d
Das dekasyllabon ist rein oder fast rein in zeile la, Ib, 2a,
3b,- 4a des rhythmischen Schemas zu sehen. 3a ist der zehn-
silbler auf einen andern gepressten rhythmus componiert; in 2 b
ist ein achtsilbler mit vielen ligaturen so weit gestreckt, dass
er für einen gepressten vierer ausreicht. Der primäre vierer
würde in der Umgebung von pressrhythmen stören. Derartige
freiheiten sind erst neueren Stiles: einfluss der Instrumental-
musik liegt darin vor. — Die vierte periode ist dreigliedrig»
Aus dermelodie folgt, dass der letzte sechssilbler ein b', d.h.
eine schlusswiderholtmg ist. Vgl. Rhythm. § 10 (s. 49). Auch
diese zeile ist hier auf einen gepressten rhythmus gezogen
und tritt daher in 4b als gepresster abschnitt, in 4b' als ge-
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74 SAHAH
presste dipodiscbe reihe auf. Die primäre form des sechsers
*--L-^_lX scheint noch aus der pressform heraus.
Andere modificationen des dekasyllabons zeigt ebda. s. 173:
Treize k table:
Dien, me» amis, nons sommes treize k table,
et devant moi le sei est r^pandn.
Nombre fatal! pr^sage ^ponvantable!
la mort acconrt: je Mssonne 6perdn,
la mort accoort: je frissonne 6perdn.
Elle apparait, esprit, föe on d^esse;
mais, belle et jenne, eile sonrit d'abord,
mais, belle et jenne, eile somit d'abord.
De vos Chansons ranimez l'all^gresse;
non, mes amis, je ne crains plus la mort,
De vos Chansons ranimez TaU^gresse
non mes amis, je ne crains plns la mort.
1 f / . r ' I ' f ' ' t
3, A.v^.v JL; wv:.v>v^-- I Ä.Vv^.v 1a; v^w. Vv^. vi :
_1-^; s^w.Vw.V/.'^ (+ 4mal L als dehnung!)
Tb. — v-*. y t— j v^ ^^-«^>^,y^^ — — | ^ v^'^^ »— > v^» v-'V-'N-/v-/ «— •
Bh. Schema: 1 a — b Reimschema: a — b
2a — b-b'. a — b — b.
3 a — b — b' c — d — d
4 a — b c — d
refr. 5 a — b refr. c — d
Zur erläuterung des rhythmischen Schemas vgl verf., Zur
metrik Otfrieds v. Weissenburg (Festschrift für Sievers, 1896)
s. 183. ^ = kürze, v = Va ^ = halbkürze, w = l kurze +
V2 kürze; a = pause vom wert ^, a' = pause vom wert ^' .
\ bezeichnet die cäsur, wenn die zusammenstossenden reihen
des taktes wegen Verkürzungen oder Verlängerungen über ihren
ursprünglichen wert erlitten haben. — In reihe 3a.b habe
ich der Übersicht wegen die pausen an den anfang gestellt.
Streng genommen muss man sie an das anhängen, was ihnen
vorausgeht. Doch kommt darauf hier nichts an. Im noten-
text wird ^ durch J^, v also durch /, ^' durch J^. vertreten.
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ZUR ROMAK. UND DEUTSCHEN RHYTHMIK. 75
Interessant ist dies lied, weil Uer die melodie öfters die
früher s. 79 oben besprochene form des dekasyllabons zeigt,
t f , t f \ ^ * f ' r TC \ ' 'II
wenn auch ein wenig modiflciert. So in reihe la, 2b', 3b'.
Die form 3a, 3b ist in der heutigen musik sehr beliebt.
Sie ist secundär entwickelt.
Die binnencäsur des dekasyllabons ist schon ihrer ent-
stehung wegen rhythmisch unvergleichlich schärfer als die des
einfachen sechsers, der eine primäre bildung ist. Man erwartet,
dass sich auch im romanischen worttext der unterschied der
rhythmischen grenzen bemerklich macht. Das ist, wie es
scheint, wirklich der fall. Darauf möchte ich eben hier hin-
weisen.
Ich habe schon a. a. o. s. 79 die sog. epische cäsur des zehn-
silblers herangezogen. Die scheinbar überschlagende silbe er-
klärt sich nur aus dem dekasyllabon (vgl. s. 78), zeugt also für
dieses, wo sie sich findet. Im Sechser würde sie zwingen an-
zunehmen, dass die dritte Senkung aufgelöst sei und das ist
unmöglich. Denn 'auflösung' oder genauer die besetzung zweier
aufeinander folgender kürzen der melodie (in der function von
masszeiten; y-^) mit je einer sprachsilbe kennt die mittelalter-
liche romanische verskunst nicht. Sie braucht nur die ligatur,
d.h. zweiO küi'zen der melodie auf eine silbe des textes.
A. a. 0. s. 79 habe ich auch angenommen, es gäbe deka-
syllaben mit überschlagender weiblicher silbe hinter der dritten.
Ein vers wie et a Lengres seroie malbaiUis wurde rhythmisiert:
> A —— — w; w>!/v>w^— A I .
Nun würde sich ein contrapunktiker oder ein moderner opern-
componist gewis nicht scheuen verse mit jener sog. lyrischen
binnencäsur so zu componieren. Denn das alte romanische
rhythmische System ist durch die polyphonie und jetzt durch
den einfluss des instrumentalen Stiles sehr verändert worden.
Aber für die ältere zeit, d. h. die zeit der herschaft des homo-
1) Anch mehr als zwei töne werden liiert, namentlich wenn sie den
Charakter Ton Verzierungen tragen.
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76 8ARAN
plionen vocaleu Stiles solche fonmen anzunehmen ist nicht zu-
lässig, weil dies dem princip der silbenzählung widerspricht.
Die Silbe -gres schiesst tatsächlich nicht über, sondern zahlt
mit, sie ist zwar dem sprachaccent nach unbetont, aber dennoch
rhythmisch eine Honsilbe'; vgl. Tobler^ s. 85. Stengel, Gröbers
Grundr. 2,1,1,8.51 f.
Nun ist klar, dass eine binnencäsur sehr schwach sein
muss, wenn man unmittelbar vor sie eine unbetonte sprach-
silbe stellen darf. Denn starke rhythmische einschnitte, also
diäresen, cäsuren, binnencäsuren von pressreihen haben immer
eine auch sprachlich betonte tonsilbe vor sich. Ist nan in
einem textzehnsilbler die binnencäsur sehr schwach, so liegt
nahe, hinter ihm nicht das dekasyllabon, sondern den sechser
zu suchen. Somit wäre die sog. lyrische binnencäsur des zehn-
silblers ein kriterium für den sechser, wie es die epische fnr
das dekasyllabon ist.
Das scheint nach den angaben die von Tobler und Stengel
gemacht werden, wirklich der fall zu sein. Das dekasyUabon
ist der rhythmus der chansons de geste. Daher ist in der
epik und überhaupt der erzählenden afrz. dichtung die epische
binnencäsur beliebt (Stengel s. 50). Diese wird dagegen nni
wie Stengel sagt, von anfang an in der nord- und südfranzö-
sischen lyrik gemieden. Nicht 'weil in folge des einheitlich
gestalteten tonsatzes der versmelodie die pause im innem der
einzelnen verse nicht mehr zur geltung kam, zehnsilbler also
auch dem baue nach wie einreihige verse behandelt werden
mussten' (Stengel s. 50). Denn der zehnsilbler ist in jeder form
eine reihe wie der aclitsilbler und andere verse. Sondern der
lyrische zehnsilbler wird eben in weitaus den meisten fällen
rhythmisch etwas anderes gewesen sein als der epische: dieser
das dekasyllabon, jener der sechser.
Dass das ursprünglich gewis französische dekasyllabon
zunächst in die französische, dann auch in die provenzalische
lyrik eingedrungen sei, ist wahrscheinlich. Umgekehrt kann
man den erzählervers gelegentlich nach dem Schema des lyri-
schen gebaut haben, um so leichter, wenn es sich dabei um
Sprechpoesie handelte; vgl. Stengel § 108.
Einen sicheren beweis für den sechser darf man in der
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ZÜB ROMAN. UND DEUTSCHEN RHYTHMIK. 77
binnencäsur sehen, die Stengel § 109 ^die schwache' nennt.
Ihr Schema ist
_1_^«; J!«^^^^ (bez.^Ä)
qui de s^amie respite sa jaie
qu'elle te face bien sovent ehanteir
(Tobl. S.86); vgl auch meine abhandlung s. 79f. Es handelt
sich da lediglich um den sechser mit 'verschobener' binnen-
cäsur (ebda. s. 52. Ehythm. § 20). Diese binnencäsur brauchen
die Griechen z. b. im iambischen trimeter, der bekanntlich ein
(freilich akatalektischer) sechser ist:
Aesch. Prometh. xo oov yaQ av&og, Tcavxixyov jtvQoq ciXaq,
Es ist sehr bezeichnend, dass diese 'schwache' binnen-
cäsur nicht in der epik, sondern nur in der lyrik vorkommt
(Tobl. s. 86). Wenn sie auch selten ist, so beweist sie doch
für den rhythmus der zehnsilbler, unter denen sie sich findet,
sehr viel Dass Stengel s. 53 solche verse nicht cäsurlos nennen
will, ist durchaus berechtigt. Wenigstens haben die von Tobler
s.86 mitgeteilten verse alle einen wenn auch schwachen ein-
schnitt. Man darf dessen stärke aber nicht an der binnen-
cäsur des dekasyllabons messen.
Zehnsilbler ohne binnencäsur, die Tobler s. 87 f. mit recht
annimmt, können nur sechser sein, wie ich schon betont habe
(s. 80). Die binnencäsur einer pressreihe fällt, so weit ich
sehe, nicht einmal in der sehr fi-eien modernen instrumental-
musik weg. Dagegen haben sechser ohne einen im text aus-
geprägten einschnitt rhythmisch nichts ungewöhnliches. Tobler
rechnet mit recht dazu auch die fälle, wo in liedem (nicht
im epos) der zehnsilbler hinter der sechsten betonten einen
einschnitt hat. Man vergleiche hierzu fälle wie Aeschylos
Prom. 6: äöa/iaptlvcop öeö(i(Sv Iv aQQfjxtoig niöaiq.
Im epos, auch den romanzen 1, 5 und 1, 16 (Bartsch) sind
solche verse ganz anders zu beurteilen (Tobler s. 87. Stengel
§ 110). Dort gibt es einen typus, in dem sich die silben in
6 + 4 gruppieren. Dabei ist die sechste sprachlich und rhyth-
misch eine tonsilbe und dahinter liegt eine auch im text scharf
ausgeprägte binnencäsur. Z. b. Rom. und past. 1, 5 Loti saniedi
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78
SABAN
a soir, fat la semainne. Hinter der betonten sechsten findet
sich oft eine 'überschiessende' silbe, wie im dekasyllabon hinter
der betonten vierten.
Z. b. ebda. v. 12 reva toi an arriere, bien seis la vile. Eben
dies beweist schlagend, dass wir es hier nicht mit einer penta-
podie oder einem zweigliedrigen langvers zu tun haben, son-
dern, wie Stengel s. 53 richtig erkennt, mit einer versform, die
man als eine andere combination der teile (abschnitte) des
gewöhnlichen epischen zehnsilblers auffassen muss. In diesem
gruppieren sich die silben wie 4 + 6
z. b. Charles li reis nostre emperere magnes;
in jenem umgekehrt 6 + 4
z.b. Uanfes Gerairs et Craie s^an sont tomeit
Diese gebilde sind also pressrhythmen und abarten des deka-
syllabons, d.h. gepresste vierer.
Ihr zweiter abschnitt ist im rhythmus
*Äl^-AX >a1^1a,
vielleicht auch
eine form die auch heute noch in liedem vorkommt.
Ein beispiel wird es veranschaulichen, nämlich die schluss-
zeile des bekannten liedes 'Hinaus in die ferne mit lautem
hömerklang'. Lahrer commersbuch no. 52 (s. 57). Ich analysiere
die erste Strophe ganz.
1 ' '
2 ' '
refr.3. ^l.^J.
s> V-». V ^>v^ — A I v-* y^^s.y>».,/y^ — v^. \ V — . — — A
v^ v!/. V v.^v^ JL A I w vLv^^^w — w. ; Y — — — A
Rhythm. Schema 1 a — b
2 a — b
3 a — b.
Der rhythmus ist zweifellos eine Weiterbildung des franzosischen
dekasyllabons. 2 a, 3 a sind zehnsilbig und haben die früher
s. 79 oben erläuterte form, nur mit gelegentlich punktierten
werten. 1 a. b haben vom französischen Standpunkt aus gesehen
die 'epische binnencäsur'; nämlich die kürze hinter der zweiten
thesis (L) ist * weiblich'. Ausserdem haben sie nach deutschem
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ZÜB ROMAN. UND DEUTSCHEN RHYTHMIK. 79
brauch 'auftakt', d.h. die erste arsis bleibt. Denkt man die
reihenauftakte weg, dann hat man genau den rhythmus des
epischen dekasyllabons mit 'epischer' binnencäsur.
2 b. 3 b sind nun dekasyllaben der gruppierung 6 + 4 mit
'epischer' binnencäsur; der wert der 'überschiessenden' silbe
tritt hier zufällig punktiert (w.) auf.
Im hinblick auf diese schlusszeile könnte man die romanze
1,5 bei Bartsch sehr wol so analysieren:
Lou samedi a soir, fat la semaiime
Gkdete et Orionr, serors germainnes,
main et main vout bagnier a la fontainne.
Vante Tore et li raim croUent:
ni s'antraimment soweif dorment.
1. ^J
2. L
Schema 1 a — a' — b .
2 a — b.
Die form ist gewis alt, aber dass sie älter als der normale
zehnsilbler (4 + 6), ja ihm gegenüber ursprünglich sei, wie
Stengel will (§ 110), halte ich für unwahrscheinlich. Jeden-
falls reichen die beweise Stengels nicht aus, seine annähme zu
sichern. Mit dem endecasillabo der Italiener hat der rhythmus
nichts zu tun, denn der italienische vers ist ein sechser, was
seine binnencäsur beweist.
Nach alledem scheint es, als ob wir für die älteste zeit
zu scheiden hätten den epischen zehnsilbler (4 + 6, 6 + 4) und
den lyrischen. Ersterer ist ein gepresster vierer (dekasyllabon),
letzterer ein sechser primärer bildung. Erst allmählich dringt
das dekasyllabon in die französische und provenzalische lyrik
ein und beeinflusst umgekehrt der sechser hier und da den
epischen versbau. Entscheiden kann im einzelnen fall nur eine
umfassende Untersuchung.
Für die entscheidung dürfte ausser der beobachtung der
formen der binnencäsur von Wichtigkeit sein zu ermitteln, wie
die einschnitte im text syntaktisch hergestellt werden. Denn
sowol das dekasyllabon wie der sechser haben im romanischen
der regel nach hinter der vierten betonten silbe einen deutlichen
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80 SARAN
einschnitt. Sie unterscheiden sich also fürs aoge nicht gerade
sehr. Stengel stellt s. 54 ff. darüber mancherlei zusammeiL
Von vom herein ist zu erwarten, dass die binnencäsnr des
dekasyllabons durch syntaktisch stärkere einschnitte festgelegt
wird, dass dagegen die binnencäsnr des sechsers i. a. schwächer
ist. Demnach müsste im allgemeinen das epos relativ starke,
die lyrik dagegen relativ schwache syntaktische einschnitte
vorziehen. Denn sie liebt ja den sechser, wenn die obigen
erwägungen richtig sind.
Die beobachtungen die man bisher gemacht, stimmen dazu
Stengel § 118 teilt mit, dass schon in der altfranzösischen lyrik
die binnencäsnr rhythmisch und syntaktisch nachlässig behan-
delt, ja mehrfach geradezu verwischt werde. Noch schwächer
als die gleichzeitigen altfranzösischen dichter markierten die
Provenzalen die binnencäsnr (Stengel § 116). Bei den Italienern
könne von syntaktischer ausprägung der binnencäsnr überhaupt
keine rede sein (§ 117). Alles das weist auf den sechser.
Ich füge noch einige nachtrage und Verbesserungen zu
meiner früheren abhandlung hinzu.
S.44 zeilell v.o. lies Aristoxenos' bd.2.
Zu s. 48, § 9. Es ist ein hauptf ehler in Westphals Ana-
lysen von minneliedem, dass er glaubt, eine reihe könne in
ihnen isoliert stehen. So in dem liede Walthers, das er All-
gemeine theorie s. 251 analysiert. Auch in seinen arbeiten
über antike rhjrthmik ist dieser punkt vernachlässigt. Die
theorie der periode leidet sogar in ßossbachs darstellung der
antiken Strophenformen (bd. 8 der Theorie der musischen künste
der Hellenen) aus eben demselben gründe an Unklarheit. Iso-
lierte reihen sind in aller strophik, überhaupt den sog. geschlos-
senen formen nur in wenigen, als solche zudem leicht verständ-
lichen fällen zuzulassen. Namentlich kommen instrumentale
vor- und Zwischenspiele, auch clausein in betracht. Im griecL
chorlied halte ich alleinstehende kola für ausgeschlossen,
wenigstens im vocalen teil, von dem wir allein wissen.
Die anm. 2 auf s. 50 gehört zu § 16.
Zu s. 69 unten kann ich jetzt auf den sehr wichtigen
aufsatz von H. Ei e mann. Die melodik d. minnesinger, Fritzsches
Musik, wochenbl. 28, s. 449ff. verweisen (besprochen imJahresber.
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ZUR BOIIAN. UND DEUTSCHEN BflOTHMlK. 81
für german. philol. 19, 235 f.). Eiemann hat dort nachgewiesen,
dass die melodien der romanischen und deutschen minnesinger
nicht mensural, sondern Choral notiert sind. Die notenzeichen
der hss. geben also keine Zeitwerte (longae, breves u.s. w.), son-
dern bloss tonhöhen wie die griechischen notenbuchstaben.
Es kann darum aus den melodien kaum etwas über den
rhythmus der lieder entnommen werden. Der rhythmiker ist
auf betrachtung des textes angewiesen und muss so vorgehen,
wie es in den abschnitten iii — v dieser Untersuchung geschieht.
Dennoch ist es gerade für romanische lieder wichtig, die me-
lodien zu kennen. Denn wie Riemann gefunden (s. 450), bestätigt
eben die melodiefuhrung die vor Quicherat und seinen an-
hängern herschende ansieht der metriker, dass die alten roma-
nischen verse alternierenden rhythmus hätten, eine ansieht
der ich oben s. 69 aus allgemeinen grttnden und auf grund
mhd. nachahmungen romanischer formen beigetreten bin (s. 71
—73). Man wird nun wol aufhören, die einfachen und doch
gefälligen rhythmen der alten lieder mensural zu verderben.
Die rhythmisierung altfranzösischer und provenzalischer Stro-
phen, die oben versucht ist, hat so von ganz anderer seite her
willkommene bestätigung empfangen.
Ebenso hat Eiemann unabhängig von Eickhoff und mir
(vgl. oben s. 75 ff.) die eigentümliche form entdeckt, die ich der
kürze wegen dekasyllabon genannt habe, einen rhythmus der
eben deshalb merk¥mrdig ist, weil er gegen den gebrauch der
übrigen romanischen verse nicht immer alterniert. Warum er
das nicht tut, ist s. 77 erklärt, üeber die mängel der Eiemann-
schen arbeit vgl. Jahresber. s. 236.
Uebrigens sei hier angemerkt, dass dasselbe was Eiemann
für die minnelieder nachweist, erst recht für die homophonen
melodien gilt, die der früheren zeit angehören. Es ist nicht
zulässig z.b. Eatperts lobgesang mit MSD^ s. 84 in 3/4takt
zu bringen. Auch diese melodie ist Choral notiert (neumiert)
und die spätere mensurale Zeitteilung, deren regeln Jacobsthal
ermittelt, auf sie anzuwenden, ist eben darum nicht statthaft.
Neumen haben keine mensur. Tripeltakt ist später freilich
von den mensuralisten stark bevorzugt, ja als der einzig mög-
liche angesehen worden. Für die ältere zeit beweist das nichts.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXIV. ^
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82 SABAK
Der lateinische text ist vermutlich folgendermassen za analy-
sieren, wobei die taktart unsicher bleibt i):
1. Äl — ^ -
t t
2. AI i _
___^ ^ _
3. Äl 1
f f
4. Äl i -
t r
5. AI i _
AI S. _
Alle yerse schliessen thetisch, wie bis zum minnesang die ahi
mhd. reihen überhaupt. Die Vorderglieder entbehren meist des
auftakts.
Ebensowenig ist das Petruslied mensuriert; anders, wie
es scheint, bei Scherer s. 63. Das Schema ist wol>):
MSD.IX
1. Äl— i'-i— :: I Äi-^'i-i
2. Äi-i— :^— I Äi-^'i-i
3. Ä^-i-i-i I Ä^'-:.- i'-i
Die ictenabstufung nach Sievers' typen. Die glieder entbehren
meist des auftakts.
Hierher gehören auch die Sequenzenformen no.xix— xxni,
die gleichsam 'freie rhythmen' sind. Man vergleiche hierzu die
darstellung der byzantinischen rhythmik bei Christ, Anthologia
graeca. Dass die rhythmische prosa dieser Sequenzen öfters
versmässig, metrisch gesteigert wird, fällt nicht auf. Es ist das
eine natürliche entwicklung der 'freien rhythmen', welche die
nhd. poesie auch kennt. Der rhythmus dieser 'modi' ist natür-
lich der gregorianische, der sich an den sprachlichen anschliesst
Vgl. X. Haberl, Magister choralis 10«^ (1893), s. 1 und s. 186 1
197 ff. Ich werde anderswo genauer auf diese rhythmen zu-
rückkommen.
Zu s. 78. Bei der ableitung der dekasyllaben wäre es
klarer gewesen, statt der formen die aus dem wechselnden
Zusammenhang der compositionen genommen sind, zunächst
>) Da man es hier mit geistlichen werken, nicht solchen weltlichen
nrspmngs zu tun hat, so bleibt auch die rhythmusart unsicher. Denn diese
geistliche vocalmusik kann immer von dem freien gregorianischen rhythmus
beeinflusst sein. Dann hat die frage nach der taktart überhaupt keinen sinn.
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ZUB ROMAN. UND DEUTSCHEN RBTTHMIK. 83
die historisch genau entsprechenden zu gründe zn legen. Man
lese also:
*Ä^--^- I -1---^- II
d. i. JLs^ls.; w Jw^^^lw A , wenn man die reihe
dann als neuen yerstypus schematisch ansetzen will.
d, L 1^- Ä ; wvLwwl Ä als neuer verstypns.
Ebenso unten:
*Äi^i^l-i — La II
> Al_l-; «:— :ä I
(LI J._l„; .i..„J.Ä
und auf s. 79 oben:
*-i^I.A |_1---1aII
"> ' ' A • ' '7^
X-^ W ■_ — _ /\ } WWWSi^V^W /\
oder: «1-1 a ; ^1^- A .
S. 80 sind in der analyse der pastourelle die pausensymbole
der Vordersätze umzustellen: Ä X • Tripodien nimmt man
besser nicht an.
Auf s. 82 ist vor dem Schema des dekasyllabons die zwei-
zeitige pause natürlich zu streichen.
8.84. Zu den rhythmen der gruppe A gehört, wie ich
glaube, auch Walther, Lachm. 89,11:
1. A — ww —
9 ' '
3. Al_i—
r f
t t
t I
l| Äl
Schema a + h — c
a + b — c
d — w — d
V. 20 ich häm; 23 wärt ich ^-; 40, 4 tvirt noch g^-;
40, 10 daß 2r bi; 40, 13 wis ^ mit — In dem liede werden
absichtlich die freiheiten einer älteren technik nachgeahmt.
Vgl. auch Beitr. 23, 95. Der Inhalt der mit höfischer minne
nichts zu tun hat, stimjnt genau dazu.
6»
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84 SARAN, 2im ROMAN. UND DEUTSCHEN RHTTHiaK.
S. 85. Zu B gehören lieder wie folgendes sehr künstliche
von Konrad von Würzburg, Bartsch 360, no. 9:
Meie den grttenen walt h&t bekleit
gar mit siner gttete, daz ist wol schln.
Zweie sich jnng und alt! &ne leit
üz der bonme blüete diu yogelltn
Singent sttezen sumersanc;
dft bt siht man wnnne m§,
Binomen röt, gel 6nde blanc
dringent in tonwe dnrh den grüenen kl6.
Der meie machet h6hen mnot;
d& bi trüren swachet din minne gnot
1. Z,-.; ^::--, 1 Ä 1^ J5_;_l--Ä
2. L^; ^!L^^, L Ä I 1 Ji-,; -1 Ä
3. L L Ä I 1 1--Ä
4. -L 1--Ä I ^-; -^ 1. —
refr.5. -1 ; 1 Ä | 1 ^'-; -1 — Ä
Ebenso Nithart 14, 14:
Willekomen si des meien schoene.
ich h&n vemomen, manegem senedem herzen
trüren ist benomen.
Sorge l&t, junge mägde, deist m!n r&t.
nns nähet ein sumer; den enph&het.
1. A-i — iü-Ä; — ki-— I — — — w«-A; 2- — ww — i-.
--A
2. Äl--; ^ -^-- I -J--; -^ ^-.
Man sieht wie der reim oft benutzt wird, die stellen der
zusammenziehung anzudeuten.
S. 86. Zu MF. 127, 1. Wenn man in Strophe 2, v. 1, 6 und
Str. 3, V. 6 vil streicht, stimmen die drei Strophen hinsichtlich
der auftaktverhältnisse genau ttberein. Str. 2 wäre dann zu
lesen der also und Nu ist Vil konnte leicht zugesetzt werden.
S. 90 lies in str. 1 alsdm min selbes,
HALLE a. S., october 1898. F. SARAN.
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UNTERSUCHUNGEN
ÜEBER
HEINRICH HESLER8 EVANGELIUM NICODEMI.
I. Die Überlieferung.
"L Die einBelnen handaohriften.
Das sogenannte Evangelinm Nicodemi des Heinrich Hesler^
ist uns erhalten in den hss. zu Schwerin (8), Gtörlitz (G), Stutt-
gart (s) und Heidelberg (p). Von diesen ist jedoch nur 8 von
absichtlichen kürzungen frei, hat aber durch vertust mehrerer
blätter nahezu 1000 verse eingebfisst. Zu diesen mehr oder
weniger vollständigen hss. treten folgende fragmente: zu Wien
(W), Erlangen-Berlin-Retz (6iner hs. E angehörend), München
(M), Karlsruhe (K) und Görlitz (r). Endlich sind stücke unseres
gedichts in der Weltchronik Heinrichs von München erhalten (m).
S. Perg.-hs. des 14. ]h.'s auf der grossherzogl. regierungs-
bibliothek zu Schwerin, früher auf dem dortigen Staatsarchiv.
In stark wurmstichigem holzband; 16, 5 x 23. 67 bU. Der
text ist zwischen vorgezeichneten linien geschrieben in zwei
spalten zu je 34 zeilen auf der seite. Jeder zweite vers ist
eingerückt, abschnitte werden durch rote und grüne initialen
gekennzeichnet
Die blätter 1—30 enthalten das Ev. Nie Von diesen bilden
bl. 2—30 drei lagen von je 4 und eine von 3 doppelblättern.
Von der letzten ist die zweite hälfte des zweiten blattes vor
dem beschreiben ausgeschnitten worden. Bl. 1 ist der rest einer
^) Vgl. im allgememen: P. Piper, Die geistliche dichtnng des mittel-
alters 2, 141. K. Amersbach, Ueber die Identität des Verfassers des gereimten
£y. Nicodemi mit Heinrich Hesler (beilage zmn Konstanzer gymnasiomsprogr.
1882/83 und 1883/8^). F. Pfeiffer, Altdeutsches Übungsbuch s. 1 ff. R. P.
WUlcker, Das £y. Nie in der abendli&ndischen literatur s. 44 ff.
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86 HBLM
läge die verloren ist; das gedieht ist deshalb im anfang defect
überliefert. Vorhanden sind vers 437—572 und 1413 ff. Es
fehlen also nach der Zählung von G 840 veree; wir können
darnach auf einen Verlust von 6 blättern schliessen, die aller-
dings, falls sie nicht zum teil enger beschrieben waren (etwa
wie bl.30), nur 816 verse enthalten haben. Vor bl. 1 ist jeden-
falls nur ein blatt verloren gegangen: denn es ist nicht an-
zunehmen, dass die erste läge ursprünglich 5 doppelblätter
enthalten hätte, da sie selbst dann für die fehlenden 436 verse
zu klein gewesen wäre; vgl. auch Lisch, Heinrich von Krole-
witz s. 3. War dagegen am anfang nur 6in blatt weiter da,
und war dieses wie beim Vaterunser des Heinr. v. Krolewitz
in derselben hs. nur auf der rückseite beschrieben, so könnt«
es gerade die 68 fehlenden verse des eigentlichen gedichtes
enthalten. Damach hätte die hs. also den prolog nicht gehabt.
Auf bl. 30 7 und ö sind , offenbar um den räum auszunutzen,
öfters zwei verse in eine zeile geschrieben. Custoden finden
sich auf bl. 9 sprach nyco und bl. 17 tvid'' ante.
Die hs. enthält einige rasuren und von späterer band
einige correcturen. Auf dem rand neben 2/ findet sich von
späterer band der eintrag gens tua et plebs tua cöprobavü te
regem. Ideo praecepi te flagellari secundum statuta principufn
et post modum in cruce levari.
Bl. 31a ist leer, 31b — 67 a enthalten das Paternoster des
Heinrich von Krolewitz, hg. v. Lisch 1839.
Stücke dieser hs. sind abgedruckt von Lisch, Jahrbuch
für mecklenburgische geschichte 2, 156 ff.: v. 1413—1460. 1605
—1634. 4837—4905. 5339 bis schluss, von Pfeiffer a.a.O. v.2327
—3786 und von H. Haupt, WSB. 68,201: v. 1425 f.
S ist die einzige der grösseren hss., welche den md. Cha-
rakter des Originals bewahrt hat. Sie hat deshalb ansprach
auf eine eingehendere betrachtung.
L Vocale. Umlaut von a finden wir in: geweidig 3155.
3189, heldes 3365, anmehte 3897; einzeln steht freilich auch a
einem c in G gegenüber: sanften 4448, väterlich 3441, na(h)st€n
4200; offenbare 1849, das sicher unursprünglich ist, da es stets
nur mit ce reimt.
Der Umlaut anderer vocale ist nicht bezeichnet, vgl ro-
mesch 4725, geloset 4946, bösen 3713. 4793; ou in drowe 5140,
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HEINBICH HESLERS EVANGELIUM NICODEHI. 87
geloubic 4572, couflinge 4724, vroude 2917. 4442; u in lutzel
5232, gekündet 1549; ü in kuschheit 4274, wo in ^rtio&e 3383,
prutoen 3263.
Einzelne vocale:
a. 8 hat stets ^oZ, fast ausnahmslos van und einmal vor
(statt tw) 1746. Ob in gelart : gekart 3901. 5049, kort 2992.
4197. 4227 kurzes oder langes a anzusetzen ist, lässt sich nicht
entscheiden.
e. Die verschiedenen ß-laute wei'den in der hs. nicht
unterschieden. Ausserordentlich zahlreich sind die belege fUr
e statt i: vorlegen : gestegen 4869, gedegen 5113, meist bei diser:
desen : resen 5081, geneses 4487, tverdes 5047, gebet 2524. 3743.
5226, vartelgenb242, rechet S41S, besmedet 3177, gescreben 192i,
negen 3325, werden (zu mr«) 3072, selber 3964. 4669, hemelisch
3744. en 2460, segenunft 1634. 2072. 2593. 3502; mer (= mir)
2690, wer 1700. 1865. 1953. 2394. 2661. 2698. 2720, en (acc. sg.)
1424. 1449. 1502. 1926. »924. (dat. pl.) 1438. 5036 in der enklise
oder proklise.
Seltener ist der umgekehrte fall i für e: sprichet (2 pl.)
1596, riche (conj.) 4206, piches 3328, anbiten 3626; für e: wület
(2 pl.) 4718. 4778. 5056. 5104, hüjgete (zu hetaen, statt regel-
rechtem hatjste mit rückumlaut) 3134, wilh 5343.
Nur vereinzelt erscheint für i, e und e' auch ie: wieldet :
Meldet 5065, swiegen 2499, und ei: heilt : steiU 5069, weige 3780.
In den nebensilben ist i häufig: obia 2010, undirste 3226,
rechtig 4169, praefix tr- und in^ stets statt er- und en^, auch
dir (aus dar geschwächt) 1635.
Der entsprechende Wechsel zwischen o und u stellt sich
in S so dar, dass o vor r, u dagegen vor n, m vorherseht,
vgl. £iam€te 4583, wonnig 4885, worfes 570, stor»»6 3910, worden
(pL praet.) 1734. 3782, koren (praet.) 4144, orto7 2118. 3604.
4741, kort : gebort 1735, dagegen ktminc 537. 1480. 3167, be-
numen 3149, aber auch vernommen 4731. 4905.
Auch sonst erseheint einzelnes o: wocher 4933, vohse 1909,
hesloazen (praet) 3568.
Für alten diphthong iu steht stets ü: hüte 1563, nuwet
1593, ucÄ 472. 522. 1549. 2380. 2783, x^wer 481. 1594. 1924.
2396, von du 1488, tufel 1789. 3035. 3305. 3475. 4187. 5333.
gezuc : lue (imp.) 2489, vorbutet 5284.
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88 HELM
ie ist oft geschrieben; sehr häufig begegnet dafür aber
auch e: nergen 4696. 4906, besen 3094, vlen 5239, schere 2434,
mete 3836, ne 1598, swe 2164. 2530. 4717. 4818, we 2140. 462i
5052, verzieh 1642. 2637; auch ei findet sich dafür: Tceiset : vor-
leiset 5109 f., bescheit 4883, deit 1668.
Umgekehrt erscheint ie für c in lien Qehen) 4827; «efe
4158 geht zurück auf seolaj vgl. Leidener Williram (Beitr.
20,508. 22,464).
Einige male steht für altes ei ein c: begref 2601, tref4ß6%
vleseh 1673, c^fen 4695, und auch für dieses e tritt öfters ie
ein: Steifen 2126, trieb 3909. 3932, äicääc^ (= heisst) 3112, fiel
haft 4824, ziechen 3111. 3650, &7ieA;a^ (bleichet) 3203.
uo, üe wird meist durch u widergegeben; o erscheint da-
gegen regelmässig vor r: vorte 2617, vorten 1424. 1440, vortes :
ror^ 3535, zuvort : (/eror^ 1685, sonst nur vereinzelt verdomd
5208, mo^fe» 2015.
ö für ü steht in troric 509. 1897. 2670, vgl. Behaghel, Lit-
bl. 1,437.
ou für uo (^6) in touken (tuoehen) 3205 kann nd. einfluss
zuzuschreiben sein; u für ou (Weinhold, Mhd. gr.) findet sich
in tugender, tugentlich 3235.
Für die nebensilben ist abgesehen von dem oben schon
gesagten noch zu erwähnen, dass stets vor- als praefix erscheint
statt ver-: vorreters 484, vomam 1415, vorhcH 1673.
n. Consonanten. mb ist zu mm geworden, doch verein-
zelt als mb erhalten: kumber 3851, tumbe 1486. 1810; umgekehrt
einmal imber (vgl. Werner v. Niederrhein).
Sonst ist 6 Spirant (vgl. Pauls Grundr. 2*, 722), für den im
Silbenauslaut oft /'geschrieben wird: huof464, touf: rouf4b45L
lof 3534. 3539, of 513, dar af 2058, afteüig 3542, afgot 456t
starf 4016. 4601, screif 2781. 5257, vorderfnisse 3377; inlautend
oft V, w: gewelve 2326, geweveten 1608, worwen 4246, dartces
442; ebenso anlautend in vewäl 3884.
Umgekehrt wird für inlautendes f auch 6 geschrieben in
höbe 4584, höbe : bi^ehobe 2513 f., tubel 1789. Häufig ist /* wider-
gegeben durch ph: couph 528, ruphes 1416, eijpÄ 558, semphtes
1532, 5mpA^ 1587. 1640, bigrapht 1562; so auch das für 6 ein-
getretene: trieph 3932, treph 4662, iopÄ.
Für /? ist einige male ht eingetreten: luht 3679, 3781.
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HEnmiCH HESLEBS EVAKGELIUM NICODEMI. 89
p ist inlautend verschoben, dagegen anlautend nicht, plegen
2355. 2381, paffen 5142, perde 4250.
g ist Spirant wie b. Im silbenauslaut geht es in cA über:
geluchnisse 477, verJuchnen 514, lach 2370. 2595, sweich : neich
1469, : seich 1905. 3071, wocÄ 2016. 2393. 3109. 4440.
Dazu sind zu vergleichen die formen hoge (= höhe) 3521.
4870 und sagen {= sähen) 1623. 1894. 2062. 2653. 2662. 2666.
2790. 3635, deren erscheinen durch den spirantischen wert des
g wesentlich erleichtert wird, mag der Vorgang nun auf altem
grammatischen Wechsel beruhen oder jüngerer herkunft sein
(vgl. Wilmanns 1 § 79 anm. 2. § 88 anm. 2).
g und j vertreten sich wechselseitig; gf&rj steht z. b. in
ge, gamers, gamerliche 3306, meigen 3303, j für g in iahen 2246,
iegene 2503, heiegenten 3471.
h ist verklungen in denselben fällen, die im reim zu be-
legen sind (s. u.), ausserdem ist es assimiliert an s: was (wahs)
2402, wassen (aus wachs) 2420, wos (wuohs) 2998, wesles {wehsles)
5012; nur einmal vocse 1909.
Unverschobenes t steht in dit, da£; auch durch den reim
gesichert ist, und einmal in wurte (= wurzeln) 2263; hwrt kann
auf jüngerer entlehnung beruhen.
Metathesis von r ist ziemlich häufig: verwrohten 1945. 4091.
4459. 4816. Im auslaut schwerer einsilbiger Wörter ist r meist
erhalten: ir 448. 518. 488. 1993. 3198 u. a.
Contractionen kommen ausser den im reim verwendeten
nur noch vor zwischen praeposition und artikel oder pronomen:
0ume = £fu deme 2337, inme = in deme 1545, jmn = zu den
1504. 1602. 1923.
m. Flexion. 1. In der nominalflexion ist bemerkenswert
die erhaltung der endung in den nomm. pl. wie rittere 1494.
2286. 2354. 2440, priestere 2453, engek 3275, tohtere 1593.
Reimbelege dafflr sind natürlich nicht vorhanden.
2. Pronomen. Beim Personalpronomen der 3. pers. über-
wiegt weitaus er, daneben steht her (1697. 1928. 2255. 3060)
und hie 562. 1455. 2516. 3844; dagegen herscht beim artikel
im nom. sg. m. die unbedingt vor (444. 486. 1752. 2200. 2468.
3099. 3364), selten ist de 1632. 1735. 4276. — Neben frage-
pronomen wer steht vereinzelt we 3237 und wie 3264. 3636.
4575. üeber die e- formen für mir, wir, in, diser s. o. s. 87,
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90 HELM
Mir statt mich steht 1656. 3941, mich statt mir 2915.
Das pron. poss. der 1. pers. pl. heisst stets unse 1615. 2313.
2587. 3044. 4023. 3675. 4324.
3. Verbum. In der 1. pers. sg. einmal die endong -»:
gehichnen 515; die 2. pers. geht nur aasnahmsweise auf -t aus.
Die 1. pers. pl. hat meist, wenn das pron. tvir nachsteht, immer
das -n der endung eingebüsst: sähe wir 2850, läge wir 2180,
werde wir 3063, beswer wir 2783; wir gelouhe 1846. In der
2. pers. pl. erscheint häufig neben -et die endung -ent (454.
1604. 2299. 2401. 2521. 2746. 4979), aber auch -en: 569. 2471.
2472—74. Die 3. pers., für die durch den reim -en gesichert
ist (in der Apokalypse aber auch -ent) endigt in S auf -en,
-ent, -et
Die 2. pers. sg. des starken praeteritums hat, entgegen den
reimbelegen, bereits die endung -es: gebes 2011, spraeches 3320,
4241, qimemes 3642. Der stamm zeigt noch den alten vocaL
Die flectierten Infinitive entsprechen dem reimgebrauch.
G. Perg.-hs. des 14. jh.'s, 4<^, auf der bibliothek der Ober-
lausitzischen gesellschaft der wissenscl^aften in Görlitz. Sign.
A in. 1. 10. 56 bll., zweispaltig mit je 40 zeilen beschrieben.
Jeder zweite vers ist eingerückt. Grössere und kleinere farbige
initialen.
lieber die geschichte der hs. gibt Hoffmann in einem Tom
eingeklebten brief vom 20. 2. 1825 auskunft. Sie war einst im
besitz des prof. Schwarz in Altdorf (nach dessen bibliotheks-
katalog). Aus seinem nachlass kaufte sie J. A. Will, dessen
bücherzettel ex bibliotheca Williana noch in der Innenseite
des deckeis klebt. Will beschrieb sie noch während Schwarz
lebte in einzelnen Studien: Beschreibung eines alten deutschen
evangelischen codicis, Altdorf 1763. Fortsetzungen 1763 — 65.
Damach die ungenaue notiz von der Hagens im Liter. Grnind-
riss S.464. Zu vergleichen ist Über die hs. noch Hoff mann,
Fundgruben 1, 127 ff. J. Haupt, WSB. 70, 101 ff.
Sie enthält auf bl. la — 24b die gedichte der Ava (ab-
gedruckt von Hoffmann a.a.O., von Piper nach der Vorauer
und unserer hs. Zs. fdph. 19, 129 ff.).
Bl. 24c— 56c enthält das Bv. Nie. Dasselbe ist nach dieser
hs. vollständig abgedruckt von P.Piper, Gfeistliche dichtung
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HBINBICH HESLEBS EVANGELIUM NICODEMI. 91
des mittelalters 2, 141 ff. Bei Hof f mann finden sich abgedruckt
die verse 1—10. 369—392, sowie die letzten 28 (über den
schluss vgl. unten). Eine abschrift von G von Hoffmann be-
findet sich auf der kgL'bibl. zu Berlin, Cod. gei-m., 4<>, no. 564.
G hat oberdeutschen Charakter, vgl. anlautendes p in
plut 1241, perch 585, erhaltung von h nach l in bevcdh, von
fnb in umb, schimbel, humber, die endungen -est, -ent in der
2. sg. und 3. pL, sol für md. sdl, % und ü sind nicht diphthon-
giert, bei iu herscht schwanken: ziuget 1013, iuch 1142. 1343,
daneben meist eu, euer, leut 1094. 1266, den 1182. Da ausser
I, ü jegliches merkzeichen alemannischer herkunft fehlt (z. b.
2.pl. 'ent\ so ist wol anzunehmen, dass die hs. von einem
Baiem geschrieben ist, der die in der vorläge stehenden i, ü
respectierte; nur vereinzelt ist ihm ein ei entschlüpft. Ein
bairischer Schreiber kann um 1360 — 1400 wol in consequentem
anschluss an seine vorläge . aUe neuen diphthongen unter-
drücken; ein schwanken zwischen monophthong und diphthong
ist bei ihm aber kaum anzunehmen; er wird vielmehr, sobald
er seine vorläge nicht als unbedingte autorität anerkennt, zur
durchftthrung des ihm eigenen vocalismus schreiten. Viel eher
könnte ein Mitteldeutscher oder Alemanne schwanken. Denn
diesem war der monophthong wol aus seiner eigenen mundart
bekannt, daneben aber im 14. jh. gewis auch der neue diphthong,
der ja im literarischen gebrauch früh durchdrang und auch in
gegenden fuss fasste, wo er nie gesprochen wurde. Es ist
dies auch wichtig für die beurteilung der hss. s und p (s. u.).
Dass neben t, ü meist eu steht, könnte vielleicht seine
erklärung darin finden, dass diese eu zum teil schon der vor-
läge angehörten, wenigstens ist eu ausserhalb Baiems früher
als ei und au durchgedrungen (vgl. Henneberger urkundenbuch
2,8 eine Urkunde von 1332, die bereits eu, aber noch kein ei
hat, Weinhold, Mhd. gr. § 108). Dies konnte den Schreiber wol
veranlassen, in diesem fall den seine mundart eigenen diphthong
einzuführen, während er ei und au, für die ihm die vorläge
kein beispiel bot, vermied.
Sonst tritt der bairische Charakter mehr hervor: ie wird
durch ie, uo durch ü widergegeben, das allerdings auch für ü
und u erscheint (häs 2219); für altes ei erscheint nicht selten
ai: stain 1348, lait 3001, tnaister 3014, vorwaist 3016, memchait
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92 HELM
3055, wais 3087, wishaü 4165, gemainen 5036, £wai 533. 555.
Charakteristisch für bairische herkunft ist eu gerade in deu.
Vereinzelte bairische eigenheiten sind: wier (=wir) 1283,
suchunde 1417, warden (pL praet.) 3386».' Aul dem gebiete des
consonantismus ist cA für /; {chomen 1011, (Magen 1009, chint
1117. 1206, welchen 2659) hervorzuheben. Vgl. auch Amers-
bach 1, 3.
8. Papierhs. der kgl. öffentl. bibl. zu Stuttgart ans dem
14. ]h. Cod. theol. Q. 98. 15 x 20, 5. 80 bll., zwischen bl. 70
und 71 ist ein kleineres eingeheftet. Die Innenseite des deckeis,
sowie je ein pergamentblatt zu anfang und ende der hs. ent-
halten einen lat. text. Bl. la Iste liber est ffis Hertnanni
ordinis theutonicor' \ domus in Giengen. Darunter schreib-
proben: vrbani vita, bmd und ein fisch (häring) gezeichnet
Unten findet sich ein a mit roter tinte, als bezeichnung der
läge, entsprechend ein c auf bl. 20 a, b fehlt.
Bl. Ib— 28 a enthält das Ev. Nie. Auf der seite stehen
30—42 Zeilen, je zwei verse enthaltend. Die schrift ist am
anfang grösser und wird gegen den schluss immer kleiner.
Die hs. ist nicht, wie Amersbach angibt, defect; sie bnn^
nur das gedieht unvollständig, beginnt mit v. 369 und endigt
mit V. 4784, worauf ein besonderer schluss von 12 versen folgt.
Darunter explicit tybery potestas und von jüngerer hand der
hexameter finis adest v'e p'dü wlt sc^ptar hfe.
Endlich folgen noch in einheitlicher schrift die folgenden
liedanfänge: 0 quam metuendus, 0 pastor eteme, 0 Margareia
cehr' virgo secreta iam (vgl. dazu Mone, Lat. hymnen des mittel-
alters s.403), 0 florens rosa. Der rest der hs. bL 28b — 80a
enthält Heinrich Susos Buch von der ewigen Weisheit. Auf 80b
stehen wider schreibproben und einige geistliche verse. —
Abgedruckt sind nach dieser hs. die verse 369 — 392 sowie die
letzten 10 schlussverse bei Mone, Anz. 7, 281 1, vers 369 — 392
auch von Massmann, Eaiserchronik 3, 595.
s schreibt vorwiegend % daneben ist ei nicht selten; statt
ü erscheint meist au: traurigen, läutert 3384. 3737. uf ist als
kurz zu betrachten. Noch mehr herscht eu statt tu: teure 722,
freunt2m, neuwen 127b. 2261, A:^^3489, leuchtet 1394, seucke
1217. 1221. 1249, eu, euch, ewer u.s.w. Der nom. sg. f. und nom.
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HEINBICH HESLEB8 EVANOELIUH NICODEMI. 93
acc. pl. des adj. stets -m (371. 460. 576 f. 4144). — ou wird
meist au geschrieben 385. 427. 1907. 3303, weniger häufig ist
ai für ei 941 f. 2910. 4165 f.
Für * erscheint oft ch (483. 527. 1097. 2256. 2312. 2554.
2577), im anlaut häufig p (468. 472. 722. 4429). Stellt man
dazu das erhaltene -wfc- {tumbe 181. 377. 503, Umbes 1781.
1787), epenthetisches 1? in dampnen 924, Tcompt 754, den Wechsel
zwischen h und w in hos 1030, beidenthälwen 383, warrabam
1295 und dem reim gelaubet : getrauwet 2379 (statt ursprfingl.
trutcet ; nuwei), so ist der bairische grundcharakter der hs.
zweifellos. Es fragt sich aber doch, ob derselbe auf rechnung
des Schreibers oder der vorläge kommt. Ich glaube das letz-
tere. Beweisend dafür erscheint mir die inconsequenz in der
Schreibung der neuen diphthonge, namentlich bei ei. Ebenso
erklärt sich da£; schwanken zwischen ei und ai, Je und ch,
wobei der nichtbairische laut vorherseht.*) Weit schwerer
wiegt aber noch die tatsache, dass ie, uo stets durch i, u, und
ae durch e widergegeben wird, und im anlaut altes d meist
unverändert erscheint: da<i 1595. 2637, drost, dauel 1361, dilget
1363, fast stets bei dun, gedan. Dem gegenüber stehen aller-
dings wol die der vorläge angehörenden formen mit t für
altes ß: trien 2332, trittem 2335. Apokope ist selten, dagegen
ist umgekehrt ein unorganisches -e beim starken praet häufig:
stunde 404, gäbe 1367, iahe 444, lose 1354, bevalhe 4661; sonst
selten: eine mensche 415.
Für alemannische heimat des Schreibers und zwar für das
Elsass könnte der häufige anlaut d sprechen, auch e für ob
würde hierher passen (vgl. Ehrismann, Beitr. 22, 290. Haendtke,
Dialektisches aus Strassburger Urkunden). Dagegen spricht
aber entschieden t, w für ie, uo, sowie die Seltenheit der apo-
kope. Weit nach Mitteldeutschland kann andererseits die hs.
aber gewis nicht gesetzt werden. Ich setze sie deshalb nach
Kheinfranken, wohin die angeführten merkmale, namentlich
auch anlautendes d sehr gut passen (vgl. O.Böhme, Zur kenntnis
des oberfränkischen im 13. 14. 15. jh.).
^) In der etwa zu derselben zeit geschriebenen streng bairischen hs.
der legende von Udo yon Magdeburg, Cgm. 5 (vgL Neue Heidelberger Jahr-
bücher 1897, s. 95 ff.) wird d, au, eu föj[ i, ü, iu, ai für e»^ ch ^k, i€,ue
Ifla ie, uo au& strengste dorchgeftthrt.
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94 HELM
p. Cod. pal. germ. 342 auf der universitpätsbibliothek zu
Heidelberg. Papier. 15. jh. 124 bll. Vgl. K. Bartsch, Heidel-
berger hss. no. 170.
Die hs. enthält das Buch der märtyrer. Zwischen der
legende der Maria aegyptiaca und dem evangelisten Marcos
steht unter dem titel der Passion auf bl. 41 <J — 64 d das Evan-
gelium Nicodemi, und zwar die verse 369 — 3790, an die sich
6 schlussyerse anschliessen. Vgl. J. Haupt, Das mhd. buch
der märtyrer, WSB. 70, 101 ff. Daselbst sind auch die verse
369 f. und 3790, 3—6 abgedruckt.
Der vocalismus von p zeigt ein eigentfimliches schwanken:
ei f&r t erscheint zwar häufig, eu für w wenigstens im pron
der 2. pers., aber trotzdem überwiegen i, iu, und ü ist geradezu
regel. Der alte diphthong ei wird meist so, seltener ai ge-
schrieben. So viel ist klar, dass nach der entstehungszeit der
hs. dieser lautstand keinem der in betracht kommenden ober-
deutschen dialekte entspricht: im bairischen war die diphthon-
gierung damals schon ganz fest, ebenso war sie im schwäbischen
zwar noch nicht herschend, aber doch schon ziemlich heimisch
(vgl. Bohnenberger, Zur geschichte der schwäbischen mundart
im 15. jh. s. 62 ff. 91 ff.). Wir haben uns also eine dialekt-
mischung 2u denken, die dadurch zu stände kam, dass ein Ale-
manne nach bairischer vorläge schrieb und deren ei, eu zum
teil acceptierte. Gegen die umgekehrte annähme sprechen die
schon bei G und s geltend gemachten erwägungen. Ueberdies
zeigt die hs. in wesentlichen punkten nichtbairischen Charakter:
es fehlt z.h.chfmk fast ganz. Auf keinen bestimmten dialekt
unter den oberd. weisen hin das fast stets erhaltene nib (iump
493, umb 1753), epenthese vonjp zwischen m und t: nempt 1449,
ßimpt 923, kompt 2872. 3060, dimpten (= dinten) 2832, und an-
lautendes p: perg 1359, prot 468, erpidmet 2195. 2596. Bestimmt
alemannisch ist dagegen cm tär ä: gewauffnei 854, slauffe 926;
dasselbe ist nicht nur schwäbisch, sondern in ganz Alemannien
beliebt (vgl Weinhold, AI. gr. § 52. 96). Ebenso ist alemannisdi
die endung -ent der 2. pers. pl. v. 569. 1121. 1451. 2756 u. a.
Enger begrenzen dürfen wir aber die heimat des Schreibers
Wol auf das nördliche Elsass^ wol schon sehr nahe dem süd-
1) Dass für d oft eintretende 6, das im elsässischen des 14. jh.'s &st
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HBINBICH HBSLEBS EVANGELIUM KICODEMI. 95
fränkischen gebiet. Zu diesem Schlüsse berechtigen uns mehrere
vocalische erscheinungen: 1) die Vertretung von altem ou, das
oft als ä, aber auch zu aü umgelautet erscheint, während
andererseits umgelautetes ou auch durch ä widergegeben wird;
vgl. hapt 897. 946. 1459. 1521. 1907. 1915, geloben 898. 1007.
1652. 1846, urlabe0 1202, verkaf 52Sy verlognen 814. 519, lauf
390, geläuß 891, frät (= freut) 3317, fräten 2750, fräden 3583.
Auf einem misverstehen eines in der vorläge stehenden neuen
diphthongen au (< ü) müssen formen beruhen wie kam (= Mm)
2554 2577, lattem 1347, lassen (= lüzen) 3255. Dies äu, ä
ist Vorläufer eines i, das heute im südlichsten teile der links-
rheinischen Pfalz bis zu einer linie Sondeimheim- Freisbach-
Edenkoben allgemein gilt (weiter nördlich herscht ä) und ebenso
an der elsässischen grenze um Lauterburg (vgl. Heger, Dialekt
der Südostpfalz, Landauer programm 1896, § 54 und karte).
In dieses zweite gebiet könnte unsere hs. fallen. Dazu würde
auch passen: 2) die erhaltung von 6 als monophthong und die
Schreibung 6 für os in i?^ hende (hcenede). Beides liesse nach
den heutigen Verhältnissen auf die gegend südlich einer linie
Jochgrim-Bergzabem schliessen, da nördlich von dieser d zuou
und ce za ei geworden ist (vgl. Heger § 11).
Femer wird im norden die heimat begrenzt durch die
linie pflp, da unserer hs. sicher pf zukommt; p ist Bxdporten
beschränkt. Diese linie zieht nach Heger § 55 etwa von
Neuburgweier nördlich an Weissenburg vorbei nach Bitsch
(vgl. Wrede, Anz. fda. 19, 103). Doch ist darauf bei dem con-
ventioneilen schreibgebrauch von pf auch in gegenden wo p
herscht, kein besonderes gewicht zu legen (vgl. auch Böhme
a. a. 0.).
Dem so gewonnenen gebiet entspricht es auch, wenn
neben -ent als endung der 2. pers. pl. auch -en erscheint:
ketten 1386. Das dem elsässischen sonst eigene anlautende d
(= germ. d) fehlt der hs. allerdings; das ist wol auf rechnung
der vorläge zu setzen.
ansschliesslich herscht, ist auch in anderen dialekten hänfig, also zn irgend
welcher localisierang nicht branchbar.
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96 HELH
W. Perg.-hs. der Wiener hofbibliothek no. 19681 (suppL
2560). 14. jh. 14, 3 X 24, 1, aber grossenteils oben oder unten
beschnitten. Auch der rand ist vielfach beschädigt, wodorch
viele versanfänge und Schlüsse verloren gegangen sind. Er-
halten sind uns nur 16 blätter, die in zwei colomnen zu je
35 linien beschrieben sind. Die anfangsbuchstaben der verse
sind über die ganze seite rot durchstrichen. Mittelgrosse rote
und grüne initialen. Rote Überschriften.
Die hs. enthält eine compilation des Ev. Nie. mit broder
Philipps Marienleben. Das uns erhaltene stück enthielt ur-
sprünglich folgende partien des Ev., die in [ ] eingeschlossenen
verse sind durch beschneiden verloren gegangen. Zur ergän-
zung füge ich auch die verse des Marienlebens (M) hinzu.
M 6577—6697. — EN 679—698. 701—714. 721—732.
735—1151 [986—993. 1021—28. 1056—62. 1091—97. 1126-
1133]. — EN 1153—1414 [1162—69. 1197—1204. 1232—391
— M 6738—39. — EN 1415—1424. — M 6748—49. — EX
1425—1444. — M 6768—6783. 6804- 6927. — EN 1464—^..
M 6930—6947. — EN 1522—1570 [1529—31. 1564—66]. -
M 6976—7112. — EN 643—652. — M 7116—17. 7120—7137.
7844—7949 mit lücken. — EN 2269—2334 [2293-96. 2329-
2331]. — M 7950—7975. — EN 3132—3330 [3166. 3201. 3237\
3334—3412. 3563—3713 [3634. 3671. 3706]. 3715— 3790 [3775 .
3791—3819. 3821—3846. 3987—4258 [4103. 4123—24. 4157-
4158. 4193]. Vgl. J. Haupt, Bruder Philipps Marienleben, WSB.
68, 198 f. Daselbst ist abgedruckt ein stück von M 6694 bis
EN 760, vom Ev. Nie. dann noch 1413—1416. Die Zugehörig-
keit von 2269—2334 zum Ev. Nie. hat Haupt, wie es scheint
nicht erkannt (vgl. a.a.O. s.201).
Der dialekt von W ist durchaus bairisch. Zwar erschein:
iy ii für ie, uo, dagegen ist die diphthongierung von 1, ü, in
streng durchgeführt, uf ist als kurz zu betrachten, ebenso
die adjectivendung nom. sg. 1 und nom. pL n., obwol die hs. dit
alte Schreibung beibehält (v. 1016. 1183. 1395). Altes ei wird
stets als ai von dem neuen ei scharf geschieden (zaichen : waichen
1175 u. a.).
Anlautend erscheint fast durchweg p, seltener t und d
(plint 1224, pischof Marienleb. 6645, paten 1442, chomen 1230).
— w für 6 findet sich z. b. in waUhasar 1388, weUebuh 3187,
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HEINRICH HSSLEBS lEVANGELIUM NICODEHI. 9?
warrabam 1295, erwolgen 1190, praefix we- 1013. 1259. 1271.
2298; umgekehrt 6 für «? in gebamet 1401, boldest 3572, ge-
loschen 3725, erberben 4202 (vgl. Weinhold, Bair. gr. § 124).
Einzeln zu belegen ist a für o (Weinhold § 21): bevar 3571,
wart 705, venvarht 4092. o für a etwas öfter 1088. 1184. 1191.
3371. Suffix -nuss wird vorgezogen (3329. 3336. 3377), ebenso
praet weste 757. 774 (Weinhold § 333). Bairisch ist auch der
svarabhaktivocal in tiligen. Leist (lägest) 1304. 1317. 3685 wird
wie treisty seist nicht als dialektisch gelten dürfen (Fischer,
Zur gesch. d. mhd.).
E. Ich bezeichne mit E die Erlanger, Ketzer und Berliner
fragmente zusammen.
Die Erlanger bruchstücke, sechs pergamentstreifen des
14. ih.'s, wurden gefunden von G. Wolff und beschrieben und ab-
gedruckt von demselben Zs. fda. 33, 115—123. Die Retzer
bruchstücke wurden gefunden 1878 von A. Schönbach und be-
schrieben und abgedruckt von demselben Zs. fda. 24, 83. Dass
sie zum Ev. Nie. gehören, hat erst Wolff (a. a. o.) erkannt.
Die von Seh. vorgenommenen ergänzungen werden durch ver-
gleich mit dem bekannten text zum teil berichtigt Die
Berliner fragmente bestehen aus drei pei^.-streifen, sie be-
finden sich auf der kgl. bibl. und tragen die Signatur Cod. germ.
4*>. 641. Nach einer vorgehefteten notiz Massmanns, die auch
abgedruckt ist in v. d. Hagens Germania 10, 104, hat dieser sie
als zum Ev. Nie. gehörig erkannt auf grund von vergleichung
mit der zu Berlin befindlichen abschrift (Ms. germ. 4^. 564), die
Hoffmann nach der Görlitzer hs. angefertigt hatte. Die von
M. angegebenen verszahlen sind zum teil falsch.
Die drei fragmente sind zum teil stillschweigend als reste
verschiedener hss. angesehen worden, von Wolff (a. a. o.) wurde
überdies auch ausdrücklich betont, die von ihm gefundenen
stücke (E) stimmten zu keiner anderen hs., auch nicht zu R,
womit sie in äusserer ausstattung, Orthographie und text viel
verwantschaft hätten. Trotzdem hat sich mir das resultat
ergeben, dass ERB zu einer einzigen hs. gehören. Dadurch
fällt ein interessantes licht auf die merkwürdigen Schicksale,
die einer hs. zu teil werden konnten.
Die Berliner fragmente gehörten zu einer hs., in welcher
Beiträge zur geschichte der deutschen sprachen XXIV. 7
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die verse in zwei columnen standen und zwischen linien ge-
schrieben waren. Beides, auch das System der linien, so weit
es noch zu erkennen ist, stimmt vollständig mit E. Hier wie
dort ergibt ein vergleich der auf gleicher linie stehenden
verse, dass jede columne 41 zeilen enthielt. Ebenso ist der
Schriftcharakter durchaus derselbe. Diese äusserlichkeiten
werden nun aufs gl&cklichste gestützt und bestätigt durch
einen merkwürdigen zufall. Zwischen den von Wolff als 1.
und 2. bezeichneten teilen des Erlanger doppelblattes fehlt
ein streifen von (je nach breite des Schnittes) 4 — 5 versen.
In diese lücke fügt sich nun das dritte der Berliner fragmente,
allerdings sie nicht ganz ausfüllend, aber in directem anschluss
an den unteren teil des Erlanger blattes; und dieser anschluss
ist so eng, dass an verschiedenen stellen, z.b. v. 3385. 3509.
4576 mit hilfe des schon bekannten textes sowol aus den zu
B wie aus den zu E gefallenen buchstabenenden der Wortlaut
zu erkennen ist. Interessant ist auch, dass das blatt am rande
beschnitten wurde, ehe der Berliner streifen abgeschnitten
wurde. Dass dieses blatt das äusserste einer quatemio war,
hat Wolff bereits erkannt; die drei inneren blätter müssen
984 verse enthalten haben, zeigen also den ursprünglichen
bestand, während S die verse 3563 — 64 auslässt, G die veree
3643—44 (nach G 3427). 3859. 60 (G 3642 ab). 3981. 82
(G 3762 ab), dagegen vier andere, 3790 ab (3573.74), 4238 ab
(4019. 20) einschiebt (vgl. unten). Die beiden ersten Berliner
streifen gehören zu dem äussersten blatt der gerade vorher-
gehenden läge, da zwischen ihnen und dem ersten der Erlanger
blätter nur 21 verse fehlen. Auf den inneren blättern dieser
läge müssten nach der Zählung von G 1144 verse untergebracht
werden; dies sind für 3 doppelblätter 160 zu viel, für 4 aber
168 zu wenig. Das richtige zeigt uns die hs. S, die in dieser
Partie 206 verse mehr hat. Wenn wir diese auch für unsere
hs. in ansprach nehmen, so erhalten wir für deren innere
blätter allerdings 1350 statt 1312 versen, es müssen also
38 verse ausgefallen sein. Dies sind ohne zweifei die verse
welche die episode von den schachern am kreuz und Longinus
erzählen, die auch in 8 an falsche stelle geraten sind. £^ ist
andererseits daraus wider zu schliessen, dass E die in S in
dieser partie fehlenden verse besass (vgl. unten).
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HEINBICH HE8LERS EVAKGELIÜBC KlCODEMt. 90
Für die erste läge der ursprünglichen hs. bleiben, falls
wir annehmen, dass sie auch hier den alten bestand gut be-
wahrt hat, 1665 yerse übrig mit einschluss oder 1297 mit aus-
schluss des prologs. Ersteres sind 15 verse zu viel für fünf,
letzteres 15 verse zu wenig für vier lagen. Zwischen beiden
mögUchkeiten ist eine entscheidung kaum zu finden.
Betreffs der Betzer stücke ist nun zunächst Wolffis angäbe
zu berichtigen, wonach bei diesen nur 39 verse in der columne
gestanden hätten. Es ergibt sich vielmehr auch hier aus den
auf gleicher zeile stehenden versen die zahl 41; es correspon-
dieren z.b. 1679 und 1720, 1720 und 1761, 8197 und 3238, 8288
und 3279, 3279 und 3320. Nur ein fall passt nicht in das
Schema, 1761 — 1800: wir müssen also hier zwei sonst nirgends
widerkehrende plusverse annehmen.
Ihrem versgehalt nach sind die Betzer fragmente dem
gleichen doppelblatte zuzuweisen wie die ersten zwei Berliner.
Sie standen über denselben, nur durch einen streifen von zwei
versen von ihnen getrennt, ebenso wie die beiden Berliner und
die beiden Ketzer streifen auch unter sich durch je einen solchen
verloren gegangenen getrennt sind. Evident bewiesen wird dies
dadurch, dass in derselben columne in R wie auch in B auf zwei
plusverse hingewiesen wird, die wir nun auf grund beider hs.-
stücke zwischen 1777 und 1800 anzusetzen im stände sind.
Die fragmente enthalten zusammen 351 verse, nämlich 0:
167»— 81. 1684—86 (1689—91. 1693—95). 1720—22. 1725—27.
(1730—32. 1735—36). 1761—63. 1766—68 (1771. 72. 1776. 77.)
1800—2. 1805—7 (1810. 11. 1814—16). 3197—99. 3202. 3 (3207
—3208. 3211—13). 3238—40. 3242—44 (3248.49. 3253.54).
3279— «2. 3285—88 (3289. 90. 3294. 95). 3320—22. 3325—28
(3330. 31. 3335—37). [3358-80]. (3388—85). [3385—94. 3400
—3420]. (3423— 25> [3426—35. 3442—50. 3454—62]. (3465—
3466). [3467—76. 3483—3504]. (3507—9). [3509—18. 4508—30].
(4583—35). [4535—48. 4549—71]. (4574—76). [4576—84. 4591
—4612]. (4615—19). [4618—25. 4631—53]. (4656—58). [4658
—4666].
£ bezeichnet nur den umlaut von a, ä, ausserdem steht
dreimal geloyben 4560. 4562, dagegen vroude 4617. t, ü werden
*) Davon die nicht eingeklammerten in B, die in ( ) in B, die in
[lin£.
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100 fiELM
nicht diphthongiert, iu meist zu ü reduciert (3197. 3322. 3475.
3495), doch auch iuch 1768. 3518. In den unbetonten end-
silben ist i sehr häufig (1802. 1811. 3202. 3406. 3470. 4637),
ebenso in ir- 3233. 3514. 4631. 4645. In betonten silben er-
scheint dagegen umgekehrt gern e für i: acc. des pron. en 3229.
3240, dat. pl. en 3408. 4537, aber auch oft ie : tvier 3451, hien
3335, hiemeU 3211. 3364 (Weinhold, Mhd. gr. § 115).
Ebenfalls md. ist der consonantismus und die flexion.
h fällt im auslaut ab: na 3376. Das pron. der 3. pers. heisst
her, seltener he (4537) und hie (4513); der artikel dagegen
stets der. Das Possessivpronomen der 2. pers. plur. ist stets
unse: unsis 3392. 3454. — Die 2. pers. sg. praes. endet auf
-es 4544.
Eine genauere localisierung der hs. innerhalb des md.
gebietes ist darnach nicht möglich, wahrscheinlich gehört sie
dem östlichen Deutschland an.
M. 4 zerschnittene perg.-bll. zu München. Cgm 5249, 55 b.
Die fragmente wurden nach angäbe Roths (Denkmähler der
deutschen spräche vom 8. bis zum 14. jh., München 1840, s. xv)
im jähre 1838 von dr. Reuss zu Heidingsfeld (vgl. Bavaria 4,
1,427) entdeckt und durch bibliothekar Maier nach München
gesant. Die hs. ist zweispaltig geschrieben, die verse sind
nicht abgesetzt, aber durch punkte abgeteilt.
Roth glaubte ein stück einer Veronicalegende, eventuell
auch einer Pilatuslegende oder eines Passionais vor sich zu
haben. Er setzte die fra^ente ins 12. statt ins 14. jh. Ab-
gedruckt sind sie von ihm ebda. s. 103 — 105, aber weder diplo-
matisch getreu, noch fehlerlos, ausserdem in falscher reihen-
folge. Die richtige folge ist: Ib (4035—59), la (4109-35),
4a (4238b— 4840), 3a (4261—65), 4b (4265—71), 3b (4289—
4294), 4c (4294—4300), 3c (4315—19), 4d (4319—25), 3d
(4339—43), 2a (4343—68), 2b (4521—48). Stück 3 und 4
gehören zu ein und demselben blatt, das direct vor 2 lag.
Eine der hs. beiliegende abschrift, überschrieben Hettinges-
velt 1838, also wol von der band des dr. Reuss, hat das bestreben
diplomatisch getreu zu sein, aber ohne erfolg. Auch die er-
gänzungsversuche sind zum teil nicht geglückt, die reihenfolge
ist auch hier falsch. Der abschreiber vermutet Zugehörigkeit
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HEINRICH HESLERS EVANGELIUM NICODEin. 101
zum Passional und verweist auf das bei Mone, Anz. 6, 400
abgedruckte stück als eine verwante dichtung.
Der dialekt ist md. Es fehlt der umlaut von 6, uo, ou:
storit 4154, horinde 4269, vratide 4242, vuoein 4435; für iu er-
scheint u in rutven 4055, getruwen 4822; einmal i für ei: vresches
4036; dagegen stets ie, uo, — i ist regel in den praeflxen ir-
4045. 4050. 42901 und vir- 4046. 4049. 4345 und in den endungen
wandir 4038, tcerbin 4039, sterbin 4040, tmdir 4113, achirs 4239,
lasine 4129. Das pron. poss. der 2. pers. heisst unse, unsis 4127.
4324, dagegen steht stets er, nie her, he. Localen Charakter
hat keiner dieser punkte; zweifelhaft ist dies auch für ui in
virtmic 4325, das von der Wetterau bis Thüringen, aber auch
in Mittelfranken belegt ist (Weinhold, Mhd. gr, § 127). — Auf-
fallende Schreibungen sind: geVn 4135, seVn^ 4110, steVn 4267.
K. In einer papierhs. aus dem kloster Thennenbach, jetzt
auf der hof- und landesbibliothek zu Karlsruhe (sign. Th. 10),
vgL Längin, Deutsche hss. der hof- und landesbibliothek zu
Karlsruhe s. 102, no. 180.
1*. 2*. 180 bll. Auf la von späterer band Vocdbularia
magistri EngeJhusen, darunter mit bleistift sunt quattuor lati-
num, graecum, hebraicum, teutonicum 1462, Am Schlüsse der
hs. ist ein pergamentblatt mit unserem fragment verkehrt ein-
geheftet. Es enthält die verse 1572—1692 und gehört in den
anfang des 14. jh.'s. Die verse sind durch punkte abgeteilt,
aber nicht abgesetzt. 25 zeilen stehen auf der seite. Das
fragment ist abgedruckt von Mone, Anz. 4, 326. Derselbe setzte
es irrtümlich ins 12. jh.
Der dialekt der fragmente ist durchaus md. Wir finden
keine diphthongierung, ü für iw {cruce 1578), o für wo : zo 1573.
1592. 1606. 1629, gode i631, vort 1644 (wo nur in huohen: gruoben
1617), e für ie in nemcm 1586, sonst ie-, o erscheint für u vor r:
dorch 1660, worphen 1612, worde : borde 1661. i f ür e in neben-
silben ist selten; abgesehen von praefix ir- 1649. 1652 steht es
nur in nichein 1598; e für i in mer 1640. Der artikel hat stets
die form die 1583. 1635. 1688 oder de 1574. 1606. 1688 f. 1691,
nie der; das pron. der 3. pers. ist her 1575. 1591. 1664. Stets
steht sal, aber von 1600. 1615.
Besondere beachtung verdienen folgende erscheinungen: ou
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102 HELM
für ö in vouk 1581, für wo in bhudig 1664; uo f&r 6 (< *au)
in gruojs 1622 (Weinhold, Mhd. gr. § 131), ei für ie in t?«rac
1644, lei0 : Am 1666, deit 1651, ei für e in 5<ei^ 1650 (ebda. § 335).
e für ei in 5«c;e£f 1666. Alle diese fälle, die vereinzelt freilich
im ganzen md. gebiet vorkommen (ansser gruoß, vgl Anz. fda
19, 348) weisen zusammengenommen mit bestimmtheit auf Mittel-
franken als heimat des fragmentes hin. Aach heven 1665, ge-
ioeven 1608 stimmen dazu. Einen weiteren anhalteponkt kann
dich statt dir 1645 gewähren. Zu dem von Behaghel, Genn.
24, 28 in seinen grenzen fixierten wieÄ-land gehört von Mittel-
franken nur ein sehr kleiner teil, nämlich der schmale streifen
der eingeschlossen wird durch die hd.-nd. grenze einerseits und
die linie München-Gladbach- Jülich- Aachen-Eupen andererseits.
Hier könnte also K wol entstanden sein. Auch ein to (= jsuo)
das dem Schreiber v. 1576 entschlüpfte, hätte hier so nahe dem
nd. wenig auffallendes. Ebensogut kann man aber annehmen,
der Schreiber sei — wenn er sich hier auch der mittelfränk
mundart bediente — seiner heimat nach doch selbst ein Nieder-
deutscher gewesen.
r. Mehrere pergamentstreifen des 14. jh.'s, von Piper ab-
gedruckt Zs. fdph. 19, 318—321. Sie enthalten die verse 3689
—3697 (doch vgl. unten). 3718—26. 3745—53. 3775—83. 4043
—4051. 4072—80. 4101—9. 4130—38. Nach einer mitteüung
herrn prof. Pipers lagen sie einst ohne bibliotheksbezeichnung
lose in der hs. 6. Da sie dort nicht mehr sind und auch die
Verwaltung der bibliothek der Oberlausitzer gesellschaft keine
kenntnis von ihrem verbleib hat, so dürften sie wol nicht mehr
aufzufinden sein.
Die fragmente sind md. i ist nicht diphthongiert, für tu
steht ü (3749. 3777), einmal ie für i (Weinhold, Mhd. gr. § 115):
siet : ziet 3752; vgl. auch K.v. Bahder, Ueber ein vocalisches
Problem des md. s. 41. Dazu ist noch zu beachten: sal 3690,
bevoln 3778, gehart : gelart 3749, her 4133. 4135, unsem 4137,
praefix ir- illl. Enger begrenzen lässt sich nach diesen spär-
lichen resten die heimat natürlich nicht.
m, Heinrich von München hat in seiner fortsetznng von
Eudolfs von Ems Weltchronik auch partien unseres gedidites
wörtlich übernommen. Die verse desselben sind untermischt
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HEIKBICH HESLER8 EVANQELIÜM NICODEMI. 103
mit solchen aus dem Passional. Sie finden sich gedruckt bei
Massmann, Kaiserchronik 3, 611 ff. v. 193 f. = Ev. Nie. 4619 f.
(G 4401 f.), 215—228. 23a-236 = Ev. Nie. 4631— 48 (G4413
—4431), 293—322 = Ev. Nie. 4651— 74 (G 4433— 56), aber in
der letzten partie in v. 297 1 310—12. 316—18 stark geändert.
2. Das handsohriftenTerhältnis.
Die sämmtlichen hss. zerfallen in zwei gruppen y und z.
Zu y gehören EES, zu z dagegen MGpsW/te. Innerhalb
dieser gruppe gehören zunächst p und s und dann diese mit G
wider enger zusammen. W und F nehmen eine Sonderstellung
ein, indem sie auf zwei verschiedene hss. zurückgehen. Die
hss. der gruppe y stehen wol auf gleicher stufe; vielleicht sind
noch weitere Zwischenglieder einzuschieben, die wir jedoch nicht
erschliessen können. Wir erhalten demnach folgendes Schema:
RES
G z^ m
8 p
w r
A. Die hauptgruppe z.
I. Die grnppe z^
1. Flusverse. Durch solche lässt sich diese gruppe nicht
sicher begründen, wenn auch gegen die verse 2803 f.*) (2595 f.)
(dine tongen zu sagene,)
die du in der heUe hast getan
vnd nf der erde hast began
wol bedenken entstehen könnten. 8|e könnten als einfügung
zur erklärung des Wortes tougm aufgefasst werden; denn
dass dieses der gruppe z^ nicht geläufig ist, zeigt v. 3095
(2881), wo tougender in zu gender geändert wurde. Diese auf-
fassung liesse sich damit begrflnden, dass der Inhalt der verse
0 Die verszahlen beziehen sich anf den nach sämmtlichen hss. her-
gesteUten text. Die zählnng von G (Piper, Geistl. dichtnng 2), die erheblich
abweicht, ist in klammer daneben gesetzt, wo es der orientiernng wegen
geboten schien.
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104 HELM
sich mit dem bericht der kinder nicht deckt; denn diese er-
zählen nur von Christi taten in der hölle. Derartige nngenaoig-
keiten sind aber in der ganzen mhd. literatur zu häufig, als
dass besonderes gewicht darauf gelegt werden dürfte. Anderer-
seits entspricht der parallelismus im ausdruck der verse ganz
der Schreibart des Verfassers.
Schwerer wiegen die bedenken gegen v. 787 f. PiUUus
was uf gestan und von dem gerichte gan. Diese zerreissen den
ganzen Zusammenhang und werden nur durch die von G vor-
genommene änderung in v. 795 1 dae chlagten sie dem bischofe
und dem richtere statt daa clagten die bischove PHato dem rihtere
einigermassen verständlich. Grewisheit ist leider nicht zu er-
langen, da ausser Gsp in keiner hs. die partie erhalten ist
Da aber der ganze bericht über Christi gefangennähme aus
der bibel und den angaben des Ev. Nie. contaminiert ist und
dadurch an grosser Unklarheit leidet, so ist es immerhin mög-
lich, dass auch diese beiden verse im original standen« Sie
sind deshalb im text beibehalten worden.
2. Aenderungen von zK Sie bestehen zum teil in be-
seitigung dialektischer ausdrücke; z^ hatte offenbar wie die
hss. Gps bereits mehr oberdeutsches gepräge. Ausserdem sind
ungewöhnliche ausdrücke und misverstandene Wendungen ge-
ändert.
y. 552 f. in dem abschnitt über das geistliche schwert.
schreibt S ganz sinngemäss dae kan nieman gesalben swae dcus
swert vorseret, woran sich dann v. 554 — 56 ganz logisch an-
schliesst, gegen wen sich diese fürchterliche waffe wenden
soll. z> ändert v. 552 so lat die eungen salben . . . , wodurch
die beschreibung der f urchtbarkeit des Schwertes gänzlich ab-
geschwächt wird. G gelangt durch Umstellung von v. 553 f.
dann zu völligem unsinn. — V. 1486 z^ ändert bekom in be-
tören, — V. 1808 (1806) ändert z^ das sonst nicht belegte tin-
dsrben (untüchtig machen) in das gewöhnliche verderben, ebenso
V. 1949 (1947) jnht in smertzen, — V. 2280 (2072) hat z» bewart
in behütet geändert. Dass bewart ursprünglich ist, wird durch
S erwiesen, das zuerst nur wart schrieb und dann nachträglich
be- einflickte; es stand also gewis so in y. — V. 2441 1 (2233 f.)
und gaben in schatees also vil und buten in bi des todes eil ,,.\
z^ beseitigt in 2442 den ungewöhnlichen ausdruck und schreibt
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HEINRICH HE8LEB8 EVANGELIUM NICODEMI. 105
dajs si des nemen one eil. — V. 2603 (2395) ich versack mich
daz ez Crist was; sich versehen in der bedeutung 'übersehen',
die aus Jeroschin und Ludwigs kreuzfahrt zu belegen ist (Mhd.
wb. 2, 279b). Dafür setzt z« ich versan mich. — V. 2727 (2519).
Hier schreibt z» ruoret statt höret, das sicher dem original zu-
kommt. Der Widerspruch zwischen diesem vers und dem fol-
genden si ensprechen aber niet, der S zur tilgung von man in
V. 2727 veranlasst hat, scheint ja allerdings sehr gross, er kommt
aber nur auf rechnung einer ungenauen widergabe der quelle,
wo ausdrücklich steht (Descensus 1, vgl unten): et quidem
audiuntur clamantes, cum nemine autem loquentes. Der
unterschied zwischen schreien und sprechen kommt im deutschen
text nicht zum ausdruck. — V. 2768 (2560) ftetor» durch ruoren
ersetzt, vgl. v. 1486. — V. 2846 (2636). Hier und an allen
anderen steUen ersetzt z^ das md. dustemisse durch vinstemisse,
vgl. 3156. 3194. 3291. — V. 3041 (2829) claffen in dagen ge-
ändert. — V. 3095 (2881) zu gender statt tougender, vgl. oben.
— V. 3460 (3244) von Jesus Cristi zorne; die lesart in z* von
unses herren zome passt nicht in den mund des teufeis. —
V. 3519 f. (3303 f.). Der psalmtext ist in z^ verdorben; S hat
den richtigen Wortlaut = Desc. 8, 1. — V. 4167 (3947) S um
er des menschen arbeit in der helle also bedechte\ z^ schreibt
in der weit — V. 4483 (4265) S schreibt gewis ursprünglich
(du bist) so riche und also creftic \ und dar zu also mehtic; z^
ändert wol des reimes wegen so riche und also mehtic \ din
land ist so trehtic \ an heleden ... — V. 4651 1 (4433 f.) und
liez in Syrien \ grafen, vorsten, vrien; z^ schrieb, da es die
stelle nicht verstand und liez vaste schrien \ nach grafen . . .
— V. 4742 (4524) ersetzt z* den ausdruck ze der cristenheit
vahend durch ze der er. gahend.
3. In z^ fehlende verse. Wenn auch im allgemeinen
das fehlen von versen nicht dieselbe unbedingte beweiskraft
a priori hat wie ihre zufügung, so lässt sich doch bei einzelnen
versen nachweisen, dass sie schon in zi ausgefallen sind.
V. 3644 1 S daz du bist worden als unser ein \ glich luter
sam ein Spiegelglas fehlen in z^Gps. Um den reim auf v. 3643
herzustellen, ist aus v. 3647 der artikel vorausgenommen du
hast fror, wan ich was ein \ diep und . . . Ein solches aus-
einanderreissen von artikel und nomen ist sonst bei uns nirgends
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106 HELM
ZU belegen. Die änderung geht sicher auf z* zuräck, da es
nicht denkbar ist, dass mehrere hss. selbständig eine so harte
construction gewählt hätten. — V. 3859 f. (zwischen G 3642 f.)
S un ratet mir]
war mir nn schire werde ein man
die zn miner suche kan
[mir itteswaz geraten . . .
Die yei*se sind in z^ jedenfalls nur durch einen zufall aus-
gefallen, vielleicht wollte der Schreiber sie noch einfügen, ver-
gass es aber; anderenfalls hätte schon z' den vers 3861 (3643)
passend ändern müssen, während G und s selbständig ändern.
— V. 1635 f. (G zwischen 1634 und 1635). Die stelle 1633—36
ist = 2071—74. Wir haben keinen grund anzunehmen, dass
sich ursprünglich nur 2 verse widerholten. Anders läge der
fall, wenn die andere stelle vorausgienge; man könnte dann
annehmen, dass der Schreiber von S die vollständige stelle in
erinnerung hatte und sie deshalb nochmals ganz schrieb; dies
ist hier aber unmöglich, da er sie noch nicht geschrieben hatte.
— V. 3981 f. (G zwischen 3762 und 3763). Die lesart von S
(daz sie in yiengen
und an ein crace hingen)
8981 nnd giengen an Pylaten
scheint einen Verstoss gegen die logische reihenf olge zu enthalteit
Doch ist dies für das original keineswegs undenkbar. Ausserdem
enthält v. 3982 vil iure si in baten eine im gedieht sehr häufige
phrase (vgl. v. 1441). — V. 1959—2164 (G zwischen 1956 und
1957) sind sicher auslassung von z^ da sie durchaus den Cha-
rakter der Heslerschen darstellungsweise tragen. Man ver-
gleiche die folgenden verse: 2037 = 1613. 2071—74 = 1633
—1636. 2156 = 1149. 4255. 4979. Zu v. 2047 vgl. auch verse
der Apokalypse, Danziger hs. blatt 76 d. 85 a. 115 c.
4. Weitere gliederung der gruppe zK — Die hss. s
und p gehen innerhalb der gruppe z> wider auf eine nähere
gemeinsame vorläge zurück: z\ Dieser gehört z.b. der schluss
der episode von Lucius und Karin an, wie er hier lautet:
dir Bol al menschlich knnne wen dn bist lobebeere;
dienen immer mere; hie endet sich daz msere
dir si lop nnd ere (vgl. unten).
Ohne beweiskraft, aber immerhin bemerkenswert, sind folgende
in beiden hss. fehlenden verse:
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HEINBICH HB8LEBS EVANGELIUM KICODEMI. 107
559 f. (er gienc)
an sin heimlich geberc
zn Oliyete nf den berc.
Y. 583 1 mit blutigem swaissze do gieng er cLgeleize fehlen an der
Urnen zukommenden stelle in p und s. Sie scheinen in z' etwa
am rande, ond zwar entstellt, gestanden zu haben. Unter diesen
mnständen kann man wenigstens die yon s nach y. 598 ein-
geschobenen verse er was betruhet in angsten heia \ er switeet
blutigen sweis als einen niederschlag der ursprünglichen lesart
betrachten.
Gemeinsame änderungen von p und s, also von z^ sind:
V. 1766 (1764) ich werde noch din inbisse; y. 2363 (2155) lieht
statt liuhtnisse, das noch in z^ stand; denn G ändert selbständig
in glast; y. 3072 (2858) ist hellewirten (GS) in helle fursten
geändert; y. 1946 (1944) das ebenfalls durch GS bestätigte
envarhten in geharhten.
Abgesehen dayon ändern p und s noch sehr yiel einzeln.
Wir sehen von den yielen yerdorbenen und willkürlich ge-
änderten stellen ab und beschränken uns auf die differenzen
im yersbestand. Es fehlen in p noch die yerse 1609. 1835.
23701 2958. 3379—82. 3395 f. 34231; in s 461 f. 2743 t 3429
-3432. 3726. 3757. 3836. 4033 f. 43711 44511 44611 4546.
46851 Plusyerse in s sind 3744ab. 4228ab. 4254ab.
Die hs. G kann direct oder indirect auf z* zurückgehen;
sie hat ebenfalls für sich noch eine beträchtliche zahl yon
änderungen eintreten lassen, wo z^ das ursprüngliche bewahrt
hat; dazu gehören die Umstellungen 5531 28131 34351, die
plusverse 3790ab, die fehlenden yerse 1721. 28251 30591 33531
50631 5085—5132. 5151—5240. 5271. Inwieweit die grossen
anslassungen am schluss, über die unten noch gehandelt werden
soll, G oder schon z^ angehören, ist nicht zu entscheiden.
Die Zugehörigkeit der hs. W zu z^ wird erwiesen durch
die lesarten in y. 2280. 3156. 3194. 3291. 4167. Dazu stimmt
aach das fehlen der yerse 36441 Auch die fraglichen yerse
28031 hat W mit z» gemein. — Selbständige wichtige ände-
rungen hat W nicht yiel; nur die plusyerse 1414ab. Durch
ein versehen des Schreibers sind ausgefallen die yerse 3230.
3331 1 4182 1 V. 4205—7 sind in einen yers zusammen-
gezogen. — Innerhalb der gruppe z> nimmt W eine ganz
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108 HELM
eigenartige Stellung ein. Es teilt mehrere bedeuiiende ände-
rungen mit s gegen alle anderen hss. (auch gegen p), z. b.
die Umstellung der verse 777 und 778, 4035 und 4036, 4047
und 4050, und die plusverse 3744ab. 4228ab. 4254ab. — Da-
gegen steht W in anderen punkten entschieden zu G gegen s.
So V. 3694 (3476) ieweder die schrift sine \ gaben den luden do \
Josepn und Nicodemo. Gegen Ssp . . . gah die sine \ schrifl ir
ein Nicodemo \ der ander Josepe do. Ebenso stimmt W mit G
in V. 3726 (3508), der in s fehlt, und in einer reihe von anderen
stellen, die in s verdorben sind.
Der einzige ausweg ist hier die annähme, dass W nach
mehreren hss. gearbeitet ist, jedenfalls nach zwei die den hss.
G und s sehr nahe standen. Gegen diese annähme ist prin-
cipiell nichts einzuwenden, da solche fälle auch sonst nachzu-
weisen sind.0 ümsomehr ist dies jedoch glaubhaft bei einer
hs. die nicht schlechthin eine abschrift ist, sondern das resultat
einer contamination (vgl. oben) mit einem anderen und vielleicht
noch einem dritten gedieht (vgl. die verse 96. 11—12 der hs^
die weder dem Ev. Nie. noch dem Marienleben angehören).
Gerade ein compilator kann am ehesten mehrere hss. zu rate
gezogen haben. Vielleicht ergibt sich für die dem Marienleben
angehörenden paitien ähnliches.
Einiges licht auf die arbeitsweise des compilators kann
vielleicht die fassung des oben schon kurz berührten Schlusses
der Luciusepisode werfen. Gegen die vier in z* stehenden
verse hat S hier nur dienen immer mere \ hir endet sich dag
m(ßre\ G dagegen dienen immer mere \ lop dir vater herre.
Für das original wird durch alle hss. nur der erste vers 3691
(3473) gesichert, durch S und z* aber der zweite in S stehende;
er muss also auch in der vorläge von G (zi) gestanden haben.
In z* wird aber auch die vorläge für den vers G 3474 gesacht
werden müssen, denn der anklang zwischen diesem und dem
zweiten vers in z^ ist evident. Die differenz zwischen den
einzelnen hss. erklärt sich nun leicht, wenn wir annehmen,
dass der vers hie endet sich dag moMre in z^ als randbemerknng
stehen blieb. G übernahm dann einfach die stelle aus z\
') Vgl. den Nibelnngentext Db, die Tristanlis. B (rgl. Paul, Beitr. 1,
809), die prosafasBung der Minneburg (vgl. Ehrismann, Beitr. 22, 2d0y.
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BEnmiCH HE8LEBS fiVAKGELIUH KICODEHL 109
indem es den vers am rande wegfallen liess; z^- aber nahm
diesen wider in den text auf und ei^änzte das zweite reim-
paar. Die lesart in W dienen immer mere \ den du bist lobe-
beere kann nun freilich direct durch Streichung aus s hervor-
gehen. Es entspricht aber nicht der strenge, mit der sonst
W sich an seine vorläge hält, eigenmächtig eine solche ände-
rung vorzunehmen. Den ausschlag gab wol doch erst das
beispiel von G, wo der vers hie endet sich daa mcere, der ja
wol in erster linie anstoss erregte, ebenfalls beseitigt war.
Die Görlitzer fragmente r stimmen im einzelnen teils
zu s gegen G, so v. 4049 1 (3829 f.), teils zu G gegen s v. 3694.
3726 (3476. 3508); aber stets gehen sie dabei band in band
mit W, so auch im schluss von Lucius und Karins bericht.
Sie können deshalb vielleicht als reste eines zweiten exemplars
des compilationswerks betrachtet werden. Vielleicht liegt die
Sache aber auch so, dass der compilator von W gar nicht
zwei hss. des Ev. Nie. vor sich hatte, sondern eben die hs.,
deren Überreste r darstellen. Bei dem gelingen umfang der
fragmente ist dies nicht zu entscheiden. Sicherheit könnten
wir aber, auch wenn von r mehr erhalten wäre, nur be-
kommen, wenn wir uns durch den augenschein überzeugen
könnten, ob nicht r jünger als W ist. Diese möglichkeit ist
uns durch den Verlust von r benommen.
Die hs. welche Heinrich von München (m) benutzte, ge-
hörte ebenfalls zu zK Dies ist dadurch erwiesen, dass in
V. 4651 (4433) der fehler da hiez er vaste schrien mit ab-
geschrieben ist.
Dass Heinrich von München und nicht Hesler das plagiat
begangen, bedarf keines weiteren nachweises.
IL z^ nnd M.
Die Münchener fragmente zeigen mit G eine reihe gemein-
samer lesarten, vor allem aber haben sie mit Gs die plusverse
nach 4238 (4018) gemeinsam. Das original hatte dort 4237 f.
er tete dag in der kaiser hiez \ der wind in über mere sties.
Diesen ungewöhnlichen ausdruck umschreibt GMs breiter an
das mar er sich geliee \ der wind in über fuorte\ \ alz er daz
stat ruorte \ ze Äckirs . . . (vgl. auch Amersbach 1, 5). Als eine
hs. der gruppe z^ ist aber deshalb M doch nicht zu betrachten;
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110 HELM
dem widerspricht, dass sie doch in manchen einzelheiten dem
original näher steht; y.4351 (4133) hat sie wol (als einzige
hs.) die ursprüngliche lesart verchviant beibehalten (G verck-
hunt : S rechte viant). Ausserdem ist ihr Charakter nicht wie
der aller anderen hss. der gruppe z^ oberdeutsch, sondern md.
Ich setze sie deshalb mit z^ auf gleiche stufe und nehme an^
dass sie eine abschritt (und zwar die bessere) einer auch z^
zu gründe liegenden hs. z ist. Es ist natürlich möglich, dass
die eine oder andere der für z* festgestellten änderongen be-
reits in z stand, doch lässt sich dies des geringen nmfanges
von M wegen nicht feststellen. Im allgemeinen ist übrigens
gewis z von änderungen noch frei geblieben.
B. Die hauptgruppe y.
Hierher gehören SEK. Von der grössten bedeutung für
die begründung dieser Zusammengehörigkeit sind die verse 1847
—1884 (1845—82), die in S nach v. 2242 (2034) stehen.^ Was
Wülcker (a.a.O. s. 47anm. 118) hierüber sagt, ist unrichtig;
denn erstens ändert nicht s gegen 6 und S, wie dort angegeben
ist, sondern GspW stimmen gegen S überein. Zweitens steht
nirgends die erzählung von Longinus nach der von den
beiden schachern, sondern in allen hss. unmittelbar davor, wie
in der quelle Gresta gruppe D cap. 10 (s. unten), abweichend
von der biblischen reihenfolge. Die änderung in S besteht
nun darin, dass die ganze partie (also beide episoden) aas dem
Zusammenhang gerissen und später eingefügt werden, nachdem
schon vorher v. 2191 (1983) Christi tod berichtet wui'de. Der
grund der Umstellung ist klar: dem Schreiber fiel ein, dass in
der bibel die Longinusepisode erst nach Christi tod steht: diese
reihenfolge wollte er herstellen, und dabei geriet auch die
episode von den beiden schachern am kreuze an die falsche
stelle. Dass der Verfasser aber mit absieht Longinus bereits
vor Christi tod einführt, beweist v. 1848 (1846) sines todes was
im ger. In diesem sinne fasste das mittelalter den sperstich
überhaupt oft auf, so auch der dichter der Erlösung, der ihn
zwar nach Christi tod berichtet, aber ihn glaubt dadurch er-
klären zu müssen, dass er sagt (v. 4920 ff.), Longinus habe
^) Enthaltend die episode von Longinns und von den beiden Bch&chera.
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HEIKBICH HESLEBS EVANGELIUM NICODEMI. 111
geglaubt Christus lebe noch und habe seinen tod beschleunigen
wollen (vgl. Walther von der Vogelweide 37, 14). Man war also
weit entfernt von irgend einer symbolischen auffassung der
handlung.
Dieser Umstellung gegenüber erhebt sich nun die frage, ob
sie auf rechnung von S selbst oder einer vorläge kommt; und
im engsten Zusammenhang damit steht die frage nach der
Stellung der hs. E. Wir haben oben gesehen, dass dieser
zwischen v. 1816 (1814) und 3195 (2983) gegen den bestand
von S 38 verse fehlen, d. h. gerade so viel als in S umgestellt
sind. Es ist kaum anders denkbar, als dass dies dieselben
verse sind.*)
Dann ist aber ein Zusammenhang zwischen ihrem fehlen
in E und der Umstellung in S kaum von der band zu weisen ;
namentlich da in beiden hss. die episode von den schachern
mit der Longinusepisode das gleiche Schicksal hat, obwol eine
innere beziehung zwischen beiden nicht besteht. Man wird
sich die sache wol so vorstellen können, dass die vorläge y,
auf die also auch E zurückgehen muss, die verse noch an der
richtigen stelle hatte, aber mit einem verweis, dass, sl^ an
eine spätere zu setzen seien; dies fährte S aus, E hatte die-
selbe absieht, übei-sah aber später die stelle, auf die hin-
gewiesen war.
Amersbach aber hat E, das er allerdings nur nach den
Berliner fragmenten kannte, eine andere stelle angewiesen auf
grund von plusversen die es mit GrSt gemeinsam habe. Es
sind dies die verse 3213 f. (2999 f.). Die stelle lautet:
also wurden die sele von dem alten Bchimele
adam ynde abele der hitze nnd des yrostes
ynd al den snnden meligen des swartzen beches rostes
gelich den vil seligen gewaschen und gereinet,
heiligen da zehimele
^) Eine andere geschlossene partie von 88 versen ist v. 2205— 2242
(1997 — 2034)i wo zwischen tod und begrftbnis Jesu eingeschoben wird, wie
der teufel sich als überwunden erkennt und in der hölle verbirgt. Dies
gehört scheinbar nicht hierher, ist aber in v. 2214— 16 (2006—8) doch so
gut motiviert, dass einem Schreiber, der nicht ganz willkürlich verfuhr,
kein grund gegeben war, die partie zu streichen. Bei der gute der hs. E
ist übrigens gar nicht daran zu denken, dass deren Schreiber selbst verse
absichtlich zugesetzt oder ausgelassen hätte.
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112 HBLH
Es ist klar, dass unter dem alten Schimmel zunächst jedenfalls
die Sündenflecke verstanden werden können, und es lag deshalb
nahe, die beiden verse als misglückten erklärungsyersnch eines
Schreibers anzusehen, der das nicht mehr verstand. Dem wider-
spricht aber, dass die verse ganz den stil Heslers verraten, und
zwar einen der markantesten züge: die zusammensteUung von
gegensätzen in einen vers, vgl. 3355 (3139) an vrost und tm
hitge. Auch die fortführung der aufzählung in einem zweiten
vers ist ganz der diction Heslers angemessen, der eine gewisse
falle des ausdrucks liebt. Der dichter hat also offenbar selbst
schimel als den schmutz der hölle gefasst, der denjenigen an-
haftet, die so lange sich dort geheimet haben.
Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei zwei anderen
versen, die in E zwar nicht überliefert sind, aber auf grund
des umfangest) der spalten ihm zugeschrieben werden müssen,
und die in S fehlen; v. 3301 f. (3087 f.) in folgender steUe:
der arge rouk des nebeles da warp ein wint enzYschen
des piches vnd des swebeles den seien ynd den geisten
zu gienc die für irloschen, den minsteu ynd den meisten.
Auch' hier ist ganz durchsichtig, wie S dazu kommen konnte,
die beiden verse auszulassen. Auch ohne sie geben die vorher-
gehenden einen klaren sinn: ein wind erhob sich inmitten des
rauches und nebeis und vertreibt sie; ja es konnte so scheinen,
als brächten die letzten beiden verse ein gar nicht hierher-
gehöriges motiv: die Scheidung der seelen in zwei gruppen
gewaltsam und störend hinzu. Dies war wol die Überlegung
des Schreibers von S. Damit ist aber in die verse ein sinn
hineingedeutet worden, der ihnen sicher nicht zukommt; es
soll nicht eine Scheidung der seelen angedeutet, sondern
nur gesagt werden, dass sich nun an stelle der hitze und des
rauches ein frischer wind mitten unter allen seelen und geistern
ohne unterschied woltätig erhob. Den ausschlag dafür gibt
auch hier wider die schon oben besprochene für Hesler cha-
rakteristische ausdrucksweise. Man vergleiche zu dieser stelle
noch speciell aus der Apokalypse (Danziger hs.) folgende verse:
auf 85 c den besseren noch den losten \ den nidersten noch den
hosten, 86 b der liberen und der unmersten, 93 c die minneren
>) Die betr. spalte Mtte sonst nur 39 verse.
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HEINBICH HESLEBS EVANGELIUM KICODEBH. Il3
und die meren, la (v. 19) du wutrde nie minner noch merer, \
echtiger, unser noch herer, \ nie jsomiger, nie haz getnut, \ wen
du bist immer gliche gut (weiteres über parallelen zwischen
Ev. Nie. und der Apokalypse s. unten).
Die abweichungen die S vom originale zeigt, sind nament-
lich eine reihe fehlender verse. V. 1581 f. als ursprünglich er-
wiesen durch K und zK — V. 3213 f. als ursprünglich erwiesen
durch E und z\ dazu treten noch folgende verse, die wir dem
versbestand nach für E ansetzen müssen (vgl. oben) und die
dann ebenfalls gesichert sind: 1875 f. (1873 f.). 18911 (18891).
23291(22211). 26491(24411). 2797—2800(2589—2593).
33011 (30871). 35631 (33471). Bei allen diesen (vgl. spe-
ciell V. 3301 f.) kommt hinzu, dass sie inhaltlich und formell
keinen grund zu bedenken geben; dasselbe gilt von v. 4887 1
(46691), der durch E nicht gestützt werden kann, da dieses
nicht so weit reicht. V. 4751 1 (4533 1) ist deshalb unbedingt
nötig, weil sich sie in v. 4753 auf v. 4751 bezieht. Directer ist
die ursprünglichkeit folgender verse zu erweisen. V. 3543 1
(3327 1) du nimest unser missetat und tu>st unser sunden rat
Sie sind gesichert durch die quelle Desc. 8 Quis deus sicut tu,
auferens iniquitates et transgrediens peccata . . , absolvis
omnes iniquitates nostras et omnia peccata nostra demer-
sisti. V. 4947 1 (4729 f.) {hat uch erloset Jesus Crist) von den
geisten hosen, so soldet ir in ouch losen (von disen unreinen
geilten). Das überspringen der verse wird durch die grosse
ähnlichkeit zwischen v.4947 und 4949 leicht erklärt.
Aenderungen im ausdruck in S sind sicher folgende.
V. 1796 (1794) Sit sagte dar an Pilate \ den virten ort mit rate,
S schreibt so drate. Der sinn ist aber: Pilatus setzte an das
wie ein T gebildete kreuz das vierte ende mit rate, d. h. mit
der absieht die inschrift anzubringen. — V. 2983 (2771) ist in
S verdorben. — V. 3368 (3152) steht das woii: disem ' Sauerteig'
in GW und ausserdem in E (s. unten); es gehörte jedenfalls
dem original an und wurde von S nicht verstanden. — V. 4494
(4276) ein büd und eine frouwen von S geändert in da von
din suche sal ruowen. Der folgende vers daz also Jesus ist
gestalt schwebt aber in der luft, wenn nicht wirklich das bild
vorher erwähnt wird.
Endlich ist die aufzählung der kaiser v. 4598 (4380 ff.) zu
Beiträge cur geschichte der deutschen spräche. XXIV. 3
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114 HELM
beachten. S hat hier die historische reihenfolge, z' nnd E
nicht. Letzteres ist gewis das richtige. Verieitet wurde der
Verfasser zu der falschen aufzählung durch seine queUe, die
VeronicaJegende in der Version D (s. unten), wo Claudius als
directer nachf olger des Tiberius erscheint: Tiberius cum guher-
naret imperium et Claudium in successionem reipublicae elegissei;
auch später wird Claudius als nachf olger des Tiberius genannt:
auf ihn folgt dann direct Nero. Der Schreiber von S kannte
die geschichtlichen tatsachen und wollte den text bessern. Er
kommt dabei übrigens zu einem bedenklichen flickvers und
einem reim der bei unserem dichter ganz undenkbar ist: Chuus
wart do \ kaiser der auch hiez \ Galigöla daz man wol tretf,
endlich zu dem ebenso unmöglichen versungeheuer ncLch im
wart Galba Otho, Vitelliu^.
Zur gruppe y stelle ich sodann noch das fragment K, das
mit S fast genau wörtlich übereinstimmt. Es wäre darnach
wol denkbar, wenn auch nicht wahrscheinlich, dass S eine
abschrift von K wäre.
Schwer zu entscheiden ist die frage, ob v. 1603 als beleg:
für Zusammengehörigkeit von S und K geltend gemacht werden
kann. Beide hss. schreiben hier dae ir zu den bergen sprechet
vnd zu den boumen allen, während Gsp buheln statt bouwen
lesen. Zu gründe liegt Luc. 23, 30 ^dann werden sie anfangen
und sagen zu den bergen: fallet über uns! und zu den hügehi:
decket uns' (vgl. Hosea 10, 8). Es erscheint darnach zunächst
als die selbstverständliche lösung die annähme, dass y den
ausdruck buhel, den es nicht verstand, änderte. Dem gegen-
über ist nun aber wichtig, dass in der Apokalypse ») dieselben
verse stehen, wo erzählt wird, wie die menschen vor gottes
räche fliehen und zu den bergen sprechen und zu den boum^
"^ uns bevallen nach Offenb. Joh. 6, 16. Für die
eine andere lesart nicht überliefert. Dies zu-
ist äusserst merkwürdig. Fänden wir in S
Bres wort für hügel und dasselbe auch in der
brauchten wir an einen zusanmienhang gar
n. Aber die änderung boumen ist gegenüber
geläufigen bibeltext so auffallend", dass wir
L93b.
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HEINBICH HESLERS EVAKÖELtÜH KXCODEML 115
nicht annehmen können, zwei leute hätten dieselbe unabhängig
von einander getroffen. Wir könnten boumen also als unur-
sprünglich nur dann ansehen, wenn wir annehmen wollten,
dass die hss. der Apokalypse auf eine gemeinsame vorläge
zurückgehen, die von demselben Schreiber herrühre wie y.
Möglich ist dies ja sehr wol, aber doch immer zweifelhaft.
Man wird darnach die lesart boumen doch eher dem original
zuerkennen. Die auffallende differenz gegen die quelle kann
ihren grund darin haben, dass den dichter der pleonasmus
der sich dort findet, störte, während z» dann in erinnerung an
die bibel die stelle änderte. Diese auffassung empfiehlt sich
auch deshalb, weil buM, wie z» liest, gewis in keinem fall
ui-sprünglich sein kann, da es wesentlich auf Oberdeutschland
beschränkt ist; nur im hessischen wird es noch von Yilmar
belegt.
Am Verhältnis zwischen S und K wird dadurch nichts
geändert.
Die gruppe y verdient vor der gruppe z, jedenfalls aber
vor der gruppe z» weitaus den vorzug; Gps sind reich an
änderungen und entstellungen jeder art. M steht dagegen im
werte den hss. der gruppe y wol gleich. Unter diesen sind
wider die besten K und E, während bei S die kritik, mit der
der Schreiber seiner arbeit gegenüber steht (vgl. die kaiser-
auf Zählung u. a.), die getreue widergabe da und dort beeinträch-
tigt hat. Unter den nicht fragmentarischen hss. bleibt S aber
durchaus die beste, auch sprachlich ist sie die wichtigste
(s. oben). Für die textkritik gilt demnach: 1) differieren y
und z ganz, so ist in der regel die lesart von y die richtige;
— 2) stimmt irgend eine hs. von z zu y, oder irgend eine hs.
von y zu z, so ist die lesart dadurch gesichert; — 3) stimmt
je eine hs. von z und eine von y zusammen, während die
übrigen hss. alle differieren, so ist ebenfalls dadurch die lesart
gesichert (hier sind fälle zufälligen Zusammentreffens jedoch
leicht möglich); — 4) für die partien bis 436 und 573—1412,
welche in S fehlen, hat G so viel gewicht als p und s zusammen.
Aber auch wenn p oder s zu G stimmt, ist der Wortlaut des
Originals nicht mit voller Sicherheit gegeben. Es kann hier
nötig sein, gegen die erhaltene Überlieferung zu conjicieren.
W und T entbehren textkritisch jeglicher bedeutung.
8*
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116 HELM
Zu den willkürlichen änderongen von G (z^?) gehört anch
die kürznng der schlusspartie, die in dieser fassnng nicht be-
friedigt; es ist nicht anzunehmen, dass der dichter mit einem
so nebensächlichen motiv plötzlich sollte abgebrochen haben:
von got han sie (die Juden) sich gevirret
nnd sind im gar nnmsBre;
sns endet sich daz msre.
Dagegen erscheint der schluss in S, der sich an die leser selbst
wendet, ganz angemessen, und die ganze partie ist in S praciser
und logischer. Ausserdem haben die nur in S stehenden partlei
gerade so bestimmt den Charakter des Heslerschen Stils, dass
sie nicht als Zusätze aufgefasst werden können. Man vgL den
reim 5127 tusent : u sint mit Apokalypse 77 b v. 5219 mit 3755.
4741; V.5302 mit 1951. Endlich beachte man v.5382 an der
tvite und an der lenge, an der hohe und an der nidere und 5386
an der smele und an der tufe, an der lenge und an der hurte.
Die änderung geschah wol so, dass in G ebenso wie die
schwierige partie 1959—2164, so hier v. 5085 — 5132 und 5151
— 5240 gestrichen wurden und im anschluss daran dann erst
die Umstellung der partien 5065—84 (4863—82) und 5133—50
(4845—62) vorgenommen wurde.
Schwieriger könnte die frage erscheinen, ob der prolog
V. 1 — 368 dem original angehört. Ueberliefert ist er nui* in G.
dagegen fehlte er aller Wahrscheinlichkeit nach in S. Ob E
ihn enthielt, konnten wir nicht entscheiden. Es ist jedoch
kein zweifel, dass er ursprünglich ist; denn abgesehen davon
dass diese einfülirungsweise weit eher der gepflogenheit der
mhd. dichter, und auch Heslers, entspricht, als die unmittelbare
aufnähme des themas, so verleugnet sich auch hier die für
Hesler charakteristische diction nicht, die uns schon zur ent-
scheidung über andere fragliche stellen verhelfen hat. Man
vgl. folgende parallelen: v. 1. 5 = 1699. 4125. 4135 do got der
werlde hegan\ v. 143 an siner hohen maiestat, \ dae was ein vor
vorborgen rat entspr. 3375 . . . siner holten maiestat, \ doM was
ein nach geraten rat; 359 und geruch mich begnaden \ in dinen
hohen graden entspr. 3399 u. a.
In G, das mit v. 5270 (4912) schliesst, folgt endlich im
umfang von 212 versen noch das gleichnis von Lazarus und
^.m reichen mann. Dass dies unursprünglich ist, bedarf keines
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HEINRICH HESLER8 EVANGELIUM NIGODEMI. 117
beweises: inhaltlich passt es nicht hierher und formell hat es
einen wesentlich anderen Charakter. Dass dieser zusatz aber
nicht erst in G antrat, sondern schon in der vorläge stand,
hat bereits Amersbach mit recht aus der spjjjache gefolgert.
Es ist aber nicht nötig, mit ihm anzunehmen, dass dieser
vorläge wider eine andere zu gründe lag, welche bereits mit
4270 schloss, aber die legende noch nicht enthielt. Ich glaube
bestimmt, dass in z der schluss noch intact war, und möchte
zwischen z und z* kein weiteres glied einfügen; die verhältnis-
mässig kurze zeit, welche zwischen dem original und G liegt,
scheint mii* dies zu verbieten. Es ist aber sehr wol denkbar,
dass der Schreiber von z^ mit 5270 schloss — einerlei aus
welchem gründe — und dann das gedieht von Lazarus, das
vielleicht schon in z als selbständiges gedieht stand, daran
anschloss, indem er wol glaubte, damit einen wirkungsvollen
schluss zu erzielen.
II. Die quellen.
1. Die kanonlBohen evangelien und das Ev. Nioodemi.
In V. 369— 372 nennt der dichter selbst als seine gewährs-
männer die vier evangelisten und Nicodemus, der den unvoll-
ständigen bericht jener ergänzt habe, und erzählt dessen
bekehrung kurz nach Joh. 3, 1 ff.
Diese gleichzeitige benutzung der kanonischen und apo-
kryphischen quelle teilt unser gedieht mit den meisten mittel-
alterlichen werken, die sich an Nia anschliessen; vgl. E. P.
Wttlcker a. a. o. s. 4 und passim.
Wir müssen und können natürlich für unseren zweck
vollkommen absehen von all den controversen, die sich erhoben
haben in der beantwortung der frage, wann und wie die unter
dem namen eines Ev. Nie. bekannte schrift entstanden ist; zur
Orientierung sei verwiesen auf C. Tischendorf, Evangelia
apocrypha^, Leipz. 1876, E. A. Lipsius, Die Pilatusakten kri-
tisch untersucht, und auf die Zusammenstellung bei Wülcker
s. 1 ff. Für uns wichtig ist folgendes. Das Ev. Nie. zerfällt
in zwei teile: L Gesta Pilati von der klage der Juden gegen
Jesus bis zur auferstehung, und IL Descensus Christi ad
inferos, den bericht über die höllenfahrt Christi,
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118 HELM
Die Gesta sind in ihrer lat. fassnng im wesentlichen nur
in feiner recension überliefert (= der griech. recension A); nur
feine grnppe von hss., D, wozu sich auch der ältest« druck
(Hain, Repertqnum bibliographicum no. 11749) stellt, weicht
in einigen nicht unwesentlichen punkten davon ab. Dieser
gruppe D gehörte das unserm dichter vorliegende exemplar
der Gesta an. Der text findet sich bei Tischendorf s. 333 ft,
die abweichungen von D in den anmerkungen.
Der Descensus ist in zwei lat. bearbeitungen, A und B,
erhalten, 0 unserem gedichte liegt A zu gründe. Den text s.
bei Tischendorf s. 389 ff.
In den anfangspartien wiegen die kanonischen evangelien
als quelle weitaus vor. Nur ganz kurz wird v. 393 — 425 nach
Gesta 1, 1 die klage der pharisäer vor Pilatus, aber ohne den
klagegrund, berichtet; schon hier ist v. 414 — 416 = Joh. 18, 14,
und im folgenden schliesst sich der dichter ganz an die hi\h
lische erzählung an, wobei es im einzelnen oft unmöglich ist,
anzugeben, welchem evangelium er folgt.
V.426 — 456 die fusswaschung nach Joh. 13, 4 — 9 und 12 — 15.
— V. 457 — 486 einsetzung des abendmahls und hinweis auf den
verrat in anderer reihenfolge als in Matth. (26, 21 und 26) und
Marc. (14, 18. 22) nach Lucas 22, 19. 21. — V. 487—505 Jndas
bietet sich den Juden als Verräter an nach Matth. 26, 14 f. —
V. 506—519 Prophezeiung von Petri Verleugnung.
V. 520—556 anschliessend an Luc. 22, 35 ff. ein excurs über
das geistliche und weltliche schwert. Was darüber ausgeführt
wird, entspricht im wesentlichen dem wie die kaiserliche partei
im mittelalter den satz auffasste, wonach beide Schwerter direct
von gott gegeben und gleichberechtigt seien, wie die frage
auch im Sachsenspiegel und in der glosse dazu dargestellt wird
(vgl. W. Grimm, Vridankes bescheidenheit s. Lvn, wo sich anch
die weitere literatur über diesen punkt findet). Eine eigene
Stellung scheint jedoch der Verfasser, soweit aus seiner nicht
ganz klaren ausdrucksweise hervorgeht, darin einzunehmen,
dass er das weltliche schwert dem Petrus, das geistliche dem
Johannes zuteilt: eine auffassung welche durch das verhalten
1) Vgl. die gegenübentelltuig bei Wülcker a. a. o. s. 4 ff.
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HEINBICH HESLEBS BYANGBLIUM NICODEMI. 119
Petri bei der gefangennähme wol gestützt werden konnte, aber
anderweitig nicht belegt ist.
V. 557—599 Christi gebet in Gethsemane. Mehrere einzel-
heiten nach Lnc. (22, 39 — 46), spec. 570 eines wurfes vort =
Luc. V. 41. V. 583 der blutige schweiss nach Luc. v. 44. Da-
gegen berichten von einem dreimaligen gebet nur Matthaeus
und Marcus. — V. 600 — 608 die gefangennähme nach den
Synoptikern.
V.609 — 623 Petrus und Malchus. Contaminiert nach den
vier evangelien. Die namen stehen nur bei Joh., die heilung
des obres nur bei Luc, die aufforderung, das schwert einzu-
stecken, bei Matth. und Joh., die zwölf legionen der engel nur
bei Matth. — V. 624—627 und 654—680 die Verleugnung Petri
wie in Matth. und Luc. Dazwischen steht v. 628 — 642 Christi
Schmähung durch die kriegsknechte, und y. 643 — 653 ein hin-
weis auf die durch Christi leiden erfüllte Weissagung Jes. 53, 7,
vielleicht geschrieben in erinnerung an Act. 8, 30.
Die art wie der dichter die evangelien benutzt, zeigt dass
er nach möglichster Vollständigkeit strebte. Da nicht biblisches
abgesehen von dem excurs über die zwei Schwerter nicht vor-
kommt, und ausserdem seine eigenen worte direct die evange-
lien als quelle nennen, so ist ausgeschlossen, dass der Verfasser
hier irgend welche weiteren quellen benutzte. In einzelnen
Partien schliesst er sich — das geschieht aber auch im folgen-
den — wol oft an bestimmte formein an, in denen damals die
heilsgeschichte offenbar ziemlich genau fixiert war. ^) Aus dem
zusammentreffen im Wortlaut einzelner verse mit solchen ver-
wanter dichtungen kann deshalb durchaus nicht auf directe
beeinflussung geschlossen werden.
V. 681 — 726. Gegen den bericht der evangelien wird nun
der des Nicodemus gestellt, damit diejiarstellung der Gesta
aufgenommen und die klage der Juden vor Pilatus nochmals
gebracht. Es ergibt sich dadurch ein Widerspruch mit der
bisherigen darstellung, da die Vorladung Jesu, wie sie in den
Gesta steht, doch voraussetzt, dass dieser noch frei ist.
V. 727—768 ausführung der klage nach Gesta 1, 1—2. Die
^) Für ähnliche Verhältnisse des prosaischen bibeltextes des 15.j^-'s
Tgl. auch M ersdorf, Die deutschen historienbibeln des mittelalters s. 4.
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120 HELM
dort stehende einwendung des Pilatus, wie er denn als praeses
einen rex vorladen könne, ist ausgelassen. Jesus heisst hier
der son des smides = filitis fabri, der zusatz lignarii konnte
also nicht in der vorläge stehen.
V. 769—920 zweimalige ladung Christi und das fahnen-
wunder = Gesta 1, 2—6. V. 837—857 ist eine ausfOhrliche
motivierung der anwesenheit der fahnen eingeschoben. —
V. 921—940 Procula spricht für Jesus = Gesta 2, 1. Der name
nur in D (vgl. Wülcker s. 47). — V. 952—1004 die Juden be-
zweifeln Christi eheliche geburt, die von den zwölf männera
bezeugt wird, = Gesta 2, 3. 4. Ein name (Jacobus) fehlt
bei uns.
Während nun im Gesta 2, 5 Caiphas sich darauf beschrankt,
die Ungerechtigkeit hervorzuheben, dass man zwölf männem
glaube, aber der aussage des ganzen Volkes nicht, bringen bei
uns die Juden neue anklagepunkte vor (v. 1005 — 1019).
V. 1020 — 1156 Pilatus bespricht sich mit den zwölf männem,
weigert sich Christus zu töten, verhört ihn unter vier aogen.
Erneute Weigerung und erneute klage der Juden. Pilatus ver-
sucht vergeblich die ältesten der Juden umzustimmen; Jesus
weist auf die propheten hin, die seine marter geweissagt hätten;
Pilatus will die Juden bewegen, selbst zu richten, und erblickt
die weinenden unter der menge, = Gesta 2, 5 bis 4, 5 (der schluss
von 4,5 ist ausgelassen).
V. 1157—1267 Nicodemus verteidigt Christus, weshalb die
Juden ihm zürnen (Gesta 5, 1. 2), weitere zeugen treten auf =
Gesta 6, 1. 2 und 7. 8, doch fehlen dort der taube und der stumme
und auch Lazarus tritt nicht selbst auf, sondern es wird nur
von ihm berichtet.
V. 1268 — 76 die Juden sinnen auf neue anschlage. Frei
V. 1277 — 1414 Pilatus bespricht sich mit Nicodemus und
den zwölf männem, stellt den Juden die wähl zwischen Jesus
und Barrabas frei; diese drohen ihm, er sei nicht des kaisei^
fieund (nach JoL 19). Pilatus tadelt die Juden scharf; Caiphas
erzählt von den drei königen und dem kindermord (Gesta
9,1-3).
V. 1415—20 Pilatus schickt Jesus zu Herodes (Gesta 9, 4,
aber nur in D). — V. 1421 — 39 Herodes versucht vergeblich
Jesus zu verhören, = Luc. 23, 8—12, — V. 1440—92 letztes
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HEINRICH HESIiERS EVANGELIUM NICODEMI. 121
verhör vor Pilatus und urteil nach den verschiedenen evan-
gelien (Joh. 19, 9 — 11. Luc. 23, 22 u.a.), das urteil selbst auch
Gesta 9, 5. — V. 1493 — 1521 Christi krönung nach den evan-
gelien. — V. 1522 — 31 Pilatus wäscht seine hände; die Juden
nehmen alle schuld auf sich, = Gesta 9, 4 (auch Math. 27, 24 f.).
— V. 1532—39 verweis auf die worte Jesaias ^sie hassen mich
ohne schuld'. — V. 1540—70 Judas' tod und kauf der begräbnis-
statte, Matth. 27, 3— 9. — V. 1571—1604 gang nach Golgatha
nach den Synoptikern, die weinenden frauen nur bei Luc.
(23, 28—30).
V. 1605 — 29 die kriegsknechte werfen das los um den rock;
im engen anschluss an Joh. 19, 23. 24 mit beziehung auf Psalm
22, 19. Die losung steht jedoch bei uns vor, in der bibel nach
der kreuzigung.
V. 1630 — 1768 eine hinweisung auf die Prophezeiung Micha
6, 3 f. und ausführliche betrachtung über die Sendung Christi.
V. 1769—1802 (1767—1800) die kreuzigung, die Inschrift
am kreuze, letztere Gesta 10, 1 schluss, aber auch Luc. 23, 38.
Joh. 19, 19 f. Bei Matth. und Marc, findet sich von der drei-
sprachigkeit nichts. Das kreuz ist nach der ansieht unseres
dichters der bäum des lebens, der in gestalt eines griechischen T
gewachsen war, die sogenannte crux commissa (oder Antonius-
kreuz), dasselbe schrieben die Juden in Aegypten an ihre tttren.
In dieser gestalt erscheint das kreuz bereits in den alten kirch-
lichen Schriften (z. b. Barrabas, Ep. c, 9. Tertullian, Adv. Marc.
3, 22). Es handelt sich dabei auch nicht nur um eine ungefähre
ähnlichkeit, wie übereinstimmend Wetzer- Weites Kirchenlexikon
lind die Eealencyklopädie für protestantische theologie angeben.
Petrus Comestor (Migne, Patrol. lat. 198, 1630) sagt vielmehr
ausdrücklich crux autem non hahebat super lignum transversum
aliquid, habens formam Tau. Pilatus setzt mit der Inschrift
erst das vierte ende an. Die darstellung Comestors war wol
für die weite Verbreitung dieser annähme ausschlaggebend (vgl.
auch Frauenlob Spruch 234, 16 und im kreuzesleich 8, 15).
V. 1803—33 (1801—31) die kreuzigung der Schacher deren
namen aus Gesta 10, 1 stammen. — V. 1833—46 (1831—44) die
Juden reichen Jesus wein mit myrrhen (Marc. 15, 23) und ver-
spotten ihn (Matth. 27, 40. 42), letzteres auch Gesta 10, 1. —
V. 1847 — 84 (1845 — 82) die episode von Longinus und die reden
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122 HELM
der beiden Schacher in der reihenfolge wie sie Gesta 10, 1 grappeD
enthält (vgl. oben). 0 — V. 1885— 1904 (1883—1902) Johannes
und die frauen am kreuze (Joh. 19, 25 -27). — V. 1905—1915
(1903 — 13) Jesus senkt sein haupt nieder; dabei verweis auf
Matth.8, 20 ^des menschen söhn hat nicht da er sein haupt
hinlege'.
V. 1916— 25 (1914—23) nach Joh. 19,28— 30 die beiden
Worte *mich dürstet' und 'es ist vollbracht', darnach aber noch
nicht der tod, sondern noch weitere worte, nämlich — : V. 1925
—1932 (1924 -30) wol nach Gesta 10, 1, wo die gruppe D mit
Matth. 27, 46 und Marc. 15, 34 übereinstimmt, die worte eli, eli
lama, woran sich in v. 1933 — 2167 ein grosser excurs über deren
bedeutung anknüpft (vgl. unten).
V. 2167— 80 (1960—72) folgt nun eine bemerkung über
das Verhältnis der evangelisten unter einander:
daz hat gesprochen Marke die sprechen beidesamt enein,
und sin genoz Mattheus, sie zwei gegen disen zwein.
Lucas und Nicodemus
Man darf diese worte nicht nur auf die gerade vorhei^hende
stelle beziehen, sondern auf das vorhergehende und nachfolgende
2181—2191. Während nämlich Matth. und Marcus nur die bis
V.1930 erzählten worte berichten, folgt bei Lucas und Nicodemus
das wort 'vater in deine bände' u.s.w., das sich bei uns im
hebräischen Wortlaut nach Gesta 11, 1 gruppe D (Tischendorf
s. 363 via aldbi hoc fricole) und dann übertragen nach Luc. 23, 46
findet (v. 2187 — 90); Johannes aber sagt der dichter hat dise
rede verswigen, d. h. sowol dieses wie die vorhergehenden werte.
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die differenzen der evan-
gelien und die auch sonst oft hervortretende Übereinstimmung
zwischen Lucas und Nicodemus richtig erkannt ist.
V. 2192—2207 (1984—99) die zeichen bei Jesu tod nach
Matth., während die anderen evangelien sie nur zum teil
melden. Gesta 11, 1 stehen alle ausser dem erdbeben, zum teil
nur in D, jedoch vor dem tod.
V. 2208— 42 (2000—34) nehmen aus dem späteren hier
den schreck des Satans voraus, der sich in der hölle verbirgt.
0 Davon dass Longinus durch das blut von der blindheit geheilt wird,
steht bei uns so wenig etwas als in den Gesta. Wttlckers gegenteilige aii>
gäbe (a. a. o. s. 47) ist irrig.
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HEIKRICH HESLEB8 EVANGELIUM NIGODEHI. 123
Aasgelassen ist bei uns die Wirkung dieser zeichen und
die erklärung der Juden, es handle sich um eine ganz ordnungs-
gemässe Sonnenfinsternis (Gesta 11, 1. 2).
V. 2243—68 (2035—60) begräbnis nach den evangelien
und Gest 11, 3. Von da ab ist die reihenfolge der erzählung
bei uns wesentlich geändert. Es folgt zunächst 2269—92 (2061
—2084) die bewachung des grabes nach Matth. 27, 63—66 (in
den Gesta anders dargestellt), dann 2293—2334 (2085—2126)
Josephs von Anmathia gefangennähme nach Gesta 12, 1.
Gesta 12, 2 und 13, 1 folgt jetzt die beratung über Josephs
tod; als derselbe vorgeführt werden soll, findet sich das ge-
fängnis leer; gleichzeitig melden die Wächter Christi auf-
erstehung. Bei uns gehen die Juden am dritten tag zum
grab, finden es leer, und die Wächter erzählen nach Gesta 13,
1. 2 den hergang v. 2335—79 (2127—71); der gang der frauen
zum grabe fehlt.
V. 2380— 2415 (2172-2207) Wortwechsel der Juden und
der Wächter nach Gesta 13, 2. Jetzt erst suchen die Juden, die
doch schon behauptet haben, Joseph sei in Arimathia, diesen,
V. 2416—33 (2208—25).
V. 2434—51 (2226—43) die- Wächter werden bestochen aus-
zusagen, Christus sei ihnen gestohlen worden, = Gesta 13, 3
(vgl. Matth. 28, 12—15).
V. 2452— 75 (2244—2267) Abda, Finees und Levi be-
richten von Jesus und werden von sieben männern in die
ferne (Gesta: nach Galiläa) geführt (Gesta 14, 1. 2); diese sollen
Jesus suchen. Nicodemus rät Joseph zu holen, der in den
G^tis 15, 1 bei der suche nach Jesus zufällig gefunden wird.
Die Juden schicken einen brief an Joseph (Gesta 15, 2. 3), wel-
cher kommt und von Nicodemus beherbergt wird (Gesta 15, 4).
V.2476— 2703 (2268—2495) Joseph wird nach Jesus befragt
(in den Gesta 15, 4 nur nach seinen eigenen Schicksalen), be-
richtet seine befreiung (Gesta 15, 5), dann mit erheblicher ab-
weichung von dem inhalt der Gesta die himmelf ahrt (Act. Apost.
cap. 1); Finees, Levi und Abda, von denen wir annehmen müssen,
sie seien mit Joseph zurückgekehrt (Gesta 16, 2 werden sie erst
selbst widerum geholt), bestätigen seine angaben. Die Juden
äussern bedenken, die mit hinweis auf Elias und Enoch be-
kämpft werden, dies anschliessend an die viel breitere aus-
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124 HELM
führungvGesta 16, 3. 4. Der name Elias steht widenim nur in D.
daneben erscheint dort als dritter noch Moses.
V. 2704— 49 (2496-2541) mit Josephs erzählung von Leudns
und Karin wird der Desc. (1, 1) quelle.
V. 2750— 2844 (2542—2634) die Juden lassen die beiden
holen (Desc. 1, 2), bitten sie um auskunft über Christus (1, 2),
worauf sie Christus um erlaubnis bitten zu reden und ach
tinte und pergament geben lassen (Desc. 2, 1 und 1, 3, also mit
veränderter reihenfolge).
V.2845 (2635) ff. der bericht der kinder.
V. 2845—3012 (2635—2800) das licht das in die hölle
dringt, wird von Adam, Jesaia,*) Symeon und Johannes dem
tauf er begrüsst und erklärt (Desc. 2, 1—3); Seth berichtet von
seiner sendung zum paradies, = Desc. 3, doch sind einige ab-
weichungen zu bemerken. Im Desc. ist nur von dem öle die
rede; bei uns liegt dagegen eine contamination mit der l^pende
vom kreuzesholz vor, wie sie in der mittelalterlichen literatnr
vorherseht. Unser gedieht stellt sich in dieser partie zu der
ersten der beiden von Mussafia (Sulla legenda del legno ddk
croce, WSß. 63, 165 ff.) unterschiedenen gruppen, in der von
einem zweige die rede ist, an dessen stelle die andere recension
drei Samenkörner treten lässt. Ueber die weiteren Schicksale
des holzes wird bei uns nichts angegeben, so dass von einer
weiteren rubricierung unter die von Mussafia aufgest^ten
fassungen abgesehen werden muss. Doch gestatten andere
gesichtspunkte eine nähere bestimmung des Verhältnisses zu
anderen dichtungen. Wesentlich anders sind die diese episode
enthaltenden zusätze der Vita Adae et Evae (hg. von W. Meyer.
Münchner SB. 14,3, 186) und noch grösser ist die Verschiedenheit
von Lutwins Adam und Eva (hg. von K. Hoffmann und W. Meyer.
Bibl. d. lit. ver. 153). Ausschlaggebend ist eines: in den meisten
fassungen stirbt Adam kurz nach Seths ankunft, der dann den
bäum einpflanzt (so im Floridus des canonicus Lambert von S.
Omer, Mussafia a.a.O. s. 172), oder Seth trifft Adam schon nicht
mehr am leben, so in der Legenda aurea, im Passional, bei
Frauenlob (kreuzesleich str. 15, 9 er starp e danne im Jcam zt
vromen der hohen, riehen helfebernden Scelden hole\ in dea
0 Vgl. Jes. 9, 1. 2. Matth. 4, 15.
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HBINBICH HESLEBS EYANaELIüH KICODEia. 125
Sibyll. Weissagungen (vgl. Vogt, Beitr. 4, 91), auch bei Enikel
V. 1632 (Strauch). Bei uns lebt aber Adam noch und pflanzt
den zweig selbst: eine version die sich noch in Johann Beleths
Rationale divinorum officiorum») und im Hortus deliciarum der
Herrad von Landsberg (Engelhardt s. 41) findet, also im 12. und
13. jh. wolbekannt war. Vgl. auch W. Meyer, Die geschichte
des kreuzesholzes vor Christus, Abh. d. Miinchnei ak. 16, 2.
V. 3013 (2801) ft Christi ankunft vor der höUe und die
wechselreden Satans mit der höUe sind im einzelnen anders
geordnet als im Desc. •
V. 3013—63 (2801—49) Satan befiehlt der höUe, sich zum
empfang Christi zu rüsten (Desc. 4, 1.2); dann folgt der erste
ruf Christi vor dem tore v. 3064—82 (2850—68), die höUe be-
tont V. 3083—3151 (2869—2937) Christi macht, deshalb soll ihn
der Satan nicht einlassen (Desc. 4, 2 und 4,3); dieser sucht sie zu
trösten, er selbst habe den tod Christi veranlasst (D.4,2 schluss).
V. 3152—60 (2937—46) Christus ruft zum zweiten mal, im
Desc. zum ersten mal (5, 1), erst 5, 3 kommt hier der zweite
ruf, an den sich dann die frage der iiöUe quis est rex gloriae
und die antwort Davids (vgl. dazu Ps. 24, 8) anschliesst wie in
V. 3161—86 (2947—72).
V. 3187—3247 (2973—3033) Satan befiehlt jetzt die tore
zu schliessen (5, 1) und klagt über seine Verblendung, dass er
Christus nicht erkannt habe.
V. 3248—3311 (3034—97) die höUe verwünscht ihn (Desc.
7, 1), Christus ruft zum dritten mal, die tore zerbrechen (schon
Desc. 5, 3, aber ohne einen dritten ruf), die quälen der seelen
hören auf.
V. 3312—3465 (3098—3249) Adam und die seelen begrüssen
Christus, zum teil nach Desc. 8, 1, aber Adams worte unab-
hängig (vgl. unten). Der Satan gibt sich besiegt (Desc. 6, 1),
und erntet erneute vorwürfe der hölle (ohne vorbild im Desc).
V. 3466—3515 (3250—99) Christus verkündet den seelen
die erlosung pesc.8, 1), verdammt den Beelzebub (Desc. 7,2)
1) Bationale divinornm officiorum, Joanne Beletho theologo parisiensi
anthore. Dilingae 1572. Daselbst cap. 151 fenmi ah Ädamo Seih ßiua eiua
misaum fuisse in paradisum, qui ramum inde sibi datum ab angelo retidit,
at patrem, gut statim HUus arboria mysterium cognoscens, tarn terrae
inseruisse.
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126 HELM
und tötet den tod (6, 2). Die seelen bitten ihn ein merkzeichen
über die höUe zu setzen (Desc. 8, 1 scliluss).
V. 3516—78 (3300—62) Adam, David, Habakuk, Micheas
und die übrigen seelen preisen Christus, = Desc. 8, 1 — 3. Die
bibelstellen, auf die sich deren worte beziehen, sind Ps.30,2
{exaltabo te..), Ps. 96 oder 98 (singet dem herm ein nenes
lied), Hab. 4, 13 und Micha 7, 18. Unserem dichter waren sie
offenbar nicht gegenwärtig, im lat. original sind sie ziemlich
klar erhalten.
V. 3579—3634 (3363—3418) der weg zum himmeL Enoch
und Elias nach Desc. 9, aber namentlich in dem was vom Anti-
christ erzählt wird, viel ausführlicher, auf die legendarische
quelle zurückgehend (vgl. Wülcker a. a. o. s. 50).
V. 3635—63 (3419—45) der Schacher vor der Mmmelstüre,
= Desc. 10, aber die erzählung von seiner ankunft im paradis
ist ausgelassen.
V. 3664— 92 (3446—74) lobpreisung bedeutend erweitert
aus Desc. 10 schluss.
V. 3693—3705 (3475—3589) Leucius und Karin geben ihre
berichte ab (Desc. 11, 3). Ihre abschiedsworte sind frei zu einer
busspredigt entwickelt, während im Desc. eine ausführliche
begrtindung folgt, warum sie aufhören müssen zu reden. Die
Juden klagen über das geschehene (Desc. 11, 4), Joseph und
Nicodemus melden alles Pilatus, der es au&chreiben lässt
(= Desc. 11 schluss).
V. 3706—11 (3589—95) Pilatus schickt den bericht an die
consuln Claudius und Vellio. Im Desc. (13) ist der brief an
den kaiser Claudius gerichtet. Bei uns ist aber Tiberius noch
kaiser, deshalb muss Claudius als consul erscheinen. Der
zweite name ist dem prolog der Gesta entnommen, wo die
gruppe D in der ed. prima schreibt consulatu Ruft VelUonis.
Das 12.cap. des Desc. enthält eine disputation zwischen
Pilatus und den Juden über die zeit, in der sie Christus er-
wartet hätten. Es ist bei uns ausgelassen und der dichter
wendet sich nun zur geschichte von der krankheit des Tiberius.
2. Die legenden von Tiberias, Vespasian und Veronica.
Die entwickelung der apokryphischen erzählungen und
legenden von Tiberius, Vespasian und Veronica hat A. Schön*
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UEINBICH HBSLEBS EVAHGELIÜH KICODE«. 127
bach, Adz. fda. 2, 149 in seiner besprechung der ersten ausgäbe
von Tischendorfe Evangelia apocrypha dargestellt. Es sind
darnach zwei recensionen der Pilatus- Veronicalegende zu unter-
scheiden, deren erste ich nach ihrem vorzuglichsten repräsen-
tanten mit D (Grazer hs. 38/47. 4». fol. 41 äff.), die zweite mit
LM (L = lat. Pilatusprosa, Mones Anz. 1838, 526; M = Grazer
hs. 37/45. 4«. fol. 157 b ff.) bezeichnen will. Eine ergänzung
bedürfen nur Schönbachs angaben über das Verhältnis beider
Versionen zu den beiden lateinischen Urformen A (Mors Pilati
qui Jesum condemnavit, Tischendorf s. 456) und E (Yindicta
Salvatoris, Tischendorf s.471).
Im wesentlichen ist nämlich die recension D eine fortsetzung
von A, LM von K. Aber wir müssen daneben doch auch be-
kanntschaft von D mit K und von LM mit A annehmen. Er-
kannt hat dies Schönbach (a. a. o. s. 193) nur für den bericht
über die Pilatusleiche in LM, der aus A stammt. Dies hat seinen
grund darin, dass Schönbach einen wichtigen unterschied der
Teronicalegende in A und K nicht gebührend würdigt.
In D erfährt Volusian von dem bilde das Veronica besitze;
diese leugnet, es wird ihr entrissen und sie entschliesst sich,
mit nach Rom zu fahren. Dies entspricht ganz der version K.
Anders aber ist dies in LM. Hier erfahren die Römer Christi
tod durch Veronica selbst, wie in A, und auch das folgende
entspricht sich fast wörtlich:
LM A
Vehementer doleo, qnod lega- Vehementer doleo, qnia id pro
tionem domini mei nnllatenos qno dominns mens me miserat
expleo. Veronica: dominns et explere non valeo. Cui Vero-
magistermensante passionem snam nica: dominns mens cum prae-
Terbnm veritatis longe lateqne pre- dicando circniret,
dicaTit; nnde dnm frequentins licet
invita ipsius carerem praesen- et ego eins praesentia nimis in-
tia, ipsins similitndinis snae ima- vita carerem, volni mihi depingi
ginem et ad solacinm saltem mihi imaginem,
dlsposoi pingendam, ut dnm eins nt dnm eins priyarer praesentia,
primärer adspectibns, solacinm saltem mihi praestaret solacinm
prestaret fignra imaginis hn- imaginis snae fignrae.
ins. Dum antem linthenm pic- Cnmqne lintenm pictori defer-
tori defero ad pingendnm, do- rem pingendnm, dominns mens
minus mens occnrrit mihi in yia mihi obviavit et qno tenderem re-
et requirenti ame cansam ape- qnisivit. Cni cnm yiae cansam
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128 HELM
LM A
rui. Ipse yero Bnscipiens pannum apernissem, a me petiit panniiB
venerabili facie sna reddidit et ipsnm mihi yenerabili snae
mihi sifnatum. Igitur imaginis faciei reddidit signatnm ina-
hnins aspectnm si dominus gine. £rgo huins aapectnm si
tuus devote intuetnr, procnl dominus tuns devote intnebi-
dnbio postremo sanitati reddetnr. tur, continno sanitatis benefido po-
Albanns: estne imago talis ar- tietnr. Cni ille: est hninsmodi
gento vel auro comparabilis? imago auro et argento compft-
Yeronica dixit: non, sed piae de- rabilis? Cui illa: non, sed pio
votionis affectu. Albanns: quid affectn devotionis. Tecnm igi-
ergo faciam? Yeronica: tecnm si tnr proficiscar, et videndam Cae-
placet proficiscar et medendam sari imaginem deferam et re-
Caesari deferam imaginem et vertar.
revertar.
Es ist demnach klar, dass sich die beiden recensionen weit
weniger als Schönbach meint nach A nnd E scheiden. Ihre
hauptsächlichsten unterschiede sind folgende:
D, das an den Desc. 13 enthaltenen brief des Pilatus an-
knüpft, verlässt sofort diesen punkt und geht zum bericht von
der krankheit des kaisers über. LM bringt zunächst die lebens-
geschichte des Pilatus, berichtet die entsendung eines boten
an den kaiser, dessen fahrt, Vespasians krankheit, und g^t
dann über zu der entsendung des boten, der hier Albanus heisst
an Pilatus. In D wie in LM ist Voraussetzung, dass der kais^
von Christi tod nichts weiss; über die fassung der Veronica-
legende ist bereits gehandelt.
Die heilung des kaisers ist in D ziemlich ausführlich be-
handelt bis zu seinem versuch, die Bömer zu bekehren. In
LM ist dagegen die heilungsgeschichte sehr kurz (nicht aus-
gefallen wie Schönbach s. 189 angibt): Caesar igitur iubet afferri
imaginem . . . cuius viso aspectu consecuttts est gractam sanitaiü.
In D folgt nun noch die erzählung von Petrus, Paulus und
Simon Magus, in LM wird kurz der beschluss, Jerusalem zn
zerstören, mitgeteilt, dann wird des Pilatus Selbstmord und die
beseitigung seiner leiche geschildert, und daran schliesst sich
— was aus Schönbachs angaben nicht ganz klar wird — die
Zerstörung Jerusalems im anschluss an die Yindicta mit dem
nterschied,*dass hier natürlich Yespasian, nicht Titus, den zog
^«mimmt und die ganze partie viel später steht als dort,
'er zug gleich unternommen wird und dann die Schilderung
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HEIKBICH HESLEBS EVANGELIUM NICODEML I2d
der ereignisse durch die erzählung yob Veronica und Tiberius
nicht eben geschickt unterbrochen wird.
Im diagramm (a. a. o. s. 170) hat Schönbach unser gedieht
der gruppe LM zugezählt, s. 206 verzichtet er jedoch selbst
darauf, sicheres zu geben. Dies war ihm auch nicht möglich,
da er nur die fragmente M kannte, aus denen ihm das Ver-
hältnis der namen Yolusian und Alban nicht klar werden
konnte. Er fasste, da in keiner der anderen recensionen von
zwei boten des kaisers die rede ist, den letzteren als boten des
Pilatus auf, und vermutete als quelle eine mittelstuf e zwischen
K und LM. In der tat liegen die Verhältnisse womöglich noch
verwickelter als er glaubte, da sich bei uns ganz ausgesprochene
Züge von D und LM begegnen, wie die vergleichung im ein-
zelnen erweisen wird.
Gleich im anfang v. 3712 ff. bei der entsendung des Vo-
Insian finden sich spuren beider recensionen. Mit v. 3867 f.
(3649 f.) und sprach bu Volusiane, einem sineme caplane ver-
gleiche LM dixit Volusiafio, cuidam suo privato, der auftrag
V. 3870 (3652) und var nach im über mer = LM vadas trans
partes marinas. Dagegen ist für das weitere D als grundlage
zu erkennen: v. 3882 f. (3664 f.) sin hus und sin urbor beschiet
er sinen landen = tur^ Volusianus secundum veterem legem et
ordinationem fecit testamentum domui suae. Ebenso wird über-
einstimmend mit D die Überfahrtszeit auf ein jähr und drei
monate angegeben.^)
Damit bricht aber der dichter diese erzählung vorläufig
ab und geht über zu der sendung des boten von Pilatus nach
LM V. 3892—4227 (3674—4007). Dieser böte heisst wie in M
Adrianus (L Adanus); es folgt dann die krankheit und heilung
des Yespasian, ausgeschmückt mit reichlichen erörterungen
über das erlösungswerk. Abweichend von LM besteht die
krankheit des Yespasian nicht in wespen, sondern in würmem
in der nase.^)
>) LM gibt gar keine zeit, K ein jakr und sieben tage an.
>) An wespen ist Yesp. krank noch in der Sachs, weltchronik; Enenkel
Y. 22241 wand im waren hwmag ane zcU in den nasen überal. Dagegen
sind Würmer die krankheitsuisache im Ghronicon S. Aegidii (Massmann,
Kehr. 3, 577): Vespasianus, quoddam genus vermium häbena in wmbusi
Beitrage rar geschichte der deutschen spräche, XXIV. Q
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130 HELBC
Während man nun v. 4228 (4008) ff. die fortsetzung der
Sendung des Volusian erwartet, berichtet unser gedieht von
einem zweiten boten, der Albanus 0 heisst. Motivieren liess
sich diese zweite Sendung sehr gut mit dem langen ausbleiben
Volusians; der directe anlass dazu war aber, dass eben in LM
und D die boten verschieden heissen, der name Alban stammt
aus LM. Den scheinbaren Widerspruch löste der dichter auf
diese originelle weise.
Ganz neu, durch die zweiheit der boten begründet, ist
natürlich deren zusammentreffen zu Akkers, v. 4239 (4021), wo-
rauf sie sich gemeinsam ihres auftrags bei Pilatus entledigen
(v. 4246 ff.). Dies selbst, Pilatus' und der Juden schreck, des
Pilatus versuch sich zu verteidigen sind durchaus nach D,
namentlich auch Symeons entgegnung v.4328 (4110) ff.
wammb sprsBche du do süs daz ich dich wol mac laeen gan
ich han gewalt din Jesns oder an daz cnice han
= D Pilate, dicebas ei: potestatem haheo dimittendi te et pote-
statem ocddendi te. Ausgelassen ist bei uns jedoch die Unter-
redung mit Joseph von Arimathia und Nicodemus. Pilatus'
bitte um vierzehntägigen aufschub, die in LM steht, kennt
unser gedieht nicht
V. 4368—92 (4150—74) weiber und männer, die von
Christus geheilt .waren, kommen und klagen gegen Pilatus,
unter ihnen auch Lazarus. Vorbild für diese partie, die sich
weder in LM noch D findet, mögen wol wider cap. 6 — 8 der
Gesta gewesen sein (vgl. oben).
V. 4393 (4175) ff. die Veronicageschichte Die Römer fragen
nach einem bild Christi wie in D; die nachricht von demselben
erhalten sie durch drei Juden, in D durch einen namens
Marcus, in LM durch Veronica selbst. Die aussagen über die
entstehung des bildes stammen aus LM, abgesehen davon, dass
sie dort der Veronica selbst in den mund gelegt wei-den.
ebenso im Yesp. des Wilden mannes y. 192. Das Pass. spricht 269, 88 Ton
Wespen, 270, 10 von wlirmern.
0 Ueber das eindringfen dieses namens in die legende, ebenso über
den namen Adrian vgl. Schönbach s. 193. — Beide namen, Volosian nnd
Alban, finden sich vereinigt in der hs. M, jedoch ohne absieht nur ans einem
versehen, vgl. SchOnbach, ebda. anm. 1.
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fiElNRtCH fiBSLBRS EVANOELltm NICOtEMI. 131
V. 4423—61 (4205—43) Veronica gibt das bild nicht von
sich, sondern fährt mit nach Rom, und zwar geht abweichend
von D und LM der Vorschlag von ihr selbst ans. Pilatus wird
in ketten mitgeffihrt, wie in D. In LM wird er erst später
auf besonderen befehl des kaisers gefangen.^
V. 4462— 4531 (4244—4313) Volusian berichtet dem kaiser
ganz kurz von Christus. Tiberius voll zom (mit D verwant)
droht den Juden räche an. Dies ist wol aus der Vespasian-
legende hier übernommen. Der weg über den das bild gebracht
werden soll, wird mit kostbaren teppichen belegt (M stratis
palliis in viam purpureis), darauf erfolgt die heilung, ausführ-
licher als in M, aber ohne directen anschluss an D, woraus
der lohn den Veronica erhält und das ausschmücken des bildes
entnommen ist. In directem widersprach mit dem vorher
berichteten steht nun die angäbe, dass dieses bUd noch in
Born zu sehen sei. Hier hat sich also ganz unabhängig die
jüngere tradition über das bild eingeschlichen, die in der vor-
läge unseres dichters noch nicht zum worte gekommen war
(vgl. über deren entstehen Schönbach s. 165 1). Ueber die
quelle, woher dies möglicherweise stammt s. unten, jedenfalls
war schon im 10. jh. diese anschauung ausgebildet: 1011 weihte
papst Sergius lY. dem tuche in Bom einen altar (Massmann,
Eaiserchronik 3, 576).
Die sich v. 4532—60 (4314—42) anschliessende aufforde-
rung des kaisers, Volusian und Alban sollten einen wünsch
äussern, und deren bitte, er möge sich taufen lassen, ist eine
eigentümliche modification der in D stehenden frage des kaisers
und antwort Volusians.^)
V. 4561— 85 (4343—67) Tiberius lässt sich taufen, zerstört
>) Anch hierin folgt D der Vindicta (E). Wenigstens müssen wir
nach abschnitt 25 annehmen, dass Pilatos ge&uigen mitgeführt wnrde:
Judeae optimi apprehendenmt Füatum ut ducerent adportwn maris. Dem
widerspricht allerdings Yolnsians bericht yor Tiberius: Püatwm autem in
Damasco cUmisi ligatum et in carcere posttum 8ub fida custodia, — LM
folget umgekehrt wider A, wo auch Pilatus später erst ergriffen wird.
>) Es wäre gar nicht ausgeschlossen, dass der Verfasser glaubte, den
sinn des lat. textes widerzugeben, indem er petitio falsch als * bitte' inter-
pretierte und domini mei nicht auf Christus, sondern auf den angeredeten
Tolusian bezog.
9*
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1^2 fiELlt
den Isistempel, 0 versucht die Römer vergeblich zu bekehren
(nach D).
üeber den tod des Tiberius v. 4586— 97 (4368—79), den
LM in der fassung unseres dichters nicht kennt, obwol die
etymologie ganz im stile dieser recension ist (SchOnbach
s. 193).
Mit V. 4598 (4380) bereitet der dichter den Übergang zur
Zerstörung Jerusalems vor. Er wusste, dass diese nicht unter
Tiberius stattfand, deshalb werden v. 4598—4605 (4380—87)
mit einer aufaählung der römischen kaiser eingeschoben. Ueber
die differenz der gruppen y und z in dieser stelle und den
einfluss von D der hier zu constatieren ist, wurde bereits ge-
handelt.
Auffallend ist, dass als nachfolger des Nero ein kaiser
Anastasius erscheint, unter welchem Vespasian nach Jerusa-
lem fährt
V. 4606—4714 (4388-— 4496) der feldzug der in zwei teile
zerfällt Der erste bis zur wähl Vespasians zum kaiser bat
in LM und D seine quelle nicht (vgl. unten), erst der zweite
ist auch in LM, wird aber bei uns ziemlich selbständig be-
handelt; die Zerstörung Jerusalems selbst ist kurz berichtet,
dagegen das Strafgericht über die Juden weiter ausgeführt
Fragen wir, auf welchem wege in unserem gedieht die
eigentümliche vermengung der beiden recensionen zu stände
gekommen sein mag, so haben wir zwei möglichkeiten ins äuge
zu fassen. Entweder sind beide nebeneinander oder bereits
eine contamination derselben benutzt Gegen die zweite an-
nähme spricht zunächst, dass uns nirgends eine spur einer
solchen contamination vorliegt, weder lat noch deutsch; einzig
die hs. M zeigt einen unfreiwilligen ansatz dazu in der doppel-
heit der namen Volusianus und Albanus für den boten des
kaisers (vgl oben s. 129). Wenn wir auch zugeben müssen«
dass eine contamination beider recensionen vorhanden sein
und verloren gehen konnte, so ist der ansatz einer solchen
als quelle für uns doch auch deshalb sehr zweifelhaft, weil
bei uns der lat. text der alten recensionen, wie vm* sahen.
1) Vgl. auch Gottfir. y. Yiterbo s. 153 , dessen darsteUimg sonst nicht
yerwant ist.
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HEINRIGH HESLERS EVANGELniM NICODEMI. 133
flberall dnrchschiminert. Dies wäre aber kaum mehr der fall,
wenn zwischen diesem und unserem gedieht ein vermittelndes
glied läge. Eine deutsche bearbeitung ist dadurch in aller-
erster linie ausgeschlossen, eine lat. wäre eher denkbar, ist aber
doch auch unwahrscheinlich. Wir mässen also annehmen, dass
unser dichter die alten recensionen selbst beide vor sich gehabt
hat, und zwar die rec. LM in einem codex der M jedenfalls
sehr nahe gestanden hat, z. b. den von Pilatus entsanten
boten ebenfalls Adrian nennt. Falls wir annehmen dürften,
M selbst oder eine bis auf die fehler getreue abschrift davon
habe ihm vorgelegen, so könnte das dort zu constatierende
versehen in der benennung des kaiserlichen boten mitgewirkt
haben bei der von Hesler eingeführten zweifachen Sendung.
8. Quellen zweiter Ordnung.
Ausser diesen Schriften, an die unser gedieht in erster
linie anknüpft, sind aber noch eine ganze reihe von quellen
zweiten grades sicher für einzelheiten von bedeutung gewesen.
Eigene erfindung kann dem Verfasser mit Sicherheit nur in den
änderungen in der anordnung einzelner partien zugesprochen
werden, z. b. bei Christi ankunft in der hölle, die dadurch
dramatischer geworden ist, freilich auf kosten der klarheit.
Diese quellen zweiter Ordnung näher zu bestimmen, ist
aber in den meisten fällen so gut wie unmöglich. Die ganze
ausgedehnte kirchliche literatur, legenden und predigten können
in betracht kommen, und dabei muss im äuge behalten werden,
dass in vielen fällen eine geschriebene quelle gar nicht vor-
zuliegen braucht, da das meiste wohl als geistiges eigentum
jedes gebildeten des 13. und 14. jh.'s betrachtet werden muss,
entwachsen 'dem boden weitverzweigter tradition' (Seemüller,
Seifried Helbling s. x).
Doch wird auf einiges noch näher einzugehen sein.
a) Legendarisches. Auf sonstige legenden, abgesehen
von denen von Vespasian, Tiberius und Veronica, weisen hin
die namen der heiligen drei könige: Easpar, Melchior, Balthasar
(v. 1387 f.), die kurze beschreibung der herschaft des Antichrists
V. 3602— 31 (3386—3415), vgl. Wülcker s. 50 anm. 126, endUch
der bericht Seths über den zweig vom bäum des lebens, wo-
rüber schon gehandelt wurde.
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134 HELM
b) Theologisches. Theologische gelehrsamkeit spielt
sodann eine grosse rolle in nnserem gedieht. Sie zeigt sick
zum teil in der neigung auf bibelstellen hinzuweisen, auch wo
die quellen dies nicht tun. Es sind dies die folgenden, die
teilweise schon berührt sind: v. 233: Hiob cap.40; — v. 1631:
Micha 6, 3. 4; — v. 1914: Matth. 8, 20; — v. 1760: Hosea 13, 14;
— V.4754 (4536): Sacharja 12, 10, vielleicht angeregt durdi
Joh. 19, 37 oder Apok. 1, 7; — v. 5047 (4829): Ps. 18, 26 ft; -
V.5016 (4798): Mar. 8. 36 f.
Ausserdem finden sich aber auch grössere theologische
erörterungen, für die die vorlagen keine oder doch nur sehr
dürftige grundlage boten. An erster stelle steht der grosse,
von z^ zum grössten teil gestrichene excurs über die worte
eli, eli lama. Die meisten commentatoren zu Marcus und
Matthaeus, z. b. Paschasius Radbertus, Expositio in Mat-
thaeum (Migne, Patrol. lat. 120,956) und Anseimus Laudn-
nensis, Enarrationes in Matthaeum (Migne 162, 1488) gdien
über die stelle rasch hinweg, sich meist auf den hinweis auf
Ps.22,2 beschränkend. Einen speciell dem 27.capitel desHattk
gewidmeten commentar gibt es nicht (vgl. Migne, Index 2, 116 ftl
Ausführlicheres über dieses wort findet sich nur in Alvari
Cordubensis Epistola I ad Aurelium Flavium Johannem
(Migne 121, 414), bei Beda Venerabilis, In Marci evangeUmii
liber IV (Migne 92, 290) und bei Ernaldus, Tractatus de Sep-
tem verbis domini in cruce (Migne 189, 1677). Bestimmte an-
klänge an einen von diesen sind jedoch nicht vorhanden. Wir
haben bei dieser partie vielleicht am meisten an einfluss der
predigt zu denken.
Biblisches, theologisches und legendarisches findet sich
gemeinsam verarbeitet namentlich auch im prolog. Gleich im
anfang begegnen wir der wichtigen theologischen erörterung.
dass gott der gleichzeitig den bäum mit der verbotenen frucht
und den menschen geschaffen, dessen fall vorher wusste (v. 1
— 78). Jener bäum trug beides: tod und leben. Wie der
mensch durch ihn schuldig ward, so wird er erlöst durch
Christi tod an demselben holze. Es begegnet uns also hier ein
geläufiger zug der legende vom kreuzesholz,*) der aber hier
1) Vgl. auch Alcuin, Ganu.190:
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HEINRICH HESLERS EVANOELIUM NICODEML 135
auch direct auf Descensns cap. 8 zuiückgehen kann: qui per
lignum et diabolum et mortem damnati fuistis, modo mdete per
lignum damnatwn diabolum et mortem (vgl. Wfilcker s. 45).
Wider wird gottes allmacht betont: es wäre ihm wol möglich
gewesen, den menschen so zu schaffen, dass er nicht schuldig
geworden wäre. Deshalb erlöst er ihn auch wider; der teufel
aber, der nicht aus erde geschaffen ist, sondern aus lüter&r
masse, und der durch seine hoffahrt fiel, findet keine gnade.
Auch dies entspricht der anerkannten lehre der kirche, wie sie
auch bei Honorius Augustodunensis ausgesprochen wird.') Mit
einer bitte an den heiligen geist um beistand bei seinem werk 2)
geht der dichter zum eigentlichen thema über.
c) Stellung zu yerwanten deutschen dichtungen
geistlichen Inhalts. Als quelle hat keines derselben unserem
dichter vorgelegen; andererseits kann mit bestimmtheit an-
Per tactam ligni paradismn claoserat Adam,
perque cracis ligniun Christus reseravit Olympnin.
*) Sie steht auch in der Sächsischen weltchronik (vgl. unten) und sonst
an vielen stellen der geistlichen und weltlichen literatnr, vgl Angnsti-
nus, Contra Judaeos, Paganos et Arianos (Migne 42, 1117) cap. 2: Quid est
didbohts? Ängdus per superhiam separatus a deo, qui non steUt in veri-
täte, auctor mendacii, et a semet ipso deceptus, qui äUerum decipere concu-
piinL Iste adversarius effectus hum(mi generis, inventor mortis, superbiae
instittäar, raddx maliticLe, scderum caput, prineeps ommum vitiorum (vgl.
y. 3255 [9041 ff.] du vindere der lugene, ein wrhab der trugene, cmegenge
aUer rutoen, ein meister der tmtruwen, des ewigen todes hegin). Ans der
deutschen literatnr vgl. Mills tädter Sündenklage (Zs.fda.25) y. 452:
ubirmuot dvust so getan, diu verUuset manegen man, diu valte von Mmde
Ludfer mit menege; Kaiser Chronik y. 8822 ff.: der herest enget der under
in was, sin name hiez liehtvaz; durch sinen ubirmuot muose er fdUen unde
die sine alle, die der übirmuote waren geseUen, die buwent mit im die heüe',
Wolfram geht Parz. 463 darauf ein und noch deutlicher Willehalm 308, 14:
sieh heten mensch und engd hraht heidiu in den gotes haa: wie humt dojs
wu dag mewnisch haz dan der enget gedinget? mtn munt daa mcere bringet,
daz mennisd^ wart durch rät vertom, der engd hat sich sdb erkom eer
ewigen flüste mit siner äküste; ygl. auch W. Grimm, anm. zu Freidank 6, 3;
Boethe, anm. zu Beinmar y. Zweter 192, 7 und die reichlichen Zusammen-
stellungen Singers in der Festgabe für Heinzel s. 381.
*) Derartiges auch sonst häufig, z. b. in Heslers Apokalypse y. 1 ff.
herre goi, sfhepfer, du were ie; der din begm begunde nie, din ende vorendet
nimmer . . . ; y. 136 sddger vater sende mir dinen heiligen geist . . . ; ygl. auch
Passional y. 1 ff. üistende y. 1-^2.
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136 HELM
genommen werden, dass er der selbst drei amfaDgreiche werke
schrieb, auch mit der deutschen dichtung seiner zeit bekannt
war. Es ist demnach natfirlich, dass er unbeschadet seiner
durchaus originellen Schreibweise doch in darstellungsart und
zum teil auch im formelschatz auf gleichem boden steht mit
der gesammten geistlichen dichtung des mittelalters. Welches
oder wie wenig gewicht anklängen an diese deshalb zugemessen
werden darf, darüber wurde schon oben gesprochen. Trotzdem
müssen wenigstens einige der nächstliegenden erzeugnisse
daraufhin betrachtet werden, ob nicht kenntnis derselben in
reminiscenzen, vielleicht halb unbewusst, bei unserem dichter
zu tage tritt.
Es handelt sich vor allem um die drei die inhaltlich am
nächsten stehen: die Urstende, die Erlösung und das PassionaL
Das Passional,^ dessen kenntnis am ehesten vorauszusetzen
wäre, zeigt keine züge von irgend welcher beweiskraft, geht
dagegen in allem wesentlichen andere wege im engen anschluss
an die Legenda aurea (vgl. Schönbach, Anz. 2, 196). Es hat
zwar die Weissagung des Josephus wie bei uns, aber bereits
die frage des kaisers, weshalb er den Untergang der stadt
nicht vorher gesagt habe, fehlt, ebenso auch der name Jotaphat,
für den irgend eine spätere quelle als Josephus selbst (Ant
Jud. lanojtara) mir nicht bekannt ist. Sämmtliche deutsche
bearbeitungen, welche diese episode haben, nennen die stadt
Joppe oder Jerusalem.
In zweiter linie konmit die Urstende von Eonrad von
Heimesfurt in betracht, die nächst unserem gedieht den Stoff
des Ev. Nie. am ausführlichsten verarbeitet hat (K A. Hahn,
Deutsche gedichte; vgl. auch Wülcker a. a. o. s. 34).
Auch hier erscheinen wesentliche unterschiede: Nicodemus
tritt vor gericht als bestellter anwalt für Christus auf, die
kreuzigung wird möglichst kurz, die himmelfahrt ausführlich
erzählt. Aber andererseits erscheinen auch anklänge, die nidit
für rein zufällig erklärt werden können. Dass die juden erst
nach Jesu auferstehung das verschwinden Josephs von Ari-
mathia erfahren, haben beide gedichte gemeinsam gegen
Gestal2, 1. 13,1; ebenso wörtlich den gruss Adams bei
») Hahns anugafee 85, 35 ~ 102, 51. 266, 16— 377, 8.
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HEINBIOH HESLBHS EVANGELIUM KICODEMI. 137
Christi ankunft in der höUe: Urst. 127, 124 0 = EN 3316 (3102):
ich sih die hant die mich geschuof, wofür der Descensas keinen
anhält bietet.
unter diesen umständen gewinnen natürlich auch andere
an sich weniger markante parallelstellen an bedentong, nament-
lich wenn sie in gewisser menge auftreten. Ich stelle die
folgenden deshalb hier zusammen >):
Ü106,12 EN641
Crist dn solt nns sagen, Sie sprachen: Criste, dn solt sagen,
wer ist der dich hat geslagen. wer ist der dich hat geslagen.
Ü123,5 EN 1839 (2629)
do waren b&chstab nnde sin nnde schriben beide einen sin,
80 gar gelich daz me noch min . . . weder mer noch min.
U 125,6 EN 3069 (2855)
tut nf ir forsten iwer tor, tut uf iwer helle tor,
der eren chunic ist hie vor. hie ist der eren kuninc for.
Die Worte des Schachers finden sich bei uns an der zweiten
stelle V. 3659 (3441) mit ausnähme von so statt nu wörtlich gleich
U 127, 64 herre, nu gedenche min,
so du chomest in daz rieh din.
Zu U 104, 19 mit lobe und auck mit sänge,
mit suzem antfange,
vergleiche EN2628 (2420) ff.
sie vielen im ze fiizzen mit so heiligem antfieuige
mit lobe und mit gesange. ward nie kuniges kint . . .
Aus der Erlösung (hg. v. E. Bartsch), die im grossen und
ganzen viel verwantschaft mit unserem gedieht zeigt, wüsste
ich jedoch nur eine stelle anzugeben, die auf engeren Zusammen-
hang schliessen liesse, nämlich den hinweis auf Hosea 13, 14.
Erl. 1617 EN 1762
oy dot, ich werden noch din tot, o tot, ich werde din tot,
du helle solt ouch wiszen diz, und du helle daz wizze,
daz ich sol werden noch din biz. ich werde noch din bizze.
Es kommt dabei namentlich auf den mittleren vers an, für
^) Auf diese stelle der Urstende ist wol auch zurückzuführen Erlösung
V. 5047—49 tüon ich sehe die selben hant | die mich und aU die werU ge-
schuf I dlda huop sich em freuden ruof; vgl. auch Urst. 127, 27 do huop
sich ein gemeiner ruof,
*) ParaUelen wie U 105, 51 = EN 615 stoz din swert wider in sind
natürlich ohne bedeutung (vgl. Pass. 59^ 81 stöz in din awert, la den stHt).
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138 HELM
den in der bibel sich keine entsprechung findet. Der stetk
ErL 4782 = EN 1593 gewicht beizulegen, wage ich nicht
d) Wichtige ausblicke eröffnet zum Schlüsse die stellmig,
die unser dichter den Juden gegenüber einnimmt ELs kommt
darin ausserordentlich klar der gegensatz zum ausdnick, der
die sociale läge der Juden im mittelalter beherscht Seit dem
zweiten kreuzzuge gelten sie grundsätzlich als kammerknechte
des kaisers (vgl. Graetz, Geschichte der Juden 6, 183. 268 tL\
und zwar wird diese anschauung in allem ernste durch die
erzählung von des Vespasian Strafgericht über sie begründet;
sogar die rechtsbücher, der Schwabenspiegel an der spitze,
haben sich diese begrttndung angeeignet Fürsten und stadte
erhielten durch kaiserliches privileg das recht, Juden zu halten,
die ihnen eine bedeutende einnahmequelle waren und deshalb
ihren schütz genossen. Namentlich erfreuten sie sich einer
günstigen läge in Oesterreich,0 wo herzog Friedrich der streit-
bare sogar seine finanzen durch Juden verwalten liess and im
jähre 1244 ein besonderes rechtsstatut gab, 2) das ihnen einen
seltenen grad von freiheit in handel und wandel und sicher-
stellung ihrer person durch eigene gerichtsbarkeit zusicherte.
Dieses Statut wurde von anderen fürsten mit geringere
oder grösseren änderungen übernommen, so von herzog Boleslav
von Polen 1264, von Heinrich dem erlauchten von Meissen 1265
(vgl. Graetz a.a.O. 7, 207, anm.2).
Das Volk sah die Juden mit anderen äugen an, denn ihm
waren sie nur die bedränger. Und der Zusammenhang ist
nicht zu verkennen. Je mehr die geistlichen und weltlichem
fürsten die Juden hegten, desto mehr wurden sie zur plage des
Volkes, denen sie durch unerhörten wucher das geld abnahmen,
das die fürsten wider von ihnen erpressten. Volk und her-
schende stehen sich deshalb nicht selten in diesem punkte
schroff gegenüber, wie sich z.b. 1283 der erzbischof Werner
von Mainz energisch seiner Juden gegen die ausschreitung des
Volkes annahm (Graetz 7, 200). Gegen die mitte des 14. jks
schwenken die fürsten in das lager des volkes, wenn auch
^) Schon herzog Leopold yon Oeeterreich hatte durch Friedrich I. eis
privileginin erhalten, Juden zu halten (vgl. Wertheüner, Die Juden in Oesteir-
reich 8.34).
>) BAUch, Script rer. Austar. 1, 201.
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HEIKRICH HESLER8 EVANGELIUM NICODBMI. 139
Karl IV. bei seinem regierungsantritt noch einmal energisch
sein wort fär seine kammerknechte erhob. Namentlich 1348 f.
war ganz Dentschland der Schauplatz der grauenhaftesten
Judenverfolgungen, bei denen jetzt schon einige fursten voran-
giengen, namentlich die söhne Ludwigs des Baiem, von denen
Ludwig (markgraf von Brandenburg) alle Juden in Königsberg
in der Neumark verbrennen liess. Im benachbarten Polen war
die läge der Juden besser.
Unser dichter steht vor der zeit, da die fürsten zu be-
drangem der Juden wurden. In dem Schlussabschnitt wendet
er sich mit heftigen worten gegen die nachsieht, mit der die
fürsten die Juden behandeln, und tadelt ihre giericheit nach
dem schätz der Juden, aus der diese nachsieht entspringt:
V.5190(inGfeMeiid)
durch got uch yoisiimet, lazet ach sos niht dorsten
IT edelen dutechen yoisten: ires Schatzes.
Schon vorher hat er die strafe dieser gesinnung bezeichnet:
V.4822 (4604)
da von weidet ir ires meines teilhaft in jeneme lehene,
— das Bolt ir merken ehene — als ir tuot ires Schatzes hie.
Er erkennt auch, woher das geld in Wahrheit kommt, das die
Juden den fürsten bezahlen müssen:
V. 5125— 30 (nicht mG)
sie sint so listeclichen karc: nweren Inten, die n sint
e sie n ^hen tnsent marc, nf nwer sele hevoln,
so han sie zwenzig tnsint mit irme wocher ahe gestoln.
Zweierlei verlangt der dichter von den Juden als grundbedingung
für den frieden: aufgeben des wuchers und des Unglaubens;
denn nicht weniger als der sociale wiegt bei ihm der kirch-
liche gegensatz. Der Unglaube der Juden erscheint aber als
ein doppelter: denn erstens haben sie Christus verworfen, dann
aber auch die alte e aufgegeben:
V.5267 (4909)
nn hat ir nngetmwen
die alten e gelazen
nnd die nnwen yorwazen.^
*) Der hass der Christen gegen die jnden wendet sich anf kirchlichem
gebiet vornehmlich gegen den Talmud (vgl. die verbrennnngsedicte Graetz
7, 100 ff.).
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140 HELM
Die Verblendung der Juden dem Christentum gegenüber (vgl.
die häufige redensart sie sprachen sender ougen blint) und ihre
endliche bekehrung, wenn das jüngste gericht naht,0 sind be-
liebte themata. Endlich vertritt der dichter die bekehmng
der Juden durch gewalt, wie sie alltäglich praktisch betrieben
wurde, wenn auch im gegensatz zu den edicten der kirche,
die theoretisch wenigstens die erzwungene taufe misbilligte^):
V. 5140 (4852) die pfeiffen snlen sie leren,
schelt, bitte, drowe, vle die leien sulen sie triben —
wen biz sie sich bekeren. dammme segent man n die swert!
So wird das compelle intrare erläutert. Aber die anwendong
von gewalt soll doch keineswegs so weit gehen, dass man sie
ganz vertilge, vgl. v.5242 (4884); sondern nur dass man sie
in stetiger bedrückung halte, ein satz, den die kirchliche lehre
im anschluss an Ps. 59, 12 'erwürge sie nichts dass es mein voIk
nicht vergesse; zerstreue sie aber mit deiner macht, herr unser
Schild, und stosse sie hinunter' ausgebildet hat.^)
Die annähme, dass unserem dichter bei abfassung dieser
Partien irgend einer der vielen älteren und neueren tractate
gegen die Juden, vielleicht auch mehrere derselben, voi^legen
habe,^) dürfte kaum discutierbar sein. Möglich ist es immerhin,
') Diese auffassnng geht zurUck auf Jes. 10, 22, worauf sich die steUe
B()m.9,27. 11,5 bezieht. Ueber ihre yerbreitimg in der kirchlichen wie
in der deutschen literatnr vgl. Erans, Anz. fda. 19, 59.
*) So in erlassen Innocenz' m., Gregors X. (Graetz 7, 199); anch bei
Thomas von Aquino, Summa theologiae.
*) Vgl. z. b. anch Augustinus, De fide eomm qni non videntnr cap.6
(Migne 40, 178) nnd Augustinus, De civitate dei 18, cap. 46 (Migne
41,608).
*) Vgl. Cyprianus, Testimoniorum libri tres ady. Judaeos (Migne,
Patr. lat.4,675); Severus, Epistola de Judaeis (Migne20,731); Augus-
tinus, Tractatus ady. Judaeos (42,51); id., Sermo de ^ymbolo contra
Judaeos, paganos et Arianes (M. 42, 1117); id.. De altercatione eodesiae et
synagogae (M. 42, 1131); Leo Magnus, Sermo 35, cap. 1 (M. 54,250);
Mazimus Taurinensis, Tractatus Y contra Judaeos (M. 57,793); Ago-
bardus, De insolentia Judaeorum (M. 104, 69); id., De iudaicis superzti-
tionibus (M. 104, 77); id., De cavenda societate iudaica (M. 104, 107); id^
De baptismo Judaeomm mancipiorum (M. 104,99); Amulo, Liber oontra
Judaeos ad Carolum regem (M. 116, 141); Fulbertus, Tractatus contra Jn-
daeos (M. 141, 305 und 827); Petrus D am i an u s, Antilogns contra Jndaeoe
(M. 145, 41); id., Dialogus inter Judaeum et Chrisüanum QLUJ^^bT);
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HEINBICH HE8LEBS EVANGELIUM NICODEHI. 141
es ZU beweisen oder zu widerlegen ist gleich undurchffllirbar.
Notwendig ist jedoch keineswegs, directe vorlagen für diese
Partien unseres gedichtes anzunehmen. Die betrachtung der
Zeitumstände, welche ihren hintergrund bilden, lehrt wie nahe
es lag; die ja doch in der luft liegende und allerorts vielfach
ventilierte frage zu berühren. Indessen muss hier doch wenig-
stens auf ein verwantes deutsches erzeugnis hingewiesen werden;
es ist dies das zweite gedieht des sog. Seifried Helbling
(hg. von Seemüller, Halle 1886), das v. 1079—1193 ebenfalls
eine rede gegen die Juden enthält mit ähnlicher schärfe gegen
die nachsieht der forsten: v. 1159 wasr ich ein fürst ze nennen,
ich hieg euch aüe brennen; v. 1181 die fursten tuont ee trage
wnb imoer Synagoge die ir ufrichtet ...er woer vil wol der in
verbui ir keteerlichez talmut. Gegen eine bekanntschaft unseres
dichters mit dieser stelle scheint ja von vornherein alles zu
sprechen. S. H. hat nur eine sehr beschränkte Verbreitung
gefunden, schon der Inhalt der gedichte brachte es vielleicht
zum teil mit sich, dass sie nur im engsten kreise der standes-
und gesinnungsgenossen bekannt gegeben wurden. Wir be-
sitzen denn auch keine einzige md. hs. der gedichte. Aber
andererseits wissen wir, dass hss. verloren sind (Seemüller
s. cvn), und zwar mit ausnähme von A alle die einzelabschnften
der gedichte, deren doch gewis von jedem mehrere vorhanden
waren. Eine solche einzelabschrift konnte aber unser dichter
sehr wol zu gesicht bekommen haben, und durch sie konnte
er zu der Judenpredigt angeregt worden sein.
Auf Seifr. Helbling weist uns aber auch noch eine weitere,
allerdings ebenfalls unsichere spur. Beim verkauf der Juden
durch Vespasian finden sich dort die verse 1171 ff. die (die
Juden) fuort man an den seilen und liez iuch hin veilen umb
Gnibertns, De incarnatione contra JndaeoB (M. 156, 489); Rupertus,
Ammlns, sive dialogrns inter Cbristianiim et Jadaemu (M. 170; 559); G i sie-
be rtns, Dispntatio Jndaei com Christiano (M. 169, 1005); Odo, Disputatio
contra Jndaeos (M. 160, 1105); Rabbi Samuel, De adventu Messiae prae-
terito (M. 149, 338); Petrus Abaelardus, Dialogus inter pMlosophum
Judaenm et Cbristianum (M. 178, 1609); Petrus Yenerabilis, Tractatus
adv. Judaeos (H. 189,355); Petrus Blesensis, Opusculum contra perfidiam
Jndaeomm (If. 207, 825); S. M artinus, Contra Judaeos (M. 209, 423);
Anonymus (12. saec.), Tractatus ady. Judaeos (M. 213, 749); vgl dasu Migne
220, 989—1006, Index de Jndaeu).
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142 HELM
ein kleinen dinc, drieic jaden unib ein phenninc, Dass T. 1174
= V. 4710 (4492) unseres gedichtes ist, hat keine bedentnng,
die Wendung lag zu nahe: auch dass der reim (dinc:j)heH'
ninc) der gleiche ist, ist belanglos, er findet sich ebenso bei
Enenkel v. 24349 man sagt er schuf so wol sin dinc das er
umb einen phenninc . . . Dagegen verdient es beachtnng, dass
V. 1172 fast wörtlich bei uns widerkehrt in v. 4694 (4476)
man fuort sie vor an seilen. Dieser zug ist nämlich ausser-
ordentlich selten, er findet sich, so viel ich sehe, nur noch in
der Eaiserchronik y. 1117 an kettenen und an snuoren hiee ma»
si veile vuoren.
Nun gibt unser dichter y. 4718 (4500) auskunft über eine
weitere quelle: wellen sie mir folgen und die reckte warkdi
suochen in der kuninge buochen, da bring ich ee gejsnuge die
Schrift. Unter der könige buch kann nun wol die Eaiserchronik
verstanden werden, allerdings auch andere Chroniken, nament-
lich noch die Sächsische weltchronik (hg. von Weiland, MG.
Deutsche chron. 2, 1). Beide gehören nicht der recension LM
an, sie enthalten die einfache erzählung von Tiberius' heilung,
der böte des kaisers heisst Volusian. Die Kaiserchronik ist
aber überdies in allem wesentlichen grundverschieden von
unserem gedieht, namentlich in der ganzen erzählung von Jo-
sephus, dessen Weissagung fehlt, während die heilung des Titas
hinzugefügt wird. Der zug, dass die gefangenen Juden an
seilen vorgeführt werden, wäre der einzige gemeinsame.
Aber der dichter beruft sich gar nicht gerade für diesen dnai
zug auf der könige buch, sondern für seinen ganzen bericht
von dem verkauf der Juden; wir werden demnach bei dem
mangel jeglicher sonstigen Übereinstimmung von bedeutong
schliessen müssen, dass der dichter mit der könige buch die
Eaiserchronik nicht gemeint hat. So würden wir also doch
wider auf S. Helbling als quelle für v. 4694 1 zurückgewiesen^)
Dürften wir das resultat als gewis annehmen, so gewännen
wir für die Chronologie unseres gedichtes einen terminos post
quem, da das zweite gedieht S. Helblings zwischen 1292 und
1294 geschrieben ist (vgl. Seemüller zu v.830 und 874).
0 Räumliche entfenmng dürfte als hindernis nicht geltend gemftckt
werden, haben doch auch V^ernher yom Niederrhein nnd Heinrich ▼on Yei-
deke den Heinrich von Melk gekannt; ygl. Behaghel, Eneit s. n.x^it
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HBINBICH HE8LBBS EVANOELIUM NICODEHI. 143
Als das von dem dichter gemeinte buch der könige käme
dann die Sächsische weltchronik in betracht, und diese war
ihm, wie mehrere einzelheiten dartnn, in der tat bekannt.
Während bei uns Tiberius erschlagen und in die Tiber geworfen
wird, findet er sonst fast stets, auch in der Kehr. v. 1134 und
in der Sachs, weltchr. sein ende durch gift. Aber in der letz-
teren findet sich in der Gothaer hs. der zusatz vn wart ge-
worpen in den tyber de da vore het alban vn het nu tyV na
tyherius de darinne wart gevundenJ) Die durch die Gothaer
hs. repräsentierte recension wird dadurch als vorläge unseres
dichters erwiesen. Dass das bild der Veronica in Rom zu
sehen sei, findet sich ebenfalls in der chronik; dadurch kann
die angäbe unseres gedichtes mit beeinflusst sein. Endlich
findet sich hier auch die erzählung vom jüdischen krieg wie
bei uns, Josephus' gefangennähme und Weissagung, wenn auch
natürlich weit kürzer, aber doch wie auch das folgende Straf-
gericht mit ganz directen parallelen: vgl. v. 4639 (4421) si
des niht so tote mich = Chron. ne ist it nicht so dode mich.
Die Unfreiheit der Juden namentlich, wofür gerade die Chronik
als beleg angerufen wird, ist nachdrücklich hervorgehoben,
und auch hier ist verwantschaft in den ausdrücken mit unserem
Ev. nicht zu leugnen: in wart verdelt echt und reht, erve und
eigen, dat se oc eigen solden wesen immer mer, vgl. v. 4695 —
4699 (4477—4481).
Von dem Strafgericht gegen die Juden sind nach unserem
gedieht zwei geschlechter, Gog und Magog, ausgenommen, die
von Alexander eingeschlossen wurden und deshalb die botschaft
von Christus nicht vernommen hatten.
Die zu gründe liegende sage erscheint in verschiedener
gestalt. Anknüpfend an die existenz einer wol von den per-
sischen königen erbauten grossen mauer bei Derbend gewinnt
0 Diese erkläning des namens findet sich auch bei Enenkel (Stranch
8. 385) y. 20184, aber ohne bestimmte angäbe des gewaltsamen todes y. 20191:
tvan er ewar dar twne ertranc, ich weie nicht ob ez an sinen danc geschach
oder mit dem triUen ttm; daz ist mir noch ni<M worden schin. I)ie ety-
mologie beroht auf einer yerwechslnng des Tiberius mit Tiberinns Sylyins,
dem alten AlbanerkOnig, yon dem Honorius Angostodunensis dies erzählt
(ygl. Strauch s. 384). In richtiger beziehnng findet sich die notiz noch in
Gottfrieds von Viterbo Specnlom regnm (MG. 22, 51).
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144 HELM
sie anschluss an den bericht Ezechiels (38, 39) von dem heeres-
zug des königs Gk)g ans dem lande Magog (so genannt nadi
Japhets gleichnamigem söhn, Gen. 10, 2) gegen Israel nnd seiner
niederlage. Die sage nennt neben ihm noch bis zn drassig
heidnische geschlechter, und erzählt wie sie sich wider erholen
und von Alexander zwischen hohen bergen eingeschlossen
werden. In dieser form ist sie enthalten in den Beyelationes
Methodü, von wo sie teils dir^t wie bei Rudolf von Ems (v^
Zingerle, Quellen zum Alezander des R v. E. s. 196 ft), teDs
indirect durch die von der Seitenstetter hs. repräsentierte £afisang
des Liber de proeliis in die meisten Alezanderdichtungen Aber-
gegangen ist.^
In einer anderen fassung haben nun die stelle der ge-
fangenen beiden die in der gefangenschaft befindlichen zehn
Stämme der Juden eingenommen, die von Alexander vergeblich
ihre freiheit erhoffen, aber von demselben ihrer frevel wegen für
ewig eingemauert werden. >) Wann diese umdeutung geschah,
entzieht sich unserer kenntnis; schon Petrus Comestor (Migi«
198, 1407) kennt sie offenbar, wenn er sagt: adhuc decem irUms
ultra montes Cnspios captivae tenentur.
Bei Quilichinus von Spoleto (1236) finden wir beide, heidea
und Juden, genannt, s) wovon dessen quelle Julius Valerius noch
nichts hat. Ebenso erzählt Rudolf von Ems einmal die ein-
schliessung der beiden Gog und Magog, an einer anderen steile
der Juden, während die Sächsische weltchronik nur die judei
nennt. Mit einem weiteren schritt gelangte man zur identi-
ficierung der Juden mit Gog und Magog. Dies geschieht z.b.
im Compendium theologiae veritatis, lib. 7, cap. 11.^) Ihm folgt
Hugo von Langensteins Martina 192, 31 (vgl. Köhler, Germ. S.
23 ff.); auch in Seifrieds Alexander erscheinen Gog und Magog
^) Eine ausnähme bildet Lamprecht, der die episode nicht kennt.
>) Wir übergehen hier die rolle, die die eingeschlossenen sur zeit dei
Antichrist spielen.
*) Fraeterea indtisit decem tribua fiUorum Israd, sed Judam et Ben-
jamin non indu8ü, Wiener Jahrbücher 57| anzeiger 61.
^) So mnss wenigstens der worüant anfgefasst werden. De Go§ d
Magog dtcunt quidam quod smt decem trihus intra monier Caspiu
diMsae, wenn auch in scheinbarem gegensatz zu dem späteren ha% diiemA
Judaei in fine exituraa et venturas m Jerusalem et cum suo messia ee6U$ißt
destructuras.
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HEIKBICH HfiSLERS EVaKGBLTÜM l^IOODEMI. 145
als Juden. Die weite Verbreitung dieser version beweist ihr
auftreten im Poema de Alejandro des Joan Lorenzo Segura de
Astorga, der um 1260 schrieb (ygl. Wiener jahrbb. 57, 181).
Hesler hat nun jedenfalls die ursprüngliche yersion aus
irgend einer der Alexanderdichtungen gekannt, die version
welche die Juden einsetzt, sicher wenigstens aus der Sächsischen
Chronik. Auch die contamination war ihm wol schon bekannt;
denn das Compendium war ein ausserordentlich viel gelesenes
buch; vielleicht kannte er aber auch die (nach 1293) geschrie-
bene Martina. Einen weiteren schritt tut er aber, wenn er
an stelle der zehn israelitischen stamme nur zwei setzt, da
er nur für so viele namen hat. Dann ist aber auch der Inhalt
der sage ein ganz anderer geworden; die einschliessnng, die
ursprünglich doch eine strafe ist, erscheint bei uns als eine
besondere gnade.*) Ihren grund findet diese ganz vereinzelt
dastehende lesart vielleicht in folgendem. In einzelnen juden-
gemeinden sehr hohen alters (z. b. Worms) besteht zum teil
heute noch die tradition, dass sie schon vor Christus be-
standen hätten, mithin ihre tnitglieder an Christi tod nicht
mitschuldig seien. Solche anschauungen traten vielleicht
Hesler entgegen und gaben ihm die idee ein; war dies der
fall, dann ist seine darstellung jedenfalls polemisch zu fassen :
er tritt jenen seiner meinung nach unberechtigten äusserungen
entgegen mit dem satze: alle Juden trifft das gericht mit
ausnähme jener von Alexander zwischen den bergen ein-
geschlossenen.
III. Sprache und heimat des gedichtes.
A« Die spräche.
Ueber die spräche des Ev. Nie. hat abgesehen von den
kurzen bemerkungen K. v. Bahders (Ueber ein vocal. problem
des md. s.42) ausführlicher gehandelt K. Amersbach (1,11 und
^) Im Yespasian des Wilden mannes erscheint widemm eine andere
fassung, die nichts weiter ist als eine sehr yerhlasste reminiscenz der ganzen
sagre. Es heisst dort nach dem verkauf der jnden y.255: een gesUhte man
ir virsande, diu quamen an ein gebirge zu lande, diu andirin umrdin
virleidit und ovir aUi di werlt verspreidet (vgl. Köhn, Gedichte des Wilden
mannes s. 41). Eingehenderes üher die ganze sage hoffe ich in hälde vor-
legen zn können.
Bdtnige lur geschichte der deutschen spräche. XXIV. 10
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146 k£Lit
2, 3 ft). Seine darstellung bedarf jedoch sehr der ergänzong,
da sie, ohne abschliessendes zu bieten, sich darauf beschränkt,
die identität der spräche mit der von Heslers Apokalypse nach-
zuweisen. Ausserdem ist sie aber auch nicht einwandfrei, da
sie zum teil mit zweifelhaftem material arbeitet und belegen
aus dem versinnern zu viel gewicht zugesteht. Wir beschränken
uns zunächst auf die ausbeute der reime, wobei als norm zu
gelten hat, dass im zweifelsfalle jeder reim als dialektisch
rein zu betrachten ist. Betreffe der spräche der Apokalypse
beschränken wir uns auf angäbe etwaiger abweichungen.
L Vocale.
Der Umlaut ist nur durchgeführt bei a, ä, wo er regel
ist. Hervorzuheben ist besonders 0 tregis (: hegts) 3346 und ehte
(8) : rehte.
Der umlaut von ä ist gesichert durch reime wie mere :
were 2566, emphet : set (sehet) 2671, nete (zu nahen) : vS(he)te
1967. offenbere reimt auf -ere (= -cere) 1647. 4766. 4978, was
allerdings nichts beweist; in der Apokalypse sind auch reime
auf -äre belegt (Amersbach 2, 1). In einzelnen fällen unter-
bleibt dagegen der umlaut von ä, vgl. häte (conj. praet.) : räU
2507. Der reim swär (: war) 993, swären (: wären) 1217 be-
gegnet auch sonst oft in md. denkmälern, vgLEatharinen marter
V. 306 (Germ. 8, 129). Ebemand v. Erfurt 847. 1283. 3671. Her-
bort V. Fritzlar 9596. Ludwigs kreuzfahrt 1928. Der sflnden
widerstreit 2200, sehr oft bei Jeroschin (Pfeiffer s. lvii). Mit
dem umlaut hat dies nichts zu tun, vielmehr liegt die alte
lautgesetzliche form alter i- stamme vor; vgl. Behaghel, GeruL
23,275. beswäret {: wäret) ist dann auf grund von analogie
zu erklären.
Umlaut unter einfluss der suffixe -lieh, -ic wird durch keinen
reim erwiesen. Ettckumlaut ist regel: vorant : hant 2633. 3579,
vorha/ncte ( : crancte) 2929, Ihaften (: caften) 1807, sante (imanie)
2964, genant (: want) 4611, (: hant) 2601, gesant (: lant) 2923.
4055, (ihailant) 4259, gestracket {: entnacket) 1655, vorwdnde
(imände) 3887.
0 wennen ( : irkennen) 3264 ist nebenfonn zn wwinen, nicht mit Wein-
hold § 28 als umlaut zu erklären-
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flEtNRiOH &ESLEBS EYAl^GELIÜM KICODEML 14?
Der Umlaut sAmmtlicher anderer vocale ist nach gemein-
md. weise wenig ausgeprägt; demgemäss erscheinen unbedenk-
lich umgelauteter und unumgelauteter vocal im reim gebunden;*)
vgl. Behaghel, Pauls Grundr. 1, § 40, Weinhold, Mhd. gr. § 54.
82. 102. 118. 132. Beispiele: 6: bröde (: töde) 3248. 3342. 4027,
k&ren ( : ören) 1293, ze honden ( : schönden) 4711, verbösen
(: lasterlösen) 4801, lösen : vrö sin 3011, stören : bekoren 1415.
— ou: frouwen (int) ( : frouwen dat. sg.) 4494 ist die alte
regelrechte form mit geminiertem w, yrawwjan, wo nie um-
laut eintritt. — u: geturstic (: durstic) 329, sunden {: wunden)
3771, sunde : munde 3573, Urkunde : munde 617, tumnge (2 p.) :
lösunge 150, runge : wustenunge 1645, wunne : sunr^ 2623, er-
mit : sult 1825, : gedult 1910. 2027, gründen (: schunden) 3099,
turen ( : bekuren) 3283, stucken ( : erschrucken) 3293, bute
(•.schütte'^)) 292b. — uo: guote (ibluote) Ibll, ruogen(:sluogen)
1815, muon (: mäejen) : tuon 1281. 3077. 4937, gescuofe (iruofe)
345. 4907, pruofen (: Äuo/en) 5121, suone (: ^uone) 2099. Nicht
beweisend — da die alte regelrechte form ohne umlaut vor-
liegen kann bez. muss — sind: fuoisen (imuozen) 434. 907. 4511,
kuol {:stuol)Q25.
a.
a, ä =^ gemeinmhd. a, a. Insbesondere ist a erhalten in
vianden {: anden) 4995. Im sg. praes. des verbums * sollen'
ist die o-form durch die reime auf al, gewalt, gestalt gesichert;
vgl. V. 998. 2968. 3082. 3352. 3934. Damach wird wol auch
sai : wal 1281. 2607 zu lesen sein, obwol auch sol : wol mög-
lich ist. Der gebrauch von sol neben sal wäre ganz unbedenk-
lich. Die a-formen entsprechen dem dialekt des dichters, die
o-formen konnten als bequeme conventioneile reimwörter Ver-
wendung finden. Dem entspricht auch die ausschliessliche
herschaft der o -formen in den reimen der Apokalypse, die
sicher nicht als dialektisch erklärt werden kann. Auch die
>) Ebenso bei Jeroschin (Pfeiffer s. lx), Erldsung (anm. zu y. 154. 275.
523). Im buch Hiob wird ausser a, ä nur ou nrng^elantet (vgl. W. MüUer,
Bas md. buch Hiob s. 14). Im Md. schachbnch ist der nmlant aber, wenn
auch nicht ausnahmslos (gunne : brunne 241, 11), doch im aUgemeinen durch-
gedrungen (vgl. Sievers, Zs. fda. 17, 387).
*) = 'das schütteln'; Jeroschin v. 22742 die dries gab so harten stöz
mit sdwtte dem gebuide.
10*
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148 HELM
meisten anderen md. dichtungen zeigen sal nnd sol neben-
einander im reim.
Md. van ist durch den reim nicht zu belegen, dagegen
von (: Sytneon) 2879, (: gewon) 4054. 5177, (: ungewon) 3037.
Ebenso entbehrt a für ^ in larte, hurte, welches Amersbach
als zweifellos annimmt, eines beweisenden reimes,») da beide
Worte nie mit echtem a reimen; wol aber ist e belegt in kerte :
erie 1589.
Belege für yocaldehnung sind im gegensatz zu anderen
md. denkmälem (Schachbuch, vgl. Sievers a.a.O. s.385, buch
Hiob, vgl. W. Müller s. 11) noch selten, für a nur vor r zu be-
legen : gar : war 2073. 5241, schar : ztvär 617 (vgl. A. Ritzert,
Beitr.23, 220); dazu käme noch hegan : wän hQ^i, wenn man
diesen reim nicht lieber als ungenau betrachten will. Li
hrähten : ahten 2755 ist umgekehrt wol ein zeugnis für kürznng
vor doppelconsonanz zu erblicken (vgl. Erlösung 5776). Alle
anderen in einzelnen hss. stehenden und von Amersbach
citierten fälle sind unursprünglich und corrigieren sich leicht.
Ueber contractions-a siehe unten.
Eigennamen auf -at, -an, -am reimen in ihren flectierten
formen nur auf d: Püaten : bäten 721. 763. 1441. 2449, Pilate :
dräte 1137. 1319, Adriane : äne 4221, Adume : hräme 171, Ada-
men : namen 2009. 3405 : guämen 27. 2225, Äthane : undertdne
4591. Nur scheinbar sind die ausnahmen Adamen : Uchamen
4085. 4901, wofür Itchnämen zu lesen; vgl. Germ. 9, 215. Zs. fda.
6,299.
In der unflectierten form reimen namen auf -am nur mit a:
Adum : nam 917, : quam 2855, : mm 4057. 3588, was allerdings
bei der Seltenheit der endung -am nichts bedeutet. Namen
auf -an reimen dagegen auf a und d: Jordan : an 2867, Vblu-
sian : an 4445, : hän 4491, : sän 4435. Solche namen hat der
dichter also offenbar nach bedürfnis verwendet
Elyas 2603. 3597, Jesaias 2861, Micheas 3559, Satanas
3013 reimen auf was, gegen einmal Satanas : gas der Apoka-
lypse. Filat ist belegt im reim auf stät 1085, tat 755. 4329.
*) Wie z.b. bei Jeroschin, Pfeiffer 8.lvi.
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HEINRICH HESLERS EVANGELIUM NICODBIU. 149
Die c-laute.
Im bestand der vier 6-laute: e, e, e, ob ist natürlich manche
yerschiebung eingetreten; dass dieselben jedoch, wie Amersbach
angibt, principiell gar nicht mehr auseinander gehalten würden,
ist ein irrtnm. Im gegenteü: die durchaus reinen reime sind
in so erdrückender majorität (ca. 80 e : e, 160 eie) 45 cp : öp,
60 e : e), dass die anderen dagegen völlig verschwinden.
Zu den reinen 6-reimen sind natürlich alle die zwischen e'
und dem jüngeren umlauts-e zu stellen (vgl. Wilmanns, Deutsche
gramm. 1, § 198 und die dort verzeichnete literatur): ehte (8) :
rehte 729, gesUhte : ehte 4725, : rehte 1311. 1936. 4083. 4297.
5295, pfert : wärt 5039; auch erge : berge 547, vgl. Ehrismann,
Beitr. 22, 291. Daran schliessen sich an scheinen {'.nemen),
das auch sonst oft auf e reimt (vgl Lexer 2, 299 und v. Bahder,
Grundlagen des nhd. lautsystems s. 107), und stete (: tete) 79.
279. 1181, steten (: treten) i851; vgl. Ehrismann a.a.O. s. 298 f.
Umgekehrt liegen ebenfalls reine reime vor in den fällen,
in welchen e vor g und st bereits gemeinmhd. geschlossen ge-
sprochen wurde (vgl. Wilmanns 1, § 197 anm.2): gegene : wegene
2503, begegenten : segenten 3471, best : nest 1911, weste : beste
4707, besten : westen 21. 3171. In venie : menige 2373. 3575
kann wol Übergang von e>e vor i vorliegen >) (vgl. Kauff-
mann, Beitr. 13, 393, weitere literatur bei Wilmanns § 197);
doch ist diese annähme nicht nötig. Da es für venia ein reim-
wort mit e nicht gibt, so ist dieser reim eben traditionell ge-
worden, wie er denn oft den Charakter eines flickreims hat.
Er steht z. b. Erlösung 1129. 3351. Lohengrin 6564. Eaben-
schlacht (Martin, Heldenbuch 2) 513. Elisabeth 599. 716. 736.
Ebemand von Erfurt 2841. Heslers Apokalypse 113 a. Nur aus
dem Md. schachbuch 207, 17 ist mir eine andere reimbindung
venjen : undertenjen bekannt.
Damach bleiben von reimen von e : e nur noch übrig:
gewerp : derp 3367, gewerbe : erbe 4169, bert : beschert 2033,
merken : werken 763. 1709, smern : nem 4703. In all diesen
0 Schwerlich menige mit offenem e, wie in der Voraner hs. der Kehr,
anzusetzen ist, vgl. y. Bahder, Grundlagen s. 106. Ueber den reim i : g vg^l.
Ehrismann a. a. o. s. 295 nnd Weinhold, Mhd. gr. § 222. Aus der Apokalypse
sind zu vergleichen die reime vorlügen : concüien bl. 145, : evangelten hl. 148.
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150 HELM
folgt dem e ein r + cons., vor dieser lautverbindung findet ein
ausgedehnter Übergang vom geschlossenen zum offenen e-laut
statt (vgl. Wilmanns 1, § 199),
Fremdes kurzes e erscheint nur selten im reim, teils auf
geschlossenes e\ Egestin : westin (s.oben) 1823, : besten 1509,
teils auf offenes: Herodes : des 1397.
Sehr selten sind die reime von e: e (= csy): mere : mere
3691, serde : swerde (cb) 3307, vete : nete (cb) 1967, entßt : set
2671. In V. 2565 ist wol mere = mcere zu lesen. Der conj.
praet. von han reimt auf 6(=ce) : stete 62. 4133, crete 675,
trete, daneben auch auf kurzes e: tete 2399. 3801. 5095.
Diese Seltenheit lässt erkennen, dass fttr unseren dichter
der Umlaut von ä sich mit altem e nicht deckt, wenn beide
laute sich auch ziemlich nahe standen. In weit grösserem
umfang werden e : ob gebunden im md. buch Hiob (vgl. W. Muller
s. 13), schon seltener bei Jeroschin, der die quantität, wie es
scheint, strenger scheidet als die qualität (vgl. Pfeiffer s. lvii).
Bei Ebemand von Erfurt (Bechstein s. xx) und Heinrich von
Krolewitz sind diese reime ebenfalls ziemlich häufig. Ihnen
stehen aber andere dichter aus dem ganzen md. gebiet gegen-
über, welche gleich Hesler eine abneigung gegen diese reim-
bindungen haben; vgl. auch v. Bahder, Grundlagen s. 110 und
Ehrismann, Beitr. 22, 290. Es ist nicht notwendigerweise darin
ein dialektisches Charakteristikum zu erkennen, vielmehr wird
oft nur der grad des gefühls fttr reimreinheit darin zum aus-
druck kommen.
Einzelne md. mundarten haben heute den unterschied
zwischen i und cb ganz aufgegeben, 2) so das obersächsische,
vgl. W. Braune, Beitr. 13, 584. Bei Heinrich von Krolewitz
kann deshalb wol auch schon sehr weitgehende annäherung
zwischen e und ce angesetzt werden. Andere md. dialekte
dagegen scheiden i und ob auch heute noch streng: e als
') So nach md. Orthographie.
') Hierzu sind anch die mundarten zu stellen, die e und <b yermengen
und für beide je nach der nachbarschaft, in der sie sich befinden, offenen
oder geschlossenen laut sprechen, so das ruhlaische, das für e den geschlos-
senen laut vor r, l, m, n erhält und in derselben Stellung auch ce ia e
wandelt (näheres bei Regel, Ruhl. mundart s. 8). Aehnlich verhält sich
die Stieger mundart, vgl. Liesenberg, Stieger mundart s. 21 und 26.
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HEINRICH HESLEB8 EVANGELIUM NICODEMI. 151
geschlossenen und cb als offenen laut; ias schlesische hat es
zu geschlossenem S gewandelt, aber gleichzeitig altes e (nnd oß)
völlig zu I verengt^ vgL Branne a.a.O. s.574.
Langes fremdes e reimt anf e und e (<ß): Michahde : sele
2581, Neren : eren 4603, sene : Naearene 1799, : Cyrene 1571.
Oliveie nnd prophete reimen auf hete 2228. 2653. 2883. Das
ans -ehe-, -ehe-, -ehe- contrahierte e wird wie altes 6 behandelt
und reimt wie dies einzeln auf e (= cb),
Ursprfinglich lange und kurze 6- laute, die bei Jeroschin
sich im reim oft begegnen, werden bei uns selten gebunden.
Gar nicht belegt ist c : e; — e: e erscheint in er : mer 379, worin
wir ein zeugnis der früh beginnenden dehnung des pron. er-
blicken müssen (Wilmanns 1, § 246. Weinhold § 458). Auch
Y. 4913 fasse ich als Aer : mer (nicht her); herre reimt auf
verre 1541, wie auf ere 4447, der zweite reim ist der speciflsch
mitteldeutsche (vgl. Gterm. 1 1, 150). — c : e (= cb) : gezhne : vorleme
353. Hier ist im zweiten wort gleichzeitig dehnung (vor m,
Wilmanns § 243) und Verdrängung des geschlossenen lautes
durch den offenen in anlehnung an 4ahm' anzusetzen. — e: e
{=<b): ledic : stcetic. Der reim erklärt sich auf grund von
dehnung. Wenn ledic unter dem einfluss des Suffixes geschlos-
senes e erhalten hat (Eauffmann, Beiti*. 13, 392), so wird man
denselben wandel auch für ^stcetic als möglich anerkennen
müssen.
In V. 2668 ist gegen Weinhold § 51 geberde (: ercfo), nicht
geberde zu lesen.
i.
Langes i ist natürlich monopbthong. Reime von urspr.
i : i sind sin : sin 619 und gezihte : lihte 2275. Der erste reim
kann nur als unrein betrachtet werden, jedenfalls kann die
dehnung, die Weinhold § 72 annimmt, nicht fest gewesen sein,
da sonst sin stets auf kurzes i reimt. Im zweiten reim nehme
ich trotz Uhte : Ithte 1877. 4935 lihte mit kurzem i an, das
wol auf nd. einfluss zurückzuführen ist; vgl. nd. lihten.
Sicher -als kurz hat ursprüngliches I zu gelten in den
zweiten compositionsgliedem von esterich : dich 781 und itewijs
(: i>) 1081, itewizzen : bizzen 1963, : vUzzen 1815. 4793. Ebenso
reimt stets auf kurzes i die unflectierte form des suffixes -lieh :
midi 575. 1055. 3097, : sich 199. 225. 271. — -liehe und -liehen
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152 HELM
werden dagegen nur mit i gebunden, vgl. v. 837. 1481. 3477.
4191. 4219.«)
Fremdes i reimt auf i (im buch Hiob nur auf ie, W.Müller
s. 17): dri : Levi 2681, : Herodi 1419, vrie : Aromathie 2249, Ma-
rien : vrien 1885. 4997, : 0ihen 989, sin : kann 2753. 2715. 3693,
schlnen : Jcarinen 2731, paradis : sis 3663, : rfa 11. 119. 4061,
:wi$S7, : pHs 57. 1873.
Davit : quit 1615. 2037. 2303, : sMt 3163, : nit 5043, 5^ten :
Ty^en 4653.
e und i
Die speciell md. berührung zwischen e und i ist in unserem
gedieht im reim nicht häufig zu belegen. Der grund dafür
kann ein doppelter sein. Entweder empfand der dichter solche
reime entschieden als dialektisch und suchte sie deshalb zu
vermeiden, oder die beiden laute hatten sich doch nur bis zu
einem gewissen grad genähert, ohne aber zusammengefallen
zu sein. Zwischen beiden annahmen zu entscheiden ist un-
möglich, wahrscheinlicher scheint mir die zweite.
e : i liegt vor in belegen : besigen 2347, e : i in pferden :
wirden 4855, beschert : Urt 2033. Nicht beweiskräftig ist her-
men : schirmen 541. 4927. In seht : gesehiht kann contractions-
vocal ie vorliegen (Weinh. § 113). vorjigen : swigen 2683 erklärt
sich durch berührung zwischen 'e- und i- reihe in iehen, vgl.
v.Bahder, Germ. 30, 400. Behaghel, Pauls Grundr. 1, § 141, 4.
werken (inf.) {: merken) 735 ist altes toerkan statt wirhkin;
einem as. brengian kann brengen entsprechen in brengefi : vor-
hengen 3871, brenge : lenge 2163, brenget : vorhenget 4811
(Amersbach 1, 12. Wülcker, Vocalschwächung s. 25. W. Grimm,
Kl. Schriften 3, 224). Daneben stehen jedoch auch die reime
bring : ging (imperativ) 771, bringen : dingen 303. 841. 4635,
bringet : twinget 761. 5085.
Während in den Stammsilben der laut sich mehr zum e
*) Vgl. 'Weinhold, Mhd. g;r. § 16. Der dort gegebenen Ensammenstdlimg
ist nachzutragen: bei Ebemand v. Erfurt finden sich reimbelege nnr für t
(s. zxiv), ebenso reimt das Passional (vgl. 41, 26. 42, 62. 181, IdS), das bach
Hiob (W. Müller s. 12), Ludwigs kreuzfahrt (4932. 4948. 4966. 4996. 5232.
5368), die Erlösung, das Md. schachbuch (Zs. fda. 17, 386). Im Marienleben
bruder Philipps sind auch reime auf t häufig; doch reimen dort ebenso wie
in der Erlösung auch himdrich 294. 2514, kunigrich u.s.w. auf kunes t.
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HEIKBIGH HE8LEB8 EVAKGELIUM NICODEIH. 153
neigte (vgl. auch die heutige ausspräche des i in Norddeutsch-
land, Wilmanns 1, § 222), herscht in den flezionssilben offenbar
die i-qualität vor, wie der reim lösen : vrö sin zeigt; ebenso
kini : pergament 2831, sint : tusent 5127, vrides : Isidis 4567,
Cruzes : lucis 3487, tcesten : iestin 1825; — bat in : stdten 2563,
twang in : gangen 1927 geben über die lautqualität keinen auf-
schluss. Vgl. auch Ebemand von Erfurt, akrostichon v. 3421
und s. XI. Germ. 5, 489 ft 6, 424 f&
0.
0 und ö sind meist = gemeinmhd. o, 6. Dehnung von o
ist öfter anzusetzen vor r + t; vgl. Weinhold § 79. Wilmanns
§ 247. Ritzert, Beitr. 23, 221 und die dort citierten Paragraphen.
gehört : wort 1139. 3747, : dort 929, hörte : worte 2913, : vor{h)te
695, hörten : pforten 3075. In offener silbe stören : beJcoren 1485.
In V. 2415 boten: roten (* rot werden'*)) ist im zweiten wort
kürze anzusetzen, die auch sonst im reim häufig belegt ist,
vgl. Lexer 2, 506. Fremdes o vor n reimt mit ausnähme von
Symeon (: von) 2879 stets auf ö\ Sälomon : lön 1109, Veronen :
tönen 4523, Fharaöne : schöne 1175. 1327. Der dativ auf -o ist
nur im reim auf dö belegt 1189. 4597. 3805. behemot reimt
auf got 253, Enot^ auf noch 2687.
Ueber o = u und ö = uo s. unten.
u.
ü ist natürlich monophthong. Nur scheinbar sind aus-
nahmen hüf: besouf 3511, : touf 3003. 5263, da neben hüf ein
altes Aou/* einhergeht, das 'damit im ablaut steht; vgl. auch
Passional 115,78. 266,5 und weitere belege bei Lexer 1,1376.
Die reime süft : guft 3305, : luft 3679 erklären sich wol am
einfachsten durch eintretende kürze, ebenso auch lüter : geluter
267. Als beleg für die kürze darf bei luter vielleicht auch
die Orthographie gelten, da die hss. S und G übereinstimmend
stets luiter mit zwei t schreiben, während sie sonst doppel-
consonanz nach langem vocal streng vermeiden. Luter reimt
ausserdem nur noch auf gekluter 3381, gelutert : geklütert 4157,
das im Wb. mit langem ü angesetzt wird. Der einzige beleg
>) Ein intr. roten = 'sich zusammenrotten ^ an das man au dieser
stelle zwr not auch denken könnte, ist mhd. nicht helegt.
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154 HELM
für langes ü sind aber die reime eben auf luter, und solche
sind nur in md. gedicliten anzutreffen, wo mit der kurze von
luter zu rechnen ist. Ich glaube deshalb, dass auch in gekluter
besser kurzes u angesetzt wird.
Zu suft mit kurzem u vgl. auch süffeen bei Luther, Franke
§ 54. Ohne bedeutung sind neben sus : Tiberius 4472, : Jesus
8083. 3467. 4341, kus : Jesus 2605, die reime hüs : Tiberius 4583,
: Nicodenius 3791. Ihretwegen die endung -us (und consequenter-
weise dann auch kus) als länge anzusetzen, wie Amersbach
tut, ist natürlich falsch. Die Verschiedenheit erklärt sich da-
raus, dass der dichter die fremde endung je nach bedürfnis
braucht.
0 und u.
Dem Übergang zwischen e und i entspricht ein solcher
zwischen o und u, wobei im einzelnen nicht leicht festzustellen
ist, ob der lautwert o oder u anzusetzen ist. Amersbach setzt
1, 13 vor nasal u, vor r dagegen o an. Zweifellos ist davon
jedoch nur der zweite ansatz. Mundartlich ist gerade vor r
das 0 viel weiter verbreitet als die Schriftsprache es anerkannt
hat. Auch Luther setzte in früherer zeit vor r + cons. stets o,
während er sich allerdings später auf die fälle beschränkt, in
denen es auch im nhd. geblieben ist; vgl. v. Bahder, Grundlagen
s. 193. Reimbelege sind vorsten : getorsien 703; in antwurie :
gekörte 1431 kann analogie an wort den lautlichen Vorgang
gestützt haben.
Anders steht es aber mit dem ansatz von u vor nasal.
Vor n,m + cons. ist allerdings auf dem grössten teil des mittel-
deutschen u fest; nur das rhein- und mittelfränkische haben
auch hier o. Vor n, nn dagegen überwiegt o durchaus im
ganzen md. gebiet, während vor m, mm auch öfter u geblieben
ist, vgl. V. Bahder, Grundlagen s. 187. Wilmanns 1, § 225.
In unserem gedieht haben wir nur einen einzigen hierher-
gehörigen reim: kone : sune 733. 1313. 1483. 2105. 2693. 4805.
Kone ist im reim auf ein anderes wort bei uns nicht belegt^
sun nur noch auf berun 3023 und tuon 5321. Keiner dieser
reime kann eine entscheidung bringen. Namentlich entbehrt
sun : tuon jeder beweiskraft, da er in der ganzen mhd. literatur
als literarischer reim weit verbreitet ist (vgl. Wolfram).
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UEIKRICH HBSLEBS EVAKOETinTM NICODEMI. 155
ei.
ei ist nie neuer diphthong = altem %. Es steht in beide :
hide 1811. 3557. 4847. 4359, : weide 3. 1619, beiden : leiden 1599.
2123, : bescheiden 2763, beider : deider 811; ebenso in ewein :
ein 1437. 2171. 2492.
Dazu tritt ein neues ei ans contraction von -ege-, -age-.
Da es sich auf die formen geseit (: -heit) 3417. 4007. 4631 und
leiten (: bereiten) 2437 beschränkt, so ist es wol als rein lite-
rarisch zu betrachten; vgl. H. Fischer, Zur geschichte des mhd.,
Tübingen 1889.
m.
Ursprünglicher diphthong iu ist stets durch ü vertreten;
eine Scheidung in u und ü ist nicht zu belegen (Behaghel, Pauls
Grundr. 1, § 59, 2); suchen (: brüchen) 3029, tüffe (: üffe) 5385,
für (: sur) 2021. 3197, rüwen (: büwen) 3495, (: trüwen) 2521,
nüwefi (: buwen) 3767, nüwet (: buwet) 5214. 5289, (: truwet)
891. 2379. 5307.
Zu kurzem u wird dieses ü = iu reduciert in frunt
(igesunt) 1305. 2511, (ikunt) 2177, frundm (: ^ndcn) 2531,
(: künden) 3807, (: Urkunden) 4081.
ie,
(Vgl. v.Bahder, Ein vocalisches problem des md.). Als laut-
wert für mhd. ie kann dreierlei in betracht kommen: i, e und
diphthong.
1) i kann im Ev. Nie. durch keinen reim belegt werden.
Namentlich ist nicht beizuziehen v. 2293 tiere : vtre, da hier
dem vocal ein r folgt. In v. 3093 ist wol vriesen : biesen,
nicht hisen zu lesen; vgl. dagegen Amersbach 1, 15.
V. 5179 tiefel : zwivel kann nicht zum beweis herangezogen
werden, da der reim als literarisch betrachtet werden mussO
und als solcher auch in gedichten vorkommt, deren dialekt ie
und I sicher trennt, z. b. Martina 179, 60.
') Eine andere mOglichkeit liegt indeBsen hier doch noch yor, dass
wir nSmlich t%u>el lesen müBsen, wie anch S stets schreibt. Wir müssten
dann in zwivel verdonkelnng des Yocals unter einfluss des w annehmen, wie
sie f&r kurz i in y. 3299 zusehen : erluschen belegt ist. Für % ist diese er-
scheinnng freilich nirgends zu stützen, ausser durch das auch nicht streng
beweisende kut (= quidit), ygl. Weinhold § 227, das aber bei uns nicht
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156 HELM
In der Apokalypse findet sich in den ersten 13400 y<
nur 6in reim ie:i: 0 6472 sis : verlies, der bei dem grossei
fang des gedichtes natürlich nicht ins gewicht fällt.
2) Für e kann nur ein sehr zweifelhafter reim angei
werden: 1369 knete ('kniete') : vlete. Die Apokalypse l
keinen beleg für diesen fall.
3) In weitaus den meisten fällen wird dagegen ie mit
selbst gebunden: im Ev. Nie. 110 mal gegen drei. Die
liehe Sonderstellung kann dadurch als gesichert gelten,
directer beweis, dass tatsächlich noch diphthong anznsi
ist, ist jedoch nicht zu erbringen. Die reime auf i, i i
sind unbrauchbar. Ebenso ist diet : geschiet 2309 nicht 2
gend, da nicht unbedingt ie angesetzt werden muss. Bemer]
wert sind jedoch einige reime der Apokalypse. Während
im Ev. Nie. spielen auf jsiten 4965 und siten 1517 reimt
in der Apokalypse bei wihen im praet. die synkope u
blieben; die betreffenden formen reimen nie auf -U, dag
auf diet (: gewiet D 77 a) und diete (: wtete) D 68 a.
uo.
Auch hier sind dreierlei lautwerte denkbar: ü, ö
diphthong.
1) Für ü bietet das Ev. Nie. keinen beleg; üiuo re
nur im auslaut (vgl. v. Bahder a.a.O. s. 35. 42): nu : vnw i
2571, : mo 1229. Der reim sun : tuon beweist nichts (vgl. 0
Die Apokalypse hat dagegen für ü : wo ebenso wie für 1
einen reim in lüten (== Hüten) : hüten (==huoten) D 92 b.
von V. Bahder angeführten reime brütegum : ruom, wistuom
anders zu beurteilen, da in ihnen kurzes u vorliegt Zwi
haft ist die erklärung des in der Apokalypse sehr hän
reimes zühit (muhit) : bluot 83 b. 92 b, : guot 87 a, tuot 74 c.
kann hier züt lesen oder entsprechend dem obengenan
gewiet auch mit Im reim auf -üt ist die form nicht bei
2) An reimen von uo auf ö zeigt das Ev. Nie. nur ei
ruoren : stören 1837; ausserdem drei auf 0 (kurz): vuorten
kommt; ygl. qtut : Davit v.1615 n.a. Nor einen reim ans unserem gf
wüsste ich anzuführen, der für unsere auffassung sprechen kann : v. 52^
swich : hoch, wenn die lesart richtig ist. Daneben steht freilich ein rei
swich : gdtch 3419. — Zu tüvel ygl. Heinrich v. Krolewit^ 4053 duM :
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HEINRtCH HESLERB EVANGELIUM NICODEHI. 157
iorten 2765, fuor : urbar 3881, ruochte : wrohte 3245. Im reim
auf fruo kann v.2647 duo gelesen werden, wenn auch die
übliche fonn im Ev. sonst dö ist, ygL die reime auf den dat.
lateinischer Wörter v. 673. 2551, ausserdem dö : fro (adj.). Die
Apokalypse zeigt ebenfalls einige reime auf ö, nämlich vtwr :
urbor, zuo : lö, sehr häufig tuon : Ion, und arniuot : not, : vorböt.
Unter diesen reimen müssen die gesondert betrachtet werden,
in welchen dem vocal ein r folgt. In dieser Stellung wird ö
in einzelnen mitteldeutschen gegenden zu ü verengt, vgl.
Weinhold § 114; für Veldeke Behaghel s. lv; für den hessischen
dialekt Behaghel, Lit.-bl. 1880, 437.
Dieser Vorgang war gewis nicht nur auf den westen be-
schränkt, sondern erstreckte sich auf weitere strecken Mittel-
deutschlands, wenn auch der resultierende laut nicht überall
der gleiche gewesen sein muss. Jedenfalls müssen wir für
unser gedieht die möglichkeit der Verengung anerkennen.
Ebenso dürften die reime auf -on aufzufassen sein. Es
bliebe also dann nur noch übrig armot (: ndt\ wo das 6 wol
der Stellung in nebentoniger silbe zuzuschreiben ist und zö
(: 16), das im ganzen md. gebiet abgesehen vom thüringischen
einzeln neben mo zu belegen ist, das auch bei uns in erster
linie steht. Vielleicht ist hier im vocal einfluss einer benach-
bai'ten nd. mundart zu erkennen.
3) Diphthongische ausspräche des uo ist aus dem Ev. Nie.
nirgends zu erweisen, wenn es auch vorwiegend mit sich selbst
gebunden wird. In der Apokalypse sind es die erwähnten
reime auf mit, die diphthongisch gefasst werden können.
Wir erhalten also weder für ie noch für mo ein völlig
einheitliches bild; bei beiden zeigen sich nebeneinander ver-
schiedenartige sprachformen. Als grundcharakter des dialekts
kann aber doch die lautliche Sonderstellung von ie, uo be-
trachtet werden, die durch die überwiegende zahl von reimen
gesichert ist
n. Consonanten.
Die consonanten stehen im wesentlichen auf gemeinmhd-
stufe. Im einzelnen ist zu bemerken:
a) Labiale, mb ist zu, mm assimiliert: dumme : stumme
335, krummen : stummen 745. 1231. 3117, wammen : flammen
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4180 J) — Intervocalisches fmii b im reim gebunden: h
pruofen 5121; vgl. Apok. 0 8356 biever : lieber. Dazu i
auch die Orthographie in S: höbe : bischobe. — Versch
von p nach r zu /* ist gesichert durch scharf : darf 283,
darf 4589. — ft> ht in mehtic : creftic,
b) Gutturale. Ob die aus -ege-, -age- contrahiei
(s. oben) lautlich von bedeutung oder rein literarisch sind
dahingestellt bleiben.
Im auslaut reimt g : c; tac : smac 1961, : erschrcu
lac : smac 7. 123, : strac 1215, : schrac 2369. 2595, slac : ea
3065, wec : flec 2209, dranc : stanc 1245, danc : sanc 354^
In der ableitungssilbe -ic ist wie schon teilweise ii
(Jellinek, Beitr. 15, 268 ff.) spirans anzusetzen: unvellu
225, vellic : sich 271, kundic : sich 2511. Ueber die erk
dieser in den heutigen md. mundarten weit verbreitet
scheinung vgl. Behaghel, Pauls Grundr. 1, § 103. V. 235
lesen dahte (zu decken) : mähte. Der reim patriarche :
3165 ist literarisch. Grammatischer Wechsel h: g ist
legen durch gestigen : vorligen 4869, sluog : genuog 4585,
533, twuog : genuog 449 (vgl. Braune,-Ahd. gr. § 346, ann
h verstummt nach gemeinmd. regel 1) im auslau
unvro 3781, sä : entwä(h) 444; vgl. Apokalypse 111 d i
nä sin] — 2) nach liquida: bevolen : vorstolen 2281. 235£
5129, : erholen 3777, : dolen 621, enpfolen : holen 627, h
Stelen 2273, vorte (vorhte) : horte 695; — 3) zwischen v
sten : len 4695, : ien 2179, Cyrene : ee sene 1570, stän
3613, : San (= sähen) 2661. 4013. 4303, gän : Äan (ÄdÄcn
4343, äs : ^d^e^ 4885, äne : ze entfäne 3021,- tat : ^2d
w;dr : när (näher) 2175. 2703, Wste : hoste 151. 1737, J«
jgien 989; — 4) meist fällt h endlich in »te^ (: diet) 395
1661. 2805. 5035, (: riet) 1588. 2007; vgl. Hertel, Thürinj
Sprachschatz s. 16.
c) Dentale. Un verschobenes t findet sich in dit : tri
in der Apokalypse findet sich auch der reim diz : vorgis \
hurt (: geburt) 1003. 1735. 3386. 4911. 5387 kann anders i
werden. Ueber die 3 pl. praes. ohne t s. unten.
>) Die von Amersbach gegebenen belege zum teil nicht bei
%, b. vmme : krumme.
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HEnmiCH HESLEHS EVANGELIUM KICODBMI. 159
Reime zwischen germanisch j) (d) und d (t) sind sehr selten:
ledic : stcetic 5099, sniden : zitef% 4739. Auch in fremdwörtem
sind d und t scharf geschieden: frides : Isidis 4567, striten :
Tyten 4653.
Im inlaut nach l und n ist stets d anzusetzen: golde :
wolde 3963. 4251. 4527, schulde : duicfe 133. 1713. 4845 (vgl.
W. Braune, Ahd, gr. § 163, anm. 6), sckuUic : geduldic 261. 1113.
1369. 3655. 4313. 5082, ander : wander 2611. 4037, munde :
sunde 3573, gekündet : gesundet 1549. Im auslaut dagegen
herscht t, auch nach l und n: schult : sult 727. 1039. 1165,
: erfuU 1537. 1977. 4749, ntt : stHt 1351, : att 319. 393, 3601,
leit (praet.) : arbeit 3825, : fteretY 4429, : -heit 1675. 1791. 2495.
5291 U.S.W.
nd : nn reimt in hinnen : vinden 1914; dagegen ist ein reim
ng : nd, der dem grössten teil der md. mundarten entspräche
(von Hessen bis Schlesien, vgl. Behaghel, Pauls Grundr. 1, § 131.
Hertel, Thür. Sprachschatz s. 18) weder im Ev. Nie. noch in der
Apokalypse belegt.
Spirans £f : s reimen in neigen : weisen 4931.
Auffallend ist der reim haa : schat£f 501. 2447. Ganz aus-
geschlossen ist hier natürlich die annähme von spirans in
schätz; ebensowenig glaube ich, dass wir in diesem reim einen
beleg für die ansieht erblicken dürfen, lautgesetzlich sei die
Verschiebung im auslaut nur bis zur affricata durchgedrungen.
Zwei möglichkeiten bleiben aber noch übrig. Der reim könnte
als consonantisch ungenau gelten, wogegen an sich nichts ein-
zuwenden wäre, als das bei Hesler direct ausgesprochene be-
streben, reine reime zu bilden (s. anh.). Endlich wäre aber
auch möglich, dass wir auch hier wider nd. demente vor uns
haben und demgemäss hat : sJcat ansetzen müssen.
Synkopierung tritt ein in län : getan 4835, : stän 5059, last :
hast 3569, dazu lie : hie 2669.
d) Liquidae und nasale. Metathesis des r wird ge-
sichert durch wrohte : ruochte 3245. AbfaU des r im auslaut
schwerer einsilbiger werte: sä : entwä 443, e (adv.) : e (subst.)
893, da : Abda 2457, : Juda 609, me : sne 2665. 3697, : e 737.
1053. 2679. 3763. 5252. 5279. Umgekehrt ist mer belegt im
reim auf h&r 4481. 4579. 4913, und wol auch v. 379 auf &r.
Verklingen von n ist durch einige reime belegt: Urkunde
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(gen. sg.) : frunden 2081, were (3. sg.) : vorberen (3. pl.) 4255,
veme : nemen 5067. Fraglich sind v. 369. 821. 2051. 4387 iL a.
n : m werden gebunden in gereinet : geheimet 3215.
m. Flexion.
1) Substantivum. Apokope des e im dat. sg. der starken
masc. und neutra ist nur in gehorsam : stam 2025 anzutreffen.
Dagegen ist das e gesichert durch schälke : Molke 611. Nicht
streng beweisend sind hinde : ich finde 341. 1045, jsiome : der
verlorne 3247. 3381. 3459. Wol aber muss einer beträchtlichen
zahl von reimen ohne beweiskraft aus metrischen gründen
das e zuerkannt werden.
Amersbach führt als beleg noch an jse hüs : (Ms (dat).
Wenn nun aber auch hüs das ursprüngliche ist (Braune, Ahd.
gr. § 192, anm. 7) und auch im mhd. im allgemeinen vorwiegt,
so ist doch auch hüse häufig. Man könnte deshalb an unserer
stelle unbedenklich hüse : clüse lesen.
Die pluralendung er ist selten; im reim nur belegt in
kinder : hinder 2835, cleider : leider 1625. 4249, meist aber reimt
kint : mnt 1711. 3043. 3177, kinden : winden 3883, dorfen : ent-
worfen 4395, swert : wert 5145, landen : anden 961. 1337. 4671,
geisten : meisten 5301, : leisten 3009. 4950.
Von hand ist sowol die ältere form der u-declination wie
die jüngere der i-declination zu belegen: handen : landen 3919.
4959, : erstanden 2537, : schänden 3993, henden : wenden 3313.
2) AdjectivunL Die stark flectierte form nach dem
bestimmten artikel ist gesichert in v. 1902 moter : der wol goter.
Selbstverständlich ist sie beim pron. poss. die sine (pl.) : Ka-
rine 2753.
3) Pronomen. Für das Personalpronomen der 2.p.pl. ist
dat. ü gesichert durch ü : £fe du 877 und ü sint : tüsent 5127
(derselbe reim auch Apokalypse D 77 b). Die 3. pers. er ( : mer)
ist nicht streng gesichert, da auch he : me gelesen werden
könnte. Vom demonstrativum ist nom. sg. der belegt im reim
auf her 1471.
4) Verbum. Praesens: l.pers. sg.: vemimeiime 1477,
vreische : fleische 3233, sende : ende 361, sage : tage 1871. Fonnen
auf -n sind nicht zu belegen ausser hän (: gän) 3935, (: sän) 713.
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HEINRICH HESLEES EVANGELIUM NICODEMI. 161
2. pers. sg.: vreisches : vleisches 282. 1985. 4035, gebutes : Utes
3877, Vorteiles : heiles (gen.sg.) 2051, entwähes : gähes 439. Ebenso
im conj. sis : tvis 831. 2530. 2906 und die 2. pers. des schwachen
praeteritums hätes : rätes 2799. Auf -t enden natürlich die
praeteritopraesentia: weist : geist 2643, ebenso tuest (imuost)
3667. Auch bist und 3. pers. ist sind bei uns nur mit t belegt.
Die Apokalypse hat neben ist : vrist 100a auch vegefuris : sur
is 99 a.
1. pers. pl. Für den abfall des -n, -en sind keine reim-
belege anzuführen.
2. pers. pl.: geloubet : houbet 2771. 4967, sit : zit 4781. In der
Apokalypse daneben auch mugent : tugent 66 a und öfter.
3. pers. pl. Durch reime ist bei uns nur die endung -en
zu belegen: sprechen : durchsteclien (int) 4814, wizzen \gevliezen
2739, scheiden : velden 4791, : selten 4963, leisten : geisten 2949,
wollen : envollen 1083, netercn : weisen 4931. Nur ttwn bildet
auch hier eine ausnähme: tuont : 5^iion^ 3703. In der Apoka-
lypse findet sich auch tuen (Amersbach 1, 20), aber auch bei
anderen verben die endung -ent: reichent : gezeichent 71a.
Praeteritum: 2. pers. sg. gienge : vienge (3. pers. conj.) 662,
tvere : Homere 4347, trete : hete 3. sg. ind. 2825, runge : wustenunge
1462, funde : sunde 2829, betrüge : luge 3415.
Infinitiv. Abfall des -n ist nur in veme : genemen 5067
belegt. Dagegen finden sich viele reime zwischen inf . und 3. pl.,
wodurch ein absolut zwingender beweis für erhaltung des -n
allerdings nicht erbracht wird.
Die flectierte form des Infinitivs auf -ene lässt sich eben-
falls im reim nachweisen: Cyrene : ze sene 1572, tuone : suone
2099. 4129. 5321, äne : ze entfäne 3021, vorgebene (adv.) : ze lebene
3969; beginninne : minne 313 (wahrscheinlich Synkope beginne
anzusetzen).
Für den vocalismus des Stammes gut folgendes:
Im praet. und part. der sw. v. ist rückumlaut regel (vgl.
oben). Die 1. pers. praes. der starken verba 11. klasse ist nur
mit ü (tu) zu belegen: ich lüge : ze gezüge 1043. 4721. In der
Apokalypse dagegen sind auch formen mit dem aus dem pl.
und inf. eingedrungenen ie gesichert, vgl. Amersbach 1, 21.
Kiese v. 1062 ist als conj. aufzufassen.
Beiträge zur geschichte der deutschen q>rache. XXIV. II
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162 HäLlt
Die 2. und 3. person dieser verba zeigt auch in der Apo-
kalypse nie den gebrochenen vocal, vgl. züit : Uuot u. a.
Erschrecken st. v., das zur 4. klasse gestellt wird, bildet
einen pl. praet. nach der 3.: erschrucken : stucken 3293. Ebenso
findet sich von irleschen die bisher weder ahd. noch mhd. be-
legte form nach der 3. klasse: irluschen : zusehen 3299.
Einzelne verba: sol lieber die a- und o-formen s. oben.
2. pl. suU : erfuÜ 1823.
Wüzen. Das praet. ist durch den reim in dreierlei form
belegt: weste : beste 21, : veste 4707, westen : Jesten 1825; unste :
Criste 417. 773. 3231. 4229, ipsalmiste 5045, : geniste 3815; unsse :
gelichnisse 1702, : dustemisse 2879, : vorderbnisse 3377, wissen :
gewissen 5079; — conj. praet. wisse : abisse.
Wil. €- formen: welle : helle 1255, wellet : stellet 4865;
0- formen: woUen : vollen 1083. 1285.
Gän und stän, e- und d-formen wechseln: gän : hän 1465.
3925, : getan 1451, : wän 5093; gast : /tds^ 2897, gät : tö^ 1527,
: hat 3185; Ä^an : jfeMn 65. 979. 1703. 3775. 5055; stdt : Pilat
1085, : hat 1127. 2173. 4629. 4863; gen : Un 5119, get : Set 2919,
Ä^m : Un 4695, : jcn 2179; 5^e : e 2735, vorstend : send 3753. —
Part, perl gegän : ^e^^dn 787, sonst die lange form: erstanden :
landen 2475. 2713, : banden 2707. 4009, : handen 2537, : gewan-
den 2725, : anden 2587; gegangen : gefangen 4665 ist nicht be-
weisend.
fiaftcn. PraÄS. 1. sg. Mn : ^fdn 3935, : getan 3027. 4473.
: Volusian 4491; 3. pers. sg. stets hät\ 3. pl. hän : ^dn 2895, : ge-
tan 875. — Inf. hän : vdn 3129, aber auch die lange form, z. b.
Iiaben : graben 2251. 2291. 5091, : entsaben 1363; ebenso 1. pl.
haben : begraben (part.) 3673. — Praet. häte : rate 1683. 4163,
häten : rd^en 3851 und hete : ^re^e 2825, : Olivete 2653, A^^en :
Propheten 569. 2227; daneben hete : tele 2399, Äefen : teten 5095.
In der bedeutung 'festhalten' einmal geluxhtes (: labtes) 2995.
S'ln, tc^e^en. Im inf. stehen beide formen nebeneinander:
sin : drin 567, wesen : genesen 2387. 3761. 4331. 5031, : lesen
2477, : gelesen 5337. — 3. pl. ind. sint : kint 3177. 3043. 3715.
4563: 4723. 5061. 5201, : bint 4033; aber auch sin : in 807.
3159, : min 3319, : schin 4767, : drin 2981. 3721.
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HEINBICH H£SLBES eVANGBLtUM KIGODBMI. 163
IV. Apokope und synkope
sind auf die allgemein mhd. fälle beschränkt; nach l, r mit
vorangehendem kurzen yocal: gehom : eom 1224, : dam 2885,
dar : gar 693. 2452, zwischen zwei t in der verbalflexion: ge-
süß : Schrift 337, bereit(et)en : leiten 2437. Sonst ist sie sehr
selten; vgl. oben über den dat. Der dialekt des dichters stand
offenbar der apokope und synkope sehr ablehnend gegenüber;
dieselben dürfen deshalb nirgends angesetzt werden, wo sie
nicht direct sichergestellt sind. So wird man auch abe lesen
müssen, das bei uns nur auf oblique casus und den imperativ
enthöbe reimt (2259. 2569. 2337. 4955); ein reim wie gap : ab
(Apokal. 67 a) findet sich bei uns nicht. Ebenso ist wol auch
mite (vgl. V. 1853. 2821. 3723) anzusetzen.
Epithetisches e ist nicht zu belegen.
Wir müssen an dieser stelle einen augenblick halt machen
und uns mit der frage beschäftigen, ob in der tat der Verfasser
unseres gedichtes mit Heinrich Hesler identisch ist. Einstweilen
wurde dies stillschweigend vorausgesetzt, da die allgemein an-
genommene theorie m. e. durch Amersbach völlig sichergestellt
ist. Als das ausschlaggebende seiner argumente — und zwar
das einzig ausschlaggebende; denn Übereinstimmung in technik
und spräche bedingen nicht die einheit der person — hat er
selbst (2,21) mit recht die zahlreichen stellen bezeichnet, in
welchen beide gedichte übereinstimmen. Nun ist fi-eilich der
fall, dass ein nachahmer seinem vorbild ganze stellen entnimmt,
in der mhd. literatur nicht so selten, wie Amersbach anzu-
nehmen geneigt ist. So hat Heinrich von München sich ja
nur mit fremden federn geschmückt, der Verfasser des ritter-
romans von Friedrich von Schwaben hat aus der Heidin, Laurin
und Walberan und namentlich aus Wolframs Willehalm grosse
Partien übernommen (vgl. L. Voss, Ueberlieferung und Verfasser-
schaft des mhd. ritterromans Fr. v. Schwaben s. 41. 48. 51 ff.).
Bei uns sind aber die Übereinstimmungen ganz anderer art.
Es handelt sich nicht um einige grössere stellen, die mehr oder
weniger genau aus der Apokalypse herübergenommen worden
wären. Es sind vielmehr lauter kleinere Übereinstimmungen,
zerstreut durch das ganze gedieht. Und diese haben nicht
11*
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164
HßLM
etwa besonders markanten Inhalt, im gegenteil, derselbe
durclians nicht so geartet, dass er eine so ausgedehnte w
liehe entlehnnng durch einen anderen dichter begünstigt hä
Dieselbe wäre nur denkbar bei einem nachahmer der die i
gesprochene absieht gehabt hätte, den leser glauben zu macl
dass Hesler der Verfasser seines gedichtes sei, — und der
zugleich verstanden hätte, seinem vorbild diction^ und meth
bis in ihre kleinsten einzelheiten abzulauschen.
Ich verweise für die Übereinstimmungen auf Amersba
Zusammenstellungen (2, 21 — 27) und beschränke mich auf eii
ergänzungen aus dem teil der Apokalypse der Amersbach
bekannt blieb.
EN 869
die vier evangelisten
schriben uns von Criste
3918 (3695)
des gedachte er im yil angen
4931 (4713)
und die witewen und weisen
und die gotes hus hie neizen
5065 (4863)
swer der sinne weidet
daz er den dieb heidet
2047
vgl. Amersbach s. 26 unten.
2877 (2667)
yon got Jesu Criste
den ich her kunftic wiste
8198 (2984)
da e die wonunge sur
3822(3606)
do enhet er niht wan den tot
gewis an sineme tröste
Apok. (Danziger hs.) 67 c
die vier evangelisten
schriben von Jesu Criste
64b
des gedenke dir niht angen
81a
und die cristenheit hie neizen
und die witewen und die weisei
und goteshus berouben.
71a
swelich man des sinnes weidet
daz er die zwei wol heidet.
76 a
dise wort muz ich duten
unvernünftigen luten
85a
diz muz ich baz beduten
unvernünftigen luten.
87a
Patriarchen und wissagen
die got hier kunftic wisteu.
98b
wen die wonunge ist da sur
108d
sie enhan dort niht so gewisses
kuninges als den engel.
*) Welchen wert dieser ausgesprochene stil für die entscheidun^ 1
die echtheit fraglicher partien hat, zeigte sich schon öfters.
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HEINRICH HE8LEBS EVANGELIUM NICODEHI. 165
EN 4917 (4699) Apok. 85c
die nideren und die hMten, den besseren noch den hosten
die besten nnd die hosten. den nidersten noch den hosten.
Za den redewendongen, mit denen einzelne abschnitte ab-
g^chlossen werden, vgl. noch Apok. 73c hie muz ich wider
wandern, 79c da lae ich die rede wesen, 112c da mite si daz
hingehit, 114 c da mite si dae verant
Die anderen argmnente sind erst secundärer art, sie be-
weisen an sich nichts, sind aber allerdings onerlässliche Voraus-
setzungen. Fänden sich zwischen der spräche der Apokalypse
and des Ev. unlösbare Widersprüche, so fiele damit trotz allem
die ganze theorie. Nun bestehen ja allerdings einige diff erenzen,
die an den betreffenden stellen bereits angegeben wurden.
Ihre erklärung finden diese aber ungezwungen auf dieselbe
weise, wie die schon besprochene doppelheit sal — sol; sie be-
ruhen auf einem verschieden starken hervortreten des dialek-
tischen Clements, neben dem der dichter auch reichlich andere
formen anwendete, die seinem dialekt zwar nicht angehören,
ihm aber durch die literarische production geläufig waren.
Der sichere beleg einer dialektischen form in nur einem
der gedichte Heslers ist deshalb nicht minder wertvoll für die
ftrierang des dialektes. Wir können darnach die ergebnisse,
die wir aus dem Ev. Nie. gewonnen haben, aus der Apokalypse
in einigen punkten ergänzen.
1. Vereinzelt findet sich e für « (Amersbach 1, 14), z. b.
icenig : enig.
2u Contractionsvocale ä aus äwe m lan = läwen, Amersb.
1, 14, und t aus ibi in git : zzt, Amersb. 1, 15.
3. Die in S im versinnem belegte form hogen zeigt die
Apokalypse auch im reim.
4 Assimilation hs > $s: 71 d von des heiligen geistes wassen :
geworden zu einer massen.
5. Epenthetisches d beim Infinitiv, vgl. Amersb. 1, 21.
B. Heimat des gediohtes.
Versuchen wir zunächst die heimat unseres gedichtes zu
ergründen an der band dessen was wir über den Verfasser
wissen. Bekannt ist von diesem nur der name. Er nennt
sich Apok. 154 Heinrich heiz ich mines rehten namen Hesler
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166 HELM
ist min hus genant, und ebenso in dem dritten seiner werk
dessen reste Heinemann Zs. fda. 32, 111 ff. und Steinmayer ebd
s. 446 ff. veröffentlichten: v. 60 ... die werden irkennen mich
unde wiazen daz ich Heinrich \ von Hasiliere bin genant Ai
grund dieser angäbe hat zuerst K. Roth in seinen Beiträge
zur deutschen spräche 1 — 10 s. lvi auf Burghäsler westlich vo
Naumburg als die heimat Heslers hingewiesen, und dies h
allgemein, auch von Amersbach, acceptiert worden; vgl auc
Behaghel, Zs. fda. 22, 136. Aber die annähme ist nicht zwii
gend. Adlige familien des namens Hesler, Heseler begegne
uns im laufe der zeit mehrere.
Eine familie Heseler findet sich unter dem schlesische
adel des fürstentums Liegnitz (Siebmacher 6^ tat 32). Wir sin
über sie leider nur sehr schlecht unterrichtet, da wir en
aus der zweiten hälfte des 14.jh.'s glieder derselben kenne]
Ueber ihren Ursprung und herkunft wissen wir nichts, es ü
nicht unmöglich, dass sie ein erst* im 14. jh. nach Schlesie
eingewanderter zweig einer der noch zu nennenden geschlecl
ter ist.
Eines derselben, ebenfalls Heseler genannt (vgl. Siebmach«
6*, taf. 44) war im stifte Merseburg ansässig, mit dem stamn
sitz Oberwünsch. Dasselbe erlosch im 16. jh., kann aber m
Sicherheit nicht weiter als ins 14. jh. zurück verfolgt werdei
Die dritte famiKe ist die von Eoth gemeinte. Sie hi
aber mit den jetzigen grafen Häseler nichts zu tun. Dies
stammen vielmehr von zwei brüdern ab, welche aus dem ma(
deburgischen einwandernd das kloster Hesler erwarben ui
im jähre 1733 den adel erhielten, 0 da das alte geschlecl
längst erloschen war (Siebmacher 3 », taf. 11). Dieses selb
stammte von Heinrich von Burkersroda, der 1239 bürg ni
kloster Hesler im heutigen kreis Eckartsberga bei Naumbuj
erwarb. Seine söhne nannten sich zuerst Hessler (Siebm. 3
taf. 216). Nachrichten über die familie finden sich namentli<
in Val. Königs Genealogischer adelshistorie oder geschlecht
beschreibung der adeligen geschlechter in Chursachsen (1727-
1736). Daraus sind auch die angaben in Zedlers Universa
lexikon geschöpft. Die dort gegebene genealogie lässt si<
^) Der grafeutitel stammt ans dem jähre 1790.
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HEINRICH HESLERS EVAKGELIUM KICODEMI. 167
freilich nicht halten, da nach ihr je drei generationen zwei
Jahrhunderte umfassen. Belegt ist ausser dem gründer Heinrich
von B., der natürlich als Verfasser unseres gedichts gar nicht
in hetracht kommen kann, noch ein Heinrich Hesler als iudex
et assessor zu Gosserstädt 1264, der wol ein söhn des grfinders
der familie war. Seiner lebenszeit nach könnte er als Ver-
fasser unseres gedichts eventuell in betracht kommen. Er
müsste es dann in höherem alter verfasst haben.
Ein Heinrich Hesler wird nach Zedlers angäbe als mini-
steriale des landgraf en Hermann von Thüringen erwähnt. Da
die familie seit 1239 die bürg Hesler besass und landgraf
Hermann erst 1241 starb, so kann dieser Hesler mit dem vor-
genannten identisch sein. Als Verfasser wäre derselbe dann
aber auszuschliessen. Leider ist es unmöglich, Zedlers notiz
zu prüfen oder festzustellen auf welches jähr sie sich bezieht;
es ist jedenfalls aber die möglichkeit im äuge zu behalten,
dass der ministeriale Heinr. Hesler noch gar nicht dieser
familie angehört, sondern vielleicht einer älteren, nach deren
erlöschen H. von Burkersroda erst Burghesler erwarb.
Zwei weitere Heinrich v. Hesler sind endlich 1391 erwähnt,
davon der eine als dericus in einem briefe des klosters Peters-
berg bei Eisenberg. Beide sind ihrer lebenszeit nach schon
ausgeschlossen, der eine übrigens auch als geistlicher; vgl.
Amersbach 2, 28 f.
Nicht in betracht kommen die Haseler von Huttenpfühl
(Siebmacher 6*, tat 19), die im 17. jh. in Brandenburg sind und
1745 erloschen. Sie können nicht in so alte zeit zurfickverfolgt
werden, und waren überdies eine süddeutsche familie.
Gelingt es also nicht, einen Heinrich v. Hesler historisch
sicher nachzuweisen, der der Verfasser unseres gedichts sein
könnte, so steht es andererseits auch gar nicht fest, dass H.
wirklich adligen Standes gewesen ist. Weder seine ausdrucks-
weise in der Apokalypse noch in den fragmenten nötigt dazu;
die folgenden äusserungen gegen fürsten und henken im Ev.
Nie. sprechen dagegen entschieden für bürgerlichen stand.
V. 4868 (4650)
daz merket an öwerem möte daz ir so böge sit gestegen
durch waz dese ^re ü si vorlegen, über üwer Bippeteile.
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168 HELM
V. 4831 (4663)
w§nt ir daz Yon a4ele und ein also wormich &8
dese §re an ü wadele und irsterbet also g&s,
oder von angebornen werden! also die bittende armen,
ja Sit ir also vül erden
V. 4898 (4680)
wir beten doch al einen vater alle glich eben her,
und eine möter allentsam oder der vater der was mc
da die menscheit abe quam: ein hoe und ein nidere.
vrowen Even und Adamen. da von
von der zweier lichn&men die nideren und die hosten
so si wir al geltche, die besten und die hosten,
arme unde riebe, die werden und die unwer
ze der werlde gekomen. sin komen zuo der erden,
ich h&n daz niergen vomomen, oder uns ist gewalt gesch«
— man ruofe daz man ruofe — daz soldet ir herren ane &
daz got ie m^r gescuofe und soldet gote des sagen
wen Even und Adamen, daz wir sin under ü so cn
da von wir alle qu&men. daz wir ü ze den vuozen
daz ist laue oder kort: und ir sit über uns gestig
wer sin an der gebort
Gehörte aber Hesler einem bürgerlichen geschlecl
so schwindet jede hoffnung, ihn auf grund seines
localisieren zu können, vollständig. Die möglichkeit
kommens des namens Heseler, Hesler ist unbegrei
ganz Deutschland gibt es Ortsnamen, die von Hasel al
sind; es ist nicht abzusehen, weshalb die familiennamen
herkunft auf ein kleines gebiet beschränkt sein soU
Mecklenburg ist z. b. eine familie Hesler bezeugt diu
hard H., bürger in Rostock 1275. 1283, Alexander H. o
in Wainemünde 1302 und Hermann H., bürger in Rosto
1348. 1350; vgl. Mecklenburgisches urkundenbuch, ind
5—12.
Wir werden demnach darauf zui'ückgewiesen, zu ve
ob sich aus der spräche allein merkmale für die hei
gedichtes ergeben.
*) Der vers in G ganz verdorben : so bin ich worden irre,
da von der unde genere] doch halte ich dies nur für einen vei
stelle, die der Schreiber schon nicht verstand, verständlich zu ma
vermute im original ein iedewedere.
*) Dass Hesler nicht ein geistlicher, sondern ein laie war, h
bach 2, 30 if . auf grund einiger stellen der Apokalypse nachgewi«
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HEINRICH HESIiEBS EVANGELIUM NICODEMI. 169
Die weitaus überwiegende mehrheit der aus den reimen
zu erscliliessenden sprachlichen tatsachen sind gemeinmittel-
deutsch und können zu einer engeren localisierung nichts bei-
tragen. Wechsel zwischen e und i, o und w, vereinzeltes un-
verschobenes t in du, die contrahierten verbalformen fän, sen,
doppelformen wie gän, gen, stän, sten, weste — tviste — wisse u. a.
sind an keine bestimmte gegend gebunden. Ausserdem muss
stets mit dem eindringen literarischer formen gerechnet werden.
Einige enger zu begrenzende dialektische eigenheiten sind
aber doch zu finden, und es fragt sich nun: kann darnach die
bisher angenommene thüringische heimat des dichters als mög-
lich oder wahrscheinlich erwiesen werden? Amersbach bejaht
die frage, indem er sich auf die reime engrame : namen (Apok.)
und veme : nemen Ev. Nie. 5067 beruft. Beide reime sind aber
ganz verschiedener natur. Charakteristisch für Thüringen wäre
nur der zweite mit verklingen des n im inf . Aber auch dieser
nur, wenn er nicht der einzige seiner art wäre; in sämmtlichen
nach Thüringen gehörenden denkmälem zeigen sich die apo-
kopierten Infinitive in grosser zahl.^) Ebemands von Erfurt
Heinrich und Kunigunde hat auf 2375 reimpaaren 79 mit In-
finitiv auf -e (zum teil zusammengestellt von Bechstein in der
ausgäbe s. xxi f.). *Daz brechen leit' (Bartsch, Md. gedichte
no. 3) hat unter 134 reimpaaren 8 solcher, Des alten weibes
list unter 228 sogar 26 (ebda. no. 4). Die Pommersfelder hs.,
die auch die beiden letztgenannten gedichte enthält, schreibt
auch im versinnem sehr häufig die apokopierten Infinitive, so
in der Heidin v. 45. 315. 545. 548. 584. 701. 749. 809. 856. 925.
1084. 1097. In Joh. Rothes werken sind die Infinitive ohne -n
ebenfalls sehr zahlreich. Im gedieht Von der stete ampten
und der fursten ratgeben stehen 69 solcher reime auf 646
reimpaare. Im ßitterspiegel stehen 705 infinitive im reim.
Von diesen reimen 242 untereinander, von den übrigen 463
reimen rund 100 mit -e, die übrigen auf -n oder sind zweifel-
haft (z. b. ich schenke : gedenken v. 4050). Noch mehr über-
wiegen die apokopierten infinitive in Stolles Thür. chronik (hg.
von Hesse). Dort finden sich auf den selten l — 24. 101 — 108.
1) Es handelt sich natürlich nur nm den nominativ des infinitivs. Die
üectierte form (ze sehene > ze sehen) hat natürlich das -n erhalten.
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170 HELM
141—150. 210 bis schluss ca. 250 inflnitive ohne -n gegen
200 mit -»; von letzteren ist aber etwa die hälfte in abn
nung zu bringen, da sie nach dem syntaktischen zusamn
hang die flectierte form des infinitivs repräsentieren (s. o
anmerk.).
Die Urkunden sind in diesem punkte sehr verschieden,
der Vögte zu Plauen, Gera und Weida (Thüringische geschid
quellen bd. 5) zeigen nur wenige fälle. Die landgräflic
halten sich von diesen dialektformen ebenfalls fast ganz
mit ausnähme einiger der verwitweten landgräfin Elisab
datiert Gotha 15. 10. 1331 und 24. 4. 1332 (im ürkundenb
der Stadt Jena, Thür. geschichtsquellen 6, no. 146 und 150),
je 7 apokopierte inflnitive aufweisen.
Andere Urkunden, die mehr local gefärbt sind, bieten
gegen eine reiche auswahl dieser formen. Die städtisc
Urkunden wiegen unter diesen naturgemäss vor, doch s
auch andere in ziemlicher zahl darunter. Einige beispiele
dem Urkundenbuch von Arnstadt (Thüring. geschichtsquel
bd. 4) mögen dies bestätigen. No. 87 vom 12. 1. 1322 (^
gleich zwischen Arnstadt und Erfurt wegen der über die ju
obwaltenden Streitigkeiten) hat 7 inflnitive ohne -n, no. ]
119 vom 14. 2. 1332 (vertrag zwischen dem abt von Hersi
und den grafen von Schwarzburg über den verkauf der st
Arnstadt hersfeldischen teils) haben zusammen 12, no. 142 \
17. 3. 1343 (vertrag zwischen dem grafen von Schwarzburg i
denen von Orlamünde wegen Zusammenlegung ihrer herschaft
15, no. 147 vom 11. 5. 1347 (vertrag zwischen den grafen ^
Schwarzburg über die teilung von Arnstadt) ebenfalls 15, no.
vom 13. 5. 1350 dat. Erfurt (vertrag wegen des nachlasses
verstorbenen königs Günther von Schwarzburg) 30, no. 156 v
26. 2. 1352 (innungsordnung de-s schmiedehandwerks zu A
Stadt) 14, no. 241 vom 9. 2. 1395 (vertrag zwischen Bert
Alkersleben und Kunne Meydel) trotz des geringen umf angs
Im allgemeinen werden die apokopierten inflnitive selten
je jünger die Urkunde ist, doch hat z.b. no.812 vom 16
1487 (innungsartikel des böttcherhandwerks) noch 20 derselb
Die heutigen Verhältnisse bestätigen au& beste das aus c
alten denkmälern gewonnene resultat. Im ruhlaischen z
begegnen uns zwei inflnitivf ormen (vgl. Regel, Ruhlasche mundi
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HEINRICH HESLER8 EVANGELIUM NICODEHL 171
s. lOOfL): eine endungslose und eine mit erhaltener endnng.
Erstere, die nach den hilfeverben tcoUen, sollen, müssen, dürfen
steht nnd durch praefix ge- verstärkt >) auch nach können und
mögen, ist die normale form des infinitivs. Die zweite steht
in Verbindung mit eu, nach den verben bleiben und werden
und bei den verben der sinnlichen Wahrnehmung wie sehen,
hören, wenn sie nachstehen. Diese zweite form repräsentiert
also teils die alte flectierte infinitivform (nach zu), teils ein
ursprüngliches part. praes. (er toirt weinende u. dgl.). Ganz die-
selbe Verteilung findet sich bei Joh. Rothe. Und wie im ruhla-
ischen, so verhält es sich auch in den übrigen thüringischen
mundarten. Für Nordthüringen vergleiche man Mart. Schnitze,
Idiotikon der nordthür. mundart s. 12 f. E. Pasch, Altenburger
bauemdentsch s.41 gibt nur den abfall des inf. -n an, doch
werden seine angaben kaum als erschöpfend betrachtet werden
dürfen: s. 44 bemerkt er wenigstens, dass der substantivierte
Infinitiv das -n behält. K. Schöppe, Naumburgs mundart, gibt
ebenfalls s. 10 nur die kurze regel, der naumburgische infinitiv
habe kein -n. Aber in der textprobe s. 55 ff. finden sich neben
ässe (essen), du (tun) u. a. gerade wie im ruhlaischen: giR>bt
daehch emal mein sane e bar ganze schdiweln äknzezihn; ich
hadde gedacht ich tcärrdn nidi widder ze sän grihche. Für
ias übrige Thüringen vergleiche man Hertel, Thüringischer
Sprachschatz; z.b. Ebeleben (s. 40ff.) ha wul ufgd (er wolle
aui^ben), aber nischt zum lachen; Erfurt (s. 42) käme, aber
lüs jse waren (los zu werden); Nordhausen (s. 43) ich wils
dich ängeidriche, ene kü ufzufressen! Rudolstadt (s. 46) wolde
name (nehmen), aber ze machen.
Ueber die grenze -enj-e sind zu vergleichen Wredes be-
richte Anz. fda. 19 und 20 unter sitzen und machen (zum teil
ist sie auch angegeben auf der karte Zs. fda. 39, 280), Jecht,
Die grenzen der Mansf eider mundart, Zs. des Harzvereins 20, 96.
Behaghel, Pauls Grundr. 1, § 100. Weitere angaben siehe bei
0 Diesen ventärkten inf. als eine dritte form den beiden anderen
gleichwertig znr seite za stellen, wie Regel tnt, halte ich nicht fllr
glücklich. Folgerichtig müsste er dann anch beim inf. mit endung die
zwei aUerdings lantlich zusammenfallenden, aber ihrem nrspmng nach yer-
schiedenen formen als zweierlei kategorien auseinander halten.
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72 HELM
l Franke, Veterbuch s. 73. Braune, Ahd. gr. § 126, anm. 2,
peciell fürs ostfränkische Ehrismann, Beitr. 22, 297.
Allerdings sind Infinitive ohne n auch in anderen gegen
iu finden, in Oesterreich (Seifr. Helbl., hg. v. Seemüller s. X3
n Hessen, vgl. Bartsch zu Erlösung v. 2768, im Passional i
m Veterbuch (a. a. o. s. 74). Für Oberdeutschland vgl. bei
)ei Weinhold, Mhd. gr. § 372. AI. gr. § 30. Bair. gr. § 288. A
der überall wird das -n auch sonst abgeworfen, und der
femeine vertust des -w zeigt sich dann eben auch im inl,
hüringischen und ostfränkischen dagegen bleibt der abfall
vesentlichen auf den inf. beschränkt, ist also ganz and<
latur. Ein rein lautlicher Vorgang kann es nicht sein,
väre sonst nicht abzusehen, warum er auf eine eng gesch
«ne syntaktische kategorie beschränkt blieb. Aus die
frunde kann ich mich der von Behaghel, Pauls Grundr. 1, §
tufgestellten ansieht nicht anschliessen, dass nämlich der al
les -n lautgesetzlich bei stammen die mit nasal schlies
)egonnen und sich von hier aus verallgemeinert hätte. I
mdere erklärung gibt Ehrismann, Beitr. 22, 297 f., vgl. a
). Brenner, Lit.-bl. 1898, s. 124.
Auch im Ev. Nie. ist der abfall des -» nicht speciell <
nf. eigen, findet sich vielmehr weit häufiger in anderen fä]
Oiese, zu denen auch der von Amersbach aus der Apokali
ingeführte reim gehört, heben die beweiskraf t des einen rei
wme : nemen direct auf. Wir müssen also gegen Amersl
gerade in dem fehlen häufiger belege für apokopierten
dnen beweis gegen thüringische heimat des dichters erblicl
Auch weiter östlich im obersächsischen sind die infinii
)hne -n häufig, z. b. bei Heinrich von Krolewitz 146 unter 2
-eimpaaren (z. t. bei Lisch s. 11 aufgezählt).
In Schlesien ist heut^ nach Weinhold, Dialektforsch
j. 126 und Rückert, Zs. für geschieht^ und altertum Schlesi
11, 340 der apokopierte inf. regel. In dieser allgemeinen fassi
lürfte die angäbe kaum stichhaltig sein (vgl. Pauls Grund
) 100, 4). Ausserdem ist die erscheinung ganz bedeutung
n den teilen Schlesiens, in welchen -w auch sonst verklii
Ute belege für apokopierten inf. fehlen. Es ist dies un
luffälliger, als die grosse masse der schlesischen colonisten
Dstfranken kam, ihi-em dialekt also gerade die unterdrück
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HEmSICH HESLEBS EVANGEUÜM NICODEHI. 173
des infiiütiv-n ursprünglich angehörte; vgl. Rückert, Charak-
teristik der schlesischen mondart, Zs. f dph. 1 und 4. J. Partsch,
Schlesien 1,373 ff.
Ein weiteres wichtiges kriterium für den dialekt unseres
gedichts ist die Vertretung von ie, uo. Dieselben sind heut-
zutage, abgesehen vom bairischen, alemannischen und einem
teil des ostfränkischen, wo sie diphthonge blieben, in zweierlei
weise monophthongiert, teils zu e, ö, teils zu i, u. Das erste
gebiet umfasst den grossten teil Mittelfrankens, das {, ti-gebiet
das ganze übrige Mitteldeutschland (vgl.Behaghel, Pauls Grundr.
1, § 52). Der wandel zvl e, 6 tritt ziemlich frühe ein; da nun
unser gedieht deutlich die Sonderstellung der laute ie, uo zeigt,
so kann es dem e, o-gebiet nicht angehören. Ob man in den
einzelnen reimen tiie, ü:uo einen beleg dafür erblicken darf,
dass diese laute sich damals schon nahe standen, muss dahin-
gestellt bleiben.
Unser gedieht gehört also jedenfalls in das i, u-gebiet,
von dem aber der teil, in welchem der inf. apokopiert wurde,
also Thüringen, noch auszuschliessen ist Damit ist aus-
gesprochen, dass die heimat unseres gedichts nicht mehr im
md. Stammland, sondern schon im colonisationsgebiet, eventuell
also in Preussen, zu suchen ist.
Die allgemeine annähme, Hesler habe im ordenslande ge-
schrieben, geht zurück auf G. Chr. Pisanskis Entwurf der
preossischen literärgeschichte (hg. von L. E. Borowski, Königs-
berg 1791) S.85; sie gründet sich vornehmlich darauf, dass die
drei haupthss. der Apokalypse sich in Preussen (Danzig und
Königsberg) befinden und wol auch dort geschrieben sind.
Dies beweist natürlich nichts: es sind auch fragmente vor-
handen, die nach Ostfranken (vgl. M. Rieger, Germ. 15, 205 ff.)
und nach Baiem (Eegensburger und Augsburger fragmente)
gehören. Vom Ev. Nie. ist keine hs. in Preussen selbst. Amers-
bach versuchte auch sachliches zum beweise beizusteuern, je-
doch ohne besonderes glück. So glaubte er in den versen der
Apokalypse v. 6364 f. gegen die habsucht der geistlichkeit:
nach im ^irischen die bischove, tempel, spitäl, der dütschen hüs
speciell eine anspielung auf den Deutschen orden erblicken zu
dürfen; da nun andere orden gerade in beziehung auf welt-
lichkeit und habsucht viel mehr gelegenheit zum tadel geboten
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174 HELM
hätten, so erklärt er sich diesen ausschliesslichen hini
den Deutschen orden mit Heslers genauer kenntnis d<
Er hat aber übersehen, dass in den worten tempel, s
auch der hinweis auf Templer und Johanniter (vgl. s
Gudr. 916,3 spitaJbruoder Ludw. kreuzfahrt 7882) liegt, i
drei orden namhaft gemacht werden. Ebenfalls ganz aJ
auf die ritterorden, aber nicht auf einen bestimmte)
V. 5145 des Ev. Nie. bezogen werden: darumme segeni
die swert. ») Nur so viel ist aus beiden stellen wol zu sei
da der dichter offenbar sein augenmerk auf die gei
ritterorden richtet, so ist es in anbetracht unserer d<
Verhältnisse wol am wahrscheinlichsten, dass er zun^
den Deutschen orden denkt. Damit darf vielleicht v<
werden, dass er als landungsort des Yolusian gerade
nennt. Vielleicht spricht ebenfalls für beziehungen
zum Deutschen orden der umstand, dass die hs. s nac
eintrag auf bL la im besitz eines fratris Hermanni
theutonicorum domus in Giengen war.
Auf grund des dialektes diese frage zu entsche
kaum möglich, da strenge dialektgrenzen für jene zeit
deutschland überhaupt nicht gezogen werden können,
dem Ordensland könnte also auch Schlesien in betracht 1
Literarhistorisch wäre dies sehr wol denkbar: um dies(
etwa entstand dort das gedieht von Ludwigs kreuzfahrt
Ereuziger Johanns von Frankensteins. Auch der nam
ist in Schlesien wenigstens wenig später nachgewiesei
Einige wenige punkte können nun aber doch a
sprachlichem gebiet gegen Schlesien geltend gemacht
Ohne besonderes gewicht darauf zu legen, mag doch
hingewiesen werden, dass das schlesische die monoph
rung von ie, uo ziemlich frühe durchgeführt zu haben s<
auch das im schlesischen sehr stark ausgeprägte ö für <
bei uns wie es scheint. Stricte lässt es sich freilic
erweisen, auch nicht durch vers 1125—28 tot : not, s
*) Aber auch dies ist nicht unbeding^t nötig, da die schwert
erteilung der ritterwürde überhaupt stets geweiht werden.
«) Vgl. Ludwigs kreuzfahrt v. 2962. 3451 u. a.
*) Z. b. im Psalterium per hebdom. cum yersione germanica
Cod. I (i 237).
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HEINBICH HßStiBRS EVANGELtÜltt KtCODBftll. 175
da es nicht feststeht, dass H. viererreime streng gemieden
habe. Es wäre denkbar, dass er damit zufrieden gewesen,
dass die reime ihrem sonstigen literarischen gebrauch nach
verschieden sind. Sichere viererreime kommen bei ihm aller-
dings nicht vor.
Von den verben sten und g6n kennt das schlesische nur
die ^-formen, wähi*end bei uns die a-form im reim mit 75 proc.
stark überwiegt. Ebenso kennt das schlesische die assimilation
hs> SS nicht, die für Hesler durch die Apokalypse belegt ist
(vgl. Rückert 9, 61), allerdings ist diese auch im hd. dialekt des
Ordenslandes heute nicht anzutreffen (vgl. Anz. fda. 21, 261).
Aber dort wäre sie doch weit eher als vereinzelte erscheinung
denkbar unter einfluss des nd. dialekte, wie wir ihn schon bei
£^6 (als contamination von iö und ztw), lihte und hat : sJcat
vermutet haben.
So glaube ich denn, dass wir das ordensland sehr wol als
heimat unseres gedichts annehmen dürfen, wenn auch bestimmte
belege aus dem dialekt nicht dafür zu erbringen sind, dass es
dorthin gehören müsse. Der grund, weshalb es an solchen
directen beweismomenten fehlt, ist sehr einfach.
Die sprachlichen Verhältnisse des ordenslandes sind damals
noch durchaus schwankend und unstät. Von einer xoiv^ kann
noch keine rede sein, wenn auch die Urkunden») viel gemein-
sames zeigen. Aber die kanzleien sind ja in der fixierung der
sprachform stets weit voraus; ausserdem gibt es deutsche Ur-
kunden aus den ersten Jahrzehnten des 14. jh.'s nur wenige;
weitaus die mehrzahl ist lateinisch.
Wie wenig aber für den literarischen gebrauch eine ein-
heitliche sprachform anzusetzen ist, zeigt ein vergleich zwischen
dem buch Hiob und Jeroschins Chronik, die beide ziemlich
gleichzeitig unter Dietrich von Altenburg entstanden. Unter
einander stehen sie sich freilich noch näher als ihnen Heslers
spräche kommt^ namentlich ist der gebrauch von ie, uo im reim
ein anderer (vgl. Bahder s. 41. W. Müller s. 17).
Diese differenzen können gleichzeitig verschiedene Ursache
^) J. Voigt, Codex diplomaticns prossicus. Urknndensamiulung zur
ältesten geBchichte Prenssens ans dem kgl. geh. archiv zn K(5nig8berg nebst
regesten herausgegeben, Egsbg. 1845—1861, bd. 2'~6.
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176 HELM
j haben. Erstens ist die in Preussen damals in der ansbil(
'] begriffene mundart ein mischdialekt, der naturgemäss
? mehr diese, dort mehr jene färbung annehmen musste. I
konnte aber in jedem einzelnen Individuum je nach den
ständen weitere Verschiebung und mischung eintreten,
nachdem ob seine eitern bereits im ordensland lebten
nicht, ob der Verfasser als kind oder erst als erwachs
einwanderte, musste das resultat ein anderes sein. Dazu 1
kommen, dass er mehrmals seinen aufenthalt wechselte
jedesmal mit anders gearteten Sprechgemeinschaften in b^
rung kam, endlich konnte er vermöge seiner Stellung der spr
des urkundlichen Verkehrs näher treten. Alle diese mög
keiten gelten für Hesler unbeschränkt. Es ist darnach
natürlich, dass wir aus seiner spräche nicht mehr entschc
können, aus welcher gegend er oder seine familie herstan
da wir nicht entscheiden können, wie viel und was in s<
spräche aus dem dialekt der ursprünglichen heimat zui
geblieben und was neu hinzugekommen ist. Vgl. übei
bedeutung von ortsveränderung für die gestaltung des diah
namentlich jetzt Behaghel, Schriftsprache und mundart (}
sener rectoratsrede 1896) s. 8 und anm. 11 f.
Kehren wir nun noch einmal zur hs. S zurück. Wi(
gesehen haben, stimmt die spräche derselben in allem we
liehen mit dem aus den reimen zu erschliessenden di^
überein. Ganz naturgemäss ist es nur, wenn dialekt
eigenheiten wie e für t, o für m, r-metathesis, ht für ß sti
als in den reimen hervortreten. Das von S durchgeführt
> SS wird durch Apokal. wassen : massen (s. oben) gesicl
Directe Widersprüche zwischen S und dem reimgebr
sind nicht zu constatieren; auch die 2. pl. auf -mt, die
sehr häufig ist, wurde in der Apokalypse wenigstens ei
im reim (tugent : mugent) angetroffen.
Ausserdem zeigt S bestimmt ostdeutschen charakte
der regelmässigkeit, mit der formen wie rittere, engele ersehe
für die ein beweisender reim ja kaum denkbar ist. Aue
nd. spuren fehlt es nicht, so wird statt bis stets das
nd. wente verhochdeutschte wen0 geschrieben. Dass in
2. und 3.pl. die endungen -en, -ent, -et nebeneinander vorkom
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HEINRICH HB8LBBS BVANOELIUM KICODEMI. 177
verrät vielleicht auch nd. einfluss, unter welchem sich die grenz-
linien der einzelnen personen des pl. sehr leicht verwischen
konnten.
Es nnterlieg;t darnach m. e. keinem zweifei, dass S der
gleichen gegend entstammt wie das original und auch die
spräche desselben im allgemeinen treu bewahrt hat Fttr die
t^xtherstellung folgt daraus, dass die sprachform von S auf-
zunehmen ist, so lange kein directer grund dagegen vorliegt.
Zweifelhaft kann dies sein bei nd. nicht durch den reim ge-
sicherten formen ausser dem weit verbreiteten wenjs; solche
sind ffir das original ebenfalls keineswegs unwahrscheinlich,
werden jedoch der einheitlichkeit wegen besser getilgt, da sie,
auch wenn sie im original standen, wol eher als lapsus des
Verfassers aufzufassen sind.
IV. Zeit der abflMSuiig.
Dass das Ev. Nie. um oder kurz nach 1300 geschrieben
wurde, bedarf kaum eines beweises. Es ist die zeit in der
überhaupt die sog. deutschordensdichtung blüht. <) Eine engere
begrenzung zu gewinnen, fehlen uns die anhaltspunkte. Dürfte
die bekanntschaft mit Seifried Helbling als völlig gesichert
gelten, so erhielten wir als terminus post quem etwa das
jähr 1294 (s. oben), früher hätten wir das gedieht ohnedies
kaum angesetzt Die beziehungen zur Urstende, der Sachs.
weltchronik und vielleicht der Erlösung sind für unsere frage
irrelevant Andererseits benutzte Heinrich von München ca.
1350 bereits unser gedieht (s. oben) in einer hs. der gruppe z».
Zwanzig jähre früher werden wir darnach das original schon
ansetzen müssen, erhielten also als terminus ante quem etwa
das jähr 1330.
Schönbach vermutete Anz. f da. 2, 206, die erwähnung von
Äkkon (v. 4239) als hafenstadt für den nach Jerusalem reisen-
den Yolusian könne zur datierung des gedichts verhelfen. Diese
1) Wülcker a.a.O. setzt ohne angäbe von gründen das gedieht um :
was keiner weiteren widerlegnng bedarf. Hervorgehoben mag nur werden,
dass überhaupt erst nm 1280 im ordensland einigennassen friedliche zu-
stände eintraten. Auch dass selbst die besten erhaltenen hss. SEK erst
ans der zweiten h&lfte des 14. jh.'s stammen, widerspricht einem so frühen
anMttE.
Bdtrige rar gctchichte der deuticliea ^rache, XXIV. 12
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178 HELM
angäbe beruht aber nur darauf, dass Akkon eben lange
der einzige den Christen noch zugängliche hafen Pal&si
war, so dass man sich gewöhnte, zunächst an ihn zu dei
wenn von einer fahrt nach Jerusalem die rede war. Zur
als H. das Ev. schrieb, war Akkon dagegen wol schon in
bänden der Tttrken, es fiel 1291.
ANHANG.
Zu Heslers und Jeroschins metrischen regeln.
H. gehört zu den wenigen mhd. dichtem, die ubei
metrischen regeln die ihnen zur richtschnur dienten und
denen sie gemessen werden müssen, sich selbst geäussert ht
Seine bemerkungen stehen Apok. v. 1317—1482 und sind
gedruckt von Köpke in v. d. Hagens Grerm. 10, 88 f. und
Bartsch, Grerm. 1, 192. Aehnliche äusserungen finden sicli
kanntlich bei dem wenig jüngeren Nie. von Jeroschin in de
Kronike von Pruzinlant v. 236— 255 und 294—301, gedi
V von Mone, Anz. 1836, s. 82 f. Piper, Geistl. dichtung 2, 137
l in den ausgaben von Pfeiffer und Strehlke. Beide stellen
i vielfach besprochen worden, zuerst von Pisansky, Preussi
I literärgeschichte s. 77. 85, später von Pfeiffer a. a. o. s. xx
Strehlke s. 296 ff. Bartsch a.a.O. Bech, Germ. 7, 75 ff., zuletzl
Amersbach 1, 21 ff.; die verschiedenen erklärungsversuche st
sich zum teil schroff gegenüber. Seinen grund hat dies d
dass beiden dichtem die notwendigen termini technici fei
und ihre ausdrucksweise deshalb zum teil sehr dunkel ist
kommt es, dass weniger diese directen äusserungen zur
leuchtung der technik beitragen, als umgekehrt das vorhan
material an versen herbeigezogen werden muss, um eine
klämng jener zu ermöglichen.
Zu einer haltbaren erklärung ist nur zu gelangen, \
man beide stellen neben einander betrachtet, da es zweit
ist, dass sie im wesentlichen das gleiche aussagen wollen,
war deshalb auch kaum anders denkbar, als dass Pfeiffer,
nur Jeroschin kannte, in seiner deutung fast durchweg
griff; allerdings tmg dazu noch viel die falsche Interpret^
rim = 'endreim' bei, wodurch Pf. veranlasst wurde, alles
_ Jeroschin sagt mit ausnähme von v. 249 — 255 als reimre
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fiEIHlKICfi H^SLEttS SlrUTGELIÜM NICODEltt 179
ZU betrachten. Dass aber rim auch bei Jeroschin die beden-
tosg 'verse' hat, erhellt klar ans y. 299 £. und min rim tcerdin
gdmt an dem ende üf gUchin Imt, wo streng zwischen Hm
und dem glickin Jmt am ende unterschieden wird. Zweitens
ist flr die erklärong der stellen wichtig, dass Jeroschin in
7.294—301 nichts neues hinzusetzt, sondern nnr das y.236 —
255 gesagte knrz recapitnliert.
Vollständig unbestritten ist bei beiden dichtem nnr ein
ponkt: die fordening fest begrenzter silbenzahl. Jeroschin gibt
6 and 9 als die änssersten grenzen an: y. 248 daz wmf sitben
sh eu hwrzy zine hän eu langen schürz nnd y. 295 ebenso klar,
80 dass die yon Strehlke einzeln angesetzten fünf- und zehn-
silbigen yerse unbedingt zu yerwerfen sind. Hesler setzt als
norm 6-8 Silben, y. 1453 si€en ichs mochte gewehten mit sechsen,
sibenen, achten, daz tet ich unde lutzel mir. Neun- und zehn-
silbige yerse gestattet er sich nur ausnahmsweise.
Desto schwieriger ist nun aber die erklärung der anderen
punkte, doch scheint mir im allgemeinen jetzt auch hier durch
Bech und Amersbach das richtige gegeben zu sein.
Als zweite f orderung beider dichter hat darnach zu gelten:
die gleiche silbenzahl der durch den reim gebundenen yerse,
eine f orderung die nichts weiter enthält, als was bei Eonrad
von Würzburg schon in der hauptsache durchgeführt ist. Sie
ist ausgesprochen bei Jeroschin y. 236 ff.^, bei Hesler y. 1442 f.
^) Zu Pfeiffere eigentümlicher interpretation Ton v. 247 die lenge Jidt
der süben zal 'das heisBt, jedes zweisilbige wort ohne rücksicht anf nr-
sprüngliche qnantitftt ist lang', die mit der richtigen erklftrung Ton rim
hlnfiLUig wird, ist doch noch zu bemerken, dass ihr auch die tatsaehen
widersprechen. Pfeiffers anffassnng müsste zur yoranssetznng haben, dass
die dehnnng des knrzen stammvocals in offener sUbe schon yollständig
dnrcbgedmngen wäre. Dann müssen aber reime zwischen wOrtem der
mhd. formen -^x nnd y!/x ganz nnbedenklich nnd demgemäss weit
häufiger sein, als sie in der tat sind; nach Pfeiffers znsammenstellnng
S.XLIV sind es aber im ganzen nnr 70 anf 18969 reimpaare, also 0,87 Vo;
damit Tgl. man das etwa zwdlf jähre jüngere Schachbach, das derartige
reime anf ca, 7800 reimpaare gegen 100 hat (Zs. fda. 17, 384) = 1, 25 »/o,
d.h. nahezn Tier mal so Tiel! Dass die dehnung der Stammsilben bei
Jer. wol schon ziemlichen nmfang angenommen hat ist ja klar, aber ein
nntersehied gegen die alten längen mnss Jeroschin doch noch empfanden
haben.
12*
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80 HELM
vand ich hän die rime gewegen mit ehenglichen vugen unc
mnd ich hän sie ga/r durchme^gen und ebengliche geu
Für Jeroschin hat Bartsch die richtige auflEassun
:ehabt oder wenigstens als möglich anerkannt (a.a.c
licht aber für Hesler, dessen worte er auch auf den
>ezog und als die f orderung ansah, klingende reime
tets gleiche quantität haben. Nun hat H. diese reg
ings streng beachtet, aber deshalb muss er sie doch n
ledingt ausgesprochen haben, da er ebensowenig als J
ollständigkeit in der aufzählung seiner metrischen
»eabsichtigt. So fehlt beiden jegliche angäbe über z
nordnung der hebungen, und es ist deshalb doch kei
:lärer eingefallen, behaupten zu wollen, diese seien b
anz beliebig. Als bestimmt unrichtig wird Bartschs au
adurch erwiesen, dass direct ein beispiel folgt, wann
gesprochene regel umgangen werden darf: v. 1448 swa
')as so gelegen daz ich in nicht mochte üe hrengen^ ich
en Hm üngen (= wo der sinn so war, dass ich il
u ende [üz] hätte bringen können, wenn ich nicht d
ätte längen dürfen!).
An den reim stellen beide dichter die anforden
einheit, Jeroschin in den oben citierten versen 2991,
a einer schwerfälligen erörterung (v. 1364 ff.), die ab
icht miszuverstehen ist; nupPisansky ist in einem
ef angen, wenn er in den worten deme ä begegene nich
eme e dcus i, deme 6 daz ü ein verbot des hiatus i
Iweifelhaft bleiben hier nur die verse Jeroschins 2
wrt man gliche schribit, der luit unglich sich tribit
erstand sie nicht, Bartsch, dem Bech folgt, erklärt si
s sollen keine betonten und unbetonten silben, wenn \
leichen vocal haben, gereimt werden. Eine weitere aui
eutet Bech s. 86 als möglich an: vielleicht wende
belle gegen reimpaare, die äusserlich der zahl ihre
ach aus gleich grossen zeilen bestehen, denen aber die
lässige abwechslung von hebuiig und Senkung fehle,
iese ansieht spricht zweierlei. Die verse 243 ff. werde
42 das ich alsus bedüte einfach als ausführung von
harakterisiert: dass man glich zu glichin Urnen solle a
inne, Ute. Bezöge man nun v. 243 i auf den rhythi
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HEINEIOH HESLEBS EYAKGELIUM NICODEMI. 181
fielen sie mit einem neuen gedanken ganz ans der disposition
heraus, während eine erläuterung des Wortes UUe fehlen würde.^
Zweitens aber wäre in diesen versen, wenn ihnen diese auf-
fassung zukäme, eine regel ausgesprochen, die in praxi yon
Jeroschin doch zu oft umgangen wurde. Es finden sich reich-
lich yerse, die an silbenzahl gleich sind, aber eine yerschiedene
anordnung der hebungen zeigen,') vgl. v. 20294 f. (Pfeiffer s. 76
y. 164 f.) von LtUoüwen und gehdft \ im dinste siner hSrschäfty
V. 6433 f. (Pfeiffer s. 30 v. 157 1) van der selben mdgit gart \ der
herzöge Uddvr ort, v. 3122 f. (Pfeiffer s. 13, 4 v. 6f.) von übene me-
runge breit | und minrunge von Idelmt u. a.
Aber auch Bartschs erklärung, die ja wol denkbar wäre,
kann mich nicht befriedigen. Da die yerse ganz zweifellos
eine einfache erläuterung des wortes l/ate in 241 bieten wollen,
so glaube ich, dass Jeroschin auch wirklich darin nur an den
lautwert, nicht an die tonstärke der silben gedacht hat, und
durchaus nichts anderes damit betonen will als in den ent-
sprechenden yersen 299 f.: dass die yerse eben rein sein sollen.
Inwieweit reime yon betonten und unbetonten silben erlaubt
sind, ist aber im gründe genommen gar keine frage der reim-
technik; es handelt sich dabei einzig darum, ob und in welchem
grade unbetonte silben noch hebungsfähig sind oder nicht.
Ursprünglich nebentonige silben reimen z. b. Jeroschin und
Hesler ganz unbedenklich, ygl. schepfer : ger Jer. 8751, tüsunt :
stund Jer. 10717, tüsint : ü sint Ey. Nie. 5127, /5ttw* : trit ich
Apok. 67 c.
Nehmen wir also die yerse ganz ungezwungen wörtlich,
und sie werden sich auch am ungezwungensten erklären: es
wird gewarnt yor reimbindungen, die nur fttrs äuge bestehen
y^egen ihrer Orthographie, die aber fürs ohr doch yerschieden
sind durch ihren laut (nicht durch accent oder Quantität). Diese
Warnung ist gerade bei einem md. dichter yon bedeutung, da
gerade nach md. Orthographie die yocale weniger auseinander
gehalten werden als nach oberdeutscher; ie und I, uo und ü, e
^) Die Terse 243 ff. entsprechen den ausdrücken in y.241 chiastisch:
zu lenge gehört 247 ff., zn sinne 246, zu lüte 243 f.
*) Die von Bech 8.82 f. aufgeführten verse gehören nicht hierher, da
sie verschiedene sühenzahl aufweisen. Sie bilden einen fall, in welchem
ausnähme von der geforderten gleichen silhenzahl gestattet ist.
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182 HELM
irnd ce haben in den meisten hss. nur je ein gemeinsame« zeic
Zusammengefallen sind sie deshalb aber doch nicht, und
virerden, wie wir gesehen haben, auch im reim meist geschie
Ebenso verhält es sich mit den kurzen e -lauten e un<
vgl. oben.
Die von Hesler und Jeroschin aufgestellten regeln
sdso die folgenden drei: 1) fest begrenzte silbenzahl; — 2) gle
Silbenzahl der verse eines reimpaares; — 3) reine reime.
Jedoch sind verschiedene ausnahmen gestattet. Jeroschin n^
ftur eine für die zweite regel v. 297 f. biwilen ick ßwü h
Af eine lange stürze; dem entspricht bei Hesler
T. 1472
loch cUng ich onch üz diz eine und üz zwein Worten müz ein
iaz ich dicke zw^ne knrze müz machen oder ein halh nndenln
lar setzen vor einen langen vüz daz ander teil d& lÄzen sin.
Weiffer, der wider nur an den reim denkt, sieht in Jerosc
Viersen eine erklärung für reime wie vater \ beut er. Es ist (
%v& dem Zusammenhang klar, dass nicht von zwei kurzen
Binem langen {= zweisilbigen nach Pfeiffer) werte die
ist, sondern von zwei kurzen und einer langen silbe, di(
«rerse sich als gleichwertig entsprechen. In solchem fall
Etlso die regel der Silbengleichheit der verse eines reimpa
durchbrochen werden.
Ebenso sind Heslers worte zu verstehen. Die fälle dj
im äuge hat, sind vollkommen richtig nach meiner ansieht
Äjnersbach s.22 speciflciert. Richtig erkannt hat auch s(
Bech s. 83 Heslers worte, während Bartsch nur ein zeu
(ür erlaubte silbenverschleifung auf der Senkung darin erbli<
will, die häufig nötig sei, um die vorgeschriebene höchst
der Silben nicht zu überschreiten. Eine solche notwendig
liegt aber nirgends vor.
Den grund der gestatteten ausnahmen gibt Hesler d
lieh genug an, v. 1475 swä mir der sin also gebwrt und v. ]
nach deme der sin gevellet Hesler betrachtet also nicht i
vische befolgung der technischen regeln als den Inbegriff 6
terischer Vollkommenheit, sondern die verständige berücks
tigung des sinnes.
Des Sinnes halber gestattet er auch noch eine wei
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HEINHICH HESLEBS EYANGELIÜM NICODEMI. 183
ausnähme seiner regeln: ein überschreiten der höchstzahl der
Silben mn zwei und gleichzeitig damit verschiedene silbenzahl
der gereimten verse:
V. 1448
8wa der sin was 86 gelegen so was bezzer gesprochen
daz ich in nicht mochte üz brengen, lanc rim den sin znbrochen.
ich enmftste den xlm lengen,
nnd 1456
ndne sazte ich aber 6r, (die selben sint selts^ne),
oder znm meisten z^ne dan ich znbr^che den sin.
Auch 1410 wurde schon die bedeutung des sinnes hervorgehoben:
da von mftz man mit gelegenen den sin also berflchen
Worten die rlme sAchen, daz wir nicht yalsches sprechen.
Auch für Jeroschin steht der sinn über der äusseren technik.
Mehrmals spricht er das ans, der dichter sol (v. 245) den sin
niht versntden und die verse will er reimen: niht velschinde
der rede sin (v. 301). Es ist nicht nötig anzunehmen, Jeroschin
habe hierbei an einen speciellen fall, etwa enjambement (wie
Gervinus 2, 1 meint) gedacht.
Noch bleibt für Hesler eine wichtige stelle übrig. An
die citierten verse 1410 ff. schliesst v. 1414 folgendermassen an
(wir müssen die oft gedruckte stelle noch einmal anführen)
(nach Bartsch):
doch mtz manz wilen brechen, daz rrieni sttnd iz anderswar,
des endarf sich aber nieman schämen, daz w6re valsch, nnd ist ganz dar,
iz machet dnrft der lüte namen, wand sich d& rimet der name.
die nieman kan bekennen den landen, steinen ist alsame,
anders, die mtz man nennen, den steten, bnrgen, bergen,
also sie genamet sin, die nieman kan vorbergen,
und müz rlme zien dar in, noch wort die mit nns wanderen
die sich den namen glichen. die nieman kan veränderen,
wir setzen wol: der liehen, die müze wir wol setzen
der edelen nnd der vrlen an gevellichen vletz^,
namen sante Marien. mit loube die buch machen.
Es ist klar, dass H. von einer ausnähme seiner regeln
spricht, die erlaubt ist, wenn eigennamen von menschen, ländem,
bergen u.s.w. oder ein fremdwort im reim steht. Worin be-
steht nun aber diese ausnähme?
Bartsch denkt an erlaubte ungenauigkeit im reim, und
da vrien : Marien nach Heslers werten doch ein beispiel dafür
sein musste, so vermutet er^ H. habe eigentlich vri : vriges
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184 HELM
flectiert. Einen anhaltspunkt dafär gibt es nicht, ni
wenn wirklich vrigen zu lesen wäre, so wäre es wal
lieh, dass derselbe übergangslaut auch in Marien s
gestellt hätte.
Bech sucht die stelle anders zu erklären. Ei
y. 1424 fMmen in manne und sieht das ungewöhnlich!
Stellung vrien manne statt manne vrien. Gegen dies
rung hat sich schon Amersbach mit recht gewende
conjectur, mag sie wie hier bei uns auch noch so i
erscheinen und bestechend sein, zur erklärung einw
stelle zu hilfe zu nehmen, ist principiell stets unstatt
lange man ohne sie noch zu einem annehmbaren resultal
Ein solches bietet Amersbachs erklärung: wenn man a
namen u.s.w. ein reimwort bedarf, so ist es erlaubt (
zu brechen, d.h. in diesem falle muss man eben ein
des reimwort suchen, wenn es auch dem sinn der ents
den stelle nicht ganz entspricht. Dafür ist nun Hes
spiel nach Amersbach ganz zutreffend. Er zeigt (s. 31
vrie überhaupt als flickreim auf fremdworte (wie «
arzenie) sehr beliebt ist, dass es als epitheton der M;
im reim und auch hier selten vorkommt (Komposita ^
delsvrte, sundenvHe sind dagegen sehr häufig.
Ich ergänze Amersbachs angaben darüber durch di<
den Zusammenstellungen.
In den Marienlegenden, hg. von Pfeiffer, fin
neben zahlreichen wandelsvrie u. a. nur zweiuLal (
fache vrte.
1,1-4
Na höret aUe die hie sin, die edele nnd die vrie
td daz ü die knningin gotes mnter Marie . . .
2,22
daz si wolt aUe tage haben die edelen nnd die vrien
eine messe yon Marien. lobete si alsos d& mite.
Aus den gedichten der Ava führt Langguth
suchungen über die gedichte der Ava, Budapest 188C
beispiele für vrie als flickreim an, indem er gleichzer
vor Amersbach) auch die Heslersche stelle von diesem j
punkt aus betrachtete. Aus Ava selbst gehören hierher (
stner trüt muoter, \ sancte Marien der guoten, welche die
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HEINRICH HESLEBS EVANGELIUM NICODEMI. 185
las., am die assonanz zu beseitigen, änderte in stner miwter
sande Marien der heren und^der vrten, — Marienlieder hg.
von W. Grimm, Zs.fda. 10,47, v.l3 vrowe dich, vrowe reine Marie, :
edeU vrowe maget vrie. — Mnl. Osterspiel hg. von Zacher,
Zs.fda.2, V.460 Mnincinne Marie, \ edel ende vrie. — Pas-
sional 96,44 dieseligen vnde dievrien, \ gotes müter Marien;
367, 39 der edelen vnde der vrien \ von Magdalo Marien. —
Grandel y. 23 dar auo span in diu edel inde diu frie \ selber
diu huninginne sant Marie.
Dagegen fand ich nur einen einzigen beleg für vrie als
epitheton der Maria, ohne dass es auf Marie selbst reimt:
Mariengrüsse hg. von F. Pfeiffer, Zs. fda. 8, v. 157 wis ge-
grüezet, edel vrie, \ dich heaeichent wol diu hie.
Dass es in der tat wenig reime auf Marie (-en) gibt, können
folgende stellen zeigen.
Marienlieder, Zs. fda. 10, 29 v. 34 helpet mir schrien, \
der armer Marien; Christi ritterschaft hg. von J. Zacher,
Zs. fda. 13, 330 ff. ave Maria \ und böige dar sine knie; Bordes-
holmer Marienklage hg. von Mttllenhoff, Zs. fda. 13, 288 ff.
v. 86 do he syne werden moder Marien \ horde bytterlyken sere
wenen unde scrygen (derselbe reim v. 495. 754); v. 420 wente yk
arme moder Marie \ eynen anderen doch w edder lye; v. 885
ih bevele juw gode unde sunte Marien, \ damede wylle wy unse
Uagent vortygen; Mariengrüsse 1, 655 hilf uns, vrouwe, durch
daz schrien \ daz dt^rch Märten und Marien; Maria himmel-
fahrt hg. vonWeigand, Zs. fda. 5, 515 ff., v.311 (sich) mich armen
Marien, \ dine müter, schrien; v. 1594 bit lobelicher crie: \ sis
wtllehumen Marie; Unser frauen klage hg. von W. Grimm,
Zs.fda. 1,34 ff., V. 130 dochtere von Syon, \ wol ir nu schrien \ mit
mir vil armin Marien; Marienlegende von Heinrich dem
klausner, Bartsch, Md. gedichte s. 1, v. 1022 daz die suze vrie :
. . . Marie: v. 157 sunden vrie : Marie (sonst stets Marjä : da 96.
231. 284. 428. 465. 577. 593. 882. 1216, : sä 585, : gä 421, : grä
440); Mariengrüsse (Zs. fda. 8) v. 275 miner sünden masse-
nie, I cUs von Egypten tet Marie; y. 375 hilf uns durch die
namen drie, \ muoter unte maget Marie.
Deshalb wird oft auch statt Marie : Maria oder Marjä
gereimt; vgl. Amersbach 1, 31. Weitere belege sind:
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186 HELM
Erlösung y. 2587 aldä : Marjä, v. 5698 iesä : Ma
Grazer Marien leben hg. von Schönbach, Zs. fda. 17, v.
da : Marjä neben y. 611 Marie : äornes vrie; Mariengräss
Y. 133 hilkt, schulet, hlä, htä, hilf uns, hilf uns, guot Ma
y. 741 . . . weinten gegen dem trute. om, da \ leit din heree
Maria!; y. 779 hilf uns, hilf uns, wir ^n din: ja, \ du bist g
vil guot, Maria] Gedicht auf Maria hg. yon F. Pfeiffer,
fda. 8, y. 111 ff. d wol, du senftigiu,jä \ hast du vil tugent, Ma
6 wol, du reine guote, ja \ histü des mers stem, Marjd; 6
du süeziu muoter, ja \ bistü gnaden vol, Matjä; Marienliec
Zs. fda. 10, 132, 23 o Clemens, o pia, o dulcis MaHa!; Buch
ragen hg. yon Earajan, Zs. fda. 2, y. 507 (der ez tuon wiC)
äve Marjd, \ daz lat ir underwilen da; Leben Christi hg.
F. Pfeiffer, Zs. fda. 5, y. 119 si waz geheiezen MaHa, \ er spi
plena gratia; Bonus hg. yon Haupt, Zs.fda. 2, y. 162 d6 i
diu hUnegin Marjä, also schiere diu ober brä (die nideren
rOeret.,.); Marienlied hg. yon TL Jacobi, Zs. fda-3, ^
selich, selich, suze, pia, reine, milde, o Maria, y. 125 di
sunder lident da, \ da hilp mir, o Maria; Frauentrost hg.
Pfeiffer, Zs. fda. 7, y. 317 si sprach: ich binz Maria, \ gotes mi
die vil na ( . . . stät), *)
Fraglich kann in dieser sache nur sein, welche bedeul
man dem epitheton vrte zukommen lassen will. Ans. Sa
(Die Sinnbilder und beiworte Mariens in der literatur. ;
gramme des gymnasiums zu Seitenstetten 1886 — 93) fasst ol
bar vrie als gleichbedeutend mit sunden vrie auf (ygl. s
Zusammenstellungen s. 366). Nähmen wir dies für Hesler
so müssten wir dessen worte etwa so interpretieren: des rei
willen darf ein wort in einer ihm nicht ursprünglich eigc
prägnanten bedeutung gebraucht werden. Aber diese p;
nante bedeutung steht doch sehr in frage. Sie würde
passen in die Zusammenstellung mit guote (Wemhers Mai
leben, Fundgr. 2, 172, 26), aber für unsere stelle ebenso für
meisten andern, wo vrie neben edele, riche u. ä. steht (ygl. s
Fundgr. 2, 163, 25), passt doch eigentlich nur der sinn ^die
^) Gewis ist es anch kein znfall, dass im Alsfelder passionss
(Z8.fda.3) eine der wenigen waisen gerade der yer8 2, 124 ist: nn
auch mir, Maria.
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HEINBIGH HBSLEBS BVANGBnEilUM NICODEMI. 187
nehme, die hohe', wobei nur auffallend bleibt, dass eben ein
wort in dieser bedentnng ajs gehgenee epitheton der Maria,
WOZU es doch durchaus zu passen scheint (vgl. bezeichnungen
wie 'himmelskaiserin' u. ä.), nicht galt
Dass der gmnd, weshalb Hesler und Jeroschin ihre metri-
schen regeln niederschrieben, nicht darin zu suchen ist, dass
sie iigend etwas neues angestrebt hätten, ist von anderen schon
znr genüge hervorgehoben worden (vgl. Amersbach 1, 24. Bartsch
und Bech a. a. o.).
Das neue liegt allein darin, dass sie die flxierung der regeln
fnr nötig hielten. Dass sie dabei die fest begrenzte silbenzahl,
die sich z. b. bei Konrad von Würzburg ungesucht aus dem
bestreben möglichst rhythmisch gleichmässige verse zu bilden
ergab, zum künstlerischen princip erhoben, also vornehmlich
die ausserliche gesetzmässigkeit betonten, ist sehr bezeichnend.
Sie zeigen sich darin als echte kinder einer zeit, wo in folge
einer beginnenden sprachlichen revolution, die alle quantitäts-
unterschiede verschob, das mit dem älteren sprachstand eng
verknüpfte rhythmische gefühl zu erlöschen beginnt. Sie haben
die erkenntniB, dass die technik im sinken begriffen ist, aber
sich selbst erhaben fühlend über den beginnenden verfall klam-
mem sie sich ängstlich an die Vorbilder der alten meister und
stellen ausserliche regeln auf, die im laufe der zeit zur völligen
erstarrung kamen in der traurigen periode des blossen silben-
zählens im 15./16. Jahrhundert.
HEIDELBEEG. K. HELM.
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zu WOLFRAMS PARZIVAL.
Im anschluss an eine erklärung des dritten buchs
(Wolframs Parzival sind die nachfolgenden besprechungen
3lner stellen entstanden, welche noch der anfhellung
Mrferen betrachtung zu bedürfen schienen. Denn die mai
aften auslegungen dieser stellen in der ausgäbe von Baj
nd meist von späteren aufgenommen worden, so dass
)rrectur erspriesslich sein dürfte. Der fortlaufende comm€
i der ausgäbe von Piper bedeutet gegen Bartsch kaum c
)rtschritt. Er ist nützlich durch verweise auf die erklärt
teratur, deren resultate verwertet werden. Sonst aber ke
jhiefe auffassungen von Bartsch ziemlich regelmässig w
ereicherungen der erkenntnis, welche nicht in der eigentli
t^olframliteratur niedergelegt sind, sind ungenügend
ertetO und auch in grammatischer hinsieht fehlt es an
auigkeit.2) Ein strengeren anf orderungen genügender •
lentar zum Parzival bleibt immer noch ein desideratum.
Ausser den commentaren von Bartsch und Piper habe
DU den Übersetzungen im wesentlichen nur die beiden neu
Bnutzt, welche auf gründlicher kenntnis des Originals beru
ie freilich nicht ganz vollständigen Übersetzungen von Bötti^
erlin 1885 (2. aufl. 1893) und von W.Hertz, 2.aufl., Stuttg. 1
0 Z. b. 155,23 wird Bartschens falsche ttbersetznng yon scMw
irch 'annschiene^ die durch die ratlosigkeit der Wörterbücher zu
hnldigen war, von P. widerholt, obwol inzwischen ans Schnitz, Höf. !
31 (2. anfl. s. 37) zn lernen war, dass schinndier (= afrz. genouiü
e das knie schützenden panzerscheiben sind. — Ich erinnere bei
ilegenheit auch an meine Zs. fda. 16, 425 gegebene correctur Ton P. 3
e Piper entgangen ist.
>) So z. b. wird 158, 26 das falsche praesens gewahen statt gewd
1 getouoc Bartsch nachgeschrieben.
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zu WOLFRAMS PABZIVAL. 189
122, 2. tjfem touwe der wäpenroc encant Bartsch erklärt:
'entrinden sich umwenden, zurückgeworfen werden: der wappen-
rock spiegelte sich im tau'. Ebenso Piper. Dagegen übersetzt
Botticher: *wie tau erstrahlt sein wappenrock' und bemerkt
dazu in der anm. (1. aufl.): nicht 'spiegelte sich im tau', sondern
'kehrte am tau um', d. h. fand erst in dem glänze des taues
seine grenze. Alles &lsch, denn erurinden heisst einfach 'reichen
bis'. YgL z. b. 130, 17 ir deckelachen eobelin erwant an ir hilf-
felin 'reichte ihr bis an die hüfte'. An unserer stelle ist also
der sinn: 'der waffenrock war so lang, dass er bis ans tauige
gras reichte'. Erst in den 'berichtigungen' der 2. aufl. (s. 408)
corrigiert Bötticher seine Übersetzung in: 'sein wappenrock
streift an den tau' und danach W. Hertz: 'lang fiel der wappen-
rock hernieder, dass er den tau vom grase strich'.
122, 13. AUer manne schoene ein hluomenhranz umschreibt
Bartsch: 'ihn der ein blumenkranz war: der alle mannesschön-
heit wie blumen zu einem kränze in sich vereinigte'. Aber
diese auslegung des bildes trifft wol nicht Wolframs sinn. W.
braucht das einfache bluome sehr gewöhnlich metaphorisch zur
bezeichnung des vollkommensten, höchsten, z.b. 39, 22 er hluome
an mannes schcene, 109, 11 der cAler ritter bluome tvirt etc.^)
Ganz in der gleichen anwendung braucht er aber auch das
wort krans, bei welchem der ausgangspunkt der bedeutung
ein anderer ist, indem der kränz auf dem haupte wirklich
das höchste am menschen ist, also ganz gleichbedeutend mit
kröne (z. b. 781, 14 du kröne menschen heiles). Während also
bei bluome der begriff des 'höchsten' erst indirect aus dem
begriffe der Schönheit und Vollkommenheit abgeleitet ist, geht
er bei kränz (kröne) direct aus der anschauung hervor und
tritt von da aus auch in den begriff der Vollkommenheit über.
Ueberall braucht W. kränz nur in dieser geltung (260,8. 394,12.
632, 18. W. 86, 3. 292, 11), ja sogar er treit der unfuoge kränz
P. 343, 26 'das höchste der Unsitte'; vgl. Ludwig a.a.O. Man
wird daher auch in unserer stelle kränz in dieser bedeutung
verstehen müssen und nicht wie Bartsch den dabei stehenden
gen. bhwmen zu einer Verschiebung des bildes benutzen dürfen.
') Weitere zaUrache stellen yerzeichnet Lndwig, Der bildliche ans-
druck bei W. (1889) s. 17.
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190 ÖEAÜNfi
Bluomenkranz besagt hier Dichts wesentlich anderes als
einfache hrcmzy also 'das höchste der mannesschönheit'. i
aller manne schcene ein hluome würde dasselbe besagen.
128, 17. Der werelde riuwe aidä geschach, Bartsch
klärt: ^der werelde dient hier zur Verstärkung, wie sons
Zusammensetzungen (werlttöre, werltwise) grosses, das gr^
leid'. Bartsch vergisst aber beispiele dafür beizubringen,
auch eine genetiwerbindung statt der sonst allein in die
sinne belegten composita (vgl. noch werltschande, werltz
gebraucht worden sei. Es ist (2^ werelde als dativ zu fa
und zu übersetzen: 'der weit wurde da schmerz zu teil',
die weit erlitt durch Herzeloydens tod einen schweren ver
— Die erklärung von Bartsch wird von Piper weitergefi
trotzdem Bötticher die richtige Übersetzung bot Auch W.B
bringt jetzt wider den fehler ('o weit von leid, was da gesch;
so dass dessen ausmerzung geboten erscheint.
136, 25. Frouwe, ir wert mir gar ae h6r: des sol id
iu mäzen. Bartsch verbindet hier des mit mdzen: ^ mögen s^
mass halten; mit gen. in etwas. Das werde ich euch beschränl
Piper erklärt geradezu mazen mit 'massigen, einhält tun'. A
die Übersetzer geben dieselbe auffassung wider. So Böttic
'frau, ihr werdet mir zu stolz, des will ich mass euch leb
W. Hertz: 'ihr führet noch das grosse wort. Ich lehr euch
bescheidenheit'. Nun würde aber ein transitives mazen e
objectsaccusativ erfordern, also des sol ich iuch mäzen. ^
mehr hat hier mAzen die gewöhnliche intransitive bedeul
'mass halten', wie Bartsch auch zuerst richtig angibt
des bezieht sich aber nicht auf den inhalt des vorhergehe]
Satzes, sondern ist causal und mäzer^ weist auf das folge
Der sinn ist also: 'ihr werdet mir gar zu vornehm. Des
will ich an euch mass halten, d. h. enthaltsamkeit üben'. I
enthaltsamkeit wird dann im folgenden specialisiert Ich wi
lieber hinter her einen punkt, hinter mäzer^ doppelpunkt sei
137,29. Wosr mir aller wibe haz bereit, mich miiet
froun Jeschüten Uit Bartsch übersetzt: 'wenn ich mir {
den hass aller weiber dadurch zuzöge'; Piper ähnlich: 'v
aller frauen hass mir drohte, so täte mir doch Jeschu
kummer weh'. Es wäre seltsam, wenn Wolfram fürchtete,
durch das miüeid mit Jeschute den hass der übrigen in
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2Ü WOLF]feAHS PIlBSSIVAL. l9l
zuzuziehen. Der fehler liegt darin, dass das wcer bereit auf
die Zukunft bezogen wird, während es heisst 'zur hand sein,
gegenwärtig vorliegen'. Der sinn ist: selbst wenn alle frauen
mir gehässig gesümt wären (mich hassten), so wurde ich doch
Jeschuten bemitleiden', d.h. auch wenn er durch die von den
frauen bisher ihm zu teil gewordene behandlung grund hätte,
nun auch seinerseits ein prinzipieller weiberfeind zu sein, so
wurde ihn trotzdem Jeschutens ungluck rühren'. — Von den
Übersetzern könnte vielleicht W. Hertz ('und wären alle frauen
mir feind, mich rührte wie Jeschute weint') das richtige meinen,
während die Übersetzung Böttichers ('war frauenhass mir auch
bereit, mich härmten doch Jeschutens leiden') die auffassung
von Bartsch widerzugeben scheint. [Vgl. jetzt S. Singer, Bemer-
kungen zu Wolframs Parzival (1898), s. 68 f.]
139y 15 ff. Het er gelernt sins vater site, die tcerdecUche
im wonten mite, diu bukel wcsre gehurtet haz, da diu hereoginne
aleme sauf, diu sU vil kumbers durch in leit Das bild diu bukel
wcsre gehurtet baz scheint allgemein in unschöner weise mis-
verstanden zu werden. Bartsch drückt das folgendermassen
aus: 'der schildbuckel hätte bessere stösse empfangen, d. h.
Gahmuret hätte sich mit dem, was Parzival ihr nahm, nicht
begnügt, sondern mehr geraubt'. Auch Piper erklärt: 'der un-
erfahrene wäre kühner vorgegangen', hier in engem anschluss
an Elant, Scherz und humor s. 10, der noch dazusetzt: 'wol
nicht ganz ohne eine kleine obscönität im bilde'. Aus der
gleichen auffassung heraus lassen wol Bötticher und W. Hertz
in ihren übersetztuigen diese Zwischenbemerkung Wolframs
ganz ans. Ich meine aber, damit tut man dem dichter schwer
unrecht. Wolfram nimmt in der ganzen erzählung so innig
und zartfühlend anteil an dem unverdienten misgeschick der
Jeschute (vgl. z. b. die vorige stelle 137, 29), dass es damit
seltsam contrastieren würde, wenn er hier meinen sollte, Par-
zival hätte eigentlich die gelegenheit besser ausnutzen und
die Jeschute vergewaltigen müssen. Man vergegenwärtige
sich, wie Wolfram sonst derartiges mit absehen verurteilt, so
besonders in der kräftigen stelle gegen Meljacanz 343,23 —
344,10. Der Schlüssel zum verständniis der stelle liegt viel-
mehr in dem worte i^mpheit, welches im vorhergehenden verse
steht: unde ein hmpheit da gesehach, Parzival hat sich bei
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192 BRAUNE
der Jeschute ungefuogc, unhöfisch, unritterlich benommen:
war ein tunibe. Sein vater Gahmuret würde sich bei ei]
solchen zusammentreffen ritterlicher betragen haben, m
ritterliche mht bewiesen haben. Nur das soll m. e. durch
vom kämpfe hergenommene bild ausgedrückt werden,
ritter von der feinen höfischen bildung des Gahmuret hi
nach Wolframs meinung sicher nicht das zusammentreffen
der einsamen dame zu ungebührlichkeiten benutzt. F& 1
in dem bilde nicht einmal so viel, dass er etwa die läge
nutzt haben würde, um in höfisch sittiger weise um minnc
werben. Sondern eben nur die tumpheit des Parzival ist
der Wolfram hier die mht des vollkommenen ritters entgej
setzen will. Also 'wenn Parzival wie sein vater gehan
hätte, so würde er sich ritterlicher, taktvoller aufgeführt hal
Wer mehr herauslesen will, bürdet Wolfram eine roheit
gesinnung auf, die seinem wesen fremd ist Zwar ist
nicht prüde und vermeidet es durchaus nicht, sexuelle verh
nisse gelegentlich humoristisch zu behandeln. Aber in unse
zusammenhange würde eine 'obscönität' seiner ganzen art n
undenkbar sein.
141, 8. Disen ritter und den vetem din ze tjostiem Si
Orihis, Die fehlerhafte erklärung von Bartsch: und den ve\
din = 'der zugleich dein vetter war' hat seltsamer weise
in die neueste zeit immer wider nachfolger gefunden. Pi
erklärt: 'der ritter und vetter sind dieselbe person, Schic
tulander'. Ebenso geben Bötticher und noch jüngst W.H<
in ihren Übersetzungen diesen fehler wider. Wer mittelh(
deutsch versteht weiss, dass vetere 'vatersbruder' heisst. I
zivals Vatersbruder ist aber Galoes. Und kurz vorher (134,
hat Orilus selbst erzählt, dass er den Galoes im kämpfe
tötet habe. Schon die sprachliche f assung unserer stelle hi
zeigen können, dass von zwei verschiedenen personen die i
ist. Auch inhaltlich wird die gegenüberstellung wirksai
wenn Sigune sagt: 'die beiden brüder haben dir viel zu h
getan. Zwei länder raubte dir Lähelin, zwei dir nahe stehe
personen, den Schionatulander und den Galoes, erschlug Ori]
Dass Schionatulander mit Parzival überhaupt nicht blutsi
want war kommt noch hinzu, um selbst die nhd. bedeut
von 'vetter' hier unzulässig erscheinen zu lassen.
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ZD WOLFBAJIS PARZIVAL. 193
143^4. Statt derlackte sollte man nach DG and den
meisten andern hss. do lachte schreiben. Lachmanns derlachte
ist nur dnrch erlachte d und der lachte g gestützt; in letzterer
hs. hat der Schreiber wol der als pronomen ffir do eingesetzt,
üeberhanpt halte ich es für gewagt, Wolframs originale schon
die praefixform der- statt er- zuzuschreiben. Dieselbe tritt in
hss. des 14. und 15. jh.'s sehr häufig in ostfränkischen und bairi-
schen quellen auf (vgl. nachweise bei Schmeller l*,531ft Grimm,
Wb. 2,1011 und bei Weinhold, Bair.gr. s.235 und Mhd.gr.«s.301);
sie ist in neueren mundarten weiter verbreitet, z. b. auch ober-
sächsisclL Die entstehung dieses der- aus er- ist durch den
Satzzusammenhang zu erklären. ^ Ehrismann, Beitr. 22, 259 will
nur vorhergehendes t verantwortlich machen (er hät'^erslagen
> er häCderslagen^ also durch teilung des t zwischen zwei
Silben das der- entstanden sein lassen. Mir ist es wahrschein-
licher, dass wir es mit einem Übergangsverschlusslaut zu tun
haben, wie er so häufig zwischen dentalen consonanten, beson-
ders bei r, l entsteht, vgl. gr. dvÖQog, franz. viendraij deutsch
minder ans minner, quendel aus quenel, composita wie ordent-
lich, öffenüichj die bairischen diminutiva wie mandl zu mann,
hahndl zu hahn. Voraussetzung für diese erklärung ist natür-
lich, dass das praefix er- in der ausspräche schon zu f geworden
war, so dass die r-articulation eng auf den vorhergehenden
dental folgte. Bei der grossen häufigkeit der wortausgänge auf
dentale (r, l, n, s, i) im deutschen sind die phonetischen Ver-
hältnisse sehr günstig für die entstehung eines solchen spross-
laates, der dann schliesslich fest wurde, so dass der- überall
für er- eintreten konnte. Da die Vorbedingung die ausspräche
des praefixes als f war, so wird man vor dem 12. jh. keines-
falls der- erwarten dürfen. Die ältesten sichern literarischen
belege hat Weinhold aus der Grazer litanei (bairische hs. vom
ende des 12. jL's) nachgewiesen, beide fälle (220, 16 glasvenster
derUuhtet, 223, 14 aUer derhräht) nach dentalen consonanten.^)
^) Die frttheien yennche, er- und der- etymologisch zn tremien und
sie auf Yenchiedene gena. oder indog. grandformen zurückzuftUiren, sind
nAtttrlich abzuweisen.
>) Sehr zweifelhaft ist ein beispiel in einer interlinearglosse (12. jh.)
des S. OaUer Notker, Ps. 67, 28 (Hatt. 2, 231a), wo über do er ra^im uuard
fibergeschrieben ist der güechä. Schon Graff 5,203 hegt zweifei nnd yer-
Bdtrig« rar gwchicbf der deuts€liea sprach«. XXIV. 13
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194 BBAUHB
Die daranf folgenden vereinzelten belege gehören e
zweiten hälfte des 13. jh.'s an (Nib.-hss. B und A, vgl. li
1,312). Für Wolfram könnte man es allenfalls als
annelunen, dass er seiner faeimat nach in seiner gespro(
spräche schon der- angewant hätte. Aber in der geschi
Sprache hat es nm diese s^eit noch kein legales dasein
Höchstens durch versehen könnten dem Schreiber des o
einige der- entschlüpft sein, während man annehmen da
Schreiber jüngerer Wolframhss. des bairisch-ostfränkisc
biets die ihnen geläufigen der- werden haben einfliessei
Ich meine also, dass eine der-f orm in jüngeren hss. nie
text aufgenommen werden dürfte. Nur ganz alte hss. i
könnten allenfalls für die originalhs. beweisen. So
man sich vielleicht dermct 64, 6 gefallen lassen, da hier
stens G dafür zeugt, auch ein n {erschein) vorausgeht
82,4 könnte vielleicht das da erworben von D die cc
derworhen zulassen (nach pris). Die meisten von Lac
der- sind jedoch ohne sicheren halt in der überliefern]
z. b. 170,4 ist allein ersiuße und erbarmte überliefert
unsicher scheint mir auch er dersach 161,23, wo man
er ersach oder nach G er dd sach schreiben sollte. Fei
147, 18 sicher nach D zu lesen Der bot oder nach Qt Um
Für {d)erb6t liegt hier gar keine veranlassung vor,
Wolfram in ähnlichen formein wie gruoB bieten, ire
minne bieten nach ausweis des Mhd. wb. (1, 181 1) das i
bieten anzuwenden pflegt. — Im ganzen genommen st«
dem der- im Wolframtexte skeptisch gegenüber und
mutet Schreibfehler für do ersskcchit Als fehlerhaft wird man die
sächlich deshalb anffsfisen, weil der- für er- im ganzen dem alema
fremd ist. Einige sp&tere beispiele s. bei Weinhold, AI. gr. s. 2f
iSchweiz. idiotikon 1, 401 kennt kein der-, — Auf coigectnr Hanpt
im Bamberger Himmel nnd hölle (Denkm. 90, 6) oZ derUuhtet. Die
cUdluhtet. Die cosjectur ist bestechend, anch die steUnng hinter
stimmen nnd im ostfränk. kann man der- erwarten. Inmierhin ka
ein sonstiger Schreibfehler yorliegen nnd man wird doch bedenken
den ältesten beleg der erscheinnng einer coigector zu verdanken.
^) Interpnngiert wird diese stelle besser so, dass nach apranc
nach vrie doppelpnnkt gesetzt wird, so dass t. 17 apposition zu Iw
Anch D hat die constmction so gefasst, wie das ein statt der y. :
das man yieUeicht beibehalten könnte.
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Zu WOLF&AMS PABZIVAL. 195
von den lesarten der alten hss. zu gfonsten des der- abzuweichen
bedenken tragen. Selbst wenn Wolfram der- gesprochen
hätte, so kann es doch nur das ziel der kritischen ausgäbe
sein, die schriftsprachliche form des Originals herzustellen.
145, 28. Äl röt nach des heldes ger was im ^n swert ge-
roßtet, nach der scherpfe idoch gelcßtet Die Schwierigkeit der
sachlichen erklämng des gelcetet wird, wie es scheint, über-
sehen. Das Mhd. wb. 1, 1043 b, von der abgeleiteten bedeutung
lot = ^gewicht' ausgehend, übersetzt Iceten mit 'vollwichtig
machen, fest machen', Lexer 1, 1961, der löt richtiger erklärt^
gibt für Iceten die Übersetzung 'mit lot, mit übergegossenem
metall fest machen'. Ebenso erklärt Bartsch unsere stelle.
Piper sagt nur 'der schärfe entsprechend festgemacht'. Aber
diese erklärung schwebt in der luft. Lceten heisst nicht
schlechthin 'durch metall festmachen', sondern nur zwei vorher
getrennte metallstücke durch eine metalllegierung verbinden,
wie dies auch der heutige Sprachgebrauch besagt, der darin
die ursprüngliche bedeutung festhält. Und zwar ist das eigent-
liche löten die bleilötung, denn lot heisst im altdeutschen 'blei
in technischer Verwendung' (vgl. DWb. und Lexer s.v.), die
daraus abgeleitete Verwendung für 'bleigewicht' und dann
'gewicht* überhaupt war allerdings mhd. sehr verbreitet, ist
aber jetzt in den hintergrund getreten. Die Urbedeutung des
Wortes 16t ist 'blei' schlechthin*) und wenn Iceten im technischen
^) Als beEeiclmiuig fttr das bleimetaU ist ags. Ucut, ne. lecut, nnl. lood
allein im gebrauch. Doch scheint mir ahd. bU, das durch an. bl^ gestutzt
wird, das eigentliche germanische wort zn sein, dessen yon J. Grimm, DWb.
2 s. T. rertretene Zusammenstellung mit 'blau' doch wol durch die Schwierig-
keiten des Tocalismus nicht beseitigt werden kann. Vgl. auch Noreen,
Uigerm. lautl. s. 214. ttit Huch, Zs. fda. 42, 164 den yocal yon bU durch
entlehnnng aus dem keltischen zu erklären, halte ich auch deshalb fttr ge-
wagt, weü ein entsprechendes keltisches wort nicht yorhanden ist. Dagegen
hat löt seine entsprechung auf kelt. gebiete, ygl. air. Ituitde plumbum.
Dieses wird yon Stokes-Bezzenberger bei Fick 2\ 254 als uryerwant mit
ags. liadf mhd. lot angesehen. Doch halte ich es fttr wahrscheinlicher, dass
agerm. lauda- eine alte culturenüehnung der Germanen yon den Kelten
sei zur bezeichnung des technisch yerwanten bleis. Nur diese specieUe
bedeutung liegt dem hochdeutschen gebrauche zu gründe. Dass dann
diefles technische blei bei einzelnen germanischen stammen das germ. bU
ganz verdrangen konnte, zeigt uns das niederländische, welches heute nur
lood kennt y zur mul. zeit daneben aber auch noch yereinzelt bU besass
13*
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196 BRAUNE
sinne auch für yerbindimg edler metalle durch andere lötma
gebraucht wird, so ist doch die bleilötung der ausgangspi
dieses gebrauchs. Sehen wir die in den mhd. wörterbücl
und DWb. 6 unter Iceten gesammelten beispiele durch, so
zeugen sie sämmtlich den uns noch jetzt geläufigen sinn
Wortes als eines ^zusammenfügens', zunächst im eigentli«
sinne von metallen, dann aber besonders mhd. auch Qbertra
wie min manheit ist geUetet mit eines nagen muot\ ist las
mich getestet ', ir triuwe also gelcßtet was zesamen (Lexer)
Immer handelt es sich um die Verbindung zweier gegenstS
weshalb auch regelmässig eine praep. wie üf, mit, in <
sonst eine sprachliche bezeichnung der Verbindung bei li
steht. Mit diesem sonst allein giltigen gebrauch unseres
bums steht aber nun in schroffen Widerspruch das absolut
brauchte Iceten an unserer Parzivalstelle, der sich noch
zweite stelle P. 482, 9 anschliesst, in welcher mit beziel
auf die wunde des Amfortas gesagt wird: ob dae sper u
Mure in dem heischen fiure wcer gelüppet oder gdcetet, doM
an fröuden tostet Hierzu bemerkt Bartsch: ^loeten festmac
mit dem nebenbegriff des zauberischen'. W. Hertz (s. !
^^^ überaetzt einfach: 'ob nicht das fürchterliche eisen im hö]
I ^i feuer sei gelötet'. Ausser bei Wolfram findet sich dieser
[ I brauch von Iceten in beziehung auf ein schwert oder e
i 1 sper nur noch in zwei von Lexer nachgewiesenen stellen
^ I jüngeren Titurel. Die erste j. Tit. 1232 in beziehung auf e
sper: von hitee noch von nceten sack ez nieman wichen, d
Jcund ez wol loeten der ez mit flizze worhte meisterlichen.
dann von einem Schwerte 5814: daz swert daz U Baman
wart geloetet mit Lak dem edelen brunnen dcus wem ich
trachen hie vil kumbers ncetet. Also hier ein schwert^ das di
einen edelen brunnen *gehärtet' wird, ebenso wie für die vo
stelle 'härten' die durch den Zusammenhang geforderte be<
(s. Verdam -Verwes Hnl. wb. 8. t.). Ebenso könnte schon ags. Uad
allgemeinert worden sein. Auch mnd. war nach den belegen bei Schi
Lübben zu schliessen löd als name des metaUs sehr viel gebrfinchliche
blt, blig. Entlehnung yon löt anzunehmen ist anch Mach, Z8.fda.^
geneigt, der es zu indog. plud, nhd. fUessen steUen möchte (vgl.
2*, 253). [Znr etymologie yon hli nnd löt ygl. jetzt noch Hirt, Beiti
354 f. und Hinge, £t.wb.« s.y. blei.\
i'i
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zu WOLFRAMS PABZIVAL. 197
tvmg ist. Es ist wahrscheinlich, dass Albrecht diesen gebrauch
von ein swert, sper Icßten Wolfram nachgeahmt hat und dass
wir darin einen individuellen sonst nirgends bisher nach-
gewiesenen Sprachgebrauch Wolframs haben. Wir werden
hiemach auch ffir die beiden Wolframstellen die Übersetzung
^härten, hart machen' anzunehmen haben. Für die zweite
stelle 482, 9 ist dieser sinn zweifellos. Für die stelle 145, 28
könnte dem zusammenhange nach ein anderes in frage kommen.
Es wird da gesagt, dass Ithers schwert rot gefärbt war, nach
der scherpfe idoch gekßtet Das will dem einwurf begegnen,
ob ein solch rot gefärbtes schwert auch gut schneide. Man
sollte erwarten 'zum zwecke der schärfe jedoch stahlglänzend
gemacht', d. h. die eigentliche schneide des Schwertes war von
der roten färbe frei. Aus dieser erwägung heraus übersetzt
Bötticher: 'nach seinem willen war auch das schwert gerötet,
nur das stahl der schneide blitzte hell' und W.Hertz (s. 60):
'auch war sein schwert auf sein begehr vom schmiede ganz
mit rot bemalt, dass nur die schneide stählern strahlt'. Aber
die andere stelle Wolframs und die auffassung des Titurel-
dichters erlauben doch nicht loßten einfach auf die färbe zu
beziehen. Wolfram muss es ganz allgemein auf diejenige tätig-
keit des Waffenschmieds bezogen haben, durch welche die
schneide einer waffe hart, stahlhart gemacht wurde, so dass
sie gegen scharten standhaft war. Damit war für unsere stelle
von selbst gegeben, dass die schneide nicht rot gefärbt sein
konnte. Wie nun freilich diese manipulation des Waffenschmieds
zu der bezeichnung Icßten kommt, das ist mir dunkel. Das
löten im gewöhnlichen technischen sinne kann damit nichts zu
tun haben, denn stücke einer waffe durch löten zu verbinden
wäre wol die ungeeignetste art, sie dauerhaft zu machen.
Aber auch die Übersetzung: 'durch übergossenes metall fest
machen' ist doch nur eine Verlegenheitserklärung, um irgend-
wie das technische 'löten' für die erklärung der Wolframstelle
herbeizuziehen. Dass stahl durch flüssiges metall gehärtet
werde, wäre wimderbar, vielmehr wird seit alter zeit stahl
dadurch gehärtet, dass er glühend in kaltes wasser gehalten
wfrd, wofür jetzt 'ablöschen' der terminus technicus ist. Und
so scheint es auch der Titureldichter zu verstehen, wenn er
5814 das schwert drachenfest werden lässt dadurch, dass ^
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198 BRAÜKB
mit dem ^edeln bruimen Lac' gelcBtet, d. L 'abgelocht* vi
Man moss daher wol annehmen, dass Wolfram lasten
Schmiedeausdruck in dem sinne unseres ^ablöschen' geka
und verwertet habe. Die herkunft dieser bedeutung ven
ich jedoch nicht zu erklären. 0
146^ 21 ff. Jacob Grimm, D. rechtealt. s. 192. 196 h:
diese stelle benutzt, um allein aus ihr zwei verschiedene symi
der besitznahme eines landes zu construieren: 1) ausschül
von wein, 2) au&tecken eines umgekehrten angebrannten sti
wisches. Das ist aber unzulässig. M. Haupt hat Zs. fda. 15,
bereite das erstere als irrig bezeichnet, da Ither selbst &
dass er den wein unabsichtlich vei^ossen habe, 'nicht ein
das wegnehmen des bechers ist als ein übliches rechtesyn
hierdurch erwiesen'. Schon vor Haupt hatte Bartsch in sei
ausgäbe in bezug auf den becher ganz allgemein gesagt:
besitzergreifung geschah symbolisch dadurch, dass man
dem eigentum, auf welches man ansprach erhob, etwas na
wie hier den becher*. Wenn auch eine solche allgemeine &8S
einer rechtsregel nicht durch belege gestfttzt ist, so ist die
fassung selbst gewis richtig. Ither begieng eine symbolü
handlung, die an sich verständlich war, auch wenn sie
nicht auf festen brauch gründete. Dagegen meinen alle
leger, dass durch die folgenden verse ob ich schoube umbek
s6 wwrde rtwjsec mir min vel in der tat ein stehendes reo
Symbol erwiesen werde. Aber welches? J. Grimm konnte
deutechem rechte dafür absolut nichte beibringen: der
j.^ ! ,: 0 Nicht zn verwerten ist ein von Lexer angesetstes fem. löt,
^ ' loste, lot, zn dem er die bedentnngen angibt: 'reinignng, brand des c
f^ \ metaUs, voUwichtigkeit desselben'. Der ganze ansatz ist sehr zweifei
;; vi Lexer hat dafür nnr zwei belege: der erste liefUeg goU in viures lö
5 .^^ nicht dativ eines femininnms, sondern des gewöhnlichen nentmms löi
;':: in dem gedichte 'fran ehrenkranz' Liedersaal 1, 875 die apokope her
specieU der dat. nentr. hat das e verloren , es reimt z.b. in dem gras
gehaz (y.TJ). An dieser stelle hat lot die gewöhnliche bedentnng:
glänz der sonne wird verglichen mit dem glänze des goldes in vtiires
also wie das gold im fener glänzt, wenn es zum zwecke des Idtens ]
gemacht wird. — Die zweite stelle jung. Tit. 5467: gel, woan, m n
Iceie würde zwar ein fem. beweisen, das aber wol dann besser als nom.
anzusetzen wäre. Aber der ganze vers ist in dem Hahnschen abd
kanm verständlich, so dass es nicht rätlich ist, ohne kritischen tezt d
zü operieren.
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Zu WOIiFBAXS PABZITAL. 199
gesteckte Strohwisch lisst sich in Deutschland nur nachweisen
entweder als zeichen der verk&uflichkeit einer sache, oder als
zeichen des verbotenen betretens eines gmndstäcks oder wegs.
Er klammerte sich deshalb an die ans Frankreich bezeugte
recht^ewohnheit der saisie f^odale: 4e seignenr se transpor-
toit snr le flef, y posoit la main et y plantoit un bäton gami
de paille on dW morcean de drap'. Schon Haupt a.a.O. hat
die yergleichbarkeit dieses brauches bezweifelt Mit recht
Denn erstens handelt es sich in unserer stelle um kein lehen,
zweitens ist das symbol ein ganz anderes, denn im afranz. ist
die hauptsache der aufgepflanzte stab, welcher mit stroh oder
mit einem stück tuch besteckt ist, es spielt also das stroh
dabei durchaus die nebenrolle, ganz abgesehen davon, dass es
nicht angebrannt und umgekehrt ist Es ist klar, dass die
verquickung des altfranzösischen brauchs mit den angaben
unserer stelle ganz unzulässig ist Wir sind also auf letztere
allein angewiesen, wonach es sich handelt um das umdrehen
einer angebrannt gewesenen strohfackel; von einem au&tecken
derselben auf einen stab ist nicht im mindesten die rede. Soll
man das nun wirklich ffir ein stehendes deutsches symbol der
besitzergreifong halten? >) Dann würde davon doch wol sonst
irgendwo eine spur sich finden, wie denn J. Grimm andere
Symbole derart gesammelt und stichhaltig belegt hat Aber
trotzdem hielt man im allgemeinen daran fest So auch Böt-
ticher, der zwar in seinem excurs zu der stelle (übers, s. 343,
2. aufl. s. 123) die Schwierigkeit bemerkt, weshalb er auch die
beiden verse 26. 27 in seiner Übersetzung unterdrückt hat.
Kant (Scherz und humor s. 55) erklärt: 'über die altertümliche
Sitte der besitzergreifung oder der erhebung eines rechts-
anspmches mittels eines umgekehrten brennenden Strohwisches
macht sich könig Ither lustig, indem er sie verschmäht'. Er
weiss also sogar, dass diese sitte früher existierte, zu Wolf-
rams Zeiten aber unmodern war. Das ist natürlich phantasie.
Nach meiner auffassung ist das ganze nur ein etwas grotesker
scherz Wolframs, der ihm in den sinn kam im anschluss an
^) Dass es sich auch nicht etwa mn ein französisches der qnelle ent-
lehntes Symbol handeln kann, geht darans hervor, dass bei Chrestiens die
▼erse P. 146, 26—30 keine entsprechnng haben, vgl. Lichtenstein, Beitr. 22, 16
(die ausgäbe ron Fotrin i«t mir hier leider nicht zugänglich).
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200 BBAUNE
das umdrehen des bechers. Derartiges findet sich ja l
Wolfram oft: z.b. 151,26 er spancte se äne türbant und d
gleich darauf folgende combination des eidstabs mit dem stal
Keyes (vgl. dazu John Meier, Anz. fda. 15, 220) Der gedanke
gang Ithers ist einfach der: er hat den becher weggenomme
um damit seinen anspruch auf das land anzumelden und d
ritter des Artus zu zwingen, mit ihm um den becher zu kämpfe
Dabei drehte er unversehens den becher um, so dass die könig
begossen wurde. Das war freilich für die königin unangeneh
Er hätte ja am ende auch — wenn doch einmal etwas m
gedreht werden sollte — eine Strohfackel (dies die vorwiegen
bedeutung von schowp) wegnehmen und umdrehen könne
Aber dabei hätte er sich selbst russig gemacht und da ist
ihm schon lieber, dass die königin unter dem becherguss h
leiden müssen. Mit einem rechtssymbol hat also dieser sehe
nicht das mindeste zu tun.
147, 18. S. oben s. 194 (zu 143, 4).
149, 30. Ine ruoch wer hUneges gäbe giht erklärt Bartsc
giht zuerkennt, gewährt. So frage ich nichts nach den n
zugedachten geschenken'. Ebenso Piper. Aber jehen kai
wol insofern mit zuerkennen übersetzt werden, als es heie
'anerkennen dass jemand etwas hat', 'jemandem etwas z
gestehen', dagegen nicht in dem zweiten sinne des nhd. z
erkennen = 'jemandem durch urteil etwas verleihen, gewähre]
Es muss hier heissen 'ich kümmere mich nicht darum, w
königsgabe eingesteht' d. h. 'bekennt empfangen zu habe]
Es bezieht sich also wer in ine ruoch wer nicht auf den könj
sondern auf andere gabenempfänger. Der Zusammenhang i
der, dass Parzival sagt (v. 27 in wil hie nihtes Uten): 'i
will hier drin am hofe nichts erbitten, sondern den hamis
des ritters draussen will ich haben. Wenn ich den nie
bekomme, so mögen andere (ine ruoch wer) empfänger v
königsgaben sein: das habe ich nicht nötig, der ich gewöh
liehe königsgaben jeder zeit von meiner mutter haben kai
die ja selbst eine königin ist'.
154, 21. Gip her und Usf din lantreht ist zwar von Les
s. V. lantreht mit beziehung auf 146, 23 richtig erklärt: es
der becher, durch den Ither sein recht auf das land in anspm
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zu WOLFRAMS PARZIVAL. 201
genommen hat Aber die vom Mhd. wb. 2, 1, 625 gegebene ganz
mimögliche erklänmg ^böre auf zu streiten', welcher Bartsch
gefolgt war (^lantreht gerichtsverfahren, process: dein proces-
sieren und streiten*) wird von den neueren immer wider nach-
geschrieben. So von Piper, und auch W. Hertz übersetzt 'gib
her und lass dein rechten', weshalb der hinweis auf Lexer
nicht überflüssig sein dürfte. Lantreht kann wol 'gerichts-
yerfahren nach landrecht' heissen, aber nie auf ein beliebiges
Wortgefecht bezogen werden.
155, 18. Bartsch und nach ihm Piper setzen die lesart
der gruppe D ritüie 'rauher weg' ein statt riuwe der gruppe G.
Letzteres hat Lachmann aber mit recht bevorzugt, weil riuwe
hier als gegensatz zu schimpf steht, auch riuhe ein sonst von
Wolfram nicht gebrauchtes wort ist.
164, 14. Der scelden spehe. Die falsche vom Mhd. wb. 2, 1
496 nur aus unserer stelle gefolgerte bedeutung 'was geschaut
wird' ist nach Bartsch von Piper weiter geführt, obgleich
schon Bötticher richtig übersetzt hat 'auf ihm ruht des glückes
äuge'. Denn spehe ist nur activ 'das prüfende anblicken, das
schauen'.
167,8. Gegenüber der von Piper Bartsch nachgeschrie-
benen falschen erklänmg des Mhd. wb. ist einfach auf Lexer
s. V. eilenden zu verweisen. Bichtig Bötticher.
170, 30. Der Jcumberhafle werde man wol mit schäme
ringen kam. Die stelle erklärt Kinzel, Zs.fda.30,355 falsch: 'der
bedruckte würdige mann, der vor einer unrechten handlung
zurückschreckt'. Aehnlich Bötticher (D. hohe lied v. rittertum
s. 38): 'der mit seiner sittlichen empfindung ringt, also in gefahr
ist, die schäm zu verlieren'. Hier heisst aber ringen, wie öfter
bei Wolfram, nicht 'gegen etwas ankämpfen' sondern übertragen
'sich mit etwas einlassen, mit etwas im verkehr sein, etwas
ausüben, an sich haben'. So 30, 21 si ringent mit zorne 'sie
sind sehr zornig' (nicht etwa 'sie suchen ihren zom zu be-
kämpfen'), 122, 18 sie ringent mit der notnunft 'sie üben ent-
führung aus'. Es heisst also hier 'der treffliche mann, der in
not ist, weiss wol mit der schäm umzugehen', 'er befindet sich
in schäm', d. h. er ist ein verschämter armer, dem beizuspringen
der ritter besonders bereit sein soll. Piper schliesst sich an
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202 BRAUNS
Kinzels falsche aaffassang an, während Bartsch dem ricl
näher war. Auch Wallner, Zs. f da. 40, 62 scheint die ri
auffassiing der stelle zu haben.
171, 13. Kinzel, Zs. fda. 30, 355 will den vers gebt
maee ir orden zum vorhergehenden abschnitte ziehen m
nach den reim brechen, so dass mit 171, 14 ein neuer geda
gang begönne. Auch Bötticher in seiner besprechunj
Gumemanzens lehre (D. hohe lied v. rittertum s. 34 ft]
ebenso ab und Piper hat dies aufgenommen. Diese abt
ist aber schon deshalb unrätlich, weU sie gegen die art
rams ist, welcher bei stärkeren sinnabschnitten keine
brechung hat.*) Es wird also Lachmanns abteilung
behalten sein. Ueberhaupt aber kann ich Einzels analyi
gedankenganges der lehre des Gumemanz nur zum teile bl
Für mich zerfällt dieselbe in engem anschluss an Lach]
einteilung in folgende hauptgedanken. Abschnitt 1 — 3 (1
—171, 12) bilden einen allgemeinen teil. Für jeden riti
die scJiam grundbedingung der werdekeit Für einen
der fürstlichen geschlechts ist, wie Parzival dem Gunw
zu sein scheint, kommen aber besondere pflichten hinzi
soll den unterdrückten und in not befindlichen helfen
schnitt 2). Ein fürst soll aber femer weder geizig nocl
schwenderisch sein, sondern von seinen mittein den ricl
gebrauch machen (abschnitt 3).
In dem kurzen abschnitte 4 (171, 13 — 16) wendet e]
von den grundlegenden tugenden eines fürstlichen ritter
speciellen falle, zu Parzival, welchem er zunächst im allgen
mäze und fuoge, weise mässigung und zuchtgemässes bem
anempfiehlt, da er sieht, dass es gerade an diesen erforder
der äusseren sitte dem Parzival am meisten fehlt: er ist
dürflic. Kinzel will v. 16 statt des überlieferten nu
conjectur und einsetzen. Seiner argumentation kann ich
folgen. Kinzel meint der unfuoge ir strit Un müsse h
der ti. nachgeben, unfuoge üben. Nun ist es richtig, dass
den strit län heisst: ^einem das feld räumen' und das
die folge haben, dass man ihm unterworfen ist, ihm nac
0 Hierin folgt Wolfram seinem 'meister^ Veldeke, s. Behaghc
jsur Eneide s. 120 (vgl. auch QMe, Germ. 33, 359).
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Zu WOLFEAMS PASZIVAL. 203
Es kann aber auch bloss heissen, sich von ihm trennen, ihn
schalten lassen und selbst frefledig davon gehen. So z. b.
Walther 69, 18. Der dichter sagt znr dame, wenn sie ihn nicht
erhören wolle, solle sie es bald sagen: sd laß ich den strit und
ivirde ein ledic man 'dann höre ich auf zu kämpfen, yerla^se
sie und gehe davon' oder Walther 64, 6 nü muoz ick von in
(sc den schameUsen) gän, also diu eukt gebot: ich Idee in lasier
unde strtt Es heisst also v. 14: 'jetzt zieht euch von der un-
fuoge zurück, werdet gefUege^ und ^geht rehter ma»e ir orden\
Einzels conjectur gegen alle hss. ist also zu verwerfen. 0
Dieser allgemeinen aufforderung zu einer der ritterlichen
Sitte gemässen äusseren lebensführung lässt nun Gumemanz
vier speciellere lehren der höfischen jndit folgen, welche alle
motiviert sind durch besondere mängel, die er an Parzival
bemerkt hatte. Parzival war ungeschickt in seinen reden ge*
wesen: deshalb belehrt ihn Gr. in abschnitt 5 (171, 17—24) über
verständiges fragen und antworten. Im anschluss daran, dass
Parzival seine begegnung mit Ither erzählt hatte (170, 2), em-
pfangt er in abschnitt 6 (171, 25—30) eine belehrung darüber,
wie der ritter mit einem überwundenen gegner zu verfahren
habe. Die anfängliche Weigerung Parzivals bei seiner ankunft^
sich entwaffnen zu lassen (163, 21 ff.), hat die lehre des ab-
schnitt 7 (172, 1—6) zur folge, dass der ritter nach ablegung
der Waffen sich durch Säuberung für die höfische gesellschaft
zurichten müsse. Endlich hatte Parzival dem Gumemanz auch
sein täppisches verfahren mit der Jeschute erzählt (170,1),
weshalb ihm Gumemanz eine eingehende belehrung über das
verhalten des ritters zu den frauen und zur minne zu teil
werden la^st: abschnitt 8 (172,7 — 173,6). Hiermit ist die
belehrung abgeschlossen, für welche Parzival dankt (173, 7—10).
Es folgt die praktische Unterweisung in den kampfisitten (173,
13 fl), die freilich auch noch zum capitel der fuoge gehört
(unfuoger im stM werte 174, 7).
Näher berührt sich die hier gegebene disposition mit der
analyse von Bötticher (D. hohe lied v. rittertum), welcher ins-
besondere den gegensatz des aUgemeinen teils, der sittlichen
1) Btftticher hat in der sweiten auflag aeiner Übersetzung nach Kinzels
coigectur geändert
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ONE
itteile, der lehre vom Im
sgens schtne übersetzt
d aussehen' und Pipei
'. Aber mhd. bezeichi
id. den schein im gegen
erscheinung, gestalt e
:s bloss angenommenes
nile niht flühtic schineri
übersetzt, sondern ^nr
h kann es sich nach a
nicht um einen vergle
s reiters flogen wirkü
henkel vliegen und viel(
ir von dem 'in die er»
5 rede sein.*) — Seh
beurteilen, die Bartscl
•t sich der dativ schem
3ren muss? Das nächst
5u fassen *mit dem zur
lenker. Aber schenkd
m verweist in der anm.
ten mit sparen getribet^
fall anders. Man kön:
ind mit zu hurte cons
participialcomposita d
jTären (vgl. Grimm, Gr. -
ors mit sparen trtben
lier getribener hurte sä
unsere Parzivalstelle u
bweder statt schenkelen
conjicieren, oder was
gliche angleichung dies4
Bötücher seine ttbenetzung
das ross . . . mit dem spitze
löge, znm anlaof müsste len
i die falsche beziehnng des
IT ersten aoflage richtiger st
ikel drack*.
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zu WOLFRAMS PABZIVAL. 205
an den vorhergehenden parallelen mit sparen gruoees pine
anzunehmen, in welchem zwar sporen gen. pl. ist, aber doch
der form nach auch als datiy zu mit misverstanden werden
konnte. In Lachmanns texte steht die lesart von D; die
einzige hier vorhandene weitere hs. dieser gmppe d hat den
richtigen gen. plor. Schenkel Die grappe G liest ncuh sehen-
ielen fiiegens schine, wobei schenkelen notwendig genetivisch
gefasst ssin mnss, wie auch die Schreibungen jüngerer hss.
(schenckelns, schenkelz) andeuten.
HEIDELBERG, 29. sept. 1898. W. BRAUNE.
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zu HARTMANNS REDE VOM GLAUBEN.
Hartmanns Credo, das erste stflck der untergegangi
Strassburg-Molsheimischen hs., ist seit Massmanns zu mai
faltigem tadel herausfordernder edition immer ein stief
der forschung gewesen. Auch Reissenbergers dankens^
arbeit (Hermannstadt 1871), die vor allem für die heimatsf
wesentlich wurde, nimmt von einer genauen revision des tc
abstand. Die so wünschenswerte neuausgabe hat das gec
erst jetzt durch von der Leyen (Breslau 1897) erhalten,
die von ihm hergestellte textform beziehen sich die folge:
bemerkungen. Sie machen es sich nicht zur angäbe, alle
gedieht angehenden formellen und sachlichen probleme
insbesondere die über sie vom herausgeber ausgefül
ansichten einer erneuten prüfung zu unterziehen, so str
mir die letzteren in manchen punkten scheinen (ich n
nur den versuchten nachweis dreier über einander lager
sprachlicher schichten, die eine unerlässliche statistische ani
der rhythmik ganz bei seite lassende metrik, die siehe
wesentlichen punkten zu modiflcierende darstellung der foi
technik). Ich beschränke mich auf eine behandlung der
von der Leyen angesetzten Interpolationen und schliesse
zelne bemerkungen zum text des gedichtes an, der an y
stellen noch immer der besserung bedarf.
1. Wenn man von Reissenbergers debattierung der i
absieht, ob die ganze partie 1680—3224 als ein beson<
gedieht ^Des heiligen geistes rat' auszuscheiden sei, dj
übrigens im sinne der einheitlichkeit entscheidet, ist Schi
der einzige gewesen, der (Zs.fda.33,104anm.) interpolatit
und zwar in sehr massigem umfange in Hartmanns Cred<
genommen hat Nach dem neuesten herausgeber (s. 33) £
nicht weniger als 116 verse, wenn ich recht gezählt
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zu HABTMANirS BSDB VOM GLAUBEN. 207
von einem 'prahlerisch auftretenden', 'täppischen anfftnger' in
den 'schwung' von Hartmanns perioden eingeflickt sein. In
diesen nach meinem gefflhl ftbertriebenen aUgemeinen bezeich-
nmigen scheint mir gleich ein hauptfehler in von der Leyens
betrachtongsweise klar vorznliegen. Er hat dnrch die lange
beschftftignng mit seinem dichter mehr und mehr sich ein
idealbild von seiner Individualität construiert und diese con-
struction ist, wie sich in seiner ganzen einleitung klar zeigt
und wie es ja auch zu erwarten war, zu vollkommen, zu
idealistisch geraten, als dass sie wahr sein könnte. Gewis
war Hartmann nicht nur kein ungeschickter, sondern ein treff-
licher, vom ernst seiner angäbe innerlich durchdrungener,
viele seiner dichtenden Zeitgenossen vielleicht an darstellungs-
gabe überragender poet; aber ebenso gewis ist es übertrieben,
ihn, den einfachen laienbruder, mit solchen lobesattributen
auszustatten, wie sie ihm von der Leyen nicht gar sparsam
zuteilt, und ihn dadurch geradezu zu einer phänomenalen
erscheinung innerhalb einer zeit zu machen, die so hervor-
ragende dichter sonst nicht gezeitigt bat und überhaupt einem
so ausgeprägten Individualismus wenig räum zur ausbildung
gewährte. In einer solchen sonne findet man natürlich nun
flecken: ^Widersprüche', 'stilistisches und metrisches Ungeschick',
'tautologien', 'not- und flickverse' oder wie man sie sonst
nennen mag. Ich greife nur z.b. die tautologien heraus, die
von der Leyen bei weitem nicht vollzählig in sein Verzeichnis
'gleichlautender Wendungen' (s. 59) angenommen hat: sie sind
ein charakteristicum der ganzen frühmittelhochdeutschen dich-
tmig, und ihr massenhaftes auftreten bei Hartmann, einerlei
ob nach unserem modernen gefühl an passenden oder unpassen-
den stellen, nötigt nicht nur nicht zur annähme störender,
ungeschickter einschiebsei, sondern beweist vielmehr gerade,
dass Hartmann durchaus ein kind seiner zeit und keine aus-
nahmepersönlichkeit war. Jenes verzeichnete idealbild von
Hartmanns dichterischer eigenart ist der psychologische grund
far die annähme von Interpolationen, die man immer flndet,
wenn man sie sucht, und auf deren entdeckung und nach-
Weisung gerade in unserer Wissenschaft schon viel schar&inn
nutzlos verbraucht worden ist. Gteben wir jene ideale construc-
tion auf, so fällt auch die notwendigkeit dieser annähme«
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208 LErrzMAim
Das ist, wie ich glaube, bei unserem gedichte der
Ich gehe nun die von von der Leyen beanstandeten st
einzeln durch und versuche die von ihm für die ausschei<
geltend gemachten gründe zu entkräften, sowie gegengr
für die unentbehrlichkeit mancher stelle innerhalb des ged
liehen Zusammenhangs darzulegen. Ich lege dabei die rei
folge der verse, nicht die vom herausgeber in der einlei
beliebte anordnung der stellen zu gründe.
25—34 (s. 34). von der Leyen sagt: 'vers 25 und 34
sagen ganz dasselbe . . . Der Inhalt von vers 25—34 ist äi
ich will anfangen und gott um hilfe bitten; und da mir
verheissen hat, er wolle mein gebet erhören, so will ich
anfangen. Einen solchen zirkel macht Hartmann nien
Er hat also den Zusammenhang der gedanken nicht erki
Dass 25 und 34 nicht dasselbe besagen, zeigen schon die
leitenden Partikeln iedoh und so. Der ganze passus sc]
mir inhaltlich unentbehrlich. Hartmann sagt: 'hätte ich
nötige Weisheit (18), so wollte ich den glauben, an
sich viele wertvolle erwägungen anknüpfen lassen (23]
angemessener weise (bescheidenliche 20, vgl. 1629) ausl^
Der bescheidene laienbruder subintelligiert dabei: 4m b
dieser Weisheit bin ich aber nicht'. 'Trotzdem (iedoh) wil
die rede beginnen; gott wird, wie er selbst verheissen hat,
helfen; in dieser hoffnung will ich denn (so) getrost ans i
gehen' (ich glaube in understän einen rest der sinnü
grundbedeutung zu fühlen). Inhaltlich ist also alles in b
Ordnung; denn dass Hartmann den so wichtigen gedanken sn
Unzulänglichkeit, göttliche probleme würdig zu behandeln
paar mal hin- und herwendet, darf uns nicht wunder neh
von der Leyen freilich sieht darin eine 'wichtigtuerei'. i
Schlussbemerkung verstehe ich nicht, wenn sie sich nichl
das glossierende dag sprichit (29) beziehen soll; doch vgl.
1109. 2368. 2908. 2954. 3014. — Die äusserüchen gr
von der Leyens fallen auf anhieb. Wcmde steht sonst in
zur erläuterung des Vordersatzes, hier (33) zur begrün«
des nachsatzes; daraufhin zu athetieren heisst einen st«
Schematismus in eine lebendige, von grammatikergesetzen
unbeeinflusste spräche hineintragen, was auch in der
behandlung vielfach geschehen ist; der herausgeber unterbi
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zu HARTMAKNS REÜ£ VOM OLAÜBEK. 2Öd
dem dichter jede freiere beweglichkeit und varietät des aus-
drucks. Eeiche belege für wände im Vordersatz stehen im Mhd.
wb. 3, 501 a, wo aach die an unserer stelle vorliegende Satzver-
bindung wände — so mehrfach bezeugt ist. — Das vorkommen
von hoffen war einer der lexikalischen beweise für Hartmanns
mitteldeutsche heimat (Reissenberger s. 31). An unserer stelle
(26) soll nun das oberdeutsche gedingen (wie auch 1511 dingen)
in diesem sinne stehen. Das wort an sich ist nun weder dem
mitteldeutschen überhaupt noch Hartmann im besondem fremd
(vgl. s. 33 anm. 1; hier sind die Übersetzungen zum teil recht
sonderbar; z.b. war für 3128 auf grund von Mhd. wb. 1,338 a
eine andere bedeutung anzusetzen). Warum soll es gerade
hier ^hoffen' bedeuten? Kann man diese einzelne bedeutungs-
nüance überhaupt so isolieren, dass man einem dichter den
stamm in verschiedenen bedeutungsvarietäten zugesteht, diese
eine aber abspaltet? Wer hat endlich bewiesen, dass {ge)dingen
und hoffen im gleichen sinne mitteldeutsch nicht neben einander
bestehen konnten? 26. 27 können ganz gut ^an den himm-
lischen gott will ich wegen hilfe appellieren^ oder *hilfe will
ich mir vom himmlischen gott ausbedingen' übersetzt werden.
77 — 80 (s. 41). Hier nimmt der herausgeber ausser der
nicht weiter auffallenden widerholung (79—83) daran anstoss,
dass tut (79) auf eestunt (78) sich zurückbezieht und daher
'angeflickt' sei, während er tut (83) wegen des vorhergehenden
getete für 'berechtigt' erklärt. Er hat also nicht an die S3ai-
taktische regel gedacht, dass tuon ein vorangegangenes verbum
ersetzen kann und dann die construction dieses verbums an-
nimmt (Paul, Mhd. gr.* § 386). Consequenterweise müsste er
dann auch die beiden andern bei Hartmann noch vorkommenden
fälle dieses gebrauchs, wo tuon ein vorhergehendes geschehen
aufnimmt (725. 954), für Interpolationen ansehen.
99 — 104 (s.38) sollen wegen der anaphorischen widerholung
der anfangsworte vil michil ist (89. 104) unecht sein und 'sind
ohnehin noch vers 98 und 84 allzu ähnlich'. Diese widerholung
aber ist, zumal sie auch 312 sich findet, nicht nur zweifellos
beabsichtigt, sondern geradezu formelhaft (vgl. Kraus zu Baumg.
Job. 55). Die formel fehlt in von der Leyens formelverzeichnis
wie so manche wendung, die hineingehörte, während eine ganze
zahl von andern Verbindungen sich zu unrecht darin findet.
Beiträge xur geschichte der deutschen spräche. XXIV. 14
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210 LEITZMANK
105. 106 (s. 40) 'unterbrechen störend die vielen par
lismen und anaphern, die Hartmann in dieser partie absieht
häuft'. Kurz vorher war die anapher ein grund zur athei
hier wird das princip plötzlich umgekehrt. Die verse sind sc
deshalb unentbehrlich, weil 105 eine zweifellos absichtliche pa
lele zu 125 enthält, was schon Reissenberger (s. 10) gesehen
201. 202 (s.40) sollen wegen des anklangs an 105.
fallen und 'verwischen die juristische färbung, die 200 und
ohne einschiebsei haben'. Der erste grund erledigt sich
selbst; auf die 'juristische färbung' muss ich mit ein i
Worten eingehen. Von der Leyen hat (s. 5) herausgefun»
dass sich Hartmann mehrfach in Wendungen bewegt, 'die n
dem ausweis der wörterbiicher in der weltlichen rechtsspra
beliebt sind'. Beweisen sollen das die acht Wörter (n
Wendungen) eichenen, termenunge, getelinc, misseheUen, veic
reiten, verplegen und ingetüme. Die belege der lexica stami
allerdings zum teil aus rechtsquellen, geben uns aber keine
berechtigung, in diesen Wörtern sozusagen juristische ten
zu sehen, die ein dichter wie Hartmann der rechtsspra
entlehnt haben müsste. Eichenen kommt nur in der Wie
Genesis vor, die kein rechtsbuch ist; veichen kennen in H
manns sinne nur die Hohenfurter Benedictinerregel und
Williram, widerum keine rechtsbücher; ingetüme hat a
Wemher von Elmendorf; einzig termenunge ist nur aus <
Kaiserrecht belegt; die übrigen Wörter sind überall zu fini
Wenn es nun aber mit der 'juristischen färbung' von H
manns spräche so steht, dann erledigt sich auch der zw
einwand gegen unsere verse leicht.
229—234 (s. 39). Der herausgeber nimmt daran anst
dass das zweimalige er (229. 230) im nebensatze (232) du
das Substantiv got aufgenommen Avird. Schon die parallele 1
zeigt, dass wir es hier mit einer formelhaft slereotypiei
Wendung zu tun haben, bei deren anwendung der dichter s
nicht erinnerte, dass das viele zeilen vorher stehende sub;
vater (222) ebenfalls auf gott geht. Warum die aufzahl
von himmel und erde, meer und höUengrund 'ungeschickt' i
soll, vermag ich nicht einzusehen. Zudem wird der geda
liehe fortschritt durch die athetese bedenklich gestört 0
sie ist alles in Ordnung: gott hat seinem söhne die ge^
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zu HARTMANN8 BEIDE VOM OLAÜBEST. 211
Über alles erschaffene gegeben; meer und höUe (also zwei der
unergründlichsten dinge) kennt er genau, da er sie ja in seiner
Weisheit im anfang erschaffen hat. Dieser letzte causalsatz
schwebt ohne 234 gänzlich in der luft.
299. 300 (s. 41). Warum gerade diese antithese interpoliert
sein soll, die im zusammenhange nicht mehr und nicht weniger
geschmackvoll ist als alle andern, ist nicht ersichtlich; denn
das motiv des anklingens von UM (299) an lieht (297) ist doch
nicht ernst zu nehmen. Der flickvers 300 scheint mir zwischen
den gepaarten begriffen nicht schlechter als 298.
617 — 622 (s. 39). Auf von der Leyens metrische kriterien
kann ich ein für allemal nicht eingehen, da seine behandlung
dieser dinge (s. 45) den an eine rhythmische Statistik zu stellen-
den ansprächen nicht genügt. Von den metrischen tendenzen
des gedichts hat er sich offenbar selbst kein klares bild ge-
macht, vielmehr bietet er an stelle einer nüchternen Unter-
suchung phrasen (wie z. b. s. 52). Dass der Inhalt dieser verse
in einen streng logischen gedankenzusammenhang nicht ganz
hineinpasst, kann man zugeben, ohne an Interpolation zu
denken: warum sollen wir dem dichter jedes abspringen des
gedankens oder der empfindung vom geraden wege verübeln?
So bleibt nur das zweimalige tübd (617. 619) als stein des
anstosses: 619 könnte wider wie oben bei 232 eine stereotypierte
Wendung vorliegen (belege gibt Kraus zu Makkab. 101), doch
hilft schon die annähme einer emphatischen anapher (ähnlich
z. b. 1928. 1932, 1935. 1940) über die Schwierigkeit hinweg,
wenn es überhaupt eine gibt.
705 — 710 (s. 36). Hier wird dem dichter wider ein ge-
dankensprung zum Vorwurf gemacht. Aber lag es denn wirk-
lich so fem, beim preise der Maria an den glänz zu erinnern,
der von dem göttlichen söhne auf die mutter zurückstrahlte?
Ist eine gedankenentwicklung wie diese: Maria war aus Davids
geschlecht, nie hatte eine mutter einen mächtigeren söhn, diesen
söhn gebar sie als Jungfrau — wirklich so 'unpassend'? Wenn
die widerholung des reimworts ist (704. 710) athetesen be-
gründen kann, dann müssen noch viel mehr zeilen des Credo
verdammt werden. Welcher luftige türm endlich auf das wort
werltkuning (706) gebaut worden ist, mag man bei dem beraus-
geber selber nachlesen.
14*
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212 LEltZBCANl^
714. 715 (s. 41) soll ein gelehrter znsatz sein, der aber doch
nicht gelehrter ist als alle andern lateinischen verse innerhalb
des deutschen contextes. Der gute reim lüium 713 : fiUum 716,
der nach dem herausgeber hier durch den interpolator zerstört
sein soll, sollte durch seinen genauen gleichklang eher yer-
dächtig wirken.
805 — 808 (s. 40) sind nur durch gedankenvariation an-
stössig, also in Wahrheit unverdächtig. Wie man den zeilen
807. 808 und 799. 800 denselben Inhalt zuschreiben kann, weiss
ich nicht.
982 — 985 (s. 40) werden aus dem nichtigen gründe be-
anstandet, dass der bericht des Marcus cap. 14 durch eine
Lucasstelle (denn statt Marc. 9, 16 ist hier und s. 178 Luc 9, 16
zu lesen) und eine stelle der Apostelgeschichte unterbrochen
werde. Das erledigt sich ohne weiteres, da ja eine derartige
contamination von verschiedenen bibelstellen doch wol dem
dichter zuzutrauen ist. In der widerholung (982. 985) sehe
ich nicht ein 'nicht weiter können', sondern emphase, wie schon
oben in einem ähnlichen falle. Will man nicht absichtliche
verquickung jener beiden motive annehmen, so könnten im
gedächtnis des dichters die ähnlichen Situationen auch ganz
unbewusst in einander geflossen sein. Trotzdem aber könnte
von der Leyen von rechts wegen nur 983. 984 ausscheiden,
da ja auch Marcus benedicens hat; dann gerieten aber die
beiden dankverse unmittelbar hinter einander, wodurch klar
wird, dass es mit der ganzen athetese nichts ist
In der partie 1085—1124 (s. 42) bleibt absolut unverständ-
lich, welche absiebten der urheber derartiger Umstellungen
und Interpolationen bei seiner vandalischen tätigkeit gehabt
haben soll. Wo solche kunststttcke nötig sind, um den ver-
meintlich echten text widerherzustellen, liegt die mangelhaftig-
keit der begründung der athetesen auf der band. Aber wider
lassen sich ausserdem die einwände des herausgebers unschwer
entkräften. Die widerholungen (1095. 1096, 1103. 1104 und
1123. 1124, 931. 932) stören uns natürlich nicht, denn sie sind
nicht ungeschickter als manche andern, die doch ruhig passieren
dürfen. Der gedankengang ist freilich nicht der einer logisch-
dialektischen entwicklung, aber doch keineswegs ^unklar'.
Sicher ist 1097 ein flickvers, aber warum gleich ein 'sinnloser'?
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zu HABTMANNS BEDE VOM GLAUBEN. 213
Der dichter benötigte einen reim auf gedenket, und ihm fiel
nichts besseres ein als daran zu erinnern, dass der teufel uns
gern zu falle bringt, also aus reiner bosheit und dem gefallen
daran böses tut im schroffsten gegensatz zu Christus, der
sogar für die betete, die ihm das leben nahmen (1109); diese
antithese scheint mir in den versen wenn auch unvollkommen
zum ausdruck gebracht werden zu sollen. Gegen die zeUen
1098. 1101. 1102 vermag von der Leyen selbst nichts anzu-
führen.
1401 — 1403. 1405 (s. 41). Hier stösst sich der herausgeber
an der reimfolge 1401 — 1406 (die er übrigens auch noch un-
richtig ausschreibt) verJdrten : Urten, kSren : lugeneren, gouhe-
Uren : geUren; 'kann es etwas ärmlicheres geben?' Aber Hart-
mann hat derartige häufung ähnlicher reime noch öfter: 637
— -640 Crist : ist, liste : totste] 741—746 rüte : gute, veltblüme :
rätne, getruc : gut; 753 — 756 gewunnen : sunnen, untrunnen :
gerunnen; 1361—1364 glich : sih, glich : glich. Der letztgenannte
fall z. b. ist weit härter als der obige. Auch der Inhalt der
verse ist, wenn man richtig übersetzt und interpungiert, nicht
'blödsinn', wie von der Leyen findet. Ich setze nach 1399
eine stärkere interpunction, später gehören je zwei verse dem
sinne nach zusammen. So hat der passus vernünftigen Zu-
sammenhang: die Juden sprachen, Christi jünger seien unrein;
niemand solle mit ihnen gemeinschaft haben, da sie die weit
auf den köpf stellten; um ihre lügenhafte predigt solle sich
niemand kümmern; sie seien lügner und gaukler und zwar
nach dem vorbilde ihres lehrers Christus. *Ein satz wider-
spricht immer dem andern' sagt von der Leyen!
1481—1492 (s. 38). Ich sehe nicht ein, warum der Inhalt
dieser verse, den der herausgeber ganz richtig angibt, ^unsinn'
sein soll. Dass von den geschöpfen gerade die fische heraus-
gegriffen und besonders namhaft gemacht werden, mag uns ja
sonderbar erscheinen, berechtigt aber noch lai^e nicht zu
einer athetese oder doch höchstens zur beanstandung von
1488. 1489, nicht aber der ganzen umliegenden partie. 1489
übrigens enthält keine tautologie: der dichter unterscheidet
fluss- und Seefische als verschiedene (manicvalt) arten. Die
weiterhin gerügten stilwiderholungen finden sich sonst bei
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214 LEITZMANN
Hartmann so massenhaft, dass ich mir belege ersparen ki
Wo bleibt die ^Impotenz' des interpolators?
1501—1512 (s. 35). Von der Leyens erster einwand, i
hier die engelchöre in anderer reihenfolge als im späte
gedieht genannt werden, ist wol kaum ernst zu nehm
Hartmann schrieb ja nicht ein logisches compendium über
Ummelsbe wohner, und die vorliegende stelle ist auch ni
excurs oder Inhaltsverzeichnis zu der späteren breiteren a
ftihrung. Auch das zweite motiv zur athetese, an 1500 mo
sich der Inhalt des lobes sofort anschliessen, hält einer ri
tigen Interpretation nicht stand. Ich bleibe 1500 bei
handschriftlichen lesart, die si nicht hat, und verstehe
ganze stelle: loben soll dich all deine Schöpfung, wie ei
jeden art es ihm durch deine gnade vorschreibt, die das
(ich fasse dis als di daz\ vgl. 1189. 1335) auf dich hin richi
d.h. gottes gnade lehrt die creaturen, dass sie jede auf i
weise gott zu loben haben. Wenn man diese auffassung ^
diz sprachlich für Hartmann untunlich hält, kann man ai
mit von der Leyen si einsetzen und dia auf 1495 zurü
beziehen, also ^dieses lob' als das, von dem der dichter soel
gesagt hat, dass es gott dargebracht werden solle, verstel
Ueber dingen endlich vgl. oben zu 25.
1531. 1532 (s. 40) widerholen 105. 106, brauchten i
darum nach meiner auffassung nicht unecht zu sein; dass
^der diction zum nachteil gereichen', ist ebenfalls kein genüg
der grund zur athetese. Aber im gegenteil ist die diction :
dann in schönster harmonie, wenn die verse stehen bleu
da dann jeder der drei mit in beginnenden verse (1530. 11
1535) einen nachsatz hat und 1531. 1532 z. b. ganz para
1534 stehen.
1610—1613 (s.34). Gegen diese verse erhebt von der Le;
fast nur aus gründen Widerspruch, die ich schon anderwe
als nicht stichhaltig nachgewiesen habe: zwei der incriminier
Zeilen stehen auch an einer anderen stelle des Credo; z
andere werden Hartmann abgesprochen, weil sie einem neb
gedanken ausdruck verleihen und dadurch die stelle ih
parallelismus gegen zwei andere einbüsst, die diesen neb
gedanken nicht enthalten. So schematisch lässt von der Le;
seinen begabten dichter arbeiten, wenn es gilt interpolatioi
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Zu HARTMANNS REDE VOM GLAUBEN. 215
ZU finden. — 1612 steht das wort riezen wie 1911 beriefen,
die nach dem herausgeber (s. 32. 33) bairisch oder doch ober-
deutsch sein sollen. Das ist einmal nicht ganz richtig, denn
auch das Rolandslied hat riejsen. Femer aber dürfte es rein
zufällig sein, dass f£töt alle mhd. (aber nicht ahd.) belege aus
Oberdeutschland stammen; denn das wort ist auch im mnd. als
reten vorhanden (vgl. Mnd. wb. 3, 469 a).
1910—1913 (s. 33). Ueber heriezen habe ich eben ge-
sprochen. Hier muss ein neuer Schematismus herhalten: inner-
halb der geschichte des Schachers am kreuz enthalten unsere
verse eine ganz persönliche bitte des dichters um erlösung, und
Hartmann 'unterbricht seine geschichten nie durch solche
bitten oder ähnliche deliberationen'. Nun, dann hat er es
eben in diesem einen falle doch getan. Mit recht wies zudem
schon Scherer (Gesch. d. d. dicht, im 11. u. 12. jh. s. 36) auf eine
'ängstliche sorge um die ewige Seligkeit und ein starkes in-
dividuelles Schuldgefühl' als für unsem Hartmann charakte-
ristische eigenschaften hin.
Die bedenken gegen die verse 2674—2683 (s. 37), die
widerum einen kleinen gedankensprung enthalten, wie ihn ein
dichter wie Hartmann nicht machen darf, sind wesentlich
metrischer natur, also, wie ich schon oben hervorhob, für mich
undiscutierbar.
2850. 2851 (s.42) enthalten 'ohne grund' (!) einen rührenden
reim, machen die absieht des dichters 'unkenntlich' das wort
heUe in den versen der Umgebung möglichst oft zu nennen
und widerholen 'ungeschickt' den dichter; 'wenn er sich wider-
holen wollte, würde er doch gesagt haben ' Ich brauche
nichts zur Widerlegung hinzuzufügen.
2880—2883 (s. 37) endlich sind nur deshalb anstössig,
weil sie die quelle 'so correct, so bestimmt' nennen 'wie der
dichter niemals', ein argument, dessen tragweite ich schon
oben zu 1910 beleuchtet habe.
An keiner einzigen stelle also hat sich von der Leyens
auffassung halten lassen. Wir besitzen, wenn man meinen
darlegungen beistimmt, Hartmanns Credo durchaus in reiner,
uninterpolierter gestalt. Jeder nicht voreingenommene leser
des gedichtß wird, glaube ich, bei eingehender lectüre von
selbst auf dieses resultat kommen. Indessen hat dieser neueste
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216 LETTZMANN
chorizontische versuch noch eine methodisch interessante s
auf die es mir keine unnütze bemühung schien im einze
hinzudeuten. Ein fadenscheinigeres gewebe von argume
ist wol niemals vorgelegt worden, und man sieht, bis
welcher Vergewaltigung einer dichterischen persönlichkeit
starr schematisierende betrachtungsweise gelangen kann.
2. Ich schliesse hier eine reihe von bemerkungen
einzelnen stellen des textes an, wie die neue ausgäbe
bietet. Mit Massmanns abdruck verglichen vermisst man m
fach die nötige genauigkeit, namentlich in der angäbe d
und i in flexionssilben; da der herausgeber hier nicht i
einer richtung hin uniformiert hat, so war es seine pflicht,
bei Massmann gegebenen lautstand wenigstens nicht <
nähere angäbe zu verlassen. Fast unglaublich muss es ;
erscheinen, dass er nicht einmal das druckfehlerverzeic
Massmanns (s. 358) in allen fällen berücksichtigt hat. Folgi
dort bereits verbesserte druckfehler erscheinen hier noch
ernsthafte lesarten: s. 21 tvo statt t^, 17 durch statt durh,
unsubstandalem statt constcbstancialem (vgl. schon Beissenbe
s. 4), 300 dir statt div, 1276 erstanden statt irstanden,
ßre statt füre, 2280 gimeine statt gemeine, Ueberhaupt
sich von der Leyen um die reinigung und Verbesserung
textes nicht so sorgfältig bemüht, wie er als herausgeber
musst hätte; um so mehr muss man Vogt für seine glänzei
emendationen einiger besonders schwieriger stellen (s.
dankbar sein.
9 ist wurde wir zu lesen. Die Orthographie w bed<
hier wie an allen übrigen stellen (vgl. s. 15) wu, nicht ta
29. Der dreireim (s. 8. 35 anm. 1) scheint mir nicht
sprünglich im texte gestanden zu haben; der herausg
gewinnt ihn erst durch einsetzen von illud, das in dei
fehlt. Man kann einen überladenen vers annehmen. N
scheint es mir aber zu liegen, das lateinische citat und
Worte dcus! sprichet als randbemerkung auszuscheiden. I
mann citiert sonst aus der bibel recht genau, während die
benutzte psalmenstelle arg verstümmelt ist und daher j
gut randbemerkung eines lesers mit schlechtem gedäcl
sein kann.
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zu HARTMANNS REDE VOM GLAUBEN. 217
146 ist die handschriftliche lesart sine im texte zu be-
lassen. Trakten hat in diesem sinne stets den accnsativ bei
sich (Mhd. wb. 3, 82a).
206. 207. In einem dieser verse scheint eine dittographie
vorzuliegen. Ich schlage vor, nach dem muster von 70 einmal
ebenkreftic zu lesen.
324 lese ich eo gesihte; vgl. 262. 1636. 2096. Milst. Gen.
63, 32. 91, 7. 30. Heinr. v. Melk 1, 208. Bruinier, Krit. stud. z.
Wemh. Mar. s. 180 anm. 2.
444 lag kein gmnd vor das handschriftliche ttMn in ttu)
zu ändern.
530. Mir ist sehr zweifelhaft, ob gettväs hier 'gespenst'
bedeutet, wie von der Leyen (s.32) nach den Wörterbüchern
annimmt, zumal Hartmann an einer andern stelle (1292) für
diesen begriff getustemisse braucht. Die bedeutung 'bösewicht,
tor', die das wort sonst meist in mittelfränkischen dichtungen
hat (Bartsch, Ueb. Karlm. s. 278) und die auch niederdeutsch
die bei weitem bevorzugte ist (viele belege in meiner anmer-
kung zu Gerh. v. Mind. 66, 58), passt an unserer stelle ebenso
wie an den meisten andern, die in den Wörterbüchern ver-
zeichnet sind, so gut, dass eine andere auffassung gänzlich
mmötig erscheint.
559 ist ime im texte zu belassen.
686. Die hs. hat bechtidit, wofür von der Leyen bedechit,
Vogt behulit lesen will; beides ist dem sinne nach richtig,
steht aber graphisch recht fem. Glaublicher ist mir, dass
Massmann beehudit aus becUidit verlesen hat. el für kl steht
auch sonst im Credo mehrfach (z. b. 289. 1439. 2818).
758. Ist ist der hs. gemäss im texte zu belassen, 757
punkt oder Semikolon zu setzen.
766. Der reim verlangt ein dem ahd. sindun entsprechen-
des sinden, wie schon, was von der Leyen übersehen hat, zu
Denkm. 56, 16 bemerkt ist
783. Den war nicht zu ändern; es ist dem sinne nach
construiert, da teil (780) ein coUectivum ist.
795. Das handschriftliche Pilatis ändert von der Leyen
ohne gmnd in Pilati; es ist aber kein Sprachfehler, sondern ein
deutscher genetiv Pilates. Mit demselben rechte hätte dann
auch Cristis (972. 1086. 2897. 3638) geändert werden müssen.
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218 Leitzmann
801. Einem war im texte zu belassen; 800 zwingt nicht
zu einer änderung in dem,
925. Vielleicht ist hier das handschriftliche leben doch
beizubehalten, jedenfalls aber sulen nicht zu eliminieren.
1068 fasse ich als zweiten, 1067 parallel stehenden relativ-
satz und streiche daher die gedankenstriche; anders Kraus zu
Rhein. Paul. 107, 3, Ib«.
1082. Wenn ich Massmanns anmerkung recht verstehe,
so hat die hs. gehucnisse ein ein war urchunde und die zeichen
a und b über den beiden ersten Wörtern deuten Umstellung
an. Dann haben wir also kein an in dem ganzen satze, das
Massmann misverständlich aus ein mit darüber stehendem a
entnahm. Ich lese also demnach: ein gehucnisse, ein war «r-
chunde,
1287 lese ich mit der hs. dojs era selbe were, er lebete.
Die wichtigste mitteilung ist zweifellos ^dass er selbst es wÄre';
'und zwar ein lebendiger' kommt erst in zweiter linie. Dajg
er selbe wol lebete scheint mir hier ganz unpassend; 2224 heisst
es 'dass es ihm gut gienge', was hier schon wegen des selbe
nicht angeht. Dass es zunächst auf die identification der
erscheinung mit Christus ankommt, lehrt deutlich 1290. 1292.
1592 war rüwent, das die hs. hat, beizubehalten. Die er-
gänzung 1593a ist zu streichen; es liegt ein dreireim vor.
1908 ist das nicht zu ändern, 1909 ein komma zu setzen.
Ich verstehe: 'dass sein glaube so gut war, dass er ihm die
ewige Seligkeit erwarb, derselben gnade lass auch mich teil-
haftig werden'.
2055 ist Urist aus der hs. beizubehalten, am Schlüsse ein
punkt, 2053 aber ein komma zu setzen: 'selten hat das jemand
auf den rat eines andern hin getan, wenn du ihm nicht diesen
guten rat gibst'.
2160. Dürftigen ist nicht auszuscheiden.
2171 lese man mit der hs. dinen lib.
2210. Für si hat Massmann i, das wol abkürzung für ind
sein soll.
2212. Die hs. hat des statt von der Leyens der.
2287. Huor ist sonst niemals masculinum, sondern stets
neutrum; unsere stelle ist bei Lexer 1, 1392 das einzige bei-
spiel. Sonst hat Hartmann das femininum huore (2286. 2492).
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zu HABTMANKS REDE VOM GLAUBEN. 219
Dieses wird auch für diese stelle anzusetzen sein, und das
handschriftliclie der ist aus einem die der vorläge falsch
nbertragen.
2307. Für das in allen den gebäre der hs. lese ich gebären;
auch sonst ist der plural in dieser formel das gewöhnliche.
2413. Was soll man sich in dieser beschreibung eines ritter-
lichen hausrats unt^r daj^ iure gebeine vorstellen? Lexer 1, 749
setzt die bedeutung ^gerippe' an, was natürlich unmöglich ist,
ond scheint ausserdem dürre lesen zu wollen. Die lesart ist
zweifellos fehlerhaft, da es sich um eine coUectivbezeichnung
far ausrüstungsgegenstände handeln muss, wie der Zusammen-
hang deutlich zeigt. Ich schlage vor gereide oder gekleide zu
lesen. Das letztere wort, das zweimal in der Elisabeth belegt
ist (Lexer 1, 803) würde zu Meiers annähme (Beitr. 16, 99)
stimmen, dass der dichter des Credo nach Hessen gehört. ^
2469 hat die hs. dir für der, was beizubehalten war.
2523 liegt durchaus kein grund zur Umstellung von rüchent
si vor.
2528 passt dtn, wie Massmann hat, weit besser in den
context der ganzen stelle als Wackernagels diu, das übrigens
in der mir hier allein vorliegenden fünften aufläge des lese-
bachs (427, 20) nicht steht; danach düiite es, wenn es in einer
der älteren auflagen wirklich sich findet, wol druckfehler sein.
2534 ist das fragezeichen zu streichen; die folgende zeile
ist nicht die antwort, sondern gehört noch mit zur frage, die
erst 2537 endigt.
2547 durfte doch wol mit Massmann ausfall eines verses
anzunehmen sein, da ein dreireim so innerhalb eines sinnes-
abschnittes doch sehr auffällig wäre und sonst ohne paral-
lelen ist
2564 lese ich lieber mit Massmann dem tübele.
p) Näher scheint mir die annähme sn liegen, es hahe nrsprünglich
^tzeine geheissen. Das wort ist zwar, wie es scheint, im mhd. hisher nicht
belegt, aber eine solche coUectiybildnng konnte ja leicht jeden angenblick
neu geschaffen und yerstanden werden. Goldene etc. zeine als schmnck
sind ja bekannt, und wie hier — daz edele gestetne, daz türe gezeine, dt
manige goüborten — sind anch in der bei Lexer s. v. zein citierten stelle
(tA. 1, 462, 282 edde steine, borte nnd zein mit einander verbnnden: ich hon
einen borten, der ist an beiden orten geziert mit edelen steinen; mit g%ddinen
feinen ist er wol wnderslagen, £. S.]
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220 LEITZMANN, Zu HARTMANNS REDE VOM GLAUBEN.
2829 ff. ist die interpunction verfehlt Ich setz
punkt, 2834 komma, 2835 pimkt, 2841 komma. Der j
liehe Zusammenhang gewinnt dabei an klarheit.
2974. Beredeten in bredtgeten zu ändern ist trc
anm. 1 ein unberechtigter einfall. Es ist an unserer st
nichts weniger als vom predigen die rede. 'Eähn', sa^
mann, 'traten sie den irrlehrem entgegen; selbst vor
und ifürsten bewiesen, verteidigten sie die wahrhei
glaubens.' Das ist der specifische sinn von bereden (re
belege im Mhd. wb. 2, 1, 603 b), das in diesem sinne g
juristischer terminus geworden ist. Wie merkwürdi
von der Leyen gerade die einzige sichere spur *jiiri
färbung' durch conjectur beseitigt hat!
3135 behält von der Leyen das unveratändliche h
manns ohne weiteres bei; ist git zu lesen?
3207 war sin im texte zu belassen; dienist ist i
wie drei verse vorher (3204).
3699. Die lesung der hs. der ist trotz der bc
3698. 3700) nicht anzutasten, da Hartmann auch sonsl
jsegän mit dem genetiv braucht.
JENA, 23. mai 1898. ALBERT LEITZMi
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KRIEMHILT.
Der name der Wormser königstochter zeigt gegenfiber
der menge der namen mit Grim- zwei laute in auffallender
form. Der anlautende guttural erscheint in weiter räumlicher
ausdehnnng wie germ. k behandelt und als yocal der tonsilbe
treten neben i die Varianten mhd. ie, nhd. ei, auch e auf.
Belege dafür sind mehrfach zusammengestellt, am eingehendsten
von Müllenhoff in seinen Zeugnissen und excursen zur deutschen
heldensage no. 12. 66. 72. 84 (Zs.fda. 12, 299. 413. 15, 313), vor ihm
von Mone (Untersuchungen zur gesch. der teutschen heldensage
s. 67). Eine reihe von belegen gibt Förstemanns Namenbuch,
einige alte auch J. Leichtlen, Forschungen im geb. der geschichte
Deutschlands (1820), 1, 2, s. 46. 54. Endlich enthält Grimms
Heldensage (ich eitlere nach der dritten aufläge) solche in
beträchtlicher anzahl. Müllenhoff hat zugleich die auffallenden
lautverhältnisse besprochen. Heute lassen sich die belege
vermehren und die lautverhältnisse genauer bestimmen.
Ich behandle zunächst die frage nach dem vocal der
tonsilbe. Unter meinen belegen sind die an den genannten
stellen gesammelten widerholt.
Die ältesten belege für ie geben Urkunden, eine aus
dem 8., zwei aus dem 9. jh., aber sämmtlich noch olme controle
durch das original. 785 Worms / Fulda: Criemkilt, neben
Cremhüte der Unterschrift, aus der chartulariencopie des mo-
nachus Eberhardus von Fulda (Dronke, Cod. dipl. Fuld. [1850],
s. 49). Da Eberhard in seinen Summarien an der entsprechenden
stelle Grimhüt schieibt (Dronke, Trad. Fuld. [1844], s. 10), werden
die namensformen der Urkunde dem original entnommen sein.
Aach die übrigen namen der Urkunde zeigen alte formen. —
881 Luzern: Chriemhilt (Neugart, Cod. dipl. Alem. 1, 428). —
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222 BOHNENBERGER
890 Fulda (?): Criemhilterot in provincia Turingiorum, eben-
falls aus dem Codex Eberhard! (Dronke, Trad. Fuld. s. 79). Aus
dem 10. jh. ist ie in einer Originalurkunde erhalten: 927 Ursula-
kloster Köln, actum Worms, scripta ab Heriherto canceUario:
Criemilt (Nassauisches urkundenbuch, bearb.v.Sauer [1886] 1, 40).
Aus dem 11. 12. jh. habe ich keine belege mit ie, im 18.— 15. jh.
treten zu den urkundlichen Zeugnissen solche aus poetischen
denkmälern. 1228, markgraf v. Istrien für Benedict-
beuern: Chriemhilt (Mon. Boica 7, 115). — Marner v. 266:
Kriemhilt (Strauch gibt keine abweichende lesart). — Enenkel,
Weltchronik v. 28372: Chriemhielten neben lesarten Krimhild,
Krdmhild. — Ulrich v. Türlein, Willehalm: Kriemhilde (hg.
V. Singer, Cin,5). — Hugo v. Trimberg: KriemiUe und Kri-
milden (nach Grimm s. 191). — Feldbauer in Cod. pal. 341:
Kriemhilt (nach Grimm s. 185) neben Krimhilt in Pfeiffers aus-
gäbe V.344 (Germ. 1, 346). — Wachtelmärchen: Chriemhat
(nach der Wiener hs. 119. Denkmäler deutscher spräche und
Ut., hg. V. Massmann 1, s. 112). — Zornbraten: Chrienüiili,
Krienhilt (Lassbergs Liedersaal 2, 508 und Dresdener hs. nach
V. d. Hagen, GA. 1, 487) gegen Crimilt der Königsberger hs. —
Nibelungenlied und Klage, in den alten hss. vorwiegend ie
und i, näheres unten. — Rosengarten: ie und i, vereinzelt e;
Holz druckt ie, z. t. führt er die Varianten mit i, e auf. Grimm
druckt Krimhilt und so schreibt nach den noten auch die hs. C.
D (v. d. Hagen) hat ie, das fragment Zs. fda. 11, 536 i, dasjenige
Zs. fda. 11, 243 ie und i, dasjenige Germ. 8, 196 Cremilt und Oi-
milt neben Ditrich, hruder, broder, Nodung, die hs. P (Genn.
4, Iff.) nach Bartschs druck % wie in Crichen, Diterich. — 1354
Thol, Karl IV für Saarbrücken: Criemildespil (Bremer, Gte-
neal. geschichte d. ardenn. geschlechts, Cod. dipl. s. 484. Bonner
Jahrbücher 20, 128). — Maria Magdalena: CriemehiU (Wiener
sitz.-ber. 34, 290). — Hugo von Montf ort: Kriemhilt (hg. v.
Wackemell s. 70, Cod. pal. 329). — Bericht von den sieben
hauptkirchen Roms in deutscher hs. von 1448: CryenhiU,
Crenhild (v. d. Hagens Germania 7, 240. = GA. 3, cxlh) gegen
Crinhilt in deutscher hs. von 1454 (Zs. fda. 12, 360). — Se-
bastian Braut: Kryemhild (hg. v. Zamcke); Krienihild (hg. v.
Gödeke s. 80). — Murner, Mühle von Schwindelsheim 71. 1082:
Kriemhilt — Borsikon bei Affoltem: Kriemhüten grabe»
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KBIEHHILT. 223
(Grimm, Weistümer 1, 48. 49). — 1476 Korker waldsprach
(Ortenau): Knemhildenstein (Leichtlen 1, 2, 54, nach mitteilung
aus Kehl heute unbekannt). — St. Gallen: CriemhiU (Mon.
Genn., Libri confrat. 1, 299, 25).
An belegen für ei als stammsilbenvocal, also Kreimhilt,
habe ich ausser der schon genannten lesart in Enenkels Welt-
Chronik noch folgende: Nibelungen, hs. H: Chreimhilt. —
Heinrich von München, v. 372 ff.: Chreimhüd (Dresdener hs.,
Grimm, Altdeutsche Wälder 2, 130). — Ladislaus Suntheim:
Kreimhilt (Grimm s. 479). — Aventin, Ann.Boi.: Greimhyld,
Grimylda, canitur apud nos; Bair. chron.: Greimhild, andere
lesart Grimhilt (Werke, hg. v. d. Bayr. akad. 2, 19. 4, 1137).
Von diesen formen mit ei aus sind die älteren belege mit i
darauf zn untersuchen, wie weit unter ihnen solche mit i voraus-
zusetzen sind. Wie zu erwarten, sind die Schreibungen mit i
die häufigsten. Die reihe eröffnen wider belege aus Urkunden,
deren original nicht mehr vorliegt oder in der ausgäbe nicht
ausdrücklich berücksichtigt ist. 743 Weissenburg: Grimhildis
(Zeuss, Trad. Wiz. s. 11). — 763 Cod. Lauresh: GrimhiU in
pago Womi, in Merstatt (Cod. Laur.2,217). — 806 Freising:
Chrimhilt (Meichelbeck, Hist. Frisingensis 1724. 1,2,103). —
Verbrüderungsbücher von St. Peter in Salzburg (hg. v. Karajan,
1852), vor 781: Grimhilt (sp.77,31), um 800 und um 850:
CWwÄtK (110,42. 40,37). — 975—1101 Regensburg: Grim-
Mit (Trad. Emm. inPez, Thes. anecdot. 1, 3, 89). — 996 Brixen:
Chrimehildae in Prixina (J. Resch, Ann. eccl. Sab. 1767. 2, 675).
— 1180 Falkenstein, Weyam bei Miesbach, Crimhiltiperc
(Mon. Boic. 7, 498). — 1211 Windisch Graz, markgraf von
Istrien und bischof von Gurk, original, Grimhilt (Zahn, ÜB.
V.Steiermark 2, 171). — 1228 patriarch v. Aquileia: Grimhilt
(Duellius, Hist. ordinis equitum teutonicorum 1727. s.113). — In
den Libri confrat. von St. Gallen und Reichenau viele
Chrimhilt, datierbar St. Gallen um 890: Crimhi[l\t, Grimhilt
(Mon. Germ., L. confr. 1, 180, 2. 1, 130, 7); Reichenau um 826.
830 Grimhilt, Chrimhilt (2, 24, 15. 2, 294, 12). lieber die wei-
teren formen vgl. den index in MG., L. confr.») — Biterolf,
^) Die Libri confr. meint auch Mone mit seinen belegen ans 'Necrolog.
Ang.* Die necrologien yon St. Gallen und Beichenan enthalten den namen
nicht Die übrigen necrologien in den Mon. Germ, habe ich nicht dorch-
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224 BOHKENBEftOER
Hürnen Seyfrid, poetisches heldenbuch, prosaisches
heldenb.: Krimhilde, Crimhilt, Crymhilt, Orimhild, Qrymhilde.
— Berthold von Regensburg in der Leipziger hs. 496:
Crimhüt (Grimm s. 181. Müllenhoff, ZE. 72). — Wiener meer-
fahrt nach der Heidelberger hs.: Krimhilden (von der Hagen,
GA. no. 51, V. 629). — Ottokar, Oesterr. reimchronik v. 8162:
Kriwhilten (MG., Deutsche ehr. 5, 1). — Minneburg: Krim-
hilde (Grimm s. 315). — Johann von Neumark: Chrimhildis
s. 314). — Simon v. Keza, Gesta Hung. (moderne abschriften):
prelio Crimildino neben Cremildi (MG., Script. 29, 531. 533). —
1438. 1484 Lübeck: Crimolt (Grimm s. 477).
Aus Neustrien nennt Förstemann: Grinüiildis, Grimiidis,
Grimoildis (Irminon, Polypt. de St. G^rmain-des-Pr6s, um 800,
p.p. Gu6rard 1844, 2,88. 92. 71. 26. 89 und Polypt. de Fabb.
de St. Kemi, moderne copie des Originals von ca. 850, p. p. Gue-
rard 1853, p. 79). Aus einem cod. Remigianus stammt die Gri-
milt zum j. 853, welche Müllenhoff, Zs. fda. 12, 413 aufführt
Hierzu kommen die oben bei Kriemhilt gegebenen bel^e
für Krimhüt
Weniger häufig erscheint e. Ausser den schon genannten
belegen sind es noch folgende. 766 Cod. Lauresh: Cremhilt
in Gardachgowe (C. Laur. 2, 560). — 787 Cod. Lauresh: Cre-
nihildam inpago Lohodun (Cod. Laur. 1, 546). — 796 Schenkung
an Murbach: Cremhildis (Schöpflin, Alsatia diplom. 1,59). —
1385 ff. Schaffhausen: Kremhilten weg (Stadtbuch v. Sch^
Alemannia 6, 274). — Hvenische chronik: Gremild (Grimm
s. 345). — Dänisch: fru Kremol (Grimm s.477).
Von diesen formen mit e sind die aus dem 8. jh. Vor-
läufer derer mit ie, sie enthalten also e^. Im Schaffhauser
stadtbuch wird ein Schreibfehler für ie oder i vorliegen. Die
niederdeutschen und dänischen formen lasse ich ausser be-
tracht. So bleiben für das hd. gebiet an auffallenden formen
die mit ie, e und die mit e?' und vorauszusetzendem i. Für
sie lässt sich eine räumliche teilung wahrscheinlich machen.
Geht man davon aus, dass Murner, S. Brant, Maria Magdalena,
Borsikon, Hugo v. Montf ort und der Korker waldspruch ie haben,
gesucht. Leider enthält bd. 1 kein genügendes register. Es ist sehr zu
wttnschen, dass dies bei bd. 2 nachgeholt wird.
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KBIEMHILT. 225
Ayentin und Suntheim dagegen ei, so ist man veranlasst,
letztere form dem SO, erstere dem SW zuzuweisen. Und
dieser annähme steht m. e. auch kein ernstlicher gegengrund
gegenüber, sie lässt sich vielmehr noch durch weiteres stützen.
Auch ohne zunächst zur frage nach der entstehung der ab-
geänderten namensformen Stellung zu nehmen, kann man als
stutze ihrer räumlichen Scheidung beiziehen, dass im osten paral-
lele formen wie Greimöltshusen (c. 1223, Mon. Geisenfeldensia in
den MB. 14, 240. Geisenfeld, Oberbayem a. d. Hm) und Greimold
(z. b. 1398 Ingolstadt, Chron. d. Städte 15, 572. Aventin 2, 19)
auftreten und im westen entsprechend: Griemaldus (1320, Ebers-
heim L Eis., Chron. Eberh. in den Mon. Germ., Scr. 23, 438). Dann
erscheint der name Kriemilt auch in den übrigen quellen des
SO häufiger mit i als mit ie, während im SW die formen mit i
seltener sind als im SO. Zu den ie-f ormen des SW sind auch
die alten e-formen zu rechnen, ferner die belege aus Luzem,
dem Mumer und Worms (927, or.!), mit Wahrscheinlichkeit auch
die Ortsbestimmung der Urkunde Karls IV. Ganz reinlich geht
die teilung nicht auf. Wie es scheint, findet sich ie vereinzelt
auch im SO (Benedictbeuren/ Istrien. Ulrich v. d. Tfirlin, Hugo
V. Trimberg) und jedenfalls geht überall neben ie und t auch
i her. Wie i im SW nicht gar selten auftritt, darf man auch
nicht alle i des SO als l deuten. Diese mischung kann aber
nicht weiter auffallen. Nach der natur der sache mussten
durch die spielleute und ihre quellen, durch literarische vor-
lagen und anderes immer wider fremde formen unter die volks-
tümlichen hineingetragen werden. Auch lag es überall nahe
genug, den namen Kriemhilt nach analogie der übrigen mit
Grim- umzubilden. Ob die südöstliche form geradezu als bai-
rische bezeichnet werden darf, ist auf grund des mir vor-
liegenden materials nicht zu entscheiden. Im bejahungsfalle
wäre damit auch noch nicht gesagt, dass nicht ein westliches
stück des bairisch-österreichischen mundartgebietes in der be-
handlnng des namens mit dem westlichen nachbar gehen
könnte. Die form mit ie gilt jedenfalls über das alemannische
gebiet hinaus. Nach den urkundlichen belegen aus dem 8. und
10. jh. erstreckt sie sich auch ins rheinfränkische (Lorsch oder
Gardach- und Lobdengau, Worms) hinein. Ob es in der mund-
art seinen grund hat, dass der Monachus Eberhardus in Fulda
Beiträge zur geschieht« der deutschen spräche. XXIV. j,5
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226 BOHKENBEHaEIt
CrimhiU schreibt? üeber die form Cremüdi bei Simon v. Keza
ist kein urteil möglich, ebensowenig über den Oremboldus
miles, der in der geschichte des erzbischofs Robert von Trier
zum jähr 956 genannt wird (Gallia christiana 13, 397).
Wesentlich einfacher liegt die sache bei dem anlauten-
den guttural. Die gegebenen belege erweisen ihn auf rhein-
fränkischem, alemannischem und baiiischem boden als germ. k.
Wenn auch die Lübecker notiz von 1484 und das dänische
citat bei Grimm fortis haben, so fragt es sich, wie weit diese
neben Orimilde bei Saxo und dem sonstigen verfahren der
skandinavischen denkmäler als alt und echt anzusehen ist
Auf hochdeutschem boden gehören meine belege für die lenis,
abgesehen von den vereinzelten g- beim patriarchen v. Aquileia
1228 und in den Trad. Emm. von 1100, der ältesten und dann
wider der jüngsten zeit an. Zu der form mit Grim- aus den
Trad. Wiz., dem Cod. Lauresh. und den Salzburger verbrüde-
rungsbüchem von 743, 763, 781 kommt ein OrimhiU in den
Libri confr. aus St. Gallen c.890 und dann wider g- bei Aventin,
Fischart.
Die vereinzelten und die jungen formen mit g- fallen so
wenig auf als die vocalformen, die sich der räumlichen Schei-
dung nicht fügten. Mit ende des 8. jh.'s weist Je schon eine
weite Verbreitung auf: 766. 787 Lorsch, 796 Murbach, 800 Salz-
burg, 806 Freising.
Wenig befriedigend ist, was sich zur erklärung der
dargelegten Verhältnisse vorbringen lässt. Es ist nicht einmal
mit Sicherheit zu sagen, was als ursprüngliche form anzusetzen
ist. Dass der anlautende guttural ursprünglich lenis
ist, steht zwar ausser frage, und als stammsilbenvocal ist e
zweifellos secundär, aber zwischen i und i ist keine
völlig sichere entscheidung zu treffen- Die namen mit
Grtm- lassen sich auf deutschem boden nicht reinlich von denen
mit Grim- scheiden, aber es scheint mir zweifellos, dass letz-
tere stark in der mehrheit sind. Demnach ist es wahrschein-
licher, dass auf deutschem boden Grim- zu Grim- umgebildet
wird, als dass die entgegengesetzte Umbildung eintritt. Auf
nordischem boden wäre die Umbildung von GrimhiU zu GWw-
hildr weniger unwahrscheinlich, setzt man aber GrimMd als
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KRIEMHILT. 227
das ursprüngliche an, so erspart man für die an. form die an-
nähme der Umbildung. Aus der bedeutung der Wörter lässt
sich gegen keine von beiden formen etwas entnehmen. Da-
gegen spricht der name mit umgekehrten bestandteilen Hilde-
grim, Hildegrin in gewissem masse für Gritnhild (s. Grimm,
Myth. 1^, 197). Es bleiben aber immer nur gi-ttnde der Wahr-
scheinlichkeit, die für Grtmhild entscheiden.
Von den Umbildungen g > h und i> i wird erstere
die ältere sein, da sie auch das gebiet mit unverändertem i
getroffen hat. Wäre erst grim- zu grim- geworden und hätte
daraufhin das östliche oder westliche gebiet k angenommen,
so wäre wenig wahrscheinlich, dass das andere gebiet wol
die Veränderung des consonanten übernommen hätte, im vocal
aber bei der bisherigen form geblieben wäre. Wo und aus
welchen gründen g zu k wurde, ist nicht zu sagen. Gegen
Müllenho^ hinweis auf das Wortspiel mit erkrummen im träum
der Kriemhilt (Zs. fda. 12, 303) sprechen zu starke sachliche
wie sprachliche bedenken.
Eine naheliegende parallele für das A; von Kriemhilt
bildet der anlaut von Kütrün, Küdrün, wo die formen mit
k (ch) nicht etwa nur der jungen Ambraser hs. angehören,
sondern auch ausserhalb des gedichtes bezeugt sind. Bei
Kütrün lässt sich vermuten, das wort sei bei seiner Wande-
rung durch verschiedene mundarten irgendwo beim Übergang
von einer mundart in die andere als fremdwort entstellt worden.
Und da bieten sich die grenzen von anlautender gutturaler
Spirans gegen anlautende tönende lenis explosiva, von letzterer
gegen stumme lenis und von dieser gegen fortis. Von diesen
drei grenzen kann aber für Kriemhilt jedenfalls die erste nicht
in betracht konmien. Sollen also beide namen an derselben
stelle geändert worden sein sein, so wäre allein mit den grenzen
der explosiven gegen einander zu rechnen. Und gegen die
annähme, die entstellung sei an der grenze von lenis gegen
fortis, also der mitteld.-oberd. grenze vollzogen worden, spricht,
dass Kriemhilt zum mindesten auch auf rheinfränkischem boden
mit k erscheint. Man müsste also, um mit ihr zu rechnen,
zu der annähme weiter gehen, es sei schon im 8. jh. die oberd.
form ins rheinfränk. gebiet eingerückt gewesen. Die grenze
von tönender gegen stumme lenis endlich bleibt ganz im
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228 BOHNEKBERGER
unsicheren. So bringt also auch die beiziehung dieser parallele
kein licht in die sache. Sieht man von Küdrün ab, so lässt
sich daran denken, dass heute g und k vor consonant in weiter
ausdehnung zusammenfallen. Aber wie alt ist dieser zu-
sammenfall?
Auch für den Übergang von * zu ^ weiss ich keinen
anhält zu geben. Noreens Zusammenstellung von Kriemhüt :
Krimhilt mit den bekannten beispielen, in denen e in der
ei-reihe auftritt (ürgerm. lautlehre s. 31), fürt zu Ungeheuer-
lichkeiten, denn auf indog. ablautsverhältnisse ist immer
zurückzugreifen, ob man Sievers' erklärung von e'^ annehmen
will oder nicht.
Ich komme noch im besonderen auf die behandlung des
namens Kriemhüt in den Nibelungendichtungen. Von den
drei haupthandschriften scheint B im text des liedes ie und i
zu mischen. Das stück im facsimile bei Laistner hat zu-
nächst ie, dann str. 46 i. Letzteres ist nach Bartschs apparat
häufig, Bartsch bezeugt dasselbe auch bei den nächsten stellen
ausdrücklich. Die Klage hat in der kurzen anfangsstelle bei
Laistner ebenfalls ie, und Bartschs ausgäbe setzt den diphthong
auch weiterhin. C hat nach Lassbergs druck, auf den man
sich hierin allem anschein nach verlassen kann, im Lied, in
den aventiurenüberschriften und in der Klage ie. Für die
kurzen dort gegebenen stellen bestätigt dies Laistnei'S nach-
bildung. A hat nach letzterer im Lied in der regel ie, ein-
mal i (str. 687, — nicht 961, wo Lachmann ebenfalls Krimhilde
druckt), und in einer reihe aufeinander folgender stellen c
(1784. 91. 98. 1806. 7. 17. 27. 49. 54. 62), in den aventiuren-
überschriften durchweg i, ebenso in der Klage mit einer
ausnähme (ie 381). Bei D steht nach Bartschs apparat im
text des Liedes i und ie gemischt, in der Klage scheint i die
regel zu sein, und in den aventiurenüberschriften des Liedes
steht es durchweg mit der einen ausnähme von av. 13. Völliger
verlass ist in dieser frage auf Bartschs apparat nicht. Die
controlierbaren lesarten aus A stimmen nicht immer zum fac-
simile. Die bruchstücke auf pergament haben teils ie (J K Q)
teils i (N P R S ü und mit ei H) teils ie und i gemischt (L
[mitteldeutsch], und 0).
Vergleicht man ABC, so ergibt sich, dass A einen be-
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KBIEMHILT. 229
stand darstellt, der nicht anf znfall beruhen kann nnd der
ursprünglicher sein muss, als der von B nnd C. Der bestand
von B und C lässt sich aus dem von A ableiten, letzterer nicht
aus ersteren. Hatten ursprünglich der text des Liedes ie, der
text der Klage i, und die aventiurenüberschriften des Liedes,
falls man diese als der vorläge von ABC zugehörig anerkennen
will, ebenfalls i, so konnte einerseits zu gunsten von ie aus-
geglichen werden (so C), oder es konnten abschreiber, die dem
t-gebiet angehörten, letzteres mehr oder weniger stark unter
das ie der vorläge einmengen und andererseits, nachdem sie
einmal mit gemischter Verwendung begonnen hatten, auch ein-
mal ie setzen, wo die vorläge i gab (so B). Nach den gleichen
gesichtspunkten erklären sich bei A das eine t des Liedtextes
und das eine ie der Klage. Diese Vermischung ist aber bei A
nur die verschwindende ausnähme gegenüber der regel: ie im
Liedtext, i in aventiurenüberschriften und Klage. Und diese
regel fordert ihre erklärung. Wenn ie im alten bestandteil,
i im jüngeren vorliegt, muss ersteres in der geschichte des
Liedes und seiner hss. eine ältere schiebt darstellen. Dass
ie dem original selbst angehörte, ist damit nicht gesagt.
Aber diese Schreibung wird dem original sehr nahe gerückt,
und da man suchen muss, zwischen diesem und den ältesten
vorliegenden hss. möglichst wenig abschriften einzuschieben,
und da die Schreibung sehr gleichmässig auftritt, so ist es
immerhin sehr wahrscheinlich, dass sie aus dem original
selbst stammt. Die Schreibung i hat dem exemplar der Klage
angehört, welches mit dem Lied verbunden wurde. Ob dies
die erste niederschrift der Klage war, bleibt damit offen.
Endlich hat der Verfasser der Aventiurenüberschriften, welche
in A vorliegen, i geschrieben. Ob dieser der hinzufügung der
Klage vorangeht oder nachfolgt, oder ob er mit dem schi*eiber
der Klage identisch ist, bleibt dabei ebenfalls unentschieden.
Nahe liegt es, die i-formen derselben band zuzuschreiben, und
das fehlen der aventiurenüberschriften in B beweist noch nicht,
dass diese der Klage erst nachfolgten. Wenn aber die hinzu-
fugung der Klage wie der aventiurenüberschriften einer gegend
angehört, welche i gesprochen hat, so können auch verschiedene
Personen i geschieben haben. lieber das gegenseitige Verhältnis
der abänderungen, welche in B und C vorliegen, lässt sich
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230 BOHNEKBEBGEB
von der vorKegenden frage aus nichts entscheiden. Beide
können selbständig von der Schreibung von A ausgehen, es
kann aber auch die eine aus der anderen hervorgegangen sein,
nur die von B aus der von C allein bei einem Schreiber, der
die i-form seinerseits mitbrachte. Ueber die herkunft der
6-formen in A weiss ich keine entscheidung zu treffen. Dem
Schreiber von A, der gelegentlich das r auslassend Kiemhilt
(721. 929. 1760), oder das l auslassend Kriemhü (1334) oder
das A auslassend Kriemilde (1774 und mit nachträglicher cor-
rectur 1775) schreibt, wäre wol zuzutrauen, dass er auch aus
flüchtigkeit mehrfach e statt ie schreibt, aber die reihe der e
ist doch zu geschlossen und ausgedehnt, als dass diese annähme
genügen würde. Soll der Schreiber von A oder ein ihm voraus-
gehender abschreiber die e-formen irgendwo anders hergekannt
und eingemengt haben? Aber es lässt nicht vorstellen, wo
man damals e geschrieben oder gesprochen haben sollte. Ebenso
rätselhaft bleiben die e-formen, wenn man sie dem original
zuweisen wollte. Auch die annähme, sie seien in quellen des
liedes vom 8. jh. an mitgeführt worden und hätten sich nun
gerade in den str. 1784 ff. bis in unsere hs. hinein erhalten,
erscheint mir wenig glaublich. Hervorheben möchte ich aber
immerhin, dass dieselben erst in der geschichte vom Untergang
der Hunnen auftreten. An dem Verhältnis der i- und ie-schrei-
bungen wird jedenfalls durch die entscheidung über die 6-f ormen
nichts geändert.
Die einzelfrage zeigt, wie A bei aller flüchtigkeit doch an
bestimmten punkten altes gut erhalten hat. Es mag gerade
seine flüchtigkeit sein, die den Schreiber an ausgleichungen
gehindert hat.
Ist die form Kriemhilt mit Wahrscheinlichkeit dem original
zuzuweisen, so wird dadurch auch die frage nach dessen heimat
berührt. Von dieser namensform aus ist die heimat des Origi-
nals in erster linie in dem gebiete zu suchen, wo die form
Kriemhilt zu hause ist. Es kann ja wol zufaU im spiel sein,
wie unter den räumlich bestimmbaren belegen aus dem SO
sich auch einzelne mit ie finden, und gewisheit ist um so
weniger zu erreichen, als schon die Voraussetzung, die Zu-
weisung der form Kriemhilt an das original, nur als wahr-
scheinlich gelten kann. Aber immerhin liegt ein in betracht
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KBIEMHILT. 231
ZU ziehendes moment vor. Dass mit der heimatsbestimmung
des Originals des Liedes nicht über die bairisch-alemannischen
grenzgebiete nach westen gegangen werden darf, öteht durch
das sonstige sprachliche verhalten der hss. fest.^) Eine genauere
grenze für die ausdehnung der te-fonnen nach 0 ist nicht zu
geben, aber das westliche gebiet Baiems sowie Tirol scheinen
mir nicht ausgeschlossen. Jedenfalls ist da die regelmässige
Verwendung der form Kriemhilt weniger auffallend als weiter
östlich. So weist die namensform in die gebiete, auf welche
Zamckes darlegungen in den Ber. üb. d. verh. d. sächs. ges. d.
wiss. 8, 211 hinführten. Letztere haben nicht viel anklang ge-
funden, weil man glaubte, andere durchschlagendere gesichts-
punkte wiesen auf Oesterreich. Von diesen letzteren bleibt
aber heute nicht viel übrig. Dass die reiseberichte der haupt-
sache nach der quelle des Liedes angehören, ist m. e. durch
die erneuerte gründliche Untersuchung R Neuf erts (Der weg
der Nibelungen, 1892, progr.) ausser zweifei gestellt, mag Neu-
fert auch im einzelnen zu weit gehen und unerklärbares
erklären wollen. Die sprachlichen gesichtspunkte aber, die
man für die österreichische heimat anzuführen pflegt, sind nach
unserem heutigen wissen über eine recht bescheidene Wahr-
scheinlichkeit nicht hinauszubringen. So sind wir heute jeden-
falls verpflichtet ein moment, das mit Zamckes gründen zu-
sammentreffend mehr nach westen zeigt, ernstlich in betracht
zu ziehen.
^) Manche sprachliche frage, die dnrch vergleichtmg von Lassbergs
und Laistners text nahe gelegt wird, muss offen bleiben, so lange nicht ein
diplomatisch genauer abdruck von B vorliegt. Ein solcher ist ein grosses
bedürfiiis.
TÜBINGEN, april 1898. K BOHNENBERGEß.
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UEBER DEN CONJUNCTIV PRAETERITI IM
BAIRISCH - OESTERREICHISCHEN.
Zu den auffälligsten kennzeichen der groben mondart in
Oberbaiem und den angrenzenden provinzen Oesterreichs (Ober-,
Nieder-, Innerösterreich) gehört der conj.praet. schwacher verba
auf -ad, der dann auch die starke conjugation ergriffen hat,
die nunmehr aus dem praesensstamme (nicht immer; neben
gengad lebt giengad) die neue hybride form entwickelt Ueber
das historische aufkommen dieser bildungen herscht, so weit
ich sehe, noch keine klare anschauung. H. W. Nagl handelt in
seinem reichhaltigen buche 'Grammatische analyse des nieder-
österreichischen dialektes' (1886) mehrmals eüüässlich (z. b.
s. 376 ff. 389 ff.) über diese erscheinung, ohne sie jedoch an dai
älteren sprachstand anzuknüpfen. Daraus schöpfe ich den mut,
eine beobachtung vorzulegen, die vielleicht etwas zur erklärung
dieser merkwürdigen formen beiträgt.
Die ausarbeitung des zweiten teiles meiner 'Miscellen ans
Grazer handschriften', der sich mit den deutschen Übersetzungen
biblischer Schriften auf unserer bibliothek beschäftigt, ver-
anlasste mich, den codex no. 1631, der einen deutschen psalter
enthält, genauer zu analysieren. Es gelang der erweis, dass
diese aufzeichnung (nach einer ursprünglich mitteldeutschen
vorläge) von einem oberbairischen priester, namens Eonrad,
für die nonnen von Altomünster (diöc. Freising) im jähre 1407
hergestellt worden ist. Die hs. enthält eine ganz naive und
grobe lautbezeichnung und f ormengebung, weshalb ich sie auch
der achtsamkeit aller forscher auf dem gebiete der bairisch-
österreichischen mundart dringend empfehle. Besonders fielen
mir eine anzahl von verbalformen auf, die ich hier gesammelt
und geordnet vorlege. Ueberall setze ich den deutschen bei-
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UEBER DEN CONJ. PBAET. IM BAIB.-Ö8TERR. 233
spielen den text der lateinischen vulgata zur seite, um über
die auffassung der worte keinen zweifei zu lassen.
Praet. ind. 1. pers. sing.: ich haessacht di chirchen der
Übeln 38 a, odiyi ecclesiam malignantium Ps. 25, 5; ich chundacht
dein rechtichait 57 b, annuntiavi justitiam tuam Ps. 39, 10; do
ich an hoffnaht 59 a, in quo speravi Ps. 40, 10; ich wartacht
sein 73 a, expectabam eum Ps. 54, 9; ich chundacht 75 a, annun-
tiavi Ps.55,9; idi richtacht mich 77 b, direxi Ps. 58,5; ich
trahtacht 94b, existimabam Ps. 72, 16; ich vestnaht 98 a, con-
flrmavi Ps. 74,4; ich cheraht 100a, scopebam Ps. 76, 7; ich
hoffnaht 156a ff., speravi Ps. 118, 42. 43. 81. 114; ich suehacht
159a^ exquisivi Ps.118,94; ich hazsaht 159b, odivi Ps. 118,
104; ich irraht 159b. 165a, erravi Ps. 118, 110. 176; ich atmit-
zaht 161a, attraxi spiritum Ps. 118, 131; ich verwideraht \Qü?i,^
abominatus sum Ps. 118, 163. — 2. pers. wand du hailachtest
uns 61b, salvasti enim nos Ps.43, 8; setjsachtestu Q9a,, ponebas
Ps.49, 18; du trachtacht losleich 69 a, existimasti inique Ps. 49,
21; du eufAroüitest uns 78 b, destruxisti nos Ps. 59, 3; du zur-
ndhtzt uns 79 a, iratus es Ps. 59,3; du zaichnecht 79 a, osten-
disti Ps. 59, 3; du hohceht 79 b, exaltasti Ps. 60, 3; du belaiteht
mich 80 a, deduxisti me Ps. 60, 3; du erlwutrahtest 84b, exami-
nasti Ps. 65. 10; du laitaht zweimal 84 b, induxisti — eduxisti
Ps. 65, 11; du lermht mich 92}), docuisti me Ps. 70, 17; du helai-
tahst mich 95a, deduxisti me Ps. 72, 24; du mohäht 97b, fabri-
catus es Ps. 73, 16; du laidaht 101a, deduxisti Ps. 76,21; du
peUzdhtest 108 a, plantasti Ps. 79,9; du plantzicht 108 a, plan-
tasti Ps. 79, 10; du rüffeht 109a, invocasti Ps. 80, 8; du mahmdt
senft 112b, mitigasti Ps.84,4; du hecherceht dich 112b, avertisti
Ps. 84,4; du laittceht 115a, induxisti Ps. 87, 8; du versmmhceht
118b, despexisti Ps. 88, 39; du verchermht 118b. 119a, evertisti
— avertisti Ps. 88, 40. 44; du hohceht 119a, exaltasti Ps. 88, 43;
du zefurceht 119 a, destruxisti Ps. 88,45; du vercheusceht 119 a,
collisisti Ps. 88, 45; du satzceht IMh, posuisti Ps. 103,20; du
straffosht 154 b, increpasti Ps. 118,21; du braittceht 155 b, dila-
tasti Ps.118,32; du vestnasht IbdsL, fundasti Ps.118,90; du
machoeht 159a, fecistiPs. 118, 98; du versmcehceht 160b, sprevisti
Ps. 118, 118; du höcheht 174 a, magniflcasti Ps. 137,2; du vor-
schasht 174 b, investigasti Ps. 138, 3; du losceht 186 a, eruisti
IsaL 38, 17; du verfluchähtest 190 a, maledixisti Habac. 3, 14;
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234 SCHÖNBACH
du machceht 190 a, fecisti Habac. 3, 15. — 3.pers. dertnichl
59 a, magniflcavit Ps. 40, 10; er hoffnaht 71h, speravitPs.5
er ertrenchacht 88 b, demersit Ps. 68, 3; er itweiezdht 97 b,
properavit Ps. 73, 18; er raitzaht 97 b, incitavit Ps. 73, 18; di
bidmaht 99 a, terra tremuit Ps. 75,9; er stellaht 102 a, sta
Ps. 77, 14; irraht er 103 a, impedivit Ps. 77, 31; er laitaU 1(
106a, induxit Ps.77, 54. 72; er wanaht 105 a, habitavit Ps
60; er sattaht 109b, saturavit Ps.80, 17; er mnrdht (?) IJ
aedificavit Ps. 101, 17; er scherfaht 137 a, exacerbavit Ps.
28; er tötaht 137 a, occidit Ps.104,29; er haiiaht 138b. li
salvavit Ps. 105,8. 21; er straffaht 138 b, increpuit Ps. 101
er dechceht 138 a. 139 a, operuit Ps. 105, 11. 17; er erUsaht V
redemit Ps. 106, 2; er sammaht 141a, congregavit Ps. 106, 2
sattaht zweimal 141b, satiavit Ps. 106,9; er haiiaht 142 b, saa
Ps. 106,20; er ahtceht 145b, persecutus est Ps. 108, 17; er»
naht 145b— 165b, dilexit Ps. 108, 18. 118,113. 159. 163. :
chestigund chestigaht mich unser herr 152 b, castigans castig
me dominus Ps. 117, 18; /sü haftaht 155a, adhaesit Ps. 118,
er erchukhceht 156b, vivificavit Ps. 118, 50; er habaht 1!
tenuit Ps. 118, 53; er erwelaht 170a, elegit Ps. 131, 13;
tdttacht 171b. 172b, occidit Ps.134,10; percussit Ps. 135,
er mahaht 142b, fecit Ps. 135, 7; erhatlaht 174a, salvum i
Ps. 137, 7; er achtaht 178 a, persecutus est Ps. 142, 3; er vesii
186 a, confortavit Ps. 147, 13; er tailaht 191a, dividebat Dei
32, 8; er hoffnaht 191a, separabat Deuter. 32, 8 (vom ttberse
für sperabat gehalten); er schawaht 196a, visitavit Luc. 1
— Plur. 3. pers. (1. und 2. kommen nicht vor) da bidmac
si mit vorhten 24a, illic trepidaverunt timore Ps. 13, 5; wi
voBter trauochten dir 33 b, in te speraverunt patres nostri
21,5; si spottachten mein 33b, deiiserunt me Ps.21,8; si
tachten mich 34 b, consideraverunt me Ps. 21, 18; si hraittaa
49 b, dilataverunt Ps. 34, 21; unser väter chundachten uns i
patres nostri annuntiaverunt nobis Ps.43, 2; da ßidrahte^
von den vorhten 72 a, illic trepidaverunt timore Ps. 52, 6:
gesegnahten 80 b, benedicebant Ps. 61, 5; si uberahten J
praevaluerunt Ps. 64,4; si wetzahten 83 b, exacuerunt Ps.f
(die psalmen 63 und 64 sind in der hs. versetzt); si vestwk
83 b, firmaverunt Ps.63, 6; si chundahten 83 b, annnntiavei
Ps.63, 10; si cehtahten 88 b, persecuti sunt Ps.68, 5; si hoffha
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UEBEB DEN CONJ. PRAET. IM BAIR.-ÖSTERR. 235
102b, speraverunt Ps. 77, 22; si suntahten IOSbl, peccaverunt
Ps.77,32; si erscher(f)ht€n 103 b. 104 a. 142 a, exacerbaverunt
Ps. 77, 40. 41. 106, 11; si verwüstahten 106 b, desolaverunt Ps.
78,7; si erfullahtm 108 a, implevit (frei nach dem sinne über-
setzt) Ps. 79, 10; si raitmhten 142 a, irritaverunt Ps. 106, 11\ si
hoffnahten 150hj speraverunt Ps.113, 11; si belaitUßhten 161b,
deduxenint Ps. 118, 136; si ahtahten 163 a, persecuti sunt Ps.
118,161; si sunUihten 191a, peccaverunt Deuter. 32, 5.
Praet. conj. 1. pers. sing.: ich behuettacht 159b, custodiam
Ps. 118, 101 (doch gemäss der deutschen Zeitfolge, nach dem
perfectum im hauptsatz, als conj. praet. aufzufassen). — 3. pers.
der seu haileicht 29 b, qui salvos faceret Ps. 17,42; er Usicht
131b, solveretPs.101,21; er lernakt 136 b, doceret Ps. 104, 22;
er lo&uchtaM 137 b, luceret Ps. 104, 39; er saugceht 191b, sugeret
Deuter. 32, 14. — Plur. 3. pers. si hochvertcehten 193 a, super-
birent Deuter. 32, 27. •
Es finden sich noch ein paar fälle von praesens, und zwar
ind. er wonaht 130 a, habitabit Ps. 100, 7; er redaht 130 a, lo-
quitur Ps. 100, 7; er reichsnaht 188 b, regnabit Exod. 15, 18. —
Conj. er ähtaht 193 a, persequatur Deuter. 32, 30. — Die mög-
lichkeit, dass der Übersetzer (und der corrector) habitabit und
regnabit mit habitavit und regnavit verwechselt hätte, muss
ich zugeben; für wahrscheinlich halte ich das im zusammen-
hange nicht. — Den fall er ßräht 106 a, pavit Ps. 77, 72 habe
ich ausgeschlossen, weil hier eine andere auffassung (a zwischen
r + h) sehr wol zulässig ist.
Nun ist ja diese ganze erscheinung an sich durchaus nicht
unbekannt: Weinhold widmet ihr in seiner Bair. gr. den § 305
(part. praet. § 317) und bringt dort aus einer hs. der Gesta
Eomanorum, aus einer Grazer hs. (leben des h. Ludwig von
Toulouse, vgl. Germ. 32, 99 ff. und Zs. fda. 34, 235 ff.) und aus
etlichen Urkunden eine reihe von beispielen (sie betreffen zum
teil dieselben verba, die meine Sammlung enthält), über die er
zusammenfassend bemerkt: 'eine eigentümliche veratärkung der
bindesilbe im perf ect erfolgt durch einschiebung eines aspirierten
gutturallautes'.
Das von mir aus der Grazer hs. 1631 vorgelegte material
umfasst im ganzen 137 fälle. Davon betreffen 105 sicher verba
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236 SCHÖNBACH
der zweiten schwachen conjugation, 19 verba schwa
zwischen erster und zweiter, dritter und zweiter k
10 fallen gewis in den bereich der ersten klasse, nur eii
gehört bestimmt einem verbum auf e an, zwei bleiben i
haupt unbestimmbar. Diese Zuweisung ist vermittelst
Wörterbücher unternommen worden; dabei erübrigt jede
manches unsichere, weil erstens die überlieferten denki
nicht alle möglichkeiten erschöpfen, zweitens die bezei
formen verschiedene deutung Zulagen. Immerhin, das za
Verhältnis zwischen der gesammtmenge der fälle und d
welche verbis der o-klasse angehören, scheint mir den sc
zu erlauben, dass diese bildungen auf -ackt, -aht nur n
des alten praeteritums auf -6t(a) bezeichnen.
Will man sich die erscheinung verständlich machei
wird man sich zunächst daran erinnern dürfen, dass die
verba auf ö ihren charaktervtcal mit besonderer zähij
weit ins mhd. hinein festgehalten haben. Vielleicht wird
da diese bildungen auf -acht, -aht nur im bereiche der gi
bairisch-österreichischen mundart zu treffen sind, auch bj
Wirkung der diesem dialekte eigentümlichen starken apc
gedacht werden dürfen, in folge dessen (wie sonst bei
längung kurzer Wurzelsilben nach Wrede) eine verstär
des lautgehaltes der vorhergehenden silbe (oder hier viel
bewahrung des älteren lautgehaltes) eingetreten wäre,
praeterita der übrigen klassen schwacher verba wären
durch analogie nachgezogen worden. Auch die starken ^
mögen später gefolgt sein; fälle, wo schwache und st
verba derselben klasse neben einander standen (z. b. rd/
können den Übergang erleichtert haben. Dazu kommt,
ich glaube, noch ein anderer umstand in betracht. Es
dem leser nicht entgangen sein, dass von den beispielen
2. pers. sing. ind. sehr viele nur t, nicht st besitzen: i
allen 37 fällen gehen nur 8 auf st aus; vgl. über diese
stossung des s Weinhold § 314. An dieses t tritt e scho
12. Jh., Weinhold ebenda. Durch diese Veränderung fiel
die 2. pers. sing, praet. der schwachen verba ganz mit
entsprechenden der starken verba zusammen, denn diese bi
im gi'ob bairisch-österreichischen die 2. pers. sing, praet
starken verbis aus dem conjunctivstamme des praeteri
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UEBER DEN GONJ. PRAET. IM BAIB.-ÖSTESR. 237
(also aus der mhd. normalen form) durch anhängung von t
oder d, Weinhold § 291. Unsere hs. zeigt diese formen sehr
reichlich, ja fast ausschliesslich, z.b. du gcebd 29 a, dinseprosiht
151b, du sprcechd 116a. 117b, du hulft 119a, du vertribd 78b,
du stigd 87 a, du flucht 20b, du sluegd 14b, du emphiengd 59 a,
Ueftu 69 a. Die identität dieser besonders charakteristischen
form musste das zusammenfallen der endung schwacher und
starker conjugation im praeteritum ungemein erleichtem.
Das aber ist es, was angenommen werden muss, wenn
man den heutigen conj. praet. (auch ind., vgl. Nagl s. 369 ff.)
als eine fortsetzung dieser alten mundartlichen reflexe der
schwachen praeterita auf ö verstehen will. Besondere
Schwierigkeiten sehe ich dabei nicht. Der inhärierende gut-
tural ist' verflüchtigt, ganz wie die endung der adjectiva auf
ht (Wilmanns, D. gramm. 2, 464 ff) in dem heutigen bair.-österr.
dialekte nur als -(a)d erscheint. Wenn aber die bildung -ad
jetzt auf den conjunctiv praeteriti beschränkt ist, so erklärt
sich das einmal daraus, dass der ind. praet. von der mundart
überhaupt gänzlich fallen gelassen wurde (vgl. Nagl a. a. o. —
unsere hs. gibt noch lat. perf. meistens durch das praet.
wider und kann somit, da sie fest datiert ist, als ein zeit-
licher fixpnnkt für die eliminierung des praeteritums dienen),
ein zusammengesetzter conj. perf. aber zu schwierig ge-
wesen wäre.
Die identität der heutigen endung -ad mit den -acht, -aht
der Grazer hs. wird dadurch nicht zweifelhaft, dass ich für
den guttural der alten formen keine sichere erklärung weiss.
Ist das ch, h nicht etwa überhaupt nur ein dehnungszeichen?
Bei ch ist das schwer zu glauben, aber in unserer hs. über-
wiegen von quinio zu quinio die h immer mehr. Sollte sich
der Schreiber allmählich überzeugt haben, dass er dem Cha-
rakter des lautes gemäss besser ä als cA zu setzen habe?
h zur dehnung ist in alten aufzeichnungen dieser mundart
nicht selten. Weinhold § 197. Und die vorkommenden praesens-
formen auf -aht sprechen gleichfalls für die blosse länge des
vocaJs der endung. Nur die berufung auf sonstige alte Zeug-
nisse oder auf den lebenden diaJekt kann meines erachtens die
frage entscheiden.
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238 SGHÖNBACH, UEBER DEN CONJ. PBAET. IM BAIR.-ÖSTERB.
Zum Schlüsse will ich nicht unbemerkt lassen, das
vorgeführten Beispiele der Grazer hs. auch verschie
färbungen der vocale vor ht aufweisen. Ich habe vergc
gestrebt, sie unter einheitliche gesichtspunkte zu brij
Einfluss des wurzelvocals lässt sich vermuten, aber i
erweisen, ebensowenig einfluss der function, an den man i
am ehesten denken möchte. Auch diesen punkt muss ich
vorläufig im dunkeln lassen.
GRAZ. ANTON E. SCHÖNBACtt
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EBER.
Vor kurzem hat Bemeker (IF.8,283f.) eine neue erklärung
von ahd. ebur zu geben versucht, indem er sich berechtigt fand,
das wort von lat aper und slav. vepri zu trennen. Er macht
übrigens wenig umstände, denn — lautet seine argumentation
— 'während bei ersterem vergleich der vocalismus Schwierig-
keiten macht, verbietet den letzteren einfach das v\
An erster stelle werde ich auf das slavische wort ein-
gehen, über dessen v Meillet (IF. 5, 332 f.) eine scharfsinnige
vermutring aufgestellt hat. Er hebt mit recht hervor, dass ein
M7-vorschlag im slavischen vor dunkeln vocalen keineswegs
unerhört ist, und erklärt veprl als eine contamination von
*«7öp7^ aus *opHf (vgl. lat. aper) und *jepn aus *6jwi (vgl.
ahd. ebur). Bei dieser auffassung wäre lett. vepris natürlich
als ein lehnwort aus dem slav. zu betrachten. Der «7-vorschlag
vor o (d. i. indog. a, o, d) scheint aber eine jüngere und einzel-
dialektische erscheinung zu sein, welche im allgemeinen auf
westslav. und russ. mundarten beschränkt ist. Aus Miklosich
habe ich mir die folgenden beispiele verzeichnet:
osorb. vohli, klruss. voUyj : aksl. oUü 'rund' (aus *obvlü,
vgl. lit. ap'Valüs);
wruss. vocet : aksl. ocitu 'essig' (got. aJceit);
osorb. vorcl : aksl. oceK 'stahl' (ahd. ecchil?);
czech. vodr : odr 'vorscheune'.
osorb. vopor : nsorb. hopor 'opfer' (ahd. opfar);
polab. vü^in, vü0n, osorb. voheA, nsorb. vogen : hogen, aksl.
offni 'feuer' (vgl. lit. ugnis, lat. ignis, aind. agn{-);
osorb. nsorb. vqjo, klruss. voje, czech. vüje : oje, südslav. oje
Cojes-, vgl gr. oläg und aind. Ishd, Lid6n, s. Brugmann, Grundr.
12,1091);
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240 UHLENBECK
polab. väfcüy osorb. voTco, nsorb. voTco : hoh)^ aksl. oko ^
(vgl. lat. oculus)\
polab. vülüv, välüv, osorb. nsorb. voloj, wniss. t?öfct?ö : ]
äVäv, aksl, olovo 'blei' (in den jungem dialekten auch 'z
vgl. über die etymologie Beitr. 22, 537);
osorb. voltar, klruss. völtar : oltar, aksl. olütart^Blta,T'
altäri);
osorb. vornan : russ. u.s.w. oman 'inula lielenium' (w
fremdwort);
polab. vöböräk, poln. «;^6ör, w^oreJc (apr. lehnwort tn
m) : aksl. '^gi>orü(ku), aruss. w&orwM 'eimer' (ahd. eimba)
czech. t;ow^' : oiwe;, slov. omej ^aconitum napellus' (vgl.
omi^g, rum. lehnwort omeag, welche auf *omqgu hinweise
osorb. vuda, poln. wqda, klruss. vudka, wruss. viAda :
qda 'hamus';
nsorb. vuZy poln. wq^S, ka§. voz, wruss. vuz : russ. w/,
*ai? ^schlänge' (vgl. lit. awflfw);
polab. vöföry osorb. vuhor, nsorb. «;Mgför, poln. w^gors :
ugort, aksl. *^gför^ 'aal' (vgl. apr. angurjis);
poln. wqgiely klruss. wruss. vwäöZ : aksL q^lü 'winkel'
stelle ich aind. dgra-, avest. ayra- 'spitze', das auf "^nglo zu
gehen kann);
polab. vö^ily osorb. vuhly poln. w^giel, klruss. vtihot :
QgU 'kohle' (vgl. lit. angUs und aind. angära-);
osorb. vuhra, poln. pl. wq,gry, w^gry, klruss. vuhor :
ugori, aksl. *g^gru, *q,gr( 'beule' u. dgl.;
polab. voSj poln. wq^ (apr. lehnwort wanso\ klruss. ^
«?W5, czech. vous : aksl. ^w 'flaum, bart' u. dgl. (ich vergl
aind. arnQÜ- 'faser, Stengel', av. qsu- 'schoss, Stengel);
poln. wqüy 'nicht dauerhaft' : aksl. qtlü 'durcUöche:
nsorb. vu^e 'junge ente', klruss. vut'a : aksl. qty 'ente'
lit. dntis)\
polab. vän, osorb. nsorb. von, klruss. von : aksL onü '
der' (vgl. lit. afis)]
osorb. vopica : aruss. ojjica 'äffe' (an. ape, ahd. a/fö);
osorb. nsorb. vopaJc : aksl. ojjofe), opdky 'retrorsum' (vgl,
dpäka)]
polab. värcU, osorb. vorac , nsorb. voroi : aksl. orati 'pfl
(vgl. lit. drtty,
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EBER. 241
polab. vüräl, osorb. vor öl : aksl. orilü 'adler' (vgl. lit.
arSlis);
polab. vüs, osorb. voska, klrass. v6^ : aksl. osü (vgl. lit.
osorb. voäirot : aksl. o^irttdä 'haue, hammer' u. dgl. (vgl.
apr. scurdis);
osorb. vosom, nsorb. vosym, mss. t?056w^ : aksl. osmX 'acht'
(vgl. lit ÖÄjw»flw);
osorb. nsorb. vosa : poln. osa, mss. os»»a 'espe' (vgl.
apr. abse)]
osorb. 1705^, nsorb. voset 'distel', russ. vostryj : ostryj, aksl.
05^»t* 'scharf' (vgl. lit. <«5;8r^rw5);
osorb. nsorb. vosol : aksl. osUü 'esel' (got. (mZw^);
osorb. nsorb. votora : mss. u.s.w. otava 'gmmmet'.
osorb. votruby, nsorb. votSuby^^ wmss. votrubi : aksl. ö^roW
*furfnr';
polab. vüt, klruss. t;<Jd : aksl. otu 'von' (vgl. lit. at-);
osorb. vofc, nsorb. voic 'vater', russ. votöina 'erbgut', votdim
'Schwiegervater' : aksl. otM 'vater';
polab. vüca, osorb. vovca, nsorb. vejca, klruss. vövca : aksl.
(mtca 'schaf (vgl. lit. avts);
polab. vüväs, vüjäs, osorb. vovs, klruss. v&oSuch : aksl. ovUsu
'hafer' (vgl. lat. avena)\
klruss. vosmyca 'darrhaus', czech. vozditi : ozditi 'darren'.
Im südslav. fehlt der «^-Vorschlag vor einfachem o (slov.
vol : öl 'bier' steht vereinzelt da) und nur in einem beson-
deren falle, nämlich vor q, (aus on) hat das slovenische (und
zum teil auch das bulgarische) ein anlautendes w entwickelt,
vgl. slov. vodica (pdica, aksl. qdicd)^ voz (aksl. *Qil\ vugor (ögor,
aksL *^5foH), vögel (aksl. Qglu)y vogel (aksl. QgK), vögrc (aksl.
*qgricf)y vos (aksl. ^), votel (aksl. (j^tlü). Für altslav. «;-pro-
these vor o ist kaum etwas anzuführen, denn auf vQgrinü neben
ogrinü darf man sich nicht berufen, weil es sein v von vugrinü
herübergenommen haben wird, und ebensowenig auf vq^aa (v^ati),
dessen v (w) wol nur in der Zusammensetzung mit sü-, u- laut-
gesetzlich entstanden ist (Bmgmann, Grundr. 1^, 943). Es bleibt,
soviel ich sehe, nur gemeinslav. vonja 'gemch' (vgl. aind. dniti)
übrig, das aber ohne weitere stütze die annähme einer alt-
oder gemeinslav. M?-prothese vor o nicht rechtfertigen kann
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXIV. \Q
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242 ÜHLENBfiCK
(vielleicht ist vonja aus *vu'Onja entstanden und hat es ur-
sprünglich 'einatmung' bedeutet). Im gegenteil: aksl. serb. russ.
poln. osa 'wespe' beweist uns, dass das urslavische, weit davon
entfernt vor o einen tr-vorschlag anzunehmen, vielmehr das
indog. w vor o verlieren konnte, vgl. lit. vapsä, ahd. wefsa, lat
vespa, bal. gvabif. Ob polab. väsa, osorb. vosa, nsorb. vos das
alte w erhalten haben (vgl. aksl. voda, voskü u.s.w.), oder ihr w
erst der einzeldialektischen prothese verdanken, ist nicht zu
entscheiden.
Wenn aber das anlautende o (d. L indog. a, o, 9) im alt-
slav. unverändert blieb, so fällt die an sich wahrscheinliche
hypothese Meillets, dass t^epHT durch eine contamination von
*vopr^ und *jepri entstanden sei, denn *opfi {*aprio-) hätte
kein gemeinslav. *vopH ergeben können. Wir werden mit
Bemeker das tv in vepri für indogermanisch halten müssen
und brauchen dann lett. vepris nicht mehr als ein lehnwort
aus dem slavischen zu betrachten. Dennoch trifft Bemekers
etymologie aksl. v^pri 'eher' : aind. vdpati 'wirft hin, streut
aus, sät' kaum das richtige, denn vap- ist doch eigentlich
'werfen', wie aus den bei Böhtlingk und Roth verzeichneten
stellen leicht zu ersehen ist (z. b. Ev. 2, 14, 6. 7, wo vap- für das
niederwerfen der feinde gebraucht wird). Der technische aus-
druck aJcshän vapati heisst doch nicht etwa *er sät die Würfel'!
Und das offenbar zu vap- gehörige vdpra- 'aufwurf, erdwall'
lässt sich ebenfalls nur begreifen, wenn man von der gmnd-
bedeutung 'werfen' ausgeht. Allem anschein nach ist vap-
erst im sonderleben des indischen ein wort für 'säen' geworden.
Nebenbei sei bemerkt, dass Bemekers ähnliche erklärung von
lit. Bzernas 'wilder eher' ebenso verfehlt ist: das wort kann
nicht zu aind. kshdrati gehören, weil dieses nach ausweis von
mind. jharaH, avest yiaärait% gr. (pd'BlQca auf eine grundform
mit anlautendem ^(fA hinweist und wir also lit i {gi\ nicht sm
zu erwarten hätten. Auch ahd. haran und ags. scearny an.
ska/tn, gr. cxAq (genit. oxaio^) dürfen nicht mit hsMraU ver-
bunden werden.
Auch sonst weiss ich keine indog. wurzel, wovon v^pri
abgeleitet sein kann — denn an aind. vdpaH 'scheert' ist
natürlich nicht zu denken — und so werden wir uns vorläufig
damit zufrieden geben müssen, dass vepfi 'eher' bedeutet^ also
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EBER. 243
gerade dasselbe wie ahd. ebur. Möglicherweise verhält vepri^
sich zu ebur wie aind. VTshabhä- zu rshabha- (s. Et. wb. der got
spräche s. v. wargipa\ d. L wir haben mit indog. doppelfomen
zu tun, welche sich wol am besten durch sandhi erklären lassen.
Aehnlicher weise gibt es Wörter mit und ohne inlautendes w
(vgl Feist, Beitr. 15, 548 ff.), welche man doch auch nicht gerne
von einander trennen wird.
Gehen wir zur besprechung des lat, wortes über, das nach
Berneker nicht mit ebur, sondern vielleicht mit aind. äp-
' Wasser' zu verbinden wäre (eine Vermutung, welche wir gerne
auf sich beruhen lassen). Steht aper dann nicht mit ebur in
einem gut beglaubigten ablautsverhältnis? Oder ist etwa lat.
pateo von gr. xBxavvvfii^ lat. saxum von secäre, lat. gradior
von got. grids, lat. labrum von ags. Upor zu trennen? Wir
bedürfen der Vermutung, dass aper sein a erst von caper be-
kommen habe (Fick 1^, 362), nicht im mindesten und können
getrost das Verhältnis von aper zu ebur als ein rein-lautliches
betrachten. Das verwerfen einer evidenten gleichung wie ahd.
ebur : lat. aper ist ein methodologischer fehler und wider-
streitet den principien einer Wissenschaft, welche ausschliess-
lich auf evidenten gleichungen beruht.
Und jetzt ebur selbst. Nach den vorhergehenden aus-
führungen stehe ich nicht an, jede etymologie, welche ebur
auf eine i-wurzel zurückführen will, von vornherein als ver-
fehlt zu betrachten, weil sie der unleugbaren verwantschaft
mit lat. aper und dem wahrscheinlichen Zusammenhang mit
aksl. vepri keine rechnung trägt. Darum ist Bemekers er-
klärung von ebur aus indog. *ibhoro- zu aind. yabh-, slav. je6-
^begatten' unbedingt abzuweisen, und das um so eher, wenn
die letztgenannte wurzel in der Ursprache ein spirantisches j
gehabt hat, was mir auf grund von gr. ^iq>vQog, dem namen
des feuchten und befruchtenden Westwindes, in hohem grade
wahrscheinlich ist (Odyss. 7, 118 t dXla /laX' aUl Z6g>vQlf]
xvelovoa xa (ikv q)V€i, aXXa öh nioosi). Also C^iqivQO^ : ydbhati
= ^'^ov : yugdm. Natürlich ist bei dieser auffassung von
tfobh- das synonyme gr. olqxo, olg)iio ferne zu halten.
Eine etymologie von ahd. ebur, ags. eofor (an. jgfurr) :
lat. aper, umbr. abro- : aksL vepr(, lett. vepris zu geben, bin
ich nicht im stände. Schade 123 denkt an die wurzel *Sp'
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244 UHLEKBECK, EBER.
in an. afl u. s. w., welche aber nirgends ein «? im anlaut zeigt
und uns deshalb bei der erklärung von aksl. vepriy lett. vepris
und von ahd. ebur im stich lässt. Wahrscheinlich haben wir
bei ebuTy aper, vepri von *wep- auszugehen, denn dass die formen
ohne anlautendes w erst dui'ch indog. sandhi aus den mit u?
anlautenden hervorgegangen sind, bedarf kaum des beweises.
Zum Schlüsse noch einige fragen über ein anderes wort,
das lautliche Schwierigkeiten macht. Steht got. stiur, avest.
staoror nicht in demselben Verhältnis zu an. ^orr wie got.
stautan zu aind. ttiddti, an deren Zusammengehörigkeit niemand
zweifelt? Führt Jgörr uns nicht zu gr. ravQog, lat taurus
U.S.W. hinüber, wenn wir nur annehmen wollen, dass germ. eu
und gr. lat. au mit einander ablauten wie in got. stiurjan :
gr. aravQog, lat re-staurare. Und wird am ende gall. tarvos
nicht irgendwie mit stiur und staora-, mit fj^''^ ^^^ xavQog
verwant sein? Wörter wie stier und eher lehren uns, wie
wenig wir noch von der indog. lautlehre wissen-
AMSTERDAM, februar 1898. C. C. UHLENBECK.
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ZUM ALTENGLISCHEN BOETIUS.
Bei Bosworth- Toller findet man s. 1086 ein }ys 'storm'
angesetzt, das Toller mit an. J^ss ^nproar, tumult' vergleicht.
Er bringt dafür nur einen einzigen beleg und zwar aus dem
20. cap. der aengl. Boetiusübersetzung. Die stelle lautet bei
Fox s. 72, 4: Ac seo orsorhnes ^oefi scyrmaslum swa fices toindes
yst, *) doch aus der anmerkung erfahren wir, dass yst in keiner
hs. steht, sondern nur eine conjectur von Cardale ist, indem
Ms. Cotton^) swaj^asr windes J>ys und Ms. Bodl. swcefer toindes
l>ys hätten. Ein blick in Ms. Bodley 180 zeigte mir indessen,
dass diese hs. nicht J>ys, sondern ganz deutlich ffyf hat. Die
Juniussche abschrift hat natürlich ebenfalls Öyf, Da nun Ju-
nius die abweichenden lesarten der Cottonhs. am rande notiert,
zu dieser stelle aber nichts bemerkt, so ist anzunehmen, dass
auch Otho A. VI äyf hatte. Leider fehlt das wort jetzt in der
Cottonhs., indem an dieser stelle der rand abgebröckelt ist. 3)
Jedenfalls aber entbehrt die Fox'sche lesart fiys jeder hand-
schriftlichen autorität, und dieses wort ist demnach aus den
lexicis zu streichen.
Bei der erklärung unserer stelle haben wir nunmehr von
&yf auszugehen, und ich meine, sie lässt sich am ungezwungen-
sten erklären, wenn man annimmt, dass in der urhs. pyf
1) Das lat. original lautet: tüäm (d. h. pro^eram farttmam) Videos
ventosam fiuentem. ,
^ Von der aengl. Boetinsttbersetzimg gibt es bekanntlich zwei alte
bss. : 1. die Cottonsche hs. Otho A. VI, die dnrch den brand der Cottoniana
stark gelitten hat, 2. Ms. Bodley 180. Diese letztere hs. schrieb Jnnius ab,
gab aber auch die yarianten aus der Cottonhs. Seine abschrift wird als
ms. Junius 12 in der Bodleiana aufbewahrt.
*) Nach einer freundlichen mitteilung des herm W. J. Sedgefield, von
dem wir bald eine ausgäbe der aengl. Boetiusübersetzung erwarten dürfen.
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246 NAPIEB, ZUM AENGL. BOETIÜS.
i=pyff, ^Kpuff) gestanden habe: aus diesem konnte
ein nachlässiger abschreiber ]>yf machen, das unter der
eines zweiten abschreibers leicht zu Öyf werden konnte
bin zwar nicht im stände ein aengl. Substantiv pyff anc
zu belegen, doch war es nachweislich frühmengL im geb
vgl. Ancren Riwle s. 122, 17 a windes puf\ und auf da
handensein eines aengl. verbums pyffan habe ich ben
der Academy, 7. mai 1892, s. 447 hingewiesen. >) Ein \
pyff passt für diese stelle vorzüglich.
OXFORD, 13. juU 1898. AETHÜE S. NAPIE
AENGL. SET^L, SETEL 'ZAHL'.
Neben westsächs. getceP) (g. gelceles u.s.w., pl. n. acc.,
muss es im spätwestsächs. eine form ^etel mit durchgehei
(g. ^eteles u.s. w., pl. n. acc. getel ohne endung) gegeben
Den beweis dafür dürften die folgenden beispiele liefer
denen auch hervorgeht, dass namentlich ^Ifric die e-1
gebraucht hat.
1. Belege für (»(a)- formen:
Nom. acc. sg. ^etcel Wright-Wülker 43, 39 (Corp. GIL;
1420. Exod. 229. 234. Beda ed. Müler 344, 34. 464, 24.
14,21. Anglia 8, 302, 34 u.s.w. (ich habe aus dem doi
geteilten stück 22 beispiele notiert). WW. 366, 10. 11.
g. ^etceles Cockayne, Narratiunculse s.33 ff. (11 mal).
8,302,42. Ae. Chronik z. j. 973 (Ms.C); fetales SaL38.
doms 2, 284, 22. Cockayne, Narrat 36, 28.
^) Zu dem einzigen ans Techmers Internationaler ss. 2, 121 <
geführten beleg kann ich jetzt ans meinem demnächst erscheinende
aengl. glossen folgende hinzufügen : 1, 1886 ^piranUs = piffendes {
fda. 9, 450). 1, 4981 excUauit = ut apyfU (vgl. Zs. fda. 9, 519). 18, 42
==pyfte.
') Im nordh. galt die form tal (Lindisf. nnd Bnshw. Gospels, \
Bitnal), das sein a wol dem verbum (je)ta2t;^a oder dem an. to^ V!
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AS. GETJEL, GBTEL. 247
d. ^etcBle AngKa 8, 304, 40 u. s. w. (6 mal). Deut. 32, 8. WW.
418,36; fetale Deut, 1,1h Thorpe, Ancient Laws 1, 86, 1. Cod.
Dipl. 4, 116. Menologimn 63.
Nom. acc. pl. ^etalu «) WW. 176, 25. 429, 27.
^^etalum Gen. 1688. WW.431,18.
2. Belege für c-formen:
Nom. acc. sg. ^etel Gen. 2755. WW. 250, 42. Exod. 5, 18. Ass-
mann, Ags.homilien 43, 477 (iElfric). iElfrics Grammatik 2) 9,21.
25, 16 n.s.w. (ich habe ca. 45 fälle notiert). ^Elfr. Hom. ed.
Thorpe 1,32, 26. 188,35. 190,11.338,27. 536 (5mal). Ae.Chron.
z.j. 1014(Mss.C,D).
g.^eteles MiT.Gv.13,8, 83,9. 108,19. 110,3.5. 135,14.
Aßsmann 45, 528 ( JElfr.). Ae. Chron. z. j. 973 (Mss. Parker und B).
A.^eteU ^Ifr. Hom. 1, 102, 33. 190,1. 2,222,3. 586,32.
^Ifr. Gramm. 13, 10 u.s. w. (26 mal). Num. 15, 34. Anglia 8, 299, 13.
318,23. WW. 251,1.
Nom. acc. pl. ^etel MMt. Gr. 83, 7. 126, 13. 283, 8. 286, 16.
296, 13 und vielleicht 13, 19. 232, 6. 280, 18 (die letztgenannten
können aber auch sing. sein).
d. ^etelum Mir. Gr. 134, 3. 286, 12.
Da die hss., welche e-formen aufweisen, das e und ce sonst
nicht verwechseln, so setzen die angeführten beispiele die exi-
stenz eines ^etel neben dem normalem ^etcel für das spätere
westsächs. ganz ausser zweifei.
Abgesehen aber von dem wurzelvocal unterscheiden sich
die beiden formen auch ferner dadurch, dass erstere im nom.
acc. pl. ^etel (ohne endung),») letztere das regelrechte ^etalu
hat. Da nun aber ^Ifric kurz- und langstämmige neutra sonst
nie verwechselt,^) sondern bei ersteren den pL auf -u bildet,
1) Nom. acc. pl. lautet im noidh. tcUo,, vgl. Cook, Glossaiy of the Cid
North. Gospels.
*) Was die beispiele aus ^Ifrics Grammatik anbelangt, so mnss er-
wähnt werden, dass, während die grosse mehrzahl der hss. stets e schreiben,
ein paar hss., F, I und gegen den schluss des werkes H, dieses e consequent
dnrch es ersetzen. Doch ist es klar, dass ^IfHc selbst die e -formen
brauchte.
*) SftnuntUche hss. der Grammatik stimmen in der endungslosen form
aberein.
*) Auch wo die ganz späte yerwechseltmg stattfand, ergab sie formen
^e wordu (mit -u), nicht umgekehrt pluralformen wie *hof.
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248 NAPIEB, AE. GET^L, GETEL.
bei letzteren die endungslose form hat, so folgt daraus,
zu iElfrics zeit der wurzelvocal von ^etel lang war. Da
aber femer angesichts des relativ späten vorkommen
6-formen wol kaum berechtigt ist, eine ablautsform ^ei
"^^atüli anzusetzen, so bleibt als einzige mögUchkeit di
nähme einer aengl. dehnung. Gteht man von einem se(ii
e *) statt ä durch einfluss des vb. tellan) aus, so bekomm
mit dehnung im nom. acc. sg. ^etel — ebenso wie wel ai
(vgl. Sweet, Hist. of Engl. Sounds §§ 388. 389). Das la:
drang dann in die obliquen casus ein, daher ^eteles \
statt des zu erwartenden ^etHes; dazu bildete man
natürlich den nom. acc. pl. ^etel statt *^eMu. Bei hc
U.S.W. dagegen, wo eine ähnliche dehnung im nom. ac
stattgefunden zu haben scheint, blieb die länge auf diese
beschränkt und erstreckte sich nicht auf die anderen (
daher höfes, pl. höfu.
Sollte diese erklärung das richtige getroffen habe
liefert sie eine ganz unabhängige bestätigung der aengl.
nung einsilbiger Wörter auf einfachen consonanten.
0 Dieses e kann nicht direct im snbst. durch omlant hervorgc
worden sein, da man dann *^etele (t-stamm) oder *get€U (Ja-st) er
müsste.
OXFORD, 13. juli 1898. ARTHUR S. NAPIE
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Berichtignilgen.
S. 25, 12 ^^ u. lies sicher statt nicht. — 31, 9 v. u. l. der dichter st. er.
— 40, 1 tilge also. — 56, 9 v. u, l wichtigsten jener Wörter. — 63, 9 /. ihn.
- 70, 17 /. (8 = 1000). - 73, 4 /. - Ä. - 75, 10 v. «. |. ^ Ä. — 78, 13 l.
L'anfes Gerairs et Gaie s'an ... — 80, 2 r. ti. l Fritzschs. — 82, 10
r. u. l. choralis, 10. anfl.
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Max Niemeyer, Verlagsbnchhandlnng, Halle a. i
Philologische Studier
Festgabe für Eduard Sievere zum 1. Oktober
1896. gr. 8. VI und 441 8. M. 12,00.
Seh rader, 0., Etymologfiseli- kulturhistorisches.
Hempl, (reorge, Wimmers runenlehre.
Cook, Albert S., Bemerkungen zu Cynewnlfe Crist.
Holthausen, F., Zur textkritik der York Plays.
Haie, Edward E., Ueber eine zweifelhafte ausnähme der frühmi
von a, 6, 0 in oifenen silben.
Voretzsch, Garl, Das Merowingerepos und die fränkische held
Burchardi, G., Der nominativ pluralis der a-deklination im Althocl
K auf f mann, Fr., Das Hildebrandslied.
Saran, F., Zur metrik Otfrids von Weissenburg.
Panzer, Fr., Personennamen aus dem höfischen epos in Baiem.
Kern, J. H., Zur spräche Veldekes.
Rosenhagen, G., Die episode vom raube der königin in Hartmi
Wechssler, Eduard, Zur beantwortung der frage nach den cj
Wolframs Parzival.
Elster, Ernstj Das Verhältnis des Lorengel zu Lohengrin.
Mettin, W., Die ältesten deutschen pilgferlieder.
Kautzsch, R., Notiz über einige elsässische bilderhandschriftc
ersten viertel des 15. Jahrhunderts.
Karsten, Gustav E., Fauststudien.
Leitzmann,A., Die widmung von Georg Forsters 'Ansichten vom X
Stickelberger, H., Die deminutiva m der Bemer mundart.
Scheiner, Ä., Die siebenbürgische vokalkürzung.
"NVittstock, 0., Ueber den schwerttanz der Siebenbürger Sachse
Bohnenberger, K., Zu den fiumamen.
Kehrbach, Karl, Deutsche spräche und litteratur am Philan
Dessau (1575 bis 1793).
Meier, John, Eine populäre Synonymik des 16. Jahrhunderts.
Abhandlungen .
zur
germanischen Philologi
Festgabe für Richard Heinzel.
1898. gr. 8. M. 14,00.
Daraus sind in Sonderabzug erschienen:
Detter, F., Die Lansavisur d. Egilssaga. Beitr. zn ihrer Erklftmi^
Jellinek, M. H., Ein Kapitel aus der Gesch. der deutschen Gram^
Kraus, C, Das sog. 2. Büchlein und die Werke Hartmanns von Ai
Meringer, R., Etymologien zum geflochtenen Haus.
Much, R., Der germanische Himmelsgott.
Seemüller, J., Studie z. d. Ursprüngen d. altdeutschen Historiograi
Singer, S., Bemerkungen zn Woltrams Parzival.
Zwierzina, K., Beobachtungen zum Reimgebrauch Hartmaniu i
^'«"'*"''- .Google
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BEITRÄGE
ZÜB
GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR.
^^N^^'-
^
f.lft/ i9 1899
n
^^, UNTER MITWIRKUNG VON
HERMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HERAUSGEGEBEN
VON
EDUARD SIEYERS.
XXIV. BAND, 2. HEFT.
HALLE A. S.
MAX NIEMEYER
77/76 GR. STBINSTRASSE
1899
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IHe herren mitarbeiter werden gebeten, zu ihren manaßcnpten
INHALT.
Soitt
lieber die vom dichter des Anegenge benutzten quellen. Von
V. Teuber ' . . 247
Dos Verhältnis der frauenmonologe in den l3Tischen nnd epischen
deutschen dichtnngen des 12. und angehenden 13. Jahrhunderts.
Von E. Lesser 361
Ags. hnesce. Von E. Sievers 383
Textkritische bemerkungen. 1. Zum Erec. 2. Zum Iwein. 3. Zum
Armen Heinrich. Von G. Ehrismann 384
Beiträge zum nihd. Wortschatz. Von demselben 392
Zur geschieh te von oder. Von W. Hörn 403
Miscellen. Von A. Gebhardt , 406
(I. Zu Wolfram: S.406. — H. Brausch: S.409. — HI. An.
vcmngjar: S.411. — IV. Völuspaö, 1-4: S.412.
Ein Schlusswort zu Cederschiölds ausgäbe der Bevis saga. Von
E. Kölbing 414
Erwiderung. Von C. Cederschiöld 420
Eine berichtigung. Von J. Meier 424
Zur nachricht!
Ks wird gebeten, alle aiif die redaction der 'Beiträge' bezüg-
lichen Zuschriften und Sendungen an Professor Dr. E. Sievers
in Leipzig-Gohlis (Tunierstrasse 20) zu richten.
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r
R DIE VOM DlCffRElTDES ANEGENGE
BENUETZTEN QUELLEN.
einem kleinen bruchstficke des Anegenge, mit dem
ler vier töchter gottes' — s. unten — hat sich R.
Zs. fda. 17, 1 ff. beschäftigt. Er sucht nachzuweisen,
;e partie in einer predigt des hl. Bemard ihre quelle
Lusffihrlicher beschäftigt sich mit den quellen des
; E. Schröder in seiner schrift: Das Anegenge. Eine
istorische Untersuchung (QF. 44), Strassburg 1881. Er
Verhältnis desselben zur Bibel und zu den verschie-
mmentaren der hl. schrift behandelt. Auch auf die
le Literatur, welche der Verfasser des Anegenge benützt
5nnte, weist er hin, ohne jedoch ein bestimmtes buch
be quelle namhaft zu machen. Dass Honorius Augusto-
dem gedichte den Stempel seines geistes aufgedrückt
t ein iiTtum: das deutsche gedieht erinnert nur des-
achmal an die werke dieses abschreibers, weil er die-
aellen benützt hat, die auch dem Verfasser des Ane-
)rlagen. Uebereinstimmungen mit anderen deutschen
1 sind gleichfalls auf eine gemeinsame lateinische
arückzuführen. Kelle, der in seiner Geschichte der
tt litteratur von der ältesten zeit bis zum 13. jh. bd. 2
896) s. 141 ff. eingehend von den quellen des Anegenge
lind zeigt, dass das deutsche gedieht nach Inhalt und
[i Hugo von St. Victor — Summa sententiarum und
amentis — abhängig ist, bemerkt s. 353 in einer
Dg zu s. 151, dass es der räum nicht gestatte, diese
;keit im einzelnen daraulegen. Diese ins einzelne
darlegung soll nun auf den folgenden blättern geliefert
zur geschicbte der deutschen spräche. XXIV. 17
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250 I^ÜBKR
Wie der priester sein gebet, in welchem er die g
nisse der hl. religion feiert, mit den worten des Psalmes
domine labia mea aperies beginnt, so auch unser dicht4
ja in seinem gedichte auch die grössten geheinmisse des
liehen glaubens feiern will. 1, 2—8 ») bittet er gott um
beistand zu der schwierigen aufgäbe, die er unternehme
1,9 — 16 bedient er sich eines biblischen Vergleiches i
schluss anNum. 22, 28: aperuitque dominus os (isinae et
est: quid feci tibi? cur percutis me? ecce tarn tertio. We
dichter sagt: dMZ si ir mmster tcete chunt, daa er nicht
solde, so stimmt das mit der bibel nicht überein; dei
eselin gibt durch ihr abweichen vom wege (ib. v. 23
se de itinere)j durch ihr andrücken an die mauer (v. 25
se parieti) u.s.w. kund, dass sie den weg nicht gehei
die eigentliche belehrung des propheten Balaam geschiel
durch den engel, den er früher nicht gesehen hat Die
ist also frei citiert und frei angewendet. Warum der c
so innig um beistand fleht, sagt er im folgenden 1, 17 — 5
er einen kleinen, keineswegs erschöpfenden überblick ü1
folgende darstellung gibt, um 1, 27 ff. ^peciell auf die er
als das vorzüglichste werk der gottheit hinzuweisen,
bevor er beginnt, ruft er gott nochmals um seinen bc
an und bedient sich hierbei abermals eines biblische]
gleiches: 1, 37 ff. Für v. 40—42 ist Lev. 9, 14 heranzua
non fMÜedices surdo, nee coram cclcco pones offendiculum;
daz in der vasten solde ist dem sinne nach aus der stell
lehnt, welche zu v. 44 — 47 als quelle gedient hat: si quii
uerit dstemam, et foderit, et non operuerit eam, cecidt
bos aut asinus in eam. Beddet dominus cistemae pretium i
torum (Ex. 21, 33. 34). Der sinn dieses letzten verses i
den beschädigten blinden mit den worten: v.43 das
vasten solde angewendet. Im folgenden (1, 48—69 und 2, :
richtet sich der dichter gegen die tumbcn und ermah
nicht £fe tieffe nachzudenken; 2) er bringt eine ziemlich
anzahl von punkten, über welche die tumben nicht nachd
0 Ich eitlere nach Hahn, Gedichte des 12. und 13. jh.'B, 1840.
^) Es wäre möglich, dass der dichter hierbei Ecclns. 3, 22 fif. i
hatte : altiora te ne quctesieris, et fortiora te ne scniteris ... J
entm tibi necessarium ea, quae äbscondita sunt, videre öculis.
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QUELLEN DES ANBGENGE. ^51
m sich nicht zu 'ertränken', gibt aber damit zugleich
ügsten punkte an, die er in seiner späteren darstellung
ch behandelt: ja man könnte sagen von 1, 60 — 69 bis
ist der hauptinhalt des ganzen gedichtes niedergelegt,
tnken wriche hier ausgesprochen sind, sind ganz all-
Sätze, welche dem dichter aus seinem f;heologischen
n die feder flössen, gedanken über gott, über die
g, über den fall der engel und des menschen, über
ung und heiligung des menschen, über die ungetauften
- die übrigens chronologisch sehr gut geordnet sind
^nken, wie sie dem dichter aus der hl. schrift und den
gekannt sein mussten.
der dichter endlich nach einer ziemlich langen ein-
nit der eigentlichen behandlung seines themas beginnt,
wir sofort eine für ihn sehr ausgiebige quelle nach-
Hugo von St. Victor, De sacramentis und Sununa sen-
n (Migne, Patrologia latina 1. 176). 2, 20—22 ist näm-
nommen aus Hugos Dialogus de sacramentis legis
; et scriptae, wo gleichfalls mit der frage begonnen
). ; quid fuit priusquam mündig fieret? M.: solus deus,
fuit cum nihil esset praeter ipsum? M,: ubi modo;
\ der dichter die doppelfrage zusammenzieht und nun
5 direct antwortet. Dazu stimmt Hugo t. 2, 18: D.:
nodo? M.: in semetipso est, et omnia in ipso sunt et
in Omnibus,
verse 2, 27 ff.: owe wie sanfte er enbceit dirre werlde
te geben den inhalt einer stelle bei Hugo t. 2, c. 21. 22
ieus ita ab aeterno in se et per se beatus fuit, ut eius
t beatitudo, quia aetema et incommutabilis erat, non
mui, et quia plena et perfecta fuit, non posset augeri
itur indigens . . .
len folgenden versen 2, 29 f.: ob dem abgrunde was sein
er gotes geeist da swebte denkt der dichter wol zu-
kU Gen. 1,2: terra autem inanis et vacua, et tenebrae
per fadem terrae: et sptritus dei ferebatur super aqtuis,
n nicht Augustinus, De genesi contra Manich. c. 5 be-
hat, der da sagt: non enim per spatia locorum super-
^ aqu<ie ille Spiritus . . . sed per potentiam invisibilis
itis suae,
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252 TEUBER
2,31—41 ist, wenn auch nicht wörtlich, doch in
aus Hugo t. 2, c. 21. 22 entnommen: M,: deus, qui sutn
verum perfectumque bonum est, ita ab aeterno in se e\
beatus fmt, ut eins gloria et beatitudOy quia aetema in
mutabilis erat, non passet 'minuV et quia plena et ,
fuerat, nan passet 'augeri\ Nulla igitur indigens, sed
quad ipse erat et quo beatus erat, cum aliis participare
in illo et per illud beatißcare volens, nulla necessitate, .
charitate creavit ratianalem creaturam . . . Dieser passi
igitur indigens führte den dichter dazu, die abhängigt
Schöpfung von gott und die Unabhängigkeit des schöpf
den geschöpfen zu betonen. Für v. 40 und 41 ist Hu
c. 20, c heranzuziehen: D.; quare novissime factus est
M,: quia hämo universal creaturas praeficiendus fuit, ca\
erat, ut prius mansio eius pra,epararetur, postmodum i
dinatis omnibus quasi possessor et rector introduceretur ti
terrcm^m,
2, 42—44. Hugo spricht t. 2, c. 19 auch von der (
fung des lichtes: D.; quae formatio facta est prima di
lux facta est prima die, natürlich im anschluss an Gi
dixitque deus: fiat lux. Et facta est lux. Der ansieht,
ie vinster gewunne entgegenzutreten, darüber belehrte d
fasser des Anegenge Augustinus, der schreibt: et vid
lucem, quia bona est. Dicunt enim: 'ergo non novert
lucem, aut non noverat bonum*.
2, 45 — 48. Dazu stimmt wider Hugo (De sacrauL,
1. c. s. 20) D.: quae formatio facta est die quarta? M.
na/ria condita sunt in coelo, i. e. sol et hina et stellae, ut l
super terram et illuminarent illam.
Wie der dichter schon 2, 43 f. der irrigen meinui
gegengetreten war, es könnte für gott je eine finstemis e:
haben, so tritt er im folgenden abermals einer irrigen m
diesmal über den beweggi'und der Schöpfung und ül
erhaltung derselben entgegen. Und wie er dort durch
stinus angeregt wurde, so geschah es auch hier: 2,^
Augustinus, De Genesi ad literam c. 7, no. 13, s. 151 sagt
dings nur vom hl. geiste redend: an quoniam egenus al
dignus amor ita diligit, subidatur; propterea cum commen
Spiritus dei, in quo sancta eius benevoleniia dilectioque
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QUELLEN DES ANBGENGE. 253
\perfern dictus est, ne facienda opera sua 'per indigen-
'rssitatem* potius quam per ahtmdanttam beneficentiae
lare putaretur? . . . Ct*m ergo sie oporteret insinuari
dei, ut superferri diceretur, commodias factum est, ut
sinuaretur aliquid inchoatum, cui superferri diceretur;
n loco, 'sed omnia superante et praeceUente potentia\
yerse 2, 57—59 bilden den fibergang zu der folgenden
ing von der erschaffong und dem falle der engel, was
2, 22 andeutet und s. 83 ff. weiter ausführt. Aber bei
icht zu verkennenden Weitläufigkeit kann der dichter
licht vei-sagen (2, 60—68) nochmals an die getoalt und
fottes, die er schon vor der Schöpfung besessen, zu er-
illerdings auch hier im anschlusse an die bereits citierte
IS Hugo, De sacram., t. 2, 21 f.
L kommt er zur erschaffung der engel selbst, 2, 69—78.
t Hugo die gedanken hergegeben; denn De sacram. c.22
er: nulh igitur indigens, sed bonum quod ipse erat
eatus erat, cum aliis participare et alias in iUo et per
tificare volens, nuUa necessitate, sed sola charitate creavit
m^ creaturam, id est Spiritus rationales, iussiique ut ipsi
in sua puritate persisterent, und unter diesen Spiritus
» meint eben Hugo, wie der context ergibt, die engel.
) — 3, 1 folgt der dichter seinem gewährsmann Hugo
ilben stelle weiter: iUis vero, qui in stM purit<ite per-
fuerant, mansionem in coeh collocavit ...et illos per
Ham in summa confirmaret ... Et sicut exceUentiam
infirmitate corporalis natura^ coniunocerat una creaUonis
ita 'humüitatem^ creaiurae spiritualis, excellentiae crea-
iare debuerat una pietaiis dignatio. Fttr die verse 79
3t der Tractatus de creatione et statu angelicae naturae
inzuziehen, wo gefragt wird, ob die engel im anfang
schlecht, gerecht oder ungerecht u.s.w. gewesen seien,
iesslich gesagt ist: est enim omnis virtus meritum, et
ritum ex 'libero arbitrio' und das ist das frei ir gemute,
jr dichter es widergibt.
folgenden geht nun der dichter auf die sache näher
sucht uns das frei gemute und den grund, warum der
den engein ein solches verliehen habe, näher zu er-
3,2—25: Hugo von St Victor hat den in der patris-
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254 TEÜBBB
tischen literatur namentlich von Augustinus sehr ausführlich
besprochenen passus über das liberum arbitrium (vgl. Augustinus,
De gratia et libero arbitrio) nicht fibergangen und auch bei
der lehre von den engein darüber gehandelt. T.2, 85 A heisst
es: et boni (sc. angelt) non necessitate cogente, sed libera volun-
täte a mala abstinent; similiter et maU a bona . . . Boni angeli
possunt peccare ex sua natura, i, e, eorwn natura ad hoc non
repugnat, nee tarnen concedendum est, boni angeli possunt pec-
care, id est gratia, per quam sunt confimiati, ad hoc repugnat,
Augustinus sagt hierüber De civitate dei lib. 22, c. 1, no. 2: gut
liberum arbitrium eidem intellectuali naturae tribuit täte, ut si
vellet desereret deum, beatitudinem sdlicet suam continuo miseria
secutura. Qui cum 'praesciret' angelos quosdam per elationem,
qua ipsi sibi ad beatam vitam sufßcere vellent, tanti boni de-
sertores futuros, n^n eis ademit hanc potestatem, potentius et
melius iudica/ns etiam de malis bene facere, quam mala esse non
sinere . . . qui casum angehrum voluntarium iustissima poena
sempiterna infelicitatis obstrinxit, atque in eo summo bona per-
manentibus ca>eteris, ut de sua sine fine permansione certi esseni,
tamquam ipsius praemium permansionis dedit. Nimmt man nach
Augustinus De vera religione c. 14, no. 27 hinzu: tales enim servos
suos meliores esse deus iudicavit, si ei servirent 'liberaiiter':
quod nuUo ^nodo fieri possent, si non voluntate, sed necessitate
servirent, so wird man sagen müssen, dass für diese stelle
unseres gedichtes, die wol durch Hugo veranlasst ist, Augu-
stinus als quelle gedient habe.
Für seine darstellung bringt nun der dichter ein praktisches
beisplel: 3,26—34. So originell dasselbe zu sein scheint, so
sehr man versucht ist zu glauben, der dichter hätte es aus
der unmittelbaren anschauung des praktischen lebens heraus-
gegriffen und poetisch verwertet; es ist doch nicht des dichters
eigentum, sondern im Ecclus. 7. 22 f. vorgebildet, wo es heisst:
non laedas servum in veritate operantem, neque mercenarium
dantem animam suam, Servus sensatus sit tibi dilectus, quasi
anima tua, non defraudes illum libertate neque inopem dere-
linqu4is illum.
Nachdem der dichter bereits 2, 40 ff. von der sch5pfung
gesprochen, geht er in der folgenden partie seines gedichtes
auf dieselbe etwas näher ein, ohne die Sache jedoch ganz zu
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QUELLEN DES ANEGENGE. 255
i: 3, 35 — 45. An dieser stelle hat der dichter mehrere
)enatzt. Zunächst wider Hngo, der sie veranlasst und
en teil des materials geboten hat T.2, 79C heisst
cafhoUca unum principium credit esse omnium rerutn,
licet euius 'bonitas' omnium rerum causa fuit. Bei der
lg der geschaffenen dinge f&llt ihm Gen. 1, 1 ein: in
creavit deus 'coelum et terram' ... 3: dixitque deus:
, et facta est lux\ Ganz treffend sagt der dichter
icts was sein erste stimme, die got ie gesprack. Denn
msere biblischen offenbarungsberichte reichen, wird
sächlich der zeit nach hier das erstemal redend ein-
Dass gott daz Heckt werden hiez und die enget darinne
unserem dichter Hugo (t 2, 81 C) aus Augustinus: unde
\us exponit ita locum illum: 'in principio creavit deus
t terram; coelum i. e. angehs' (frei citiert nach Aug.,
si ad lit. c. 9, no. 15, s. 252). Hier ist aber vom coelum,
u Hecht die rede, wenn auch die auffassung des dichters
* leicht daraus ergeben konnte; die für unsem dichter
^nde stelle steht wol bei Augustinus, De Genesi ad lit.
perl, C.5, no. 21: et fortasse quod quaerunt homines,
mgeli facti sunt, ipsi significantur hac luce, brevissime
sed tarn convenientissime et decentissime; und an einer
stelle heisst es: et facta est lux, id est angelica et
sübstantia in se temporaliter; sicut erat in sapientia,
ad eius incommutabilitatem aetemcditer
3,46—53 hat Hugo t.2, 79C die gedanken geboten:
i summe honus et perfecte beatus aetemaliter esset,
^iqtws esse participes stMe beatitudinis. Et quia non
\is beatitudo participari nisi per intellectum, et quanto
'eUigitur tanto magis habetur; fecit rationalem creaturam
jeret, inteUigendo amaret, amando possideret, possidendo
V. 51—53 ist Gen. 1, 1 — 23 (das bäch, wie der dichter
) die quelle gewesen, deren inhalt er in diese drei
sammendrängt. Dass er sagt der heilige Girist habe
schaffen, darf uns nicht wunder nehmen, denn der
ker kannte wol die worte des Johannes (Ev. 1, 1 ff.)
pio erat verbum, et verbum erat apud deum; , . . omnia
n facta sunt, und unter diesem verbum versteht ja
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256 TEUfiER
der evangelist niemand anderen als Christus. Zweitens be-
tonen die Väter und an ihrer spitze Augustinus, i) dem auch
Hugo folgt, immer und immer wider, dass der vater alles
durch den söhn wirke. Drittens ist es für den in der mittel-
hochdeutschen literatur nur halbwegs bewanderten gar nichts
besonderes, der Jumlige Christ für got überhaupt geschrieben
zu finden.
Auffallend mag uns erscheinen, dass der dichter sagt, der
hanlige Christ habe alles in fünf tagen geschaffen, und dass er
sich dabei noch auf die hl. schritt als quelle beruft, wo doch
(Gen. 1, 24) erzählt wird, dass gott auch am sechsten tage
noch verschiedene tiere geschaffen habe. Ein lapsus memonae
kann das wol kaum sein, also muss ein anderer grund vor-
liegen, und dieser dürfte der sein: wenn der dichter den
sechsten schöpfungstag für die Schöpfung des menschen ganz
in ansprach nahm, so wollte er dadurch die hohe würde des
menschen, gegenüber welcher der später geschilderte fall des-
selben um so bedauerlicher und erschütternder hervortreten
sollte, ganz besonders betonen. Daher sagt er 3, 54 f.: an dem
sehsten er den man geschüf unt auch sumlichiu tyer. Und wenn
er auch hier die tyer erwähnt, so erscheint unsere behauptung
gegenüber jenen fünf tagen trotzdem gerechtfertigt; es scheint
ilim dieser vers 55 mehr unbewusst in die feder geflossen zu
sein; denn sonst müssten wir einen widersprach mit v. 52 f.
annehmen. Dieselbe stelle findet sich auch bei Hugo (t 2, 20).
D.; quae formatio facta est die sexta? M.: bestiae et cetera
animantia, quae vivunt super terram, de terra creaia sunt
ConsummaÜo autem et praeparatio omnium, postremo (eadem
tarnen sexta die) factus est homo (vgl. Gen. 1, 25 f.). Der dichter
stellt die Sachen um.
Etwas voreilig schiebt der dichter 3, 56—58 den fall Lu-
cifers jetzt schon ein, obwol er 3, 79 ff. ausführlicher darauf
zu sprechen kommt. Die stelle beruht auf Luc. 10, 18: ecce
vidi Satanam sicut fulgur de coelo cadentem. Wenn sie, was
wol nicht anzunehmen ist, der dichter nicht selbst gewusst
hat, so hätte ihn Hugo (t.2,81C) darauf führen müssen, der
sie bei demselben umstände citiert.
^) Um nur einige naheliegende stellen zn citiereu: De Genesi ad lit.
lib. 1, c 1. 2. 8. 4. 6. In De trinitate widerholt
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QUELLEN DES ANEOENQE. 257
au Hugo, teils au die hl. schrift schliesst sich der
den folgendeu versen au: 3, 59—66. Die betreff eudeu
erden von Hugo (t. 2, 19 B) ziemlich ausführlich be-
Aber der Verfasser des Anegenge hält sich hier zu-
i die hl. schrift. Gen. 1, 4 f.: et vidit deus lucem, qtwd
,, et divisit lucem a tenebris. Appellavitque lucem diem
IS noctem (Aneg. 59 — 61).
.62 fasst der dichter Gen. 1,9: diadt vero deus: eon-
(iquaef quae sub coelo sunt, in locum unum et appareat
ir geschickt zusammen. V. 63 — 66 endlich ist Hugo
) verwertet, wo es heisst: luminaria condita sunt in
!. sol et luna et stellae; ut lucerent super terram, et
efU illam 'et tempora, cursu suo distinguereV. Freilich
u jenen versen auch Gen. 1, 14 ausgereicht haben:
w% deus: ftant luminaria in firmamento coeli, et divi-
% ae noctem et sint in signa, et tempora, et dies, et
T. 64 ist subjectiver herzenserguss des dichters.
leisst weiter 3, 67 ff.: une chiceine er ez do ordenoU des
\ not, deus unr daz alUz gesagen, wan wir der ceit nicht
dae wir so verre cJiomen dar in. An derselben stelle,
die Schöpfungsgeschichte abbricht und zur erschaffung
1 übergeht; bricht auch unser dichter ab, um aller-
5ht auf die erschaffung — denn diese hat er schon
t, — sondern auf den fall der engel überzugehen,
agt Hugo: et ut 'hreviter' id quod mihi dicendum inde
ibi äbsolvam, universa tunc foxta sunt, ut nihil post-
ieret, quod prius vel in materia vel in similitudine
wn fuisset
den versen 3, 72 — 78 hat sich der dichter einen über-
folgenden Schilderung von Lucifers falle geschaffen,
jrgang, der insofern bei Hugo vorgebildet ist, als der-
!, 82 ebenfalls nach der allgemeinen darstellung von
affung der engel zur Schilderung des falles der bösen
ergeht Aber auch die gedanken, die in den versen
ausgedrückt sind, finden sich bei Hugo (t. 2, 84B): et
tra creatorem suum in tantum superbivit, deiectus est
locum caliginosum ,., et 'hoc ad nostri prohationenh,
obis adminiculum exercitationis'. Aber unser dichter
de und da etwas breit zu sein, so auch hier. Es
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258 TEÜBER
handelte sich um einen engel, der fällt (Lucifer), und das be-
wog ihn, was übrigens nicht ganz angeschickt war, nochmals
auf die erschaffung und den zweck der engel, wovon er bereits
2,70 — 88 gesprochen hatte, zurückzugreifen. Allerdings ist
er hier viel kürzer als dort^ wenn er sagt v. 79: die engel be-
schüff der gotes gtwalt durch seiner gute einvaU, (4, 1) dcuf si
in loben solden.
Was er dann 4,2*) — 15 anführt, finden wir ebenso bei
Hugo, nur dass für 6 und 7 eine später zu citierende stelle
massgebend war. T. 2, 88 ff. heisst es: inter eos qui ceciderunt
fuit excelUntior amnibt^ aliis non solum iis, qui ceciderunt,
sed ei aliis omnilms eum fuisse exceUentiarem mdentur auctares
velle ... Et in Eeechiele (c. 28, 12 ff. heisst es wörtlich: tu
signaculum similitudinis, et perfectus decore, in deliciis paradisi
dei fuisti . . . Hugo hat frei citiert): tu signaculum similitudinis
plenus scientia et perfectione decoris in deUciis paradisi. Quad
sie exponit Gregarius: quanto in eo subUlior erat natura^ tanto
in iUo imago dei similius 'eapressa'. Dieser letzte satz führte
unsem dichter dazu, das gleichnis vom wachsabdruck zu bringen,
das ihm ja aus dem damals allgemein üblichen gebrauch von
wachssiegeln geläufig sein musste.
Zu 4,16—19 stimmt Hugo (t.2,84AB): quia ut Isidorus,
postquam creatus est ahsque aliquo intervalio profunditatem suae
säentiae perpendens {er douchte sich so wol gitan, do er sich
seihen ane sach) in suum creatorem superbivit et, ut dicitur in
Isaia, deo aequari voluit (er wolde dem obristen sein gdeuX)
dicens: in coelum ascendam, super astra coeU exäUabo solmn^
meum, et ero similis altissimo (der obriste). Is. 14, 13 f. ist frei
citiert. Der letzte satz ist die quelle für Anegenge 4, 6 f.
gewesen.
Im folgenden (4, 20—38) geht der dichter, wie wir das
im verlaufe der darstellung auch an anderen stellen finden
werden, von seinem viel benützten Hugo von St. Victor ab,
weil er ihm nicht ausreicht; er ist aber zweifelsohne gerade
durch ihn auf die neue quelle geführt worden.
^) Diese stelle muss corrninpiert sein. Entweder mnss es heissen: das
wollten sie jedoch nicht — nämlich gott loben — : dann ist aber der cu-
sammenhang mit v. 3 unklar, wenn es auch dem sinne nach zn y. 1 stimmt.
Ich meine es sollte heissen : dee doch nicht enwolde — Lucifem dunchen gemic
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QUELLEN DES ANEGEKGE. 259
4, 20—33. Bei Hugo (t. 2, 83C) wiixl Augustinus citiert.
Hugo citiert frei und bei weitem nicht alles, was bei Augu-
stinus steht. Hugo sagt: item dicit Augustinus super Genesim,
und unser dichter, dem das was Hugo aus Augustinus repro-
duciert hat, nicht genügte, schlug den kirchenvater nach und
fand bei ihm, was er uns in der citierten stelle sagt. Denn
bei Augustinus (De genesi ad lit. lib. 11, c. 23, no. 50) heisst
es von Ludfer: sed factus continuo se a luce veritatis avertit,
superHa tumidus et propriae potestatis delectatione corruptus.
ünde heatae et angelicae vitae dulcedinem non gvstamt (ganz
wörtlich sagt unser dichter v. 32 ff. daz er der gotes gute
ie 'gesmachte' dehmn tceil), quam non utique acceptam fasti-
divit, sed nolendo acdpere deseruit et amisit . . . Ille autem
continuo impius, consequenter (swie ee im ergienge) et mente
aiecHS non ex eo quod acceperat ceddit, sed ex eo quod acd-
peret, si subdi vohdsset deo ... et potestatem üUus, sub quo
esse vohiit, non evasit (vgl. v. 21 — 23); factumque est pondere
meritorum, ut nee iustituie possit himine deleetari nee ab eius
sententia liberari (v. 21 ft). Die gedanken sind beim Verfasser
des Anegenge dieselben wie bei Augustinus, ja mitunter wört-
lich her übergenommen, wenn man auch sagen muss, dass die
reihenfolge eine andere ist.
Im folgenden geht der dichter wider auf Hugo zurück.
Vergleicht man mit 4,34—44 Hugo, t. 2,84B, so ist der Zu-
sammenhang unverkennbar. Dort heisst es: et qui contra
creatorem in tantum superbivit, deiectus est in istum caliginosum
aerem cum omnibus, qui ei consuerant (sehr gut gegeben durch
unt oMe die iu der sunde wolden gehelen unt hei gestan); sed
in aere caiiginoso, qui est carcer iis usque in diem iudidi.
Tunc enim detrudetur in barathrum infemi secundum illud:
ite maledicti in ignem aeternuim, qui praeparatus est diabolo
et angdis eius (Matth. 25, 41).
In V. 42 denkt der dichter wol ausserdem an die bekannten
biblischen stellen: ibi erit fietus et Stridor dentium und vermis
eorum non moritur (Matth. 8, 12).
In den v^*sen 4, 45 ff.: durch so getane sunde hat d<us ab-
gründe der tivel beseezen widerholt der dichter eigentlich das
in V.34 — 37 gesagte, schliesst aber zugleich die darstellung
von Ludfers fall und strafe ganz geschickt ab^ um zu einem
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260 TEÜBER
neuen thema überzugehen, das er mit den Worten v. 48 f.: wir
sulen nicht vergeezen, wirn sengen waz sei die dri genende an-
kündigt. Man wird gern bereit sein, dem dichter diesen Über-
gang als selbständige erfindung zuzuschreiben, aber unerwähnt
darf nicht bleiben, dass bei Hugo (t.2, 50D) fast dieselben
Worte stehen: his consideratis restat de iis videre qtMepertinent
ad distinctionem personarum trinitatis.
Ganz entsprechend der grosse des geheimnisses und der
Schwierigkeit der darstellung desselben beginnt der dichter
abermals mit einem gebete um gottes beistand, 4, 50 — 70. Wie
wir schon früher bemerkt haben, genügte unserem dichter Hugo
für manche partien seines Werkes nicht. Er war aber ver-
ständig genug, die von Hugo citierten vätersteilen nachzu-
schlagen und selbständig zu verarbeiten. Hugo citiert in seiner
Summa sententiarum und speciell in der abhandlung über die
trinität widerholt den hl. Augustinus und ganz besonders
dessen werk De trinitate. Augustinus sagt (De trin. 1. 1, c 1,
no. 3, Migne t. 42, 821): proinde substantium dei »ine uUa
sui cammutatione mutoMlia fadentem, et sine uUo tempardU
motu temporalia creantem intueri et plene nasse difficile est
Also die Schwierigkeit der aufgäbe gibt er zu, und unser
dichter schliesst sich darin an, indem er sich auf 1. Tim. 6, 16
stützt: qui solus habet immortdlitatem et lucem inhabitai in-
accessibilem: quem nullus hominum vidit, nee videre potest
(v. 50. 51). Augustinus fährt fort (a. a. o. s. 821): ...et ideo
est necessaria purgatio mentis nostrcte, qua iUud ineffabile in-
effabiliter videri possit . . . Unde: apostolus in 'Christo' quidem
dicit esse ofnnes thesauros sapientiae et sdentiae abscondäos.
Unser dichter erinnert sich dabei an jenes wort, das der herr
selbst gesprochen: ponite in cordibus vestris non praemeditari,
quemadmodum respondeatis. Ego enim dabo voUs os et sapien-
tiam, cui non poterunt resistere et contradicere omnes adversarii
vestri (Luc. 21, 14. 15; vgl. Aneg. 4, 56—63).
Bis jetzt möchte man glauben, unser dichter habe Augu-
stinus gar nicht gebraucht, sondern er habe an den citierten
schriftstellen stoff genug für seine einleitung zur darstellung
der hl. dreif altigkeit gehabt. Dass er aber des Augustinus
De trinitate gekannt und wenigstens dessen Inhalt im ge-
dächtnisse gehabt hat — wenn er ihn auch nicht gerade vor
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QUELLEN DBS ANEOEKQE. 261
sich hatte — beweist die folgende stelle (s. Angustinas a. a. o«
p. 822): quaprapier adiuvante domino deo nosiro suscipiemus
et eom ipsam quam flagitanf, quantum possumus, r edder e rch
tianem, quod trinitas sü unus et solus et verus deus^ et quam
rede pater et ßius et Spiritus sanctus unius eiusdemque svdh
stantiae vel essentiae dicatur . . . Dazu kommt noch eine zweite
stelle, wo Angnstinas ebenso wie unser dichter auf die zuhörer
oder leser rncksicht nimmt^ nämlich (a. a. o. s. 825, c. 5, no. 8):
oportet autem et donabit det^, ut eis ministrando quae legant,
ipse quoque proficiam; et eis cupiens respondere quaerentibus,
ipse quoque inveniam quod qtMterebam, Ergo suscqn haec iu-
bente atque adiuvante domino deo nostro (vgL v. 65 — 70).
Auch im folgenden 4, 71 ^)—b,2 schliesst sich der dichter
an Augustinus an. August (De trin. lib. 1, c. 6, no. 10, s. 826)
citiert 1. Tim. 6, 14 — 16 und knttpft daran die worte: in
quibus verbis nee pater proprie nominatus est, nee filius, nee
Spiritus sanctus; sed beatus et solus potens, rex regum et do-
minus dominantium, quod est unus et solus et verus deus ipsa
trinitas. Dieses unus et solus potens erinnerte den dichter an
jene zeit^ wo gott wii-klich unus et solus war, und die trinität
noch nicht geoffenbart war. Daher ist er in v. 71—73 auf
diesen Zeitpunkt zurückgegangen, wobei ihm allerdings Gen. 1,2
et Spiritus dei ferehatur super aquas vorschwebte.
'5,3 — 7 scheint auch durch Augustinus (De trin. 1. 1, c.2,
no. 4, s. 822) veranlasst zu sein: ...et esse illud summum
bonum (sc. trinita^em) quod purgatissimis mentibus cemitur, et
a se propterea cemi comprehendique non posse, quia 'humanae
mentis €u^es invalida' in tarn excellenti luce non figitur, nisi
per iustitiam fidei nutrita vegetetur.
Zuletzt wendet sich der dichter an seine zuhörer, als ob
er von der kanzel herab zu ihnen redete, für ihn um erleuch-
tung zu bitten: 5, 8—10. Diese verse, welche wol selbständige
erfindung des dichters sind, bilden den schluss seiner einleitung
zu der darstellung von der hl. dreifaltigkeit.
Der dichter beginnt mit einer allgemeinen Charakteristik
des Vaters 5, 11 — 15. Dass dem vater hier die 'gewalt' zu-
geschrieben wird, ist eine alte patristische tradition, die in der
0 S. 4, 72 gibt nur die lesart saz einen sinn.
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262 TBOBER
hl. Schrift selbst ihre grandlagen hat. Auch Hugo widerholt
an vielen stellen seines werkes, dass per potmtiam pater in-
telligitur. Weiter ist für diese stelle Hugo heranzuziehen, wo
gesagt wird: coelum et terrcmi ego impleo (Jer.23, 24); üem
sapientia: quae attingit a fine usque ad finem fortiter, i, e, a
minima creatura usque ad maximam und ita deus sine Ichare
regens, sine onere coniinens mundwm in coeh totus, in terra
totus et in utroque totus.
Nun geht der dichter auf den söhn über, um dessen ewige
geburt vom vater und dessen haupteigenschaften kurz hervor-
zuheben: 5, 16 — 22. Hugo (Migne 1. 176, 57 C) sagt: per sapten-
tiam filius . . . inteUigitur. S. 54 bringt er dasselbe was unser
dichter sagt: dominus Jesus Christin in eo quod virtus et sa-
pientia dei est, de patre ante tempora natus est Wenn unser
dichter sagt in einer churzen vrist gebar er den sun und damit
eigentlich aussagt, es sei zwischen der existenz des vaters und
des Sohnes ein Zwischenraum gewesen, so ist das ein dogma-
tischer Irrtum, denn nach der lehre der kirche sind vater und
söhn gleich ewig, der söhn von dem vater von ewigkeit her
gezeugt, y. 20 ff. ist im anschluss an Phil. 2, 8: humüiavü
semetipsum f actus ^oboedi^ns' tAsqt^ ad mortem verfasst. Dazu
ist noch heranzuziehen Joh. 6, 38: descendi de coeh, non ui
faciam voluntatem meam, sed voluntatem eius qui me misit
Nun kommt der dichter auf die dritte göttliche person,
die er ebenfalls kurz charakterisiert: 5, 23 — 25. Auch hierfür
hat Hugo dem Verfasser den stoff geliefert; dort (Migne S.57C)
heisst es: ... per bonitatem spiritus sanctus intelligitur, T. 2,
120 erklärt Hugo die drei ausdrücke potestas, sapientia und
bonitas, und zwar wie gott mit diesen eigenschaften wirkt.
Nur sagt er an derselben stelle: et bonitate voluit Unter der
bonitas ist aber der hl. geist zu verstehen, also konnte unser
dichter darauf gestützt mit recht schi*eiben: e er ie icht getcete,
diu het sein alles ermant})
5,26 heisst es weiter: die dri tugende waren ensamt an
der einen gothasit ie, von diu wart er an die namen nie. Darüber
0 ^^^ könnte bei dieser stelle auf die vermatnng kommen, dasa
Hugo sogar der lehrer unseres dichters gewesen sei; er könnte beim yor-
trage jener stellen: per bonitcUem spiritus sanctus inteUigitur gleich erklärt
haben, wie das zu verstehen sei, nämlich et bonitate voluit.
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QUELLEN DES ANEQENOE. 263
ßh Hugo (t. 2, 51) folgendermassen aus: et ideo unitas
trinitaie. Et haec triniUis est pater, quia a nulh est
er früher gesagt hatte per potentiam pater inteUigitur),
ia patris quae a patre genita est (filius wie er oben
ynritus sanctus . . . qui stiepissime in scripturts amor
filii appellatur (an anderen stellen nennt er ihn ho-
de potentia, sapientia und bonitas sind die dri tugende,
iser dichter hier im äuge hat.
)lgenden verßucht er eine erklärung, warum gerade
namen ausgesucht und beibehalten wurden: 5, 29 — 40.
;e stelle ist in ihrem ganzen umfange aus Hugo ent-
denn dort (Migne s. 52) heisst es: his praemissis vi-
*M, quod in sancta trinitate sunt quaedam nomina
\tia personas^ sunt et cUia unitatem naturae vel sub-
ignificantia, ut haec nomina, deus, omnipotens, aetemus,
; et haec dicuntur secundum substantiam. Non enim
Uli naturae esse quam deum esse, omnipotentem esse,
immensum, iustum, sapientem et similia, et ideo sicut
tia et non tres. Hugo citiert nun Augustinus, De trin.
"ährt s. 53 fort: . . . sunt et alia nomina quibus dis-
trinitas, Pater ingenitus, genitor; et haec conveniunt
kim, Filio soli conveniunt haec alia (tantum): filius
latus, verbum et alia. Spiritui sancto haec, Spiritus
lonum, procedens a patre et filio; et ha^c nomina sig-
proprietates quibus personae distinguuntur. Unser
ibt naturlich nur den Inhalt von dem was Hugo hier
zieht aus dem letzten satze nur den schluss: wenn
ffihi*ten bezeichnungen, die fremden namen unt die
den drei göttlichen personen zukommen, so sind sie
schon in dem namen derselben mit einbegriffen (be-
dem der dichter (5, 29 — 40) im allgemeinen auf die
irelche den drei göttlichen personen zukommen, hin-
hat, zählt er die fremden namen unt die chunden
— 79), wobei er eine grosse kenntnis der hl. schrift
Es wird sich zwar nicht leugnen lassen, dass unser
urch Hugo (an der citierten stelle schon und noch
57 f., wo eine grosse anzahl von attributen, welche
göttlichen personen zugeschrieben werden, angegeben
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264 TEUBEB
ist), angeregt wurde, auch das in sein gedieht eim
Vielleicht hat er sogar manches attribut von Hogo (
Aber weder Hugo noch der von Hugo so oft citierte Auf
sind fflr den Verfasser des Anegenge in den folgenden
die quelle gewesen, sondern die hl. schrift selbst hat i
material an die band gegeben. Beweis dafür ist, da
attribute bei unserm dichter erstens zahlreicher, zwe
anderer reihenfolge, drittens in anderer Zuteilung an <
schiedenen göttlichen personen aufgeffihrt werden, als (
Hugo und Augustinus der fall ist. Die wichtigsten beiß
beizubringen erscheint notwendig.
Der dichter sagt 5, 41 er hmzzet here unt gebietasre
ausdrücke, denen die lateinischen domintis und do
entsprechen, kann man fast auf jeder seite der hl.
finden. — 5, 42 er hmzzet reicher unt vorchHgcere.
vgl. z. b. Rom. 10, 12 nam idem dominus ornnium 'd
omnes, Eph. 2, 4, weiter Ps. 75, 7 tu ^terribiW es.,. De
deus magnus et 'terribilis'. Ebenso JPs. 64, 3. 65, 5. 88,
Eccl.41,31. Dan. 9,4. — 5, 43 er hoeizzet unwandeLigt
ist Mal. 3, 6 ego enim dominus et 'non mutar' heranzi
— 5, 44 unt starcher unt chrefftiger. Diese beiden au
kommen sehr häufig in den büchern des Alten testam.
z. b. Ps. 23, 8 dominum 'fortis et potens', dominus 'po\
proelio. Oder Gen. 46, 3 ego sum ^ fortissimus* deus u.i
5, 45—50 sind, wie sich unten zeigen wird, nach Hugo gc
— 5, 51 er harzet schephcere. Auch dieser ausdmck
der hl. schrift nicht selten: Eccl. 24, 12 et praecepit
mihi 'Creator' omnium. Ebenso Deut. 32, 18. Judith 9, 1
12,1. Sap.13,5. Rom. 1,25. l.Petr.4,19. — 5,52 unt
gewosre. Schon Ps. 85, 15 können wir lesen et tu dom\
. . . multae misericordiae et 'verax\ Job.- 14, 6 ego sut
'veritas' et vita. Aehnliche stellen Matth. 23, 16. Man
Job. 3, 33. Rom. 3, 4. — 5, 53 er hmzzet rechter unt chun
Dazu wäre heranzuziehen Ps. 91, 16 quoniam 'reetus' c
Deut. 32, 4 det^ iustus et Wectus' und Hebr. 10, 37 ... ^
turus esV et veniet. Apoc.il, 17 qui 'venturus' es ... -
richtasre unt fumxinftigosre. Parallelstellen dazu bietet '.
deus 'iudex', iustus, fortis et patiens. Hebr. 12, 23 ...
cew' omnium deum. Der ausdmck fumunftigcere ist
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Quellen des anegenoe. 265
sr hl. Schrift abgeleitet, wo von dem einflösse gottes
and und herz des menschen die rede ist; so z. b. in
domintis regit me, et nihil mihi deerit Ps. 118, 105
>edibus meis verbum tuum u.s.w. — 5, 55 hceilant unt
* entsprechend dem lateinischen scUvator nnd mirabilis
en. 41, 45. Reg. 14, 39. Is. 12, 2, wo der ansdruck sal-
hceilant gebraucht ist. Bezüglich Jesus Christus ist
; Luc. 2, 1. Joh. 4, 42. 1. Tim. 1, 1, 2, 3. 4, 10 heranzu-
— MirabiUs wird gott genannt Ps. 67, 36. Ps. 62, 4
irholt ist namentlich in den Psalmen hervorgehoben,
nirabilia wirke. — 5, 56 — 60 sind durch Hugo ver-
lavon später. — 5, 61. 62 er hceizzet senfter und guter
uter; wo man zunächst an Matth. 11, 29 sich erinnert:
me, quia 'mitis' sum et ^humilis' corde. Ps. 85, 5 tu
mams' et 'mitis\ Ps. 71, 1 quam ^bonus' Israel deus.
s. 117, 1. 118, 61. Luc. 18, 18 magister 'bone\ — 5, 63 f.
it erbarmiger, gedultiger und genoediger. Milter =
¥ird gott genannt Ex. 34. 6. 2. Par. 30, 9. 2. Esdr. 9, 31.
zu in Ps. 85, 5 tu domine ^suavis' et 'mitis', ibid. 14
nine 'miserator et misericors, patiens et multas miseri-
— 5, 65 unt diu wäre minne. So wird gott genannt
16 deus eharitas est Aehnlich 1. Joh. 3, 17. Rom. 5, 5.
■f. nu sult ir auch wizzen: so hmzet der hosilige geeist
s schuntosre uü vollceist Diese stelle beruht airf 1. Cor.
mia haec qperatur unus atque idem spiritus divid^ns
inicuique prout vult Heranzuziehen wäre noch Rom.
iliter autem et spiritus adiuvat inßrmitatem nostram . . .
f. beruhen auf Hugo. — 5, 74 heisst es weiter im
tcÄ nidht minner sin, wan so gebrcest des vollen da.
jine reminiscenz aus August., De trin. 1. 15, c. 7, s. 1065,
nee aliquid ad naturam dei pertinet, quod ad illam
ineat trinitatem. Und wenn der dichter 76 ff. weiter
hat ouch anderswa michel bezosichnunge, die man mit
mnge nicht mag errechen, so scheint er auch hier eine
•kwürdig übereinstimmende stelle des Augustinus, De
c. 12, no. 13, S.919 vor äugen gehabt zu haben: in multis
itivis (bezeichnungen der drei göttlichen personen sind
hoc contingit, 'ut non inveniatur vocabulum', quo siU
^espondeant, quas ad se referuntur,
nur geschichte der deutschen spräche, XXIV. 13 r^ i
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266 TEUBBB
Es wurde schon darauf hingewiesen, dass unser dichter
durch Hugo zur aufzählung der genannten eigenschaften der
göttlichen personen angeregt worden sei und auch zugegeben,
dass er manches von ihm geborgt habe. Um das was der
dichter in der genannten partie seines werkes dem Hugo ver-
dankt, nachzutragen, muss auch die betreffende stelle hier
ihren platz finden (t. 2, 57 f.): unde dicitur: credo in unum
deum, patrem omnipotentem, Spiritus etiam soUt poni ad rigorem
significandum et crudeUm (vielleicht jenes vorchtigcere) solet
denotare; sed ideo bonitas vel benignitas (v. 71 gotes gut hceisaei
er ouch da bei) frequentius appeUatur, Hie oritur quaestio
diffidlis, si in deo tres personae dicuntur esse, quia potens, sa-
piens, benignus est (hier und im folgenden liegt für den dichter
die veranlassung zur aufzählung der namen), qtMire non potius
quatuor vel quinque vel multo plures, cum sit fortis, iusius,
misericors, pius etc.? Äd quod did potest, quod quaecunque
dicuntur de deo et creduntur veraciter in deo, ad haec tria
referuntur (dazu stimmen 5, 72—75, wenn nicht die letzten
zwei verse, wie angegeben, auf Augustinus zurückzuführen
sind). Si enim fortis dicitur, incorruptus, immutabilis (5, 43
unwandeliger?) et similia (dieses et similia war die eigentliche
veranlassung für den dichter, andere namen aus dem Sprach-
schatze der hl. schrift hervorzusuchen), totum hoc poi^ntiae est
(dazu stimmt aus dem gedichte 5,45 — 48; beachte speciell die
ich dsn geleichen wil = et similia), Si providus, inspector, in-
telligens, hoc totum sapientiae est (dazu 5, 56 — 58: aüe namen
di den sint gelich die h&rent an den weistüm der da genant
ist der sun-, bringt der dichter für den söhn auch andere namen
als Hugo, so stimmt doch die Zuteilung an den weist&m, sa-
pientia überein). Si pius, mansuetus, misericors, totum hoc
bonitas est (vgl. 5, 69 — 71). Et in his tribus summa perfectio
est, übi enim concurrunt ista tria, posse sdre veUe, nihil deest
(ganz so unser dichter 5, 72 f.: ejs ist niht dürft, daz er bas
genennet sei: ir ist genuc an disen drin).
Nachdem der dichter diese ziemlich subtile frage abgetan,
greift er noch einmal auf 5, 11 ff. zurück, um den grund an-
zugeben, warum dem vater der gewalt, dem söhne der toeist&m,
dem hl. geiste diu gute zugeschrieben werden: 5,80*) — 6,3.
0 5,82 steht im texte rat, was aber absolut keinen sinn gibt; der
Zusammenhang verlangt yielmehr die lesart vater.
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QUELLEN DES AHEQEKOB!. 267
Zu diesen yersen hat abermals die ans Hngo (Migne t. 2, 57 C)
citierte stelle als qnelle gedient: ei tarnen saepissime in sacra
scriptura per potentiam pcUer, per sapientiam fiUus^ per boni-
totem Spiritus sandus intelligüur. Freilich Ägt der dichter
etwas selbstbewnsst hinzn: 6, 4 ick wil dire sagen: du sein niht
entceist, wenn er auch im folgenden den nrheber jener gedanken
lobt: 6, 5 — 11 owe, wie rechte er sprach, der dae von erste ane
sach, dae der gotes gewalt an den vater ist geaalt; wan er nie
nicht get€orchte dur6h Hebe noch durch vorchte, wan durch den
sun hat erz getan. Nach dem bereits gesagten ist wol kein
zweifei, dass Hugo mit dem gemeint ist der rechte sprach, daz
der gotes gewaU an den vater ist gezalt V. 9 — 11 könnten
ebenfalls dnrch Hngo (t. % 375 C) veranlasst sein: quia omne
quod pater fadt, per fUium facit. Diese stelle beruht ihrer-
seits wider auf mehreren schriftstellen, so Hebr. 1, 2 novissime
diebus istis locutus est nohis in filio, quem consUtuit haeredem
universorum, ^per quem fecit et saectda' und von diesem filius
sagt der apostel 1, 10: et tu in principio terram fundasti: et
opera manuum tuarum sunt coeli Nimmt man hinzu Joh. 5, 22
neque enim pater iudicat quemquam, sed omne iudicium dedit
filio, so wurde man erklären können, wai*um der dichter sagt:
er nie nicht geworchte durch liebe noch durch vorchte. Denn
die Schöpfung überhaupt geschah aus liebe, das gericht aber
ist etwas furchtbares.
6, 12—19. Dazu stimmt abermals Hugo (t. 2, 373A): sed
hie primo considerandum est, quod cum dicitur ßius facere
omne quod pater facit, de iUa nimirum operatione inteüigendum
esty qua creaturam condit et regit et disponit conditor et artifex
deus . . . ; ib. C hie ergo omnia quae fecit pater et fiUus facit
similiter. Und weiter t. 2, 58: patet itaque quod deus a tempore
est dominus et creator; et tamen verum est, dominus omnium
est ab aeterno et creator ab aeterno.
6,20—26 hat der dichter folgende gedanken Hugos ein-
fach umgestellt (t. 2, 57): attribuitur ergo patri potentia, ne
videaiur prior filio et ideo impotentior; filio sapientia {'sinne') ne
videatur posterior et inde minus sapiens patre vel inferior.
6, 27 — 29. Mit diesen versen will der dichter nichts
anderes sagen als in Joh. 1, 3 gesagt wird: omnia per ipsum
facta sunt, et sine ipso factum est nihil, quod factum est.
18*
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268 TSÜBfiR
Etwas dunkel scheint 6, 30 ff. zu sein. Die frage ist, was
der dichter unter dem orden versteht, den der gottessohn ver-
loren hätte, wenn uns der vater nicht geschaffen hätte? Er
kann, so weit uns wenigstens das belehrt was er später vom
sun erzählt, unter dem orden wol nichts anderes verstehen,
als die Stellung welche dem gottessohn nach der erschaffung
bez. nach dem falle des menschengeschlechtes angewiesen
wurde. Hugo deutet die sache wol an (t.2,70): est igitur
persona flu incamata, ut idem qui erat füius in divinikUe,
esset fUius in humanitate. Erat et decens, ut sicuti per sapien-
iiam suam pater mundum fedt, ita per eamdem redimeret. Deut-
licher sprechen darüber andere väter, so Ambrosius (De incar-
nationis dominicae sacramento c. 6, no. 56): qtme erat causa
incamationis nisi ut caro, quae peccaverit per sc (i. e. verbum)
redimeretur; Augustinus (Sermo 175, no. 1): nulla cattsa fuit
veniendi Christo domino, nisi peccaiores salvos facere. Am
massgebendsten erscheint mir jedoch für diesen punkt eine
stelle bei Athanasius zu sein, welcher (De incamatione no. 4)
schreibt: quia enim sermonem hahemus de sälvatoris nostri ad
nos adventu (das ist sein orden), necesse est etiam de hominum
primordiis hqui, quo plane perspidas nostram causam eius
adventus fuisse occasionem nostroque peccato verbi benignitatem
excitatam fuisse, ut ad nos accederet et inter homines dominus
appareretS) Es ist wol möglich, dass dem Verfasser des Ane-
genge diese ansieht aus der theologischen literatur im voraus
bekannt gewesen ist; aber ihren Ursprung dargetan zu haben,
scheint mir nicht ohne nutzen zu sein.
Nachdem der dichter gesagt, dass dem vater der gewalt,
dem söhne weistüm, dem hl. geiste diu gute zukommen, sucht
er 6, 33—42 die sache weiter auszuführen. Diese verse geben
den inhalt von dem wider, was Hugo t. 2, 210, c. 10 sagt:
secundum voluntatem quippe disposuit quod voluntate facturus
fuit; et voluntas aeterna fuit, et opus voluntatis aetemum non
fuit Semper enim voluit ut faceret; sed ut aliquando faceret,
quod semper voluit ut aliquando faceret Sic voluntas aeterna
fuit, quando fieret quod futurum fuit Duo itaque haec in
*) Dazu ißt zu vergleichen jene stelle des Symbol. Athanas.: quipropter
nos hominea et propter nostram salutem descendit de codis. Et incamatus
est de spiritu sancto .,. et hämo f actus est.
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QUELLEN DES ANEOENGE. 269
pariter erant banitcLS et sapientia^ et haec aetema
t aderat simul potestas coaetema, et bonitate voluit,
\ disposuit, potestate fecit Et videtur quasi quaedam
inctio et successio tempordlis; et demonstrat se eonsi-
prima bonitas, quia per eam voluit deus (die consequenz
sieht der dichter m v.39 — 42), deinde sapientia, quia
disposuit novissima potestas, quia per eam fecit; quo-
do videtur esse, et fuisse voluntas prima, et post eam
} et novissime operatio subsecuta, Nisi enim voluisset,
^osuisset, et si non disposuisset, non fedsset
folgenden wird unser dichter dramatisch; er lässt die
Nationen der drei göttlichen personen, den gewalt, den
lind die gute redend auftreten und den plan der Schöpfung
n. Das findet sich bei Hugo nicbt. Die ganze aus-
von 6, 43 — 7, 82 erscheint als selbständige arbeit des
wenn auch gesagt werden muss, dass gedanken dazu
IS Hugo, als auch der hl. schrift herangezogen wurden,
man, wenn man von der dialogform absieht, Hugo
idererkennen: 6, 43—51, zu denen Hugo 1 2, 21 f. heran-
ist: deus, qui summum et verum perfectumque bonum
ab aeterno in se et per se beatus fuit, ut eius gloria
udo . . . non posset minui, et quia plena et perfecta
wn posset augeri. Nullo igitur indigens, sed bonum,
e erat et quo beatus erat, cum aliis partidpare et alios
t per iUud beatificare volens nulla necessitate, sed sola
*/ creamt rationalem creaturam. Ebenso 6, 52^) — 71
ju mit Hugo t.2, 205: ergo deus erat et mundus non
factus est propter deum homo ('sein stat tuon') qui
et mundus qui necdum erat . . . Nam et homo factus
\o serviret propter quem factus est; et mundus factus
^erviret homini propter quem factus est,.. Deus per-
'at et plenus bono consummato; neque opus habuit
uvari, quoniam nee minui potuit astemus, nee immensus
Homo vero natura 'egens erat alieni auxiW, quo vel
^et quod mutabile acceperat, vel cmgeret quod non con-
m habebat ... Voluit enim deus ut (s.206) ab homine
iter dem ausdrucke stat 6, 56. 58 scheint derselbe sinn verborgen
ie 6,30 unter dem worte ord^, dos oben erklärt wnrdQ,
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270 TEÜBEB
sibi serviretur; sie tarnen ut ea Servitute non deus sed homo
ipse serviens iuvaretur\
Etwas unklar sind die verse 6, 72 *)— 82. Hier muss dem
dichter Matth. 12, 31 1 vorgeschwebt haben: ideo dico vobis:
amne peccatum et blasphemia remittetur hominibus, Spiritus
autem blasphemia non remittetur. Et quicunque dixerit verbum
contra fiUum hominis, remittetur ei: qui autem dixerit contra
spiritum sanctum, non remittetur ei, neque in hoc saecuh, neque
in futuro. Freilich spricht der dichter nicht direct von der
Sünde gegen den hl. geist, aber er kann v. 77 f. wol kaum eine
andere schuld meinen.
In den nächstfolgenden versen (7, 1 — 8) kommt er noch
einmal auf 6, 63 der deiner hilfe muise dürft sein zurück und
erklärt es näher. 2) Nach Hugo (t. 2,205 D): voluit enim deus
ut (s. 206) ab homine sibi serviretur; sie tamen ut ea Servitute
'non deus sed homo ipse serviens iuvaretur, et voluit ut mundus
serviret homini, et exinde similiter iuvaretur homo, et totum
hominis esset bonum\
Die folgenden verse (7, 9 ff.) sind im ganzen und grossen
der erfindungsgabe des dichters zuzuschreiben, wenigstens in
ihrer anwendung auf die drei göttlichen personen. Bei 7, 9 — 17
dürfte Ez. 44, 28 vorgeschwebt haben: non erit autem eis haere-
ditas eorum: et possessionem non dabitis eis in Israel, ego enim
possessio eorum. Im folgenden sind es zumeist praktische an-
wendungen biblischer stellen:
V. 42 t als er des tages tet do er elliu dine w&rden hiez
sind eine reminiscenz an Gen. 1, 1 ff. In v. 44 f. erinnert sich der
dichter an Hugo t. 2, 84 B oder Ez. 28. In v. 47 an Gen. 7; in
V. 53 an die totenerweckungen, wie sie in der hl. schrift erzählt
werden. In v. 54 f. denkt er an Matth. 25, 33 et statuet oves
quidem a dextris suis, hoedos autem a sinistris.
Wenn der dichter 7, 76 f. schreibt: dag er sein chint geerbet
Jiat mit Hüten unt mit lande, so ist das wol in hinsieht auf
*) 6,72 soll wol sie statt unr stehen? 6,74 bezieht sich «t auf die
gute. 6, 76 ff. kann der sinn wol nur der sein : wenn sie, die menschen,
etwas tnn, was keine gnade verdient, so sollen sie dtdten deinen dac, im
anderen falle aber yenseihung erhalten.
*) 7, 3 sie = der yater und der söhn, die eben untereinander sich be-
sprechen.
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QUELLEN DES AKEGENGE. 271
Ps. 2, 8 eingefügt worden: dabo tibi gentes haereditatem tuam
et possessianem tuam terminos terrae. Dieser psalm wnrde
von den ältesten zeiten ab stets für messianisch gehalten und
speciell jene stelle auf das weitreich des kommenden erlösers
gedeutet.
7, 78—82. Diese stelle ist bei Hugo t. 2, 70C vorgebildet:
erat et decens ut sicuti per sapientiam (d. L *der söhn') pater
mundum fecit, ita per eandem reditneret
Nun schliesst der dichter den ersten teil seiner darstellung
über die trinität mit folgenden Sätzen ab: 8, 1 — 7 (ivarten y.l
steht für warten). Dazu hat Hugo t.2^377A den gedanken
hergegeben: in trinitate ergo, qtune deus est, pater est deus, et
fiiius est deus, et Spiritus sanctus est deus^ et simul hi tres unus
deus. y. 6 f. sind eine consequenz, die wir dem dichter wol
zutrauen dürfen.
8, 8 f. finden wir ebenfalls bei Hugo t. 2, 376 D): idem (er
citiert den Augustinus) contra Maximum: nulla sit partium
'ditnsio' in unitate deitatis; unus est deus pater et fiUus et
Spiritus sanctus, hoc est ipsa trinitas untis deus. Auf die be-
merkung swie doch diu buch iehen kam unser dichter durch
diese stelle bei Hugo, der (ib.B) ausserdem noch Augustinus'
Adversus impietatem Arii citiert. Die Schriften des Maximus
und Anus sind also diese buch, die unser dichter meint.
Nun sagt uns der dichter, was diu bäch meinen, 8, 10 — 15.
Auch diese steUe ist durch Hugo (t.2,60C) veranlasst: oppo-
nitur: soli filio convenit assumpsisse carnem . . . igitur aliquid
operatur filius quod non pater, quod non Spiritus sanctus.
Freilich gibt Hugo die von unserm dichter angedeuteten bäch
erst t2,376 an, wo er über dasselbe thema ausfuhrlicher redet.0
Dabei erinnert sich aber der dichter an die erzäUung der evan-
gellsten und hebt auf Hugo gestützt die taufe Christi hervor,
wo in der tat die hl. dreifaltigkeit scheinbar getrennt erschien.
Man wird sich hier zunächst an Matth. 3, 13 erinnern müssen:
tunc venit Jesus a Qalüaea in Jordanem ad Johannem, ut
haptiearetur ab eo {'da der gotes sun was chomen, do man in
solte tauffen"). Zu v. 14 f. haben dem dichter die stellen des
■) Wider eine stelle, aus der man schliessen könnte, dass Hngo der
lehrer des dichters gewesen sei
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272 TEüBEB
evangelioms beigetragen, welche davon reden, dass der herr
mit Sündern umgieng: so Luc. 5,32 non veni vocare iustos, sed
peccatores ad poenitentiam. Dazu wäre noch Marc. 2, 16. Luc.
5,30. 19,7 u.a. heranzuziehen, wo dem heiland der Vorwurf
gemacht wird, dass er mit sündem umgehe.
Im anschluss an die evangelien fährt der dichter fort:
8,16 — ^23.1) Unter denen, die icht davon gelwren, meint er
wol zunächst die evangelisten, denen er sich tatsächlich in
den folgenden versen anschliesst. Will er aber auch das
weitere mit inbegriffen wissen, so kann er an erster stelle
wol nur Hugo (t. 2, 61 und 376) gemeint haben, möglich auch,
dass er an Ambrosius (De trinitato tractatus, t. 4, 518) gedacht
hat, der dasselbe thema behandelt. Die evangelisten behandeln
die citierte tatsache an folgenden stellen: MattL 3, 16. Marc
1, 10 ff. Luc. 3, 21 ff. Joh. 1, 32 (letzterer spricht nur von der
erscheinung des hl. geistes in taubengestalt). Luc. 3, 21 heisst
es: apertum est coelum: et descendit Spiritus sancttis corporaU
spede sicut cohimba in ipsum, et vox de coelo facta est: tu es
fiUus meus dilectus, in te complacui mihi, Die^ stelle stimmt
voll und ganz zu den oben citierten versen.
Nachdem der dichter wider einmal seine bibelkenntnis
gezeigt, geht er im folgenden mit 8, 24 — 41 wider auf seinen
gewährsmann Hugo (t 2, 61 AB) zurück: tota enim trinitas
operata est, ut hämo ille esset et ut verbo uniretur; sed non ut
toti trinitati uniretur. Ergo itta opercUio non magis fiUi quam
patris; sed unio fiUi et non patris, sicut soUus patris vox de
nube audita est: hie est fiMus meus dilectus, in quo mihi com-
placui etc. Si enim esset vox filii vel spiritt^ sancti falsum
esset: hie est fiUus meus, Non est enim filius sui ipsius vel
Spiritus sancü filius. Et tarnen tota trinitas operaia est vocem
iUam, sed soli patri eonvenit, quia solus pater per eam signi-
ficatus est, Sicut etiam solus Spiritus sanctus in columba
apparuit, cum tota trinitas operata sit Sed solus spiiitus
sanctus in ea apparuit, quia ipse solus per eam significaius
est (dasselbe bei Hugo t. 2, 375 C. Für diesen ist Augustinus
[t. 8, 692, c. 13 und 694, c. 15 in libro De trinitate] die quelle
gewesen. Freilich muss bemerkt werden, dass der dichter
0 8, 17 würde ich statt des zweiten die lieber des lesen.
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QUELLEN DES ANE6ENOE. 273
m 'vater' sondern den 'söhn' als hauptperson hinstellt.
, aber für den theologen, dem jenes wort des heilandes:
^ater unutn sumus^) und qui tne vidit, videt et patrem^)
ist, keine Schwierigkeit. Die leitenden gedanken hat
igo geboten.
yerse 8, 38 — 41 sind eigene erflndnng des dichters und
)inen ganz guten Übergang zu
2—50. Diese stelle stimmt mit einer anderen, welche
b.2,49A) und Augustinus (Ad Dardanum) citiert, nur
\ hier von unserm dichter speciell auf den 'söhn' an-
)t erscheint: ita et deus sine lahore regens^ sine onere
^ mundum, in coelo totus, in terra totus, et in utroque
t nuUo eontentus loco, sed in seipso ubique totus. Mit
geht der dichter wider zurück auf das was er bereits
9 im anschlusse an Hugo gesagt hatte, es scheint aber,
Q von 8, 60 ff. eine stelle aus dem tractat des Ambrosius
täte vorgeschwebt habe. Dort heisst es (t. 4, 520): ipse
> semper in patre fdius . . . Ipse est (nämlich i%lius)y
3cto orbe congcmdebat pater, quia tantam molem terrae
)t (vgl. namentlich 67 — 69) super maria, et super flumina
et ea ... In stabiUtate ergo orbis terrarum, quando
mdamenta pater firmabat, nuUus erat cum eo praeter
erant in eo, id est filius et spiritus sanctus. Eben-
(t. 4, 522, c. 11) heisst es weiter: et idcirco filius de
itus, cuius generationem hwmamAS sermo edicere non
\ferior ab eo esse nonpotest, quia ut dictum est, verbum,
t sapieniia eius est (vgl. 8, 71—80).
r 8, 81 1 bietet wider Hugo (t. 2, 70 C) einen anhalts-
et quia in homine utraque corrupta erat natura, sc.
\t corpus; utramque suscepit, ut utramque liberaret
kommt der dichter endlich dazu, zu erklären, was er
6 angedeutet und 8,38 — 41 zu erklären versprochen
ierbei stützt er sich auf die aus Hugo (t. 2, 61 AB) be-
tierte stelle; doch spielen auch andere reminiscenzen
ein.
— 8 ist nach Hugo (t. 2, 61) widergegeben (v. 1 knüpft
vorausgehende an und leitet zum folgenden hinüber):
oh. 10, 30. «)Joh.l4,9.
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274 TEÜBEB
et tarnen tota trinitas operata est vocem illam, sed soli patri
convenit, quia solus pater per eam significixtus est
Auch die folgenden verse 9, 9—20 sind durch Hugo ver-
anlasst. Was zunächst y. 9 f. anbelangt, so bot Hugo (t. 2, 395 A)
den Stoff dazu; dort heisst es yon Christus: utrobique enim erat
In terra per humanitatem, in coelo per divinitoitem. Idem qui
in coelo erat in terra erat . . . per divinitatem in coelo et in
terra. Von v. 10—20 setzt er mit jener stelle Hugos (t. 2, 61,
s. oben) fort: sicut etiam solus Spiritus sanctus in columba
apparuitf cum tota trinitas eam operata est.,, Quaeritur an
aUter Spiritus sanctus fuerit in columba illa quam in aliis
creaturis. Respondetur: non aliter, quantum ad praesentiam
vel essentiam divinitatis .. ., qua^ est in omnibus creaturis
aequaliter.^) Doch scheint dem dichter bei v. 18 — 20 eine
andere stelle der hl. schrift vorgeschwebt zu haben, nämlich
Sap. 1, 7: Spiritus domini replevit orbem terrarum: et hoc, quod
continet omnia, scientiam habet vocis.
Bei 9,21— 25 2) stützt sich der dichter gleichfalls auf die
bereits citierte stelle yon Hugo, zieht gewissermassen das
resultat aus seiner bisherigen darstellung (wozu allerdings
noch die folgenden verse 26 — 29 gehören), und schliesst mit den
folgenden versen, 9, 26 — 45, wider einen teil seiner darstellung
über die trinität ab.
In den versen 9,26—29 schliesst er sich sodann wol
an Hugos ausspruch an: sicut etiam solus spiritus sanctus in
columba apparuit, cum tota trinitas eam operata est (t.2,61),
bringt aber im folgenden ein beispiel, dass auch über einen
diener gottes bei dessen taufe der hl. geist herabkam, und
zeigt dadurch, dass derselbe hl. geist mit um so grösserem
rechte über den gottessohn herabkommen musste. Er sagt
V.30 — 33: wan da man seit seinen chnecht sande Basiüum touße
und in dem wazjger besoufte (flickvers), aida wart er ouch gi-
sehen. Diese erzählung könnte der dichter wol aus mündlicher
0 Ebenso Ang:n8tinu8, Sermo 52, t. 5S 354 ff. Angnst., De trin. 1. 1, c. 5,
t. 8, 824. Ambrosins, De trinit. tractat. c. 9, t. 4, 518. Das sind die qnelleu
Hngos.
*) Der sinn dieser stelle kann nur der sein: es mSge die tatsache,
dass man die stimme des vaters hörte nnd den söhn wirklich sah, niemaiid
für einen wrdanc (= erfindnng) ansehen.
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QUELLEN DES ANEGENGE. 275
Qg haben keimen lernen; denn wie heute, so liefen
jener zeit yerschiedene fromme erzählnngen ans dem
^r heiligen im yolksmnnde um.
nn der dichter dann 9, 34 f. weiter sagt: unt ist vil dicke
n das man in iemer touben bilde sack, so weist er da-
(yeder auf ähnliche begebenheiten hin, die wir nicht
oder, was das wahrscheinlichere ist, er deutet damit
abbildungen des hl. geistes in taubengestalt hin, wie
^he seit den ersten christlichen Jahrhunderten in menge
n.
den folgenden zwei versen 9, 36 f. hatte der dichter
;!or. 12,3ff. Yor äugen: ideo natum vohis facio, quod
i spiritu dei hquens didt anatkema Jesu, Et nemo
teere: dominus Jesus, nisi in spiritu sancto. Divisiones
\tiarum sunt^ idem autem ^ritus,
)r sofort verwahrt er sich gegen eine solche auffassung
0. In y. 39 f. kann der dichter nur den ^sohn gottes'
den der hL geist nicht enmockt bigeben, Bom. 8, 9 aber
r hl. geist geradezu der 'geist Christi' genannt: si quds
piritum Christi non kabet, kic non est eius; daher dürfte
»se stelle hier für unsem dichter massgebend ge-
ein.
1 — 44 fasst der dichter das bisher gesagte zusammen,
könnte ihm wol Hugo t.2, 59B zu statten gekommen
teamur igitwr tres personas, vd tres illarum proprietates
leum, unam essentiam et unam divinam suibstantiam,
iber auch möglich, dass er selbstschopferisch das was
die einheit der drei göttlichen personen wusste, kurz
enfasste. Und in der tat selbsttätig, wenn auch nicht
e, so doch in der composition und in der Verwendung
fes tritt uns der dichter in dem folgenden entgegen:
=5—47. Dass dem vater die 'allmacht', dem söhne die
t', dem hl.geiste die 'gute' zukomme, das sind gedanken,
IT dichter, wie gezeigt wurde, aus Hiigo entlehnt hat.
>er jeder der drei göttlichen personen alle diese eigen-
i zukommen und den beweis dafür, den der dichter zu-
us der hl. schrift erbringt, davon sagt Hugo nichts,
(onnte ich auch bei den alten kirchenvätem nichts
n. Die schriftstellen jedoch, welche unserm dichter
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276 TEÜBEB
bei seiner darstellung zu gute kamen, sollen nicht unerwähnt
bleiben.
In 9, 48 ff. denkt der dichter an Luc. 1, 31 ff. und macht
die anwendung auf den vatSr.
9, 55 — 81 und 10, 1—3 hat der dichter die passionsgeschichte
(davon einzelne hierher passende stellen zu eitleren scheint mir
flberflüssig, da sie zu bekannt sind), wie sie von den evan-
gelisten (Matth. 27. Marc. 14 und 15. Luc. 22 und 23. Jok 18
und 19) erzählt wird, vor äugen- und wendet einzelnes daraus
zur durchfährung seines beweises sehr geschickt an, so dass
man diese partie unseres gedichtes wol für eine der gelungensten
wird erklären dürfen.
10,4 — 11. Im engeren anschluss an die bibel fährt der
dichter weiter fort, uns die tilgende an dem gottessohne zu
zeigen. In v. 8 hat er uns auf eine quelle hingewiesen, und
diese ist Joh. 21, 25: sunt autem et cdia multa, quae fedt Jesus:
quae si scribantur per singula, nee ipsum arbiträr mundum ca-
pere posse eos qui scribendt sunt libros. Der dichter hat die
stelle frei und dem zwecke seiner darstellung gemäss wider-
gegeben.
10, 12 heisst es den gedanchen er widersprach. Dieser vers
beruht auf Matth. 9, 4 et cum vidisset Jesus cogitatumes earum^
dixit: ut quid cogitatis mala in cardibus vestris (ähnlich Matth.
12,25. Luc. 5, 22. 6,8. 9,47. 11,17). Und er fügt hinzu, was
eigentlich damit zusammenhängt: 10, 13 in elliu herce er wol
sach, wobei man sich neben den citierten stellen auch an
Ps. 7, 10 scrutans corda et renes deus erinnert. Wenn der dichter
dann selbsterfinderisch daraus den schluss zieht: 10, 14 dae was
ein michel weistüm, so werden wir ihm nicht nur beistimmen,
sondern ihn auch ob seiner geschicklichkeit loben. Ebenso
trefflich ist die folgende anwendung einer biblischen stelle auf
den gottessohn: 10, 15 — 19. Diese stelle ist aus der passions-
geschichte bekannt. Ich eitlere hier nur Matth. 27, 30. 31:
illudebant ei dicentes : ave rex Judaeorum ...et percutiebani
Caput eius. Für v. 19 ist Matth. 26, 53 heranzuziehen: anputas
quia non possum rogare patrem meum, et exhibebit mHU modo
phis quam duodedm legiones angelorum.
Zu 10,20—22 veranlasste den dichter Matth. 9, 5: caeä
vident, claudi ambulant, leprosi mundantur, surdi audiunt,
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QUELLEN DBS ANEGENGB. 277
nwrtui resurguni, pauperes evangelieaniur (er weiste die tuniben)
(ähnlich MattL 15, 31. Luc. 7, 12. Joh.7,22). Freilich ist die
stelle nicht vollinhaltlich widergegeben, was jedoch keineswegs
gegen deren benützung spricht.
Ein merkwürdiger lapsus memoriae ist dem dichter im
folgenden y.10, 23 passiert: do er sibentousent sat Die Sät-
tigung vieler durch das allmächtige wirken Christi war dem
dichter ans den eyangelien bekannt. Es wird dort wol von
der Sättigung von fünftausend (Matth. 14, 21 ff. Marc. 6, 44. Joh.
6, 10) und von der Sättigung von viertausend mann gesprochen
(Matth. 15, 38. Marc. 8, 9), aber nirgends lesen wir, dass sieben-
tausend gesättigt worden seien.
Auf Matth. 4, 2 et cum ieiunasset quadraginta dtebus et
quadraginta no€tü)u$ . . . (Luc. 4, 2) beruht endlich 10, 24. Y. 25
— ^27 sind wider eine specielle anwendung der citierten stellen
aus der hl. schritt auf den söhn gottes.
Mit lOy 29 f. beruft sich der dichter auf eine mündliche
mitteilung der eben ausgesprochenen ansichten. Man denkt
dabei zuerst an den lehrer des dichters. Und wider greift,
wie es schon an anderen stellen der fall war, die Vermutung
platz, dass Hugo selbst dieser lehrer war, der beim mündlichen
Vortrag zu jener bekannten stelle per patrem potentia, per filium
sapientia, per spiritum sanctum honitas intelUgitur die von
unserm dichter poetisch widergegebenen erklärungen geboten
haben könnte.
Die verse 10,31 — 67 dürfen wir wol als freie erflndung
des dichters ansehen.
Im folgenden kommt er wider auf seine alte quelle zurück.
Mit 10,68 — 81^) gibt er den Inhalt von mehreren stellen, die
sich bei Hugo finden, wider. T. 2, 390 D heisst es: si Christus
in cruce dolorem pc^sus non fuit, quare tantopere calicem pas-
sianis a se transferre postulavit? Quid sibi voluit sanguis
desudans cmgustiam imminentis mortis contestatus? Quid sibi
voluit quod ipse Christus infirmitatem secundum quam coro
passionem timuit, et voluntatem secundum quam spiritus promp-
tus fuit? Weiter t. 2, 399 C: quidam putaverunt in morte divi-
niUUem a Christo homine discessisse, Citiert Ambrosius, Sup.
') 10, 81 erfordert der siim hete statt b(ete.
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278 TEUBSB
ps. 21 : clamai homo separatione divinitatis tnoriturus . . . deus
meuSy ut quid dereliquisti me? S. 400D: dereliquit quia 'auxi-
liutn' non contnlit, sed non dereliquit, quia praesentiam non
abstulit
Ebenfalls auf Hugo stützt sich 11, 1—6. 0 T. 2, 390C heisst
es nämlich: de sensu autem passionis quidem ^maU sensisse
videntur\ Ässerentes 'camem' iUam in omnibus iis, qucbe in
ea et circa eam exhibita sunt passionis genera, similitudinem
quidem passionis et doloris suscepisse, sed nuUum omnino do-
lorem aut passionem sensisse . . . Quomodo stabil, quod dicit
propheta: vere languores nostros ipse tulit, et dolores nostros
ipse portavit? (Is. 53).
Zu 11, 7—12«) stimmt inhaltlich Hugo t 2, 400 A: quam
tarnen mortem quia non pro sua iniquitate, sed pro nostra
redemptione stistinuit in cruce pendens; quare sit derelicta
requirit, non quasi adversus deum de poena murmurans, sed
nobis innocentiam suam in poena demonstrans, causam quaerebat,
qui peccatum nesciebat
11, 13—21. Die stelle, welche der dichter hier aus Salomo
citiert, steht im Ecclesiastes 5, 1: ne temer e quid loquaris neque
cor tuum sit velox ad profuendum sermonem de deo. Dazu ist
noch heranzuziehen Eccles. 8, 17: et inteüexi, quod omnium
operum dei nullam possit homo invenire rationem eorum, ^pMe
fiunt std> sole: et quanto plus laboraverit ad quaerendum, tanto
minus inveniat
11,22 — 32 sind widerum selbständige zutat des dichters,
verse, in denen er das eigentlich schon gesagte widerholt: *es
ist unmöglich, die geheimnisse gottes zu schildern'. Aber er
erinnert sich noch an einen vergleich über die trinität, den er
bei Hugo (t. 2, 61) gelesen: quod per similitudinem ostendunt
sancti (so nämlich die trinität). In radio namque solis sicut
inseparabiUter adiunguntur splendor et calor; tarnen splendor
illuminat, calor exsiccat, nee calor illuminat, nee splendor ex-
siccat Similiter in sancta trinitate tota trinitas operata est
incarnationem filii. Diesen vergleich führt er 11, 35 ff. durch,
0 11, 6 ist we wol die richtige lesart. Hahn schreibt wer, was keinen
sinn gibt.
•) 11, 8 wäre die statt der sinngemäss, v. 10 er richtiger als ez, v. 11
yerlangt der context in statt ez.
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QUELLEN DES ANEGEKaB. 279
T aber schliesslich ganz aus dem vergleiche der trinität
nach dem ganzen zusammenhange beabsichtigt haben
mit der sonne herausfällt und die mannigfachen wir-
gottes mit den mannigfachen Wirkungen der sonne
^ht (v. 54 f. 80 gitaner wunder hat er geschaffen also vil).
60 ff. entwirft er neuerdings ein programm alles dessen
noch im verlaufe seines gedichtes schildern will. Der
inkt ist 11,74 — 78. Die frage über das los der un-
dahingeschiedenen kinder behandelt Hugo (t. 2, 132 f. D,
LT kurz, und das was er darüber sagt, ist eigentlich
fustinus, der in seinem werke De peccatorum meritis
issione, et de baptismo parvulorum ad Marcellinum
ffl (Migne t. 44, der werke 1. 10', 109 ff.) sehr ausführ-
rüber gehandelt hat. Da unserm dichter yon Hugo
3nig geboten wurde, was er über das Schicksal der
Iten kinder hätte sagen können, so suchte er bei
nus sein wissen zu bereichem, und zwar wie wahr-
ch durch Hugo angeregt, der jenen als autorität in
ache citiert.
dchsam als entferntere einleitung zu der folgenden
ung dienen 12,1—10. Die ersten drei verse dieses
scheinen eine Schlussfolgerung aus einer stelle des
nus zu sein; De genesi ad literam lib. 11, c.9, no. 12,
Ir heisst es: cur ergo eos creavit, quos tales futuros (sc.
esse praesciebat? Quia sicut praevidit quid malt essent
sie etiam praevidit de malis factis eorum, quid honi
se factt^rus, Sic enim eos fecit, ut eis relinqueret unde
üiquid facerent, quo quidquid etiam culpabiliter eligerent,
? se IcmdäbiUter operantem invenirent. Die verse 4 — 10
i sind sicher aus Hugo entlehnt, welcher sagt (t. 2, 260):
im ut quidam putant conditio hominis ita ad restaura-
angelorum provisa est, quasi homo non fuisset factus,
jelus ceddisset; sed idcirco ad restaurandum et supphn-
osorum angelorum numerum factus homo dicitur; quia
no postmodum creatus illuc unde Uli ceciderunt ductus
ts societatis numerus qui in cadentibus diminutus fuerat,
ninem reparatur. Und t. 2, 287: et ille dedmus ordo
>riste chor'), ut scriptura dicit, de homintbus restauratur.
5 verse nun 12, 11— 14 dienen als nächste einleitung zu
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280 TEÜBER
diesem thema: 12, 15 ff. si Iwten mit ir misseüeten, ob sie gelebt
heten, gechouffet doch die hellen. Schon diese yerse beruhen
auf Augustinus (vorausgeschickt muss werden, dass der dichter
in der ganzen darstellung die indirecte rede gebraucht, wodurch
er anzeigen will, dass er hier nicht seine, sondern die meinung
eines andern bringt). Dort (De peccatorum meritis et remis-
sione c. 21, no.30, 1. 10^, 126) heisst es: ex ipsis deinde baptieatis
parvülis dicatur mihi, cur älius rapitur, ne malitia mutet in-
tellectum dus; et (üius vivit, impius futurus? Der dichter
hat in den citierten vei^en den schluss aus dieser stelle ge-
zogen.
Der grundstock zu den ausffihrungen 12, 18 — 35 findet sich
bei Augustinus I.e. 126, c. 22, no.31: an forte illud tarn explosum
repudiatumque sentiendum est, quod animae prius in coelesti
häbitatione peccantes, gradatim atque pauUatim ad suorum me-
ritorum corpora perveniant, acpro ante gesta vita magis minusve
corporis pestibus affUgantur? Ibid. 128, no.33: cedamus igitur
et consentiamus auctoritati sanctae scripturae, quae nesdt faüi
nee fallere; et 'sicut nondum natos ad discernenda merita eorum
aliquid boni vel mali egisse* non credimus; ita omnes sub pec-
cato esse . . . minime dubitemus. In der ersten eben citierten
stelle bezieht sich Augustinus auf die seelen überhaupt, welche
wegen der in ihrer praeexistenz begangenen Sünden in die
körper gebannt und in denselben mehr oder weniger gepeinigt
werden. Die zweite stelle könnte man füglich für die i^arvuZi
allein in anspruch nehmen, was auch unser dichter tut. Was
lag aber für ihn näher bei dem allerdings von Augustinus aJs
irrig bezeichneten gedanken, die seelen könnten vor ihrem
eintritt in den körper bereits gesündigt haben, — als anzu-
nehmen, dass sie sich mit den bösen engein in Verbindung
gesetzt und gegen gott erhoben hätten, da er sich ja so ein-
gehend auch mit diesen befasst hatte (4, 1 ff.). Wie er zu den
ewelf potentaten gekommen, bleibt allerdings vor der band ein
rätsei. Was der dichter als einleitung zu dieser partie sagt:
dae diu armen chindelein die not habent erarnet daz sich got
über siu nicht erbarmet, ist ebenfalls aus Augustinus, nur dass
dieser seine ansieht erst am ende seiner Untersuchung als
Schlussfolgerung beibringt (1. c. s. 120): potest proinde reete
dici parvulos sine bap. de corpore exeuntes in damncMane
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QüBLLBN DBB ANBGENaE. 281
mitissima futuros und (ib. s. 140 f.): parvtdos non hap-
t>re cwn diabolo.
h für 12, 36 — 47 hat Augostinns die leitenden gedanken
I müssen. Er sagt (De Genesi ad liter. üb. 11, c 8, no.lO,
): qtwdsi inerudite atque insapienter dicitur, cur ergo
iret detis etiam qms nuüos futuros esse praesciebat,
stendere iram et demonstrare potentiam suam, 'et ob
inens in muUa patientia vasa irae, quae perfecta sunt
Honem' {'voUiu JsaV), ut notas faceret divitias gloriae
vasa misericordiae, quae praeparavit in gloriam? und
b. C.9, no. 12, S.434) heisst es : sed praesciebat, quod eorum
ohmtas mala . . . Cur ergo eos creavit, quos taies esse
\t? Quia sicut praevidit, quid maii essent facturi, 'sie
'oevidit de malis fadis eorum, quid boni esset ipse fac-
Der dichter zieht also ans diesem satze in y.45--47
ms: doB was michel groeer recht, denne daa diu gute
U da geh^ket wcdre,
s der dichter 12, 48 — 54 sagt, scheint auf eine andere
d Angostinus (De natura et gratia, 1. 10, 250, c. 5, no. 5)
ngehen: qui ergo inde per gratiam liberaretur, non
mtarum suorum, sed vasa misericordiae nominantur.
\isericordia, nisi ülius, qui Christum Jesum ('weist&m')
hunc mundum peccatores sahos facere, quos praescivit
lestinavit . . .
S5 — 84 dürfen wir als eigene erflndung des dichters
len, wenn auch in y.55— 63 anklänge an Augustinus
lesi ad Ut. c. 10, s.434) und in y. 66 — 73 anklänge an Ps.
6 und Ps. 148, 8 yorhanden sind; mit Sicherheit lassen
angegebenen stellen nicht als quellen bezeichnen.
?egen scheint es kaum zu bezweifeln zu sein, dass der
13, 1—9 auf einer stelle fusse, welche sich bei Rupert
5 findet (Migne 1 170, 73): cum praevaricatio nulla sit,
eptum out lex non fuerit cur deus homini praeceptum
uod non servandum praescivit, VideUcet, quia 'creator
\ iste creatura, et a Creatore creaturam erudiri opor-
'quippe quae ita creari non potuerat^ ut suapte natura
esset' quod soUus divinae naturae est, neque uri posset
%s mitis et humiUs corde est...
zt kommt der dichter mit 13, 13—18 abermals auf die
B zur geschieht« d«r deatschen spräche. XXIV. 19
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282
Sache zurück, die er bereits 12, 7—10 fast mit denselben Worten
ausgesprochen hatte. Diese stelle beruht auf Hugo t. 2, 260D:
. . . sed idcirco ad restaurandum et supplendum lapsorum ange-
lorum nuimerum fcbctus hämo didtur, quia hämo postmodutm
oreatus ülue unde cedderunt ductus est, üUns sodetaHs numerus,
qui in cadenUbus diminuius fuerat, per hanUnem reparaiur.
Wenn der dichter yom ^falle' Adams spricht, so tut er das
deswegen, weil er damit betonen will, dass er das liberum
arbitrium ebenso hatte wie die engel, seien es nun die guten
oder die gefallenen, setzt aber notwendigerweise die bekehmng
Adams und dessen erlösung voraus.
Zu 13, 19 — 37 dienten als quellen neben Hugo von St Victor
auch Ephes. 1, 11. Hugo (t 2, 84G) sagt: et quia contra ereor
torem suum in tantum superbivit, deiectus est in loeum oaUguuh
Stirn 'cum Omnibus Ulis, qui ei consenserunt^ . . . Non est eis
concessum habitare in coeh, quae est dara patria (13, 19 — 22).
Weiter heisst es t. 2, 87A: legimus quod 'dedmus ordo ab ho-
minibus impleri debeat^ MäU enim angdi cum de singuUs
ordinibus caderent, fecerunt unum ordinem ... Et iUe 'dedmus
ordo\ ut scriptura didt, ab hominibus restauratur (13, 23).
Weiter ist heranzuziehen Hugo t. 2, 87: et quamvis de hominibus
restauratur (dedmus sc, ordo), quod lapsum est in angeUs (propter
quod ait apostolus: proposuit instaurare omma in Christo, quae
sunt in coeh et quae in terris (Eph. 1, 10). Durch Hugo, d^
den Epheserbrief dtiert, wurde der dichter auf Eph. 1, 11 ge-
führt, wo er das fand, was er noch brauchte. Dort heisst es:
in quo etiam et nos sorte vooati sumus praedestinc^ seeundum
propositum dtAS, qui operatur omnia seeundum consilium volun-
tatis suae, und Hugo fährt fort: non tarnen intdiigendum est,
quod solum propter ülos qui cedderant (actus sit homo. Licet
enim angelus non ceddisset, homo non minus factus esset
Erst jetzt kommt der dichter 13 ff. auf die Schöpfung des
menschen ausfuhrlich zu sprechen. Den 13, 38 — 43 ausgespro-
chenen gedanken finden wir bei Hugo (t 2, 22): fedi ergo, ut
dictum est, corpus de limo terrae et inspiravit d animam ratio-
naiem, quam creavit de nihüo, 'ut in corpore obedieuter viventem
ad consortium älorum spirituum qui sine corpore dwbauf . . .
quandoque simul cum corpore devaret.
Zu 13,44—53 stimmt widerum Hugo (t2,24B): d igüur
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QUELLEN DBS AKEOBNGB. 28S
r» hae oboedimtia persHtisset, post tempus definUum a
Hlud summmn homm quod in coelia ei praeparaium
sine mortis dolore ^iransferri debuerat cum omni proh
consorHo beatorum angehrum aetemaUter vidurus.
54—61. Ganz ähnlich sagt Hngo (t 2, 23M): factos
xtra paradisum in paradiso posuit informans prcieceptis
disdplinae. Und weiter (t.2,95): aä iUud quod pro-
t promerendum *praeceptum dedit oboedientiae* dicens:
} mentiae boni et maU ne comedas (^nichtes er in bcete,
a er wiBre gehorsam^.
62— 14y9. Diese stelle, deren einzelne sfttze aa& innigste
lenhängen, ist ans mehreren stellen zusammengesetzt,
li bei Hngo getr^int yorfinden. Auf den unterschied
zelnen engelchOre macht Hugo (t.2,86D) aufmerksam
, 63 — 65): sie et in tUis ^ritualibus naturis convenientes
puritati et exceUeniiae et in essentia et in forma diffe-
gradus in ipso condidonis exordio potuerunt esse, qwlbus
oeriores, aUi inferiores. Und dass der dichter gerade
risten und den widristen gegenüberstellt (y. 68. 65), ist
Is durch Hugo (t 2, 86 1) yeranlasst; er sagt: quaeritur
les eiusdem ordinis pares swnt et aequodes. Quod qui-
Visum est. 8ed iUud non potest stare, cum scriptura
mferum cunctis aJOs exceUenüorem; quem constat fuisse
ne ^supremo' (obriste). Dass der dichter darauf kam
in: hete got des nicht gitan, so het er den obristen cMre
yret sein ere, u.s.w., dazu mochte ihn ebenfalls Hugo
len, der widerholt yom liberum arbitrium des menschen
r engel spricht, das sich durch den freien gehorsam för
irch den freien ungehorsam gegen gott entscheidet
); der dichter nimmt aber dabei (auf Hu^ gestützt)
» den engein ebenso wie den menschen yon gott der
m geboten wurde. Die folgenden yerse (13, 66 — 84 und
f) beruhen auf einer bei Hugo ganz klaren stelle, welche
ht^ dadurch dass er die geschichte mit dem zehnten
offigt, die er ebenfalls bei Hugo yorfand, etwas unklar
t hat; dort (t.2, 22B) heisst es: illos (angelos) quidem
^ensationem in imo disponens ut et istos quandoque 'per
lüom' ab imo ad summa proveheret; darin liegt die
ssung ffir UBsem diditer, jene andere stelle bei Hugo
19»
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284 TEUBEB
(t. 2, 260D) mit hereinzuziehen: quia cum hämo postmodum
creatus illuc unde iUi cedderunt ductus est, ittius societaHs nu-
merus, qui in cadentibiis diminutus fuerat (y.68 ist daher zu
beziehen), per hominem rqparatur (vgl. v. 66 — 75). Hugo fährt
a.a.O. fort: etillos per 'oboedienüam' summa confirmareL Das
war wider für unsem dichter die Veranlassung zu v.62fL:
hete got des nicht ffitan, so het er den Christen chSre geminneret
sein ere. Denn wie die menschen durch 'gehorsam' zu gott
geführt werden sollen, so auch die engel, und in diesem ge-
horsam Uegt die ere, welche der dichter hier verstanden wissen
will. Bei Hugo (t. 2, 22 C) heisst es weiter: feät ergo, ut dictum
est, corpus hominis de limo terrae et inspiravü ei animam
rationalem ... ut in corpore 'oboedienter' (dasselbe setzt der
dichter von den engein voraus v. 83: si enwolden gotes willen
tun) ad consortium Hierum spvrituum qui sine corpore tnvebant,
l e, angelorum, quando simul cum corpore elevaret; et pariter
utrosque ad participationem gloriae attoüeret (v. 78 f. das wir da
solden immer leben den engein geleidhe); et quantumprius summa
per dispensationem inclinavit dum conderet, tantum nunc ima
per dignationem exaltaret
Und t. 2, 80, wo Hugo ausführlich auf die erschaffung der
engel zu sprechen kommt, heisst es: ideo etiam animae sunt
assodatae corporibus; ut in eis domino famulentur, et verum
et summum bonum promereantur (14, 1 — 3). Die folgenden
verse 14, 4—6 ständen besser und dem Zusammenhang ent-
sprechender nach 13, 65. Wenn sie der dichter erst hier ein-
gefügt hat, so ist ihm wol einge&tllen, was Hugo t2, 84C
sagt: sciendum quoque est quod boni angeli ita sunt confirmati
per gratiam, quod peccare non possunt Darin lag für unsem
dichter der ganz richtige schluss: 'ist das der fall, dann waren
die engel gott dank dafür schuldig; und diesen dank konnten
sie nicht besser abstatten als durch gehorsam. Hätte nun
gott den gehorsam von ihnen nicht verlangt, so wäre ihnen
keine gelegenheit geboten gewesen, ihren dank abzustatten';
also got hete wider die engel gitan, die in danches wolden
bistan.
14, 7—9 sind mit beziehung auf das was der dichter früher
gesagt hat, dass die menschen den obristen eher inne haben
werden, eigentlich der Inhalt von einer stelle bei Hugo 1 2, 88 A:
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QUELLEN DES ANBGENGE. 285
US etiam dicit qmd quisque habet unum honum angelum
odiam deput<xtum.
iwierigkeit bietet der weitere satz 14, 10—12 dcuf sant
lar in für, dae endoueht sant MicJihel niht umbiUick;
£fwaner arbosit waren ungelich. Bei Hugo wird t. 2, 88 A
sagt: unde videtur, quod ^Michael' Gabriel Baphael *de
re ardine sint'; aach wird de angeh *Petri' in actibus
mim (s. 88 B) gesprochen. Aber eine solche combination,
der dichter in den citierten versen gemacht hat, findet
rgends. Es scheint also diese stelle wol durch Hugo
sst, aber vom dichter selbst in dieser eigentfimlichen
ombiniert zu sein.
18 — 22. Diese verse haben für unser gedieht eine
e bedeutung: einmal fassen sie das bisher gesagte zu-
i, das andere mal aber leiten sie ganz treffend zu der
ung von der schopfung des menschen hinüber. Dass
V.21 als er den chor leren sack unmittelbar an das
^hende anschliesst und die erschaffung des menschen in
ilbaren Zusammenhang mit dem falle und der verstossung
len engel bringt, werden wir als ein meisterstück dich-
>r Verknüpfung ansehen, wenn wir auch zugeben müssen,
:• durch Hugo (t. 2,260) hat darauf geführt werden
Dass der dichter, wie sich bald zeigen wird, unmittel-
die Genesis anknüpft wie Hugo, aber auch Hugo punkt
okt im folgenden als quelle benutzt, macht es sehr
Peinlich, dass dieser jenem hierin vorbild war. Denn
agt an derselben stelle, wo er zur Schöpfung des menschen
it (t. 2, 91, c. 2 de creatione hominis): Ms excussis restat
!e creatione hominis, de lapsu eitis et de reparatione. In
dicitur: 'faciamus hominem' und unser dichter: wiUich-
y do sprach: einen menschen sul wir schephen.
23 — 26.^) Hugo t. 2, 91: faciamus hominem ad imaginem
litudmem nostram (Gen. 1, 26). Aber unser dichter folgt
directen rede seinem gewährsmann Hugo (bez. der
) nur in den ersten zwei werten, da erinnert er sich
vider daran, dass er v. 21 gesagt hat als er den chor
IsAok schreibt 14, 24 ersetzet \ der reim und der Binn verlangen aber
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286 TEÜBSB
l&ren sachj und gibt^ sobald er den plan gottes einen menschen
zu schaffen, ohne weiter auf dessen eigenschaften einzugehen,
berichtet, sofort den grund an warum: einen grund, den er
eben ganz geschickt von Hugo darauf geführt, hier einflicht.
14, 27—29. Dass v. 23 mit der directen rede begonnen,
hat er nach einschaltung jenes grundes für die Schöpfung des
menschen wider vergessen und geht in die erzählungsform
über. Dazu stimmt Hugo a.a.O.: faciamus hominem ad tma-
ginem et simäitudinem noatrcm. Ad imaginem dei (actus est
hämo seotbndum animam.
14, 30—34. Wenn wir v. 30 f. der erfindung des dichters
zuschreiben, so tun wir damit wol nicht unrecht Dagegen
beruhen die weiteren yerse auf Hugo, bez. der hL schrift Bei
OTSterem heisst es (t.2,92A): corpw vero formavü de limo
terrae, cui animam inspiravit (Gen. 2, 7). ünde in Genesi: in-
suffiavit in fadem eiiis spiraculum vitae. Wenn der dichter
V. 34 daz er ewic soUe sein sagt, so gibt er damit den gedanken
wider, den Hugo (t.2, 92A) ausspricht: in hoc etiam potest
anima ad simiUtudinem dei, 'quia immortalis'] denn was un-
sterblich ist, ist auch ewig. Doch scheint der dichter hier
vielmehr die ewigkeit des ganjsen menschen (der seele nicht
nur, sondern auch des leibes) betonen zu wollen; auch dafür
war bei Hugo vorgesorgt (t. 2, 94D): sed completo oboedientiae
nw/nero transferretu/r ad ülum Station, in quo nee mori posset
nee peccare. Erat igitur ante peecatum Hmmortalis' . . .
Wie gerne sich der dichter mit den subtilsten fragen der
Scholastik beschäftigt hat, sahen wir in ganz hervorragendem
masse bei seiner darstellung der drei göttlichen personen; das
folgende ist ein neuer beweis dafür.
14, 35 — 58.9 ^* 3^ ^^ zugäbe des dichters, womit er übri-
gens ganz geschickt an v. 33 f. anknüpft; dort hat er von der
seele gesprochen, mit den fumf sinnen charakterisiert er ganz
gut den sterblichen teil des menschen.^ In v. 36 widerholt
^) Nach 14, 37 fehlt ein reim nnd ein nachsats. Es dürfte wol das
richtige sein zu schreiben wan dag er gerne tcete, swes er in beste, V. 43
lies aherste für Hahns alre ste.
^) Möglich wäre es freilich, dass er Angostinns (De Genesi ad lit^
lib.8, c.4, no.e7, t8S281f.) gekannt hat, der sioii ex professo mit den
fttnt sinnen beschäftig.
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QUBLIiEV DBS ANEGENGE. 287
er bereits 13, 60 1 gesagt und ans Hugo 1 2, 95 genommen
[)n y. 38—58 schliesst sich der dichter an eine stelle bei
n, die er etwas breitsporig, aber inhaltsgetrea widergibt.
Bt dort (t 2, 94C): Mit deus haminem, et posuit in pa-
% vohtptcMs (Gfen. 2, 8). Quibus verbis plane ostendit
f quod extra paradisum creatus sit, et postmodum in
um P09ÜUS. Quod ideo factum dieUur, quia non erat
permansurusj vd ne beneficium dei imputaret naturae,
üae.
Bnn der dichter y. 57 f. sagt des wtBr unr doch verlorn,
%m da» ohee ga/r verhorn, so ist das ein einfacher schluss
i letzten werten Hugos: 'h&tte der mensch die woltat
seiner eigenen natur zugeschrieben, so h&tte er ebenso
gt, als wie er dadurch sündigte, dass er yon dem yer-
L bäume ass; aber seine nachkommenschaft hätte er in
falle in sein yerderben mit hineingezogen'. Alles was
hter hier sagt, steht in der Genesis. In y. 59—62 hat
hter die zwei yerse Gt^l 1, 28. 29 zusammengefasst:
it que iüis deus et ait: crescite et multipUcamini et
terram et 'subicite' eam et ^dominamini' piscibus maris
tilibus coeU et universis animantibus, quae moventur
mram (was hier angezählt ist, hat der dichter in den
isammengefasst: aUes des uf der erde ist). Dazu kommt
19: farmatis igitur dominus deus de humo cunctis
tibus terrae et universis volatüibus coeli, 'adduxit ea
m' ('zmgt ima'), ut videret, quid vocaret ea. In y. 63 ff.
im anschluss an Gen. 2, 16 ff. in die directe rede über
nutzt die dtierte stelle fast w&rtlich; dort heisst es
16 f.): praecepitque ei dicens: ex ligno awtem sdentiae
maU ne comedas; in quaoumque enim die comederis ex
te morieris.
68 — 15,1. Hugo spricht über die hier yorgebrachten
n mehreren stellen (t 2, 23 ff. 93 ff. 281 f.). Mit y. 68
der dichter ganz gut an das yorausgehende an, und
ie mir scheint, ganz selbständig, während er in y. 69 f.
ende stelle Hugos anknüpft, die er allerdings nur dem
nach widergibt Hugo sagt nämlich (t.2,95D): sicut
uae naturae sunt in homine, corporaUs et spiritualis;
bona homini praej^averat deus, temporale et aetemum
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288 TEÜBEB
. . . temporale priiAS datum fidt Älterum, i. e. aetermim, non
tunc datum, sed propositum fuit Die verse 71 — 77 sind in
der einkleiduQg, wie sie unser dichter gibt, selbständige erfb-
dung. 14, 78 — 15, 1 beruhen wider auf Hugo, t. 2, 282C: prop-
terea haminem ad eaperiendam experientiam mandato informans
multa concessit et 'ptmca prohibuit* ('mit dem wenigem gebat^j
ut ipsa öboedientia esset libera, et qtMe prohibuit idcirco poUus
prohibuit quam praecepit, ut öboedientia ipsa esset pura. De
omni, inquit^ paradisi ligno comede etc. Si ergo hämo in kae
öboedientia perstitisset, post tempus definitum a deo ad iUud
bonum quod ei in coelis pra^m-cUum fuerat sine mortis dolore
transferri debuisset cum omni prole sua post ipsum suhsequente
in consortio bonorum angelorum vita coelesti sine fine victurus.
In y. 82 erinnert sich der dichter wider daran, was er im
früheren, auf Hugo t. 2, 87 gestützt, gesagt hat: et iOe dedmus
ordo ...de hominibus restauratur.
15, 2—38. Was der dichter hier sagt, hat er grösstenteils
bei Hugo gefunden. V. 2—17 stimmen wol inhaltlich mit fol-
gender stelle bei Hugo überein (t. 2, 23): si igitur homo per
naturale praeceptum imbutus negligentiam cavisset divina Pro-
videntia nulla eum violentia opprimi permitteret (der dichter
schliesst: 'nun hat er es aber übertreten, was gott yoraus
wusste, also violentia opprimi permissus est, y. 5 — 7. 14 — 16).
Aber eine stelle, welche sich bei Augustinus, De Gen. ad lit,
lib.ll, C.4, no.6, t.3i, 431 f. yorfindet, spielt hier mit herein; sie
muss der dichter gekannt haben. Dort heisst es: si ergo quae-
ritur, cur deus tentari permiserit hominem, quem tentatori can-
sensurum esse praesdebat; altitudinem quidem consüii dus
penetrare non possumus ... sed tarnen quantum vd donat
sapere, vel sinit dicere, 'non mihi videiur magnae laudis futurum
fuisse hominem, — si propterea posset bene vivere, quia nemo
male vivere suadereV (y. 12—17). V. 18—20 widerholt der
dichter dasselbe, was er bereits 14, 78 — 82 und 15, 1 gesagt
hatte. Für 15, 8—27 ist auch Hugo, t.2,24D heranzuziehen:
quomodo praevaricatus est homo? M.: videns diabolus, quod
homo per obedientiam iUuc ascenderet (y. 18 — ^20), ut^ ipse
per superbiam cedderat (y. 21 f.), invidit d, et quia per violentiam
d nocere non poterat, ad fraudem se convertit (y. 23 — 25). Ne
autem fraus iUit/^f d mint^ occultaretur, eaveri omnino non
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QUELLEN DBS ANEGEHGE. 289
nan permissus est per aüud animal tentare nisi per
lern, ut naturalis ash^tia serpentis proderet tentatoris (^ob
widersten weiten' . . .). 0 Weiter sagt Hugo 1 2, 25 A:
-ea diäboJus veniam nan meruit, quia nuUa tentatiane
t (v. 34 — 38); homo vero qui exteriori tentatione pulscUas
tanto graviiis plectendus erat, quanto leviori imptdsus
prostratus. Et tarnen, quia aliquam in cadendo, ut ita
violentiam sensit (y. 29 — 31); dagegen sind y. 32 f. eine
lenz ans dem satze Hugos diaholus veniam . . . tentatiane
t^)y iddrca hune tandem dei gratia ad veniam erexit
-28). Wir sehen, unser dichter hat die gedanken welche
i den citierten stellen yorfinden, sämmtlich y erwertet,
ßlbständig, und man muss sagen, geschickt umgestellt
^arbeitet.
as die folgende darstellung über die Schöpfung des
weibes anbelangt, so findet sich dayon bei Hugo (t. 2,
genugsam gehandelt; er stellt aber die sache mehr
phisch- theologisch dar. Das mochte dem yerf asser des
Ige nicht anstehen (obwol auch er solche theologisch-
phische bemerkungen nicht unterlässt), weshalb er es
, sich zunächst an den schlichten und einfachen histo-
L bericht der Genesis zu halten. Dass ihm Hugo aber
führer gewesen ist, beweist uns der umstand, dass er
izelnen teile seiner darstellung fast in derselben reihen-
knordnet wie Hugo.
, 39—45. Dazu stimmt Gen. 2, 19: farmatis igitur daminus
e huma cunctis animantOms terrae et universis valatilihus
\dduxit ea ad Adam, ut videret, quid vocaret ea. Diese
ist ihrem inhalte nach in y. 39—41 widergegeben, und
Gen. 2, 20 ganz geschickt yerknüpft: . . . Ädae vera nan
ibatur adiutar similis eius.
,47 — 50 stimmen fast wörtlich mit Gen. 2,21: immisit
ominus deus soparem in Adam ... 22 Et aeäificavit da-
deus castam quam tulerat de Adam in muUerem . . .
et erunt dua in came una.
), 51 — 53 sind eine recht naiye zugäbe des dichters, der
i die läge Adams hineinzudenken yersucht
Diese ansieht hat Hugo fast wörtlich aus Angostiniis, De Gen. ad
LI; c3, no.5| 13^431 herübergeuommen,
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290 TBÜBEB
Zu 15,54—59 benutzte der dichter Qen. 2, 23: dixU^p$e
Adam : hoc nunc os ex ossibus meis, et caro de came mea
(v. 56 f.). In y. 59 anticipiert er, was erst später w&re zu
sagen gewesen, Gen. 3, 20: et vocavit Adam nomen uxoris suae
Heva. Wo Adam die vom dichter ihm in den mond gelegten
Worte spricht, nennt er sein weib virago; Heva heisst sie erst
nach dem sündenfalle. Wenn der dichter y.58 sagt: ungeme
was ich (eine, so hat er dabei Oen. 2, 18 non est banum esse
hominem sohm vor angen und legt diese werte gottes dem
Adam in den mond.
Bei 15, 60—62 hat der dichter 1. Tim. 2, 14 vor äugen: et
Adam non est sedMCtus: mulier autem seducta in praevarica-
tione fuit
15, 63 — 75. Derjenige welchen der dichter in v. 66 meint,
ist niemand anders als Beda Venerabilis, der in der tat in
seinem Hexaemeron (Migne 1 91) zu Gen. 5, 1. 2 ganz dasselbe
bemerkt. Was unser dichter in der citierten stelle als eine
Sache angibt {dae gtt dirre rede einen michel archwain)j die
man bezweifeln könnte, ist natürlich die ansieht, die er
15,39 — 62 ausgesprochen hat Dort heisst es: Adamvero ita,
ut utrique sexui possit aptari, unde recte didtur: quia vocamt
nomina eorum Adam, i. e, hämo. Quod autem dicit: et vocavit
nomina eorum Adam, et addidit: in die, quo creati sunt, piUenter
insinuit quod uno eodemque die, i e. sexto mundi nascentis,
Adam et Eva facti sunt, et non uocar de latere eiuspost sesOmm
aut post septimum diem seorsum creata. Das ist es was der
dichter v. 70 f. zunächst als tadelnswert hervorhebt. Auch das
was er in v. 72 f. sagt, bezieht sich auf Beda. A. a. o. sa^ er:
in qua videlicet sententia vitanda est paupertas sensus camaUs,
ne forte putemus deum vel manSbus corporeis de limo formasse
corpus hominis, vel faucibus labiisve inspirasse in fadem, %U
vivere posset et spiraculum vita>e habere.
Mit 15,76—16,2 geht der dichter zur Widerlegung jener
ansieht und zur bekräftigung seiner eigenen über. Er beruft
sich mit v. 77 unverkennbar auf die autorität der hL schrift^
wol wissend, dass dieser nicht so leicht zu widersprechen ist
In V. 79f. bezieht er sich auf die schon citierte stelle ans
Gen. 2, 211 et aedificavit dominus deus costam, ^^iom tulerat
de Adam, in mulierem. In den versen 15, 81—83 und 16, 1 1
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QüBUiSir IMBB ANBGENaE. 291
m ihm Gen. % 20. 28. 3, 20 vor. Gen. 2, 20 heisst eg:
pUgue Adam nominibus suis amcta animantia et universa
a coeli et onmes bestias terrae; % 23 haec vocabitur vi-
i, 20 et vocavit Adam nomen uxoris suae Heva.
, 3—18.0 Der dichter beruft sich in v. 3—7 auf sehni-
gen seiner zeit und speciell in v. 7 auf seinen lehrer.
)lle hat aber zugleich den zweck, jene oben aus Beda
imene ansieht zu widerlegen. Und merkwürdig, wenn
licht dem Wortlaute, so doch der sache nach, dieselbe
3gung findet sich ebenfalls bei Beda, Hexaemeron s.42:
que latius hominis fadwra describitur, qui in die quidem
actus est; sed ibi^) breviter eius est commemorata creatio,
ie plenius exponiiwr, quia videUcet in corporis et animae
liiam factus sit, e quibus corpus de Umo terrae formatum,
vero de nihilo sit deo inspirante creata, sed et femina
f totere dormientis condita. Wenn nun der dichter Beda
gelesen hätte, so hätte es ihm wol nicht einfallen können,
jene stelle zu polemisieren; er hat sie also in der schule
und ist schlecht berichtet worden; denn diese und die
itierte stelle zusammengehalten ergänzen einander sehr
d stehen mit der hl. schrift keineswegs im Widerspruch.
tös sich überhaupt eine solche schulmeinung bilden konnte
reiflich; denn man fasste die Schöpfung der erde mit den
lünftigen wesen als einen schöpfungsact für sich auf.
höpfung des mannes war dann natürlich ein zweiter,
Schaffung des weibes ein dritter schöpfungsact. Falls
5r dichter, was sich ja weder bejahen noch verneinen
jene zweite stelle aus Beda nicht gelesen oder gehört
so ist für diese schulmeinung eine andere erklärung,
1 Wahrscheinlichkeit für sich hat, möglich. In der Genesis
. 1 summarisch die Schöpfung der weit und aller unver-
^en wesen auf und über ihr erzählt In c. 2 wird die schö-
les menschen und dessen Stellung zu den übrigen dingen
Qt von der übrigen Schöpfung, welche als bereits fertig
^zeichnet wird, berichtet. Und nachdem die Stellung des
16, 12 schreibt Hahn um, was offenbar falsch ist. D^r sinn ver-
p.
Gen. 5| 1.2.
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292 TEUBBB
menschen als beherscher der weit dargetan ist, heisst es weiter
2,20: Adae vero non inveniehatur adiutor similis eitis. und
nun wird von v. 21 an die Schöpfung des weibes erzählt Diese
in der bibel ganz unverkennbare trennung der genannten drei
schöpfungsacte und deren aufeinanderfolge: weit, mann, weib,
konnte eine ansieht, wie sie der dichter bringt, ganz leicht
erzeugen. In der älteren patristik ist sie nicht belegt, üebri-
gens entspricht ja v. 9—11 Gen. 1, 1 in principio creavH deus
coelum et terram, v. 12 aber Gten. 2, 7 formavit igitur dominus
deus hominem de limo terrae, Y. 13 f. sind die consequenz ans
dem vorhergehenden; die *erde' und der 'mann' sind eben
jswcei geschefte, und *Eva' natürlich das dritte geschöpf. V. 15 f.
steht parallel zu Gren. 2, 21 f. tulit unam de costis eiw . . . : et
aedificavit dominus deus costam, quam tulerat de Adam, in
mulier em. V. 17 f. entspricht dagegen Gen. 2, 23 haec vocabitur
viragoj quia de viro sumpta est Unter dem buch kann der
dichter nur die Genesis meinen.
16, 20—30. Hier kommt der dichter wider auf den in dem
früheren so oft benutzten Hugo zurück, der t. 2, 96 sagt: videns
ergo didbolus, quod homo per oboedientiam illuc ascenderet,
unde iste per superbiam ceciderat, invidit ei (v. 20 — 23). Unde
et mulierem tentavit, in qua minus quam in viro rationem
vigere sdebat. Und t. 2, 25: diabolus, quia vidit mulierem infir-
miorem et minus ratione egentem, fadlim fraude eam circum-
veniri posse, primum eam aggressus est ... Diese letzten werte
und der umstand, dass in der Genesis (2, 21 ff.) bei der erschaf-
fung des weibes nichts davon geredet wird, dass sie nach dem
ebenbilde gottes geschaffen worden sei (erst Gen. 5, 12 wird
davon gesprochen), mögen den dichter zu v. 25—30 veranlasst
haben.*)
16, 31—37. In V. 31 f. ist die oben citierte stelle von
Hugo benutzt. Die übrigen verse (33—37) sind wol mehr oder
weniger theologische Spitzfindigkeit, die wol eine stelle bei
Hugo (t. 2, 98B) veranlasst haben könnte: ignorantia peccavU
Eva. Der dichter könnte dabei an die ignorantia des gebotes
gottes gedacht haben. Aber die erklärung welche Hugo dazu
0 Möglich, dass die steUe bei Ambrostns (femina non est facta ad
imaginem de%) hier ihren einflnss geltend gemacht hat.
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QUELLEN DBS ANBOENGB. 293
4ia, ut ait apostolus, seducta fuit, scheint dem zu wider-
n; denn diese erklänmg hätte nnsem dichter und uns
licht auf jenen gedanken führen können. Der dichter
^i dieser stelle vielmehr, wie sich bald zeigen wird,
\ hauptsächlichste quelle Hugos, Augustinus, zuräck.
handelt über diesen punkt in seinem werke De Qenesi
am (lib.8, c.17, no.36, t. 3*, 387) wo er sagt: merito sane
ir, utrum hoc praecepttMn viro tanttwi dederit deus, an
^eminae? Sed nondum narratum est, quemadmodum
i femina. Augustinus entscheidet die sache nicht ganz,
. schliesst mit der frage: an sciens quod ei facturus
tlierem, ita praec^t ordinatissinie, ut per virum prae-
damini ad feminam perveniret? Diese stelle hat unser
sicher gekannt. Freilich muss man sagen, dass die
bung, das weib habe das gebot nicht vernommen. Gen.
iLz entschieden widerspricht, wenn dort gesagt wird:
tu vero ligni. quod est in medio paradisi, praecepit nöbis
t comederemus.
38 — 50. •) Die stelle ist, wie sie liegt, ihrem ganzen
nach — auch die polemischen seitenhiebe nicht aus-
len — aus Ambrosius herübergenommen. Derselbe be-
^ sich mit der frage, ob der teufel im paradiese war
cht,. ganz eingehend in seinem werke De paradiso (c.2,
Bgne 1 14, 278). Dort heisst es auch: deinde serpentem
idiso invenis, uUque non sine dei voluntate generatum.
dentis autem figura diabolus est Fuisse enim diabohim
%diso etiam Eaechiel propheta docet (Ez. 28, 13). Ibid.
itaqt/te neque dubitandum neque reprehendendum, quod
\diso diaholum non fuisse . . . secundum suam accipiant
fem interpretationem istit^ lectionis. Vergleicht man
^Ue des Ambrosius mit jener des Anegenge, so sieht
)r allem andern, dass es nur mehr gelehrter anstrich
in es sag^: nu sten ich an einem dinge, daz ich enwosiss
für bringe einen streit ee einer warhceit. Wir ver-
auch, wer die phaffen sind, denen es leid ist, wenn
behauptet, dass der teufel im paradise gewesen sei.
3er sinn von 16, 38 ff. kann nur der sein: 4ch weiss nicht, wie ich
oitBache richtig steUen soU'.
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294
Es sind dieselben, die Ambrosios im ange hat, wenn <
plerique tarnen, qwi vohint in paradiso diabohnin non fu
wenn man anch nicht wird leugnen können, dass jen
welche Ambrosius meint, auch zu lebzeiten unsers
ihre nachfolger hatten. Und wenn er sagt: die nu
bächweise, die Widerreden ee, ob si megen, so klingt es
wie bei Ambrosius, der sagt: secundum stiom aecipian
tatem interpretationem istius leetionis. Sein mceister, i
er sich in y. 47 beruft, hat ihm die ganz richtige ansi(
gebracht, eine ansieht die wir zunächst auch bei Hag<
(t. 2, 96 A), der aber seinerseits wider auf Augustinus <
nesi ad lit. lib.ll, c.27, no.34, 1 3^443) fusst, wo ef
non est permissus (sc. diabohis) tentare feminam nisi
pentem (v.48— 50).
16, 51—57. V. 51 f. ist auf die bereits citierte st
Augustinus zurückzuführen, der ebendort sagt: sed in
ipse (sc. didbolus) locutus est. Auch Hugo spricht
aber nicht so deutlich (t.2,96B): hoc modo tentaüo f
Primum interrogatione (was wol das si»*echen yora
aggressus est ... Cur non comeditis de ligno scienOae
moM? Ad quem mulier: ne forte moriamur. Unser
stimmt aber nicht so sehr mit Hugo, als vielmehr mit
Schrift überein; denn Gen.3, 1— 3 heisst es: ^i.di
praec^t vobis deus, ut non commedereUs de omni Ugn
disi (zu V. 52 — 54). . . . Cui respondit mulier ... de fru
ligni, quod est in medio po/radisi, praecepit nobis deus,
ederemus (zu v. 55 — 57). Nun kommt der dichter wi
das zurück, was er schon 16, 35 1 ausgesprochen hatte,
dass Eva von dem geböte nichts gewusst haben könn
16, 58—73. V. 58—62 beziehen sich auf 16, v. 35
widerholen eigentlich das dort gesagte. Der dichter
verlegen zu sein und einen ausweg aus der schwierig]
die er sich 16, 35 ff. hineingewagt, zu suchen. Allein
sich heraus, dass für die ganze stelle Hugo von St. Yic
dichter als quelle diente. Dadurch erscheinen jene ver
mehr als ein ausfluss selbständigen denkens und fo
sondern lediglich als gelehrter und poetischer aufpu
Hugo t. 2, 288 1 (c.5) heisst es nämlich: sane hie conside^
quod non quemadmodum superius videtur soli viro pra
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QUELLEN DBS AHEGENOE. 295
Sit (wie genau summt doch das zn y.58 — 62). Ipsa
mlier hie testatur (zu v. 55—57 passt das ebenso wie
I f.) sibi guoque numdaium, ut Ugntwi sdenUae honi et
m tangeret ('unt äaus si sich setbe an not hat doch so
n gezogen^. Scilicet voluit scripiura ostendere, quod
quae viro subieda fuit, divinum mandatum non nisi
'e viro acdpere debuit, ut sermo dei primum quasi im*
ad virum fieret, deinde mediante viro ad muUerem
('ir mdcht ea der man haben gesagt') quae subjecta
it et cansüio viri instituenda perveniret In v. 73 ist
24 benutzt: et enmt duo in came una.
74 — 79.0 Veranlasst sind diese verse wol durch Hugo
7G): venit ergo ad hominem in serpente 'caUidus' hosiis]
I) nequaquam altern diabolus coram muUere verba dei
praesumpsisset, si non prius ipsam nmlierem dUbitantem
et. Und noch deutlicher spricht Hugo i 2,97: audiens
mlier: eritis sicut dii, 'elaia est in superbiam' {'dae ir
as b^ey Ebenso t. 2, 96B: in quo verbo dedit loeum
cum dixit: 'ne forte' {^dae er wol horte an dem ir gi-
Nicht zu übersehen ist eine diesbezügliche stelle bei
inuSy auf welcher Hugo fusst. Dort heisst es (De Gen.
lib. 11, C.30, no. 38, t.3*, 445): ideo prius interrogavit
et respondit hoc muMer (das ist das gichöse, wie es
hter etw^ derb nenntX ut praevaricatio esset inex-
8.
80 — 17,6. Mit V. 81 steht der dichter im Widerspruche
bibel; denn Gen. 3, 1 ff. spricht der teufel nur zu dem
EtUein. Wenn aber der dichter einmal v. 81 schrieb:
deinem manne, wobei er also annimmt, dass die schlänge
len gesprochen, so hätte er in 17,2 auch den plural
Iten und er verbot ee iu umbe daa u.s.w. schreiben
Die stelle selbst beruht auf Gen. 3, 4 f., wo fast die-
worte stehen: diodt serpens ad mulier em: nequaquam
wriemini. Seit enim deus, quod in quocunque die com-
ex eo, aperientur oculi vestri (et eritis sicut dii),
bonum et mälum. 16, 80 beruht auf der bereits aus
lafaa Bdireibt IB, 76 wk, was offe&lMur in der hs. verschrieben war.
nur wvp heissen.
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296 TBUBEK
Augustinus (lib. 2, c. 27, s. 443) citierten stelle: fwn est per-
misst^ (sc. diabolus) tentare femnam nisi per serpentem . . .
'sed in serpente ipse locutus est'.
17, 7 — 13. Auch diese stelle ist dem inhalte nach aus
Hugo entnommen. T. 2, 288 sagt er: quae ergo dubitavit ab
afßrmante (deo) recessit, et neganti (diabolo) appropinquavit
Ipsa igitur secundum aliquid inchoavit mäUtiam, quae tentch
toris iniqui persiMsionis dedit OMdaciam, Dazu kommt t.2,290D:
et idcirco non sohnn inordinate similittidinem dei cum scientia
boni et maU appetiit (^michel wunder sei des nam, was dag ubd
wcere') . . . Voluntaria ergo malitia se contra crecUorem statm
erexit^) 17, 11 — 13 sind eine consequenz, die der dichter aus
dem letzten satze Hugos zieht
17, 14—18 sind eine widerholung des bereits 16, 55 — 57
gesagten, nur in etwas anderer einkleidung. Die quelle dazu
ist Gen. 3, 2 f.: cui respondit mulier: de fructu vero ligni . . .
praec^t deus, ne comederemus, et ne tangeremus iüud, ne forte
moriamur.
Ebenfalls eine widerholung des schon 17, 1 ff. gesagten ist
17,19—26. Dazu stimmt Gen. 3, 4 f.: nequaquam ('dae la dir
sein ummcere') morte moriemini. Seit enim deus, quod in quo-
cunque die comederitis ex eo, aperientur oculi vestri, et eritis
sicut dii säentes bonum et mdlum. V. 26 fasst der dichter
unter dem ausdruck elUu dinc das bonum et mialum der bibel
zusammen.
17, 27—29. Während in der Genesis der teufel nur dem
weibe rät, das obst zu essen, so lässt unser dichter die schlänge
in weiterer activität, indem sie Eva noch zum bäume der er-
kenntnis lockt und sie von der frucht nehmen heisst. Die
stelle selbst stimmt daher wol in der sache, aber nicht im
Wortlaute mit Gen. 3, 6: vidit igitur mulier, quod bonum esset
lignum ad vescendum et pulchrum oculis aspectuqtAC delectabUe:
et tulit de fructu ilUus et comedit
17, 30—45. Gerade so wie Hugo (t. 2, 97 f. und 289 ff.) sich
ganz besonders mit dem ersten weibe und dessen falle beschäf-
tigt, so auch unser dichter. Aber nicht Hugo allein ist es,
0 T. 2, 290: nam cwm amore permisaüms prius tnens sMta 'fieeterdwr'
s= des weibes geüoser mviJ^ sich sa *wcmdden* bigan*
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QUELLEN DES AKEGENGE. 297
ihm den stoff f&r diese stelle lieferte. Zunächst kommt
Schrift in betracht, denn an diese knüpft der dichter
0 zuerst an. Gten.3, 6 t heisst es: et tuUt de fructu
1 comedit Et aperti sunt ocuU amborum: cumque co-
nt se esse nudos, consuerunt folia ficus, et fecerunt sibi
%ta (v. 32—34 nudos). Für v. 37—45 ist Hugo (t. 2,
leranzuziehen. Dieser sagt übereinstimmend mit unserm
et tdcirco non solum tnordinate simüitudinem dei ...
sed in tantam prolapsa perversitatem verisimiliter
ut deum ex invidia lignum sdentiae boni et mcdi ho-
fmsse crederetj ne ipse hämo ex eo gustando ad aequor
ipsius proficere potuisset. Voluntaria ergo maUtia se
yreatorem suum erexit Weiter t. 2, 98 A: mulier quoque
in deum et proximum . . . Item mulier magis punita
i dictum est: in dolore puries ßios (Gen. 3, 16), unde
quod plus peccavit In y. 45 scheint sich der dichter
tt. 5, 12 zu beziehen: propterea sicut per unum hominem
n in hunc mundum intravit, et per peccatum mors, et
omnes homines mors pertransiit', in quo omnes pecca-
46 — 71. Hugo hat von dem was unser dichter in diesen
sagt, nichts. Möglich allerdings ist es, dass ihn eine
^i Hugo (t. 2,291 A) veranlasst hat nach dem gründe
en, warum Eva den Adam in ihr verderben mit hinein-
wollte; denn Hugo fragt sich an der citierten stelle
em gründe, warum Adam der Eva gefolgt habe: sed
so antwortet er auf die frage, warum Adam mit-
gt habe, ne mulieris animum, quae sibi per affectum
%is sociata fuerat, eius petitioni et vohmtati resistendo
wret Maxime quia putavit se et mulieri morem gerere.
e gesagt könnte unsem dichter veranlasst haben, sich
age zu stellen; aber die antwort darauf fand er bei
icht, wol aber bei Ambrosius und Augustinus. Ersterer
t in seinem werke De paradiso (t. 1,289): sine dubio
^tavit mulier (erinnert an v. 30 alz si ez in den munt
de ligno sdentiae boni et mali, peccavit et se peccasse
it. QiMe igitur se peccässe cognoverat, vel virum ad
communionem invitare non debuit. Illiciendo o/utem
H dando ei quod ipsa gustaverat, non vitavit, sed iteravit
:e zur geschieht« der deutschen spräche. XXIV. 20 /^^ T
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298 TEÜB3SR
peccatum . . . quamvis videatur haec mulier sciens quod post
culpam in paradiso esse non posset, metuisse ne sola de para-
diso eiceretur . . . Excludendam igitur se esse cognoscens, am-
sortio viri, quem diligebat, noluit defraudari. Diese stelle
stimmt inhaltlich, was die motive der handlungsweise Evas
anbelangt, ganz genau zu der citierten stelle 17,46 — 56.
Warum Adam in die Sünde Evas eingewilligt (v. 57—66), dar-
über belehrte den Verfasser des Anegenge Augustinus, der
De Gen. ad lit. lib. 11, c.30, no.39, t.3*,M5 sagt: et non cre-
dens posse inde se mori, arhitror quod putaverit deum aiicuius
significationis causa dixisse: si manduca/veritis, motte mariemini;
atque inde sumpsit de fructu eius, et manducavit, et dedit etiam
viro suo secum: fortassis etiam cum verbo suasorio (vgL die
citierte stelle aus Ambrosius, auf die sich Augustinus hier stutzt),
quod scriptura ta^ens intelligendum relinquit An forte nee
suaderi iam opus erat viro, quando illam eo cibo mortuam non
esse cemebat? Diese stelle hat der dichter in v. 57 — 66 weiter
ausgeführt, indem er in v. 59 f. und 63 die stelle aus Gen. 2, 7:
in quocumque enim die comederitis ex eo, morte moriemini mit
einfliessen lässt. Für die schlussverse 67 — 71 mag Hugo (t, 2,
291 B) den Stoff gegeben haben: et hoc quidem modo prius
hämo a diabolo sedtActtAS est ut peccaret, und weiter von der
Sünde: tollit pulchritudinem et integritatem illius.
17, 72 — 83. Auch in diesen versen hat der dichter Augu-
stinus (De Gen. ad lit. lib. 11, c. 31, no.40, t3*,445) benutzt:
ergo ederunt et aperti sunt oculi aniborum. Quo nisi ad invicem
concupiscendum ad peccati poenam camis ipsius morte concep-
tarn (^do musen si lojszen die wat der unschulde'). Und ibid.
(c. 32, no. 42, s. 447): hoc ergo amisso statu, corpus eorum duxit
morbidam et mortiferam qualitatem, quae inest etiam pecorum
ca/rni, ac per hoc etiam eumdem motum quo fit in pecoribus
concumbendi appetitus, ut succedant nascentia m>orientibus . . .
(ir affter chomen alle von dem selbem volle sagt unser dichter
etwas zarter). In den versen 75 — 79 nimmt der dichter voraus,
was er später ausführlich schildert (s. 18ff.); es ist darin das
kurz zusammengefasst, was Gten.3, 7. 16. 19 ausführlicher erzählt
wird. Er kommt nun an der hand der Genesis dazu, uns die
unmittelbaren folgen der ersten sünde vor äugen zu stellen.
17, 84—18, 9. Die verse 17, 84— 18, 1 beruhen auf Gen. 3, 8:
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Quellen des anegenge. 299
et cum atidissent vocem domini dei deambulantis ad aarampost
meridiem, dbscondit se Adam et uxor eins a fade domini dei
in medio paradisi. Und eben weil sie sich yerborgen hatten,
sagt der dichter 18,1: unt suchte den man. Die folgenden
yerse beruhen teils auf Augustinus, teils auf Hugo. Augustinus
(üb. 11, c. 33, no. 43, t. 3^447) sagt: ea quippe hora tales iam
convenerat visitare, qui 'defecerant a luce veritatis' (an dem
was gevaüen san diu sunne des rechtes) . . . und an einer an-
deren stelle (ib. c. 34, no. 45, s. 448) spricht er von derselben
Sache folgendermassen: increpantis vox est, nan ignorantis
(v. 4 1). Von einer erbarmung spricht Augustinus nicht, wie
unser dichter in v. 6: im erbarmte, daz in der übel hunt hete
betöret; dagegen aber Hugo (t. 1, 42) in seinen Adnotationes
elucidatoriae in Pentateuchon: vocem domini ambulantis. Ecce
quanta est misericordia dei? non vult eos suMto convenire de
culpa sua . . . Die Ursache dieser schuld und worin sie bestand
sagt der dichter in v. 6 — 9.
18, 10 — 12. Woher der dichter weiss, dass gott den Adam
gerade dreimal gerufen hat, lässt sich nicht sagen; vielleicht
ist es eigene erfindung; die stelle selbst beruht ihrem Inhalte
nach auf Gen. 3, 9: vocavitque dominus deus Adam, et dixit ei:
ubi esf
18y 13 — 18. Zunächst ist hier Augustinus heranzuziehen
(lib. 11, c. 34, no. 46, t. 3^ 448), der über dasselbe thema handelt
und sagt: quod enim iam ipsos pendebat erga seipsos, unde
sibi et succinctoria fecerunt, multo vehementius ab illo etiam
sie succincti videri verebantur, Dass der dichter auch von
Adam sagt (wie von Eva 17,32) dass er ein hup für sich
brach, mag die stelle aus der Gen. 3, 7 veranlasst haben: con-
suerunt folia ficus et fecerunt sibiperizomata, wozu noch der
umstand hinzukommt, dass Gen. 3, 10 gesagt wird et timui, eo
quod nudus essem, et abscondi me. Das loup aber, das Adam
für sich brach, war aber merkwürdiger weise nach unserem
dichter das eines Slboumes. Davon ist in der hl. schrift nir-
gends die rede. Ists ein lapsus memoriae? Das ist wol nicht
anzunehmen. Dagegen findet sich in der Vita Adae et Evae>)
>) Vita Adae et Eyae, hg. und erläutert von W. Heyer, Abh. der kgl.
bair. akademie der wüe. 1. kl., 14. bd., 3. abt. München 1879.
20*
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300 TEDBEB
(die im mittelalter sich einer grossen Verbreitung und beliebtheit
erfreute) s. 49 folgende bemerkenswerte stelle: et diant Adam
(derselbe hat zuvor mit seinen söhnen über den aufenthalt im
paradiese gesprochen) ad JEvam: exurge et vade cum ßio meo
Seth ad proximum paradisi et mittite pulverem in capita vestra
et prosternite vos in terram et plangite in conspectu dei, For-
sitan miserebitur et transmittet angeUtm suum ad arborem mi-
sericordiae suae, de qua currit oleum vitae . . . Das kann natür-
lich nur ein Ölbaum sein, der sich im paradiese befunden haben
muss, und das ists was den dichter veranlasst hat zu schreiben
dais eines Slboumes was,
18, 19 — 22. Diese stelle ist vom dichter lebendig und an-
schaulich nach Gen. 3, 10 widergegeben: qui ait: vocem tuam
audivi in paradiso, et timui, eo quod nudus essem, et abscondi
me. Desgleichen beruhen die folgenden verse auf der Genesis.
Zu 18,23 — 25 stimmt Gen. 3, 11: cut diadt: quis enim in-
dicavit tibi, quod nudus esses, nisi quod de Ugno . . . comedisti?
Der dichter behält hier sogar die directe frage seiner quelle bei
18,26—30. Dazu stimmt wider Hugo (t. 1,42B), der zu
diesem passus der Genesis bemerkt: ecce quanta misericordia
dei? non vult eos subito convenire de culpa sua ... sed dai
locum 'poenitentiae' et consilii, unde deambulabat ut audiant
et sie fiant memores ipsit^s dei. Und weiter (ib. s. 42C) heisst
es ganz ähnlich: de homine peccante non statim dedit senten-
tiam, sed 'proposita quaestione dedit ei spatium, ut cogitaret de
causa sua et poeniteret\
18, 31 — 41. Auch für diese stelle hat Hugo die gedanken
hergegeben, die jedoch der dichter nur dem inhalte nach und
etwas breiter widergibt, als er sie in seiner quelle vorfand.
Bei Hugo lesen wir (t. 1, 42 B) zu der stelle eo quod nudus
essem (Gen. 3, 10) folgende bemerkung: nota quod stulte agitj
inducens se ad excusandum (der arme begunde sich entsagen,
den schilt er für sich bot sagt ganz schön unser dichter), quod
potius vertitur in eiu^ accusationem, ut potius per hoc convin-
catur peccasse in pomo (in diesem satze liegt wol die ver-
anlassung zu V. 33 f.) ... Mulier quam dedisti mihi . . . (Gen.
3, 12). Convictus de facto, 'removet' crimen in multerem et
mulier in serpentem, et per hoc uterque 'retorquet culpam in
creatorem deum\ Dieser letzte satz bot ihm den Stoff fBr
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QUELLEN DES AKEOENOE. 801
1. Der dichter führt die Sache weiter aus und wird
le ausdehnnng der rede Adams dramatisch lebendig.
1:2—46. lieber diesen pnnkt handelt Hugo nicht; aber
3 ist davon die rede: et dixit dominus detis ad tnu-
pMre hoc fecisti? Quae respondit: serpens decepit me,
\i. Das stimmt inhaltlich zu dieser stelle. Dass aber
ter gott sagen lässt wes riet du dag dem manne? darf
it wundem; denn er erinnerte sich, als er dieses nieder-
an die vorher benutzte stelle des Augustinus: fortassis
m verbo suasorio (t. 3*, 445).
1:7 — 63. Die stelle ist ihrem hauptinhalte nach auf
4 i angebaut: et ait dominu^s ad serpentem: quia fecisti
ledictus es inter omnia animcmtia et bestias terrae;
iduÄ tuum gradieris et 'terram' comedes cunctis diebus
le (v. 47 — 50). Diese letzten worte hat der dichter
lel mit ge unlt4sten widergegeben. Inimidtias ponam
et mulierem, et semen tuum et semen illit^: ipsa con-
mt tuum, et tu insidiaheris calcaneo eius. Dieser stelle
hen inhaltlich v. 51 — 63. Doch der dichter gebraucht
Bud von der bibel in v. 52 den plural: under weiben
ler slangen und sagt ausserdem v. 53 f. von dieser
Bift: unt mujg ouch vil lange under in jswcein gesten,
nge hat der dichter wider aus Hugo (t. 1, 43 A): sem>en
vocat dlios daemones (slangen). Mulieris semen alios
(weiben). 'Et tu irmdiaheris calcaneo eius' i. e. 'semper'
ris i^vil langet) ut decipia^.
54 — 71. Die ansieht, dass die schlänge ein herrliches
: war und aufrecht gieng, findet sich bei den grossen
hen kirchenvätem wie Hieronymus, Ambrosius, Augu-
id Gregorius nicht. Eine andeutung davon macht aber
;omus, Homiliae in Genesim s. 142 f.: sicut igitur dia-
ui per te operatus est et te instrumento usus est, e
^orsum depulsus est, quia plus quam dignitatis suae
pere volebat: ita similiter impero, ut et tu aliam for-
figuram haheas, et super terram repas atque adeo ne
^ su^cere, sed. semper in hoc maneas statu. Daraus
ich also, dass die schlänge gleich wie der teufel einst
rliches geschöpf war, und dass sie aufrecht gegangen
\iceat tibi suspicere. Direct ausgesprochen hat diese
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302 TEUBXB
ansieht Petrus Comestor in seiner Historia scholastica c 21
(Migne 1. 198): et hoc per serpentem, quia tunc serpens erectus
est ut homo.
18, 72 — 78. Hier und im folgenden hält sich der dichter
wider genau an den biblischen bericht, Gen. 3, 16: muiieri
quoque dixit: multipUcabo aerumnas iuas et coficeptus tuos:
in dolore paries filios, et süb viri potestate eris, et ipse domir
nabitur tui,
18, 79 — 19, 8. Fast wörtlich so heisst es in Gen. 3, 17—19:
Ädae vero dixit: quia audisti vocem uxoris tui (vgl. 18, 79 und
9, 2 f.) ... mäledicta terra in opere tuo (18, 80 f.). Spinas et tri-
buhs germinabit tibi, et comedes herbam terrae (18, 83 f.). In
sudore vultt^ tui vesceris pane (sehr gut übersetzt in v. 18, 84 1
und 19, 1), donec revertaris in terram de qua swnptus es: quia
pulvis es, et in pulverem reverteris (19, 5 — 8). Man sieht, der
dichter hat keinen gedanken mehr und keinen weniger als
die bibel; nur ist die anordnung derselben bei ihm etwas
anders als dort.
19,9—19. Diese stelle beruht zunächst auf Gen. 3, 22: et
ait: ecce Adam quasi unus ex nobis f actus est, sciens bonum
et malum. Den grund dafür, warum gott diese werte sprach,
fand der dichter bei Hugo (t. 1, 43C): ecce Adam (actus est
quasi unus ex nobis, Irrisio est, quae respicit ad stultam cre-
duUtatem eius de verbis serpentis: eritis sicut dii scientes bonum
et malum; et quamvis sola Eva, non Adam, hoc crederet, tarnen
Uli quoM praelato et doctori imputatur. Talis autem irrisio
aliquando fit merito patientis {^ze Imde') et iuste. Diese ansieht
ist übrigens sehr alt und zieht sich durch die ganze patristi-
sche literatur hindurch (Beda, Alcuin, Rupert v. Deutz 1, 315 ft
3, 83 f. etc.). Schon Augustinus (De Gen. ad lit. lib. 11, c 39,
no. 53, t. 3*, 451) sagt: repUcatum est igitur in caput superbi,
quo exitu concupiverat, quod a serpente suggestum est. 'Eritis
sicut dii' . . . Verba enim haec sunt dei, non tarn huic insul-
tantis, quam caeteros ne ita superbiant deterrentis . . .
19,20—25 entnahm der deutsche dichter aus Gen. 3, 24:
eiecitque Adam; et collocavit ante paradisum voluptatis Cheru-
bim {et flammeum gladium atque versatiUm] ad custodiendam
viam ligni vitae.
19,26—29 stimmt abermals zu Gen. 3, 22: nunc ergo ne
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QUELLEN DBS ANEOENOE. 303
ittat manum suam, et sumat etiam de ligno vitae et
, et vivat in aetemum, V. 29 scheint mir überdies auf
kanntschaft mit Hugo (t. 1,43C) hinzudeuten, wo es
nunc ergo ne forte mittat manum . . . Hie innuitur,
iam post peccatum si comederet homo de ligno vitae,
imortaiis. Dieses immortalis entspricht ganz dem un-
in V.29.
30 — 40. Wider eine ganz tiefeinnige scholastische an-
ie unser dichter aus Hugo entnommen hat, der den-
edanken in seiner Summa sententiarum (t. 2, 100 D und
lusspricht: quomodo igitur peccato remanente non more-
Ad quod didtur, si non puniretur ista poena, scilicet
mniretur graviori; quia nunquam finirentur miseriae,
)do finiuntur morte, B Ad esum itaque ligni vitae per
ones multas, et per charitatem, quae estplenitudo seien-
t peccatum redire fuit necesse est Der erste teil dieser
t fast wörtlich in v. 30—37, der zweite (B) teil inhalt-
V.38— 40 widergegeben.
jhdem der dichter diese ansieht eingeflochten, kommt
19, 41 f. wider auf den biblischen bericht zurück, womit
3,24 allerdings nur dem hauptgedanken nach wider-
edtque Adam: et collocavit ante paradisum voluptatis
n, et flammeum gladium atque versatilem, ad custodi-
nam ligni vitae,
43 — 56. Die ansieht, dass der Schacher der erste ge-
ei, welcher das feurige schwert, das vor dem paradiese
ifgehoben habe und folglich auch der erste glückliche
L sei, der das paradies nach so langer zeit der ver-
f des menschen aus demselben wider betreten habe,
ich am ausführlichsten bei Chrysostomus in dessen
i De cruce et latrone vertreten. Speciell in der homilie
wir in t.2 (Mignet. 49), 401 finden, heisst es: hodie
ms in paradiso. Atqui Cherubim paradisum servabat;
ic cherubinorum etiam dominus est: et flammeum gladius
tur; verum ipse et flammae et gehennae et vitae et mortis
ym habet , . . Vis dicere aliud eius insigne opus, Para-
i quinque mille et amplius annis clausum hodie noUs
Hoc quippe die, horC ipsa hora latronem et introduxit
\o praedara praesignans opera . . . hodie patriam noUs
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304 TEUBEB
reddidit, hodie in patriam civitatem nos reduxit, et communi
hominum donum dedit Aehnliches, aber kürzer gefasst finden
wir bei Leo Magnus (t. 1, 317), bei S. Maximns (Hom. 52, Migne
t. 57), bei Rhab. Maurus (Hom. 17, Migne 1. 110, der werke
t. 4, 35), bei Rupert v. Deutz (t 1, 520). Letzterer sagt: parro
ante eamdem domini nostri ]jfissionem nulli omnino ßiarum
Adam pervius fuit (sc. paradistts) . . . Secutus est confestim
latro nie venerabiUs, quem confessum in cruce continuo muni-
erat fides sanguinis Christi contra illum ignem, ne obsisteret
tili. Es ist wol das wahrscheinlichere, dass unser dichter die
hier ausgesprochene ansieht aus Rupert y. Deutz schöpfte, da
er ihn, wie wir sehen werden, auch an anderen stellen seines
gedichtes benutzt hat. Die ifolgenden verse 47 — 56 scheinen
teils selbständige erfindung des dichters, teils eine reminiscenz
an die bekannte stelle des evangeliums zu sein: si quis vtdt
post me venire, abneget semetipsum et tollat crucem suam, et
sequatur me (Matth. 16, 24. Luc. 9, 23), namentlich v. 52 — 56.
Nachdem der dichter den fall der ersten menschen und
dessen nächste folgen geschildert hat, geht er an der band
der Genesis weiter vorwärts und gibt eine ziemlich ausführ-
liche geschichte der nachkommen Adams bis zu Noe und dessen
söhnen hinauf (19,72—25,63).
Als anschluss an das vorhergehende und Übergang zum
folgenden dienen die verse 19, 57 — 71. Hier beruhen die verse
57 — 65 auf zwei stellen der Genesis, die der dichter, obwol
sie schoD in anderem Zusammenhang verwendet wurden, hier
ganz trefflich zusammengefügt. Gen. 1,29: dixitque deus: ecce
dedi vobis 'omnem' herbam afferentem semen super terram, et
'universa' Ugna, quae habent in semetipsis sementem generis
sui, ut sint vobis in escam. V. 62 — 65 erinnern an Gen. 3, 19:
in sudore vultis tui vesceris pane. Ob v. 66 — 71 selbständige
erflnduDg des dichters sind oder ob sie nicht eine zusanmien-
fassung dessen sind, was im Christlichen Adamsbuche des
morgenlandes widerholt ausgesprochen wird, dass Adam vom
teufel sehr geplagt wurde — in der bibel steht nichts davon
— lässt sich mit Sicherheit nicht sagen.*)
1) Das Christliche Adamsbuch des morgenlandes ist von A. DiUmann
ans dem äthiopischen übersetzt nnd 1853 (GKSttingen) herausgegeben worden.
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QUELLEN DES AKEOEKGE. 305
• 19, 72 — 77 ist der inhalt von Gen. 4, 1: Adam vero cognovit
uxorem suam Hevam; quae cancepit et peperit Cain, dicens:
possedi haminem per deum. Dieser letzte satz possedi haminem
per deum mag nnsern dichter zu v. 74 1 77 angeregt haben.
V. 76 fasst sununarisch zusammen, was der dichter später von
ihm erzählt und übrigens auch in Gen. 4 gesagt wird. Möglich
ist es aber auch, dass ihm eine stelle des Christi. Adamsbuches
vorschwebte; denn dort heisst es s. 67: und Adam freute sich
über die rethtng der Eva, sowie über die hinder die ihm ge-
boren tourden.
Mit 19, 78 1 sagt der dichter eigentlich dasselbe was Gen.
4,2 steht: rursumque peperit fratrem eius Abel,
19,80—20,8. Die tatsachen welche der dichter hier be-
richtet, finden sich wol in der Gen. So wird man für 19,84
and 20, 1 — 3 Gen. 4, 4 heranziehen müssen: Abel quoque obtulit
de primogenitis gregis sui^ et de adipibus eorum. Ebenso wird
man sagen müssen, dass 19, 80 — 82 und 20, 6 f. schliesslich auf
Gen. 4, 3 fassen, wo es heisst: factum est autem post mültos
dies, ut offerret Cain de fructibus terrae munera domino.
In der bibel wird keinem von beiden ein attribut bei-
gelegt^ höchstens dass Gen. 4, 5 gesagt wird iratusque est Cain
vehementer. Dagegen gibt das Christi. Adamsbuch eine ganz
gute Charakteristik beider: tmd die hinder fiengen an zu
wachsen und gross eu werden an leibesgrösse, und Kain war
ha/r{hereig und herschsüchtig . . . und oftmals wenn sein vater
ßum Opfer hinaufgieng, blieb er zurück und gieng nicht mit,
um am opfer teil zu nehmen. Abel aber hatte ein sanftes herz
und wa/r seinen eitern Untertan, und er trieb sie oftmals an
wegen des opfers; denn er Uebte das opfer und betete und
fastete viel. Was hier nebst der Charakterisierung Eains und
Abels vom opfern gesagt wird, scheint der dichter in 19, 80 — 82
vor äugen zu haben; denn soweit ich diese stelle auszulegen
Billmann leugnet, dass dieses buch im abendlande bekannt gewesen sei.
W. Meyer, Vita Adae et Evae stellt viele stellen aus jenem zusammen,
welche zu diesem passen. Nun hat aber der dichter des Anegenge im fol-
genden viele gedanken, welche sich in der uns bekannten literatur nirgends
wo anders vorfinden, als gerade im Christi. Adamsbuche. Folglich muss
er eine version derselben und zwar eine lateinische gekannt haben. Woher
diese kam, wohin sie gekommen, wissen wir freilich nicht zu sagen.
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TEüBEB
im Stande bin, meint der dichter, dass sie 'öfters' geopfert
haben; in der Gen. lesen wir 4,3 nur von einem solchen opfer.
20, 9 — 16. Für v. 9 ist dem dichter wol Hngo massgebend
gewesen, wenn er den satz nicht selbst ans dem texte der
bibel, was ja nicht schwer war, erschlossen hat. T. 2, 44 AB
sagt Hugo: qttod autem munera non ex se, sed ex merito offe-
rentis ei placebant, per hoc innuitur, quod ad Abel afferentem
priti^ quam ad mumts dicitur respexisse, V. 10 — 16 geben den
Inhalt von Gren. 4, 6 f., auf die sich der dichter in v. 11 beroft:
dixitque domit^us ad eum (nämlich Eain): qtiare iratus es, et
cur condddt fades tua? Nonne si bene egeris, recipies; sin vero
male, statim in foribus peccatum aderit? Sed sub te erit appe-
titus eius, et tu dominaheris iMusS) Gen. 4, 4: et respexit do-
minus ad Abel et ad munera eius (v. 14 — 16).
20, 17 — 19 gibt Gen. 4, 5 wider: ad Cain vero et ad munera
illiu^ non respexit; iratusque est Cain vekementer, et concidit
vultus eius, allerdings nur dem inhalte nach. Ebenso 20, 20 1
= Gen. 4, 8 cumque essent in agro, consurrexit Cain adversus
fratrem suum Abel, et interfedt eum,
20,22 — 26. Die bezeichnnng der erde als virgo (magetrceine)
findet sich bei Augustinus an zwei stellen; Sermo 125(a) In
natali domini 9(b), t. 5^, 1993 heisst es: quoniam sicut Adam ex
'terra virgine' figuratus est, ita et Christus ex virgine natus
agnosdtur. Und ib. Sermo 147 (a) In quadrages. 8(b), s. 2031:
Adam enim 'de terra virgine' natus est. Die übrigen verse
beruhen auf Gen. 4, 11: [nunc ergo malediätts eris super] ter-
ram, quae aperuit os suum, et suscepit sanguinem fratris tui
de manu tua.
20, 27—37. V. 27—29 schliessen an das vorhergehende an
und führen ganz gut zum folgenden über, das aus Gen. 4, 9
entnommen ist: et ait dominus ad Cain: ubi est Abel frater
tuus? Qiii respondit: nesdo: num custos fratris md sum ego?
Der dichter hat die directe rede der bibel in die indirecte
verwandelt
20, 38—43 gibt mit beibehaltung der directen rede Gen. 4, 10
1) Nach 20,13 muss etwas fehlen, and zwar einer oder Ewei yene,
welche sich auf Gen. 4, 7 beziehen: sed sub ie erü appetih» en» et («
domindberis iHUus (^giitükny
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QUELLEN DBS ANEGENGE. 807
wider: dixitgue ad eum: quid feeisU: vox scMguinis fratris iui
damat (td me de terra,
20,44 — 49. V.44t widerholen ans Gen. 4, 10 das quid fecisti?
und bestimmen den ansdrack näher. V. 46 — 49 geben eigent-
lich Gen. 4, 11 wider: nunc igitur maiedictus eris super terram,
quae aperuit os suum et susc^t sanguinem fratris tui de manu
tua. Von der yerflnchnng der erde, wie sie der dichter dar-
stellt, ist in der bibel direct nichts gesagt; aber sie ist in den
Worten Gen. 4, 12 eum operatus fueris eam, non dabit tibi fructus
suos indirect mit ansgesprochen.^
20, 50 — ^55. Die quelle unsers dichters ist auch hier die
Genesis; nur gibt er etwas breiter wider, was sich Gen. 4, 13
vorfindet: diaitque Cain ad dominum: maior est iniquitas mea,
quam ut veniam merear.
Zu 20,56 — 63 stimmt Gen. 4, 14: ecce eicies me hodie a
facie terrae, et a fade tua abscondar, et ero vagus et profugus
in t^rra: omnis igitur, qui invenerit me, occidet me. Merkwürdig
erscheint der ausspruch da ersiecht mich mein eigen chunne.
Dachte der dichter, als er das niederschrieb, vielleicht daran,
dass Eain, was ja ganz richtig ist, keine anderen leute als
seine eigenen verwanten, daz eigen chunne, um sich hatte, oder
dachte er an die stelle des Christlichen Adamsbuches, wo es
heisst: so wird mich Adam töten (s. 73)? Sehr schön gibt der
dichter das vagus et profugus der hl. Schrift durch swa ich
nu gen ceine ufder wilden haside; recht anschaulich und lebendig
weiss er sich in die läge des Eain hineinzudenken.
20,64 — 72. Alle gedanken die hier ausgesprochen sind,
finden sich auch in der Genesis, aber nicht in derselben an-
ordnung. Der dichter hat, was dort getrennt ist, zusammen-
geruckt und trefflich ineinander verwoben. So entspricht
V. 64 t Gen. 4, 15: dixitque ei dominus: nequaquam ita fiet
(recht schön widergegeben durch dcus wosre mir nicht liep)\
V. 66 — 68 geben den Inhalt von Gen. 4, 12 wider: cum operatus
fueris eam (sc. terram), non däbit tibi fructus suos: vagus et
^) Direct aosgesproclien findet sich, waa unser dichter in den yersen
46 — i9 sagt, im Christi. Adamshnche 8.73: tmd goU sprach zu Kam: ver-
fludU sei die erde, die das blut deines bruders Abel trank. Vielleicht
Bchwebte ihm dieoe stelle 7or,
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308 TEUBBR
profugus eris super terram, V. 68 f. stimmt zu Gen. 4, 11: guae
aperuit os suum, et stiscepit sanguinem fratris tut de manu tua.
V. 70 — 72 endlich übersetzen Gen. 4, 15: sed omnis gut occiderit
Cain, septuplum punietur. Zu bemerken wäre noch, dass der
dichter auch hier die directe rede der hl. schritt beibehalten hat
20, 73 — 86. Diese verse geben inhaltlich wider, was Hugo
(t. 1, 44G) sagt: malo suo (scpunietur, qui Cain interfecerii\
quia volo ut septuplum puniatur, i, e. temporaliter de te punitic
fiat, vel interfector Cain muliipliciter puniatur. Plus etiam quam
Cain propter 'prohibitionem homictdii factam a deo, quae nan
erat facta Cain'.
21, 1—7. Diese verse stimmen teilweise mit Gen. 4, 16:
egres8%Lsque Cain a fade domini habitavit profugus in terra ad
Orientalen plagam Eden, Gen. 4, 17: cognovit autem Cain
uxorem suam, quae concepit et peperit Henoch. Weit mehr
aber nähern sich die verse dem Christlichen Adamsbuche, wo
es s. 74 heisst: Kain aber, nachdem er seinen hruder getötet
hatte, hatte keine ruhe mehr, und weiter: und Kain nahm seine
Schwester und heiratete sie ohne befehl von seinen eitern . . .
und er bekam viele kinder von seiner Schwester.
21, 8—24. Was der dichter des Anegenge hier erzählt^
findet sich weder in der hl. schrift noch in irgend einem
kirchenvater oder -Schriftsteller. Aber im Christlichen Adams-
buch findet sich das meiste davon. Zu v. 9 ist zu bemerken,
dass unter dem udp dem zusammenhange nach nur Eva ver-
standen werden kann. Zu v. 10 — 13 muss vor allem das Adams-
buch als quelle gedient haben. Dort heisst es s. 68: so lebten
Adam und Eva (ohne sich zu nähern), bis sie die kinder ent-
wöhnt hatten; und als sie sie entwöhnt hatten, ward Eva
schwanger, und sie vollendete ihre tage und sie gebar widerum
einen söhn und eine tochter, und er nannte den söhn Abel und
die tochter Aklejam, Doch diese zeit, welche im Adamsbuche
als zwischen der geburt Abels und Eains liegend angegeben
wird, ist zu kurz, als dass unser dichter hätte sagen kGnnen:
da was ez ein vil lange ceit von Cayns geburte, e von im wurte
sein bruder Abel gebom. Es hat der dichter noch eine andere
stelle aus dem Adamsbuche gekannt, welche er mit der eben
citierten confundiert. Im Christlichen Adamsbuche heisst es
z. b. (s. 74): dass Adam und Eva durch ssweihundert und
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QUELLEN DES ANEGENGE. 309
^) enthaltsamJceit geübt haben, innerhalb welcher zeit
gs das geschehen konnte, was der dichter v. 14 f. sagt,
ne zweite stelle desselben buches ist hier hereinzuziehen,
lisst es: nachdem nun unser vater Adam sich sieben jähre
>n seinem weihe Eva abgesondert gehalten hatte, ward
leidisch auf ihn . . . und er bestritt ihn, dass er bei ihr
' soUte, Der tenfel erscheint dem Adam in gestalt eines
weibes und sucht ihn zu berücken; gott befreit den
tus dieser Versuchung und befiehlt ihm, die eheliche ge-
laft mit seinem weibe Eva wider aufzunehmen (s. 76 ft).
d die beiden stellen, auf die sich der dichter in v. 10—13
a muss. Wenn der dichter weiter sagt: wand Adam driu
ieig chint gewan, der waren driu unt dridc man, dae
varen dttez wip, so hat er auch hierfür eine apokryphe
benutzt, nämlich die Vita Adae et Evae, wo es s. 45
isst: et post haec cognovit, Adam uxorem suam et genuit
t vocavit nomen eius Seth, et dixit Adam ad JEvam: ecce
ilium pro Abel, quem occidit Cain, et postquam genuit
Seth, vicit annos BGCC et genuit filios XXX et filias
, simul 'LXIir et multiplicati sunt super terramX)
V. 21 — 25 wäre noch folgendes zu bemerken: der dichter
dt, wenn er sagt, dass andere bücher diese zahl nicht
denn die Vita Adae et Evae hat sie allein. Die hl.
und alle erklärungen derselben (Petrus Comestor aus-
len) sagen im gründe genommen dasselbe was die G^n.
t: et facti sunt dies Adam, postquam genuit Seth, oct-
anni: genuitque filios et filier; und auf diesen letzten
iieint 21, 20 zu beziehen zu sein: die gewan er e unt
It, so diu Schrift in genügen steten unl, womit der dichter
meinen sagen will, dass Adam früher und später kinder
die eben nach seiner quelle (dirre buchstab) bis auf
l 63 anwuchsen.
Ib das jähre oder tage sind, wird dort nicht gesagt. Unser dichter
210 als jähre auf.
>a onser dichter in der citierten stelle dinge zusammenstellt, welche
Ü. Adamsbache und in der Vita Adae et Evae vorkommen, ja diese
mittelbar verbindet, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass unser
ine erweiterte version des Christi. Adamsbuches vor sich hatte, in
üe Vita Adae et Evae mit eingeflochten war.
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SlO TEUBSR
21,25 — ^34. Auch die meinung welche der dichter hier
ausspricht; findet sich im Christlichen Adamsbucha S. 74 heisst
es: und Adam trug ihn (Abel), während ihm die tränen über
die Wangen rollten, zu der schatsshohle . . . Und Adam und Eva
blieben in der trauet und vielem weinen 100 tage lang . . . Adam
und Eva aber warteten nach der bestattung Abels, ohne sich
einander zu nähern (vgl. v. 31) 2W (jähre?) 0, ^^ ^MLch dieser
zeit erkannte Adam die Eva und sie ward schwanger. Das ist
inhaltlich dasselbe was der dichter in den citierten versen
sagt. y. 34 beraht auf Adamsbuch s. 77: und gott . . . sagte
zu ihm: geh hinab in die schatzhohle und halte dich nivht ge-
trennt von Eva, ich will in dir und in ihr der tierischen lust
die kraft nehmen,
21, 35—50. Auch in diesen versen stimmt unser dichter
teilweise mit dem Christlichen Adamsbuche zusammen, nament-
lich in V. 35 — 39. Dort heisst es s. 75: und Eva gebar einen
schönen von natur aus vollkommenen söhn; . . . und Eva ward
getröstet von der stunde an, da sie ihn sah; . . . und als Adam
kam, und des kindes Schönheit, gestalt und vollkommene naiur
sah, freute er sich über es und ward getröstet für Abel (v. 35
— 38) und nannte das kind Seth (v. 45). Dass der dichter sagt
do gewan er daz beste chint, dürfte wol auf die stelle des
Adamsbuches zurückgehen, wo alle tugenden und Vorzüge des
Seth aufgezählt werden (s. 77 ff.). Die ansieht, dass von Seth
der gottessohn abstammen sollte, und welche der dichter v.40fL
ausspricht, fusst eigentlich auf Lucas, der 3, 23 ff. die Stamm-
tafel Christi angibt. Er beginnt v. 23: et ipse Jesus erat in-
cipiens quasi annorum triginta, ut putabatur fUius Joseph, qui
fuit Heli etc., bis er in v. 38 sagt: qui fuit Henos, qui fuit
Seth, qui fuit Adam, qui fuit dei. Diese stelle legte zuerst
Augustinus seiner darstellung über die nachkommen Adams
(De civitate dei c. 18, t. 7, 461 nur vorübergehend, c. 20, s. 463
ausführlicher) zu gründe. S. 463 sagt er: nam si non inten-
debat auctor libri huius aliquem, ad quem necessario produceret
seriem generationum, sicut in Ulis quae veniunt de 'semine Seth*
intendebat pervenire ad Noe, a quo rursus ordo necessarius
sequeretur; . . . quasi esset aliquid deinceps connectendum, unde
0 Der context verlangt tage. Vgl. b. 909, anm. 1.
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QUELLEN DBS AKEGENOE. 811
etur ad Isrcuiliticum populvm^ in quo eoelesH civitati
rrena Jerusalem figuram propheticam praebuit, vel 'ad
n secundum camem', qui est super omnia deus benedictus
üa. S. 461: ex duohus namque iUis haminibus, Abel,
ierpretatur luctus, et eius fratre Seth, quod interpre-
surrectio, mors Christi et vita eius figuraturA) Diese
stellen waren für unsern dichter die qaelle zn den
K) — 43. V. 36 £f. heisst es: do er 'hundert iaf^ alt wart,
m er dae beste ehint\ womit eben nach y. 45 Seth ge-
}t Das ist ein Verstoss gegen Gen. 5, 3, wo es heisst:
tem Adam 'centum trigintci annis et genuit ad imaginem
Itudinem suam, vocavitque nomen eius 'Seth\ Da sich
1er in den apokryphen noch in irgend welchem com-
die angäbe findet, dass Adam im alter von 100 jähren
h gezeugt habe, so werden wir an dieser stelle unserm
einen lapsns memoriae vorwerfen müssen. Dagegen
i V. 47 — 50 mit Gen. 5, 4: et facti sunt dies Adam, post-
muit Seth, 'octingenti anni\
51—71. In V.52 ist, wie wir ans v. 62 f. ganz genau
I, nnter dem verwordiien man niemand anders zu ver-
als Eain. Sachlich stimmen v. 51 — 58 mit Gen. 4, 17:
autem Gain uxorem suam, quae concepit et peperü
'; et aedificavit civitatem, vocavitque nomen eius ex no-
ii sui 'Henoch'. Bei unserm dichter heisst der söhn
n aber Enos, der nach Gen. 5, 6 der söhn des Seth war.
se Verwechslung können wir eine quelle nicht auffinden.
IS Adamsbuch bietet hiefttr nichts; denn dort erscheint
als söhn des Jared (s. 96), Enos aber als söhn des Seth,
der bibel (s.83). Einen weiteren fehler begeht der
wenn er v. 62 ff. sagt darnach lebt er manigen tax: Cayn,
vorckte man, untz er einen sun gewan, der hiee Girat,
bibel wird nur an der citierten stelle Gen. 4, 17 von
achkommenschaft Eains gesprochen, sonst nirgends,
heisst es Gten.4, 18: porro genuit Henoch (nicht Cain)
Irad genuit Maviael, et Maviael genuit Mathusael, et
)ie andern auctoren welche sich mit dieser frage befassen, wie
«pal. (Migne t. 73, 101), Ehaban. Manms (Migne 1. 111, 82), Hngo
175, 640), Petma Comestor (Migne 1. 198, 1080) haben ihre wissen-
le ich mich genau überzeugt habe, aus Angostinns geschöpft
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812 TEUBBB
Mathusael genuit Lantech. Es hat demnach unser dichter den
enkel Eains zu einem söhne desselben gemacht, wenn anders
Oirat und Irad dieselben namen sind, so sehr er sich auch auf
die richtigkeit seiner ansieht mit berufung auf seine quelle
(y. 66 so ejg der buchstdbe hat) stemmen mag. Lamech ist zwar
ein nachkomme Eains, aber wenn der dichter sagt van des
chindes chinde, so stimmt das abermals nicht mit der bibel;
wenn er mit diesem ausdrucke nichts anderes sagen will als:
'durch einen seiner nachkommen', so können wir damit ein-
verstanden sein. Was der dichter endlich in v.68 — 71 sagt,
steht in der bibel nur andeutungsweise: Gen. 4^ 23 quoniam
ocddi virum in vulntis meum.
21,72 — 22,10. Was der dichter 21,72—80 sagt, ist bib-
lisch nicht belegt. Dagegen findet sich im Christlichen Adams-
buche s. 85 die geschichte von der ermordung Eains durch
Lamech sehr ausführlich geschildert. Es heisst dort: und in
jenen tagen ward Lamech, einer von den nachkommen Kains,
blind (y. 75). . . . Da stand Lamech auf und nahm einen bogen,
den er früher in seiner jünglingseeit zu tragen pflegte (v. 72. 73),
und nahm grosse pfeile und glatte steine und eine Schleuder,
die er hatte. Und er gieng mit dem jungen hirten auf das
feld und blieb hinter dem vieh, während der junge hirte das
vieh hütete; so hielt er es etliche tage lang. Kain aber, seit
ihn der herr verabscheut und mit dem eitlem und der erschrodcen-
heit verflucht hatte, hatte an keinem orte ruhe (in diesem satze
liegt für unsern dichter die Veranlassung, noch einmal 21, 81
— 85 und 22, 1 — ^8 auf die erbauung der Stadt durch Kain
und auf den fluch der auf ihm lastete, zurückzukommen; für
22, 4 — 9 speciell ist Adamsbuch s. 74 heranzuziehen, wo gesagt
wird: und er gieng hinab in die gegend, unterhalb des berges,
des gartens, an einen nahen ort, wo es 'viele bäume und walder*
hatte; und er bekam 'viele kinder' von seiner sdncester). So
kam er zu den weibem des Lamech und fragte sie (nach ihm);
da sagten sie ihm, dass er auf dem felde bei dem vieh sei. Und
Kain gieng hinaus, um Lamech aufzusuchen und kam auf das
feld. Und der junge hirte hörte das geräusch von ihm, das er
durch das gehen hervorbrachte, und sagte zu Lamech: ist es
ein 'wildes tier' oder ein räuberf ... Und Lamech spannte
seinen bogen . . . Und als nun Kain auf dem felde hervortrat,
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QUELLEN DES ANEGENGB* 313
sagte der hirte au Lamech: schiesse, siehe, da kommt er. Und
er schoss ihn mit dem pfeü . . . und er stUrete aisbald nieder
und starb.
Mit 22, 11 1 sagt der dichter eben nur, dass er noch mehr
zu erzählen wfisste, nnd bricht die geschichte ab, um in seiner
weitem darstellung mit Gen. 6 einzusetzen.
22, 13 — ^21 geben den inhalt von Gen. 6, 5. 6 wider: videns
CMtem deus, quod multa maliUa hominum esset in terra et
euncta cogitatio cordis intenta esset ad malum omni tempore,
poenituit eum, quod hominem fecisset in terra. In y. 16 nimmt
der dichter voraus, was erst Gen. 6, 17 erzählt wird: ecce ego
adducam aquas dihmi super terram, ut interficiam omnem
eamem.
22, 22 — 29 schliesst zunächst an Gen. 6, 8 an: Noe vero
invenit gratiam coram domino. Dass er aus Setes gesUechte
war, ergab sich aus der genealogie Seths, wie sie Gen. 5, 6—29
erzählt wird. In v. 26 — 28 scheint aber unser dichter widerum
auf das Adamsbuch zurAckzugehen, wo & 98 gesagt wird: und
so lange er auf dem berge war, lud er auch nicht durdi eine
Übertretung eine schuld vor gott auf sich . . . Und es geschahen
unter ihm viele wunderjseichen mehr ais eu den Zeiten der Vor-
väter, gegen die tage der flut hin.
Mit 22, 30—33 ist der inhalt dessen kurz angegeben, was
Gen. 7 und 8 erzählt wird.
22, 34—44. In v. 34—39 übersetzt der dichter Gen. 5, 31:
Noe vero cum quingentorum esset annorum genuit Sem, Cham
et Japhet Wenn der dichter weiter in v.40 — 44 nicht eine
Zusammenfassung dessen im äuge hat, was über die errettung
dieser söhne in Gen. 7 und 8 berichtet wird, ähnlich wie oben
V. 30—33 bezüglich des Noe, so könnte man vermuten, dass
er hier abermals das Adamsbuch vor äugen hatte, wo die
Sündflut ebenfalls s. 105 1 ausführlich geschildert wird.
22, 45—53. Was der dichter schon 22, 13 ff. gesagt hat,
widerholt er hier als einleitung zu dem mer, das er darüber
berichten will. Die stelle selbst fusst auf Gen. 7, 21 ff.: consum-
taque est omnis caro quae movebatur super terram ... Et euncta
in quibus spiraculum vitae est in terra mortua sunt (v. 47 — 49).
Gen. 7, 1: dixitque dominus ad eum (sc. Noe): ingredere tu, et
omnis domus tua in arcam: te enim vidi iustum coram me in
Beiträge nir geschichte der deutschen spräche. XXIV. 21
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314 TEUBBR
generatione hoc (v. 50 f.). In v. 52 f. wird der sflndflatbericht
der bibel (Gen. 7) znsammengefasst
22,54 — 79. 0 Die gnmdlage dieser ausführungen bildet
unverkennbar G^n. 6, 2: videntes ßii dei fiUas hominum, quod
essent pukhrae, a^ceperwnt süri uxores ex omnilms qtuK elegerant
Aber die weitere ausfOhrnng, die genaue Schilderung des landes
der Sünde kennt weder die bibel, noch irgend ein bibel-
commentar; wcl aber hat sie das Adamsbuch, das sich gerade
an dieser stelle am allerauff&lligsten als quelle des Anegenge
erweist. Vor allem wird im Adamsbuche widerholt auf die
kinder gottes und die kinder der menschen, oder wie es s. 9S
heisst söhne des teufeis, hingewiesen (unser dichter in v. 55.
58 f.). Auch wird weiter ebendaselbst von s. 94 f. von dem
allmählichen abfall der kinder gottes gesprochen. S.95: und
darnach sammelten sich andere scharen und giengen Jwnab,
ihre brüder aufeusuchen, und stürmten sich aUesamnU ins ver-
derben. Und so machte es eine schar nach der andern^ bis nur
noch wenige nach ihnen übrig waren (unser dichter spricht
ganz in demselben sinne v. 56 f.). Das Adamsbuch erählt weiter
s. 95: und als sie die Kainstöchter sahen, dass sie schon wären,
und an ihren härmen und füssen die färbstoffe mm sehmudce
und ... in den gesichtem, entbrannte in amen das feuer der
Sünde, Und der Satan verlieh ihnen vor den hindern Seihs
grosse Schönheit und ebenso machie der Satan die hinder Sefhs
sehr schön in den äugen der Kainitinnen; und die Kainitinnen
sprangen auf die Sethiten los wie raubtiere, und ebenso die
Sethiten a/uf die Kainitinnen, und sie verunreinigten sieh mit
ihnen (den weibem). Das stimmt mit dem was unser dichter
kürzer in v.60— 67 gesagt hat, inhaltlich ganz trefflich zu-
sammen, mitunter sogar wörtlich. Dass das Anegenge v. 63
schreibt dae ander chom von Cham, scheint nicht dem dichter,
sondern einem späteren abschreiber zu gehören; denn eine
solche Verwechslung darf man unserm dichter doch nicht zu*
trauen: es muss heissen da0 ander chom von Cayn. Von dem
unterschiede zwischen den Sethiten und Eainiten, welchen unser
*) Der sinn von v. 56 f. ist: die woltat, kinder gottes zu heissen, liessen
sie gott sehr Übel entgelten, indem sie, wie später gesagt wird, abfielen.
22,67 möchte man erwarten tor dem veno, dmune.
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QUELLfiir 0fiS ANEGENGB. 315
dichter y. 62f. auMellt, war in der ans dem Adamsbuche
eitiertea stelle schon die rede; derselbe wird im Adamsbache
widerholt nnd scharf betont (vgl s. 93 f.). In dem folgenden
yerse (22,68) knftpft der dichter die ans dem Adamsbnche
benatzte nnd eben dtierte stelle an eine andere desselben
baches an, welch letztere aber in ganz anderem zosammen-
hange steht als bei unserm dichter. Im Adamsbache wird
s. 78 erzählt^ wie der teafel den Seth znm abfalle von gott zn
verführen sacht; damit üun das besser gelinge, schildert er
dem knaben die herrlichkeiten seines reiches, wo es neben
vielen schönen weibem noch folgende dinge gibt: s. 78: und
nun wünsche ich dich dorthin zu bringen, damit du meine ver-
Wanten sehest; und ich wiU dich verheiraten mit welcher du
wiUst . . . und du wirst kein opfer mehr bringen und keine
barmhersigkeit mehr jm erflehen haben (v. 70 — 72) und keine
Sünde tun und keine tierische tust empfinden. Und wenn du
mich da sagen hörst, dass ich dich mit einer van meinen töcktem
vermählen walle, — sa ist das bei uns keine sünde und keine
tierische tust (v. 73 1). Und wir in unserer weit haben keine
götter, sondern wir alle sind selbst götter (75 unt auch gat ver-
manden). — Das stimmt also inhaltlich znm Anegenge. Und
es ist nor eine für den dichter ans dem vorhergehenden leicht
zn ziehende conseqnenz, wenn er 22, 76—80 schliesst: in allen
den landen wart daz unrecht so groz, daa si got von recht
verlos, wand er vil manic masil sack; durch 'nof er da sprach.
Nnn kommt der dichter wider aaf den biblischen bericht
zurück. 22, 81—83 übersetzt Gen. 6, 3: dixitque deus: non per-
manebit spiritus meus in homine in aetemum^ nar dass die
directe rede der bibel hier in die indirecte rede übertragen
wnrde. Ganz ähnlich ist es im folgenden
22,84 — 23,4. Dazn stimmt Gen. 6, 6: poenituit cum, quod
haminem fedsset in terra; et tcxtus dolore cordis intrinsecus
(22,84—23, 1, wobei 22, 86 nnd 23, 1 darch den letzten satz der
bibel angeregt sind). Weiter Gen. 6, 7: delebo, inquit, hominem,
quem oreavi, a fade terrae, ab homine usque ad animantia, a
reptüi usque ad volucres coeU: poenitet enim me fecisse cos.
Und Gen. 6, 17: ecce ego adducam aquas diluvii super terram,
ut interficiam omnem camem; in qua spiritus vitae est subter
coelum: umversa, quae in terra sunt, consumentur. Diese
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316 TEUBES
zweite stelle, welche mit jener aus Gten. 6, 7 fast wörtlich iHber-
einstimmt, musste citiert werden, weil der dichter 23, 5 sagt:
diu wort sprach er Noe zu, was nur für den zweiten teil der
Worte gottes gilt; denn dass gott dem Noe gesagt hatte, es
reue ihn den menschen geschaffen zu haben, dayon weiss die
bibel nichts. Es ist das eine poetische licenz, die wir ihm
gerne nachsehen.
23, 5—10 stützt sich auf Gen. 6, 14 : fac tibi a/rccm de lignis
laevigatis, wobei aber in v. 8 zugleich an Gen. 6, 19 — 21 gedacht
wurde, wo erzählt wird, was alles in die arche hineinkommen
sollte; deshalb musste sie michel unt starch sein. Ebenso
schwebte bei v. 10 Gen. 7, 1 ff. vor, wo von der rettung Noes
in der arche die rede ist.
23, 11 — 29. In der hauptsache stimmen die verse mit der
Grenesis überein, nämlich im berichte der tatsache, dass gott
dem Noe befohlen hat, eine arche zu bauen. Mit dem verse
er gab im die mcusee ist Gen. 6, 15 et sie fades eam übersetzt,
und wenn es dort weiter heisst: trecentarum cubitorum erit
longitudo arcae, so müssen wir uns schon fragen, wie der
dichter zu seinem fumf hundert chlaffter lanc kommt. Gen. 6, 15
setzt fort: quinquaginta cubitorum latitudo, et triginta cubitorum
dltitudo ilUus; die zahlen stimmen hier mit unserm gedichte
überein, aber die nähere bestimmung der breite und höhe
stimmen widerum nicht; v. 17: fumfzic Maffter 'tie/T kann
nur die höhe und drekecher . . . 'voUec/ileiche^ nur die breite be-
deuten. Zur not stinunen v. 14f.: an der hindern wani hiee
er lazeen diu tur dar in zu Gen. 6,16: ostium autem arcae
pones ex latere, wobei wir uns aber immer noch wundem
müssen, wie der dichter zu der bestimmung an der hindern
want, was ja doch nicht gleich ex latere ist, gekommen
sein mag.
23, 20 — 23 gibt Gen. 6^ 14: mansiunculas in arca fades
und Gen. 6, 16: deorsum coenacuJa et tristega fades in ea wider.
Die mansiunculae und coenacula sind es, welche der dichter
unter dem ausdrucke chemnate versteht. Unter stiege kann
nur sinngemäss stige stswf. = 'stall für kleinvieh' verstuiden
werden; oder wollte der dichter das lateinische tristega damit
widergeben?
23,24—29 ist etwas unklar und gedanken welche in der
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QXTBLLXH DBS ANBGENOB. 817
in ganz anderem zusammenhange stehen, sind hier mil-
der zu einem schwer entwirrbaren knäul znsammen-
ht V. 24 f. beziehen sich auf Gen. 6, 16: fenestram in
fades, y.28f. auf die fortsetzung dieses yerses: et in cu-
constmmabis swmmitaiem eius. Woher aber der vierst
it, lässt sich nicht sagen; hat der dichter ihn aus dem
ucke sumimitatem, der sich in der bibel auf fenestram
ht, herausconstruiert? Dann bleibt aber immer noch un-
wie das zu verstehen ist, dass er einer chlafftem hrceit
Y. 26 endlich si bestriche mit cMenster bezieht sich bei
m dichter auf venster; in der bibel dagegen auf die ganze
I. Gen. 6, 14: fac tibi arcam de lignis laevigaMs; mansiun-
in arca fades, et biiumine lines intrinsecus et extrinsecus,
ragt sich nun, ob wir alle diese Irrtümer auf rechnung
ichters oder auf rechnung irgend einer apokryphen quelle
^tzen haben. Es kommt noch ein weiteres, wovon die
nichts weiss, nämlich 23, 30—34. Dafür bietet die bibel
tlich nur den schlichten satz Gen. 6, 22: fedt igitur Noe
% qiAoe praeceperat deus. Eine Zeitangabe, aus der wir
)ssen können, wie lange Noe an der arche gebaut haben
f findet sich Gen. 6, 3: nachdem gott beschlossen hatte, alles
de zu vertilgen, sagt er: ertmtque dies illitts centum viginti
mm, d. h. bis zur zeit der sfindflut sollen noch 120 jähre
Und gleich darauf erhält Noe den auftrag die arche zu
i; also hat er wol 120 jähre dazu gebraucht. Wie ver-
len ist diese angäbe von der unsers dichters! Eine ver-
ng lässt sich jedoch aussprechen: wäre es nicht möglich,
der dichter diesen bericht über die erbauung der arche
in der fassung des Adamsbuches welche ihm vorlag, ge-
rn hat, während er in der fassung fehlt welche wii* kennen?
J3, 35 — 41 entspricht inhaltlich Gen. 6, 21 : tolles igitur
i ex Omnibus esds, quae mandi possunt, et comportabis
te; et erunt tam tibi quam Ulis in cibum.
!3, 42 — 44 übersetzt Gen. 6, 18: et ingredieris arcam tu et
lui, uxor tua et uxores fiUorum tuorum tecum,
!3,45 — 51 sind eine getreue Übersetzung von Gen. 7, 2:
tmibus animcmtibus mundis tolle septena et septena, mas-
% et feminam; de animantibus vero immundis duo et duo,
ilum et feminam,
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818 tEUBl&B
23y 52—55. Dem entspricht Gten. 7, 4: adhuc enim, et post
'dies Septem' ego pluam super terram ...et deUi)o omnem sub-
stantiam quam feci de superfade terrae.
23,56—76. Diese ganze stelle ist nur eine weitere ans-
f&hmng dessen was wir im Adamsbnclie s. 105 finden: und
gott sprach zu Noah: steige hinauf oben cmf die arche und
blase mit der trompete dreimal, damit die tiere und die vögel
sich versammeln. Und gott sagte au Noah: der schaU dieser
trompete geht nicht allein aus ihr hervor, sondern 'meine krafl'
geht mit ihrem schalle oms, damit er in die ohren der tiere und
vögel dringe. Und wenn du diese trompete blasen wirst, werde
ich meinem engel befehlen, dass er vom himmel herab in ein
hom stosse, und es werden sich cMe tiere eu dir versammeln.
Und alsbald blies Noah die trompete, wie gott ihm gesagt hatte,
und der engel stiess in das hom vom himmel hertÄ, (üso dass
die erde erbebte und alle geschöpfe auf ihr erschüttert wurden.
Und es versammelten sich die tiere und die vögel und aUes was
sich regt.
23, 77 got selbe eü sloe entspricht Gen. 7, 16: et indusit eum
dominus deforis (auch Adamsbachs. 106).
23, 78—88 gibt inhaltlich Gen. 7, 10—12 wider: aquae di-
luvii inundaverunt super terram (das ist der allgemeine ans-
dmck, der später näher bestimmt wird, nnd unser dichter hatte
nicht unrecht, wenn er dafür im kräftigen deutsch sagte do
wart ein weter vil groa), rupti sunt omnes fontes abyssi magnae,
et cataractae coeli apertae sunt (v. 79 — 81). Et facta estpluvia
super terram quadraginta diebus et quadraginta noctibus (y.821).
23,84 — 24,5 ist zum teile wörtlich genau dasselbe, was
in der Gen. 7, 19 1 gesagt wird: et aquae praevaluerunt niniis
super terram, opertique sunt omnes montes excelsi sub universo
coelo. Quindecim ctiintis altior fuit aqua super montes, guos
operuerat.
24, 6 — 14. Zurückgreifend (y. 6) auf das, was er bereite
22, 80 ff. und 23, 1 — i gesagt hatte, schliesst der dichter im
übrigen wider an Gen. 7, 21 ff. 8,4 an: 'universi homines^ et
cuncta, in quibus spiraculum vitae est in terra, mortua sunt
(24, 7 — 9). Remansit autem solus Noe et qui cum eo erant in
arca (24, 10). Bequievit arca mense septimo . . . super montes
Armeniae (24, 11. 13).
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QUELLEN DBS ANEGEKGB. 310
!4^15— 1& Y.15 übersetzt zimäclist Qen.8,1: et inrni-
sunt aquae, Y. 16 — 18 sind selbständige erflndnng des
bTH mit anschlnss an Gen. 7, 23.
(4, 19—25 enthält ganz dieselben gedanken wie Gen. 8, 6 f.:
iie transissent quadraginta dies, aperiens Noe fenestram
quam fecerat ^dimisit corvum\ Qui egredid>atur et non
lOatur (v. 19. 21. 24 f.). V. 20. 22 f. beruhen auf Gen. 8, 8:
l quoque columbam post eum (vom dichter allerdings auf
üben angewendet, was ja der context der bibel zulässt),
ieret, si tarn eessassent aquae super fadem terrae,
!4,26— 34. V.26f. übersetzt Gen. 8, 8: emisit quaque co-
im. y.28 ist selbständige zugäbe des dichters (übrigens
Uen steUen der patristischen literatur, wo von dem er-
len des hl. geistes die rede ist, wird von den vorzüglichen
Schäften der taube gesprochen, und es ist nicht unmöglich,
der dichter beim niederschreiben dieses verses daran ge-
hat). V. 29—34 geben den Inhalt von Gen. 8, 9 etwas
zÜY gehalten wider: quae (sc. columba) cum non invenisset,
^p^iesceret pes eius, reversa est ad eum in arcam: aquae
erant super universam terram.
!4, 35 — 39 stimmt zu Gen. 8, 10: expectatis autem ultra
» diebus aliis rursum dimisit columbam ex arca,
!4y40 — 47 ist frei nach Gen. 8, 11 gearbeitet: at illa venit
m ad vesperam, portans ramum olivae virentibus foliis in
%o (was notwendig vorausgegangen sein muss, sagt der
VC V.40 — 43). InteUexit ergo Noe, quod eessassent aquae
terram. Diesen letzten satz hat der dichter in v. 44—47
schön auszuschmücken verstanden.
14, 48—59. V. 48—54 gibt den Inhalt von Gen. 8, 12: ex-
nt nihihminus Septem alias dies, et emisit columbam, qtuie
st reversa ultra ad eum. V. 55—57 sind, wie der dichter
in V. 58 1 zugibt, subjective selbsterfundene Vermutungen;
brigens nicht ungeschickter versuch, das wegbleiben der
zu erklären.
4, 60 — 65 gibt abgesehen von der poetischen einkleidung
Iben gedanken wider wie Gen. 8, 13: igitur . . . imminutae
%quae super terram; et aperiens Noe tectum arcae aspexit,
ue quod exsiccata esset superficies terrae.
4y 66 — 74. Mit v. 66 i sagt der dichter dasselbe, was er
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820 TEUBEB
bereits 22, 29. 32 f., gestützt auf Gen. 6, 9 und Gen. 7 und 8 zn-
sammenfassend, gesagt hatte. V. 72 f. übersetzen Gen. 8, 14:
arefacta est terra. In v. 68 — 70 gibt der dichter recht poetisch
den gedanken wider, den Gen. 8, 15 — 17 enthalten: locwbus est
autem deas ad Noe, dicens: egredere de arca, tu et uxor tua,
filii tui et uxores fUiorum tuorum tecum. Cuncta animantia,
quae sunt apud te, ex omni came, tarn in volatilibtis, quam in
bestiis, et universis reptilibus, quae reptant super terram, educ
tecum (alles das f asst der dichter in dem verse do gie üb unt
chras alles daz dar inne was sehr gut zusammen), et egredimini
super terram (an die süssen wcside).
24, 75—78 erinnert an Adamsbuch s. 108, ist aber auch
Gten. 9, 8 enthalten: et omne quod movetur et vivit, erit vobis
in cibum. Die stelle ist wol auf die Genesis zurückzuführen;
denn im Adamsbuche wird nur gesagt, dass gott speise für die
tiere geschaffen habe.
24,79—81 fusst auf Gen. 9,1: benedixitque deus Noe et
filiis eius. Et dixit ad eos: crescite et multiplicamini et replete
terram. Das benediait, der segen gottes, war notwendig, dass
die erde dem Noe genuchtsam alles gutes brachte.
24, 82 — 25, 1. V. 82 f. übersetzt wörtlich Gen. 9, 4: excepto
quod camem cum sanguine non comedetis. Die verse 84 — 87
entsprechen der gleich folgenden steUe der bibel, allerdings
nur dem Inhalte nach; denn Gen. 9, 5 heisst es: sanguinem
enim animarum vestrarum requiram de manu cunctarum bestia-
rum: et de manu hominis, et manu viri, et fratris eius requiram
animam hominis, Direct ist das was unser dichter sagt, Ley.
17, 14 ausgesprochen: anima enim omnis camis in sanguine
est; unde dixi filiis Israel: sanguinem universae camis nan
comedetis, quia anima camis in sanguine est: et quicumque
comederit ülum^ interibitA)
25, 2—19. Die verse 9—19 sind im wesentlichen dasselbe,
was Gen. 9, 9 — 15 gesagt wird: ecce ego statuam pactum meum
vobiscum, et cum semins vestro po$t vos ... Statuam pactum
^ Mit dieser frage beschäftigt sich Ambroeios in seinem werke De Noe
et arca lib. nnns (t. 1, 404 f.) ansführlich. Nicht minder Rnpert y. Deutx,
1. 1, 356. Es ist wol nicht notwendig, in einem dieser beiden schriftsteiler
die quelle nnsers dichters zn yermuten, da ihm ja die hl. Schrift doch yiel
näher gelegen.
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Quellen des akegenge. 321
vobiscum, et neqtujtquam ultra interficietur omnis caro
äiluvn, neque erit deinceps diluvium dissipans terram
0.18.14). Dixitque deus: hoc Signum foederis, quod do
me et vos, et cid omnem animam viventem, quae est vo-
\ in generationes sempitemas. Arcum meum ponam in
\s, et erit Signum foederis inter me et inter terram (v. 11 f.).
te obduxero nubibus coelum, appa/rebit arcus meus in
\Sy et recordabor foederis mei vobiscum, et cum omni
vivente qua>e camem vegetat: et non erunt ultra aquae
ad delendum universam camem (v. 15 — 19). Auch hier
T dichter, wie wir schon öfters zu bemerken gelegenheit
, die directe rede der bibel in die indirecte fibertragen,
ärigkeit machen die verse 2 — 8; denn davon, dass Noe
le nicht bebauen wollte, weil er fürchtete, es könnte
lings eine Wasserflut hereinbrechen, die seine ganze
unnütz machen würde, steht in der bibel nichts, noch
mir gelungen in irgend einem commentare oder einer
rphen schrift etwas derartiges aufzufinden. Es scheint
ch diese ansieht erflndung des dichters zu sein; ja ich
es nicht für ganz schwierig, eine erklärung dafür zu
wie in unserm dichter diese ansieht entstanden ist.
man sich nämlich vor äugen, mit welcher feierlichkeit
, 8 — 17 gott der herr den bund mit Noe eingeht, nachdem
z zuvor gesagt et egredimini super terram, et implete eam
was doch schliesslich auf das 'bebauen' der erde hinaus-
denkt man weiter daran, dass zweimal gesagt wird sta-
yactum meum vobiscum (9. 11) und gewissermassen mit dem
inen des regenbogens von seite gottes eine schriftliche
le dieses Vertrages ausgestellt wird; erinnert man sich
1 daran, wie gott immer wider betont, er werde des
i den er mit Noe geschlossen, stets eingedenk sein, so
lie frage nach dem warum? sehr nahe. Diese frage
ch auch unser dichter gestellt haben, und er kam zu dem
kte, dass das alles nur geschehen sei, weil Noe vom
eine ausdrückliche Versicherung, ein förmliches ver-
en verlangt habe, dass er die erde nie wider durch eine
flut heimsuchen werde; denn wäre er dessen nicht ver-
; worden, so hätte er sich aus furcht vor einem ähnlichen
isse nicht dazu herangemacht, die erde zu bebauen.
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!322 TBÜBEB
25, 20—22 fassen die rettnng des Noe ans der
kurz zusammen und dürfen als des dichters eigentom be
werden.
25, 23—30. Gen. 8, 20 heisst es: aedifkavit out
altare domino; et tollens de cunctis peeoribus et vc
nmndis, obtulit holocausta super altare. Das geschie
der bibel vor abschliessung des bundes mit Noe; unsei
setzt die darbringung des Opfers aber nach der
Schliessung. Weiter bringt nach dem berichte der bi
freiwillig ein opfer dar, ohne geheissen zu sein, nad
zuvor aus eigenem antrieb, ohne befehl gottes, eine
erbaut hat; bei unserm dichter wird Noe von gott d^
gefordert. Und das ist wider ein gedanke, der dem
buche angehört, wo es s. 108 heisst: und gott sante si
0u Noah, indem er sagte: Noah, nimm von der reinen
und bringe von ihnen auf dem altar vor mir ein oj.
und entlasse die tiere aus dem hasten. Und Noah gien
in den halsten und nahm von den reinen vögeln ... ui
an, wie ihm gott befohlen hatte, und brachte opfer dar
altare vor gott. Die letzten worte und fieng an U.8.W. i
die verse 27 f. veranlasst zu haben. Uebrigens sieht i
V. 25f., dass dem dichter auch der oben citierte vers
nesis 8, 20 et tollens ex 'cunctis' peeoribus etc. vorschw
25, 31 f. übersetzt Gen. 9, 20: coepitque Noe vir
exercere terram, et plantavit vineam.
25, 33—42. Die grundlage für diese stelle bildet Qu
bibensque vinum inebriatu^ est, et nudatus in tabemac
Alles andere ist ausmalung des dichters. Wenn er i
diu schrifft beruft, so citiert er wol eine quelle an eine
wo er gar keine benutzte.
25,43 — 52 stimmt inhaltlich mit Gen. 9, 22: quod
disset Cham, pater Chanaan, verenda scUicet patris i
nudata, nuntiavit duobus fratribus suis foras. V. 52
sich auf den fluch des vaters, der später (25, 59 f., ^
9,25) über ihn ergeht.
25, 53 f. fasst der dichter zusammen, was Gen. 9, %
at vero Sem et Japhet pallium imposuerunt humeris
incedentes retrorsum, operuerunt reverenda pcUris suL
25, 55—57 gibt Gen. 9, 24 wider: eviffUans autem
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QUELLEIff DB» ANEGENGE. 823
cum didkisset, quae fecerat ei filius suus minor. —
—62 fibersetzt und erklärt Gen. 9,25: maledictus Chanaan,
servorum erit fratribus suis.
amit hat der dichter einen grossen teil seines gedichtes
let. Bevor er zu dem anderen hanptteile seines werkes,
ir wol am besten ^erlösungsgeschichte' betiteln, übergeht,
t er eine partie (25,64 — 27,2) ein, in welcher er dar-
sucht, ob und inwieweit es möglich sei ^gott zu sehen',
am den patristisch-scholastischen ausdruck beizubehalten:
ichter handelt de visione dei. Wir hatten bereits in
en abschnitten des Anegenge bemerken können, wie
a dichter Hugo von St. Victor als quelle für viele theo-
i-philosophische ansichten, als führer durch manch schwie-
rage diente. Wir sahen auch, wie der Verfasser des
nge durch Hugo auf andere quellen geführt wurde, und
dadurch, dass sie bei Hugo citiert waren. Das letztere
t auch bei der folgenden partie unsers gedichtes der
1 sein. Hugo von St. Victor behandelt nämlich in seiner
} De sacramentis lib. 2, pars 18, c. 16 ff. (Migne 1. 176, 613 ff.)
Jls die frage de visione dei. Diese abhandlung Hugos
iser dichter wol gekannt, und durch sie kann er auf die
t De videndo deo des Augustinus (Migne t. 33, 596 ff.) auf-
am gemacht worden sein.
jischliessend an die vorhergehende erzählung von Noe
em bfindnisse, dajs der herr mit ihm geschlossen, kommt
chter auf die frage, ob wir mit 'fleischlichen äugen' wol
mde seien, gott zu sehen: 25,64 — 72. V. 64— 68 sind
eibständige einleitung desdichters; v.69— 72 stellen das
r für die folgende darstellung (bis 28, 2) fest. Der dichter
»ber mit manigen wrchunden her under reden, d. h. nicht
Bm eigenen anschauungskreise will er die sache darstellen,
m mit manigen urchunden, worunter die Zeugnisse der
irift und der kirchenväter, auf die sich der dichter in
darstellung entweder direct beruft, oder die er, ohne
peciell darauf zu berufen, doch benutzt und ausbeutet,
ahnliche gedanken finden wir auch bei Augustinus aus-
K^hen. Nachdem er sich über das schauen des leiblichen
eistigen auges verbreitet hat, nachdem er den unterschied
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824 TEUBER
zwischen glauben und schauen klar gelegt, komnt^ ei
scheinbar einander widersprechenden schriftsteHen
qui me vidit, videt et patrem und JoL 1, 18: deum n^
unquam zu sprechen (Ep. 147, c. 5, no. 16, t. 2, 603) i
fort: profecto quoniam deum nemo haminum vidit unq
patrem quisqaam putandus est vidisse, nee filium i
quod dms est et cum patre untis detis. Nam secu
quod homo est, utiqtie in terra vistis est et cum homit
versatus est (die stelle nee filium secundum quod est
unser dichter, das sei hier im voraus bemerkt, schar
gehoben s. 26). De trinitate (lib. 2, c. 9, no. 16, 1 8, \
Augustinus: nos qui nunquam corporis apparuisse oa
nee patrem nee filium nee spiritum sanctum dicimus,
suhiectam suae potestati corpoream creaturam.
25, 73—80. Dass der dichter unter den man
alten bundes, von denen erzählt wird, dass gott n
geredet habe, dass sie aber gott, theologisch zu
naturaliter sicut est nicht gesehen haben, Noe zuerst
ist begreiflich; denn er hat uns ja kurz zuvor dessen g
erzählt. Von Noe ist bei Augustinus nicht die red(
von Adam nicht; wol aber von Kain. Ep. 147, c. :
heisst es: qv^ando non solum cum Abraham aliisq
verum etiam cum Cain fratricida locutus est Die wc
que iustis mögen unsern dichter veranlasst haben so
zu nennen, welche Augustinus nicht nennt, als auc
sie ihm den ganz richtigen gedanken eingegeben hal
gewisse chronologische Ordnung in die aufführung der {
des alten bundes hineinzubringen; daher die verse 26
er der reihe nach Enoch, Elias, Abraham, David, Mo
führt. Wenn der dichter 25, 79 f. sagt daz was ni
wan daz ein enget im erschcein, so beruht das auf Ai
De trinitate 1.3, c. 11, no. 22, s. 822: omnia quae pati
sunt, cum deus Ulis praesentaretur, per creaturam /
manifestum est. Etsi nos tatet, quomodo ea ministr\
fecerity 'per angelos tarnen esse dicimus fa4ita\
26, 1—10. Damit gibt der dichter nur einen his
aus der hl. schrift entnommenen beleg für die behauj
Augustinus (Ep. 147, c. 7, no. 19, t. 2, 604): qui (sc <
voluerit sicut voluerit apparet ea specie, quam voluntc
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QUELLEN DES ANEGENQE. 325
etiain latente natura. Myas und Enoch wären yom dichter
eigentlich in mogekehrter reihenfolge aufzuführen gewesen,
wenn der dichter anders die Chronologie bewahren wollte.
Allein Enoch reimt sich mit eoch (so wird die form im original
geheissen haben), und das ist wol der grund für diese Umstel-
lung gewesen. Die belegsteilen aus der hl. schrift für Enoch
finden sich Gen. 5, 24: (mbuiavitque (sc. Henoch) corcm deo, et
non apparuit, quia tuUt eum deus] für Elias ist 4. Beg. 2, 11
heranzuziehen: et ascendit Elias per turbinem in coelum. Ganz
consequent sagt der dichter daa er siu noch hede mit leibe unt
mit sele hat Inhalten 'stea er wiV: denn nirgends wird über den
aufenthalt dieser beiden männer gottes etwas näheres erzählt.
Was der dichter in v. 9 von Abraham sagt, bezieht sich auf
Gen. 18, 1: apparuit autem ei dominus in convalle Mambre;
und was er ebenda yon David sagt, bezieht sich auf 2. Reg.
23, 3: dixit deus Israel mihi (David spricht von sich selbst),
loeutus est fortis Israel Vielfach ist in der patristischen
literatur die frage behandelt worden, ob denn Moses, als er
auf dem berge Sinai von gott die gesetztafeln empfleng, auch
gott wirklich gesehen habe, wie er (natura sua) ist, da er ja
facie ad fadem mit ihm sprach. Dieses thema behandelten
Athanasius von Alexandrien, Gregorius (wahrscheinlich Nazian-
zenus), Ambrosius und nach ihm Augustinus, der unserm dichter
auch die gedanken geliehen hat, welche er über Moyses aus-
spricht (26,12—32). Augustinus sagt (Ep.l47, c8, no.20, t.2,605):
desiderium autem veraeiter piorum, quo videre deum cupiunt et
inhianter ardescunt, non, opinor, in eam speciem contuendam
Hctgrat, qua ut vult apparet, quod ipse non est; sed in eam
substantiam qua ipse est quod est Huius enim desiderii sui
ftammam sanctus Moyses, fidelis famulus eius, ostenditj ubi ait
deo, cum quo ut amicus facie ad faciem loquebatur: si inveni
gratiam ante te, ostende mihi teipsum (Ex. 33, 13 frei citiert).
Quid ergo? iUe non erat ipse? si non esset ipse, non ei diceret:
ostende mihi teipsum, sed ostende mihi deum: et tarnen si eius
ncUuram substantiamque conspiceret, multo minus diceret: ostende
mihi teipsum. Ipse ergo erat in ea spede, qua apparere vo-
luerat; non autem ipse apparebat in natura propria, quam
Moyses videre cupiebai . . . Unde quod responsum est Moysi
verum est, quia nemo potest fadeni dei videre et vivere.
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326 TEÜBJ&B
Anegenge 26, 11—36 mit der stelle des Angnstinns zn-
sammengehalten lässt ein abhängigkeitsverhältnis srwischea
beiden nicht verkennen. Wir werden sagen, der dichter ist
durch jene stelle angeregt worden, die frage ob gott von
Moyses {natura sicuti est) gesehen worden sei, ansführlieher
zu behandeln, als wie er das bezfiglich der übrigen gerechten
des alten bundes tut Er hält dabei ganz das verfahren des
Augustinus bei Jedoch näher zugesehen stellt sich heraus,
dass der dichter die frage nicht wie Augustinus philosoj^iisdi
zu erläutern, sondern einfach historisch darzustellen versucht
Die ganze darstellung des Augustinus beruht auf Ex. 33, 13,
ja er citiert stellen daraus, und das war es, was unsem dichter
wider veranlasste, auf den biblischen bericht zurückzugehen.
So ergibt sich denn für 26, 11—16 folgendes quellenverhftltiiis:
die stelle beruht teUs auf der oben citierten stelle des Augu-
stinus, teils auf Ex. 33, 13. 18: si ergo inveni gratiam in con-
spectu tuo, ostende mihi fadem tuam, Qui ait: ostende mihi
gloriam tuam, Und schon v. 17 nennt der dichter uns seine
quelle: nu sprichet dojs Mch, worunter er kein anderes budi
als die Exodus verstehen kann, die er übrigens füglich schon
V. 13 hätte eitleren können. — V. 17. 18 geben Ex. 33, 22 inhalt-
lich wider: et iterum: ecce, inquit, est locus apud me, et stdbis
su^a petram. Der dichter weicht insofern von seiner quelle
ab, als er sagt: hinder einen sUmn, statt uff einen sta^. —
y. 19 stimmt zu Ex. 33, 22: cumque transibit gloria mea, —
Ebenso v. 20 zu Ex. 33, 23: tollamque manum meam et videbis
'posteriora' mea. — V. 21—23 gibt Ex. 33, 20 (denn das ist das
bäch, welches der dichter hier meint) wider: rursumque ait:
non poteris vtdere fadem meam. Non enim videbit me hämo
et vivet — V. 24—29 geben inhaltlich Ex. 34, 29 wider: cum-
que descenderet Moyses de monte Sinai, tenebat duas tabuka
testimonii, et ignorabat, quod comuta esset fades sua ex am"
sortio sermonis dominl — Die verse 30 — 36 sind subjective
reflexionen des dichters.
Nun hat uns der dichter die grossen männer des alten
testamentes vorgeführt und gezeigt, dass sie den herm (natura
proprio) nicht gesehen haben; im folgenden geht er zu den
heiligen des neuen testamentes über, legt sieh auch hier die
frage vor, ob sie gott gesehen haben, und beginnt nicht
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QUELLEN DiBS AKEQESrGE. 327
«Bgeschickt mit Petrus. Auch von ihm behauptet er 26^ 37—39:
u^tsrUch die (gotes magenehrafß nämlich) engisach sant Peter
noch nie weder dort noch hie. Auch diese stelle ist durch
Aiipnstmus (E}p. 147, c. 12, no. 30, t. 2, 610) angeregt: Petrus hat
Christum, so heisst es dort, als den söhn gottes bekannt mit
den Worten: tu es Christus, fHius dei vivi. Augustinus knüpft
daran die bemerkung: quamvis iUa revelatio utrum per fidem
tantae rei creditae, an 'per visionem' conspectae facta in eius
mente fuerit, mon mihi videtur elucere, cum et ipse Petrus tam
parvulum se adhuc Uli ostenderit, ut timeret, ne amitteret mo-
rientem, quem filium dei vivi ... paulo ante confessus fuerit
Damit will Augustinus sag^ dass Petrus, obwol er Christum
als sahn gottes bekannt hat, ihn nur deswegen als solchen
bekannte, weü er entweder glaubte, dass er es sei, oder weil
er eine Offenbarung erhalten habe; dass er ihn aber deswegen
nicht als söhn gottes bekannte, weil er die gottheit in Christus
von angesicht zu angesicht sah. Diesen sinn hat der dichter
in den dtierten yersen widergegeben und die sache auch gleich
an& jenseits au^edehnt.
Zu 26, 40 — 46 ist ein citat heranzuziehen, das Augustinus
(Ep. 148, C.2, no. 7, t. 2, 625) aus Hieronymus bringt: videre deum
sieut est in natura sua oculus hominis non potest: non solum
hämo, nee angeli, nee fhroni, nee potestates, nee dominationes
nee omne nomen quod nominatur, neque enim creatwra potest
aspicere creatorem suum. Den sinn dieser worte gibt der
dichter in v. 40 — 44 wider und wendet sie in v. 39 auch auf
Petrus an. Dass er auch die ubeln {enge!) mit herein zieht,
mag Augustinus (Ep. 147, c. 5, no. 15, 1 2, 602) ebenfalls ver-
anlasst haben, der ausdrucklich Verwahrung dagegen einlegt,
dass auch die bösen engel gott schauen: multum enim miror,
si eo usque progrediuntur, qui existimant impios visuros deum
et a diäbolo viaum deum, ut eos et mundo corde esse, et pacem
et sancHficationem cum omnünis assectari perseverent
26, 47 — 50. Damit sucht der dichter einer naiven frage
zu beg^fnen; er verweist aber den fragenden sofort mit 26, 51
— 56 auf Paulus. Die stelle ist tatsächlich auf 2. Cor. 12, 1 — 4
zur&ckzufBhren, speciell heisst es v. 2: scio hominem in Christo
naktm . . . rqptum huitismodi usque ad tertium coelum. Unter
dem Worte hominem versteht Paulus, wie der context erkennen
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328 TEUBEB
lässt, niemand anderen als seine eigene person. Weil er nun
seinen namen nicht nennt, sondern nur sagt: scio hominemy
deshalb schrieb unser dichter: der grozze lercBre, dag er ez selbe
wcere, daz zdch er sich nicht an, Paulus und dessen aus-
spruch in diese abhandlung hineinzuziehen, veranlasste nnsem
dichter aber Augustinus, der (Ep. 147, c.l3, no.31) sagt: deinde
potest moveri quomodo ipsa dei substantia videri potuerit a
qmbusdam in hoc vita positis . . . nisi quia humana mens divt-
niius rapi ex hoc vita ad angelicam vitam ... Si enim raptus
est, qui audivit illic ineffabilia verha, quae non licet hominibus
loqui Diese letzten worte sind worte des Paulus, und es
kann kein zweifei sein, dass Augustinus unter demjenigen qui
raptus est auch Paulus verstanden wissen will. Und das ver-
anlasste eben den dichter auf jene stelle selbst zurfickzugehen,
wo Paulus diese sache erzählt, d. h. 2. Cor. 12, 2 — 4. Und diese
stelle hat der dichter durch 26,57—62 widergegeben. Augu-
stinus ist a.a.O. nicht geneigt zu glauben, dass Paulus wirk-
lich gott gesehen habe wie er ist, und da Paulus selbst sagt,
dass er in den dritten himmel entrückt wurde, aber gänzlich
davon schweigt, dass er gott gesehen habe, so finden wir auch
die verse 26, 63 — 68 ganz begreiflich.
26, 69 — 81. Wenn der dichter in diesen versen die mög-
lichkeit, gott zu sehen, mit aller entechiedenheit in abrede
stellt, so fusst er auch hierin auf Augustinus, der seinerseits
wider dem ansehen des Hieronymus weicht. Augustinus (Ep. 148,
c. 2, no. 7, t. 2, 625) sagt: sanctus autem Hieronymus ait: videre
deum sicuti est in natura sua, oculus hominis non potest. Zu
diesem citat gibt Augustinus folgende erklärung: his verhis vir
doctissimus satis ostendit, quid etiam de futuro saeculo senserity
quod ad hanc rem attinet. Quantumlibet enim ocuü corporis
nostri mutentur in melius, angelorum oculis aequabuntur. Bic
autem et ipsis et universae omnino coelesti creaturae invisibüem
natiuram dicit esse creatoris. Und auf diese stelle scheint
sich Gregorius (Migne t 76, 90) zu beziehen: sciendum vero
est, quod fuere nonnulli, qui deum dicerent etiam in iUa regione
beatitudinis in claritate quidem sua conspici, sed in ncUura
minime videri. Auch diese stelle muss der dichter gekannt
haben; wenigstens lassen das die verse 73 — 76 erschUessen.
Dunkel, zum teil schwer verständlich und vielleicht schlecht
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Quellen üEä aneoenge. 329
überliefert sind 26,82 — 27,19. Diese stelle konnte ganz gut,
ohne dass im geringsten eine Störung verursacht wärde, aus
dem texte fortgelassen werden. Denn 27, 20 — 23 iedoch teil
ich n& Bestünde iu des ein tceil sagen, tme dous chumt dag si
nicht enmegen gesehen den hceiligen Christ schliesst ganz gut
an 26,81 an, wo der dichter die frage, ob man gott sehen
könne — und hier versteht der dichter vorzugsweise gott den
vater — abgeschlossen hat.
Weiter fragt es sich sehr, auf wen sich die verse 27, 14 — 19
beziehen. Auf Gregorius können sie sich nicht beziehen; denn
das gäbe keinen sinn. Sie scheinen sich auf den dichter des
Anegenge selbst zu beziehen, speciell auf 26,79 — 81; und es
soll damit gesagt werden: derjenige der dieses lied gedichtet,
der speciell darüber gesprochen hat, dass man gott mit fleisch-
lichen äugen nicht sehen könne, hat nach den besten quellen
gearbeitet, unter anderen auch nach Gregorius, der ebenfalls
von dieser sache spricht; und deswegen möget ihr leicht er-
kennen, dass dieser mann auch leicht den streit in dieser sache
aufnehmen könnte mit demjenigen der ihm etwa widerspräche,
wie er 26, 79 — 81 gesagt hat: swer icht anders dar unibe wü
jehen, des antwurt wir enceit, so wir vememen seinen streit
Hätte der Verfasser des Anegenge in dieser stelle aber von
sich selbst gesprochen, so hätte er wol die l.pers.sing. oder
höchstens die 1. pers. pl. gebraucht und gesagt: da bi ir wol
meget die warhant erehennen, dae wir {ich) denne vil wol vinden
(vinde). Das alles zusammengenommen ergibt, dass diese stelle
sehr wahrscheinlich nicht von dem Verfasser des Anegenge her-
rührt, sondern von einem späteren abschreiber dieses gedichtes,
der dem dichter einen denkstein in dessen eigenem gedichte
setzen wollte, wobei er es nicht übel verstand, 26, 81 mit 27, 20
zu verbinden.
Man könnte einwenden: der dichter musste in v. 16. 17
schreiben: dag er (nicht wir oder ich) denne vil wol vindet;
denn sonst hätte er keinen reim auf under windet in v. 18 ge-
habt. Darauf lässt sich vor allem antworten, dass man nicht
einsehen könnte, warum der dichter nicht auch hier mit einer
blossen assonanz hätte zufrieden sein können, da er es an
vielen anderen stellen auch ist Wollte man aber diese stelle
als eigentum des Verfassers des Anegenge ansehen mit rücksicht
Beiträge zur geschichte d«r deuttchen tpracbe. XXIV. 22
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330 frstTBEB
darauf, dass sich ja sonst nirgends in dem so langen gedichte
eine fremde band bemerken lasse, so wäre wol eine andere
conjectur möglich: Augostinus, der, wie wir geseben baben, f&r
diese so scbwierige frage die quelle unsers dicbters ist, führt
(Ep. 148, no. 10, t. 2, 626) unter den scbriftstellem welche über
die visio dei gebandelt haben, neben Hieronymus, Ambrosios,
Athanasius auch einen Grregorius an, den er sanctus episcapus
orientcdis nennt. Und tatsächlich findet sich unter den Schriften
des Gregor von Nazianz eine rede (no.49), welche denselben
Stoff de visione dei behandelt; diesen also konnte Augustinus
genannt haben. Die späteren gelehrten schreiben allerdings
die rede dem Gregorius Eliberitanus, einem spanischen bischofe
zu. Mag sie nun gehören wem sie will: Augustinus citiert die
meinung dieses Gregorius zweimal (a. a. o. und ib. c. 4, no. 15,
s. 625). Sollte das unserm dichter veranlajssung gegeben haben,
sich hier speciell auf Gregorius zu berufen? Es wäre dann
derjenige von dem der dichter sagt: er hat eine tieffe rede gi-
tan, ee diu das er uns benne den man der da ticktet dae Uet
(also de visione dei?), Augustinus; der mann den er benennt,
wäre jener Gregorius und der vers ern tmte sein für namens
nickt bezöge sich darauf, dass ihn Augustinus einfach als ^i-
scopus Orientalis bezeichnet. Und die verse 3—7 wären dann
ein lob auf Augustinus (während sie im anderen falle, dass
diese stelle ein einschiebsei wäre, sich auf den dichter des
Anegenge bezögen). Femer bezögen sich v. 8 ff. auf eine stelle
desselben (Ep. 148, c. 2, no. 10, t. 2, 626), wo es heisst: ut et Hlud
verum sit quod deum nemo vidit unquam, quae vox ipsiüs damini
Ckristi est, was ja mit Aneg. 27, 8. 9: das der wäre gotes sun
von dem selben dinge sprack stimmen w&rde. So viel ist bei
der ganzen sache aber sicher, dass unser dichter jene rede
des Gregorius höchstens aus dem citate des Augustinus ge-
kannt hat, und es scheint daher nur gelehrter anstrich zu
sein, wenn er sich auf jenen Gregorius beruft. Wie wir aber
sehen werden, hat unser dichter in der späteren partie seines
gedichtes Gregorius den grossen benutzt Wäre es dann nicht
mögUch, dass er in jenem citat (v. 13) Gregorius dervon ge-
redet diesen meint, allerdings an einer stelle wo es nicht an-
gezeigt war? So viel lässt sich hier conjecturieren: ganz
aufhellen lässt sich die sache nicht.
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QtTELLEl^ DfiS ANfiOEKGt!. SSl
^38. Diese stelle fusst auf Augustinus, Ep. 147, c. 19,
617: et quod ccrrupUbüe hoc et mortale corpus nosirum
ectione commutabitur et induet incorruptionem et im-
em; et quia seminatur corpus animale, resurget corpus
transfigurante domino corpus humilitatis nostrae. Das
ir dichter sehr schön aus in den versen 25 — 29.
LUgustinus heisst es weiter Ep. 148, c.2, no.8, s.626:
sus est (sc. Jesus Christus) ab hominibus per oculos
lamquam ipse corporeus, non cum secundum naturae
em fuisse visum, in qua tunc mente cernitur, quando
cemitur, Quibus invisibilis, nisi aspectibus corpora-
m coelestibus, sicut supra de angelis et potestatibus
iionibus dixit? (gemeint ist Hieronymus). Diese stelle
dichter wider durch die verse 22—24 und 80—33.
. den letzten satz, den der dichter in v. 34 — 37 aus-
luden wir bei Augustinus vorgebildet, a.a.O. no. 7,
}s autem omnes revelata fade gloriam domini specu-
eamdem imaginem transformamur a gloria in gloriam,
a domini spiritu, licet fadem ad fadem dd it^sta
yroprietatem nulla videat creatura, et tunc mente cer-
ando invisibilis creditur,
9 — 47. Diese stelle hat ihre grundlage zunächst bei
,52: et monumenta aperta sunt; et multa sanctorum
qui dormierant, surrexerunt Was der dichter sagt,
Ine anwendung dieser stelle zu seinem zwecke, näm-
itun, dass auch Christus als gott nicht gesehen worden
lamit fusst er auf der oben citierten stelle des Augu-
626) quaMo visus est u.s.w. Und wenn er sagt wan
die wol, so wcde ich moiu dae b&ch sol da man uns
gelemet, so meint er wol unter diesem buch kein
als jene abhandlung des Augustinus, De visione dei
t;eht das 'sehen des gottessohnes durch jene gerechten,
dt ihm auferstanden sind' ebenso wie jenes buch über-
LS schauen des gottessohnes versteht, n&mlich non
\ naturae proprietatemS)
»e frage ist von den yätem des öfteren erörtert worden, so von
Sermo in natali martjnim, Hieronjmns, Super Matth., Angu-
ra Joann. (21, 22), Chrysostomus, Hom. 28 De expositione symboli
ir eanticum (5, 1) lib. 3 (vgl. Abalard s. 1472 ff.).
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S32 TJBUfiEB
27, 48—61. Die ansieht dass selbst die engel, obwol sie
im himmel verweilen, gott nicht sehen, nämlich wie er ist,
haben wir bei Augustinus wenn auch nicht eingehend behan-
delt, so doch unverkennbar angedeutet gefunden. Ausführlich
handelt darüber Gregorius (Moralia in Job lib. 18, t. 2, 94). Er
sagt: sed quia de deo primum ecclesiae praedicatorem didtur:
in quem desiderant angeli prospicere (1. Petr. 1, 12), sunt non-
nulli qui nequaquam deum videre vel angehs 8u^4Mntur, et
tarnen dictum per veritatis sententiam sdmus: angeU eorum in
coelis semper vident fadem patris md qui in coelis est (Afatth.
18, 10) ... Deum quippe angeli et vident, et videre desiderant;
et dtiunt intueri et intuentwr, Si enim sie videre desiderant,
ut affectu sui desiderii minime perfruantur, desiderium sine
fructu anxietatem habet et anxietas poenam (diese stelle hat
Khabanus Maurus 1 6, 1282 ff. au^nommen). BecUi vero angeU
ah omnipoena anxietatis lange sunt, quia nunquam simulpoena
et beatitudo conveniunt. Rursum cum eos didmus dd visiane
saMari, quia psalmista ait: satiabor dum manifestabitur gloria
tua (Ps. 16, 15), considerandum nobis est, quoniam satietatem
solet fastidium subsequi. Ut ergo recte sibi utraque canveniant
dicai veritas: quia semper vident: dicat praedicator egregius:
quia semper videre desiderant Ne enim sit in desiderio an-
xietas, desiderantes satiantur, ne autem dt in satietate fastidium,
satiati desiderant. Den Inhalt dieser stelle gibt der dichter
in V. 48—56 wider. Dass er Michael mit hineinbringt, ist wol
seine eigene erfindung; er wollte eben von den engein, welche
gott sehen und nicht sehen, ein beispiel anfahren. Aber für
diese und für die folgenden verse muss noch das weitere
herangezogen werden, was Grregorius über diesen punkt sagt
(a. a. 0. s. 95 f.): nee tamen videbimus dcut videt sdpsum. Lange
quippe dispariUter videt creatar se quam videt creatarem, Nam
quantum ad immendtatem dd quidem nabis madus figitur con-
templationis, quia eo ipsa pariere drcumscribimur {'der e m
dnem gaden sasT)^ qua creatura sumus. Sed profecta nan ita
canspidmu^ deum sicut ipse se con^idt, dcut nan ita requies-
dmus in dea, quemadmodum requiesdt in se.
27, 62 — 65 bezieht sich auf die bereits aus Augustinus
citierte stelle (Ep.l48, c.2, no. 7, t.2,625): hie autem et ipds
et universae omnina caelesti creaturae invisibilem naturam dixit
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QUELLEN DES AMEGENGE. 333
is. Den grund welchen der dichter 27, 66—69 dafür
leint er ans der oben citierten stelle des Gregorius
zu haben: nam quantum ad immensitatem . . . quid
\dere 'drcumscribUur^.
-80. Den Johannes als zeugen für seine behaup-
!ühren, dass gott noch niemand gesehen habe, dazn
den dichter ebenfalls Augostinns, der in der wider-
en Schrift De visione dei inuner wider auf Johannes
amentlich s.601, wo er Joh. 1, 18 und 1. Joh. 4, 12:
vidit umqucm citiert; daher sagt unser dichter
fjoü des vaste jehen dcus er noch sei ungesehen, Dass
n der brüst des herm gelegen sei, sagt er selbst:
qui et recubuit in coena super pectus eius (sc. Jesu).
»Ige dieses innigen Verhältnisses zwischen schüler
r war, Hesse sich zwar aus den Schriften des evan-
bst herauslesen, und auch unser dichter konnte es
i. Aber wir finden in den patristischen Schriften
Iche stark an die ausfnhrungen unsers dichters in
aklingen. So sagt z.b. Beda in seiner homilie In
ini (t. 5, 8D): neque enim frustra in coena super
ini Jesu recubuisse perhibetur, sed per hoc typice
ia coelestis haustum sapientiae caeteris exceUentius
no eiusdem pectoris fönte potavil Aehnlich W. Strabo
mper pectus: in pectore Jesu omnes thesauri sapien-
ttiae absconditi, super quod recubuit, quem maiori
ientiae et sdentiae singülaris munere donat, in quo
quanta arcana de divinitate prae caeteris esset scrtp-
le dieser beiden stellen, welche lässt sich schwer
, muss unser dichter gekannt haben.
-28,2. Der dichter schliesst hiermit seine abhand-
die visio dei und zwar merkwürdiger weise mit
gedanken, den Augustinus in seiner abhandlung
be thema ausgesprochen hat (Ep. 147, c.4, no. 11,
uod quidem fit mente et videtur mente . . . sicut dbest
\ mentis meae fides tua, quamvis eam esse in te
n eam non videam corpore, quod nee tu potes; nee
l tu potes. Nemo enim sdt quid agatur in homine,
; hominis qui in ipso est
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334 TEUBBB
28, 3—22. Woher der dichter weiss, dass von Adam sehs
unt dricic geshechte chomen waren (28,12), lässt sich nicht
eruieren; biblisch ist es nicht, und in der patristischen literatur
lässt sich davon auch nichts entdecken. Die ansieht, dass alle
menschen bis auf Christi ankunft in die höUe gekommen seien,
ist ebenfalls weder bibUsch noch in den kirchenschriftstellem
belegt. Die anschauungen aber die höUe selbst beruhen auf
Apoc. 14. 17.20,9.14.21,8.
Nachdem der dichter auf diese weise die ganze geschichte
des menschengeschlechts behandelt und in v. 15 das got mensch
wart auf die erlösung hingewiesen hat, geht er in der tat auch
auf die erlösungsgeschichte über: dais tcir iu da wellen sagen,
da hSret vlceizediUchen aü, wie der wäre got du una dem tivd
angewunne, 28, 24 — 26. Aber noch immer nicht kommt unser
dichter auf das historische der erlösung: menschwerdung gottes,
tod, auf erstehung und himmelfahrt, sondern er bringt uns erst
(von 28,27 — 29,85) die vorberatungen, wie sie im himmel
zwischen gott und den vier töchtem gottes: misericordia, veritas,
iustitia, pax {erbarmde, warhceit, recht, fride) aber die mensch-
werdung und erlösung des menschengeschlechtes abgehalten
werden.
Der erste welcher die vier töchter gottes, wie man sie
nun einmal zu benennen beliebt, in die literatur, wenn man
so sagen darf, eingeführt hat, ist der Verfasser des 84. psalms,
wo uns dieselben kurz gezeichnet werden mit den worten
(v. 11. 12. 14): misericordia et veritas obviaverunt sibi: iustitia
et pax osculatae sunt Veritas de terra orta est, et iustitia de
coeh prospexit. Iustitia ante eum ambulabit et ponet in via
gressus stu>s. Im neuen testamente fehlte es natürlich nicht
an commentatoren zu dieser stelle, die wegen ihres prophe-
tischen Charakters von ganz besonderer bedeutung ist Einen
commentar gab zuerst Hieronymus (t. 7, 1077), der aber die
sog. 'töchter gottes' als tugenden auslegt, welche der mensch
vor der Sünde besessen habe. Ihm folgte Augustinus in seiner
Enarratio in psalmos (t. 4*, Migne t. 37, 1078); er geht aber
bereits weiter, indem er sagt, dass diese vier die tugenden des
menschen vor der sünde gewesen seien, aber auch die tugenden
seien, welche der mensch, wenn er gesündigt, sich anzueignen
habe. Dasselbe widerholt er an anderen stellen (wie Sermo 185,
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QUELLEN DBS ANEGENGE. 335
Sermo 192, s. 1013). Der im jähre 1126 verstorbene
ims, abbas S. Blasii Silvae Nigrae hat nun in seinen
9ttiones ss. patrum (Migne 1 157,1039) diese vier tugenden
*A>rdia, veriias, itAstitia, pax erst zu töchtem gottes, zu
rinnen des allerhöchsten gemacht Woher diese stelle
^emerus genommen ist^ lässt sich nicht ermitteln; denn
bst gibt hier keine quelle an; da er aber solche bei
»n stellen regelmässig angibt, so könnte man den schluss
, dass die ganze darstellung von Wemerus selbst erfunden
)ie hauptsache dabei bleibt der umstand, dass Hugo von
(tor diese stelle seinen Miscellanea (lib. 2, t. 3, 628) wört-
inverleibt) d. L sie wörtlich aus Wernerns abgeschrieben
Und von da aus därfte sie unserm dichter bekannt ge-
Q sein. Dass er sie gekannt hat, wird die spätere aus-
ersetzung zeigen. Der hl. Bemard endlich behandelt
be thema (S. Bemardi opera^ Parisiis 1719, s. 977 ff.) im
primus in feste annuntiationis B. M. Yirginis; aber wäh-
)ei Wemerus nur die Misericordia und die Veritas redend
ten — daher der titel De altercatione Misericordiae et
Hs, hinc inde se accusanüs et defendentis — lässt der
mard alle vier töchter gottes zu worte kommen. Die
. letzteren erscheinen bei Wernerus erst auf dem schau-
, als der streit zwischen der Veritas und der Misericordia
i geschlichtet ist. Derselbe stoff findet sich auch bei
in Homiliae subditae (no. 104, t. 5, 505 fl). Unser dichter
at sowol die darstellung des Wemerus, bez. die abschrift
, als auch die rede des hl. Bemard aber diesen gegen-
gekannt, beide mit einander geschickt verflochten und
igerundetes poetisch schönes ganze geschaffen.^
leich mit 28, 27 — 32 setzt der dichter mit dem hl. Ber-
in (vgl. die einleitung zu derselben erzählung bei Bernard
3). Misericardia und Pax bitten gott für den menschen,
r und Ifistitia verlangen dessen bestrafung. Qtott hört
tten der ersteren und das drängen der letzteren und
b: vocentur, et super hoc verbo pariter conferamus. Medius
pater luminum residebat et utraque pro parte stm utiUus
Möglich wäre es natürlich auch, dass bereits zu lebzeiten unsers
eine Terbindong beider stattgefunden hätte und dass diese dem
bei seiner arbeit yorgelegen. Wir allerdings kennen keine solche.
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336 TBUBBR
quod habebat loquebatur. Das ist die samnunge, von
unser dichter spricht, die im Anegenge allerdings
erharmde, hier von gott selbst berufen wird, was ja
keinen grossen unterschied macht. Dass aber der die
erharmde eine solche samnunge sprechen lässt, veranla
der umstand, dass die Misericordia in diesem rate als <
spricht: s. Bernard S.981D: eget miseratione creatura rc
ait Misericordia, quoniam misera facta est et miserabil
Econtra Veritas: das stimmt ja mehr als inhaltlich
versen 28 ff.
28, 33—36. V. 33 gibt die folge dessen an, was i
angedeutet wurde. V.34— 36 beziehen sich wol eben
Bemard S.981B: et quamvis diu multunique visus sit dis
pater miserationum, ut interim satisfaceret zelo iustitia
tatis: non tarnen infructuosa fuit supplicantium impo
sed eocaudita est in tempore opportuno. Dazu kommt nc
nach der darstellung Bernards (ib.) gott auf das dräi
Misericordia und der Fax hin etwas unwillig zu sein
forte etiam interpellantihus tale dicatur dedisse respom
quequo preces vestrae? Debitor sum et sororibus vestf
acdnctas videtis ad faciendam vindictam in nationibus,
et Veritati,
28, 37 — 46. Auch diese gedanken finden sich
citierten predigt Bernards (s.981): eget miseratione
rationalis, quoniam misera facta est et miserabäis \
Ut quid ergo, ait Misericordia, ut quid me genuisti, paii
perituram? Seit enim Veritas, quoniam Misericordia ^
et nulla est, si non aliquando miserearis.
28, 47 — 54 enthalten gedanken die auch Bemard ai
(a.a.O.): econtra Verität: totus moriatur Adam necesse
Omnibus qui in eo erant, qua die vetitum pomum in j
catione gustavit; und kurz zuvor: oportet inquit (Veri
pleri sermonem quem locutus es, domine; und ib. F:
adiceret Veritas in ipsum quoque iudicem partis suae
retorqueri, dicens, cavendum omnino, ne fieret irritum
patris, ne sermo vivus et effica>x qualibet occasume eva
(vgl. V. 54).
28,55—62. Davon findet sich bei Bemard nur
deutung, welche den dichter zu dieser stelle und zum f <
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QUELLEN DES ANEGENGE. 337
veranlasst haben könnte, s. 982 A: haec dicit:perii s^i Adam non
moriatur; et haec dixit: perii nisi misericordiam consequatur\
und ib. C: sed ubi poterit iUe innocens inveniri? Der gedanke
selbst, den der dichter hier ausspricht, findet sich bei Hugo
von St. Victor (t. 2, 808 und t. 2, 29 f.) ausgesprochen, nur dass
ihn der dichter der Yeritas in den mund legt. S. 808 D heisst
es: dedit igitur homini hominem quem homo pro homine redderet
Was hier als schon geschehen ausgesprochen wird, deutet der
dichter als etwas erst kommendes an.
28, 68—72. Diese verse stützen sich ebenfalls auf Hugo,
1 2, 808: sed nee hominem pro homine reddere potuit, quia
iustum et innocentem abstulerat, et neminem nisi peccatorem
invenit Der dichter hat diesen gedanken wider dramatisiert,
indem er ihn der Yeritas in den mund legt, er hat ihn aber
auch mit Zuhilfenahme der hl. schrift Gen. 8, namentlich v. 17:
nialedicta terra in opere tuo (vgl. 65— 67) weiter ausgebaut.
28,78—29,4. In v. 75— 77 widerholt der dichter das be-
reits in V. 66 f. gesagte. Es ist aber eine schöne Verknüpfung
mit den folgenden versen dadurch erzielt worden. Die stelle
selbst beruht, wie es scheint, auf der schon genannten predigt
Bemards. Dort wird (no. 13D, s. 982) erzählt, wie die Miseri-
cordia und Yeritas ausgehen, um ein wesen zu suchen, welches
fähig wäre die menschheit zu erlösen. Sie finden kein solches
und kehren betrübt zurück. Da tröstet sie der 'Friede' und
sagt (ib. D): qui consilium dedit, ferat a/uocilium, Intellexit rex
quid loqueretur, et ait: ... ; ecce venio ,,. Et a^ersito protinus
Gabriele: vade, inquit, die filiae Sion: adorna thalamum tuum
Sion et suscipe regem. Die tochter Sions welche hier gemeint
ist, ist eben Maria, welche der dichter in v. 8 da mit wart diu
maget gemceinet vor äugen hat; der könig den sie empfangen
soll, ist Christus; daher sagt unser dichter v.4 diu uns daz
hceil brachte. In den versen 5 — 85 kommen zwar anklänge an
Hugo, namentlich 1 2, 22 vor; manches stimmt zu Augustinus,
namentlich zu den stellen welche der dichter 8, 2—84 benutzt
hat; aber ich möchte weder den einen noch den andern als
directe quelle für diese stelle bezeichnen.
29,86 — 47.0 IM® gedanken welche der dichter hier aus-
^) Hahn schreibt 29, 43 9mme, was keinen sinn gibt. Ich würde sunde
schreiben, was zum Inhalte der stelle ganz gut passt
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338 TEÜBEB
spricht, finden sich bei Hugo von St. Victor 1 2, 389 BC: de carne
verbi hoc primum commemorare oportet, quod iUam ab ipsa eon-
ceptione Spiritus sancti operaUone ita mundatam credemits, ut
eam verbum ipsum liberam prorsus et immunem ab omni pec-
cato assumeret (vgl. v. 36 — 44); poena tarnen peccati voluntaie
non necessitate assumentis remanente, ut dum ista in saivatore
sine culpa pateretur, üla, quae in saihandis pro culpa poenae
obnoxia fuerat, liberaretur (v.45 — 47). Der dichter hat aller-
dings nur den inhalt dieser stelle widergegeben und noch dazu
die Sache dramatisch eingekleidet, indem er die gedanken der
bwrmde in den mund legte.
29, 48 — 56. Diese stelle ist unklar; nach v. 51 scheint
etwas zu fehlen; man müsste höchstens, um nur irgend einen
sinn hineinzubringen, v. 52 so schreiben unt eüiu dinc jse bi-
waren. Der hauptgedanke dieser stelle scheint Bemard ent-
nommen zu sein, bei dem es h.982 heisst: poena, inquit, me
tenetj mihi incumbit sustinere poenam, poenitentiam agere pro
homine quem creavi, Tunc ergo dixit: ecce venio. Non emm
potest hie calix transire, nisi bibam.
29, 57—72. Eine stelle voll tiefer speculation! Aber die
gedanken welche der dichter hier ausspricht, sind nicht sein
eigentum, wenn wir ihm auch ihre einkleidung als selbständige
arbeit zuschreiben mässen. Hugo handelt t. 2, 30 ff. über die-
selbe Sache. Er sagt s. 30C: Christus igiiur et nascendo debitum
patri solvit, et moriendo reatum hominis expiavit; ut cum ^^
mortem pro homine (quam non debebat) sustineret, Hustet homo
pro ipso mortem, quam debebat, evaderet, 'et iam loeum caUim-
niandi diabolus non invenireV (vgl v. 64 — 67); quia et ipse
homini dominari non debuit et homo liberari dignus fuit Dazu
ist noch heranzuziehen Hugo, t.2, 32 f.: postquam primus parens
generis humani propter inoboedientiae ctdpam a pa/radiso in hunc
mundum venit, diabolus it^ tgrannicum in iUo exereens, sicut
prius fraudülenter seduxerat, itapostmodum violenter possidebaL
Sed dei Providentia^ quae hunc ad saiutem disponebat, sie i/usU-
tiae rigorem per misericordiam temperavit, ut eum ad tempus
quidem ab iUo premi permitteret (vgl v. 68 — 70). V. 71 f. gibt
Ps. 44, 7 wider: virga directionis, virga regni tui.
29, 73—78. Dazu stimmt Bemard S.982F: sed tunc iustitia
et pax osculatae sunt, quae non modice videbantur hactenus
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QUELLEN DES ANEOEKGE. 339
ere. Dieses dissidere scheint wol von allen anderen ähn-
mtenden stellen am ehesten die verse veranlasst zn haben:
stunt vil vrömdeleiche der fride hin dane, V. 76 — 78 ent-
len äbrigens anch Ps. 84, 11: iustitia etpax osculatae sunt
:9, 79 — 82. Dieses stimmt inhaltlich ganz genau zu Wer-
, Deflor. s. 1041 B (Hugo t. 3, 625 B): Misericordia vero non
ebat in coeh dominum orare pro homine postulans ...et
icordia precibus suis dominum ad iustificationem hominis
üebat.
!9y 83 — 85. Auch dieser gedanke findet sich bei Wemerus,
:. s. 1041 C (Hugo t. 3, 625): et ascendit iustitia ad deum ab
\e pacem postulans.
10, 1—8. Wemerus sagt s. 1041 (Hugo t. 3, 625D), nach-
1er streit der gottestöchter zu ende ist: et audiens iustitia
*rrens reversa est ad hominem, ut ab eo non discedat,
dominus ponat in via gressus suos, et veniat. In den
a Worten wird wol auf die ankunft des erlösers Mu-
tet, aber nicht direct gesagt, dass gott seine ankunft
rden verkündet habe. Das hat aber der hl. Bemard
. Nachdem die beratung der tochter gottes zu ende ist,
es: et accersito proUnus Gabriele, vade, inquit (sc. deus\
iae Sion: adoma thalamum tuum et suscipe regem (s.982).
hier kündet gott sofort, nachdem die beratung geschehen
eine ankunft an. Das lässt ihn auch unser dichter tun.
IS folgt, dass sich unser dichter in dieser stelle widerum
temard gestützt hat
iO, 9 — 14. Die verse 9 f. sind eine erinnerung von selten
ichters daran, dass der herr den propheten auftrage er-
die Weissagungen dem volke zu verkünden. Und diese
Ige, ja den Wortlaut derselben haben die propheten in
chriften mit angenommen. Daran erinnert sich also der
5r hier.
iO, 15 — 28. Man möchte meinen, der dichter habe hier
Propheten, auch die zwölf kleinen, vor äugen. Betrachtet
jedoch das was er hier als Weissagungen der propheten
turt näher, so findet man, dass er mit allem und jedem
ar hier sagt, auch v.5— 8 mit eingeschlossen, nur auf
hinweist und nur auf einem fusst, nämlich auf Isaias,
U auf Is.53,4 — 6: v&re languores nostros ipse tulit, et
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340 TETJBEB
dolores nostros ipse poriavit . . . ipse vulneraius est propter
iniquitates nostras^ attritus propter scelera nostra.,. Omnes
nos quctsi oves erravimus, unasquisque in viam suam dedinavü,
et posuit dominus in eo iniquitatem omnium nostrum etc.
Wörtlich hat der dichter diese stellen freilich nicht wider-
gegeben, aber deren Inhalt in den angezogenen versen kurz
zusammengefasst Uebrigens spricht auch gar kein anderer
prophet so deutlich ttber das leiden des künftigen erlösers als
gerade Isaias, und wir begreifen bei nur einiger kenntnis
dieses propheten, die wir dem dichter nicht werden absprechen
können, dass er sagt: daa taten si zeware vü unhetboere. Wie
er mensch wolde werden (v. 17) erinnert an Is.9, 6: parvulus
enim nattis est nobis, et fUius datus est nobis. Y. 18 setzt das
in y. 5 — 8 begonnene fort und beruht auf denselben Isaias-
stellen. Bei v. 19 — 21 denkt man unwillkürlich an Is. 55, 3:
Inclinate aurem vestram et venite ad me: audite et vivet anima
vestra. In v. 24 ist Is. 44, 1: utinam dirumperes coelos et de-
scenderes widergegeben. V.25 — 28 übersetzt die bekannte steUe
Is. 45, 8: rorate coeli desuper, et nubes pluant iustum, aperiatur
terra et germinet salvatorem.
Nachdem der dichter die erlösung des menschengeschlechts
durch die propheten hat vorherverkfinden lassen, geht er nun
auf das historische der menschwerdung und erlösung selbst ein.
Mit den versen 30, 29—33 schafft er sich einen recht pas-
senden Übergang vom vorausgegangenem zu dem folgenden,
wo er nun direct an das evangelium anknüpft.
30, 34—42. Die verse 34. 39—42 übersetzen Luc. 1, 26 1:
missus est angelus Gabriel a deo in dvitatem GaUlaeae, cui
nomen Naeareih, ad virginem, . . Der ausdruck virgo veranlasste
den dichter einige epitheta omantia hinzuzufügen, die sich
eigentlich von selbst verstehen, weil sie in dem begriffe virgo
enthalten sind.
30, 43—50. Die verse 43—48 entsprechen Luc 1, 28: ei
ingressus angelus ad eam dixit: ave (dieses ave gibt der dichter
einmal wider mit er gehiez ir hceii von got, das andere mal
mit: hceilic tois du frowe Maria; was der dichter hinzugefügt
hat ist dieses frouwe Maria) gratia plena: dominus tecum.
Benedicta tu in mulieribus, V. 50 ist aus der begrflssung
Marias durch Elisabeth Luc. 1, 42 herübergenommen {benedicta
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QUELLEN DEB AKE6BNGE. 341
ter umlieres), et henedictus fructus ventris tut. Der engel
iit davon Maria gegenüber nichts.
J0,51 f. gibt wörtlich Luc. 1, 31. 33 wider: ecce concipies
ero et paries fiUum ... Et regni eius non erit ßnis,
)0, 53 1 schliesst gich an Luc. 1, 29 an: quae cum audisset,
ia est in sermone eii4S, et cogitabat, qualis esset ista salu-
wobei der dichter die ausdrficke der bibel turbata est
x>gitahat in einem ausdrucke ercham si ml harte vereinigt.
JO, 55 — 59. Diese verse sind eine etwas erweiterte wider-
von Luc. 1, 34: diocit auteni Maria ad angelum. Quomodo
Hudy quoniam virum non cognosco?
Die verse 30, 60 — 63 sind eine etwas freie widergabe zu-
st von Luc. 1, 35: et respondens angelus dixit ei: Spiritus
US superveniet in te, et virtus altissimi obumibrabit tibi,
me et quod nascetur ex te sanctum, vocabitur fUus dei,
lichter der früher nicht gesagt hat, wie der erlöser heissen
ij fügt jetzt erst in v. 63 den namen hinzu, der nach Luc.
früher genannt wird: et vocabis namen eius Jesus. Wir
i hier abermals, was wir schon in früheren partien unsers
htes bemerkten, wie einander mitunter femstehende bibel-
n geschickt mit einander verbunden werden, ohne dass
sinn gestört oder der dogmatischen auffassung eintrag
i würde.
J0,64 — 68. Die grundlage zu diesen versen bildet Luc.
; dixit autem Maria: ecce ancHla domini, fiat mihi secwn-
verbum tuum. Das wort ancilla hat den dichter zu v. 66
Qasst, in welchen er Maria wie eine untergeordnete dienerin
hen lässt.
)0, 69—71 übersetzt mit auslassung der eigennamen Matth.
cum esset desponsata maier eius Maria Joseph, antequam
nirent, inventa est in utero habens de spiritu sancto.
Jlit 30, 72 1 fährt der dichter mit Matth. 1, 19 fort: Jos^h
t vir eius . . . voluit occulte dimittere eam, während 30, 74
kurz den inhalt von Matth. 1, 20 — 24 angeben, wo erzählt
dass Joseph, während er eben noch überlegte, wie er
tfariens entledigen sollte, ein engel erschien und ihm das
mnis der menschwerdung gottes verkündigte, worauf sich
^h einverstanden erklärte und sie als gattin annahm. Zu
f. ist femer Matth. 1,22 heranzuziehen: hoc autem totum
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342 TEUBEB
factum est, ut 'adimpleretur^, quod dictum est a domino per
prophetam,
30,78 — 31,18. Die ganze stelle stützt sich zunächst anf
ein dem Hieronymus unterschobenes werk, Expositio in qaattnor
evangelia (Migne t. 30, 535 B), wo zu der betreffenden stelle ans
Matthäus die notiz gemacht wird: despansata mater eius, i. e,
pro quattuor causis (vgl. 30, 78 — 81), ut non lapidaretur ut
adultera (31, 2 — 12), et ut in fugam haberet solatium (13 — 18)
et genecäogia Christi per Joseph (lässt der dichter aus), ut
partus celaretwr diabolo (30, 82. 31, 1). Die verse sind durdi
den satz des Hieronymus ut non lapidaretur ut adultera inao^
fem veranlasst, als sich der dichter durch denselben bewogen
ffihlte, auf das betreffende gesetz bezüglich der adulterae et
fomicariae, wie es im alten bunde gehandhabt wurde und dem
ja die Zeitgenossen Josephs und Mariae noch anhiengen, zurück-
zugehen.
In den folgenden versen 31, 19—23 fasst der dichter das
in den unmittelbar vorausgehenden versen bereits gesagte noch
einmal zusammen, um dann 31, 24 — 29 an der band des evan-
geliums weiter fortzufahren. In v.24 anticipiert der dichter
die engelerscheinung, von der er in v. 27 spricht; das ist ja
auch richtig; denn bevor der engel erscheint, befasst sich
Joseph mit dem plane, Maria zu entlassen, wie es MatUt 1, 19
heisst: voluit occulte dimittere eam, V. 27 — 29 und weiter
31, 30 — 33 entspricht Matth. 1, 20: haec autem eo cogitante, ecce
angelus domini apparuit in somnis ei, dicens: Joseph, ßi David,
noU timere acdpere Mariam coniugem tuam^ quod enim etc.
Zu 31, 34 — 38 stinmit Matth. 1, 21: et vocdbis nomen eins
Jesum (aus dem worte vocdbis hat der dichter noch den satz
herausgezogen mein gebot du dar an lanste) : ipse enim salvum
faciet populum suum a peccatis eorum. Wenn der dichter sagt
dae chiut in diutscher ssunge hceilant, so scheint ihn entweder
das wort salvum oder eine andere stelle bei Matth. 1, 23 dazu
veranlasst zu haben; dort wird nämlich gesagt: et vocabitur
nomen eius Emmanuel, quod est 'interpretatum': nobiscum deus.
Wie also der evangelist 'interpretiert', so auch unser dichter.
31, 39—43. V. 39—41 beruhen auf Matth. 1, 24: exurgens
autem Joseph ä somno, fecit sicut praecepit ei angelus domini,
tt accepit coniugem su4Jim. Dagegen nimmt der dichter in
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QUELLEN DBS ANEGSNOB. 343
; f. bereits voraus, was Luc. 2, 6 steht: factum est autem,
esseni i&i, impkti sunt dies, ut pareret
31, 44 — 49. Da sich Matthäus und Lucas in dem berichte
die menschwerdung ergänzen, so ist es begreiflich, dass
dichter fttr die partie die er bei Matthäus nicht fand —
L dieser fibergeht die näheren umstände der geburt und
mt gleich auf die ankunft der drei weisen aus dem morgen-
e zu sprechen — wider zu dem berichte des Lucas zuruck-
te. Dort heisst es 2, 6. 7: factum est autem, cum essent ibi,
eti sunt dies, ut pareret Et peperit ßium suum primo-
\um, et pannis cum involvit, et reclinavit eum in praesepio,
non erat eis hcus in diversorio. Die umstände unter
n der heiland geboren wurde, sind in der tat sehr ärmlich,
ja auch der evangelist in den letzten werten quia non
eis locus in diversorio unverkennbar andeuten will. Und
^^reifen wir denn auch die worte des dichters, die er
l f. vorausschickt, vollkommen. Dass dieses praesepium
de ein (Mbaren oder wie der dichter — wahrscheinlich
er das früher gesagte schon vergessen — in v. 52 will
sweine backt war, finden wir nirgends angedeutet; es
inen denmach diese erklärungen des biblischen praesepium
rechnung des naiven dichters zu schreiben zu sein.
31,50 — 57 sind wol selbständige erfindung des dichters.
könnte dieser passus aber wol auch ein einschiebsei sein;
i V. 56 knüpft ganz gut an v. 48 an.
31, 58 — 61 gibt wörtlich wider was bei Luc. 2, 8 — 11 steht,
nicht alles was wir dort finden: et pastores erant in re-
g eadem (v. 58) . . . Et dixit Ulis angelus (v. 59) ... quia
s est vöbis salvator, qui est Christin dominus, in dvitate
«(v.60f.).
Von 31, 62 er hiess siu drate dar gen steht bei Lucas nichts,
rdings ist die Verkündigung des engeis an die hirten schon
md für sich eine aufforderuug, den neugeborenen erlöser
Qsuchen. Vielleicht dachte der dichter an Luc. 2, 16: et
runt 'festinante^, nachdem die hirten unter einander be-
Nssen hatten, nach Bethlehem zu gehen.
31, 63 — 66 ist dem Inhalte nach abermals aus Lucas ent-
men. Dort heisst es 2, 16: et venerunt festinantes, et in-
runt Mariam et Joseph et infantem positum in praesepio
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344 TEÜBER
(v. 63. 65); und Luc. 2, 12 wurde, obwol es dort in anderem zu-
sammenhange steht, nicht ungeschickt in v. 64. 66 widergegeben:
invenietis infantem 'pannis involutum' et positum in prctes^pio,
31, 67 — 72 stimmt zu Luc. 2,17: et subito facta est cum
angeh multitudo militiae coelestis laudanüvm dominum et di-
Gentium: gloria in excelsis deo et in terra pax (gibt der dichter
durch dae ewige hceil ganz sinngemäss wider) hominibt^ bonae
voluntatis,
31,73 — 32,1. Die gedanken welche hier ausgesprochen
sind, scheinen mir nicht vom dichter selbst herzurühren, son-
dern aus einem sermon geschöpft zu sein, welcher dem Ambro-
sius zugeschrieben wird. Ambrosius, Sermo 5 (Migne 1. 17,
613. 3) heisst es nämlich folgendermassen: hac persultarunt
angeli in iUa nocte, qua pastores nascentem dominum super
gregem suum vigilias observantes, prae omnibus primi didicerunt;
ipsi enim primi ortum saJvatoris ante omnes homines nuntian-
tibus angelis agnoverunt Unde non mirum est, quod redemp-
tionem saeculi ante pastores saeculi potuerunt scire, quam prin-
cipes; non enim angeli nuntiaverunt regibus, non iudidhus sed
hominibt^ rusticanis (das ist die ehre, von welcher der dichter
in V. 80 spricht) . . . Ergo in nativitate domini angeli pariter
cum pastoribus sunt laetati, excelsam deo dicentes gloriam; nam
'vicini^ (das sind die Juden, vgl. y. 76) quodammodo et iunctis
*choris dei' gloriam nuntiaverunt
32,2 — 16. Auch dieser gedanke ist nicht des dichters
eigentum, sondern aus Augustinus entlehnt, der Sermo 202,
In epiphania domini 4, t. 5, 1035) sagt: haec prima puer spoUa
idololatriae dominationi detraxit (vi 10 f.), ut ad se adorandum
magos conversus a peste illius superstitionis averteret (v. 10 t)
et in hac terra nondum loquens per linguam hqueretur de
coelo per stellam. Dieser stem ist der unredhafte böte, das
vil unredliche dinc, das nicht hete stimme, unt was ouch unver-
stenlich. Heranzuziehen ist noch Augustinus, Sermo 203, s. 1035:
it^tum enim visum est, quod et vere iustum est, ut quoniam iUi
magi primi ex gentibus Christum dominum cognoverunt, et
nondum eius sermone commoti stellam sibi apparentem et pro
infante verbo visibiliter loquentem velut linguam coeli secuii
sunt (dasselbe ist widerholt in Sermo 185, s.998 und Sermo 192,
s. 1013). Der ausdruck ut,.,a peste illius superstitionis averteret
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QUELLEN DES AKEGENGE.
den dichter vielleicht auch auf den v. ]
ssen lassen können v. 13: do si nicht
-her es ist wol das wahrscheinlichere.
; des Strabo vor äugen hat, der in
(Migne 1. 114, 73) sagt: magos vero pri\
%tione utentium irrationalis i. e. Stella j
— 23. Ehe der dichter noch seine que
lon benutzt; denn was er in v. 17—2
Ige kleidet, steht bei Matth.2,2.
[ — 28. Das sagt nun Matthäus gerade
; der poetischen licenz zu gute schrei
eiche der dichter hier ausspricht, sind
Dommen. 2, 1. 2 heisst es: cum ergo na
26 ist eine reminiscenz aus Luc. 1, 33:
inis) in Bethlehem Juda 'in diebus {'
egis, ecce magi ab Oriente^ ('in dem oster\
Terosolymam, dicentes: t*W est qui nat\
'Vidinms enim stellam eins in Oriente' {
? adorare cum,
) — 46. Die erzählung, dass die drei w
ide entweder astronomen waren, od
s einigermassen auf die Sternkunde v
und stützt sich einzig und allein auf
des Balaam, Num. 24, 17: orietur sU
5 stelle schon vor dem erscheinen des erl
entlich von den sternkundigen Chaldi
mes, der aus Israel aufgehen sollte, hi
itersuchungen gepflogen wurden, ist
erlöser geboren worden war, und die
einer geburtsstätte geführt worden war(
ler denn die magier wussten, dass gerj
te Stern war. Und was lag da näher a
eben astronomen, sternkundige leute.
rchliche Wissenschaft sagte einfach: (
dem Sterne gefolgt. Es fragt sich: ¥
des Anegenge seine ansieht über die
A.US der tradition? Vielleicht. Aus ein
.uch möglich. Aus der uns bekannten
;hst Abaelard entgegen, der diese ansic
xt geschichte der deutschen spnche. XXIV
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346 toÜBER
selbst vertritt, aber als zuverlässiger berichterstatter mitteilt.
Derselbe sagt (Migne 1. 178, 413): sunt qui praedietos magos
sie appelUm autumnant (Isidor. Et. 1. 9) sed quod astrorum
periti, quasi astronomici vel quacunque aUa de coMsa sie vocati.
Dann bringt Abaelard wörtlich was Chrysostomus gelegentlich
der Interpretation des Matthäusevangelimns sagt: legi apud
aliquem (damit kann nur eine apokryphe schrift gemeint sein)
magos istos ex Ubris Balaam divinatoris appa/riturae iUius
stellae scientiam accepisse, cuii/ts divinatio posita est in veteri
testamento: ^arietur Stella ex JacoV, Et audivi aiiquos referentes
de quadam scriptwra, etsi nan eerta . . . quoniam erat quaedam
gens . . . apud quos ferebatur quaedam scriptura inscripta no-
mine Seth de appa/ritura hac steUa et de munerUms eiusmodi
offerendis quae per generatianes studiosorum hominum patrüms
referentibus filiis suis habebatur deducta. Itaque elegerunt inter
seipsos duodecim quosdam ex ipsis studiosiores et amatores
mysteriorum eoelestium et posuerunt seipsos ad exspeetoMonem
stellae illius. Einige gedanken welche hier nicht ausgesprochen
sind, stimmen wol zu der oben citierten stelle des Anegenge;
aber eine quelle für alles das was der dichter dort sagt, kann
sie nicht gewesen sein. Interessant ist jedoch der umstand,
dass Chrysostomus eine schrift inscripta nomine Seth nennt,
worunter er nur eine apokryphe schrift verstehen kann. Nun
ist es aber sehr wahrscheinlich, dass das frfther genannte
Adamsbuch aus einem grösseren werke welches den titel Vita
Adami oder Apoealypsis Sethi hatte, entnommen ist (Dillmann,
Das christliche Adamsbuch einL s. 12); also meint Chrysostomus
wol kein anderes buch als das Adamsbuch in seiner damaligen
fassung. Dass unser dichter etwa durch Chrysostomus auf
jenes buch geführt worden sei, ist nicht anzunehmen. Dagegen
lehrt ein vergleich mit dem uns vorliegenden texte des Adams-
buches, dass er für diese stelle dieses und kein anderes buch
benutzt hat. Dort heisst es s. 135 ff.: und cUserin Bethlehem
im lande Juda geboren wurde, erschien sein stem im osten
(vgl. V. 25 — 29), und die mugier sähen ihn, wie er am himmd
mitten unter aUen stemen glänete und flimmerte (vgl v. 30 f.).
S. 137 heisst es weiter: und sie forschten in den wahrsage-
büchem und den philosophenbüchem; denn sie hoMen festgestdU
und erkundet, dass ein könig in Israel geboren werde. Und
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QUELLSN DBlS AimOBlfGlS. ^47
diese Sternkunde zeigt die bedeutung von allem was geschehen
mrdy ehe es gesckidU (und unser dichter sagt, wie süin- ja
wie wortverwant, v. 32 — 35). Das buch sagt weiter: und so
erkannten die magter, als sie in ihren Schriften nachlasen, dass
Christus im lande Juda geboren sei. Da stiegen die magier
auf das hohe gebirge im osten, indem sie nach westen zu giengen,
und nahmen mit sich jene geschenke, die sie sich vor ihrer ab-
reise zugerichtet halten, nämlich das gold, den Weihrauch und
die myrrhen... Die magier aber, die auf der reise waren,
sagten: 'dieser stern ist nicht ohne grund aufgegangen/ und
die magier zogen weiter, bis sie nach Jerusalem kamen. Auch
dazu stimmt unser dichter v. 36 — 46.
32, 47—49. Davon steht im evangelium direct nichts, aber
indirect ist der vom dichter hier ausgesprochene gedanke
schon angedeutet in Matth. 2, 10. Dort heisst es von den
magiem: videntes autem steUam (nachdem sie den Herodes
verlassen hatten) gavisi sunt gaudio magno valde, was voraus-
setzt, dass der stern ihnen für einige zeit unsichtbar gewesen
ist; denn es hätte keinen sinn zu sagen, dass sie sich über
den anblick des stemes ungemein freuten, wenn er nie aus
ihren äugen entschwunden wäre.
32, 50—57 übersetzt wörtlich Matth. 2, 2: übi est qui natus
est rex Judaeorum? Vidimus enim stellam eius in Oriente, et
venimus adorare eum. Der dichter hat auch hier, wie er sonst
schon oft getan, die directe rede der bibel in indirecte über-
tragen.
Mit 32, 58—66 gibt der dichter etwas breit Matth. 2, 3
wider: audiens autem Herodes rex turbatus est, et omnis Jero-
solyma cum üh; 32,67 — 71 entspricht Matth. 2,7: tunc Herodes
clam vocatis magis diligenter didicit ab eis tempus stellae, quae
apparuit eis; v. 71 ist eine Voraussetzung, die aus diesem verse
sehr leicht zu erschliessen war.
32, 72—85. Die verse 72—79 geben Matth. 2, 4 wider: et
congregans omnes principes sacerdotum et scribas popuU scisci-
tabatur ab eis, ubi Christin natus esset V. 77 1 nehmen bereits
voraus was in Matth. 2, 5 steht: sie enim scriptum est per pro-
phetam. In den versen 80 — 85 schliesst sich der dichter aber-
mals an Matth. 2, 5 an: at iJM dixerunt in Bethlehem: sie enim
scriptum est per prophetam. Die Weissagung des propheten
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348 TEUBER
(MattlL2, 6): et tu Bethlehem terra Juda, nequaquati
es in prindpibiis Juda: ex te enim extet dux, qui regai
meum Israel, gibt der dichter nur verhüllt wider,
sagt, dass der Stadt Bethlehem dinge zugesprochen
seien, daz wir alle nine mugen mit Worten vervahen,
aber gerade die grossartigkeit und bedeutung jen
keineswegs herabgemindert, sondern viel mehr erhl
als wenn sie direct angeführt wären-
32, 86 — 33, 6. V. 86 f. sind Übergangsverse, die
der zwischen Herodes und den drei weisen gepflogen
redung (Matth.2, 7) von selbst ergaben. Die übrig
33,1—6 knüpfen unmittelbar, ja zum teil wörtlich 8
2, 8 an: et mittens illos in BeÜhlehem dixit: ite, w
diligenter de puero; et cum inveneritis, renuntiate m
ego veniens adorem eum.
33, 7 — 9. Hier f asst der dichter kurz den bethle
kindermord, der Matth. 2, 13 — 18 berichtet wird, zusa
33, 10 — 19. Dass Jesus mit dreissig jähren seil
antrat, finden wir bei Luc. 3,23: et ipse Jesus erat
quasi annorum triginta, ut putäbatur fUius Joseph, I
öffentliche lehrtätigkeit drei jähre und im vierten ;
zu Ostern dauerte, ist allgemeine tradition der kirch
den evangelien ihre begründung hat. Woher aber
dichter die 26 wochen? Der dichter hat vom geburfe
33. Jahres Jesu bis ascensio domini gerechnet und bi
26 Wochen heraus, eine rechnung die aber falsch i
dann müsste in dem jähre, in welchem unser dichtei
ostem in die mitte des monats mai gefallen sein, wai
lieh ist. Die verse 17 — 19 beziehen sich auf den
evangeUen so oft widerholten ausspruch: factum es
adimpleretur, quod dictum est per prophetam dicentem
33,20—22 bezieht sich auf Joh. 10, 14 f.: ego su
bonus ... Et alias oves habeo, quae non sunt ex hoc
illas oportet me adducere, et vocem meam abdient, et j
ov^ile et untis pastor.
33,23—34. Beim angedenken an das leiden d
das der dichter in v. 23 f. hier vorbereitend andeutet
dann ausführlicher schildert, kommt er wider auf die
dieses leidens, auf die sünde der ersten menschen zurfic
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QUELLEN DES ANEaENGE. 349
natürlich, dass ihm hier wider zunächst die Genesis
L gedanken liefert. So entsprechen denn auch y. 27
% 45: dixit autem serpens ad mülierem . . . Seit enim
in quocunque die comederitis ex eo, aperientur oculi
iritis sicut dii, scientes bonum et mahim (vielleicht
im auch 17, 37 — 45 aus Hugo t. 2, 290 ff. benutzte
ugo von St Victor kommt unser dichter in dem fol-
) 33,85—40 wider zurück (t.2,26B): voMt aliquid
trcm (v. 35—37) und weiter (s. 29 B): homo iniuriam
nncitur deo, quia praeoqptum eius contempsit (hier
r unsem dichter die veranlassung, überhaupt noch
die Sünde des ersten menschen zurückzugreifen) et
( alienam ponens suae servitutis damnum illi intulit
lus homini iniuriam fedsse convindtur, quia iUum
'omittendo decepit (vgl. v. 28 f.) et post mala infe-
t.
-48. Diese stelle stützt sich zunächst auf Hugo
er tria tentavit, per gulam, per vanam gloriam, per
Die übrigen Sünden welche der dichter aufzählt,
Semems genommen, welcher seinerseits wider auf
aufbaut.
-53. Auch dafür hat Hugo die leitenden gedanken
, t.2,22B: D.; quare voluit deus ^dritus sociare
cum maioris exceüentiae fuissent in sua puritate
? M.: .,, quia enim in rebus creaMs nihil excellen-
ritu Qden engein in der höheT), nihü terra infimius
piibiUus ('unt der menschlichen bröde^; vgl. v.51 — 54),
ri de terra facto et corruptibilem materiam habenti
spiritum, i e. animam rationalem tribuit (v. 56 — 58),
(uoddam consortium et societatem summis ima con-
\dens quia, quod erat corpus spiritui, hoc quodam-
tus erat sibi (v. 59f.). Fedt ergo, ut dictum est,
\inis de limo terrae et inspiravit d animam ratio-
« creavit de nihilo, V.61 — 63 sind eine zusammen-
I vorausgehenden.
-84. Hier schliesst der dichter wider an Wemerus
\7) an. Derselbe sagt in einem Sermo de nativitate
58 f.: acquisiverat sibi fratres charissimi genus huma*
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350 TEÜBEB
num astutia diaboUcae fraudis, suhdiderat eos suae conditiofU
per peccata primi parentis . . . Quäle autem peccatum Adam
commisit? Tale utique peccatum, quod malus mundo erat Sex
enim criminaMa fUmitia in uno crimi/ne admisit (vgL y. 68 f. 501;
was Wernerus von Adam speciell sagt, wendet der dichter
zunächst aUgemein an, um dann auf die Sünden der ersten
menschen wider zurückzukommen), quibus sex aetates suae
posteritatis involvit Primum namque superbia fuit, cui dei
aequalis esse voluit, et ideo factus est omnium infimuSj qui fuit
Omnibus praelatus, Secundum inoboedientia exstitit, cum man-
datum praeterivit, et ideo facta sunt ei omnia inoboedientia
quae prius erant subiecta (vgl. v. 76 — 84).
34,1—20. Auch für diese stelle hat Wernerus (Migne
1. 167, 789) die gedanken geboten: quartum erat sacrilegium . . .
(y. 1), quintum spiritaiis fomicatio, Anima enim ittius erat
deo eoniuncta (y. 4 — 9). Sed cum spreto deo diabolum admisit,
quasi cum extraneo adulterium commisit, et ideo veri sponsi
amicitiam amisii (v. 10 — 20). Sexto homicidium perpetravit,
quo se et omne genus humanum in mortem praedpitavit (y. 2 1).
Speciell zu y. 17—19 möchte ich auf Augustinus, De Qenesi
ad literam, lib. 11, c. 31. 32, t. 3^, 445 ff. und De nuptüs et con-
cupiscentia c. 6, 1. 10^, 417 hinweisen, der über diese folge der
erbsflnde sehr treffliche bemerkungen macht. So sagt er am
letztangefflhrten orte: ibi komo primitus dei lege transgressa,
aliam legem repugnantem suae menti habere coepit in memibris,
et inoboedientiae mälum sensit, quando sibi dignissimo retributam
inoboedientiam suae ca/mis invenit.
34, 21—26. Hier schliesst der dichter wider an Gen. 2, 17
an: de^ligno autem scienüae boni et mali ne comedas: quo-
cumque enim die comederis ex eo, morte morieris. Der dichter
setzt nun yoraus, dass Adam gott dem herm ausdrücklich
yersprochen, ja geschworen habe, das gebot zu erfüllen, und
findet dann ganz natürlich in der nichterfüllung des gebotes
einen meineid.
34, 27 — 43. Die gedanken welche hier als ein abgeschlos-
senes ganze erscheinen, sind aus mehreren schriftetellen zu-
sanmiengesetzt und frei yerarbeitet. Zunächst ist hier Ps.93
heranzuziehen, wo es y.9. 11 heisst: qui plantavit aurem non
audiet? aut qui finxit oculum, non considerat? . . . Dominus
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QUELLEN DBS ANEGENGE. 351
tiones haminum, quaniam vanae sunt (y. 27 — 34).
1: hominis est cmimam praeparare, et domini guber-
im. Omnes viae hominis patent oculis eius: spiritum
est dominus (y.35f.). Eccles.5,3£: si quid vovisti
oreris reddere; displicet enim ei infidelis et stulta
sed quodcunque voveris, redde; multoque melius est
?, quam post votum promissa non reddere (v. 37 1).
folgenden verse 39 — 43 fassen auf dieser letzten
lass sie von unserm dichter polemisch gewendet wurde.
—50 stimmt inhaltlich ganz genau zu dem was Wer-
[). S.789 sagt: quartum (scpeccatum) erat sacrilegium,
m in sacro loco quasi per furtum subripuit, et ideo
» excludi meruit.
algenden verse 34, 51—65 scheinen mir nicht eine
wa gegen einen Zeitgenossen zu enthalten, sondern
US und dessen anhänger zu zielen, welche, wie be-
\ sttnde Adams namentlich in bezug auf ihre folgen
nachkommen gar nicht hoch anschlugen (vgl. die
[es Augustinus gegen Pelagius, 1. 10»).
genden kehrt der dichter wider zu Wemerus zurück:
= Wemerus a. a. o. s. 788 : dominum vero iustus iudex,
versario suo aliquid iniustum vult irrogare, sed omnia
isericordiam sive per iustitiam facere, sie voluit genus
per gratiam redimere, ut nee iniustitiam videretur
holo: nur hat der dichter tcarhant statt misericordia
—82. Die stelle welche unserm dichter die gedanken
' hier ausspricht, findet sich bei Eupert von Deutz,
atione trinitatis et processione s. Spiritus Lc. c. 7C
69, 188): astando ante tribunal Christi et pa/rata ibi
63 f.) quam beatus Job suis temporibus nondum pa-
pirans dkebat: utinam appenderentur peccata mea
n merui et calamitas quam potior in statera (Job 6,2;
34,65 — 67)/ QiMsi arena ma/ris haec gravior appor
tera ista tunc parata est, quando misericordia et veri-
viantibus sibi immortalis deus mortalis homo factus
mduntur peccaia unius tantum in statera iudicii (v. 68
>enditur calamitas duorum in statera misericordiae
is mortis eiiM qui peccavit, verbi gratia Job aut
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352 TEUBEK
(üterius viri fidelis (v. 73 — 76), et calamitas mortis eius qui non
peccavit^ scilicet Jesu Christi (v. 77 ff.). Nonne itaque calamitas
in lance misericordias gravior appareret quam peccata in lance
iudicii? Plane gravior. Aus dem letzten satze hat der dichter
den schluss gezogen: also waren, ohne dass gott selbst sich
anf die wage legte, die Sünden so schwer, dass sie selbst die
werke der gerechten nicht emporheben konnten.
35, 1 — 6. Diese und die zunächst folgenden verse gehen
ihrem Inhalte nach wider auf Hugo als queUe zurück, t. 2, 96 C:
in hoc loco videtur inquirendum, quae fuit origo et radix illius
peccati (v. 2). Dass dieser fall chom von einem weihe, wusste
der dichter aus Gen. 3, 1 ff. ebensogut wie aus Hugo, der sich
an verschiedenen stellen (so t. 2, 24. 96. 289 ff.) über diese sache
äussert. Dass das weib mit neide von dem tivel bistanden wurde,
finden wir bei Hugo widerholt ausgesprochen, so namentlich
1 2, 24: videns diabolus, quod homo per oboedientiam iüuc
ascenderet, unde ipse per superbiam cedderat, Hnvidit ei\
35,8 — 16. Dass die teufel einen rat abhielten, das weib
zum falle zu bringen, steht weder in der bibel noch sonst in
einem commentare. Veranlasst könnte der dichter dazu durch
Hugo sein: t. 2, 24: et quiaper violentiam ei nocere non potera^,
ad fraudem se convertit, wobei der dichter sich vorstellte, das
die art und weise des *betrugs' durch beratung beschlossen
worden sei Dass das weib zum Übermut, der obersten sünde,
verleitet wurde, sagt abermals Hugo t. 2, 96 A: est enim superhia
radix omnis peccati. Äudiens enim nrnlier: eritis sicut du,
elata est in superbiam. Die verse 13—16 sind parenthese; der
dichter weist auf die folgen der sünde hin, um dann mit 3S, 17
—25 wider an v. 12 anzuknüpfen. Diese stelle schliesst zu-
nächst an Gren. 3, 1 ff. an, wo die Versuchung des weibes und
deren fall erzählt wird. Dann ist aber für v.22— 25 Hugo
t.2,97A heranzuziehen: j?ö^e5^ etiam dici quod non erat hominem
deiecturus in actum illius peccati, ut scilicet pomum vetitum
comederet, nisi elatio praecessisset . . . Äudiens enim mulier:
eritis sicut dii, elata est in superbiam; quae superbia erat com-
primenda per poenas illud peccatum secuturas. Der vergleich
zwischen dem guten engel, welcher die ankunft Christi ver-
kündigte, und dem teufel, welcher das erste weib verführte,
und der vergleich zwischen Eva, welche die sünde in die weit
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Quellen des anegekge. 853
cht, und Maria, welche das heil der weit geboren und
le sunde Eyas gebüsst, ist 35,26 — 36,44 dorchgeffihrt
in. Obwol namentlich in den Sermones des Augnstinns
nderer kirchenschriftsteller andentungen über diese dinge
mmen, so lässt sich dennoch eine bestimmte quelle für
partie nicht nachweisen, und wir müssen dieselbe als
ang des dichters bezeichnen. Die schriftstellen, auf welche
1er dichter in diesem abschnitte seines werkes bezieht,
wir bereits citiert, nämlich Gen. 3, 1 ff. und Luc. 1, 26 ff.
Fndogmatisch ist was der dichter 36, 5 — 8 sagt: do diu
uhbewollen von dem chinde begunde grozeen, do macht
ataver nicht verlajsjgen, im wurde etwenne we. Etwas
;hes findet sich bei keinem kirchenschriftsteller. Eine
-ung für die annähme des dichters, Maria habe ihr kind
schmerzen geboren, lässt sich nur dahin abgeben, dass
es mögliche zusammensuchte, um seinen lesem recht klar
igen, dass Maria für die sünde Evas gebüsst habe.
7as der dichter 36, 29—31 sagt» scheint aus Beda, Hom.
iflc. B. M. V., t. 5, 81 ff. genommen zu sein: dominicae pas-
et mortis in crtAce, qui Manche animam pertransivit: quia
nne acerbo dolore potuit sacrifidum morientemque mdere,
ähnlich Beda t. 3, 346.
6,45—51. Mit diesen werten kehrt der dichter wider
igo zurück, t. 2,29: diabolus deo iniuriam fecisse convin-
Item diabolus homini initmam fecisse convincitur . . .
le ergo tenet diabolus hominem, 'sed homo iuste tenetut^,
iicibolus numquam meruit, ut hominem sibi subiectum pre-
sed 'homo meruit per culpam sttam, ut ab eo premi per-
etur.., Iuste ergo homo subiectus est diaboh quantum
et ad culpam suam\ Für v. 51 war ebenfalls Hugo (t 2, 30)
:ebend: ca/usam nostram fecit qui debitum patri pro nobis
et moriendo reatum expiavit
6, 52 — 59 beruht ebenfalls auf Hugo, der an der citierten
weiter sagt: sed deus causam hominis susdpere noluit,
homini adhuc pro culpa sua iratus fuit, Oportuit ergo,
ius homo deum placeret, et sie deinde fiducicüiter deo pa-
ante cum diaibolo causam iniret Sed deum rationabiliter
-6 non poterat, nisi dammun qu^od intulerat restitueret et
ttempiu satisfaceret.
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854 TEÜBBB
36, 60—62 stimmt inhaltlich zu Hugos ansieht (t. 2, 29):
homo vero nihil habuit, quod digne deo pro dblato datnno recom-
pensaret . . . Sed nee haminem pro homine reddere potuit; quia
iustum et innocentem äbstulerat Qnicht so vü rceiner^, et nemi-
nem nisi peccatorem invenit Nihil ergo homo invemt (vgl.
y. 62)^ unde deum sibi placare posset . . .
36,63—80. Auch diese gedanken hat der dichter Ungo
von St. Victor entlehnt (t. 2,30): ut ergo deus ab homine pla-
cari posset, dedit deus gratis homini quod homo ex debüo deo
redderet Dedit ergo homini hominem (v. 63 — 66), qui priori
non solum aequalis sed maior esset . . . facius est deus homo
pro homine . . . Sed hoc convenientms fieri non poterat, nisi
ut poenam quam non debehat sponte et oboedienter susdperet
(v. 67 — 71), ut de poena quam per inoboedientiam meruerat,
eripi dignus fieret (v. 72 — 75) ... üt ergo homo iuste poenam
debitam evaderet, necesse fuit ut talis homo pro homine poenam
susdperet, qui nihü poenae debuisset Sed talis nullus inveniri
poterat nisi Christus, Mit v. 79 bricht der dichter mit der
weiteren darstellung, wie er sie bei Hugo vorfand, ab und
geht wider auf den bericht der evangelien zurück, um an der
band derselben zu zeigen, wie Christus den teufel überwunden,
durch sein leiden die Sünden der ersten menschen gebüsst und
endlich durch seine auferstehung und himmelfahrt (die höllen-
fahrt wird eingeschoben) dem erlösungswerke die Iq^one auf-
gesetzt habe. Y. 79f. schliessen an Luc. 2, 7 an: et recUnamt
eum in praesepio.
Mit 36, 81 f. widerholt der dichter etwas anders gewendet
was er bereits 34, 63—82 ausführlich geschildert hat.
37, 1—17. In V. 1—7 fasst der dichter die erzählung von
der Versuchung Jesu, wie sie Matth. 4, 1 ff. berichtet wird, kurz
zusammen, um sie dann von v. 34 an ausführlicher zu geben.
Die gründe jedoch, welche er für die Versuchung und für das
fasten des herm angibt, hat er aus Augustinus geschöpft
oder vielmehr aus einem sermon welcher diesem zugeschrieben
wird, Sermo 144, In quadragesima 8, t. 5^, 2031, 2: arbitror itaque
causam hanc esse ieiunii, ut quia primus Adam in paradiso
constitutum per intemperantiam gulae gloriam immortaUtaiis
amiserat Et quiu contra mandatum dei gustans de interdida
arbore peccatum mortis indderat (das nehmen der fracht im
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QUELLEN DES ANEGBNGE. 355
paradiese ist das sacrüegitMn, von dem der dichter schon 34, 44
gesprochen); ... vd quia epuUmdo mulier em cognoverai ...
Adam enim Evam nonnisi intempercmtia provocante cognomt
(das ist uberMTj wie es der dichter in anderer Verbindung
schon 34, 20 gebraucht hatte). Hoc enim agit salvcUor, ut eis-
dem vestigiis, quibus admissa fuenmt delida, purgentur: hoc
est, ut quia homo manducando deliquerat, corrigat abstinendo,
— Ibii s. 2032, 4: formam igitur dedit nobis cfou^ in hoc facto,
ut ieiuniorum tempore tamquam 'desertum habitantes^, abstinea-
mus ('urie wir uns da vor tempern solten') epulis, voluptate,
muliere.
37, 18—38. Auch für diese stelle holte sich der Verfasser
des Anegenge die leitenden gedanken aus Augustinus: Quae-
stiones ex novo testamento, pars 2, qu. 9^ s. 2394: similiter et
quod esuriit, non stm causa, sed nostra est leiuniis enim cum
superatae fuissent ientationes diäboli; . . . postea i e. post qua-
draginta dies permisit, ut (quod hominis erat) pateretur famem
('so sich der gotes sun hungern lieT); ut videns diabolus, qui
iam fuerat superatus infirmitatem in eo famis, incitaretur rur-
sum ad tentandum, videns hominem esse a quo vincebatur . . .
Mirabatur enim stupore hebetatus, quod mysterium inesset, quod
se lateret; ut potestas esset accedendi, circumveniendi non esset,
Duabus enim ex ca/usis torquebatur. Videns enim infirmitatem
(v. 21 — 30 sind durch diese stelle veranlasst) acced^t et in-
veniebat virtutem; ut cemens hominem suspectus esset de dei
mrtute. Ad hoc ergo esuriit, ut iUuderet astutiam Satanae (vgl.
V.31— 33).
37, 34 — 44. Diese verse sind nichts anderes als eine etwas
langatmige ausffihrung dessen was bei Matth. 4, 2. 3 steht:
postea esuriit Et accedens tentator dixit ei: si filius dei es,
die, ut lapides isti panes fixmt Dass der dichter sagt (43 f.),
der teufel hätte den herrn gerne zu der chelgitichceit getrieben,
beruht auf der früher citierten stelle aus Augustinus, Sermo 147
in quadrag. 8, t. 5^, 2031, 2.
37,45—51. In v.45— 48 fibersetzt der dichter wörtlich
MattlL4,4: qui respondens dixit: scriptum est: non in solo
pane vivit homo, sed in omni verbo, quod procedit de ore dei.
In V. 49 — 51 greift er abermals auf die oben citierte stelle des
Augustinus zurück.
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356 TEÜBEB
Mit den vei'sen 37, 52 f. leitet der dichter zur z%
suchung über, die er 37, 54 — 63 im engen anschluss
4,51 schildert: tunc assumpsit eum diabolas in san
tatem, et statuit eum super pinnaculum templi. E
si fiUus dei es, mitte te deorsum. Scriptum est ei
angelis suis mandavit de te, et in manibus toUent U
offendas ad lapidem pedem tuwm (vgl. Ps. 90, 11).
dichter sagt unt hiez in den liuten eelobene, also t
sucht solle er sich hinabstürzen, dürfen wir uns nicht
denn das ist eine alte ansieht der exegeten. Schon H
(Commentariorum in ev. Matthaei lib.l, c.4, 1 7, Mign<
bemerkt zu der stelle Matth. 4,5: ut quem fame i
tentaret et 'vana gloria'. Diese ansieht pflanzt sich d
die exegesen der kirchenschriftsteller fort; bis auf dei
tag ist sie beibehalten worden. Wenn sie der die]
aus Hieronymus direct entnommen hat, so hat er i
einem späteren commentare gelesen, der sich nicht
lässt, da dieselben übereinstimmen.
37,64—69 stimmt zu Matth. 4, 7: ait iüi Jesus
scriptum est: non tentdbis dominum deum tuwm. ^
dichter die ansieht hat, dass der herr durch demut <
sucht der ersten menschen, die von den leuten gelol
wollten, wider gut gemacht habe, lässt sich schwer \
den commentaren konnte ich davon nichts entdecken,
ist es eine erfindung des dichters.
37,77 — 38,5. Diese verse übersetzen zum teil
Matth. 4, 8 — 10: iterum assumpsit eum diabolus in m
celsum valde, et ostendit ei regna mundi et glorioA
et dixit ei: haec omnia tibi dabo, si cadens {nider
man beachte das part.) adoraveris me (v.77 — 83). '
ei Jesus: vade, Satana, scriptum est enim: domin
adoräbis et Uli soli servies,
38, 6 — 9. Der dichter scheint hier eine stelle
(t. 2, 289) vor äugen gehabt zu haben: in promissia
tatis et cognitionis vana gloria et avaritia. Das ein(
dieses versprechen von seite der ersten eitern war <
welche der dichter hier kennzeichnet
Nachdem der dichter gezeigt, welche Sünden d<
söhn durch sein fasten und seine Versuchung gBsüJ
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Quellen des anegenge. 357
l das leiden des heim, auf seinen tod und seine
über, um hier in ganz ähnlicher weise darznton,
T das alles nnr aus dem einen gründe über sich
m lassen, weil er dadurch die Sünden des ersten
ires büssen wollte. Der dichter versteht es, die
ddensphasen bestimmten Sünden, zu deren busse
wurden, gegenüberzustellen. Die darstellung des
st knüpft an den bericht der hL schrift (Matth. 27.
IC. 23. Joh. 19) nicht selten in wörtlicher überein-
a.
t hinzuzufügen, dass der dichter 38, 23 ff. auf eine
seiner zeit hinweist.
-68. Hier bezieht sich der dichter auf den brief
an Titus3,4. 5. 7: cum autem benignitas et huma-
AÜ sälvatoris nostri dei, non ex operibus iustitiae,
s nos, sed secundum suam misericordiam saivos nos
iustificati gratia ipsius, ha&redes sifm^ secundum
aetemae. Der dichter scheint aber erst durch
len er in den unmittelbar folgenden versen benutzt
se stelle geführt worden zu sein; denn dieser citiert
m allerdings nur den ersten vers, was ja schliess-
l^enügte, um das übrige leicht finden zu können.
-81. Diese verse fussen abermals auf Wemerus
PP., Migne 1. 167, 788 CD), der ganz dieselben ge-
unser dichter ausspricht, nur in anderer reihen-
tiicht in anderem zusammenhange: acquisiverat sibi,
ssimi, genus humanuni astutia dicibolicae frcmdis . . .
atanas contra hominem astute egisset per falUmam
voluit dominus contra Satan propter hominem pru-
! per sapientiam, Tali igitur dominum egit consilio
reparatione, necessarium erat ut contra diabolum
talis mitteretur, qui nee succumberet, sed rationabi-
Adam purus homo erat (v. 72) et ideo ex humana
ntationibus didboli succubuit (v.73— 75), etpropterea
ad redemptionem nostram mittendus non erat, qui
cum tentaretur peccaret Ib. s. 790; in ea autem
homo erat pro iniuria, maius mundo solvit, quod
debuit (v. 76—81).
-85. Denselben gedanken finden wir bei Wemerus
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358 TBÜBER
s. 789 B: vaMe mim iustum est, ut, qui alii sua abstulerit, et
dblata restitaat et pro iniuria satisfadat
39, 1—3 sind selbständige zugäbe des dichters. Dagegen
ist die folgende darstellung von der höUenfahrt Christi einer
pseudo-angnstinischen rede Sermol60, t.5^, 2059 ff.) entnommen,
welche eine compilation von stellen aus einer homilie Gregors
des grossen und aus mehreren homilien des Eusebins ist Der
Verfasser des Anegenge nimmt aber von dort nur die gedanken
herüber und gibt ihnen teilweise eine andere einkleidung.
39,4 — 9. In jener rede haben wir die form des dialogs;
es sprechen die verdammten untereinander (no.2, s.2060); es
sprechen die verdammten zu ihrem herscher (no.3, s.2060); es
sprechen endlich die gerechten zu Christus (no.4, s.2061).
Was unser dichter hier sagt, machen dort die verdammten
ihrem herscher zum vorwürfe (s. 2061): si attenderes causam,
requireres culpam. In quo nihil mali cognoveras, quare eum
ad nostram patriam perducebas? Istum liberum adduxisti; et
totos ohnoxios perdidisti (das ists was der dichter mit dem
Worte gischande sagen will).
39, 10—22. Auch diesen gedanken hat der dichter aus der
anspräche der höllischen geister an ihren färsten übertragen,
dem sie die torheit und nichtigkeit seiner Versprechungen vor-
halten, woraus wir ja indirect erfahren, was der teufel seinen
genossen versprochen hat. Und das letztere gibt unser dichter
dem inhalte nach wider. In jener rede heisst es (no.3, s.2060):
an forte ipse est ille de quo princeps noster paulo ante dieebat
(daraus ergab sich für unsern dichter ein anlass, den teufel
sprechen zu lassen), quod per eius mortem totius mundi acä-
peret potestatem (daher die aufforderung v. 19 die höUe soUe
sich frölichen uftün)'f Sed si iste est in contrarium est nostri
proeliatoris versa sententia: et dum sibi vincere visus est, ipse
potius victus atque prostratus est (vgl. oben v. 5). 0 princq^s
noster, hicne ille de cuius tibi semper futwra morte plaudebas?
ipsene est in cuius cruce omnem mundum tibi subiugandum esse
credebas (v. 10 — 12; durch die worte plauddnis, credebas und
dem folgenden promittebas wurde der dichter auf das geführt
was er in v. 13—22 sagt); ipsene est in cuius exitu nobis tonto
spolia permittebas?
39, 23—35. Hier schliesst sich unser dichter insofern mehr
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QUELLEN DES ANEGENGE. 359
ne quelle an, als er die directe rede der verdammten
se beibehält In dem citierten sermo heisst es (no. 2,
): postquam enim exaltatus, i. e. a Judads in cruce sus-
est, mox ut spiritum reddidit, unita suae diviniiati
ad inferorum profunda descendit Cumque tenebrarum
um qua^ quidam depraedator splendidus ac terribiUs
^et, aspidentes eum impiae ac tartareae kgiones territae
mentes inquirere coeperunt dicentes. Quisnam est iste
& niveo spUndore cortiscus? Numquam noster talem
tartaruSy nunquam in nostram cavemam talem evomuit
^ . . . insuper et de nostro interitu formidamus (v. 23 — 28).
S061 heisst es weiter: ecce ipsi qui sub nostris sokbant
vre tarmentis, insültant nobis de perceptione sähttis . . .
iam hie ita superbierunt mortui nee aliquando sie potu-
laeti esse captivi. Utquid huc istum adducere volutsti,
miente omnes sunt laetitiae restituti, qui ante fuerant
iti (v.29— 35).
1, 36 — 51. Die gedanken welche der dichter hier vor-
sind, abgesehen davon dass er die ganze hl. dreifaltig-
\ die Unterwelt hinabsteigen lässt, was wol seine eigene
ng ist, wider aus dem citierten pseudo-augustinischen
genommen. Denn dort heisst es (no. 4, s.2061): post
rudelium ministrorum infemälium voces sine aiiqua mora
yerium domini ac saJvatoris nostri omnes ferrei confracii
zctes (v.36 — 42); ib. no.2, s.2060: nunquam huic coeno-
^4>co et nigra semper caligine cascato iucundum lumen
\it (v.43t); ib. s. 2061,4: et ecce subito innumerdbiles
•um populi, qui tenebantur in morte captivi (v. 39 f.)
anno catena nectitur, et tortor noster poena torquetur
l); ib. s. 2061,5 heisst es weiter: statim a domini iussu
antiqui iusti iura potestatis acdpiunt . . . lucundentur
msu tuo fideles, aspidentes dcatrices corporis tui (v. 47
Fedt hoc Christum, sicut iam superius dictum est Facta
in infemo, vivus exit de sepulchro (v. 50 f.).
1, 52 — 63. In V. 52 — 62 scheint der dichter Wemerus,
1 167, 926A vor äugen gehabt zu haben; denn dort
esagt: quidam sentiunt, quod ab hora mortis usque ad
resurrectionis in infemo cum ekdds fuerit, et inde cum
ens resurrexerit Wemerus gibt zwar eine bestimmte
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360 TEÜBEB, QUELLEN DES ANEaEKGE.
antwort, aber unser dichter hält damit zurück (zu
vgl. s. 124 ff.).
39,64 — 40,2. Die grundstelle zu diesen gedan
sich in Ps. 23, 7—10, welcher seit den ältesten zeiti
tisch gedeutet wurde. Aber gerade die prophetiscl
dieses psalmes ist es, welche der dichter in dei
versen widergibt. Die erste auslegung desselben mit
auf die himmelfahrt Christi findet sich bei Amb
mysterüs c. 7: dubitaverunt enim etiam angeli, cum
Christus; dubitaverunt coelorum potestates videntes
in coelum ascenderet, quid dicebant: guis est iste n
Dieselbe auslegung dieser verse des Ps. 23 finde
Augustinus, Sermo 179, t. 5*, 2085. Am ausfuhrlichst
die stelle jedoch Rupert von Deutz im anschlusse an
und Augustinus, De trinitate et operibus eins, In Isi
1. 1, 1375, wo es heisst: interrogant igitur occurrentci
dicunt: quis est iste, quis est iste, rei novitcUe perte.
—74, wobei wir allerdings v. 64 — 67 als selbstäni
gefügte Übergangsverse anzusehen haben). Myste
passionis et resurrectionis Christi cunctis retro gen^
fuerat ignotum . . . Rursus angeli sdscitantur, et die
ergo rubrum est indumentum tuum, et vestimenta tu
cantium in torculari (v.75)? . . . Respondet ergo percu\
torcular calcavi solus, et de gentibus non erat vir
Calcavi autem solus, nullum quippe habui adiutorem
vgl. Is. 63). Die verse 39,79 — 40,1 scheinen selbst
findung zu sein.
Mit einer aufforderung an seine leser, Christo
für die woltat der erlösung durch ein wahrhaft g
zu danken, weil es sonst besser wäre dojs derseJbet
gedacht wurde, schliesst der dichter sein werk, das i
mittelhochdeutschen geistlichen gedichten das dunk(
auch an gedankentiefe und reichtum des Inhaltes <
tendste ist.
KOMOTAU. P. VALENTIN TEÜBEE,
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DAS VERHÄLTNIS
l FRAUENMONOLOGE IN DEN LYRISCHEN
) EPISCHEN DEUTSCHEN DICHTUNGEN DES
. UND ANGEHENDEN 13. JAHRHUNDERTS.
Bardach hat in seinem bnche Reinmar der alte und Walther
[er Vogelweide s. 69. 74. 120 auf einen Zusammenhang der
und lyrik des 12. und angehenden 13. jh.'s hingewiesen,
gössen Selbstgespräche der Isalde im Tristrant Eilharts
)berge und der Layinia in der Eneide Yeldekes erscheinen
als die Vorbilder Hausens und Reinmars. Ich habe dieses
em weiter verfolgt und hoffe einige neue stützen für
achs hypothese gefunden zu haben.
Die Chronologie der dichter würde dieser annähme nichts
m weg legen: Eilharts Tristrant wird von seinem heraus-
r Lichtenstein (s. l und cliv) mit grosser wahrscheinlich-
in die siebziger jähre des 12.jh.'s gesetzt») Die Eneide
am grössten teile um 1175 verfasst, vollendet und bekannt
e sie nach Behaghels Untersuchungen (ausg. s. glxxu) erst
1186. Hausens monolog (MF. 54, 1) wird, wenn er von
gedichtet ist, wol mit recht von Becker (Der altheimische
esang, Halle 1882, s. 135 ff.) wegen seiner Vollendung unter
etzten gedichte gerechnet, d.h. er ist ungefähr 1189 ent-
len. An Hausen schliessen sich dann Reinmar^) und spä-
) an.
0 Auch SchiOder (Zs. fda. 42, 79) gesteht zu, dass entscheidende beweis-
nte gegen diese datienmg sich nicht vorbringen lassen.
') Becker a. a. o. s. 136 nimmt umgekehrt Hansen als den entlehnenden
igegen Bnrdach, Anz. fda. 10, 27.
>) Ich habe in den kieis meiner betrachtnng folgende mouologe ge-
: Eilharts Tristrant 1212. 1874—1880. 2398—2598. 3516—3522.
trage zur gcschichte der deutschen spräche. XXIV. 24
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362 LESSEIB
Bevor ich aber an eine vergleichende betrachtung dieser
epischen und lyrischen franenlieder herangehe , moss ich zu-
nächst den Eilhartischen liebesmonolog, der ja das vorbild für
die späteren wurde, einer kritischen Untersuchung in bezug auf
echtheit und Interpolation unterwerfen. Denn da das gedieht
Eilharts vollständig nur in einer bearbeitung des 13. jh.'s vor-
liegt, so konnte die annähme nahe liegen, dass viele flberein-
stimmungen mit der späteren höfischen dichtung auf rechnung
des bearbeiters zu setzen seien. Diese etwaigen Interpolationen
müssten natürlich für die Untersuchung über die abhängigkeit
der lyrik von der vorausgegangenen epik durchaus unberück-
sichtigt bleiben.
Wir haben für die herstellung des textes drei quellen: 1) die
jüngere gereimte bearbeitung aus dem 13. jh., D und H = X
(Lichtenstein). Aeltere, dem originale näher stehende f assungen
aber bieten 2) die prosaauflösung P aus dem 15. jh. und 3) die
czechische Übersetzung Ö aus dem 13. jh. (vgl. Feifalik, WSB.
32, 300). Doch man darf 2) und 3) nicht überschätzen; denn
2) enthält eine reihe von misverständnissen (Lichtenstein, Zur
kritik des prosaromans s. 19 ff.), und was schwerwiegender ist,
es setzt moderne Wörter für antiquierte ein (Lichtenstein a.a.O.
s.23ff.) und kürzt die dialoge (X 457— 495 ist in P8,8ff.
stark gekürzt im gegensatz zu Ö 14, 12 — 15, 23, das hier auf
Seiten von X steht; ähnlich X 646—668 = Ö 22, 6 — 23, 1 :
P 12, 5—20; X 729—736 = 6 24, 17 — 25, 5 : P 13, 17—19).
3) ist ebensowenig eine einwandsfreie quelle. Denn sie ent-
hält eigene zusätze, die nur eine widerholung früherer gedanken
oder eine notdürftige heretellung eines anschlusses sind (Knie-
schek a. a. o. s. 348), misverständnisse des deutschen Originals
(Knieschek s. 351), abweichungen und änderungen (Ö 92, 19 :
X 2558). Wichtiger sind aber die unstatthaften auslas-
3525—3527; Veldekes Eneide 1362-1408. 2442—2447 (Dido), 10064—
10388. 10400-10435. 10476-10495. 10726-10784. 11383-11422. 11428—
11465. 11504— 11552. 12215— 12300. 12672— 12688 (I^avinia). Hausen, MF.
54, 1. Veldeke 57, 10. 67, 17. Johannsdorf 94, 35. Buggre 106, 15.
Mornngen 142,26. Reinmar 151, 1. 167, 31. 178, 1. 186, 19. 192, 25
(199, 25 und 203, 10 werden mit recht von Er. Schmidt, QF. 4, 76 und 74 fftr
unecht erklärt); Hartmann 212,37. 217, 14. 216, 1. Walther 113, 31.
39,11. Otto von Botenlauben MSH. 28,8.
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MED. FRAüfiNMOKOLOGE!. 363
sungen (Lichtenstein a. a. o. s. 10, 8). In der grossen kampf-
schilderung X 6022—6072 hat Ö offenbar stark gekürzt. Dass
aber P nur drei zeilen (130, 10 — 12) dafür verwende, wie Enie-
schek meint, ist falsch, denn nor die anordnung der gedanken
weicht in P von der in X ab; man vergleiche X 6035 ft mit
P 130,24; X 6048 mit P 130,21.
Wie alle jüngeren Überarbeitungen älterer gedichte hat
auch X das bestreben, das gedieht nach Inhalt und form der
neuen kunstentwickelung anzupassen. So finden sich denn in
der tat neben der beseitigung der alten assonanzen auch tiefer
gehende erweiterungen (Lichtenstein a. a. o. s. 17). Manchmal
aber stimmt X mit Ö und P gegen die alten fragmente (A)
überein, so dass selbst Knieschek (a. a. o. s. 339 iL) zu der an-
sieht kommt, dass X an einigen stellen das ursprüngliche
widergebe. Jedenfalls aber muss ich mit Lichtenstein (ausg.
s. xx) übereinstimmen, dass X sehr wenig sachliche Verschieden-
heiten aufweist. Ueberhaupt glaube ich, dass aus der ganzen,
mit grosser heftigkeit geführten Untersuchung nur das heraus-
gekommen ist, dass P und Ö für die reconstruction der alten
reime nach wie vor eine vorzügliche handhabe bieten, dass
aber sonst im grossen und ganzen alle drei von einander un-
abhängige und gleich gute oder gleich schlechte recensionen
sind. Denn das resignierende Schlussurteil Kniescheks wird
bestehen bleibon, dass wir wol nie im stände sein werden, das
original Eilharts überall herzustellen, wenn uns nicht neues
handschriftliches material zufliesst. Nur wo zwei quellen gegen
die eine stimmen, da ist freilich wahrscheinlich, dass diese das
ursprüngliche bewahrt haben.
Gehen wir nun unter diesen ungünstigen anspielen an die
kritik unseres monologes, so ist sogleich die sehr energische
fordeiimg Kniescheks, 115 verse (X 2436—2551) zu streichen,
die in Ö fehlen, auf ein sehr bescheidenes mass herabzustimmen.
Nur an folgenden stellen gehen P und Ö in der auslassung
zusammen: X 2436—2438. X 2444—2457.«) X 2464—2466
(frauwe Amur). X 2539—2551. X 2480 ff. setzt die bearbeitung
mit der anrufung der frauwe Mir^ne ein. Es ist nun auffällig,
0 X 2458—2463 ist g:egen den verdacht der Interpolation durch P 48.
14—16 geschützt.
24*
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864 LESBfiR
dass 6 und P eine personiflcation der liebe nicht kennen.
P hat nur den liebesgott Cupido. Auch in X 2714, der ein-
zigen stelle, in welcher diese personiflcation in X noch be-
gegnet, fehlt sie in P und Ö. In den fragmenten des franzö-
sischen Originals (Michel, Tristan, London 1835 — 39, bd. 1)
findet sich niemals V Amors, Wol aber erscheinen diese namen
Amor und Cupido in dem französischen Eneas: Amor y. 8655,
Cupido V. 8630 (ausg. v. J. Salverda de Grave, Halle 1891). Ich
glaube nun mit Lichtenstein (s. cxxxix), dass Eilhart diese
namen dem Eneas entnommen und überhaupt das ganze Selbst-
gespräch dem dichter dieses epos nachgebildet hat. Durch
diese annähme würden sich auch am leichtesten die vielen
oft wörtlichen anlehnungen an die Eneide Heinrichs von Vel-
deke erklären, die ja eine bearbeitui^g des französischen Eneas
ist. — Dass nun die czechische Übersetzung des Eilhartischen
Tristrant diese namen Amor, Cupido fallen gelassen hat, kann
nicht sehr wunder nehmen, da überhaupt die czechischen
bearbeiter die Zieraten ihrer romanischen originale abstreifen
(Lichtenstein, Anz. fda. 10, 8). Die deutsche prosaauflösung aus
dem 15. jh. aber hat vielleicht deshalb frauwe Minne ver-
schmäht, weil das wort minne mehr und mehr die vei'gröberte
bedeutung annahm und aus dem schriftdeutschen verschwand
(DWb. 6, 2241). Ueberliaupt aber möchte ich auch den son-
stigen auslassungen von P und C bei ihrem durchgehenden
bestreben, gespräche zu küi-zen, nicht den wert beilegen, dass
ich glaubte, den echten text des monologes durch beseitigung
dieser stellen widerhergestellt zu haben, vielmehr werde ich
in der folgenden arbeit das ganze Selbstgespräch berücksich-
tigen und nur an die betreffenden stellen das zeichen ? setzen.
Ich gehe nunmehr an die vergleichung der epischen und
lyrischen monologe heran. Es finden sich zuerst wörtliche
Übereinstimmungen der lyriker mit
a) Eilhart und Veldeke: EUh. 2400*«) : Veld. En. 2294 :
Reinm. 187, 11* (Burdach a.a.O. s. 120), dazu kommt Eilh. 2591*
der lip ist mir s6 lip, so ist er mir auch Up (s. P 49, 6), vgL
V. 7564. 8825. 9036 = Veld. 2262 de mir liever was danne mtnes
0 Die mit einem * versehenen zahlen beziehen sich auf stellen ans
den liebesmonologen selbst.
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MHD. FRAUENMONOLOGE. 365
selves Uf= Haus. 54, 18* der mir ist cUsam der Up\ Eilh.8839 sie
ist mir vor cd die werld lip = Veld. 12720 die mir es vor alle
wif = Haus. 54, 34* ick solte im ^n immer liep für alliu wip\
Tgl. 43, 14 (solche Wendungen treten im minnesange zuerst mit
Hausen auf, vgl. RM. Meyer, Zs. fda. 29, 157). Eilh. 2361 si wor-
din . . . beide bleich unde rot = Veld. 10057 si wart bleich ende
rot (10509 ft) = Reinm. 178, 31* bleich und eteswenne rot, also
verwet ez diu wipA) Eilh. 2490*. Veld. 10295*. Reinm. 161, 31.
Mor. 133, 12. Walth. 116, 35. 99, 1 wird vom nahen der liebe das
verbum bestan gebraucht, das sonst im minnesange nicht weiter
vorkommt.
b) mit Eilhart: v.2528* 2586 = Reinm. 192, 38* (Bur-
dach s. 120). Dazu kommt v. 609 swes her zem rehte begert,
des wird er alles gewert = Haus., MF. 55, 3* des ist er von mir
gewert alles swes sin herze gert, vgl. 44, 8; ähnlich Hartmann
im frauenmonolog 216, 22* er ist alles des wol wert des ein
man ze wibe gert; Walth. 44, 8 der mac erwerben swes er gert;
Eilh. 9159 daz sie gerne taste swes sie der heU baste = Walth.
113,34* dem enmag ich nicht versagen mS des er mich gebeten
hat Eilh. 8841: ich gan doch niman gütis baz = Haus. 49,26
der man . . . der ir baz heiles gan.
c) mit Veldeke: v. 10108* = Haus. 54, 23* = Reinm.
187, 11. Veld. En. 271, 10 (ausg. von EttmüUer: Behaghel tilgt
den vers) == Haus. 54, 3* (Burdach s. 120). Dazu kommt Veld.
10071* we hat mir sits gebonden min herte in horten stonden
= Haus. 52, 14 min statte mir nu hat dcuf herze also gebunden:
diese Verbindung findet sich im minnesange überhaupt nur bei
Hausen. Veld. En. 10233* des es min herte vele swär = Haus.
51, 3 dest minem herzen swcere; Veld. En. 10322* ich weit wdle
dat mir wäre vele beter gedun . . . dan ich mtn herte skeide van
Tumö so verre = Haus. 54, 32* und ich daz herze min von im
gescheiden niht enkan. Diese pltrase kommt nur noch vor Guten-
b. 72, 34 und Fenis 83, 10.
Veld. En. 10185* minde ich me dan einen, so enminde ich
enheinen (vgl. 10222 ff.) = Johannsd. 86, 5 solde ich minnen mir
1) Aehnlich schon Kaiserchron. 2799 (Edw. Schröder). Nib. 284, 4 (ygl.
Uhland, Schriften^ 408); die rote färbe ist es aUein bei dem Eümb. MF. 8, 21.
Mor. 134, 10. Beimn. 176, 82; die kranke färbe bei Veld. £n. 9886 iind MF.
67,23,
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366 LE8SEB
den eine dcus enwcere mir niht gttot, söne minnet id
Aehnlich bei Walth.86,19. 51,11 (Burdach 8.149).
10096* wan sint ... ich den helet lussam alre erste g^
ich vergeten niet enmach = Rugge 106, 19* sit ich i
cdrerst gewan, son sach ich u. s. w. Veld. En. 10855 nu
den willen min = Reinm. 178, 5* nu sage im durch d
min, Veld. En. 10858 lieve friunt = Reinm. 178, 1* l
Veld. En. 10856 des ich dir iemer holt wel sin = Reinra
daz ichs immer löne dir.^)
Veld. En. 10173* wat luste mich deich hen gesad
nu wale spreJcen mach, wan et moeste also geskiefi =
193, 18* ja zürne ich äne not: ez solte cht sin.
Zur Syntax (Burdach s. 56 ff.).
Die beiden epen Eilharts und Veldekes zeigen j
den frauenmonologen schon eine entwickelte syntax.
1) Causalsätze. In dem Selbstgespräch der
kommt diese satzform 11 mal vor (10092.* 10096.^
10143.* 10148.* 10162.* 10175.* 10270.* 10294.
10359*). Im monologe der Isalde begegnen uns
V. 2432.* 2515.* 2519.* 2523.* 2566.* 2573.* 2574.* 2
den lyrischen monologen finden sich an folgenden stelh
Sätze: Haus. 54,30.* Reinm. 168, 1.* 193, 3.* Hartm
19. 217,35.* Walth. 114, 17.*
2) Consecutivsätze. Eilhart wendet diese fori
V. 2409.* 2441.* 2449* (?). 2457.* 2491.* 2500.* 250^
2553.* 2562.* 2569.* 2579.* Dagegen gebraucht YeU
satzform in einem 128 verse mehr zählenden absch
einhalbmal so viel: v. 10174.* 10189.* 10190.* 10192.
10229.* In seinen beiden lyrischen monologen ül
freilich noch diese Sätze: MF. 57, 15. 16. 20. 23. 31.
67,20. Im frauenliede Hausens begegnet nur 54,38
eher (im übrigen vgl. Burdach s. 57).
0 Diese letzten stellen aus Reinmar gehören alle dem längi
Hede an, welches an einen boten gerichtet ist und womit Beinma
sänge eine besondere Stellung einnimmt. Aber es scheint do
eine ähnliche Situation in Veldekes Eneide zum yorbilde nahn
Eilharts Tristrant v. 7161—7187 haben wir gewissermassen ein so
lied, doch habe ich keine ähnlichkeiten mit Beinmar entdecken
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MHD. FBAUENMONOLOGE. 367
iditionalsätze. Eilharts fraaenmonolog weist 11
tze auf (v. 2405*. 2468*. 2476.* 2497.* 2504.*
2541* (?). 2548* (?). 2571.* 2574.* 2582*), aber
5t kein irrationaler, sondern alle sind von der ein-
ur, wie sie uns im älteren minnesange entgegen-
m dem Inhalte nach erinnert z. b. 2476* du engibest
Aide, 80 enmag ich niht genesin an MF. 16, 21 ezn
in frouwe mit ir minne, ejs enwirdet niemer me ge-
z anders bei Veldeke. Er hat nicht weniger als
aalsätze: 10058.*') 10131.* 10139.* 10141.* 10151.*
L0166.* 10168.* 10181.* 10185.* 10216.* 10227.*
)267.* 10271.* 10281.* 10290.* 10297.* 10300.*
}17.* 10346.* 10357.* 10368.* 10380*). In diesen
heinen schon die complicierten typen, die mit dem
lansens in den minnesang eingeführt werden (Bur-
1) Wäre das so und so, so würde ... es ist
it so, also' begegnet uns bei Veld. En. 10210*;
die (sälwe) gewinnen, dat wäre gröt richeit: ich
; si si vel ungereit so wart ich onheiles geboren,
beispiele bei den lyrikem s. Burdach s. 65 ff. —
tische aneinanderfügung zweier conditional-
d. En. V. 4316: woldt ir Och gemäten soliker ontochte,
goet dochte, et dockte mich vele goet\ v. 11161.
!e$ engetroude i^h hem niet, of ^n dinc wale quäme,
niet wäre näme, of hem got genäde, dat he mich
Die beispiele aus den lyrikem bei Burdach s. 65;
vgl. auch Behaghels En. s.cvi. — 3) Die form
hränkung: Veld. En. 10168* des endede ich aver
lat mir min herte riet, dat ich mich her wolde emem,
i4,4.* 54,15.* Reinm.167,26. Walth. 114, 10.*
lieber periodenbau (Burdach s. 64 ff.),
mesange kommen zuerst complicierte Satzgefüge bei
f. MF. 45, 1 besteht aus einem conditionalen
itz mit consecutiv- und eingeschobenem
,z, dann folgt der nachsatz. Auch bei Veld. En.
ludet sich in ähnlicher weise ein conditionaler
ttz mit consecutiv- und eingeschobenem
gesperrten zahlen bedeuten irrationale fälle.
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368 LESSER
relativsatz, woran sich allerdings vor dem naclu
ein zweiter consecutivsatz anschliesst.
Veld. En. 10380* ff.: Walth. 72, 1 ff., d. i. condit.-
satz mit dcus, relativs., nachsatz mit antiphasis,
dit.-s., nachsatz mit antiphasis, relativsatz
schränkung.
Veld. En. 10290* ff.: Reinm. 172, 30, d. i. conditi(
mit relativs., nachs. mit cansalsatz.
Eine kunstvoll verschlungene periode findet sich
10297*: conditionals., relativs., nachs. mit einen
conditionals. und vergleichungssatz.
Endlich findet sich in Veldekes monologe auch
princip der trennung (Burdach s. 65), d. h. die
zusammengehöriger Satzteile dui'ch einschiebung andei
En. 10164* hedd ich joch me gesproken . . . , etid of ü
beskolden; v. 10177* menegen wale gedänen man .,, em
sJcönen jongelincS)
Poetische technik.
Antithese und oxymoron.
I. Antithesen. 1) Die bei den minnesängern s
gegenttberstellung der eigenen liebe und der andei
antithetischer form auch in den beiden epen zum
gebracht. Eilh. Tristr. 2480* ff. Minne, nü senfte mi
dous ich dich möge irliden! Du bist niht allen wibt
genedig als mir, Aehnliches liegt v.2485* zu grunc
so deutlich bei Veld. En. 10492* ff. owe wat ich al
ovelen des van dir geskiet des goeden enweit ich niet,
mich noch verholen. Denselben gedanken, nur der all(
form entkleidet, haben wir bei Haus. 44, 5. Reini
155, 5 ff. Walth. 95, 29 ff.
2) Der gedanke: *ich bin ihr so treu, sie aber i
von mir wissen' (Lehfeld, Beitr. 2, 401. Burdach s.l<
') Es ist anffftUig, dass diese eigentümlichkeit€n einer hol
form des Stiles in Veldekes liedem, insbesondere in seinen franei
noch nicht erscheinen, offenbar weil diese vor dem epischen na
dichtet waren. Ebenso möchte ich diesen syntaktischen nntersc
kriterium für die Priorität Eilharts vor Yeldeke ansehen, eine ane
noch andere sachliche momente stutzen, s. s. 380, anm. 1.
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MHD. PRAUENMONOLOGE. 369
h. Tristr. 2552* wie ist mir gesehen so, d(u ich minne
ler des ni keinen müd gewan daz her mich minnen
2519* . . . wan ich in lip han und Jie mich nicht
)400* nu enweit ich leider wat ich sal, dat ich den
minnen de (usus vert hinnen dat he midi niet ane
US. 52, 17. Fenis 81, 9. Mor. 130, 11 ff. Reinm. 166, 31.
,14. Walth.64,21.
ch der zeitlich gefasste gegensatz zwischen der
id der früheren läge hat bei Veldeke schon etwas
res: Veld. En. 10071* we hat mir sus gebenden min
rten standen, dat e was ledelike fri, vgl. Haus. 43, 27.
29.* Walth.ll3,37ff.
gegensätze der liebesempfindung werden bei den
chtem vorzugsweise durch Schilderung der körper-
.nderungen anschaulich gemacht: Eilh. 2497* was
an hitee halt, ich tverde nü als ein ts kalt und dar
re heiz daz mir rinnet der sweiz üz allen mtnen
l. 2377 ff. 2534.* Veld. En. 10046* want st brande
in vele körten stonden. Von den lyrikem kennt
178, 31* die Veränderung der färbe (vgl. Eilh. 2363.
).
ymoron. Die alte epische formel liep—leit^) findet
Ih. 2402.* Veld. 2295 und im minnesange bei Veld.
Johannsd. 94, 36.* Hartm. 217, 35.* Reinm. 187, 11.*
28. Oefter erscheint sie kunstvoller mit geringer
antithetische Verbindung gebracht (Haus. 54, 10. 13.*
19. Hartm. 217, 35.* Reinm. 166, 26* u. ö.).
che Oxymora finden sich Veld. En. 11435 der sköne
V. 11463 holt ende gram, v. 1876 rouwich ende frö,
mne end ongemac, v. 9865 ongemac — soete\ Reinm.
raltL 92, 30 u. ö. siieze a/rebeit; Walth. 119, 25 (vgl.
K 147,4) senße unsenftekeit
Revocatio (Burdach 8.71).
stvoller und ergreifender weise ist in dem Tristrant
Bse figur durchgeführt. 2403.* 2413.* 2568.* 2579.*
liebe ihn — und darfs doch nicht wagen; ich will
en — das kann ich nicht; ich will ihip die liebe
er, Die österreiciiische Nibelnngendichtniig s. 29.
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370 LESSEB
gestehn — und ich schäme mich doch — so will ich sterben
— doch nein — ich werde es ihm sagen', vgl. Veld. En. 10084 *
10104.* 10306.* Auffälligerweise kennt widerum Veldeke in
seinen liedern diese redefigur nicht, wie denn auch die älteren
minnesänger kein beispiel aufweisen. Die revocatio scheint
erst bei Hausen aufzutreten (54, 27.* 28*). Freilich fällt bei
diesem beispiel zwischen satz und gegensatz die pause des
Strophenendes,») Reinm. 187, 24.* 187, 27.* 193, 17* u. ö. Hartm.
213,21.* Walther (Wilmanns s.67). 69,27 u.ö.
Fragen (bei Burdach 8.120,72).
Synonyma und synonymer parallelismus
(s. Burdach s. 85. Wilmanns* ausg. s. 71 ff.).
Das ausserordentlich häufige vorkommen der figur der
Variation in den epen Eilharts und Veldekes zeigt die bewusste
absieht des dichters.
a) Substantiva. Tristr. 2485* ungemach und schaden.
2442* herjse unde müd, 2600* mit sorgen und mit rüwe; Veld.
En. 10360* hopeninge end goet wän u. ö., vgl. besonders 8057 ff.
und 12615 ff. — b) Adjectiva und adverbia. Trist 2414*
gehaz oder gram, 2438.* 2458.* 2461* u. ö. Veld, En. 12617*
getrouwe ende warhacht u. ö. — c) Verbale Verbindungen.
Tristr. 2489* hestän — ane gän, 2545 (?).* 2558.* Veld. 10126*
derren — vaU maken, 10196.* 10247.* 10374.* — Ueber die
minnesänger vgl. Burdach s. 88 1 94. 97. Wilmanns, Walth. 8.71.
Anhang. Zur Synonymik der worte für freude und leid*):
1) sceUc findet sich in den höfischen epen zuerst bei Veldeke
(En. 1511. 6535. 10024), noch nicht bei Eilhart. Im minne-
sange kommt dieser ausdruck zuerst*) auch bei Veldeke vor
(61,36), öfter bei Hausen (44,6. 45,24. 54,1.* 4.* 55,2*) und
wird dann stehender ausdruck (Burdach s. 68. 103).*) — 2) Un-
') Doch 8. Lehfeld Beitr. 2, 368 und Becker a. a. o. s. 134.
') Ueber den älteren minnesang vgl. Scherer, Deutsche stud. 2, 33. 66,
über den ganzen minnesang bis Walther s. E. Schmidt a. a. o. s. 102, über
Hausen s. Lehfeld, Beitr. 2, über Walther s. Wihnanns, Leb. W. s. 192.
') MF. 6, 17 swlic 81 daz beste wip: dieses gedieht aber weisen die
überschlagenden reime und die mehrstrophigkeit in die zeit nach 1180l
Ausserdem bedeutet scdic hier wol nur ' gesegnet \
*) Die Wendung scelixi mcm u. a. für einen niederschlag alter deutscher
volksliedchen zu halten, wie es R. M. Meyer, Zs.fda. 29, 144 tut, halte ich
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HHD. F&AUENMONOLOGE. 371
wichtiger und zahlreicher sind die worte ffir liebesleid:
1^ sich, dass manche Synonyma, welche erst durch Hausen
)ätere eingeführt werden, schon in den epen Eilharts und
tes vorkommen, a) Substantira: routve (= rtuwe), das
für empfindsamen Uebesschmerz (s. Bock, Wolframs bilder
örter, QF. 44, 55) findet sich bei Eilh. Tristr. 2400 * Veld.
177, im minnesange zuerst bei Haus. 45, 7. 49, 33 und wird
Ugemein üblich. Hausen hat den ausdruck kumber, der
' so viel gebraucht und typisch geworden ist, zuerst*)
L minnesang eingeführt, aber Eilhart wendet ihn schon
nem epos an v. 7166 so saltu . . . minen kumber dagin
h nach im lide; — Tristr. 2390 hereeser = Haus. 53, 21;
istr. 2485* schaden = Haus. 47, 1; — Tristr. 2532* smerze
inis 85, 24. Mor. 146, 7.«) Veld. En. 9880 wendet das im
ßange wideiiim bei Hausen zuerst auftretende wort angest
s im epos an (s. Haus. 44, 17. 44,33). — b) Adjectiva:
J462*. Veld. En. 10233* swere, vgl. Haus. 45, 9; — Veld.
)196* wunty vgl. Haus. 49, 13. — c) Das adverbium leider
En. 10404* vgl. Haus. 44, 3. — d) Das verbum lid&n hat
2395* im minnesange zuerst bei Haus. 43,39; klagen Eilh.
' Haus. 43, 34; verwüeten Eilh. 2539* (?). Haus. 51, 13; 6c-
w Veld. En. 9834. 10355.* Haus. 55, 2*; mich tmnget^)
En. 10152.* 10467.* Haus. 43, 1. — NatürUch haben die
len und lyrischen dichter noch manche Synonyma, die auf
Ibst beschränkt geblieben sind. Eilh. 2479* unheil, 2496*
ümüd u. a. Haus. 44, 38 dajs seren, 44, 37 dojs klagen, 49, 3
ve unde ach. Reinm. 152, 13 erltden. Walther 118, 17
'icke.
Synonymer parallelisinns.
iilh. 2468* = 2470* habe idi ergin din gebot mit ichte i
kaldin und habe ich . . . icht toedir dich getan. V. 2476 f.
indesten för bedenklich, da die beispiele erst spät bei dichtem, welche
fischer manier beeinflnsst sind, Yorkommen.
) Schon MF. 5, 27 sender kumber, doch dieses gedieht gehört wahr-
ich kaiser Heinrich an (s. Er. Schmidt a. a. o. s. 102).
I Scherer, Deutsche stud. 2, 61. Das wort smerze ist fast nnr auf das
^schränkt (vgl. E. Schmidt a. a. o. s. 106).
) Schon Graf Rudolf, Grimm 17, 13. Später im minnesange sehr zahl-
rgl. B.M. Meyer, Zs. fda. 29, 138. Lehfeld, Beitr.2,404.
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372 LE8SEB
= 2478* f. Veld. En. 10112* des moet ich quelen sere end moet
et koupen düre; 10288*. 10164* hedd ich joch me gesproken —
etid of ich st hedc heskolden: brechung des synonymen
parallelismns wie bei Johannsdorf 92, 31. Reinm. 158, 23.
150, 10 u. ö. Im übrigen vgl. Burdach s. 84 ff. Wilmanns, Leben
Walthers s.44ff.
Antithetischer parallelismns.
a) Eilh. 2497* was ich bevom an hitze halt, i<Ji werde nu
als ein is kalt Veld. En. 10185* minde ich me dan einen, so
enminde ich deheinen. Dieser parallelismus mit conditionalem
Vordersatz hat viele analoga bei Walther (Wilmanns s.80).
— b) Mit der conjunction und verbunden: Veld. En. 10068*
nu was ich ietoe al gesont ende bin nu vele na dot = Joh. 88, 37.
Walth. 35, 10 u. a. — c) Parallelismus in relativer Verbindung:
Veld. En. 10191* wan kämet mir der sin dat ich sus wise worden
bin des ich e so domp was, ebenso 10246*; vgl. Walth. 64, 21.
— d) Ohne conjunction: Veld. En. 10248* Minne, du bist noch
galle, Minne, nu wert soete, vgl. Walth. 110, 36, parallelismus mit
anaphora auch bei Haus.50,23. 27. — e) Widerholung des prädi-
cats mit verschiedenem tempus: Veld. En. 10231* f. ich konde es
luttel hüde froe end kan et so waie ietoe, vgl. Walther 117, 15
ich hän ir gedienet vil und weite ir gerne dienen me.
Widerholung derselben werte.
Eilh. 2412* (ÄoZO; 2436* (?). 2438* (?;«!?); 2555* (minikJfO
U.Ö. Veld. En. 10064* {enweit)\ 10185* (tnmcfe ich) u. ö. Veldeke
ist überhaupt für die widerholung eines und desselben wertes
innerhalb des kleinsten raumes völlig unempfindlich (vgl. Be-
haghel, En. s. cxxiii— cxxv. Burdach s. 87 f.). Ueber die lyriker
vergleiche man Burdach s. 96 und Wilmanns s. 84.
Anaphora.
Die anapher ist in den epen Eilharts und Veldekes auf
die anrufung der Minne beschränkt: Eilh, 2512*f. 2517*t 2519.*
Veld. En. 10246* steht das wort minne fünf mal am anfang,
V. 10256 f. steht es sieben mal immer am Schlüsse. Eine ähn-
liche Spielerei findet sich von v. 11098 an, wo zehn mal minne
am anfang eines verses gesetzt ist, so zwar, dass der betreffende
vers immer durch einen schaltvers getrennt wird. Ueber^die
lyriker vgl. Burdach s. 89. 94. 96. 103 und Wilmanns s. 76.
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MH1
Widerhol
charakteri
ge in den
wichtiger j
lit mass un
weil es auf
3 bei heftij
ie central-
naer wider
n dem geds
sich Isalde
I minne ber<
* 2493* f. S
►22.* 2536 *
►34*). 'Ich
h will ihm (
irt drei ma
[v. 10092.*
^ben' (v. 10]
uliche, in
ich nicht
Ime doch c
j liebe hat
iei den min
iie widerho
Ld.2,458(2^
9 und 13 de
E. 9 f. *eine
schon bewu
wahrschei
ieder wirk(
[ auch nur
^r ist aber
, 1 ff. kehrt
wider. Se
in monologe (
mke, dasB see
ick (V. 8057. I
m. geliebten r\
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S74 LESSEB
nur aus den zwei Sätzen (57, 26ft): ez harn von tumbes herzen
rate, ez sal ze tumpheit och ergän. Bei Hausen wird die wider-
holung öfter zur kunstvollen responsion an gleichen versstellen
(Burdach s. 89). In dem frauenmonologe 54, 1 tt drängt das
überwältigende gefühl der liebe zu dem geliebten immer wider
zum ausdruck (54,* 4. 10 f. 13. 18. 22. 24 f. 30. 32. 36. 381).
Der entschluss der liebesgewährung aber (54,* 5. 14. 19. 28. 37.
55,* 3) wird immer wider durchkreuzt durch den dazwischen
klingenden gedanken der scheu vor der weit (54,* 7 f. 15 f. 20..
26. 29. 55,* 5). — Ganz ähnlich in dem grossen frauenliede Rein-
mars (178,* 1 f.): 1) innige liebe: 178,* 2 i (12). >) 16. 23. (36) t;
— 2) die gewährung massvoller liebe aus rucksicht auf die weit:
178,* 6 (11). 25. 27. 29 f. MF. 186,* 19 ff. Das bild des glühend
werbenden ritters tritt immer wider vor die seele der frau:
186,* 35. 187,1 f. 14 f.; sie liebt ihn von herzen: 186,* 25. 32.
37. 187,* 6. 9 f. 11. 27 f., aber der resignierende entschluss ihn
aufzugeben, behält doch die Oberhand: 186,* 26. 187,* 14. 20.
25. 29 f. — MF. 192,* 25: hier gewinnt die liebe (193,* 2. 4 f.
18 f.) den sieg über die furcht vor der weit, die in immer
wider hervorbrechenden klagen sich luft macht: 192,* 25. 31.
37. 193,* 13. In der totenklage der gattin Leopolds über den
Verlust des gemahls kehrt das wort tot und damit der ge-
danke in allen drei Strophen wider (167,* 35. 168,* 15. 19) und
sogleich wird die erinnerung an die lebenswarme, liebespendende
gestalt des gatten rege: 168,* 1 1 6 f. 12. 13. 25. Auch in dem
unter Eeinmars namen überlieferten gedichte MF. 199,* 25 ff.
klingt immer wider der gedanke an das scheiden und meiden
an: 199,* 32. 200,* 10. 24. 33. 201,* 1 und ruft seinerseits das
bild des glänzenden ritters hervor: 199,* 29. 39. 200,* 1. 3 f. 19 f.
201,* 10. In dem frauenmonolog Hartmanns (MF. 212,* 37),
welcher die erbitterten klagen über getäuschte liebe enthält,
herscht ein einheitlicher ton, nur ist bemerkenswert, dass die
gleisnerischen reden des mannes der frau nicht aus dem sinne
wollen: 212,* 37 ff. 213,* 15 ff. In dem zweiten frauenliede
(MF. 216,* 1 f.), welches sonst ganz das von den epikem an-
geschlagene motiv des conflicts zwischen pflicht und liebe
^) Die klammem beziehen sich auf die durch die kritik Burdachs
(s. 219) in wegfaU kommenden stellen.
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MHD. FRAÜEKMOKOIiOOS. 875
durchführt, wird man wol schwerlich eine widerholung der
gedanken nachweisen können. Der inhalt ist mit einer ge-
wissen logischen genaaigkeit dispositionsartig abgehandelt.
Str. 1: ich liebe. Str. 2: ich hatte die wähl zwischen freund-
schaft und liebe gehabt. Str. 3: aber die letztere habe ich
gewählt, denn str. 4: mein geliebter verdient es. In dem
dritten franenliede (MF. 2 17,* 14 ff.), der wehmütigen klage
Ober den verlorenen geliebten, herscht wider ein bunter
Wechsel der gedanken: 1) der verlast des geliebten mannes
(217,* 19. 28); — 2) die traner darüber (217,* 16. 31. 38); —
3) preis des geliebten (217,* 20. 26. 218,* 4); — 4) erinnerung
an die frühere, schöne zeit der liebe (217,* 22. 218,* 2).
Vielleicht am kunstvollsten ist diese widerholung der ge-
danken in Walthers frauenlied 113,* 31 ff. durchgeführt. Das
ganze gedieht besteht aus zwei strophenweise sich abwechseln-
den gedanken: der entschluss der liebesgewährung (str. 1. 3. 5)
kämpft mit dem hangen und bangen vor demselben (str. 2. 4).
Parenthese.
Ueber Eilhart s. Lichtenstein s. clxxx, über Veldeke s.
Behaghel s. cxxx, über den minnesang s. Burdach s. 104 f. 116.
123, über Walther ausser Burdach noch Wilmanns ausg. s. 67.
Eine anticipierende parenthese, die im minnesange vor
Eeinmar ohne beispiel ist, findet sich schon bei Eilhart v. 4562*
swer nu sulchin hunger einjär solde liden — ich kan des nicht
vorswigen — he muste wesin hungers töd, vgl. Reinm. 109, 11:
dö rieten mine sinne dcus (des ich enkeinen trost mir kan ge-
geben) daz ich die sorge gar verheere; 170, 13. 181, 33. 192, 37*.
Walther 95, 32.
Personification.
Eilhart scheint der erste gewesen zu sein, der frauwe
Amur (2464?), Cupido (2467) und frauwe Minne (?) in die
literatur eingeführt hat (Lichtenstein s. xlxvii). Bei Veldeke
erscheint noch Venus und statt frauwe Amur in strengerer
anlehnung an das franz. original Amor.^) Im minnesange
findet sich die personification der minne zuerst bei Hausen
(52,37 U.Ö.), wenigstens schreiben Lachmann und Haupt zuerst
>) Hisyerstanden bei Veld.£n. 1015G: der minnen got Cupido end Amor
stn hroeder.
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876 LESSER
das wort gross J) Freilich lieben die lyriker die fremden
namen Venus, Amor, Cupido nicht. So viel ich sehe, kommt
Amor zuerst bei dem Tanhauser (MSH. 1, 886) und dem Wilden
Alexander (MSH. 1,365 a), Venus und Amor bei Eonrad von
Kirchberg (MSH. 1, 24a) und Eudolf von Rotenburg (MSH.
78 b) vor. Wihnanns (Leben Walthers s. 328) erklärt das
fehlen der fremdwörter überhaupt wol mit recht daraus, dass
die Sänger einen grösseren zuhörerkreis hatten als der Vorleser
der epen, die für ein auserleseneres publicum gedichtet waren,
an das höhere anf orderungen gestellt werden konnten. Dennoch
aber stehen die lyriker hinter den epikem an lebendiger aus-
malung der allegorie keineswegs zurück: 1) die Minne herscht
gleichsam als königin über die ganze weit 2): Eilh. 2514* 2537.*
Veld. En. 10285.* 11160.* Walther 56, 12, vgl 41, 1. — 2) Sie
erscheint als kriegerin mit pfeil und bogen: Veld. En. 10036.*
11198.* Walth. 40, 35 f., vgl. 40, 32. — 3) Sie verwundet: Veld.
En. 10159.* 11201.* Walth. 41, 2. Fenis82,3. — 4) Sie heüt
aber auch: Veld. En. 10266.* Walth. 41, 2, vgl. Hartm., 1. büchl.
1269 und Reinm. 185, 16. — 5) Sie benimmt den sinn: Eilh.
2491.* 2539?* Veld. En. 10154.* Johannsdorf 94, 25. — 6) Sie
bestürmt das herz wie eine bürg: Eilh. 2489.* Reinm. 161, 31.
Walth. 55, 10. — 7) Man begibt sich in ihren dienst: Eilh.
2521.* Veld. En. 10252.* Walth. 58, 18. — 8) Der liebende ruft
sie3) an und klagt ihr seine not<): Eilh. 2516.* vgl 2530. 2536.*
2543* (?). 2547* (?). Veld. En. 10262*, vgl. Herb. v. Fritzlar 874.*
Veld. MF. 66, 9. Fenis82,2. Walth. 14, 11. 41,5. 55,15. 109,25.
27. — 9) Wenn aber die hilfe ausbleibt, beschwert man sich
über sie: EUh.2488.* 2510. Veld. En. 10258.* 10290. Haus. 49,35.
53,23. Walth. 41, 10.
*) Dietm. 32, 7: owe mtnne, der din äne möhU am, dcus trceren sinne:
hier läge es allerdings wegen der anrede nahe, an eine personification in
denken.
*) Die Yorstellnng ist schon angedeutet Eaiserchron. 141, 21 umbe die
mirme ist ez aber so getan, da ne mac niht lebendiges gestän, vgl. Hansen
52, 37 f. 53,30.
«) Gott wird um hilfe angerufen Eilh. 2398*. 2439*. Veld. MF. 63,90-
Johannsdorf 92, 14. Hartm. 116, 5.
*) Walther gestaltet diesen zug zu einem anschaulichen bilde, indem
er frau Minne als richterin einführt, vor deren richterstuhl der dichter sein
recht sucht, vgl. 40, 27 ff.
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MHD. FBAUENUONOLOaE. 377
tar und Hausen bieten fast gar nichts, und das hängt
Lrem sonstigen mangel an bildern zusammen. Auf-
er ist, dass Momngen auch die personificationen der
hmäht: freilich fiberträgt seine kühnere spräche die
iien Wendungen auf die geliebte selbst.
Zerlegung der Persönlichkeit
die anrede an herz und mut vgl. Burdach s. 120.
wird der torheit und der verräterei bezichtigt: Veld.
E. Rietb. 19,33. Haus. 49, 15; vgl. Veld. MF. 56, 7.
3. Rugge 101, 31. Bemger 114, 3. Mor. 125, 3. 134, 6.
[artm. 205, 10 ff. Das herz weilt bei dem geliebten:
10378.* Haus. 51, 29 ff. 54,32.* Johannsd. 87, 15 ff.
1, 19. Bemger 114, 35. Hartm. 215, 30. Walth. 44, 17.
5.1)
Bilder, yergleiche, metaphern.
', vergleiche und metaphern findet man in den epen
ad Veldekes nicht sehr viele (s. Lichtenstein s. CLvra t
Lcxzxix). Im Eilhartischen liebesmonolog kommen
[eiche vor, welche im minnesange keine parallelen
ilh. 2434* he ist luter . . . alse dous galt ist vor dae bli,
volkstümlichen epen Ortnit 1, 15. Rol. 148, 15. Eilh.
is sie (die Minne) mir leider wordin swere unde als
sur = Veld. En. 10248.* Aber Eüh. 6462 und 6514
eliebte mit der sonne verglichen. Dieser vergleich,
Dgs volkstfimlich ist (Spervogel 24, 4. Nib.280, 1) und
istlichen poesie (V. d. hochzeit, s. QF. 12, 52) nicht
[ommt,^) begegnet auch bei den minnesängem: Dietm.
p. 138, 38; vgl. 123,1. 144,27 u.ö. Walth. 46, 15.
En. 10279*'): sintd(xt ich dir dienen sal, somoetich
ie dragen, vgl v. 11110. Dieses bild findet sich im
e nicht selten: Veld. MF. 56. 8. Rugge, 107, 7. Reinm.
jrnger 113, 8. Walth. 69, 15.
gesonderte existenz des hersens ist schon dentlich bei Dietmar
ansgesprochen: do huop sich ober daz herze mm an eine stat
n bei Plantns Menaechmil,2,66: eapse eccam emit: ah solem
U occiKeatiist prae huitia corporis candoribus.
[eicht schon bei Eilh. nach X 2505% auf grund von P. 48, 7.
r geschicfate der deutschen spräche. XXIV. 25
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378 LBSSER
Die in der modernen liebesdichtnng so beliebte und häufige
metapher von dem feuer der liebe begegnet auffälligerweise
in der mittelalterlichen minnepoesie äusserst selten. Zuerst
erscheint sie im epos bei Veld. En. 10114*: met den heiten füre
brennet mich frouwe Venus, und zu diesem bildlichen ausdruck
gehört auch das verbum derren (v. 10126*) und smtten (v. 10257*
u. ö.). Moritz V. Cräon (v. 322) und Herb. v. Fritzlar (v. 646.
672) haben diese metapher von Veldeke übernommen. Im
ganzen minnesange aber existiert, so viel ich sehe, nur bei
Rietenb. 19, 19 etwas ähnliches.
Epische züge.
Die Unterbrechung der rede durch eine epische formel
findet sich sehr häufig in den epischen frauenmonologen: Eilh.
2467.* 2551.* 2587.* Veld. En. 10117.* 1019^* 10271.* 10395.*
10775* u. ö. Es ist, als ob diese einschnitte in die langen
Selbstgespräche uns eine pause in dem sprach- und denkver-
laufe der redenden veranschaulichen. Aufgeregt schreiten sie
wortlos auf und nieder, bis endlich wider allgewaltig der
gedankenstrom hervorbricht. — Die grossen lyrischen frauen-
monologe teilen diese epische eigentümlichkeit nicht, nur Vel-
deke, MF. 57, 12. Joh. 94, 35. Reinm. (?) 203, 11 haben diese
formel beibehalten, welche in der älteren lyrik sich häufiger
findet (Kürenb. 8, 16. Dietm. 32, 3. 39, 7 u. ö.). Ein epischer
zug im altheimischen minnesang ist femer das vorhersehen
der erzählung (MF. 34, 4. 8, 9. 33), nur selten enthält ein ge-
dieht reine empfindung, sondern gewöhnlich wird sie ei^t
durch einen äusseren Vorgang hervorgerufen, und der gegen-
satz zwischen der scheinbar ruhigen erzählung und dem hervor-
brechen des glühenden, warmen gefühls gibt diesen gedichten
einen so eigentümlichen, unvergänglichen reiz. In einem
schroffen gegensatz zu den frauenmonologen dieser zeit stehen
die epischen monologe Eilharts, Veldekes und die der späteren
lyrik. Es fehlt in ihnen zwar nicht an erzählenden momenten,
aber sie betreffen vorzugsweise Vorgänge im Individuum selbst,
und diese werden einer beobachtung unterzogen, eine rationa-
listische deutung und erklärung wird versucht. Viel öfter
aber verlässt man den boden der Wirklichkeit und beschäftigt
sich lieber mit dem gedachten, möglichen, fraglichen. Walther
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HHD. FRAÜENMONOLOOE. 87d
ist es erst wider, der in seinem frauenmonologe (39, 11) mit
anschaulicher sitnationsmalerei die begebenheit ruhig erzählt
Damit verbindet er freilich in wunderbar kunstvoller weise
die emmgenschaft der späteren lyrik, die entwickelung des
gefnhis, wie sich es bald mächtig erhebt, bald wider sich be-
schwichtigend in ruhige bahnen zurücklenkt. — Ist nun auf
grund jener kriterien eine anlehnung des altheimischen minne«
sanges an die epik nicht zu verkennen, so geht doch Brach-
mann a.a.O. s. 451 zu weit, wenn er sagt: 'so betrachten wir
also die frauenstrophen als eine dem epos glficklich entlehnte
form'. Denn das Selbstgespräch lässt sich durchaus nicht, so
viel ich sehe, aus vorangegangenen epischen monologen ableiten.
Aber wenn sich auch wirklich solche in den epen fänden, so
wäre das nur ein neues argument ffir die behauptung der
Priorität der lyrik vor der epik. Denn das Selbstgespräch ist
doch nur in einem lyrisch gehaltenen gedichte denkbar. Natür-
lich kann diese art der lyrik von der epik beeinflusst werden,
zumal da die epik zuerst schriftliche fixierung fand. Anders
steht es mit den sogenannten wechseln in der lyrik. Diese
veranschaulichen einen auftrag und gegenauf trag an den boten,
welcher den vermittler zwischen den beiden liebenden spielt,
und das ist ein motiv, das schon in den alten epischen dich-
tongen sich findet (z. b. Eother v. 1926 ff.).
Aehnliche anschauungen und gedanken
im liebesieben.
1) Die liebe ist etwas seltsam-wunderbares: Eilh. 2495.*
Veld. En. 10065,* vgl. Herb. v. Fritzlar 856 * Haus. 53, 15.
52,17. Walth.83, 3 u. ö.; — 2) man hat vorher ähnliches nie
kennen gelernt: Eüh.2493,* vgl. 2458.* Veld. En. 10067* u. ö.
Haus. 54,3.* 42,12 U.Ö. Rugge 102,1. Reinm. 192,* 29 u. o.
Walth. 109, 12; — 3) man ist immer in gedanken mit dem ge-
liebten gegenständ beschäftigt: Eüh. 2568.* 2606. Veld. En.
1344. Haus. 46, 15 u. ö. Rugge 99,36. Joh.88,4; — 4) auf die
Umgebung achtet man nicht: Veld. En. 10459.* Reinm. 163, 19.
Walth. 41, 37; — 5) man fragt nach dem natürlichen gründe
der liebe: Eüh.2412.* 2439.* 2456* (?). 2552.* Veld. En. 10173.*
10129.* 10228.* Haus. 46, 18. Reinm. 163, 32. Mor. 136,1; —
6) man hat den mut nicht, die liebe zu gestehen: Eilh. 2588.*
25*
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380 LESSER
Veld. En. 10413 * Reinm. 153, 25 ff. 164, 21. Mor. 136, 14.
135, 32; — 7) und doch ist die liebe zum geliebten einzig in
ihrer art: Eilh. 2523* Veld. En. 10104.* Haus. 54, 30.* Reinm.
190, 34. Walth. 49, 29; — 8) das bekennen der liebe steigert
sich zur liebesversicherung und zum schwur ^): Eilh. 1416. Walth.
74,4. Joh.87, 35; — 9) der einfluss anderer kann nicht die
Uebe mindern: Eüh.5280. 1394. Haus. 54, 28.* Hartm. 216, 8.*
Walth. 119, 5; — 10) oft liebt man aber unglücklich: EilL
2552.* Veld. En. 10400.* 10735. Haus. 52, 19.») 53,12. Gutb.
77, 4. Fenis 81, 9. Reinm. 153, 1. Hartm. 207, 5. Mor. 130, 1.
Walth. 50, 19. 71,31. 57, 17; — 11) die pein überschreitet jedes
mass: Eilh. 2510.*. Reinm. 186, 20*; — 12) man liebt eigentlich
wider seinen willen, ist aber doch auch wider zufrieden: Eilh.
2564* ff. 2572.* Veld. En. 10168.* 10240.* 10174.* Haus. 54, 23.*
51,3. Reinm. 187, 11.* 186,37*; — 13) die hoffnung auf end-
liche gewährung beseelt den liebenden: Eilh. 2593*. Veld. En.
10360.* Haus. 45, 32. Gutb. 76, 34. Rugge 104, 33. Hartm,
208,33. Mor. 125,30. Walth. 92, 9; — 14) denn der dienst for-
dert lohn: EUh.2522*. Joh.86,9. Horh.114,18. Haus. 45, 23.
54, 21.* Bligger 118, 24. Rugge 104, 19. Walth. 120, 22; —
15) oft setzt der liebende seine ehre aufs spiel*): Eilh. 2528.*
2586. Veld. En. 10425.* Haus. 54, 15.* Reinm. 186, 26.* 192,38.*
Hartm. 216, 19.* 205,25. Walth. 114, 10*; — 16) weltUche ehre
aber und guter ruf gelten viel und rufen die erste liebesregung
hervor: Eilh. 2427.* Haus. 54, 37* ff. 44,1. R^inm. 200, 7*.
200, 13. Walth. 114, 17* (vgl. Lehfeld a. a. o. s. 389). Die Deut-
sehen legten auf dieses zeugnis grösseres gewicht als die Romanen
(Wilmanns, Leben Walthers s.103*)).
') Wenngleich liebesschwüre im ganzen minnesange yorkommen (8.
Wilmanns, Leben Walthers s. 356. 152), so findet man doch keine, die so
ähnlich wären : i wolde ich die helle büwen Smgliche: die helle müese mir
gejsemen: got vor der heUe niemer mich bewar.
*) Es ist bemerkenswert, dass dieses motiy der unglücklichen liebe
erst mit Hausen in den minnesang eintritt. Die epen waren aber schon
darin vorangegangen.
^) In diesem conilict zwischen liebe und ehre siegt in den monologen
Eilharts, Veldekes, Hausens, Hartmanns (216,9), Walthers (114,* 23) die
liebe, dagegen behält in den frauenliedem Beinmars die rücksicht auf die
ehre die oberhand, vgl. 178,* 28. 187,* 29.
*) Sonst stimmen in dem preise des geliebten die epischen und lyri-
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MED. FBAÜENMONOLOOE. 881
Ich Stehe am schlösse. Eine beeinflnssimg der späteren
lyiiker durch die ersten höfischen epen Eilharts und Veldekes
nnd namentlich eine nachahmung der epischen frauenmonologe
Isaldens und Lavinias von selten Hausens, Beinmars, Hart-
mannSy Walthers scheint mir sicher zu stehen. Denn die
Übereinstimmungen nach Inhalt und form sind zu gross und
zu zahlreich, als dass sie lediglich durch die gleiche Situation
hätten hervorgerufen werden können.
Freilich ist aber auch andererseits eine tie^ehende Ver-
schiedenheit in den monologen nicht zu verkennen, welche der
ähnlichkeit denn doch gewisse grenzen steckt. Denn in den
epen sind es die frauen, welche liebe heischen von dem zurück-
haltenden, oft gleichgültigen mann, und das ist ein zug der
an die ältere lyrik erinnert. •)
sehen dichter nicht überein. Bei Eilhart ist es die bewähnmg Tristrants
im kämpfe, welche Isalde vor allen anderen Vorzügen hervorhebt (v. 2418:
he ist ein vü huner degin, daz hat he dicke schtn getan, he tar wol eine
hestdn swaz ein helt tun soT). Die czechische übersetcnng und die prosa-
anflösimg' gehen in der ausmalnng der kampftüchtigkeit noch weiter: das
ist also sicherlich ein ursprünglicher zng in der fassung des gedichtes und
zeigt noch die verwantschaft mit den anschauungen des älteren volkstüm-
lichen epos. Darauf deuten schon die ausdrücke für den geliebten: fielt,
kuner degen, guoter kneM hin (vgl. Lichtenstein s. OL — glxxiv. Kettner, Die
österreichische Nibelungendichtung s. 19 ff.)- Schon bei Yeldeke aber schwin-
det die Vorstellung von einem streitbaren beiden, obgleich sie doch bei dem
Stoffe der Eneide viel eher erwartet werden konnte als in dem liebesepos
Tristrant In der Eneide wird immer nur auf die stattlichkeit und Schön-
heit des mannes gewicht gelegt : v. 10102* tvie wart er ie so wäle gedän,
sin haucet end al sin Uf. Aeneas selbst wird here, rike, lussam, edel ge-
nannt, nur selten noch helt und degen, jedenfalls gedenkt die geliebte nie-
mals seiner waffentaten (vgl. die lobpreisungen Didos v. 1544 ff.). Aeneas
tritt auch in Veldekes dichtung 'überall als breiter redner auf, andere lässt
er für sich handeln* (Goedeke, Grundriss s.80). In den minneliedem end-
lich wird häufiger der bezaubernden rede des ritters gedacht. Das wird
wol mit der gesellschaftlichen Vorschrift in Verbindung gebracht werden
müssen, wonach kein b^es wort gegen die frauen über die lippen gebracht
werden durfte, sondern es sitte war, in zierlichen werten der frauen loblied
ra singen, vgl. Haus. 55, 21.* Reinm. 187, 15. 187,21. 25. 193,* 5. Hartm.
213,* 15. Walth.44,1.
1) Auch sonst finden sich in den epen anlehnungen an die alte lyrik.
EiUi. 66101 scheint eine etwas scherzhi^ gewendete paraphrase des unter
Dietmar von Eist stehenden ältesten frauenliedes zu sein (37,4): dö sprach
die vrattwe äne nit | zu den vogelin die da sungin: \ ir Jidt michd wuwne \
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882 LESSER
In den frauenliedem des höfischen mümesanges dagegen
finden wir das Verhältnis der geschlechter umgekehrt: schon Vel-
deke, der sonst durch die einstrophigkeit seines monologes und
durch die epische formel an die altheinusche dichtung sich an-
lehnt, zeigt einen ganz neuen inhalt: denn hier tritt uns zum
ersten male eine spröde dame entgegen, welche dem ritter auf
sein werben erwidert, er könne mit ihrem blick zufrieden sein,
oder einen Verstoss gegen die höfische sitte mit einer langen
Ungnade vergiltJ) Und vollends in den frauenliedem Hansens
und der übrigen erscheint die frau vorsichtig und zurückhaltend
gegenüber dem drängen des liebeglühenden mannes. Daher
erklären sich auch die anklänge unter den lyrikem selbst, die
in den epen keine parallelen aufweisen, weil das Verhältnis
fehlt, welches jene voraussetzen, vgl. Haus. 54,* 21 läse ah ich
in ungewert, das ist ein Ion, der guotem manne nie gesehadi
= Walth.ll3,*34. Reinm. 193,* 19. Haus. 54,* 19 otee üete ich
des er gert = Joh. 94,* 8.
Aber noch eine dritte seite dieses literarhistorischen Pro-
blems ist einer Untersuchung wert. Das ist die abhängigkeit
der frauenlieder der späteren epik von denen der höfischen
lyrik. In dem Moritz v. Cräon erinnert der monolog der gräfin
(v. 1270) soU ich in des ungelönet lAn u. s. w. an die worte
Hausens 54, 21 laz ab ich in wngewert, das ist ein Ion, der
guotem fnanne nie geschack In dem monologe der Blanscheflur
in dem Tristan Gottfrieds v. Strassburg muss z. b, die Wendung
(v.989) da von ich han erworben nähe gendiu leit unzweifel-
haft von den lyrikem übernommen sein, denn bei diesen tritt
sie zuerst auf; v. 972 seneliche arbeit weist auf Hausens senede
mit mcmchir hande stimmen: \ ich gehe üch dorch minne | zwdffftddin böige
gut I daz ir mir zu Übe tut \ und vliget mit mir hinnen. Hier wie dort die
anrede an einen yogel, hier wie dort der vergleich zwischen der eigenen
Unfreiheit und der fröhlichen nngebundenheit der leichtbeschwingten be-
wohner der luft. Veld. £n. 11082: ofcU die wereU wäre min, so engewonne
ich niemer ander wtf = MF. 3, 7 : wcer diu werdt aUiu min. Uebrigens
auch Mor. t. Cräon 592 : du bist min umde ich bin din = MF. 3, 3.
^) Freilich findet sich auch für dieses auftreten der frau eine auf-
fallende parallele bei Eilhart: Qymele weist den rohen, stfirmisch begehren-
den Eehenis mit einem Vorwurf zurück: v. 6680 ff. ja sH ir wol dae kk
nicht bin eine gebürinm, der an Veld. MF. 57} 30 erinnert.
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MHD. FRAUENHONOLOGE. — 8IBVEBS, AGB. HNESCE, 383
arbeit (54,* 2), v. 1015 wcus wtze ich aber dem guoten man, er
ist hie lihte unschuldec an enthält den gleichen gedanken wie
Hartm. 213 * 19. Die verse 1043 ff. min tuniber meisterloser
muot der ist der mir da leide tuot rufen uns das erste lied
Veldekes (MF. 56, 1) und ähnliche ausspräche der lyriker ins
gedächtnis.
LANGENSALZA, october 1898. ERNST LESSER
AGS. HNESCR
Während der t-umlaut von a vor sc im ags. sonst stets
m ist {(BSC esche, r(Bsc blitz, dwasscan ersticken, vgl. meine Ags.
gr.^ § 89, 2), wird hnesce, dem man auch gemeinhin ein umlauts-e
zuschreibt, ebenso consequent mit e geschrieben (auch Sal. und
Sat 286 hat die Überlieferung hnesce, nicht hncesce). Schon hier-
an dürfte die beliebte directe gleichsetzung mit got. hnasqus
scheitern. Erwägt man dazu die formen north, nom. {h)nesc
L Mt. 24, 32. Mc. 13, 28, hnisca R'^ Mc 13, 28, dazu gehnis(c)tun
moUierunt Vesp. Ps. 54, 22 (sf'dtwsJmysce in glossen ist dagegen
vielleicht kenticismus), so wird man gezwungen sein, jenes
hnesce vielmehr als eine mischform von hnesc und *hnisce zu
einem mit got. hnasqus im ablaut stehenden st. *hnesqu- auf-
zufassen.
LEIPZIG-GOHLIS, 20. märz 1899. E. SIEVERS.
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TEXTKRITISCHE BEMERKUNGE]^
1. Znm Erec.
V. 2079. Hs. der höret alter eelen, Haupt und
alter hoeret jseUen, Der fehler der hs. ist eher erkli
ursprünglichem da hoeret alter zelten ! ^da hört von
zählen!'
V. 2302. Hs. vnd nyeman dem erennen gdeidhy ]
Bech und niender dem erren glich. Beim ersten u
Schilde wird die färbe des äussern, der mouwe und <
{innen v. 2295 und 2305) beschrieben. Demnach ist sta
y.2302 ebenfalls innen zu lesen und die interpunction :
V. 2296 der ander von zinober rot —
dar üf er slahen gebot
ein mouwen von silber wlz
(din was geworht in solhen yliz
daz man sie so kurzer stunde
niht baz erzingen kande) —
nnd innen dem erren glich.
Nach der lesung von Haupt und Bech fehlt hier, b
Schreibung des zweiten Schildes, eine angäbe über
der Innenseite ganz.
Y. 6231. Hs. für schaden der euch wenig frunü
bisherigen besserungsversuche verzeichnet Bechstei
25,319 (nachzutragen ist Bechs verschlag in der a
seiner ersten und zweiten aufläge der wcene ich frum fi
ist) und fügt noch einen eigenen hinzu. Die einfachste
ist: ditz ist der schoeniste list
für schaden — der iu wsen ich
(oder wsen) frum ist —
daz man sichs getrosste enzit
'das ist die schönste kunst gegen einen schaden —
(nebenbei gesagt), wie ich meine, zu nutzen kommi
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TEXTKBITISCHE BEHEBKUKGEN. 885
man's bei zelten verschmerzt'. Der tod Erecs sei für Enite
ein glück, denn nun will er, der mächtige graf Oiingles, sie
heiraten! — Die vorläge der hs. mochte wenih gehabt haben,
vgl die lesarten zu Iwein v. 8157.
V. 6570. Hs. sy stund im vil verre, Haupt si sttwnt van
im unverre, Bech si schunt in vil verre, Bechstein nimmt Germ.
25, 325 die lesart der hs. wider auf und übersetzt 'sie leistete
ihm energischen (vil verre) widerstand'. Die lesart der hs.
gibt allerdings einen guten sinn, aber einen andern als Bech-
stein übersetzt. Verre stän heisst 'hoch im werte stehen, teuer
sein, teuer zu stehen kommen' = tiure, hohe stän. Hartmann
gebraucht es selbst Iwein 4316 so stiiendee iuch ze verre, vgl.
dazu Beneckes anmerkung und sein wb. zum Iwein unter verre.
Ausserdem begegnet verre stän mehrfach in dem gedieht von
der hochzeit, vgl. Kraus, Vom rechte und die hochzeit s. 120.
Der sinn ist also 'sie kam ihm teuer zu stehen, sie gieng nicht
so leichten kaufe auf sein verlangen ein'. Das gegenteil von
verre stän ist n&he stän 'wolfeil sein'. Nahe = 'billig, wolfeil'
hat Bech, Genn. 17, 296 in vielen belegen nachgewiesen, vgl.
femer für Hartmanns Sprachgebrauch die im Mhd. wb. 2\ 574b
verzeichneten stellen Erec 968 f. so stäende iuch ze ringe iuwer
ßrgedinge, 6108 ez sol dich niht so ringe stän, I, bttchl. 438 f.
ob dich min smerze iedoch so gar vergebene stS. Die person
der etwas billig oder teuer zu stehen kommt, steht im acc.
oder im dat. — verre und tiure sind ausser in diesem falle
auch sonst Synonyma, z. b. verre Uten Erec 3524. 4757. 4943.
Iwein 5128. 5459. 8131 var., und tiure biten Iwein 6859; verre
beswem A.Heinr.l073, und tiure beswem ebda. 1104, tiure swern
Iwein 5740; vmre manen Erec 4558. Iwein 4853. 6050. 6836.
8131, und diu tiure manunge Iwein 4862; verre begrifen Erec
9490 und Iwein lesarten 8131 = 'hoch und teuer beschwören';
verre bevelhen Tristan 1894, und tiure bevelhen ebda. 11474.
V. 6652. Haupt und Bech folgen im texte der hs., indem
sie dicke fliuhet grözen schal aufnehmen, in der anmerkung
stellt Bech die feinsinnige conjectur gruozesal für grozen schäl
auf und Haupt (2. ausgäbe) hält diese Vermutung für nicht
unwahrscheinlich. Trotzdem hat die hs. diesmal das richtige
bewahrt, denn v. 6862 ff. wird eine ähnliche Situation, wie die
hier vorausgesetzte, geschildert: Erec, mit Enite im wald
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386 EHBIBMANN
reitend, hört von ferne eine schar gewappneter, denn der schal
und der doz was von den schellen groz (6876 f.), und findet
selbst die läge für gefahrvoll (6879 ff.). Eine solche wider-
holung gleicher gedanken und gleicher werte in kurzem ab-
stände ist ja eine stilistische ungewantheit Hartmanns.
V. 6931 f. ouch wsere es der werde
vil wol erlftn d& ze stant
Haupt; die hs. hat worden statt erlän, weshalb Sechs her-
stellung (3. aufl.) vil wol worden äne da ze stunt sich durch
engeren anschluss an die Überlieferung mehr empfiehlt. Da-
neben kann auch folgende in betracht gezogen werden: wol
über worden da ze stunt
V. 7138 ff. Nach Lachmanns correctur von v. 7140 f. geben
Haupt und Bech folgenden text:
mit müre was der selbe kreiz,
als ich in ze sagen weiz,
gliche endriu gescheiden hin.
daz dritte teil von den drin
häte rötwildes gnnoc:
swarzwilt daz ander teil truoc.
in dem dritten teile d& bi,
fragt ir waz dar inne si?
U.S.W. Die hs. hat als reim Wörter von v. 7140 f. gescheiden :
den beiden, wofür Lachmann gescheiden hin : den drin einführte,
Ich vermute folgende ursprüngliche fassung von v. 7140 — 42
gliche endriu gescheiden,
daz dritte teil von den beiden.
einez h&te rötwildes gnuoc
U.S.W.; d. h. *mit mauern war dieser kreis in drei gleiche teile
geschieden, je der dritte teil von den beiden andern \ Dann
folgt die aufzählung der drei teile und ihres wildbestandes,
*ein teil {einez) hatte genug rotwild, der andere teil schwarz-
wild, in dem diitten teil u.s.w. waren fuchse, hasen und der-
gleichen'. Der fehler der hs. erklärt sich aus solcher gestalt
des ursprünglichen textes leicht: der Schreiber zog den vers
einez hate rötwildes gnuoc zum vorhergehenden satze statt zum
folgenden, gerade wie Lachmann, dabei war einez sinnlos und
wurde von ihm weggelassen. Lachmanns änderung der reime
setzt eine viel stärkere abweichung des Schreibers von seinem
originale voraus, deren grund zudem nicht ersichtlich ist
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TEXTKRITiaCHE BEMERKUNGEN. 387
2. Zum Iweln.
V. 3225 f. Das eigentttmliche handschriftenverMltnis, wo-
nach B allein em haete, die übrigen hss. ern ahte , ,,üf haben
oder doch yoranssetzen. erklärt sich ans der Schreibung der
nrhandschrift bez. einer der frähesten vorlagen: für e war
die dem h ähnliche über die zeile an&teigende form gesetzt,
und ans einem solchen haste konnte leicht höhte > ahte ver-
lesen werden. Die Verwechslung des langen z und h kommt
ja in mhd. hss. häufig genug vor, und es ist deshalb auch nicht
auffallend, wenn mehrere Schreiber von Iweinhss. unabhängig
von einander den fehler begiengen. Pauls annähme (Beitr.
1,374), Hartm. V. 3225 f. em haete u.s.w. sei eine Übersetzung
von ehrest, v. 2790 ne het tant rien U.S.W., wird von Zwierzina
in seiner gründlichen erörterung dieser stelle in der Zs. f da. 40,
230 ff. bekämpft. Zwierzina tritt wider für Lachmanns lesung
em ahte ... üf u. s. w. ein, denn Hartmann folge in dieser
ganzen partie schritt für schritt seiner quelle Chrest. V. 2790
ne het tant rien u.s.w. sei also durch Hartm. v. 3221 er verlos
sin selbes hulde widergegeben. Indessen entspricht selbst hier
auch nach Zwierzinas vergleichung der text Hartmanns nicht
zeile für zeile dem von Ghrestien. Denn v. 3227 er stal sich
steigende dan ersetzt doch jedenfalls Chrest. v. 2796 d'antre Us
barons se remue und der folgende vers Hartmanns 3228 das
ersach da nieman den übernächsten Chrestiens, v. 2798 et de
ce ne se gardoit Fan, erst darauf folgen dann Chrestiens verse
2800 f. Wen sevent u.s.w., die aber Z. schon den in frage
stehenden versen Hartmanns 3225 f. gleich setzt. Es fällt also
dieser grund gegen Pauls parallelstellung von Hartm. v. 3225 f.
em haste mit Chrest. 2790 ne het tant rien u.s.w. weg.
Bleibt man umgekehrt bei dieser: der gedankengehalt bei
beiden stellen deckt sich vollständig. Hartmann sagt nicht
mehr und nicht weniger als Chrestien und haste ist zudem so
gut wie wörtliche Übersetzung von het. Dagegen bei Zwier-
adnas parallele, wo Hartmann er verlos sin selbes hulde =
Chrest. ne het tant rien com lui meisme und Hartmanns ern
ahte weder man noch toip niuwan üf ^n selbes Itp = Chrest.
bien sevent que de lor parier ne de lor siegle n'a il soing,
berühren sich die gedanken nur.
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888 EHBISHANN
Eine andere erwägung spricht direct gegen La<
text: V. 3201 ff. wird die Stimmung Iweins geschildert, ei
sich vor den leuten (vgl. v. 3204 der slac siner eren, 2
schemeliche ungemach), sie sind ihm lästig, er will s
ihnen verbergen. Die gegenwart der menschen ist i
keineswegs gleichgültig, sondern sie übt einen höc
drückenden einfluss auf ihn aus; dann kann aber ni
fünf bis zehn zeilen später gesagt werden em ahte we
noch wip.
Demnach, da rein graphisch betrachtet B mit hagU
hin das ursprüngliche bewahrt haben kann, die wörtlic!
einstimmung mit Chrestien aber und der sinn eher fi
als für ahte sprechen, so wird man doch der lesung von
Paul, Bech und Henrici den Vorzug geben müssen.
3. Zum Armen Heinrich.
V. 225 und 447. Die in beiden hss. A und B (= Ba
auseinandergehenden lesarten sind erbcere A, vriebere B i
bez. manbere A, verbere B in v. 447. Haupt und Bech
setzen dafür beide male erbcere, Wackemagel hibcere,
schlug vor vriebcere 'heiratsfähig, reif zum freien' (}
nagel-Toischer, anm. zu v. 225), dafür Burdach vriba
freier geburt' (Anz. fda. 12, 1961); letzterem folgen
seiner zweiten aufläge des A. Heinrich, Schönbach, Ueb<
mann v. Aue s. 140 f.. Schulte, Zs. fda. 41, 267. Doch seh
auch gegen vribcere ein anderes wort, nämlich toerbc
Vorzug zu verdienen. In technischer hinsieht lassen
entstellungen der hss. aus werbcere nicht schwerer b
als aus vribcere, im gegenteil, die eine lesart von A,
lässt sich leichter mit werbcere vereinigen als mit
Werbcere ist zusammengesetzt mit diu were * besitz, ge\
diu gewere. Es ist speciell die gewalt des vaters u
unmündigen kinder, des mannes über die frau; auch die
und eigenleute stehen unter dem verfügungsrecht,
ihres herrn. Werbcere heisst demnach, wer der v&t
gewalt oder der eines heiTen nicht bez. nicht mehr unte
ist, der freie handlungsfähigkeit besitzt (zu der rechtsge
liehen bedeutung vgl. Schröder, D. rechtsgesch.* bes. s
693 ff. und die daselbst angebene literatur; über Haj
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TEXTKBITIBCHB BEMERKUNGEN. 389
rechtskenntnisse s. Schönbach s. 228 ff.). Werhoere ist also in
der bedeutung und hinsichtlich der Zusammensetzung mit -bcBre
zu vergleichen mit vogtbcere und munibar (Schmeller-Fr. 1, 1624
'mundbar, wie vogtbar, d. h. im stände sich selbst zu vertreten;
keiner tutela oder schutzherschaft unterworfen').
Der mündigkeitstermin im mittelalter ist sehr häufig das
alter von zwölf jähren (vgl. Wackemagel a. a. o. Kraut, Die
Vormundschaft 1, 110 ff. u. a.). Als alter des mädchens im Arm.
Heinr. kommen bei der berechnung von v. 303 und 351 nur elf
jähre heraus als sie den entschluss fasst für ihren herm zu
sterben, aber ein gewisser Spielraum in der Zeitbestimmung
des gedichtes muss immerhin zugegeben werden (vgl. Wacker-
nagel und Schönbach a. a. o.). Im falle dass Hartmann unter
werbcere 'frei von dem verfü^ngsrecht des herren' verstand,
kommt die altersfrage überhaupt nicht in betracht das mädchen
musste nur freien Standes sein, und der begriff von werbcere
ist dann inbegriffen in dem des fraglichen vribcere 'von freier
geburt'.
Zu der auffassung die das gedieht von dem opfer der
Jungfrau hat, passt werbcere 'fähig zu freiem handeln' besser
als vribcere: ihre tat muss eine freiwillige sein, überall wird
hervorgehoben, dass sie aus freien stücken und ungezwungen
für ihren herm in den tod gehen muss, so an den obigen
stellen, so femer v. 923 und besonders v. 1064 — 83; von freiem
Stande ist gerade bei der letzten ausführlichen gewissensfrage,
die der arzt an sie richtet, nicht die rede.
Belegt ist werbcere nicht, ein werbcere 'im stände bürg-
schaft zu leisten' führt Lexer an, also zu were 'bürgschaft'.
Auch vribcere ist nicht nachgewiesen. Auf die Seltenheit der
Zusammensetzungen von -beere mit adjectiven, also wie vribcere,
macht auch Burdach aufmerksam. Sie sind dem Sprachgefühl
ganz zuvdder. Unter den von Weinhold, Mhd. gr. § 295 und
Wilmanns, D. gr. 2, § 374 ff. angeführten mhd. compositen ist
nur ein einziges alt ererbt, offenbcere, schon ahd. offcmbäri,
aber -beere hatte hier, als das wort gebildet wurde, noch sub-
stanziellen gehalt und war noch nicht zum suffix verblasst,
= *sich offenbar darbringend', vgl. Wilmanns a.a.O. Die
übrigen Zusammensetzungen mit -beere und einem adjectiv sind
individuelle bildungen: verholnbcere von Wolfram, der gegensatz
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390 EHBISMANir
zu offenbcere; wärbeere, verb. wärbeeren von Gotfrid; Uh&cere
und lüterbcere von Konrad von Würzburg; auch irrebeere ist
nur aus Gotfrids und Konrads werken belegt, ausserdem hat
hier sicher das verbum irren vorgeschwebt; lüibeere ist um-
gebildet aus liutbcere (s. Wilmanns a. a. o.), also keine adjec-
tivische Zusammensetzung. Das von Weinhold noch angegebene
trüibeere fehlt bei Wilmanns und Lexer, dafür bei letzterem
triutebeere, das also zum verbum triuten gebildet ist Aus
dieser musterung ergibt sich, dass adjectivcomposita mit -beere
nur von einigen sprachkünstlem gebildet wurden, aber nicht
dem allgemeinen sprachgebranche geläufig waren. Auch dies
spricht gegen vribcBre, man miisste es denn als originelle Wort-
bildung Hartmanns auffassen, wozu man ohne weitere ein-
schlägige Zeugnisse gerade bei ihm nicht geneigt sein wird.
V. 391 wan ich enhete nüt vil gar A, nwnen willen hatte
(hat Ba) ich mit vrowen gar B. üeber die lesung der neueren
ausgaben seit Wackemagel wan ich enhete niht gar (mit aus-
lassung von vil in A) kommt man ohne mistrauen nicht weg
trotz der deutungen von Wackemagel (in Toischers ausg.),
von Bech (in der anmerkung seiner ausgaben) und von Schön-
bach (üeb. Hartmann s. 143). Zwei andere besserungsvorschläge
machte Bech in der anmerkung zur 2.aufl.: dae ich in hete vil
gar oder ich hete muotunllen gar. Sprenger führte Germ. 37, 172,
ohne letztere conjectur Bechs zu kennen, ebenfalls mtwtunUen
ein (wan ich hete muotwülen gar) ^weil ich gänzlich bösen
willen hatte'. Aber muotunlle ist nicht ohne weiteres *böser
Wille' und ausserdem läge darin eine zu harte selbstanklage
Heinrichs. Eine andere conjectur, die graphisch keinerlei
Schwierigkeiten bietet und auch der sonstigen beschaffenheit
der hss. nicht widerspricht, grttndet sich auf eine auch ander-
wärts von Hartmann niedergelegte ethische anschauung, näm-
lich statt vil in A witee zu lesen, ohne weitere änderungen:
y.390 nnd was daz doch oninttgelich
wan ich enhete niht witze gar:
d& nam ich sin vil kleine war
U.S.W. 'und das war doch ohnmächtig, denn ich hatte nicht
ganze Weisheit: ich habe mich nämlich sehr wenig um ihn
bekümmert, der mir jenes wunschleben von sinen gnaden hete
gegeben'. Dann die folgenden verse bis 408: dae herze mir d6
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TEXTKBITISCHE BEMEBKüKGEN. 391
tuont als alle werlttören tuont, den dae saget ir muot daz
? unde guot äne got mügen hän. Si4S troug ouch mich
umher wän, wan ich in lütisel ane sach von des genäden
eschach vil eren unde guotes. Also der gegensatz der
it der weit, in der er lebte, gegen diu untee, die ihm
Er hatte nicht wiUe gar, nicht die volle Weisheit,
wird er hübesch und dar euo wis genannt, aber das ist
(isheit der weit — hövesch unde wis ist formelhaft (vgl.
vb. 8, 751b. Schönbach s. 133) und wird öfter in bezng auf
gebraucht Iw. v. 3356. 3521. 3752. 6055 — die volle
3it (witze gar) aber ist die gottesfurcht, die demut vor
Evelche weiss dass alles gute von gott kommt und nicht
igener macht erworben werden kann. Es ist derselbe
ise grundsatz, dem Hartmann am Schlüsse des Erec zum
i ganz ähnlicher sprachlicher fassung ausdruck verleiht,
J5 ff. (vgl. auch V. 2491 ff. 8633 ff., dazu Schönbach s. 173 f.):
^ec) tete sam die wisen tuont die des gote genäde sagent
sie eren bejagent und ee von im wellent hän, S6 triuget
en ein wän ... ob im iht guotes undervert dag im daz
ihert niuwan von siner frümekeit und es gote dehein gnade
Vil lihte ein ende des geschiht Also entete der künec
k1)er Heinrich hat so getan und deshalb war das ende
afe die gott an ihn legte (A. H. v. 409).
le parallele zwischen beiden stellen ist deutlich: Erec
%m die wisen tuont, der arme Heinrich enhete niht
gar,
EIDELBERG. GUSTAV EHRISMANN.
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BEITRAGE ZUM MHD. WORTSCHATZ.
Ein grosser teil des gedichtes von der Minneburg ist in
der sogenannten 'geblümten rede' abgefasst (s. Beitr. 22, 313 ft
[über sie vgl jetzt auch Ernst Meyer, Die gereimten liebes-
briefe des deutschen mittelalters, Marburg 1898] ). Einen be-
sonderen schmuck derselben bilden seltene und auffallende
Wörter. In folge dessen finden sich in den gedichten, welche
in jener Stuart prangen, viele in der sonstigen literatur gar ^
nicht oder nur selten vorkommende Wörter. So auch in der
Minneburg. Ich führe im folgenden zunächst solche an, die
im Mhd. wb. und bei Lexer nicht belegt sind. Die liste liesse
sich vermehren, aber ich habe nur dasjenige material bieten
wollen, welches sich auf gesicherte handschriftliche Über-
lieferung gründet. Ganz weggelassen sind die sprachlichen
Ungeheuerlichkeiten der Überarbeitung (ß), welche nur der
ungewantheit des Verfassers ihr dasein verdanken.
aberir n. 'abfall von der speise' 5240.
cmglaffen 'anstarren': ich hän sie an geglaffet lang mit imner
ougen zwirbel (2322); s. verglaffen DWB. 12, 446. Schmeller-
Fr. 1,971. Schweiz, id. 2, 607, erglaffen verglaben verglaveren
Lexer 1, 631. 3, 118.
ankünten 'anzünden' 1570, belegt bei Schmeller-Fr.l, 1260. DWB.
5, 554 f.
astrolabium 509, vgl. Diefenbach, Gloss. 56 c Nov. glos& 39.
attravers attrafers 2430. 2908. 2953 = treviers, s. Lexer 2, 1508.
Eückert, anm. zu Lohengrin v. 4861.
atzein törichtes zeug schwatzen': daz ez (das herz) vor leide
würde bratzeln und also törlich atzein reht satn ein teil
diu atzel tuot so sie verrert ir zungen bluot 1628 'das herz
würde so töricht dummes zeug schwatzen wie die atzel,
wenn sie das blut ihrer zunge vergiesst', d.h. wenn sie
schwätzt; vgl. Schmeller-Fr. 1, 180 atzein 'vergebliches,
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BEITBlaE zun HHD. WOBTSGHATZ. 393
läppisches zeug yomelunen' (aus Nordfranken). Vilmar,
Id. s. 18. DWB. 1, 596 ateehoerk 'geschwätz, geplauder ' (bei
Lezer nachtrag s. 36 fälschlich hrasseln : aeeeln nach der
hs.W).
amsti&de 4974.
\eren 2691 in der bedentung ^ein banner beschreiben' =
hiasenieren, visieren.
\chen 'behauchen' 1973.
hehnädeln 'sich in einer schlinge verfangen': ich han ouch
mich beknüdelt und lang darüf gestüdelt 2351 'ich habe
mich ganz in den gedanken verfangen', zu hnode 'knoten,
schlinge'. Verschieden davon ist behnudeln 'beschmutzen'
DWB. 1, 1424 5, 1514.
lüseln 'beschmutzen': sie hat oudi mtcA bemüseÜ mit irre
minne äseUi und tuot mich ouch heknüseln dag ich vor
leide bin worden swairz 2372. DWB. 1, 1425 beknuseln
macnlare; 5,1526 (mt&r hnüset) 'besudeln'; Schmeller-Fr.
1, 1355 hnusig, hnuselig 'unsauber, schmutzig'.
mgs adv. kunstausdruck der Wappenkunde: dar obe (über
dem mund) so stSt von diamant billungs ein winic ver-
renket gar meisterlich gesenket zwo Meine unnbrdwen 2436 ff.,
und was von spehen sinnen vertoorht jnvdr darinnen (in
dem banner) von ruidn ein Ubarte der sich in billungs
harte 0u Sprunge hete gestrecket 2777 tt BiUungs kann
adverbiale bildung sein zu biUe = franz. biüe 'ball, kugel',
das in der heraldischen spräche gebraucht wird für runde
flächen (kreislinien) oder für kugeln etc., vgl. Bernd, Die
hauptstücke der Wappenwissenschaft 2, 282 ff.; also billungs
hier so viel wie (halb)kreisf örmig gebogen, was sowol auf
die Wimpern als auch auf die gestalt des gekrümmt sich
niederduckenden (in der heraldik 'gekrüpft', franz. occrowpi)
leoparden passen würde. — Stehen in Zusammenhang da-
mit belle, belUinge Lexer 1, 174, und beldung bei Martin,
Hermann v. Sachsenheim, Mörin, anm. zu v. 511 und Gk)ld.
tempel v. 1238?
e 'bissen', als Verstärkung der Verneinung (DWB. 2, 47):
du tuost im niergen bieeen wi 2139, und nimst stn nin-
dert bieeen goum 2229, du bist nindert bieeen wunt 4424.
Die gruppe x hat dafür den fehler niergen binteen u?e
leitrSge rar geschichte der deutschen spräche. XXIV. 26
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394 EHRI8MANN
2139, nit ein hinteen goum 2229 (4424 fehlt B), daher
stammt das citat in Grimms Gr., n. abdr. 3, 703 und nimpst
si niht ein binsen (lies binaen) goum.
blotschen ( : rotschen 'fels') 34 = pUtzen 'mit schall hinfallen'.
cylindrium 510, vgl. Diefenbach, Gloss. 118c. Nov. gloss. 89.
diu diptonge rj dltpd^oyyoq 2388.
durch. Ausserordentlich häufig sind Verbalzusammensetzungen
mit durch\ folgende sind im Mhd. wb. und bei Lexer nicht
belegt: durchcedem 2454, durchbalsmen 1710. 4267, durch-
bismen 1710, durchger^en 2975, du/rchhecheln 3276, durch-
kirnen 4400. 5430, durchkrispen 4452, durchkrüllen 4456,
du/rchliden 266, durchlüchen ( : sprächpt) 2012 ('durch-
löchern', Lexers durchlüchen nachtr. 130 ist in durdhlüchen
zvL ändern), durchlühtieren 6, durchmeistem 2994, durch-
obern 1642, durchpit^en ('durchpinseln') 2964, durchrmzen
{durchrcezt : Icezt, das citat bei Lexer nachtr. 130 durch-
reiben beruht auf falscher lesart der hs. W), durchrisen
3288, durchrcesen 2658, durdirüemen 2660, durdtsaffen
459, durchschimmern 2405, durchsmiden 265, durchspisen
3287, durchsticken 2967, durchstücken 1755,») durchstüpfen
3278, durchtemmem 3316, durchvioln 2659, durchvimen
5429, durchweifen ('durchhaspeln') 4276, durchwifeln
('durchsticken mit der nadel') 4276, durchwirden 2660,
dwrcÄiriicAem 2658.
durfm,? 'bedttrfnis, notwendigkeit', Verbalsubstantiv zu dürfen,
durch der sinnen durf 'weil es der sinn verlangt'.
ehichhalp (ewichhälh P) 'verkehrt' 1607, dazu auwich: mir ist
duz auwich uz gekert 5045. Äuwich ist = awech, abech
DWB.1,58. Schmeller-Fr.1,11.13. 2,834: ahd. abuh. In
ebich ist offenes e anzusetzen, gemäss abich u.s. w. im DWB.
>) Nach Bernd, Hauptstücke der Wappenwissenschaft 2, 125 besteht
folgender unterschied in der heraldik : gestickt wird gesagt, wenn die Ober-
fläche *niit verschiedenen widerholten verzienmgen etc. gestickt, gemostert
oder durchwebt erscheint' — so hier in der Mbg.: der dritte gtrich der ist
durchsticket hinden und vom mit meisterh'chen Steinbocks hom; gegtkcJti
w^ird gebraucht, wenn sie 'aus gleich grossen viereckigen stücken von ver-
schiedener färbe zusammengesetzt erscheinet' — dem ebenfalls entsprechend
hier in der Kbg.: ein baniere, diu was von rubin glänzen und smaragden
wol durchstücket.
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BBTTRAOE ZUM MHB. WORTSCHATZ. 395
nnd bei Schmeller a. a. o. Lexer, Kämt. wb. sp. 2, u. a.;
e ist also jüngerer umlaat, 4ch demnach später für älteres
-wih eingetreten, wie denn im früheren ahd. nur (ümh be-
legt ist (Graff 1, 90 1, erst in den Augsbnrger glossen mit
habihemo, Ahd. gll. 2, 206, 6), vgl. aisl. gfogr und gfegr (afegr)
Noreen, Aisl. gr.^ § 150, 4. — (Dcui) ehich k^en ist formel-
haft, vgl Freid. 21, 22. Eenner 5522. Nie. v. Jeroschin 28 d
V. 167; ahd. in abuh kiran Graff 1, 91. — Auch ehichltchm
bei Suchenwirt 21, 163 fehlt bei Lexer und im Mhd. wb.
eiferie *äfferei' 3958.
ergahnen 'ertönen' 31.
ergiteen 1174. 4103. 4933, s. Beitr. 22, 341.
erklumpen 'zusammenschrumpfen' 2099. 4852 {erUumpt : erstumpt\
vgl. klumpen DWB. 5, 1292. Lexer 1, 1636.
erluekem 'locker machen' 2388 {erluckert : durchzuckert)\ Mckem,
luekem DWB. 6, 1113. Lexer 1, 1975.
sich erluodem: min ougen künden nie derluoder{n) sich der
Sorten frouwen guot 1866 'meine äugen konnten nie genug
in ihrem anblick schwelgen'.
sich erwandelieren 2726, bei Lexer unter wandelieren 3, 672
fälschlich sich her wandelieren nach der hs. W.
gcHanderisch adj.: galanderischer enget 3380.
sich gemildern 'sich mildem' 2350.
gequeckUch adv. 5018, zu quec, s. unten eeckUch,
gesperge n. 461. 1631: nu wil ich aber humen mder mit mtnes
Sinnes gesperge üf des buoches rehte mcUerge, und doch i
ieh dag gesperge rilere der rehten materge, = gesperre
'sparrenwerk, gebälke'; gesperge in der bedeutung 'schar'
bei Lexer 1, 923.
gestrange adv. 5024.
gevlceeen 4100 = vloezen.
gloheen = gdohssen 1955, einfaches loheen 1956. 4495.
gloyren = geloschieren c. acc: die (die färben) wil ich hie vi-
sieren, gar wipenlich gloyren reht in dines antlützes schüt
2412 'die färben will ich in den schild deines antlitzes
einlogieren, ihnen ihre statte darin anweisen'; bei Lexer
intrans. und mit dat. d. pers. 1, 822. 1957.
gränäikisel 1507.
hegein: hole üf einander gehegelt 39, zu hoc, welches nach
26*
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396 BHBI8MAHN
Schmeller-Fr. 1, 1067 'bes. eine kunstlose, leichtere' ein-
friedigung von Stangen ist 'und als solche dem dichtem,
festem zäun wie der hecke entgegengesetzt'; also hier
etwa = leicht auf einander geschichtet.
honecbrunne 4972.
hirkel 'das röcheln': mit heiserer stimme Jsdrkel 1827. Schweiz,
id. 3, 457 chirchel, charcMen, churcMen u. a. DWB. 5, 208
harcheln. Lexer 1, 1551 herchen,
hridenwU 1946.
hritmd 'strähne': ee (das haar) hat sulich krinnel als es van
einer spinnet st hübsch herab gezogen 4453, zu Tcrmne 'ein-
schnitt', s. auch Schmeller-Fr. 1, 1372 hrindel = hrinnel
hrüseln 'kitzeln' 2369 {hrüselt : gemüseU). DWB. 5, 2100 und
2478; im ablaut zu hriuseln 'jucken'. Lexer 1, 1739.
leraic 'linkisch, ungelenk' 2619, zu lerz 'link'.
Uppen- läppen verb.: klaff er, die üb irem munde manic rede
lippen-lappen 559, s. lippen-lappe sb. Lexer 1, 1934 DWB.
6, 1059.
lunder 'brand' 2472. 3274. 3330, lundem 'brennen' 5358. DWB.
6, 1308 : fränk.-henneberg. hmnem 'lodern, hell aufbrennen,
lohen', s. auch Fromm., Mundarten 2, 79, 15. 3,133. 3,404,12;
vgl. Lexer 1, 1983 lünden 'brennen, glimmen'.
Idirpen 'mit der zunge anstossen': ein Uirpent eunge 1275. Schweiz,
id. 2, 1385 lurpen, nebenform zu lurggen, lorggen (ebda.
3, 1381 f.) 'mit schwerer zunge, undeutlich und unverständ-
lich sprechen, lallen, stammeln'. Schmeller-Fr. 1, 1500 lorbsen
(Aschaff.) 'mit der zunge anstossen'; ebda. 1, 1501 und Lexer
1, 1885 lerTcen, lirken, lurken 'stottem'. Schmid, Schw&b. wb.
lurken, lorken 'im sprechen die worte verschlingen, schwer
sprechen' u. s.w. Spiess, Beitr. zu e. Henneberg. id. 156 lurksen
'schwer, mit anstrengung sprechen'.
margramepfelwaazer 'aus malum granatum destilliertes wasser'
2520.
melissenwasfger 'aus melissen destilliertes wasser' 3502. DWB.
6, 1996.
murjseln 1776 und
murzen 2362 'zerreiben'. DWB. 6, 2728.
müseln 'beflecken' 2370, s. oben unter beJcnüsdn. bemüsdn heuer
1,177. DWB.1,1463. Schweiz, id. 4, 484. Grimm, Or,n.abdr.
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BBTTRIGE zum MHB. WORTSCHATZ. 397
Ij 984; vermäseln var. zur Halben bir y. 149. Dazu die
mndentimg mäselsuht für miselsuht, vgl. DWB. 6, 2257.
Müseln steht im ablant zn mhd. tndse 'entstellender flecken',
masel 'blutgeschwnlst' (auch masehtiht = miselsüht\ nhd.
masem.
nacta platonis hunsi: ich hän gemacht ...ein salben riche mit
guoter gunst diu heizet nacta platonis kunst 506; nacta
für napta Tgl. Diefenbach, Gloss. 374b. Nov. gloss. 260, napta
Diet, Gloss. 375 a = resina (Harz) olitrestir peterol. Nov.
gloss. 261. 'Naphta'.
nuofer (: uofer) 'tätig, munter' 72 = wber. Lexer, nachtr. 388,
vgl. Schmeller-Fr. 1, 19. 1714. 1731. Das vorgeschlagene n
ist aus sandhi entstanden; zu beachten ist auch der gram-
matische Wechsel zwischen f und b, s. auch unten ver-
mben, snfen.
ocJufen (: lohzen) ^och schreien' 4496, zu der interjection och
gebildet wie acheen zu ach.
papehrose 'herbstrose, herbstpappel' u.s.w., 3401. DWB. 7, 1445
parisvarwe 3408. 4477, yglparisröt Schmeller-Fr. 1,402.
pfimpfen (: dimpfen) 'vor hitze dampfen' 2341, vgl. Schmeller-
Fr. 1, 427 pfimpfet adj. Das citat bei Lexer 3, 352 vimpen
(: dimpen) ist nach der hs. W und fehlerhaft.
pionienwura 3571, s. peonia, pionia xls.w. Diefenbach, Gloss.
424 a. Nov. gloss. 286.
quadrante schw.m. 'ein messinstrument' 511. DWB. 7,2296. Genn.
28,397. 29,391.
quic m. 'erquickung' 3464. 4603.
rampant 'aufrecht, aufgerichtet' (von löwen etc.), kunstausdruck
der Wappenkunde: alumb an des Schildes rant sehs lewen
ligen rampant 2928. Rapante in barellen unde berlin wiz
rapante durchflorieret 2419 ist wol das nämliche.
raspe f.: dö nu der minnen raspe mich s6 genelich üherwuohs
3284; raspe und rispe 'taubhafer' DWB. 8, 141; raspelein
und rispelein 'isländische flechte' Schmeller-Fr. 2, 159.
schedic 2607. 4513 = schadec.
Schimmer sb. 4794, schimmern 3466, durchschimmern 2405.
Schimmern ist zuerst bei Luther belegt (DWb. 9, 162),
Schimmer noch später (DWB. 9, 159). Die beispiele aus
der Mbg. sind für die geschichte dieser Wörter von wichtig-
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398 EHRISMANN
keit: sie waren längst volkstümlich, ehe sie in der 1
spräche aufnähme fanden.
schregeln: holz geschregelt 400 'schräg über einander
holz' (bei einem floss), \gl. waldschragen 'brel
Schmeller-Fr. 2, 600.
schuofen oder schüefen? 1678 (: ruofen oiev rüefen) *i
schuofe, einem wassereimer, schöpfen'.
selplich ady. zu selp 553.
selwe f. 'schmutz' 2408. 2475.
sendic = *senendic 5014.
serf oder serfe ein edelstein, Serpentin? von serfen golde
gemusieret 2980; vgl. seravin Lexer2, 887.
sich sihtern 'seichter werden' (von einer fürt) 664.
spamisch grüen 'viride hispanicum' 2958 = spängrüe
grüen, grüenspän Lexer 2, 1068.
sprüzzeltn 1498, deminutiv zu sprüzzel Leitersprosse ',
stahelfiunsen (1564) 'feuerstahl, stahl um feuer zu seh]
fiurstein' (1562), vgl. Lexer 3, 879 viurisen. Die stell
schildert den Vorgang des feuerschlagens: mins arm
fiurstein rüert hart an alle zerte din stahelf
herte, da zwischen hat gestözen zun der ein zartei
dar an mins leides swefelkerzen fUrwär sin <
Aelteste erwähnung der swefelkerze bez. des schwe
(swebelhölzUn bei Lexer 2, 1347 erst aus der Zimn
s. auch Alem. 16, 188 f.).
stolzen trans. 'stolz machen' 3626.
stüdeln üf 'darauf bauen, sich auf etwas verlassen'
studel 'unterläge', s. oben sich beknüdeln.
timmern intr. 'dunkel sein' 3465.
üf, Verbalzusammensetzungen: üf rifeln 4275; üf win
üf zipfen 2382.
unervimet 'nicht alt geworden' 3364.
imloben 'tadeln' 3475.
sich unsilden 'sich unselig machen' 1274.
vertumpfen 'dumpf werden', in übertragener bedeutung
geist .,, ist in mir vertumpfet 4669.
verziben 'verkümmern, absterben': ich ml ouch gar
( : geschriben). Schmeller-Fr. 2, 1087 zifen, zifeln (1
'im Wachstum zurückbleiben', verwiesen auf Gn
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BEITRÄGE ZUM MHD. WORTSCHATZ. 399
argibvta residem, zipun iguauos (Ahd.gl.2,422,34. 2, 453, 1).
Schmeller-Fr. 2, 1144 zipfen * schlapp, kränklich, nieder-
geschlagen sein', verzipfen (Würzb.) 'verschmachten'. Spieös,
Henneberg. id. unter zipfen, verzipfen.
visur (ilasür) == visier in der bedeutung *aufriss, plan' 2923,
s. Lexer 3, 374. Schmeller-Fr. 1, 848.
ja vix! 5193, vix DWB. 3, 1697: mhd. ist vix noch einmal belegt
ans Hätzl. 2, 69, 38 = Keller, Erzähl. 666, 18.
vlindem * flimmern' 4882, s. Lexer 3, 288 vervlindern.
wäfnot: wäfnöt ie und wäfen! 4341, aus wäfeno umgedeutet.
wcenie sin in der bedeutung 'wcenen', gegeüsatz zu wizzen: sie
8ol wizzeti und niht sin wdnic 1877.
wint und ach 4943 = wint und we, wozu vgl. Schmeller-Fr.
2,949.
eecklich *in aufreizender, herausfordernder weise': wie maJiht
also zecklich und also gar gequecklich mich mit sulhem leide
gederren? 5017; zu zecken 'reizen, necken'.
zerströufen 697.
zimme {igimme) 3370; diese form für 'zimmt' fehlt bei Lexer
3, 1128.
Zuckerstengel 4974.
Daran reihen sich folgende Wörter, die bei Lexer nur
einmal belegt sind: belesten 1997, herilUn (adj.) 588, heUerisic
4892, durchpolieren 237 (s. J. Meier, anm. zu lolande v. 5784),
dwrchvrischen 212. 247, erkirren 2336, finieren (gefinieret golt)
911, harnen 3731, kengel (kopfputz) 4448, krasteln 3292, krülle
sb. 3444, mahasin (:wtn) 2522, österwunne 4971, pillele 5449,
remedige 5386, spünic 3326 (eigentlich ^spüne, mutt^rmilch ha-
bend', mit linden Worten honges spünic ist also etwa 'von
honig träufelnd'), trindel (: swindeT) 60, violisch 1711.
Etwa 35 Wörter sind bei Lexer nur aus der Minneburg,
ungefähr ein dutzend ausser aus der Minneburg nur noch in
6inem anderen mhd. text belegt.
Als Varianten zu belegten Wörtern seien aus der Minne-
burg verzeichnet:
tinUitze 1806 = timenize Lexer 2, 1439; das von Lexer 3, 1120
angeführte zimelitze ist eine durch Verschiebung von an-
lautendem t>z falsch verhochdeutschte form aus der hs. W.
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400 EHBISMAim
visonomle 430 (visomonye P, visanye W, visamie H), bei Lexer
3, 369 visamei (Vintler).
hnJcer 'ein belagenmgswerkzeug': triböcke Unker halsen 111
= Icedingcßre Lexer 1, 1951.
Einige aus der hs. W bei Lexer aui^enommene dtate sind
zn ändern, so n.a.: statt brasseln: assein, nachtr. 101, ist zu lesen
hrataeln: aUeln 1627 (s. oben aUehi)\ bei lürze, fem. abstr. zu
lu/rz, nachtr. 306, ist das zweite citat zn streichen (1993 lurz
in W fälschlich für guft)\ äugen gapfei 1966, Lexer 2, 182, ist
eine vom dichter beabsichtigte etymologische dentnng von aug-
apfel und nicht in ougen apfel umzuschreiben; statt mit süUen
tritten tucken Lexer 2. 1557 (unter tucken verb.) lies nrit stiXUn
trittes tucken, zu tue sb. 'tftcke' (v. 143); überhiusen 2448, Lexer
2, 1629: die citierte stelle befindet sich in dem der Minnebui^
entnommenen stücke Hätzl. 2, 25, 48, lautet aber im ursprüng-
lichen text den schilt den überhiuset ir här, nicht der sckiU
überhiuset . . . ; üz knüpfen 1963 statt üz knöpfen bei Lexer
2, 2024. Ferner noch
zerpfnürschen 2328; die bei Lexer 3, 1075 aus W angezogene
stelle lautet im urtext nu hcert une sie mich zermürschet, zer-
sJuoc und ouch zerpfnürschet Zerpfnürschen bedeutet wol
'zerbeissen, zermalmen' vjA pfnürschen ist so viel wie knürsdien
DWB. 5,1525 = knirschen im sinne von 'knirschend zerbeissen'.
Wechsel zwischen anlautendem pfn und in, also germ. pn
und kn, wie in pfnüsel und hnüsel 'schnupfen' (DWB. 5, 1526),
pfnischen und knischen 'niesen' (Vilmar, Id. 300), pfnurren und
knurren (Schmeller-Fr. 1, 451), vgl. auch pfnetsten und gneisten
'funkeln' (Stalder 163) und Johansson, Beitr. 14, 329 ff.
ÜUem 2561; verultem im Mhd. wb. 3, 178b und bei Lexer
3, 280 aus dem liederbuche der Hätzlerin (= Minneburg 2561)
ist fehlerhaft für einfaches ultem, Ultem scheint fremdwort
zu sein, aus mlat. ultrare 'stossen', 'contumeliam facere, injurüs
affleere' Du Gange 8, 364b, in dem citat bei Lexer 2, 1721 aufis
obscöne übertragen. Die ganze stelle dürfte übrigens auf die
etymologie von foltern (fultem, s. DWB. 3, 1885. 4, 1, 525) licht
werfen, das an dieser stelle der Minneburg am frühesten be-
legt ist. Sie lautet 2558 ff. (s. auch HätzL 2, 25, 156 ff.) nie
gevangener wart gederret in gevenknisse so sunnde ais ich an
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BEITBAOE ZUM UHD. WORTSCHATZ. 401
aUe Unde: man mich gar dicke ultert, ich wird ouch dicke
gefuttert jstcär über spottes balken, mtns herzen gelider walken
werden üb ir rehten seee. Diese beschreibung und die Zu-
sammenstellung von fultem mit walken lässt vermuten, dafis
fultem ebenfalls ursprflnglicli ein ausdruck des walkergewerbes
war. Nun bestehen neben mlat. feltrum, filtrum *fllz, hären
tuch' formen mit o und u, foltrum, fultrum Diefenbach, Gloss.
250b (es fand dann Verwirrung statt mit fülcrum, fultrum
'bettsteUe und bettdecke' Diefenbach, Gloss. 250b), fultrum Du
Gange 3,429c. 624b, fultrarius 'filzmacher, walker' für feltrarius
Du Gange 3, 428 c. Dementsprechend lässt sich auch ein *ful-
trare voraussetzen neben ßtrare 'filzen', 'filtrum seu lanam
coactam operari, feutrer' Du Gange 3, 500a; somit wäre ßltern,
foltern = wätken. — Das obige fultrum, germ. Ursprungs wie
feUrum, fiUrum 'filz', wurde wider als lehnwort ins deutsche
angenommen, es ist das ahd. mhd. Substantiv fulter (nie ad-
jectiv, wie in den Wörterbüchern, wol zufolge der anmerk. zu
Engelhard 6294, angegeben wird). Der älteste beleg findet
sich bei Otfrid 4, 29, 39 joh Üiär (an dem gewand) unht fulteres
ni wäri 'es sollte an dem gewand nichts von filz, keine filzige,
rauhe stelle sein. Im mhd. erscheint vulter dreimal bei Eonrad
von Wflrzburg: Part. 1133 ä. ein deckelachen lac dar dbe er-
eiuget äne fulter 'ohne filzige, rauhe stelle, ohne makel', dann
in übertragenem sinne ebda. 7840 1 er hete sich dar an gestoln
durch ^ne vaXsche fulter und Engelhard 6294 (s. besonders die
anmerkung) Hn herse an alless fulter lac in der Triuwen kluse.
Weitere beispiele gibt Bech, G^rm. 35, 195 aus der lolande (es
sind nach J. Meiers ausgäbe die verse 356. 5785, dazu folterlos
1988; vgl. auch J. Meiers anm. zu v. 5032) und Zs. fdph. 29, 338.
Das mlat., ursprünglich germ. fultrum, ahd. mhd. fulter steht
im ablaut zu feltrum, filtrum = ags. feit, ahd. file und ist aus
der Wurzel peld- mit r-suffix gebildet; zur etymologie von fih
s. bes. A. Erdmann, Eleid und filz, Skrifter utg. af hum. veten-
skapssamfundet i Upsala 1, 3. — Eine ähnliche bedeutungs-
entwicklung wie die oben bei fulter dargelegt ist die von
fleck == 'flicken, läppen' zu 'makel in sittlicher hinsieht,
Schandfleck'.
Ihrer herkunft nach lassen sich die von dem dichter mit
einer bestimmten stilistischen absieht gebrauchten Wörter, zu
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402 EHRISMANN, BEITBÄGB ZUM MHD. WORTSCHATZ
welchen die im vorhergehenden angeführten axa§
zum grössten teil zu rechnen sind, in drei gruppen
1) es sind fremdwörter, von solchen wimmelt das
2) es sind künstliche bildungen, zum teil des verfass(
die auf dem vorhandenen Sprachstoffe beruhen, wie
Zusammensetzungen mit durch-, der quic, unloben, sich
durf, ougen gapfei; endlich 3) es sind volkstümlicl
die in die literatursprache sonst nicht eingang gefund
und hiermit ist der dem volkstümlichen ganz abgewan
in Widerspruch mit seiner sonstigen richtung geratei
sonst nur aus den neueren dialekten bekannte w(
dadurch für die mhd. zeit nachgewiesen, und selbst
gebräuchliche wie schimmern, kridenwtjs, foltern sin<
Minneburg zum ersten male zu belegen.
HEIDELBERG. G. EHRI8M
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ZUR GESCHICHTE VON ODER.
Im oberdeutschen des 13. bis 15. jh.'s begegnen für oder
formen aJder, alde,^) von denen sich letztere als olt, ol
talten hat (Weinhold, AI. gr. § 25. Deutsche ma. 6, 409). Die
rter sind verschiedentlich zu al, alja 'ander' gestellt worden
von Benecke-Müller, Lexer, Weinhold a. a. o.). Dabei bleibt
;r die tatsache unbegreiflich, dass alde(r) erst so spät in
' literatur auftritt, wol nie vor dem 13. jh. Sollten diese
men nicht vielmehr in Zusammenhang stehen mit ahd. erdo?'^)
ier wäre aus erder ( : erdo = oder : edo, od^) entstanden mit
similation des ersten r>l\ aide wäre aus erdo dissimiliert,
nn ein r im Satzzusammenhang in der nähe stand. Das a
• alde{r) lässt sich leicht mit e von erdo in einklang bringen:
ür e in nebentonigen silben ist nichts seltenes; und dass die
llung unter dem nebenton die lautform unseres Wortes be-
flusst hat, zeigt ja auch die Vereinfachung der geminata in
L edo, an. eää. Auch das o in ol(t) ist dem unbetonten ge-
Luch des Wortes zuzuschreiben: unbetontes^) a vor l wird auch
jst zu o: vgl. Ä^roZd neben heralt (afranz. ÄeraW), Schweiz, soldri
salaire, obersächs. soläd = salat u.s.w. [vgl Lit.-bl.20, 10].
Ist in ahd. erdo rd aus pp auch durch dissimilation ent-
nden? Vgl. auch an. e^, auch etpa (das nach Noreen, An.
§ 186 contamination aus betontem *etta [< ePfia] und un-
ontem eda ist). Freilich kann ich parallele fälle ebenso-
tiig beibringen, wie man dies für die erklärung von as.
0 < aippau vermocht hat;*) doch ist ja immerhin der über-
1) Eanilmann, Geschichte der schwäb. ma. § 184 b. Weinhold, AI. gr.
L7. Mhd.wb.1,22. 2,1,437. Lexerl,35. Schweia. id. 1, 40 (aldaher, cdaber
jder aber in der älteren spräche).
*) Braime, Ahd.gr.« § 167 anm.ll. Grimm, Gr. 3», 54 (»60).
^ Nicht aber betontes a. Holon z. b. ist nicht als halon entstanden,
Lass da« 2 das a zn 0 gewandelt hätte, wie neuerdings wider F. Hart-
in in Dieters Lautr n. formenlehre der altgerm. diall. s. 145 annimmt;
um nicht haUo > *boüo? Vgl. Braune« § 25 anm. 1.
*) Singer, Beitr. 12, 211, dagegen Siebs, Pauls Grundr. V, 744.
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404 HOBN
gang von p> f im germ. nichts unerhörtes, vgl. pUühan >
fliehen und ff^> f in englischen mundarten (Storm, Engl. phil.
V, 825. Engl. stud. 12, 209). Das nord. kennt übrigens auch
einen dissimilatorischen Übergang von r = d (Noreen § 203).
Das von Grimm a. a. o. herangezogene oberbessische ertlich =
etlich (ohd. etteslich) ist anders zu beurteilen als erdo. Die
heute, wie es scheint, selten gewordene form findet sich als
^atlix in mundarten, die auch Jc^l = 'kehle', Sn^H = ^schnell',
feVw = 'kind(er)' u.s.w. sprechen mit dem nachlaut a hinter
vocalen;«) dieses a lautet einem r ähnlich.
Neuerdings hat F. Hartmann in Dieters oben citiertem buch
s. 308 eine erklärung von ahd. erdo vorgetragen. Er sagt:
'eigentümlich ist eine art von r-epenthese in kurzer Stamm-
silbe vor p bei folgendem n unrthar, wirdarj werdar findet
sich mehrfach. Nach werdar scheint dann auch in disjunctiven
fragen und Sätzen erdo (got. aippau) statt Sddo, eäo sein r
bekommen zu haben, wie jedenfalls nhd. oder sein schliessendes
r dem weder, entweder verdankt'. Diese erklärung halte ich
für unwahrscheinlich, da ich mich der ansieht derer nicht
anschliessen kann, die glauben, oder habe sein r von {ent)weder
bezogen (s. unten).
Eine andere eigentümliche form für oder verzeichnet Ph.
Lenz, Der Handschuhsheimer dialekt, progr. von Konstanz 1887,
s. 10, aus dem pfälzischen; ^er von 'unbekannter herkunft'
ist dort seltene nebenform von orer = 'oder'. In Remscheid
(Beitr. 10, 416. 599) kommt dieselbe form vor (^vr), auch in
Greiz (ebber, Mitteilungen der geograph. gesellschaft zu Jena
5,155), jedoch in der bedeutung 'aber'. Und im mittleren
Odenwald begegnet ^er als entsprechung von 'aber' und
'oder'. Holthausens erklärung, wonach ^ in ^vr Schwächung
von a in folge der unbetontheit ist, kann nicht auf das pfäl-
zische und odenwäldische anwendung finden. Es ist also eine
andere erklärung zu suchen.
Aber und oder haben sich bekanntlich in den verschieden-
sten mundarten in ihrer bedeutung beeinflusst, manchmal sogar
ihre function geradezu vertauscht.*) Diese erscheinung erklärt
*) Nach den ermittelnngen meines freundes AUes in Friedberg i. H. —
üeber a vgl. anch David, Germ. 37, 379.
») Oder m aber, (Hcer für oder in bayreutL-fränk, ma. (Bay.maa.2,a66).
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ZÜB OB8CH1CHTE VON ODEB. 405
L nach Behaghel, Deutsche spr. s. 100 daraus, dass die beiden
jnnctionen zur bezeichnung des gegensatzes dienen. Zahl-
5he nachweise der Vermischung bietet Lexer im DWbJ)
Die mundarten nun, die ^er für 'aber', für 'oder*, für
Br + oder' aufweisen, sind noch weiter gegangen: sie haben
T)o (mhd. vereinzelt eäe, md. [Lexer 2, 140J nd. eder) und
r contaminiert. Das e von edo ist also in ^er, eher
w. erhalten wie in mii. edder (Tümpel, Niederd. Studien s.l8).
Als mischung von aber und oder ist wol auch das in der
Ten spräche und auch heute noch hie und da begegnende
ader^) (teils = 'aber', teils = 'oder') zu betrachten; auch
in der Exhortatio ad plebem christianam, MSD.'' 54, 13,
5 == 'oder' im Trierer capitulare. Kaum zu bejahen ist
frage, die ein zusatz im neudruck von Grimms Grammatik
264) stellt: 'erklärt sich aus oder aber das provinzielle mhd.
r (= aber)?'
Ahd. aho, abe (vgl. Seemfillers glossar zu Williram), mhd.
(Lexer 1, 11, dazu J. Meier, lolande 18, fussn.) verdankt wol
endvocal dem einfluss von edo, odo, ode. Obir, ober, öbe,
= 'oder' (vgl J. Meier und Sievers a. a.o.) zeigen beeinflus-
g durch aher.
Und schliesslich hat nhd. oder sein r von aber erhalten.^)
Wörterbücher pflegen die wähl zu lassen zwischen 'com-
ativischer Weiterbildung' und einfluss von weder. Die erste
l&rung erscheint mir unmöglich, unter einer comparativi-
m Weiterbildung von odo kann ich mir nichts denken. Die
ite ist unwahrscheinlich: oder wird doch gewis öfter in
Bindungen wie er oder du gebraucht als mit {ent)u)eder.
*) Vgl. noch besonders die formen in der lolande (worauf mich herr
timrat Behaghel hinweist) bei J. Meier, einl. s. 17 ff., nnd E. Sievers,
rder benedictinerregel, Tübinger decanatsprogr. 1887, einl. s. 9.
1) Damköhler, Germ. 33, 480. Grimm, Gr. 3^ 264. Lexer 1, 21. Schweiz.
89.97. J. Meier, loLia
*) Od noch im jähre 1588 in der Schweiz (Schweiz, id. 1, 97).
DARMSTADT, 3. dec. 1898. WILHELM HÖRN.
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MISCELLEN.
L Zu Wolfram.
1. Bei Wolfi'am finden sich bekanntlich reime wie (gey
stuont : kunt, stuonden : künden, sun : ttwn, stüende : künde in
grosser zahl (s. San Hartes ßeimregister s. 108. 110 f.). Lach-
mann schreibt sie, um reine reime herzustellen stuont : kuont,
suon : tuon u. s. w. Ob mit recht soll unten erörtert werden.
Reime wie z. b. hurte : fuorte 600, 8 oder gefuort : hurt
444, 13 können zur erklärung nichts beitragen, da sie unter
die lautregel fallen, dass i und u vor r diphthongiert werden,
so dass tatsächlich in vielen teilen Deutschlands z.b. gesprochen
wird nu9r, üor ('nur', 'uhr'). Das gleiche ist bei i der faul,
z.b. *wir' gespr. unar, wie denn auch Wolfram bekanntlich oft
ir : ier reimt.
Es bleiben somit, abgesehen von den reimen wie nü : jnto
(San Harte s. 109) und vereinzelten andern beispielen nur solche
fälle übrig, in denen auf den vocal u bez. uo in der gleichen
Silbe ein n folgt, und zwar sind diese reime auf alle bücher
des Parzival verteilt, können also nicht mit Behaghel, Germ.
34, 487 f. als mittel zur entscheidung darüber dienen, ob die
bücher in denen sie sich finden, vor, während oder nach dem
auf enthalte Wolframs in Thüringen entstanden sind, wie schon
W. Hoffmann, Der einfluss des reimes auf die spräche Wolf-
rams, Strassb. 1894, s. 26 und L. Grimm, Wolfram von Eschen-
bach und die Zeitgenossen, Leipzig 1897, s. 60 ausgesprochen
haben.
Ist aber Behaghels annähme, dass jene reime auf thürin-
gischen einfluss zurückzuführen sind, überhaupt richtig? Und
ist es andrei-seits gerechtfertigt, die reinheit der reime dadurch
herzustellen, dass man die M-formen durch solche mit uo ersetzt?
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MISCELLEN. 407
Wenn wir die zeitgenössischen werke aus Wolframs näherer
heimat betrachten, so finden wir, dass auch der mit Wolfram
am nächsten benachbarte mhd. dichter, der Winsbeke, das
reimpaar sun : ttum hat, und zwar gleich im eingang (1, 1 und 3),
während der andere mhd. dichter den wir einen engeren lands-
mann Walthers nennen können, Wirnt, solche reime nicht
kennt. Er reimt derartige formen immer rein, z. b. Wigalois
(Pf.) 14, 27. 39, 40 stuont : tuont, 81, 20 bestuont : tuont Da
nun aber Wimts heimat Gräfenberg fränkisch ist, diejenige
Wolframs dagegen ebenso wie Windsbach in dem gebiete
desjenigen dialektes liegt, der als eine tibergangsstufe zwischen
bairisch und fränkisch zu betrachten ist, so mag es gestattet
sein, die erklärung durch ein analogen in einer neueren mund-
art zu suchen, und zwar in der meiner Vaterstadt Nürnberg,
welche ja das typische beispiel einer Übergangsmundart zwi-
schen bairisch (speciell oberpfälzisch) und ostfränkisch darstellt,
indem ihr vocalismus noch heute rein oberpfälzisch ist, wäh-
rend der consonantismus (der noch zu Grübeis Zeiten ein stark
bairisches gepräge gehabt zu haben scheint) heute schon fast
rein fränkisch zu nennen ist. In der Nürnberger mundart
findet sich nun eine fast vereinzelte form, die den Schlüssel
zur lösung unserer frage gibt, der Infinitiv t^ (mit nasalem u)
und daneben die seltene flectierte form etyna (mhd. ^e tuonne),
für die allerdings, namentlich bei jüngeren, fast stets schon
s^ti/ gesagt wird. Vereinzelt steht die form deshalb, weil die
anderen hier in betracht kommenden formen fast lauter prae-
terita sind — mhd. stuont, stüende — und das einfache prae-
teritom ind. in der mundart überhaupt nicht gebraucht wird,
der Optativ aber durch eine -^-neubildung ersetzt ist: stedt
(auch äthi9t nach 1. 3. pl. praes. stenä). Das wort mhd. huon
ist in der ma. durch putla ersetzt. Die unflectierte form gref
mit nasalem &i kommt nicht in frage, weil zu der zeit von
der die rede ist, das -e von grüene noch nicht gefallen war,
also n nicht zur gleichen silbe gehörte (es wurde grüene also
erst > greind, dann erst > gr&in > grej). Neben inf. t^, flec-
tiert sf^na haben wir 1. 2. 3. sg. i tou, du toust, er tout, wäh-
rend der plural nach analogie von 'stehen' lautet mir (mor)
iena, %r tM, ^ tena, lieber die zeit, wann im oberpfälzischen
uo zu ou, üe und ie zu ei geworden sind, vermag ich nichts
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408 GEBHARDT
ZU sagen, auch sind in Wolframs heimat heute uo, äe und ie
zu u, ü, I monophthongiert, wie denn diese mundart heute ein
durchaus fränkisches äussere hat. Da sich aber Wolfram selbst
Parz. 121, 7 einen Beier nennt, so können wir gewis annehmen,
dass die mundart seiner heimat damals in der hauptsache
bairisch war. Und wenn wir annehmen, dass sie etwa damals
schon auf dem wege war, fränkisch zu werden, so können wir
um so mehr einen yorgang auf sie übertragen, der sich heute
in einer mundart abspielt, welche eben heute auf dem wege
ist, aus einer bairischen zu einer fränkischen zu werden. Die
reime sind also, wenn wir nicht die lesart der hss. beibehalten
oder nach dem mustermhd. normalisieren wollen, nicht mit
Lachmann stion : tuen U.S.W., sondern vielmehr sun : tun zu
schreiben, und zwar mit kurzem u, nicht mit ü, denn *tün
wäre ja heute nicht zu iy, sondern zu toji geworden. Weit
entfernt, spuren thüringischen einflusses auf Wolframs spräche
darzustellen, zeigen diese reime vielmehr, dass er, auch fem
von der heimat, diese freiheit der heimischen mundart in seine
dichtersprache herüberzunehmen sich nicht gescheut hat, wo
es ihm um des reimes willen angenehm schien.
2. Parz. 702, 18 1 liest Lachmann: der sin (sc. schiU) was
Ü0e unt innen zerhwrtiert unt auch zerslagen, obwol sämmt-
liche hss. üsen — oder eine nur graphisch davon verschiedene
form, z. b. G ueeen^ D uoeen — haben. Der grund zu seiner
abänderung der lesart liegt auf der band: durch einsetzung
des elidierbaren üee für das überlieferte uzen sollte die Senkung
auf 6ine silbe gebracht werden. Aber abgesehen von der Über-
lieferung ist auch sprachlich üeen die einzig richtige form.
Der Schild wird doch nicht uze 'draussen' zerstossen und zer-
schlagen, sondern uzen 'von aussen her'. Die participia haben
doch stets den gleichen casus wie das verbum flnitum, es steht
also ebenso wie Parz. 560, 17 1 von fuoz üf wäpent in dö gar
diu süeze maget wol gevar, wo wir gleichsam sehen, wie vor
uns die wappnung des ritters vor sich geht, indem er zunächst
mit den füssen in die kettenhosen steigt und nach oben zu
ein stück dem anderen folgt, bis ihm zuletzt der heim aufs
haupt gesetzt wird, ebenso auch Parz. 120, 24 f. mit part praet
pass. nu seht: dort Jcom geschuftet her dri riter nach tvunscke
vor, von fuoze üf gewäpent gar.
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MI8CELL£N. 409
Es spricht also in sprachlicher beziehang nichts gegen,
alles für beibehaltnng der handschriftlichen lesart, und zwar
nicht zum mindesten auch der parallelismus mit dem folgenden
innen, das ausser der Überlieferung auch noch durch den reim
(gewinnen : innen) gesichert ist.
3. Parz. 280, 13. Wildenberc wird als Wolframs Wohn-
sitz bezeichnet und für das jetzige Wehlenberg erklärt. Es
ist dies ein weiler, aus zwei wohnstätten bestehend, 49^ 9' 50"
n,b., 52' 20" westlich von München (nach der bairischen general-
stabskarte). Doch halte ich für das richtigste, Wildenberc an
der betreffenden stelle für nichts anderes aufzufassen als für
ein Wortspiel. Es ist vorher von der pracht und dem aufwände
zu Munsalvsesche die rede gewesen. Nun ist aber doch wol
anzunehmen, dass Wolframs kenntnisse des französischen ihn
wol haben verstehen lassen, was sein Munsalvcesche, Moni
sauvage auf deutsch heisst. Die worte hie ee Wildenberc u.s.w.
sind m. e. so zu erklären: 'hier, auf meinem »Munsalvsesche«,
meinem »Wilden berg« geht es bescheidener her'. Er benennt
seinen wohnsitz in selbstironie wie die gralsburg, um so den
gegensatz noch mehr hervorzuheben. Ich glaube nicht, dass
zwingende gründe dafür vorhanden sind, Wolfram als auf
einem *Wildenberg* wohnend anzunehmen.
n« firaasch.
In Nürnberg und seiner Umgebung ist ein adjectiv gebräuch-
lich, welches brausch lautet und von denjenigen personen, deren
beschäftigung den öfteren gebrauch des wortes mit sich bringt,
durchaus nicht als mundartlich gefühlt wird. Es kommt meines
Wissens nur beim hopf en und beim holze vor. Hopfen ist brausch,
wenn er zu rasch gedörrt ist, so dass die blättchen der einzelnen
dolden nicht aufeinander liegen, sondern sich sträuben. Brausches
hole ist nach der erklärung eines Zimmermanns in Nürnberg des
tcou recht frech gwachsn is. dau sen sü groussi mx drin, des
spult si überswerch, während es ein Schreiner in Lauf an der
Pegnitz erklärt hat: des wau recht frech gwachsn is. dau sen
recht bräti gaudm drin, des bricht nauch der läng. Die 'grossen
Züge' und 'die breiten jähren' sind selbstverständlich das gleiche:
recht grosse Jahrestriebe, die in folge ihres raschen Wachstums
nicht kernig, sondern locker sind und deshalb, wenn sie zu
Bcitiüge zur gescbichte der deutschen spräche. XXIV. 27
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410 OEBHARDT
brettern geschnitten sind, leicht brechen, die aber auch eine
menge von ansätzen zu ästen aberwachsen und in sich ein-
geschlossen haben, woher es denn kommt, dass sich das Hbrausche'
holz 'überzwerch' spaltet.
Zu diesem worte ist mir bis jetzt noch nicht gelungen,
irgend etwas in einem wörterbuche zu finden ansser dem
artikel 'brauschholz' im DWb., wo aber die erklärung; 'b.
nennen die bötticher weiches holz, das sich leicht verarbeiten
lässt' weder erschöpfend noch unzweideutig verständlich ist.
Das subst brausche f. tuber (mhd. stf. brüsche), das adj. brau-
schig turgidus, tumidus führen die wbb. an, das einfachere
brausch dagegen nicht.
Was das Verbreitungsgebiet des Wortes betrifft, so habe
ich es, soweit es sich auf holz bezieht, bekannt gefunden bei
Personen aus Nürnberg, Lauf, Dinkelsbühl, Marktbreit, während
es mit beziehung auf den hopfen unter hopfenhändlem und
bierbrauern im ganzen hochdeutschen Sprachgebiete gebräuch-
lich sein soll, und zwar überall in der lautform hrausch.
Sprachgeschichtlich muss es mit dem fem. brausche, mhd.
stf. brüsche zusammenhängen, denn der vocal weist ausschliess-
lich auf mhd. ü zurück, indem ou vor dental ja schon ahd. zu
6 geworden sein müsste, während mhd. d zwar im oberpfälzi-
schen zu au (Lauf, Nürnberg), im fränkischen aber zu ä ge-
worden ist (Dinkelsbühl, Marktbreit), und selbst bei oberpfillzi-
schem vocalismus wird wenigstens in Nürnberg von den gebil-
deten in ihrer Umgangssprache mhd. d als d gesprochen. Das
wort lautet aber im munde aller gesellschaftskreise brausch,
soweit es überhaupt bekannt ist.
Es ist also nur noch die frage zu beantworten, ob es sich
der bedeutung nach mit brausche 'beule' vereinigen lässt. Diese
frage lässt sich m. e. sehr wol bejahen. Es ist stets ein
rasches anschwellen vorhanden sowol bei der beule als beim
brauschen hopfen wie beim brauschen holz. Oder sollte mit
Kluge (Et. wb. unter brausche) die grundbedeutung die
' rundliche erhöhung' sein? Dann wäre das brausche holz im
gründe solches holz, das in rundlichen zügen rasch um die
alten äste gewachsen ist, so dass die ganze faserrichtung in
Wellenlinien verläuft, daher es sich denn auch schief spaltet
Hiermit würde sich auch am ehesten vertragen, dass man z.b.
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412 OEBHARDT
flfisse vom eise frei wurden, nachdem sie während der ans den
SQgur männiglich bekannten nordischen winterruhe lust and
kräfte ffir neue abenteuer gesammelt hatten? Dem entsprechend
fasse ich vceringjar als vdrgengjar 'frühjahrswanderer' von an.
vor = lat vet.
IT. TöluspÄ 5,1—4.
Zu den bisherigen deutungen dieser vier kurzzeilen
S61 varp sunnan
sinni Mäna
hendi inni hägii
um hinüniQÖnr
hat vor einigen tagen Wadstein eine neue gefügt. Er erklärt
Arkiv 15 (n.tll) s. 158 ff.: *solen kastades fram söderifr&n
pä högra sidan över himlaranden i mänens sällskap', worin
ich die (hier von mir) gesperrten neuerungen ohne weiteres
annehme. Dagegen erkläre ich sunnan und sinni Mafia anders.
Sunnan muss m. e. mit hendi inni hägri zusammengefasst
und so erklärt werden, wie ich in meinen Beiträgen zur be-
deutungslehre der altwestnordischen präpositionen, Halle 1896,
s. 60 f. Verbindungen wie fyrir — neffan u. s. w. erklärt habe.
Die sonne sieht man zur eigenen rechten aufgehen, wenn man
sich nach norden wendet, also den Vorgang von sfiden aus
betrachtet. Söl varp sunnan — hendi inni hägri heisst also
'die sonne warf sich, d. L sie erschien, rechterhand, von Süden
gesehen'. Ebenso wie die sonne alltäglich im osten über den
himmelsrand, den horizont, heraufkommt, ebenso dachte man
sich ihr erstes erscheinen nach ihrer erschaffung.
Sinni Mdna kann m. a mit 4 mänens sällskap' nicht
richtig übersetzt sein. Ebensowenig wie man täglich sonne
und mond mit einander, das eine in des anderen gesellschaft,
ihren scheinbaren lauf um die erde vollbringen sieht, ebenso-
wenig wird sich der dichter der eddischen kosmogonie das
erste auftreten der sonne und des mondes gemeinsam gedacht
haben. Sinni > *^a-sinpa ist *wer den gleichen weg macht
wie jemand anders', ob selbander oder zu verschiedener zeit
kommt etymologisch nicht in betracht: sonne und mond be-
schreiben täglich eine scheinbare bahn um die erde, welche,
wenn auch nicht für den astronomen, so doch für den gewöhn-
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MISGELLEN. 413
len menschen eine und dieselbe ist. Wenn Gylf. cap. 11. 12.
. 1, 56, 58 gesagt wird, dass Söl auf ihrer täglichen fahrt
die erde in der weise zwischen zwei Wolfen dahinfährt,
RS der sie verfolgende wolf Sk^U sie, der vor ihr her-
ifende wolf Hati HroSvitnisson dagegen den Mini ver-
lingen will, so ist dies doch nur so zu denken möglich,
\8 beide zwar die gleiche bahn beschreiben, aber nicht
t, sondern hinter einander.
Daher erkläre ich die vier kurzzeilen so: zu unserer
^hten hand, wenn wirs von sttden aus betrachten,
m um den himmelsrand herauf (erschien über dem h.)
^ sonne, welche die nämliche bahn beschreibt wie
r mond.
NÜRNBERG, 9. dec. 1898. AUGUST GERHARDT.
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EIN SCHLUSSWORT
ZU CEDERSCHIÖLDS AUSGABE DER
BEVIS SAGA.
Zu Cederschiölds aufsatz 'Ueber die ausgäbe der Bevis
saga' Beitr. 23, 257 ff. gestatte ich mir folgende erwiderung,
indem ich dabei gleich bemerke, dass ich mich bemühen werde,
einen weniger hochfahrenden ton anzuschlagen als C; ausdrücke
wie lächerlich' und 'Unwissenheit' werden in meinen dar-
legungen z.b. nicht vorkommen.
Eecapitulieren wir zunächst kurz die Sachlage. C. legt
seiner ausgäbe der Bevis saga den cod. Holm, membr.6, 4<> (B)
zu gründe, soweit er vollständig, und ergänzt die lücken durch
cod. Holm. 7 fol. (C) bez. durch zwei demselben nahe stehende
papierhss. (yd). Bezüglich der Verwertung dieser letzteren hss.
für die teile der saga, welche in beiden fassungen vorliegen,
erklärt er s. lxiv seiner FSS., er habe aus ihnen 'alle von
unserem texte abweichenden lesarten aufgenommen, so dass
nur die so gut wie wertlosen abweichungen nicht angemerkt
worden' seien. Diese äusserung liegt gedruckt vor; der Zu-
sammenhang, in dem sie vorgebracht wird, ändert an ihrem
sinne nicht das mindeste (vgl. C. s. 262). Wenn er (abgesehen
von einer späteren stelle der einleitung s. ccxl) jetzt (s. 262)
diese in denkbar klarster form abgegebene zusage in merk-
würdig verclausulierter weise dahin abgeschwächt, er habe
^eine hauptsächlich vom nordisch-philologischen Standpunkte
aus einigermassen vollständige Sammlung der abweichenden
lesarten ... zu geben versucht', so muss ihm die, wie mir
scheint nicht ganz leicht zu tragende Verantwortung dafür
zugeschoben werden.
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ZUB BBVIS SAGA« 415
Er hat ferner weder die franz. hss., deren eine ihm aus
inen Beiträgen (1876) s. 136 bekannt sein musste,^ benutzt,
^h auch die englische, 1838 erschienene, oder die gälische
snng, mit englischer Übersetzung gedruckt 1880, zur ver-
ichung herangezogen. Und hätte er wenigstens noch seine
Äge erfüllt, alle inhaltlichen ('sachlich' verstehe ich in
inem aufsatze ebenso wie Elis s. s. xxxvii im gegensatz zu
aphisch', wodurch C.'s darauf bezügliche auslassungen
65 ff. gegenstandslos werden) Varianten von Cyö zu notieren,
träfe ihn zwar immer noch der Vorwurf, eine minderwertige
zu gründe gelegt zu haben, aber er hätte doch dankens-
rtes, vollständiges material geliefert; dass das nicht ge-
ehen, lehrt ein blick auf meine nachtrage. Ja nicht einmal
recht bescheidene aussieht, eine 'hauptsächlich vom nordisch-
lologischen Standpunkte aus einigermassen vollständige
imlung der abweichenden lesarten' zu erhalten, hat C. ver-
*klicht; an einer ganzen anzahl von stellen, wo die lesung
I B sich auch ohne die hinzunahme fremder redactionen
mangelhaft erwies, hat der herausgeber die wichtigen
ianten der anderen hss. anzuführen unterlassen; vgl. meine
B zu s. 216 z. 25, aus der er sehen kann, dass die frage,
Bevis von elf oder zwölf rittem angegriffen wird, doch
it so bedeutungslos ist wie er glaubt (s. 280); femer meine
aerkungen zu s. 216, 38 (vgl. auch Beitr. s. 42 no. 40). 232, 6
itr. s. 46 no. 118). 248, 34 f. 251, 15 f. 57. 251,16. 253, 33 f.
l 256, 50 f. 265, 40 f.
Alle diese punkte stehen fest, und weder die früheren
h etwaige zukünftige argumentationen G.'s werden im stände
I, sie zu beseitigen.
C. behauptet, ich hätte ihm unrecht getan durch die ver-
weigung des umstandes, dass er von jeder saga nur eine
BLction mitzuteilen beabsichtigt habe. Nun, ich habe keines-
ps 'ausser betracht gelassen, dass auch von romantischen
iir verschiedene redactionen existieren können' (s. 261); ich
stehe darunter aber nur solche fälle, wo, um mich etwas
") Wenn Finnin Didot mir, dem Deutschen, 1876, also wenige jähre
L dem kriege, ausdrücklich die erlanbnis verweigerte, eine copie von der
sn nehmen, so ist das wol erklärlich; ein Schwede hätte gewis einen
sren erfolg erzielt.
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416 KÖLBINO
äusserlich auszudrücken, die differenzen so stark sind,
unmöglich wird, dieselben in yariantenform darzustel
das z.b. bei hs. D der Elis saga im Verhältnis zum
codex und bei cod. Holm. 6, 4^ der pjalar Jons saga, y(
mit pöröarsons text, der fall ist. Die verschiedenen
Bevis saga repräsentieren dagegen nur zwei hss.-kla£
besagt schon die von C. s. 265 ausgehobene bemer
meinem ersten aufsatze. Und dazu kommt die fri
sprochene erklärung des herausgebers selbst, dass er ii
falle anders verfahren wolle. Ich fühle mich also '
Vorwurf durchaus frei, in tendenziöser absieht mich e
schweigung schuldig gemacht zu haben. Im übrig
haben wir es gerade hier mit einem grundirrtum C.'£
Es ist nicht richtig, dass jeder herausgeber, wie er ^
setzen scheint, das recht hat, sich selbst eine eigene
methode zu construieren und dann zu verlangen, d^
leistung bloss von diesem Standpunkte aus, als ei
gebenen, beurteilt werde. Ein text der nur auf ei
beschränkten kreis von Interessenten zu rechnen hi
gleich das erste mal in einer form geboten werden,
alle weitere arbeit eine feste grundlage liefert — eL
rung deren berechtigung gewis alle einsichtigen an^
werden. Ist das nicht der fall, so halst der herausg«
benutzer weitere arbeit auf und erschwert zuglei<
händlerisch die Veröffentlichung einer vollständigeren
C. erkennt dies princip nicht an: 'das ganze material i
das möglicherweise zur vergleichung mit den fran:
nötig werden könnte, hatte ich weder beabsichtigt i
sprochen', bemerkt er (s.263*)) und gibt damit das s
was ich hauptsächlich hatte nachweisen wollen.
Eine ganz andere frage ist die nach der i
'formeller' Varianten, wie sie C. nennt; hier köi
meinungen in der tat auseinander gehen, wie ich
erscheinen von C.'s artikel selbst (Publ. of the Mc
Assoc. of America, vol. 13, Baltimore 1898, s. 554) oi
gesprochen habe. Indessen hat kein recensent mei
saga, auch C. nicht, mir einen Vorwurf daraus gema(
ich in dieser ausgäbe selbst in der anführung diese
von Varianten Vollständigkeit angestrebt habe.
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ZUB BEVIS SAGA. 417
C. meint femer, das factum, dass prof . Stimming mii* seine
ien der zwei hss. des ältesten franz. textes geliehen habe,
te stärker betont werden sollen als ich es getan; er glaubt
it fehlzugreifen, wenn er gerade in dem entleihen dieser
len den eigentlichen entstehungsgmnd von meiner strengen
:ik seiner ausgäbe erblicke. 'Und ich kann nicht umhin,
le art, sich über meine ausgäbe zu äussern, mit der über-
jigen kritik zu vergleichen, die ein schüler mit hilfe des in
te bände gelangten schlüsseis des lehrers an der von einem
Schüler ohne dieses unschätzbare hil&mittel angefertigten
rsetzung übt' (s. 259). C. irrt sich. Mir standen die Pariser
in derselben weise zur Verfügung wie Stimming; hätte
ler die abschrift nicht schon genommen und die liebens-
-digkeit gehabt sie mir zu leihen, so würde ich, ehe ich
die herausgäbe des Sir Beves und an die nähere betrach-
s: der saga gieng, die nochmalige ^ reise nach Paris für
len zweck ebensowenig gescheut haben, wie ich versäumt
e, vor abfassung meiner abhandlung über die Elis saga
damals noch nicht gedruckten Elie de St. Gille derselben
iothek zu studieren, oder zum zweck der herstellung eines
ischen textes der me. Ipomandonromanze von den beiden
mz. hss. der — beiläufig ca. 10,000 verse langen — quelle
Brit. museum copien zu nehmen. Beides erachtete ich für
z selbstverständlich, und so erschien es mir auch als ziem-
irrelevant für die sache, wo ich mein unentbehrliches
isches material im vorliegenden falle herbekommen hatte;
die schuldige danksagung gab zur andeutung dieser ver-
.nisse veranlassung. Dass übrigens der für mich nicht
lerlich schmeichelhafte vergleich mit dem 'Schlüssel' herz-
schlecht passt, bedarf keiner ausführung.
Ich habe C. immer für einen sehr sorgsamen und gewissen-
>en handschriftenleser gehalten,^) und darin macht mich
^ Dieser selben meinimg hatte ich Beitr. 19,640 folgenden ansdrack
hen: T.'s textabdrücke werden im allgemeinen mit recht wegen ihrer
»rordentlichen akribie gerühmt'. Ich weiss nicht, wie C. dazn kommt,
{ etwas wie spott zn wittern (s.276): ich habe nichts dergleichen be-
htigt nnd mnss mich gegen eine solche willkürliche Unterstellung
ahren.
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418 KÖLBING
auch der umstand nicht irre, dass sein abdmck einer kurzen
handschriftlichen notiz aus dem 17. jh. vier lesefehler enthält
(vgl. Publ. a. a. o. s. 544) und er in den Varianten zur Clarus
saga zweimal ohne erklärung den casus abgeändert hat (ygL
das. s. 557^)). Sein urteil über mich ist freilich weniger
freundlich: er spricht meinem ergänzenden variantenapparate
Zuverlässigkeit und genauigkeit ab (s.276). Die sache liegt
so. Als ich fär die An. sagabibliothek die herausgäbe der
Flöres saga flbernommen und zugleich beschlossen hatte, der
Bevis saga ein eingehenderes Studium zuzuwenden, nahm ich
im herbst 1892 zunächst einen kurzen aufenthalt in Kopen-
hagen, um über das handschriftliche material einen vorläufigen
überblick zu gewinnen. Bei dieser gelegenheit collationierte
ich u. a. unter ungünstigen beleuchtungsverhältnissen die frag-
mente A und D der Bevis saga, und hielt dann bei ausarbei-
tung des apparates meine collation derselben für genügend,
zumal C. gerade von A besonders reichliche Varianten mit-
geteilt hatte; doch stiegen mir schon bald nach dem druck
des aufsatzes bedenken auf, ob ich darin recht getan hätte.
Die hss. C/d, also das hauptsächlichste material für
meine arbeit, dagegen habe ich lange zeit hier benutzen
dürfen und dabei namentlich gelegenheit gehabt, der oft recht
schwer lesbaren hs. C das eingehendste Studium zu widmen;
ich war in der läge, die correctur in aller müsse mit den
mss. zur seite zu lesen, und ich bin mir bewusst, den apparat
mit der denkbar grössten gewissenhaftigkeit zusammengestellt
zu haben. Höchstens könnte — um ja nichts zu verschweigen
— das misgeschick, dass zu einer zeit, wo die eine der papier-
hss. bereits wider weggeschickt war, auf dem wege von Leipzig
nach Halle ein revisionsbogen durch die post in verlust geraten
ist, vielleicht ein paar kleine ungenauigkeiten verschuldet
haben. Die hss. sind allgemein zugänglich: jeder interessent^
vor allem C. selbst, kann sich mit leichtigkeit überzeugen, ob
ich zu viel behaupte. Ja vielleicht ist eine erneute einsieht
in die hss. zur beurteilung der Sachlage nicht einmal nötig;
fast sämmtliche correcturen meines apparates durch C. (s. 277 f.)
beziehen sich auf die fragmente D und A; nur zwei gesicherte
berühren /rf, und zwar handelt es sich das erste mal s. 209, 4
um ein druckversehen, indem vor 'unnit ok yd' add. ausgefaUen
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ZUR BEYIS SAGA. 419
es war von vornherein unwahrscheinlich, dass beide hss.
n hafdi undir unnit 6k lag \ lesen sollten; unmittelbar darauf
1. eine Unterlassungssünde vor, indem das fehlen von riddari
yd nicht angemerkt worden ist. C. hat etwa ein zehntel
ner liste verglichen: wenn, wie ich zu hoffen wage, das
hältnis fär die übrigen neun zehntel der saga dasselbe ist,
s also in den ca. 3000 einzelangaben sich, was die haupthss.
eingt^ nur etwa zehn druckversehen und zehn auslassungen
ten entdecken lassen, so darf ich wol behaupten, dass sich
werlich jemand finden wird, der eine solche minutiöse arbeit
auer macht. C. müsste diese Sachlage ja wol eigentlich
h bemerkt haben; sein überaus schroffes urteil über meine
ation, das er dann scrupellos auf alle meine bisherigen
»licationen ausdehnt (s. 276), scheint eine solche voraus-
ging jedoch völlig auszuschliessen.
Dass ich A und D nicht zur nochmaligen einsieht für die
•ectur hierher erbeten habe, wodurch auch diese versehen
mieden worden wären, bedaure ich jetzt selbst sehr.
Die zwölf Zeilen lexicalischer bemerkungen, über welche
äch behaglich auf fast drei selten verbreitet, gebe ich ihm
u preis, und bemerke nur, dass den ausdruck ojrag Xeyofievov
ser ihm schwerlich jemand absolut auffassen wird; er meint
nrlich: nach ausweis unserer bisherigen, natürlich nicht
[ständigen Wörterbücher.
So viel für diesmal. Auf andere punkte werde ich gelegen-
'j haben, in meiner kritischen ausgäbe der Bevis saga zurück-
ommen, die ich erst dann zu veröffentlichen gedenke, wenn
nmings lang ersehnter text des ältesten Beuve erschienen
damit für diesen sagenstoff ein neues, unmittelbares inter-
i wachgerufen sein wird.
Nur noch eine bemerkung zum schluss. C. möchte gern
160) einen Widerspruch construieren zwischen meiner recen-
L der FSS. in der Literaturzeitung 1885 und dem in meinem
$atz von 1894 niedergelegten urteil. Auch darin ist er im
echt. Wenn meine ansieht über seine Bevis saga jetzt,
ich die hss. selbst eingesehen habe, ungünstiger geworden
so kann ihn das nach meinen ausführungen kaum wundem,
abrigen aber halte ich sein buch auch jetzt noch für wert-
1, wenn auch nicht als abschliessende leistung, so doch als
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420 KÖLBIK6, ZUR BEVIS SAQA.
sehr wichtige materialiensammlung; ihr habe ich in meinen
anmerkungen zur Flöres saga und zur Ivens saga viele inter-
essante parallelstellen entnommen und femer in meinen notizen
zur Konrads saga (Publ. a. a. o. s. 547 ff.) das von C. gebotene
mit gutem willen nach 6iner seite hin zu ergänzen versucht
— wol die wirksamste art, wie man seine achtung vor der
literarischen leistung eines anderen bekunden kann.
BRESLAU, nov. 1898. E. KÖLBING.
ERWIDERUNG.
Durch die gute der redaction bin ich im stände, gleich-
zeitig mit dem ei^scheinen des obigen 'Schlusswortes' von proi
Eölbing meinerseits auf den erneuten angriff zu erwidern. Ich
werde mich jedoch, um die gute der redaction und die geduld
des lesers nicht zu misbrauchen, sehr kurz fassen.
Betreffend den von K. gerügten ton meines au&atzes
Cüeber die ausgäbe der Bevers saga') mögen wol andere
unbefangener urteilen, ob dieser ton schärfer war, als die art
des von E. (in seinen 'Studien zur Bevis saga') gegen mich
gerichteten angriffs es berechtigte.
Das 'Schlusswort' K's besteht hauptsächlich in der wider-
holung einiger der beschuldigungen, die er bereits in seinen
Studien gegen mich gerichtet hatte. Da ich auf diese beschul-
digungen schon hinlänglich in meinem früheren au&atz ('üeber
die ausgäbe' etc.) geantwortet zu haben glaube, genügt es mir
jetzt auf diesen aufisatz hinzuweisen. Uebrigens wird der
kundige leser wahrscheinlich ohne fingerzeige finden, dass K
im Schlussworte nichts neues zur hauptfrage — über die be-
grenzung des Variantenapparats — beigesteuert hat, und dass
er keinen ernstlichen versuch gemacht hat, zwischen entbehr-
lichen und unentbehrlichen Varianten eine sicherere grenze
zu ziehen.
Wesentlich neu ist aber die behauptung: 'an einer ganzen
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CEDEBSCmÖLDy ERWIDERUNG. 421
anzahlt von stellen, wo die lesung von B sich auch ohne die
hinzonahme fremder redactionen als mangelhaft i) erwies,
hat der heransgeber die wichtigen Varianten der anderen hss.
anzufahren unterlassen'. Den beweis sollen, nach K, zehn
stellen liefern — was wol für eine ^ganze anzahl' nicht allzu
erheblich, wenn es 56 textseiten in quarto gilt. Und diese zehn
beweisstellen, stehen sie wirklich fest? Wir werden sehen.
S. 216, 25 und 216,38 erzählt die saga, hs. B, dass der
held von elf feinden angegriffen wurde, und dass er sieben
von diesen erschlug; die hss. C und D reden, von zwölf und
acht. Aber wie sollte man ohne hinzunahme fremder redac-
tionen ersehen, dass die zahlangaben in B mangelhaft sind?
Auch s. 253, 33 f. wiirde ich wol die schroffe und hochfahrende
behandlung K's (Studien s. 112) schwerlich verdient haben;
denn s. 253, 33 f. stimmt inhaltlich mit s. 253, 24— 25 (Böy)
überein. Es ist wahr, dass nach der saga, s. 255, 17 f., Terri
später aufgefordert wird, aus Civüe zu ziehen. Aber wie sollte
man wider ohne fremde redactionen wissen können, dass die
notiz s. 253, 24 — 25 ein nordischer zusatz ist? War es nicht
einfacher, anzunehmen, der sagaschreiber habe die rückreise
Terris vom hofe Erminriks nach Civile als selbstverständlich
betrachtet (vgl. s. 254, 17 — 18) und folglich die notiz von dieser
rflckreise ausgelassen? — Li der reihe kommen ferner drei
stellen wider, s. 248, 34 f. s. 256, 50 f. s. 265, 40, bei denen E.
schon Studien s. 64 'merkwürdige satzfügungen' gefunden hatte,
und über die ich mich Beitr. 23, 285 f.^) schon geäussert habe.
K. scheint also das für die kritik altnord. texte grundfalsche
princip 'je logischer, je ursprünglicher' festhalten zu wollen. Es
muss wol dasselbe princip sein, das E. bewogen hat, unter die
zehn beweisstellen auch s. 232, 6 1 und s. 252, 16 mitzurechnen;
denn B bietet an diesen beiden stellen nichts, das von alt-
nordischem stilistisch-sprachlichen Standpunkte aus mangelhaft
genannt werden kann; bemerkenswert ist es, dass s. 232, 6 f.
die von B gegebene fassung der rede der heldin die scham-
haftere ist. Auch s. 253, 46 f. ist, scheint es mir, die lesung
von B gar nicht verdächtig, und zwar um so weniger, als die
>) Von mir gesperrt.
«) Vgl. daselbst auch über peir [IUI, er epitr Uf9u].
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422 CEBERSCHIÖLD
lesarten der hss. yd (wie es aus der ganzen darstellnng herror-
geht) schwerlich eine inhaltlich verschiedene bedeutung geben
können. Bei s. 251, 57 (und wol zum teil auch s. 256, feO) zielt
K auf die Verwendung von hvert als relativum; wie kann
aber E. behaupten, B sei wegen dieses Sprachgebrauchs 'mangel-
haft'? Für einen verhältnismässig jungen und (wahrscheinlich
ins norwegische) tibersetzten text ist doch das relativum
hverr nicht befremdend; vgl. Fritzner «. — Von jenen zehn
stellen bleibt jetzt nur eine übrig, s. 251, 15 f. Hier ist wirk-
lich B ^mangelhaft', wie ich auch in einer note zum texte an-
gedeutet hatte; es scheint mir aber fraglich, ob die ziemlich
abweichende fassung von C hier ursprünglicher ist; das ein-
fachste wäre wol anzunehmen, dass ^u in B ein Schreibfehler
für j^ sei
Neu ist endlich K.'s behauptung — die mit der kritik von
Bev. s. nicht viel zu schaffen hat — , ich habe in einer FSS.
s. Lvm 1 abgedruckten notiz vier lesef ehler gemacht, und dass
ich in den Varianten zur Clarus saga zweimal ohne bemerkung
geändert habe; so fasst E. einige annotationen zusammen, die
von ihm in den Publications of the Modem Language Associa-
tion of America vol. 13, 544 (mitte) und 557 (letzte zeile und
note 2) mitgeteilt sind, womit femer das entsprechende s. 558
(mitte) zu vergleichen ist. Da die hs. mir jetzt nicht zugäng-
lich ist, so muss ich es dahingestellt sein lassen, inwiefern
diese angäbe richtig ist. Dass sie tendenziös gefärbt ist,
kann ein jeder finden, der meinen abdruck in den FSS. s. Lvm t
nachschlä^ und sieht, wie K Publ. s. 544 denselben wider-
gegeben hat, oder der Publ. s. 557. 58 (vgl Clarus saga s. 14,
note 19) prüfte wie es sich mit der ^änderung' verhält.*)
Betreffend seine eigenen von mir bemerkten lesefehler
und sonstigen ungenauigkeiten in den ^Studien' tröstet sich K
mit einem optimistischen rechenexempel. Er verlangt jedoch
etwas zu viel von mir, wenn er meint, ich habe merken müssen,
0 Dass ich das ende des (mit roter tinte geschriebenen) Wortes nicht
deutlich lesen könnte, hatte ich durch die Schreibung jtmgfrudoims) an-
gedeutet; wenn auch K., von besserer beleuchtung u. dgl. begttnstigt,
sicherere lesung ermittelt hat, so hat er doch wol nicht das recht eu be-
haupten, ich habe das handschriftliche -dotw in -doms ohne bemerkung
geändert.
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EBWIDERUNG. 423
ie membranfragmente A und D nur unter ungünstigen
n habe benutzen können. Dass ich zufällig gerade
ächste zehntel seiner arbeit nachverglich, konnte ich
sen. Und aus den früheren publicationen K.'s hatte
den eindruck gewonnen, K. nähme es so überaus
t der bebandlung altisländischer texte; vgl. Germ. 20,
ber K.'s Eiddarasögur), Lit.-bL 1880, 93 ff. (über seine
»saga). Zu einigen anderen von seinen publicationen
vor Jahren kritische Sammlungen angelegt, die ich,
t, gesundheit und gelegenheit es gestatten, vielleicht
>mpletieren und veröffentlichen werde.")
ir die Beiträge mnss dieser streit hiermit für abgeschlossen erklärt
LS.]
EBORG, februar 1899. G. CEDERSCHIÖLD.
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EINE BERICHTIGUNG.
Immer hoffte ich noch ein paar falsche angaben, die mir
in meinem au&atz Qber ^Eine populäre Synonymik des 16. Jahr-
hunderts' (Philolog. Studien, festgabe für Sievers s. 401 fL) aus
der f eder geflossen sind, bei gelegenheit einer andern, das gleiche
thema streifenden arbeit richtig stellen zu können. Nachdem
aber sich mir dieser Zeitpunkt weiter, als ich wünschte, hinaus-
geschoben hat, ist es mir wol gestattet, an diesem platze von
zwei freundlichen berichtigungen gebrauch zu machen, die ich
gleich nach erscheinen des au&atzes Schnorr von Carolsfeld
und Edward Schröder verdankte.
Unrichtig hatte ich (1. c. s. 433 anm. 3) aus Schnorrs von
Carolsfeld beschreibung des autographon Melbers heraus-
gelesen, dass Schnon* V. C. zwei Schreiber für die hs. annehme.
Auch der Dresdner handschriftenkatalog spricht nur von
einer band.
Weiter hat Edward Schröder die ihm in seiner ab-
handlung über Jacob Schöpper in der identiflcation Melbers
von Geroltzhofen (darüber meine abhandlung s. 438 anm. 3)
begegneten irrtümer schon selbst nach dem erscheinen von
Töpke's register zur Heidelberger matrikel im Anz. fda. 17, 344
berichtigt.
HALLE a.S. im januar 1899. JOHN MEIER
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Max Niemeyer, Verlagsbuchhandliing, Hallt
Soeben ist erschienen:
Die ethnische und sprachlicli
Griiederung der Germi
von
Dr. Richard Loewe.
1899. gr. 80. (IV und 60 S.) M. 1,60
Frllher erschien:
Die Reste der Germa
am schwarzen Meere.
J^ine otlinologische Untersuch«
Dr. Richard Loewe.
189G. gr. 8". (XII und 272 S.) M. 8-
Druck von EhrhanU KarraH. Halle ». S.
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Ausgegeben den 18. December 1899.
BEITRÄ
ZDB
CHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR.
UNTER MITWIRKUNG VON
HERMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HERAUSGEGEBEN
VON
EDUARD SIEVERS.
XXIV. BAND. 8. HEFT.
HALLE A. S.
MAX NIEMBYBR
77/78 OR. STEINSTRASSE
1899
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INHALT.
Seite
Beiträge zur vorgemiauischen laiitgeschichte. I. Zur erläutening
des germanischen ai. Von S. Bugge 425
Zur geschichte der adjectiva auf -iscJi. Von A. Goetze . , . 464
Zu Hartraanns Rede vom glauben. Von Fr. v. d. Leyen . . . 522
Etymologisches. Von F. A. Wood 527
IJeber den gotischen dat. plur. nahtam. Von H. Pipping . . 534
Zur heimat der Volcae. Von S. Muller 537
Zu Beitr. 24, 403. Von W. Hörn 544
Alte lesezeichen in einer Ortnithandschrift. Von J. Lunzer. . 545
Der artikel bei personennaraert. Von 0. Behaghel 547
Heulied. Von A. Goetze 549
Zum Schlutterscandal. Von E. Sievers 551
Berichtigungen 552
Zur nachricht!
Es wird gebeten, alle auf die redaction der 'Beiträge-' bezüg-
lichen ziiscliriften und Sendungen an Professor Dr. E. Sievers
in Leipzig-(Tohlis (Turnerstrasse 26) zu richten.
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BEITRÄGE ZUR VORGERMANISCHEN
LAUTGESCHICHTE.
I.
Znr erlänterang des germanischen ai.
Man hat längst beobachtet, dass nicht wenige germ. Wörter
ler ersten silbe, namentlich in der nähe der liquidae oder
nasale, einen vocal haben, der urgerm. ai (pi), ei oder l
tussetzt, während germ. Wörter, die mit jenen anscheinend
B verwant sind, oder Wörter anderer indog. sprachen, die
n, wie es scheint, wenigstens zum teil entsprechen, einen
aen oder langen a-, o- oder e- vocal zeigen, z. b. ahd. feili
3n dem gleichbedeutenden fäli, an. fälr. Diese erscheinung
namentlich von Joh. Schmidt in seiner schritt ^Zur ge-
chte des indog. vocalismus' eingehend und anregend behan-
und durch ein reichhaltiges material erläutert worden,
iches haben Herm. Möller in Kuhns zs. 24, 427. ff. Scherer,
düng u. a. besprochen. Noreen (Abriss d. urgerm. lautl.
LI — 215) hat die erscheinung durch viele beispiele be-
btet
Man hat dies germ. ai mehrfach aus der epenthese eines
I erklären wollen. Allein die hierauf bezüglichen unter-
ungen haben zu keinem überzeugenden oder allgemein
kannten ergebnisse geführt. Kluge in seiner trefflichen
beschichte der altgerm. dialekte' hat an der epenthese
fehalten (Pauls Grundr. 1*,365); allein in der zweiten be-
itnng (12,411) schiebt er ein zweifelndes 'woP ein. Er
i einräumen: 'die stricte regel für die germ. epenthese ist
nicht gefunden'. Brugmann (Grundr. 1^, 834) sagt: *für
enthese im germanischen . . . gibt es kein irgend zuver-
g^es beispiel'. Ahd. retMew, das längst mit recchen, got.
icrätfe cur geschichte der deutschen spräche. XXIV. - 28
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426 BÜQGE
uf-rakjan zusammengestellt worden ist und worin Amelung
und Möller, obgleich nicht in derselben weise, epenthese an-
nahmen, vermittelt Brugmann durch ein ursprüngliches *rÄ^'-
(12, 504) mit rahjan; allein sonst geht er auf die frage
nicht ein.
Solmsen (Kuhns zs. 29, 108 anm. 1) leugnet ebenfalls im
urgerm. 'epenthese, von der weder das urslav. noch das ur-
germ. etwas weiss'.
Auch Fick in seinem Vergleichenden wb. hat das problem
nicht gelöst. Streitberg in seiner Urgerm. gramnt bespricht
die frage fast nicht. Ich werde im folgenden eine neue er-
klärung einiger hierher gehörigen erscheinungen versuchen.
Das vorgermanische hat nach meiner Vermutung ein
reduciertes, vielleicht gemurmeltes i (einen schwa-laut mit
t-timbre) gehabt. Obgleich ich diesen laut im folgenden
reduciertes i nenne, behaupte ich damit nicht, dass derselbe
überall aus einem vollen i durch reduction entstanden sei
Vielmehr scheint mir das reducierte i regelmässig aus 9 ent-
standen. Ich bezeichne den laut graphisch durch ein kleines
i unter der zeile. Als die bezeichnung einer älteren form
desselben lautes wende ich daneben oft 9 an. Ich vermute,
dass das vorgerm. daneben andere schwa-vocale hatte.
Nicht selten setzt germ. ai nach meiner Vermutung eine
zweisilbige form des vorgerm. mit zwei vocalen voraus, die
durch einen consonanten getrennt waren. Der erste war
ein kurzes indog. o oder a; der zweite war das aus 9 ent-
standene reducierte i, dem in mehreren Wörtern aind. t, gr. ä
entspricht.
Ich werde zuerst die einzelnen Wörter, in welchen ai nach
meiner Vermutung aus vorgerm. ö oder ä und dem reducierten
t entstanden ist, anführen und die Urformen derselben annähe-
rungsweise zu bestimmen suchen. Sodann werde ich die be-
dingungen und die Voraussetzungen des lautüberganges im
allgemeinen besprechen.
Die Sammlung der belege ist nicht vollständig. Mehrere
Wörter, in denen ich den genannten lautübergang vermute,
bespreche ich liier nicht, weil ich bei ihnen in anderen be-
Ziehungen zweifei hege, die ich nicht entfernen kann.
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BETTBAGE ZUB VOBOERHANISCHEN LAÜTGB8CHICHTB. 427
1. Got. *hraiw in hraiwa-dubo 'turteltaube'; an. hrä n.
(dat. hrcht) 'leiche, aas (eines tieres oder eines menschen)'.
Es bezeichnet die leiche namentlich als das fleisch eines toten
körperSy das die raubtiere und raubvögel lockt. Es tvird oft
im pl. angewendet, wo von feinem menschen die rede ist, und
kann im pl. das lat. carnes widergeben. Ags. hrd, hrdw, hrce,
hrcew, hriaw n. m. 'leiche, aas'; selten und uneigentlich von
einem lebenden körper angewendet. As. ahd. lireo n., mhd. re
n. m. deiche' (auch in abgeleiteten bedeutungen: grab, toten-
bahre u.s.w.).
Mit ir. cH 4eib, körper' (des menschgewordenen Christus)
hat germ. hraiw- gewis nichts zu tun. Die bedeutung des ir.
cH weicht von der ursprünglichen bedeutung des germ. hraiw-
ab. Der vocal des ir. cri ist mit dem des germ. hraiw- jeden-
falls nicht identisch. Ir. cH lässt sich dagegen wol mit lat.
corpus verbinden (Stokes, Kuhns zs. 36, 275).
Auch ksL 6r6vo 'intestinum', aus *(fervo, ist vom germ.
hraiw-, wie bereits J. Schmidt bewiesen hat, verschieden.
Man hat germ. hraiw- oft mit dem aind. Jcravya-m 'rohes
fleisch, aas' zusammengestellt; so z.b. J.Schmidt, Vocal. 2, 475.
Dies passt der bedeutung nach trefflich. Allein ein mit aind.
kravya-m identisches wort *krow-yo-m müsste got. "^hrawi, gen.
*hraujis, an. *hrey, ags. *hre^, *hri^, ahd. *hrewi, *hrouwi ge-
lautet haben; vgl. z. b. got. hawi, an. hey, ags. heg, hig, ahd.
heioi, haum. Indog. "^hrewyo-m hätte got. *Anw?i lauten müssen.
In der vedensprache heisst TcraviS- n. 'rohes fleisch, aas';
diesem entspricht gr. xQiaq, jedoch mit vei^chiedener betonung.
Neben aind. Jcraviä- erscheint ein stamm hravi- in dkravihasta-s
'nicht mit blutigen bänden versehen'. Dem aind. kravi- ent-
spricht gr. xgia (J. Schmidt, Plur. der neutra 337 f.).
Nach meiner Vermutung wurden vorgerm. ori (und an), oh
(oi), omi (anhi), oth (aw<), owi (awi) im germ. zu air (vor conso-
uanten öfter rat), ail (lat), aim (mai), ain {nat), aiw (wai).
Hiemach erkläre ich germ. hraiw- aus vorgerm. *hroWi-, *krow9-,
vgl. aind. hravi-, gr. xgia.
Stokes fuhrt cymr. crau 'blut' auf einen st. krowo- zurück.
kram- steht zu aind. krurd- 'roh' im ablautsverhältnisse. kravi-
gehört zu den von de Saussure erläuterten zweisilbigen aind.
wurzelformen, in denen das -i der zweiten silbe, wie man an-
28*
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428 bUGGE
nimmt, einem indog. 9 entspricht; z. b. tdri-tum, vdmi-tum u.s.w.
Manche solche zweisilbige wnrzelformen haben im gr. und lat ö
in der ersten silbe: iarogsoa (neben lat. stemo), xofisc3, XQ^'
fiaöog neben ^qb^ibtIC^o), 6oXixo(i\ lat. domitumf molitum.
Daher ist eine vorgerm. zweisilbige Stammform *krowrt
*]crow9' unbedenklich.
*krowr gieng, wie ich voraussetze, in *kroiw-, germ. hraiw-
ohne folgenden vocal über. Dies hraiw- gieng im germ. in die
flexion teils der -o- (ä-)stämme, teils der -i-stämme über: got.
hraiwa-dubo, allein u. a. an. hrde aus '^hraiwi
Im ahd. findet sich der nom. acc. pl. retvir: hierin erscheint
ein -5-stamm wie in aind. kravis-, gr. xQsag. Vorgerm. *hrow^'
müsste im germ. zu *hraiws; *hraiw£- werden. Ahd. retmr,
aus urgerm. "^hraitotjso, hat daher das i in der zweiten silbe
durch den einfluss der -e^/öÄ-stämme erhalten. Vgl. gr. d^gog
neben digag; aind. tamas neben tamtsra-; aind. tydjds neben
gr. aeßag u.s.w.
Der bedeutung wegen beachte man anorw. hrcedyri, hrä-
kvikindi animal camivorum, fuglar slita hrce ok eta, vgl. aind.
kravyäd- * fleisch-, cadaver verzehrend'.
Verwant mit germ. hraiw- ist also ahd. ro (rätcer) 'roh
(crudus)', as. hrä, nl. raautv, ags. hreatv, an. hrdr; st. hratca-
und hräwor (an. acc. hrdn aus *hräwana).
Im anorw. findet sich hrer, hrer n. 'leiche'. Dies wird
GuÖr. 1, 5 und 1, 11 hr^, 1, 12 hrgr geschrieben; in einer hs.
der Ynglinga saga hrer, in anderen hreyr, s. die ausgäbe von
F. Jönsson cap. 16. 17. 28.0
hrer erkläre ich nicht aus ^hrewuz, sondern aus *hrosa,
Virum, Das wort ist nach dieser erklärung von einem dem
ags. hreosan 'fallen' entsprechenden verbum abgeleitet. VgL
z. b. frer, fr er von frjösa und in betreff der bedeutung 'cada-
ver', jtTcofia 'leichnam', nord. fall 'körper eines geschlachteten
tieres'. Für diese auffassung spricht sgs.^ehror 'ruin (exter-
minium)'; ferner anorw. hrerna und hreöask (aus ^hrerask)
'hinfällig werden', hrerlegr 'hinfällig'.
*) In hreyr ist also ey bezeichnnng des kurzen e. Daher darf hreyr
nicht mit Noreen aus *hranciz erklärt werden.
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BETTRÄaE ZÜB VOBGEBMANISCHEN LAUTGESCHICHTE. 429
2. Ags. dr f. * rüder'; an. (Jr, dr f. (nont pl. drar), davon
tdsrr 'sechsruderig', teindkrr 'zehnruderig'; umori "^airu, ur-
rm. ''^airö. Aus dem germ. entlehnt Ann. airo, läpp, a^rro,
^ö, airu, est. aer (Thomsen). Aus den läpp, nebenformen
}o, arje ist nicht mit J.Schmidt eine ältere germ. form zu
gem. Läpp, arjo ist vielmehr aus ajrro (a^ro, wo ' die
Ige des zweiten teiles des diphthongs bezeichnet) entstanden;
1. z. b. läpp, uv'ja ^daune' aus *ui'va = anorw. hy (Qvigstad).
lomsen (Finske og halt, sprog s. 110) vermutet, dass lett.
ris 'rüder', lit. vairas, vaira * grosses rüder' ebenfalls aus dem
rm. entlehnt sind. Liv. airas ist secundär vom lett. airis
einflusst.
Urgerm. *airö 'rüder' gehört der bedeutung nach natürlich
t lit. iriü, yrtau, trti 'rudern', preuss. artwes 'schiffreise',
. aQirTjg, a^9)-^(w/S, jiavTrjxovz'OQog, aind. aritrorm 'steuer-
der', aritä 'rüderer' zusammen. Mit diesen Wörtern hat man
s germ. wort oft verbunden. Allein *airu kann nicht, wie
a. J. Schmidt (Vocal. 2, 479 f.) meint, aus *arju entstanden
n, denn dies hätte im an. zu *f r gen. *^ar werden müssen,
ich aus vorgerm. *eryä kann germ. *airö nicht entstanden
n; vgl. z.b. ahd. märi und got. ßrja.
Die indog. wurzel, wozu aind. aritra-m u. m. a. gehören,
,r er9'. Germ. *airö 'rüder' setzt nach meiner Vermutung
L vorgerm. wurzelnomen ort-, ora- oder an-, ar9- voraus.
Die indog. wurzelnomina, sowol die vocalisch als die con-
lantisch auslautenden, sind häufig fem. gen. (Brugmann,
undr. 2>,449ff.). Man nimmt auch zweisilbige vocalisch
»lautende wurzelnomina an, welche fem. gen. sein können.
ie beispiele sind aber undeutlich geworden, da sie nach dem
ndel von 9 zu t im indischen in die i-declination über-
Teten sind' (Hirt, IF. 7, 191). Vgl. aind. jani- f. 'weib', lat.
li-gena, zu sisiä. jani-tdr- U.S.W.; aind. vcmi- f. 'das ver-
gen' zu vani-tar-] aind. khanf 'wühlend' zu Jchdni-tum;
m. a.
Das vorgerm. wurzelnomen *ari' t oder *ort- wurde zu
m. *air'. Dies wurde in die ö-flexion herübergezogen. So
stand nach meiner Vermutung germ. *airö.
Es scheint mir möglich, dass ein Werkzeug wie 'ein rüder'
der Ursprache durch ein wurzelnomen bezeichnet werden
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430 BUGGE
konnte. Vgl. z. b. ags. sulh f., pl. sylh *pflug', ags. /
fyrh 'furche' neben lat. porca, got. baurgs *burg', la
xQoxa acc. * einschlagfaden' neben xQoxt/. Prof. Torp
meine deutung mitgeteilt habe, vermutet dagegen
*airö eine vorgerm. form *ar(ra.
In betreff des ersten vocals vergleiche man vorj
oder *ori' mit preuss. artwes oder mit gr. -oQoq, i
sammensetzungen wie anorw. sexcbrr zu beachten sii
Germ. *mVö, an. ags. dr gehört also nach meini
zu derselben wurzel wie ahd. ruodar und mhd. me/ei
wan, an. roa. Das germ. rö- entspricht dem kelt \
räm, rdme 'rüder'.
3. Got. airus m. 'sendbote' {ayyeXoq^ jiQBößtla),
(wie ein a-stamm flectiert) 'legatus, nuntius, minister,
angelus'. As. *cr, nom. pl. eri. Anorw. ^r, drr (
Aus dem germ. entlehnt Ann. airut 'legatus, nunti
airas. Das got. wort haben einige forscher als ai
gefasst und von der wurzel ei- 'gehen' abgeleitet
spricht schon die bedeutung des Wortes. Anorw. drr
nur 'Sendbote', sondern überhaupt 'ein untergeordne
der im auftrage seines herrn oder seiner herrin e
richtet', 'minister'. Ein mann der im Ynglingata
heisst, wird in der prosa (Yngl. s, cap. 48 F. J. I
skosveinn Äsu drötningar genannt Sigvatr nennt die
des königs konungs cerir (Magn. s. g. Heimskr. cap. 7 ]
ger). Die äsen werden Yggs cerir genannt; die 5
ö^ar 'minister poeseos', u.s.w. Mit drr ist drmaör i
gesetzt: 'ein Verwalter, der im auf trag eines ande
hof bestellt'; namentlich ein mann der einen gmnd
königs verwaltet Auch dies zeigt, dass die grund
von drr nicht ' Sendbote' ist.
Dass got. airu'S, an. drr u.s.w. nicht von der
abgeleitet ist, wird durch ein davon abgeleitetes ^
giltig bewiesen. Anorw. erendi n.; auch eorende
graphisch verschieden ist), eyrende, erendi geschrieben
den man für einen anderen ausrichtet, botschaft (/
erendi), geschäft'; neugotl. arwndi; ags. cercndc; neuen^
as. ärundi] ahd. ärunti. Dies wort entspricht dem s
als nomen actionis genau dem nomen actoris airus, I
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BEITRAGE ZUR yORGEBMAKISCHEN LAÜTGE8CHICHTB. 431
bionis hat in der ersten silbe sowol einen langen als einen
rzen vocal gehabt Einen kurzen anfangsvocal hat aisl.
mdi sicher in dem gedichte Lilja 24. Neuengl. errand setzt
il kürze des ersten yocals voraus. Ebenso nach J. Schmidt
ocal. 2, 477) das aus dem germ. entlehnte ksl. otqdije ^appa-
bus, instrumentum, negotium, res'; vgl. poln. or^ie 'nuntius',
^ndowac 'auftrage verrichten'. Mhd. erende mit kurzem an-
itenden e. Allein in den agerm. sprachen wurde das wort
rwiegend mit langem vocal im anlaut ausgesprochen. Die
rzung des vocals ist vielleicht daraus zu erklären, dass die
eite silbe stark betont wurde.
Nach Sievers (Proben einer metr. herstell, der Eddalieder
J4) lÄird für an. erendi in dem verse oh erendi prymskv. 10
her länge der Wurzelsilbe verlangt; ebenso in riöa erindi
lakv. 3 und in mehreren anderen versen der Eddalieder,
eilich erkennt Sievers jetzt (Metrik s. 61) verse wie af ko-
ngum GuSr. 2, 4 als richtig an. Für länge des vocals spricht
mentlich der vers Sigvats: en eyrindi öru öl. s. helga in
IS. cap. 142. In dem von Wis6n herausgegebenen Homilien-
che wird das wort gewöhnlich eyrende mit ey, selten mit eo
T e geschrieben. Da diese hs. nur sehr selten *) ey txa e
i^v^endet, spricht dies dafür, dass eine nebenform mit dem
Igen diphthonge ey existiert hat.-)
Bei ags. ärende und as. ärundi verlangt das metrum länge
i ä, d.
Das nomen actionis beweist nach meiner ansieht, dass das
von airus nicht = indog. oi oder ai ist. Denn obgleich
l. eyrendi, wie es scheint, aus älterem *airund^ stammt, lassen
1 andere formen, z.b. as. ärundi, ahd. ärunti, daraus nicht
lären.
Die älteste nachweisbare form der zwei letzten silben ist
dt. Hiemach darf man vielleicht vermuten, dass der ur-
*) preyngva s. 165 z, 30.
*) J. Schmidt hat die anorw. form des Wortes nicht richtig hehandelt
führt eyrendi auf *arvjandi znrück und bemft sich dabei auf die von
isson angeführte form örvendi, AUein diese form hat nicht existiert,
einzige dafür angeführte stelle ist ein vers der Fostbroefira saga, allein
bedeutet ^endi ^left-handedness' (Vigfusson, Corp. poet. bor. 2, 175,
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432 BÜGGE
spriinglichere stamm von airus nicht airu-, sondern vielmehr
*airund- war. Wenn wir von dem vocal der ersten silbe ab-
sehen, kann as. ärundi von ^airund-, wie z. b. got. andbahti n.
'dienst' von andbahts 'diener', lat. praeconium von praecon-,
abgeleitet sein. Auch dies spricht gegen die auffassnng, dass
got. airus von ei- 'gehen' abgeleitet sei.
Der urgerm. stamm *atrund- bildete wol den nom. sg.
ohne die endung s, also *airund, woraus regelrecht *airun
entstehen sollte. Allein da ein nom. sg. m. *airun, wenigstens
in der späteren spräche, isoliert dastand, wurde diese form
nach der analogie der w-flexion zu ain^ umgebildet Dabei
wirkte der dat. pl. airum aus *airundm- mit. Aehnlich ist
genn. Hegu-z 'decade', anorw. tegr, wie es scheint, aus älterem
Hegunp entstanden. Brugmann hat bereits ausgesprochen
(Grundr. 2^,491), dass *tegu-£i von einem stamme tegunp- ge-
bildet ist. Er nimmt an, dass nur der instr. pl. und eine
gleichartige dualform den ausgangspunkt der ti-flexion bil-
deten. 0
Ich vermute, dass airtis, aus älterem *airund, mit *airö
'rüder' verwant ist, denn zu gr. igitt^g 'rüderer' gehört vxfj-
QiTTjg 'diener, gehilfe'. Dies könnte in manchen Verbindungen
durch an. drr widergegeben werden; so wenn Hermes bei
Aischylos O^bwv vjtrjQhijq genannt wird, wenn die adjutanten
und Ordonnanzen des feldherm vjtfjQirat heissen, u.s.w. Vgl.
ferner das zu derselben wurzel gehörende aind. arcUi- m. 'ge-
hilfe, diener, Verwalter', und air. ara 'diener, fuhrmann', gen.
arad, st. arat- (Stokes, Sprachschatz s. 39).
Ich vermute hiernach, dass got. airus, urgerm. *airund
part. praes. von einem verbalst, air- 'rudern' ist. Femer dass
air- 'rudern' aus vorgerm. *arr oder "^orr entstanden ist und
dass dies zu indog. eVa- im ablautsverhältnisse steht.
Eine frühere vorgerm. form des part. war wol ^ardnt-.
Ich finde es weniger wahrscheinlich, dass *ardnt- zu *arMnt'
^) Es ist verlockend, im finn. airut eine spiir der vorausgesetzten älteren
germ. nominativfonn *airu/nd, wie im finn. oliU *bier' nach der andentang
Thomsens eine spur von germ. *cUup oder lit. *olut, zu finden. Vgl. Thom-
sen, Finske og halt, sprog s. 158. Finn. ailut * plage' könnte eine genn.
neutralform *aglui sein. Wegen des fehlens des n in aind könnte man
dann finn. iuhat neben tühansi aus lit. tükstantis vergleichen.
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BSITBAGE ZUB V0BGEBHANI8CHEN LAUTGESCHICHTE. 433
wurde wie gr. aya/iai zu aydo/iai. Ich möchte lieber vermuten,
dass vorgerm. arr in anderen verbalformen lautgesetzlich zu
germ. air- wurde und dass die form des part. praes. ^airund-
darnach durch analogie gebildet wurde.
Dass as. ärundi einen anderen vocal als eri (pL), got. airus
hat, beruht darauf, dass die urgerm. form von ärundi zur zeit
der freien betonung auf der dritten silbe betont war.
4. Ahd. feilt, mhd. und mnd. veile, nhd. feil, nl. veil ist
offenbar mit dem gleichbedeutenden ahd. ßli und mit an. fair
'feil' verwant. Darum kann das ei von feili nicht einem indog.
oi entsprechen. Allein wie diese formen sich zu einander ver-
halten, ist bisher nicht erklärt worden. Man hat gr. no^Xico
'verkaufe', Km3L,pana-, pdnate {diV&'^palnate) 'einhandeln, kaufen,
tauschen', ^t.peinas 'erwerb, verdienst' verglichen.
Hierzu gehört femer kelt. (p)elniö 'verdiene' in air. at-rö-
Uli 'meret' (Stokes, Sprachsch. s. 42).
Für TKoXico, lit. peinas u.s.w. vermute ich eine wurzel
*pefo-. Ahd. feili ist nach meiner Vermutung aus vorgerm.
*poUyO'S, *poliyO'S entstanden. Ich lasse es unentschieden, ob
das ä von fäli mit dem ä des as. ärundi gleichartig ist oder
ob fäli vielmehr eine bildung wie mhd. gcebe, got. unqeps, an-
danems u.s.w. ist.
An. fair kann nach der an. form einen stamm fala- oder
fcdi- enthalten. Ich vermute in "^fali-a eine bildung wie die
der adjj. xQotpiq, ögoniq und der substt. germ. mati-s, halgi-z,
gr.xoXig, (lo/i^ig U.S.W. (Osthoff, IF. 3,390).
5. Got. *inail (^vtlq (nur im gen. pl. maile erhalten), ahd.
meüa f. macula, mhd. meil n. und meile t 'fleck, mal', auch
bildlich 'sittliche befleckung, Sünde' (dazu meilen 'beflecken'),
ags. mal n. 'fleck', neuengl. mole 'muttermal'. J. Schmidt u.a.
haben mit recht die folgenden Wörter verglichen: aind. mdla-m
n. 'schmutz, unrat (in der physischen und in der moralischen
weit)', mälind'S 'schmutzig, unrein', später 'von unbestimmter
dunkler färbe'; zt,(iiXaq\ \^\X.melns 'schwarz', melums 'schwärze,
Schmutzfleck', rnelt 'schwarz werden'. Zu diesen Wörtern ge-
hört u. a. cymr. melyn 'gelblich'.
Gr. liiXag setzt eine indog. wurzelform *wiefo- voraus; dazu
verhält sich gr. pLeXav- in betreff des -r- wie xaXav- zu der
wurzelform xaXa-, Zu *wefe- steht vorgerm. ''^mah, *inali oder
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434 BuaGE
*i»ofo im ablautsverhältnis. Aus vorgerm. *mdli, *möfo erkläre
ich mail Vgl. in betreff des o gr. fioXvvo),
Der germ. neutrale substantivstamm nUBla-, mela- ist we-
nigstens in mehreren bedeutungen von got. mail ^ fleck' gänzlich
zu trennen. Von der wurzel me- * messen' ist sicher an. mal
n. 'mass' gebildet. Hiermit identisch ist gewis got. mel n.
'zeit', an. mal 'zeit, Zeitpunkt', ahd. mhd. mal 'Zeitpunkt'.
Ferner mhd. mal 'grenzzeichen, grenzstein, Zielpunkt'. Von
'Zielpunkt' wäre ein Übergang zumhd. fnd2 'zeichen, merkmal,
fleck' möglich. Jedoch finde ich es wa]^rscheinlicher, dass im
germ. mmla-, mela- zwei verschiedene Wörter verschmolzen sind
und dass mhd. mal 'fleck' mit meil 'fleck' verwant ist und
mit an. mal 'mass' nicht zusammengehört Mhd. äne mal
'ohne makel' ist mit äne meil, nhd. mutiermai mit bair. mutter-
mailen, engl, mole synonym. Dem alt. nhd. anmul 'macula,
naevus, cicatrix', ahd. anamäli steht bair. onmail zur seite.
Got. mela neutr. pl. 'schrift', meljan 'schreiben', ahd. *mäl in
anamäli 'fleck, narbe', mhd. mal 'fleck', und vor allem ahd.
mälon, mäUn 'malen, zeichnen', mhd. malen 'färben, schminken,
malen', anorw. mcela 'färben, malen' möchte ich von den fol-
genden halt. Wörtern nicht trennen: lit. melys pl. 'blauer ftrb-
stoff', melynas 'blau', melyne 'blauer fleck', lett meles 'ein
zum blaufärben gebrauchtes kraut'. Vgl. Leskien, Ablaut s. 335.
Das e des got. me^an entspricht genau dem e des lit.
mehfs. Got. meljan kann sich in betreff des vocals der ersten
silbe zu mail verhalten wie ahd. fäli zu feili.
6. An. hreinn m. 'renntier' (n. pl. hreinar), ags. hrdn. Das
wort ist nicht lappisch. Thomsen hat gezeigt, dass ein wort
raingo sich im läpp, nicht findet. Die angäbe Gessners (1563),
dass reen lappisch sei, ist einfach fehlerhaft Auch in den
mitteilungen Öhtheres bei Alfred findet die meinung, dass
hrdn lappisch sei, keine stütze, hreinn aus ^hraina-e ist sicher
echt nordisch und gewis mit gr. xigaq verwant Das tier ist
etymologisch als 'der gehörnte' bezeichnet, wie bereits Jo-
hansson (Kuhns zs. 30, 349) angenommen hat Jedoch finde ich
den von ihm angenommenen stamm *krä'%r 'hom', der auch in
xQi6(; ' Widder' (xQi-fog) stecken soll, nicht hinlänglich gestützt.
Man könnte versucht sein, *hraina-£f aus *hra-ina'jg, indog.
krd'ino-8 erklären zu wollen. Allein ich finde das sufflx -ino-
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BEITRAGE ZUB VORGERMANISCHEN LAUTGESCHIGHTE. 435
nicht in dieser weise angewendet. Ich ziehe eine andere er-
klämng vor.
Wie sich sind, hravi-, gr. xqia neben kraviS-, xgiag findet,
so können wir neben gr. xtQag eine indog. Stammform *ker9'
voraussetzen. Davon kann man durch das secundärsufflx -no-
"^kersnO'S * gehörnt' gebildet haben. Formell entspricht das der
bedentung nach abweichende xeQavl§,ai 'sich kopfüber stürzen'
bei Hesych.
Germ. *hraina-a 'renntier' setzt nach meiner Vermutung
vorgerm. *kor^^o-s voraus. Dies steht zu */cer9no'S im ablauts-
verhältnis. Buss. sema *reh' ist wol nahe verwant; vgl. auch
J. Schmidt, Sonant. s. 33 — 38. Weil im vorgerm. "^kor^no-s ein
n nach ,• folgte, wurde das wort im germ., wie ich vermute,
nicht zu "^haima-a, sondern zu hraina-z.
Für das o des vorgerm. *kor{no-s vgl. gr. xogv/ißoq 'spitze'
und ir. com 'trinkhom', wenn dies nicht entlehnt ist.
Mehrere andere indog. bezeichnungen verwanter tiere ent-
halten das Suffix -no'i gr. iZXoQ * junger hirsch' aus *iXv6g,
vgl. lit. elnis aus *efon?> BB. 17,225; aind, harind-s 'gazelle'.
Sowol in dem von mii' vorausgesetzten vorgerm. */cor9no-s
als im aind. harind-s ist das suffix -no- an eine zweisilbige
wurzelform gefügt, welche im auslaut einen nach einer liquida
folgenden reducierten vocal hat.
7. Got. frcUsan (praet. faifrais) mit acc. 'versuchen', xet-
Qo^siV] fraistubni t jreiQaöiiog; ahd. freisa f. 'tentatio, pericu-
lum', freisön *periclitari', mhd. vreise f. m. 'gefährdung, gefahr,
verderben, schrecken', vr eisen *in gefahr und schrecken bringen';
ES. fresa f. 'gefahr', fresön (mit gen.) 'gefährden, versuchen';
ags. frdsian 'question, tempt'; an. freista (praet freistand) mit
gen. 'versuchen'.
Eine deutung von fraisan als frorisan oder fr(ayaisan
würde der bedeutung nicht genügen; vgl. aind. iS-, icchdti
'suchen, wünschen' (nicht mit pro); iä-, iSyati 'in rasche be-
wegung setzen', mit pra 'forttreiben, antreiben, (zur dar-
bringung oder zur recitation) auffordern'. Mit mhd. ver-eischen,
vreischen 'vernehmen, erfahren, erfragen' ist das ältere verbum,
got. fraisan u.s.w., kaum verwant.
Mit dem germ. fraisan u.s.w. hat man längst gr. und lat.
Wörter, die zu jenem dem sinne nach trefflich passen, zusammen-
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436 BUGOE
gestellt, ohne jedoch die germ. form erklären zu können. Gr.
jttlQa, '&o\.3(iQQa (für jttQJa) * versuch, probe, erfahrung', xeigam
'versuche', mit gen. 'stelle auf die probe', später mit acc. 'ver-
suche'; lat. experior 'versuche', periculum 'versuch, gefahr',
peritus 'erfahren'. Hiemach deute ich das germ. verbe *fraisö
aus vorgerm. *por9sö von einer wurzel *per9; wozu xelga und
eX'penri gehören. Vgl. wegen des s z.b. got. fra-liusa neben
gr. Xvco, ahd. hläsu neben bläu, Verwant sind got. ferja 'nach-
steller', ahd. fära f. 'nachstellung, gefährdung, gefahr', as. fär,
ags. fcer f. 'nachstellung, unvorhergesehene gefahr, schrecken',
anorw. fdr n. 'gefahr, schaden, verderben, zom'.
Genn. *fraisö verhält sich in betreff des ersten vocals zu
ahd. fära, wie ahd. faili zu fall, mhd. meil zu mal.
Das 8 des vorgerm. *por9so- wird vielleicht durch das
subst. ahd. frdsa erklärt, das vorgerm. "^pordsa voraussetzt
— Für die bildung dieses *por9sa vgl. aind. tamsd- von ta-,
tamti,
8. Neunorw. dial. (besonders im östlichen Norwegen) adj.
eim, (Bm, emm, öm, öym, auch cemen, emmen, vielleicht eimen
'unschmackhaft, ekelhaft', besonders von dem allzu fetten und
allzu süssen. Vgl. Aasen und Eoss. In Telemarken ame f. 'ekel-
hafter geschmack'. Hiemach ist anorw. adj. *eifnr, urgerm.
*aim{a?)'jsf, und anorw. *ceminn, subst. *d^ma f. oder cemi t
vorauszusetzen. Aus cemen neben eim folgere ich, dass ei
hier nicht aus indog. oi oder ai entstanden ist.
Im alban. bedeutet dm9t9, dmbdl'd 'süss'; davon tamCd
'galle, milch'. Dies gehört zu aind. amld-s (amblas) 'sauer,
säure, essig', amla-m 'buttermilch'. Für die bedeutungsentwicke-
lung vergleicht man got. sali neben lit. saldüs 'süss', gr.^oq
'essig' neben ^övg 'süss', suhe 'jede zu gallert erstarrte brühe
oder saft, namentlich auch süss eingekochtes fruchtmuss'. Ind.
amld-s gehört mit lat. amartirS 'bitter', nhd. ampfer zu aind.
amd-s, ir. 6m, gr. cifiog 'roh', aind. amiti, amlti 'plagt', amdyaÜ
'ist schadhaft, krank', dmivä 'plage, krankheit', anorw. ama
'plagen'.
Hiemach vermute ich, dass germ. aim- im norw. eim aus
indog. *aw!^-, vorgerm. *anir entstanden ist und dass das wort
zu aind. amiti 'plagt' gehört. Norw. eim 'ekelhaft süss' ist
hiemach mit alb. dm^Vd 'süss' verwant.
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Lgb zub vobgebmanischen lautgesohichte. 437
w. (Btnen, an. "^ceminn verhält sich in betreff des
n, an. eimr, wie as. ärundi zu got. airu-s, Neunorw.
lalogiebildung nach eim, wie umgekehrt emm nach
n. Die Urformen der hier behandelten Wörter lassen
in betreff der sufflbce nicht sicher bestimmen, weil
teueren mundarten erhalten sind.
maitan, maimait 'hauen', bimaitan 'beschneiden';
t (praet. meitta) 'schneiden, scheren' (davon meitül
hd. meizan, mhd. meizen 'hauen, schneiden'. Dieses
etymologisch nicht befriedigend erklärt worden.
ML es mit engl, maitock 'hacke' verbinden wollen,
ist aus dem cymr. maiog entlehnt; das cymr. wort
ksl. motyka, lit. matikas, femer wol auch mit lat.
eoUiy aind. matyä-m zusammen.
und Brugmann führen maitan mit got. -smipa
iif eine gemeinsame wurzel smejc zurück. Allein
- 'in harten Stoffen arbeiten' liegt seiner bedeu-
30 weit ab, dass ich dies bedenklich finde. Noch
5gt das daneben verglichene gr. ö/wf/ 'reibt ab, putzt',
ist dagegen mit gr. tifivsiv wesentlich gleichbedeu-
biniaitan gibt jisQitißvstv, himait jcegirofirj wider.
maimaitun us bagmam vgl. iQii^edv . . . rdfivs viovg
luhip afmaitan wie tafielv xaQa xtpoq. Anorw.
" ist 'die mahne der pferde scheren'; vgl. riftvere
Tjv Eurip. Mit ahd. steinmeiezo, steinmezzo mhd.
meizel vgl. Xatofiog.
mxoq, TfjtfiToc, rifivo} ist eine indog. wurzelform
gem. Indog. verba werden oft durch -do- erweitert,
vel-t (aus vorgerm. *wel-dö) und mit verschiedenem
val-£fu,
h vermute ich vorgerm. *tom9dö, vgl. lat. tondere
is *tom-d^'re, Vorgerm. Homddö wurde nach der
gründeten regel zu Hmoidö, verschoben "^pmaitü.
n im germ. anlaute nicht möglich war, entstand
i. *maitö.
te ö eines vorgerm. Stammes ^toimdo-, woraus germ.
; sich bei Substantiven am leichtesten erklären.
tait n. jtBQixoiirj, norw. dial. meit f. 'streifen, zeile,
meiz m. 'einschnitt', mit gr. ro/wiy, rofiog, rofioq.
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438 BüGGE
Darauf dass das ai von maitan nicht = indog. ai oder oi
ist, deutet vielleicht ahd. steinmezeo neben dem einmaligen sidn-
meizeo, mhd. steinmetee neben steinmeuse, nhd. steinmete; mezao
aus *matja. Oder ist meazo aus dem einfluss des synonymen
roman. wortes (franz. magon, prov. masso) zu erklären?
Für die metathesis germ. maitö für *J>maitö aus vorgerm.
*tomddö vgl. u. a. no. 6 *hraina-g aus vorgemL */cor9no'S.
10. 6ot. "^aglaits 'schändlich' in aglaii-gastalds alöxQO-
xiQÖfjq\ ahd.* analem improbus (labor), sollers; adv. (kgcddzo,
mhd. ageldze 'emsig, eifrig', as. agaUto, agleto; got. aglait^ t
und aglaiti n. aöiXyuay mhd. ageleUie t 'eifer'. Dies wort
gehört sicher zu got. agls aloxQog, dem nach meiner Vermutung
das umord. agala n. auf dem Kragehuler lanzenschaft ent-
spricht.
Femer ist es wahrscheinlich, dass nglaifs mit den ad jectiv-
bildungen zusammengehört, deren suffix ein germ. -t-, vorgerm.
'd' als den charakteristischen consonanten zeigen; z.b. ahd.
gremiessi 'erzürnt', einazisi, gr. fiovdö-, yvfivaö- u.s.w. Allein
das ai von agJmts ist unerklärt.
Es scheint möglich, dass im vorgerm. eine form mit einem a
unmittelbar vor l bestand, obgleich ich hierfür in umord. agala
und ahd. agaleüo keine stütze suche. Ferner scheint es mir
möglich, dass der unmittelbar vor dem -d- (genn. 4-) des Suf-
fixes stehende vocal im vorgerm. ein schwalaut war, der nach
dem vocal der folgenden silbe wechselte und als ein redaciertes
i erscheinen konnte.
Ich setze hiernach vorgerm. *aghalid- voraus. Daraus
entstand nach der von mir begründeten regel germ. "^aglait-.
Allein das a vor i in der vorausgesetzten vorgerm. toTm*aghal4'
kann mit dem a vor l im ahd. agalevso keinen historischen Zu-
sammenhang haben.
11. Ahd. a/raweiz, artviz f. 'erbse', mhd. areweiz, eritveiz,
enoiz, nl. erwt, ert, and. erit-, anorw. erir f. pL, gen. ertra;
aschw. cert, non. pl. certer, gen. pl. a^ta. Das wort gehört mit
gr. Igißiv&og, oQoßog 'erbse', lat. ervum 'eine art wicke' (wie
ags. earfan) zusammen, allein dasselbe ist nicht aus dem gr.
oder lat. entlehnt. Als urgerm. stamme sind ^arwatt- und
arwit' fem. vorauszusetzen. Die suffixe dieser stamme sind
offenbar mit gr. -d-sufflxen verwant; vgl z. b. xsöqIö- f. fmcht
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Ige zue vobgebmanischen lautgeschichtb. 439
xottvaö' t frucht des wilden Ölbaums. Nach der
egebenen regel kann germ. '^arwait- aus vorgenn.
tstanden sein. Dieselbe form des Suffixes habe ich
ehenden bei got. aglaits vermutet.
"^arwlt' scheint auf eine vorgenn. nebenform *or,^id-
1. Siehe davon in dem folgenden artikel über das
m vorgenn. *oroti?,d-, woraus germ. *arwait', waren
7 und das reducierte i, aus denen im germ. ai ent-
, wie im vorgerm. krowt- = germ. hraiw-, durch w
*. arhaifs (st. arbaidi-) f. 'bedrängnis, not'; ahd.
^arbeit, mfihsal, not'; as. arbed f. und arbedi n.
schwerde, leid'; nl. arbeid m.; ags. earbed, earfoÖ,
isl. erfidi n.; aschw. arvo^e, -upe n., (ervojf, -upe, -äpe
larbeit'. Ueber die form des deutschen Wortes vgl.
itr. 19, 551 f. Behaghel, ebda. 20, 344.
allgemein anerkannt, dass das wort mit kslav.
aiechtschaft, frohndienst, arbeit', rabu 'knecht', aus
mmengehört; vgl armen, arbaneak 'diener, gehilf e'.
ir der Voraussetzung, dass arbaips ein nicht zu-
jtztes wort sei, hat man das ai desselben nicht er-
nen. Man hat daher in arbaid{%)' notgedrungen
nensetzung gesucht. Kluge (Et. wb.«) teilt arba-id{t)-
in dem zweiten gliede ein mit anorw. if f. 'werk,
t' verwantes wort, während Thumeysen (IF. 8, 113)
positum mit baid- 'zwang' (zu baidjan) denkt,
[jht ist jedoch germ. arbaid{i) aus vorgerm. *aräbit-
und dies von einem mit dem ksl. subst. rabu zu-
örenden verbum abgeleitet, das 'arbeiten' bedeutet
man in betreff des vokals der letzten silbe aind.
ach' vergleichen? Zur erklärung davon, dass das
'baid-, nicht, wie man nach der für den spiranten-
Itenden regel erwarten sollte, *arbaip- lautet, be-
meysen: ^arbaid- kann sich, falls -aid- suffixal ist,
ticipialsuffix -aidor anlehnen',
id. mhd. öheim, nl. dm, ags. eam 'oheim', afries. im
ler'. Man ist darüber einig, dass dies wort mit
lurS verwant ist, femer mit cymr. ewythr 'onkel'
ter Stokes), com. euitor, bret. eontr] endlich mit
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440 BUQGE
preuss. awis 'oheim', ksl. uji ^avunculus' und lit. airynas 'der
mntter und des vaters bruder'. Alle diese bezeichnungen des
oheims oder eigentlich des mutterbruders sind von der bezeich-
nung des grossvaters mätterlicherseits abgeleitet: lat. avos^
vgl. got. awö t 'grossmutter'. Vgl. namentlich Kluge und
Osthof^ Beitr. 13, 447 ff. Das h von oheim hat man mit dem
c des lat. avonmlus identificiert.
Allein die bildung des deutschen öheim ist noch nicht
klar geworden. Ahd. 61mm führt auf "^auhaima-e zurück; als
urgerm. form vermute ich *aunxaima-si. Dies erkläre ich aus
vorgenn. "^awonhdmo-s. Das o der zweiten silbe wurde durch
den einfluss des folgenden 9 zu oiy ai und durch Versetzung
wurde -ainJc- zu -nxai-'j vgl hraina-z aus */cor9no-s u.s.w.
Nach dieser Versetzung musste vor -nx' einsilbiges off ein-
treten. In dem vorausgesetztem vorgenn. *awonk9fnO'S finde
ich das awon- des lat. avonculus und des britann. ^awonter
wider. Das -hd- von '^awon'1c9mO'S ist deminutivsuffix; vgl.
lat. avon-cu-lus. Endlich enthält das wort das sufflx -mo-.
In indog. verwantschaftswörtem ist -no- ein häufig vor-
kommendes Suffix, dagegen nicht -mo-. So namentlich in den
halt, sprachen: lit. avynas 'mutterbruder', tetenas 'mann der
tetä, der Schwester des vaters oder der mutter', laiganas 'bruder
der frau', u.v.a. Auch in anderen indog. sprachen, z.b. ksl.
AiWww'bruderderfrau', com. Ävtjferen' Schwiegervater'. Darum
liegt die Vermutung nicht fem, dass vorgerm. *awonk9mO'S
durch den einfiuss des w aus *awonk9nO'S entstanden sei; vgl
ahd. piligrim aus lat. peregrintis, ahd. pflumo und pfrüma
gegen lat. prunus, prunum, u. a. ähnL Allein gegen die ge-
nannte auffassung des in oheim enthaltenen m spricht viel-
leicht ahd. eidum 'eidam', ags. däum.
Nach Osthoff ist mhd. ceheim eine compromissf orm zwischen
öheim und *cßhim; das letztere findet er durch neund. ö^m»
bezeugt. Vgl. aber Behaghel, Beitr. 20, 344.
14. Ahd. meinen, meinan 'meinen, denken, sagen, erklären',
mhd. meinen 'sinnen, nachdenken, bezwecken, eine gesinnung
gegen oder für jemand haben'; as. menian, nl. meenen, ags.
mAnan\ ahd. meina f., mhd. meine f. 'sinn, gesinnung, meinung,
liebe'. Man stellt diese Wörter gewöhnlich zu der indog. wurzel
wen- 'denken', wozu u. a. gr. fiifiova, fiivog, ahd. manön, manen
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BEITRAOE ZUR YORGEBMANISOHEN LAÜTGB8CHICHTB. 441
lören; allein man hat die lautform des westgerm. wortes
ht überzeugend erklären können. Die nahe anklingenden
V. Wörter ksl. menjq, meniti * meinen', po-menü 'memoria',
nenq^ti 'gedenken' werden von slav. Standpunkte aus in ver-
iedener weise erklärt; s. Zubat^, Arch. f. sl. phil. 15, 497 f.
illet, MEN s. 26. 36. Brugmann, Grundr. 1^, 388. Ich gehe auf
slav. Wörter nicht ein. Stokes (BB. 21, 131) führt air. mein
in, meinung' auf eine urform meini- zui*ück und stellt dies
) ahd. meinen, ksl. meniti zusammen. Der vocal des air.
rtes ist mit dem des germ. etymologisch nicht identisch,
d. meinen, urgerm. "^mainjan kann von meina, urgerm. *mainö
geleitet sein. Um das Verhältnis dieser Wörter zu gr. fiivog,
lova erläutern zu können, wende ich mich zum gr. liivon,
ch nach meiner ansieht gehört (livco mit (livoq, fii/iova zu-
ttmen, obgleich Meillet, MEN s. 7 dies leugnet. Curtius
mndzüge s. 103) sagt: 'es scheint unzweifelhaft, dass die
ache den begriff des bleibens und beharrens erst aus dem
; sinnenden, zögernden denkens und bedenkens als dem gegen-
l rascher tat, ableitete'.
Aind. man- in mamandM, dmaman 'zögern, zuwarten, still
hen' zeigt vielleicht die vermittelung der genannten bedeu-
igen. Deutlicher ist dies im germanischen. Mhd. meinen
* sinnen, nachdenken'. Davon trenne ich nicht vollständig
aorw. dial. meine, schw. dial. mena 'zögern, sich bedenken,
mtschlossen sein'. Z.b. norw. hä cer'e du std/r ä meiner
n- d kann Ute kämmä a gale? (Boss); schw. dial. han sto ä
na innan han hom sy före. Dies verbum (praes. meinar,
nar) wird formell meistens von dem aus dem deutschen
lehnten meine (praes. meiner, mener) 'meinen' geschieden,
^rher wol auch aschw. utan meen 'ohne Verzug'?
Diese ostnord. Wörter sind, wie es scheint, nicht aus dem
itschen entlehnt. Sie gehören dem sinne nach natürlich zu
. tnaneo 'bleibe, warte'; gr. [livm 'bleibe, warte, harre', oft
; dem nebenbegriffe von Untätigkeit; kelt. "^anmenja 'geduld'
ainmne, cymr. amynedd) Stokes, Urkelt. sprachsch. s. 13 und
)\ armen, mnam 'bleibe, erwarte'; apers. amänaya 'er er-
riete; neupers. manam 'bleibe'.
Gr. fitvBxoq und ion. fut. (uvi<D bezeugen wol eine zweisil-
e wurzelform. Man kann hiemach indog. mend- voraussetzen.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXIV. 29
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442 BUOOE
Arm. mna-m kann, wie Meillet (MEN s. 31) meint, a
entstanden sein. Allein wie arm. cna- in cnaiU '|
aind. jani-, vgl. gr. ysps-, ist, so kann mna- ans *mifu
*men9' entstanden sein. Zweifelhafter ist es, ob ai
'andenken, andacht' und apers. -maniä (in namen)
silbige wurzelform *m^w9- * denken' bezeugen.
Nach dem vorhergehenden betrachte ich mhi
*sinn', urgerm. *mainö als mit an. dr *ruder', urg
aus einer vorgerm. wurzelform ^art- oder *orr, ai
setze für "^mainö eine vorgerm. wurzelform *fwoiir o
(vgl. lat. maneo) voraus. Von *mainö ist *fnainija\
wie anorw. cera 'rudern' von dr, abgeleitet.
15. Wenn man in den aisl. J^ulur unter den (
namen des feuers eimi und eimr aufgeführt flndei
nichts näher als die Vermutung, dass eimi aus *
standen sei und mit ahd. eit 'glut', gr. alO^co zusamn
Jedoch trifft diese Vermutung kaum das richtig*
eimr m. bedeutet 'dampf, weisser rauch' und findet
der alten prosaliteratur angewendet. Ebenso ist e
VQluspi als 'dampf aufzufassen. Nur die kunstdiel
eimi und eimr in der bedeutung 'feuer' angewendet
Die grundbedeutung dieser Wörter erhellt aus
nord. mundarten. Norw. dial. eim m. 'dampf (vi
fltissigkeiten)', 'brodem (dampf oder geruch von {
oder heissen gegenständen)'; allein auch 'schwaches
'schwache andeutung (schwacher geruch oder gescl
etw., flüchtige ähnlichkeit)', 'empfindung eines sehn
eine Strömung im körper'. Daneben das verbum ei\
sprechenden anwendungen. Siehe Aasen und Eoss. N<
m. 'dampf, feuer (dies nur poet.), schwacher undeut
aus der ferne, resonanz, spur von etw.'; s. Thorkelsa
ment, 3. Sammlung.
Auf den Färöem weicht die bedeutung des i
eimur 'wärme von glühenden kohlen', auch 'glühhei
(was anorw. eimyrja heisst); eimingur m. 'schwaches
kleiner angezündeter Scheiterhaufen'.
Gotl. aim m. 'dampf, schwaches lüftchen', akna
ausdünsten'. Aschw. adän. mber, em m. 'dampf; i
in Jütland eme 'dampfen'.
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BETTBAGE ZÜB YOBGEBMANISCHEN LAÜTQBSCHICHTE. 443
Hierher gehört wol auch estschw. aim n. *nordlicht', verb.
impers. aim, äim, das zugleich 'hitzeu' bedeutet.
Nach dem angeführten scheint die grundbedeutung des an.
eimr dieselbe wie die des deutschen atem gewesen zu sein, vgl.
gr. drfiog 'dampf, brodem'. Dies passt nicht zu der Verbindung
mit ald^o}. Die urgerm. Stammform war aima-.
Dies folgere ich aus anorw. eimyrja f. *glfihheisse asche',
dän. emmer; ags. (hnyrie, dBtnerge f., engl, embers, schott. ammeris]
nd. eemere, ämere; ahd. eimuria, mhd. eimere, alt. nhd. ammer.
Dies wort verhält sich zu anorw. eimi, stamm ^aiman-,
kaum wie aind.|>lran zupivan-', ist auch nicht ungefähr wie
got. berttsjös gebildet. Pott, Kluge und Noreen sehen in an.
em-yrja eine Zusammensetzung mit "^uzjö, das mit aisl. poet.
ysia 'feuer', mhd. usel^ üsel 'funke, aschenstäubchen' verwant
sein soll. Diese annähme wird dadurch bedenklich, dass norw.
dial. und aschw. eldmyrja, adän. ildmörie mit derselben bedeu-
tung wie anorw. eimyrja angewendet wird; auch neunorw. dial.
myrja, adän. mörrice, Neunorw. dial. myrja, schw. mörja be-
zeichnet zugleich 'dicke, flüssige masse (z. b. von schlämm)'.
Daher ist an. eimyrja, ahd. eimuria eher aus *eim-myrja,
^eim-muria zusammengesetzt.
Man könnte freilich daran denken, dass man im germ.
zwei verschiedene substantivstämme aim{a') hätte; notwendig
scheint diese annähme jedoch nicht. Sicher ist es jedenfalls,
dass neuisl. eimur, neunorw. eim in mehreren bedeutungen
(z. b. als 'schwaches lüftchen') nicht zu einer wurzel gehören
kann, die ursprünglich 'brennen' bedeutet hat.
Im ablautsverhältnis zu eimr stehen: aisl. ima 'dampf?'
(in der Verbindung eldz ima) Harmsöl 39; neunorw. dial. im m.
'geruch, Witterung' (nicht = anorw. ilmr)\ 'schwacher Schim-
mer, wie von einer fernen feuersbrunst' (ähnlich wird eim an-
gewendet); im n. 'eine schwache andeutung von etwas (durch
Schimmer, bewegung, färbe), welche sich auf einer Oberfläche
zeigt'; ima 'dampfen, eine schwache andeutung geben'; wie
eima 'licht ausstrahlen', 'wie ein schmerz durchströmen'. Neu-
schw. im, imme m.; imma f. 'dampf; schw. dial. immla 'dam-
pfen'; sttdjüt. dial. ime 'rauchen, zu brennen anfangen'. «)
^) Zu eimr, im wol mit dem praefix gat- nonv. dial. geim, gim m.
'dampf Wadstein, IF. 5, 9.
29*
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444 BUGGE
Mit an. eimr und den dazu gehörigen Wörtern
gleichbedeutend ist ein anderer nord. wortstamm: i
dm m. ^ dampf, geruch' (in Finnland); äma, ämo
Windhauch; stimme, ausspräche'; in anderen mundai
m. 'damp^ Windhauch'; vb. äma ^dampfen, duften, i
geruch ausdünsten', anderswo ämtna 'wehen' (hierl
oam 'dampf'?). Durch den einfluss des m geht ä in
geschlossene o über (Falk, Arkiv 6, 116). Daher gehör
norw. diaL 6m m. 'schwacher geruch, z. b. von vei
kom'; ame m. 'geruch von etwas brennendem' (wie
eim); 'sonnenrauch, Strömung warmer und trockener
6ma 'schwach riechen; warm und trocken sein (von
schw. dial. 6ma 'riechen, wärme ausstrahlen, schwach S(
Shetl. a em o' heat 'schwüle hitze'.
Got. ahma 'geist' (jtvevfia) würde zwar in an. :
lauten müssen. Allein die verwantschaft desselben
'glauben', aha 'verstand' zeigt, dass seine grundbedei
andere ist als die des nord. dm. Eher könnte man ge
dies dm mit ahd. ätum zu verbinden; vgl namentl
omma, om 'atem'. Allein man wird nord. dm nicht
dem gleichbedeutenden eim trennen woUeiL Form<
Verhältnis von dm zu eim mit dem von ahd. änm
airus oder von norw. asmen zu eim adj. zu vergleicl
Namentlich ist hier hervorzuheben, dass eine
mundart dmyrja in derselben bedeutung wie eimytja
ist ^ in stark nebentoniger silbe entstanden: vgl. No
gr. 1, 37.
Nach dem vorhergehenden möchte ich vermuten
ei des an. eimr 'dampf nicht aus indog. oi oder ai i
ist, sondern, wie in got. airus und dem norw. adj
vorgerm. a (oder o) durch die epenthese eines redi
das einem aind. i entsprach.
Ich erkläre an. eimr, urgenn. *attna-^ aus vorgemi
und vgl. gr. ävsfiog, lat. animus, von aind. dniti 'at
an-, uz'ön 'hauchen'. Urgerm. ^aimae ist hiemach aus
entstanden, ^ainmaz wurde zu *aimmajSy wie ahd. hami
kel', nd. hamm 'bergwald', aus *ha/nma entstanden
vgl. gr. xv^fiT]^ xi^fiog, "^aimmae wurde zu "^aimaz i
Stimmung mit den von Brugmann, Grundr. 1*, 812 |
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BBITBÄOE ZUR YOBGEBMANISCHEN LAUTGBSCHICHTB. 445
ergangen, z. b. ahd. t€ts aus *wissa'. Die bedeutimgen er-
Iren sich durch diese deutung trefflicL Norw. dial. eim
5h waches lüftchen', schw. dial. dmme m., äma t. 'Windhauch'
e lat. anima *luft, lufthauch, wind'. Das geschlecht wechselt
i nord. zwischen masc. und fem., wie bei avs/ioq, animtis,
dma. Nord, am, dm bedeutet auch 'geruch', vgl. an. angi
ift' und ksl. vanja. Wie bei eimr hat sich bei ags. ddm
3 bedeutung 'dampf aus 'hauch, atem' entwickelt.
Endlich ist bei meiner erklärung norw. dial. ama 'wärme
sstrahlen (Ross) zu beachten. Dies erkläre ich aus urgerm.
nmthi. Das einfache m ist hier wie in anorw. A(>m 'Schenkel'
ben ahd. hamma zu beurteilen.
üeber {m, tma vgl. den folgenden artikel von germ. i.
Warum wurde vorgerm. "^anomo-s zu geTm*ainmaz, *amaß,
zht zu *naima0, während vorgerm. Hor9nO'S nach meiner
utung zu germ. ^hraina-ss, vorgerm. Homedö zu germ. *pmaitö,
\aitü wurde? Die Versetzung scheint in den hier behandelten
itformen vor consonanten nicht in allen fällen notwendig,
adem nur facultativ. Dass im vorgerm. a/n9mo-s Versetzung
jht eintrat und dass das germ. wort die form *ainmajg, nicht
aimag, erhielt, wurde wahrscheinlich durch den einfluss ver-
mter Wörter bewirkt; vgl. got. ua-ön, an. (wd, andi, angi,
S- w.
16. Die Goten Ermanarichs und Theodorichs werden ags.
^ed^oUrn (Elene 20) genannt; dat. HreÖ^otwin (WidsiÖ 52);
u. Hreöa Elene 58. Daneben Hrdeda gen. Wids. 52. Mit der
zteren form stimmt in betreff des vocals anorw. Hreiffgotum
itpT. 12; aschw. hraipkutum und hraiJmuiraR gen. (das gotische
ler) auf dem Rökstein. Derselbe stamm findet sich in personen-
men ahd. Hreidkir, Hreidperht, Hraitun u.m.; aÄLÜreidulfr
^eidarr XL m.; ags. Hrädel (der B6ow. 454 gen. HredUm, 1485
a. Hreöks genannt wird).
Dieser volksname ist besprochen u. a. von Müllenhoff, Zs.
1. 12, 259 f. H.Kem,Taalkund. bijdr. l,29f. S. Bugge, Ueber
\ inschr. des Böksteins, erste abh. s. 35. 43; zweite abh. s. 16. 21.
inzel, Ostgoth. heldensage s. 26 (WSB. 119) ff. R. Much, Zs.
t. 39, 152.
Hreff^otan bedeutet 'die sieg- oder ruhmreichen Goten',
s, hreä' ist aus Ärö^- entstanden; vgl. u. a. got. hröpeigs,
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446 BÜGGE
germ. hröjn- gehört mit aind. Jclrii' f. 'preis, rühm' zi
Germ, hrö- aus vorgerm. *krä- steht zu *Ä;era- 'gedenken^
im ablautsverhältnis.
Ags. Hrceda, mit an. Hretd- und mit ahd. Hreia
verglichen, setzt dagegen die Stammformen *i/rat>i- und
(nicht, wie Much annimmt, Uraipa-) voraus. Ich nehi
den nom. pl. ags. Urdede (nicht wie man gewöhnlich \
Urdedas) an.
Man lehrt, dass Hrdda ursprünglich mit hreö, *hröj
zu tun gehabt habe. Allein dui*ch die von mir angei
regel wird es möglich, Hrceda und Hreäa als etymologisc
bedeutend zu erklären.
Germ, "^hraipi- ist nach meiner Vermutung aus
*kariii- oder *koriti- entstanden. Dieser name der G
deutete also ebenso wol wie Hreäa 'die ruhmvollen'.
Hraipi' ist wol u. a. als erstes glied der composiU
den hauptton auf dem zweiten gliede hatten, zu ä
worden; vgl. got. ßdurdögs neben ags. fyderßte.
Germ. *hraipi- verhält sich in betreff des wurzel^
hröpi- wie *mVö> 'rüder' zu röpra-.
17. Got. tains m. xX^fia 'schössling, zweig am we
(nom. pl. tainös), ahd. inhd. zein 'reis, rute, röhr, ';
metallstab', nd. teen, nl. teen, teene t 'gerte, weidenge
tan, an. teinn. Daraus entlehnt finn. taina 'planta' (1
Fick (Vgl. wb. 1*, 459) vergleicht hiermit gr. öoi
öcova^ m. 'röhr, rute', lit. dü'nis 'binse', lett. döni pl
Allein er hat die form des germ. Wortes nicht genf
klärt. Ein anderer versuch bei Prellwitz, Et. wb. der
ist auch wenig sicher.
Ich erkläre germ. taina-e aus vorgerm. *d(m9-. \
in ö&va^, lett döni', neben *don9-, ist dorn- (vgL gr. d
armen, tun) neben öina-q analog. Vgl. im folgendei
lakon. ^Qciva^ neben ags. dran. Für die bedeutung is
zuheben, dass mhd. zein, neunorw. dial. tein wie öop
584 von einem pfeile angewendet wird. Die an. d<
ableitung teinungr, aschw. tenunger, entspricht wol i
des Suffixes wesentlich dem gi*. 66va§, aus -f^-.
>) Wurzel ds(t) : dö : deji^a : dai 'schwingen* (6ovi(o, ölyoq).
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BEITRAGE ZUR V0RQERMANI8CHEN LAUTOESCHICHTE. 447
Ajl tdnunffr verdankt sein d (aus ai) dem stamm worte
nn; die lautgesetzliche fonn des abgeleiteten wertes wäre
tnunga-, vgl. ö6va§. Vgl meine bemerknngen zu airtus
).3).
Die hier gegebene erklärung des got. tains erklärt das
erklärte got. fauratani n. 'wunderzeichen' (rigag), denn -tani
rhält sich in betreff des vocals zu tains wie an. fair zu ahd.
U. Germ, tan- in fauratani entspricht dem gr. 6ov- in ö6va§.
ich nach der bedeutung kann fauratani wol mit tains zu-
inmen gehören, denn ags. tan, an. teinn bezeichnet ja den
mus sortilegus.
18. Ahd. (alem.) neiman (neimda) 'loqui', beneiman *decer-
re, statuere', mhd.beneimen ^bestimmen, festsetzen, verheissen'.
; ist wol sicher, dass dies verbum mit name, nennen zusammen
hört; vgl. besonders mhd. bentwmen 'namhaft machen, urkund-
h verheissen'. Allein neitnan kann nicht, wie J. Schmidt u. a.
genommen haben, aus namnjan entstanden sein.
Ich erkläre germ. '^naimtp aus vorgerm. *noin^iyeti, *wö-
miyeti, vgl. gr. ovoftalvo).
Diese erklärung wird durch germ. formen wie got glit-
mjan * glänzen' nicht widerlegt. Wenn die von mir voraus-
setzte form vorgerm. *nom^iyeti ein reduciertes i hat, wäh-
id got. glitmunjan vor n ein u hat, so darf man an ahd.
benformen wie tvirtin neben wirtun, enit neben anut erinnern.
1 nehme mit Bezzenberger (BB. 17, 221) an, dass in der vor-
rm. spräche mindestens zwei verschieden gefärbte schwas
n t-schwa und ein w-schwa) vorhanden waren. Der Wechsel
)ser laute war wahrscheinlich durch die umstehenden laute
üngt, ohne dass wir die dabei geltenden gesetze jetzt im
izelnen bestimmen können.
Auch der umstand, dass in got. glitmunjan ein vocal vor
erhalten ist, während ahd. neiman den früheren schwund
les solchen voraussetzt, kann meine erklärung nicht wider-
en. Denn bereits got. namnjan zeigt, dass wir kein recht
t)en, hier einförmigkeit zu fordern. In 1) glitmunjan, 2) ahd.
man aus vorgerm. ^nom^lyo-, 3) nanmjan sind drei ver-
iedene stufen vertreten. Der Wechsel dieser stufen ist gewis
•ch den Wechsel der betonungsverhältnisse in der vorgerm.
ache bedingt.
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448 BÜGOE
19. Ahd. chSren, nhi. kehren ^vertere', zunächnt aus *Ä»fr;an;
as. kerian und kerön-, subst. ahd. chera t und eher m. Dieses
wort, das etymologisch noch nicht genügend erklärt ist, weicht
formell vom ags. cierran (praet. äerde) *kehren, wenden' (zu-
nächst aus *karrjan\ subst. cierr m. (aus "^karri-) ab. Neben
mhd. kSren findet sich in derselben bedeutung kerren, das wol
zu ags. cierran gehört. An. keyra (praet. keyröa) 'jagen, treiben ',
das der bedeutung wegen nicht zu got. ka/usjan 'kosten, prüfen'
gehören kann, ist in mehreren anwendungen mit kehren synonym.
Es heisst 'vieh auf die weide, in einen wald kehren', i h.
treiben; dais vihe dierten sie uberal 'Hessen es allenthalben
weiden'. Ebenso aschw. körde sin swin Mit tothpa aaUenskog.
Norddeutsch die hühner kehren, d.h. 'jagen, treiben, scheuchen';
ganz in derselben bedeutung mengl. charen atvay und an. keyra.
Nl. den vijand keeren, d. h. 'abtreiben', wie aschw. köra bort
'abtreiben, vertreiben'. Im deutschen dcuf ros keren 'das ross
antreiben, in eine bestimmte richtung reiten', wie an. keyr<L
Aschw. alle the thin viisdom hördJie, äff hlygdh oc wnder fron
thegh körde, d.h. 'giengen fort', wie deutsch keren 'fortgehen';
hier ist das aschw. wort vielleicht vom deutschen beeinflusst.
Schweiz, heisst es diesen kehr 'dieses mal', einen andern
kehr. Ebenso in anderen deutschen mundarten, z.b. nnd. de
erste, twede Mr. Dies stimmt mit der anwendung des ags.
cierr überein: cet dnum cierre 'einmal', oet oörum cierre 'das
andere mal'. Mit Schweiz, es god i em chir 'es geht in Einern
geschäfte (in einem hin)' vgl. dän. i en kjöre, schw. dial. i eU
köre 'in einem zuge fort'.
Nach diesen Zusammenstellungen, die sich grösstenteils
bereits im DWb. finden, scheint es mir deutlich, dass ahd.
cheren (aus *kairjan)j an. keyra (aus *kaurjan) und ags. derran
(aus *karrjan), subst. cierr (aus *karri') zusammen gehören.
Sie können durch vorgerm. formen vermittelt werden.
Ags. cierre kann aus *karrjö, urgerm. *kar£fijö, vorgerm.
*garsiyö entstanden sein. Ahd. chiru aus *kairijö, ^kairr^fö,
urgerm. *kairzijö, vorgerm. *garisiyö. An. keyri aus *kaurijö,
*kaurrijöy urgerm. ^kaurzijö, vorgerm. *gar„siyö, Vorgerm. formen
*garriyö, *ga/r{riyö, *garuriyö finde ich weniger wahrscheinlich.
Ueber an. keyri aus "^kaurzijö, vorgerm. *gar^yö vgl. einen
folgenden artikel, wo ich germ. au bespreche.
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BEITRÄGE ZUR VORGERMANISCHEN LAUTGESCHICHTE. 449
Ahd. cheren aus *Jcairja', *hairdja-, vorgerm. ^garisiyo- ver-
It sich zu ags. derran aus ^karjnja-, vorgerm. *garsiyo-, wie
d. neiman aus vorgerm. *w(w»<wiyo- zu got. namnjan. Der
H^hsel der reducierten vocale im vorgerm. *garisiy0' neben
drusiyo' ist mit dem Wechsel in germ. wortformen wie ahd.
it — anut 'ente', ags. reced — as. racud *gebäude', ags. hymet
ahd. homuz 'homisse' u. a. bei Noreen, Abriss d. urgerm. lautl.
34—66 analog. Ahd. cheren aus *garisiy0' stimmt in betreff
s reducierten i mit hraifo, aus *JcrouHr, überein.
Vom fries. Jcira 'kehren' trennt Siebs (Zur gesch. d. fries.-
gl. spr. 1, 266) nordfries. kere 'fahren, treiben', das er auf eine
Eorm ^körjan zurückführt. Allein dies Teere ist wol aus dem
n. leere entlehnt.
Die vorausgesetzten vorgerm. verba *gariStyU, *garusiyö,
üLrsiyü-, die unter sich wesentlich identisch sind, betrachte
i als ableitungen von einem subst. *gariS-, *gar^', *gars-.
e wurzelform ist *g€Mr' oder wol älter gor-.
Zupitza (Die germ. gutturale s. 211) stellt ags. cierran, ahd.
hren mit cymr.gyrru 'treiben', gyrr o wartheg 'drove of cattle'
sammen.
20. Got. aihy aigum; an. d, eigwfn\ ags. dh, dson\ ahd. eigut^,
(hrere gründe, die Möller (Kuhns zs. 24, 444 f.) gegen die jetzt
liehe Verbindung dieses praet-praes. zunächst mit aind. ige,
est. i$e vorgebracht hat, haben noch jetzt gewicht. Die ar.
•men, denen keine europ. formen entsprechen, bezeugen nicht
le indog. wurzel *ei^-, perf. *oitca, und bei der genannten
sammenstellung ist die germ. form aigur^, nicht *igun, höchst
Efallend. Möller und J.Schmidt haben die Verbindung des
rm. aih, aigun mit aind. änq^gct, änagür versucht, allein ohne
big. dnq^a ist perf. zu oQn^&mi 'erlange, komme in den besitz
er Sache' und passt somit der bedeutung nach trefflich zu
\. Dass änq^ eine urindog. bildung ist, wird durch air.
vuLC 'kam' bezeugt; vgl. gr. ivsyx^lv. In den auf der endung
,onten formen wurde der vocal der Wurzelsilbe reduciert.
j vorgerm. form der 3. pers. pl. ist daher ^an^kni möglich
:1. wegen des reducierten i aind. prminat von an-). Daraus
inte nach der von mir begründeten regel urgerm. "^ainxun
stehen. Nach dem diphthong konnte sich das n vor x Glicht
ten; geim. aigun, *aixün lässt sich hiemach aus *ainxün
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450 BÜGGE
erklären. Vielleicht sind jedoch die germ. formen eher aas
Yorgerm. *ani/cunt zu erklären und näher an die nicht nasa-
lierten formen aind. änäga, gr, xar-ijvoxa * xazsvi^oxa zu
knüpfen. Germ, formen wie ags. {^e)nugon, frugnon, die in
der ersten silbe u haben, können dies nicht widerlegen.
Unter dem einfluss der germ. perf ectformen mit ai in der
Wurzelsilbe (wait VLS.yr.) wurde das ai aus den pluralformen
(aigun u.s.w.) in die singularformen übertragen.
Ahd. eigan, as. egan, ags. d^en, an. eiginn, urgenn. *at-
gand' ist hiernach aus vorgerm. '^afwhno- oder "^anjcono- ent-
standen und mit aind. part perf. änagänd' zusammen zu stellen.
6ot. aihts f. (stamm aihti-) ^eigentum, besitz', ahd. iht, ags.
ceht (an. cett 'geschlecht') ist von derselben wurzel wie aind.
dSfi- f. 'erreichung' durch dasselbe suffix abgeleitet, allein das
germ. sahst, schliesst sich in betreff des ersten vocals und der
bedeutung dem perfectstamm an.
21. Ags. wdsendj wdesend f. m. Hhroat, gullet, ruminating
stomach'; neuengl. weasand Luftröhre'; afries. wäsende Luft-
röhre'; ahd. weisunt 'arteriae'; Schweiz, oberd. tvaisd, winsd,
wäsling m. 'Schlund widerkäuender tiere'. Vgl. Diefenbach,
Got. wb. 1, 246. 2, 748. Hertzberg und Zacher, Zs. f dph. 10, 383 iL
Das wort ist etymologisch bisher nicht genügend erklärt IsL
vcBsa 'spirare', das man verglichen hat, ist in der alten lite-
ratur nicht nachgewiesen (vgl. neunorw. dial. vcesa 'erfrischen,
erwärmen' und isl. vas 'aura refrigerans'). Der stamm *ii?ai-
sund- scheint ein altes participium. Nach meiner Vermutung
aus vorgerm. *aw9snt', zu gr. aijfn, aeiq gen. aivxoq. Wegen
des s vgl. u. a. fraisan, got. fra-lmsu neben gr. Xveo, ahd. bläsu
neben bläu u.s.w.
22. Mit ahd. toeisunt, ags. wdsend parallel ist gotländ.
vajlunde m. 'Speiseröhre', aisl. velendi n., neuisl. vcelindi. Dies
wort hat in den neunord. mundarten vielfache nebenformen.
Von diesen führe ich die folgenden an: nordschw. valan, vMan
m. (in bestimmter form); norw. dial. velende n., vmlende, vaeland,
volende, vdhfnn, vaoUende (aus *vdlende)j vailen m., im südöstL
Norw. viljan. Das von norw. formen vorausgesetzte *vdlendi
verhält sich in betreff des ersten vocals zu gotL tnylunde, wie
as. ärundi zu got. airus. Für den parallelismus des gotl, vaj-
lunde mit dem ags. wdsend ist es zu beachten, dass ags. wdsend.
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ÄGE ZUR VOBGERMANISCHEN LAÜTGESCHICHTE. 451
ie, ^Speiseröhre' bedeuten kann. Dies macht es
lieh, dass vqjlunde nicht nur wesentlich wie wdsend
st, sondern zugleich, dass germ. wai- in vajlunde
wai- in todsend identisch ist und dass das ai in
»elben Ursprung hat. Daher vermute ich, dass vaj-
i. *wailund' aus vorgerm. "^au^lnt- entstanden ist.
ftt ist wol cymr. awell t 'conduit, pipe'. Dies kann
;erem *awelna entstanden sein und zu awel 'flatus,
s\ gr. asXXa, äol. aveXXa gehören. Vgl. gr. avXog
i', aind. vänd- m. 'röhre', vdnl- f. 'röhr', Persson,
lier 189.
Uendi, aus *velyndi, scheint vorgerm. *9W9l" voraus-
den folgenden artikel über germ. t. Norw. viljan
Bm wenig ursprünglichen dialekte an; ich wage
its sicheres zu folgern.
kannt ist die Zusammenstellung: ahd. treno 'dröhne',
tren, noch jetzt in Sachsen und Oesterreich trene; as.
räni (wozu nhd. dröhne)^ das ein urgerm, *dren'
; gr. Tsv-ß-QijPf] 'eine art wespe oder hummel',
praldbiene' (aus *dv&0'&QijpTj?), lakon. ^gciva^
Jnerklärt ist der vocal des ags. dran (pl. drdne)
\, mengl. drane. Das ags. d setzt wol urgerm. ai
rde es nicht wahrscheinlich finden, wenn man germ.
i- und drm-, gr. ^Qfjv-, d-Qwv- durch eine urwurzel
binden wollte. Ich finde es wahrscheinlicher, dass
n- auf vorgerm. *dhrön9' zurückgeht (vgl. no. 17 got.
L gr. rfcoi^ag). Dafür dass das wort mit got drunjus
•want ist, sprechen schw. dial. drönje m. 'wasser-
irscheinlich, wie Tamm annimmt, ein lehnwort aus
IS durch anlehnung an drönja, an. drynja umgeän-
n ist, und nörw. dial. drumbe m. 'eine art grosse
'urzelformen *dÄre«a-, "^dhrona- sind mit *dhwen9-
mit, dhväntd') analog.
)r Ursprung des Wortes lerche ist dunkel geblieben.
ia f., mhd. lerche und daneben lewerich, lewerech,
. Ueuwerik, ags. Idwricce, Idwerce, Ickwerce, Diese
l&ren sich aus *laif4;raJc(^; ^laiwrikön-, Nordfries.
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452 BUGQE
Idsk deutet auf *laiwsakan' neben *lattvjsakön' hin
w und js (s) kann einst ein vocal gestanden habei
Anorw. W (pl. loer) und Wa, das man mit ags.
sammengestellt hat, bezeichnet den charadrius. C
dass caradrius in ahi glossen durch leraha ubei
deutet darauf hin, dass jener vogel mit der lerche
wurde. 16 kann auf älteres '^läw- hinweisen, und
aus vorgerm. *läW' entstanden sein.
Wenn das urgerm. *laiW' (in ags. Idwerce ']
vorgerm. *läw9' entstanden ist, kann Idwerce mit
want sein. Die wurzel dieser Wörter kann diesel
die des lat. laus, laudis,
Gall. dlauda ist ^haubenlerche'. Damit verbin
neubret. dlchouez aus *alavidissa. Diese kelt wört
mit der germ. bezeichnung der lerche nicht überz
mittein.
25. Westgerm, "^raihjan, ahd. reihhen 'darreicl
strecken', ags. rcecan (d. h. rceöan), engl, to reach,
retsia. •) Man hat dies verbum längst mit got. rai
compp.), ahd. recchen verbunden. Amelung und M
das ai ohne erfolg durch epenthese (raikjan aus ralgi
wollen.
Brugmann (Grundr. 1^,504) vergleicht mit dem
lit. rdizyti-s *sich recken', das mit rqiyti-s gleichbe
und reiMi'S *sich brüsten'. Er legt eine wurzel reii
und fasst das i des gr. oQiyvaofiai 'recke mich' a
liches i auf, während man dies i gewöhnlich mil
jtlovQSQj x^^Sög U.S.W. zusammen stellt.
Nach Leskien, Ablaut s. 365 (103) setzen reiit
zyti-s (das s.v.a. rq^yti-s bedeutet) eine unbelegte li
neben a voraus. Wenn diese erklärung richtig is
Übereinstimmung der lit. formen mit germ. "^raik
fällig sein.
Nach der von mir begründeten regel ist es h
lieh, dass ^raikjan aus vorgerm. *ör<gr-, *ord^' ent
Vgl. gr. oQtyvdofiac, ogeyco, aind. i'jyant-, fjyate.
leicht ist die intransitive anwendung von reichen d
>) Emen frühereu yersuch (Beitr. 13, 338) gebe ich auf.
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IGE ZUR VOBGERM ANISCHEN LAüTGESCHICHTE. 453
nöchte darin einen der von Hirt erläuterten stamme
nuten. Wenn man zugleich aind. bildungen wie
beachtet, so wird man es vielleicht nicht zu
i, dass ich eine vorgerm. wurzelform "^ragr, *ra^9'
Daraus entstand nach meiner Vermutung germ.
deutung des ahd. reihhen darf von der des anorw.
schwerlich ganz getrennt werden,
e germ. "^raHyan, ahd. reihhen neben germ. rakjan
>), so findet sich anorw. reik f. ^scheitellinie, welche
ennt', neunorw. dial. reih, gotl. raik, schw. dial. rek,
\z derselben bedeutung nordschw. dial. rdk f. Schw.
ch von anderen furchen; dazu neuisl. rdk (pl rdkir)
orw. dial. rdk f. * streifen, furche' (z. b. in einem
anorw. dial. reik f. ist überhaupt 'streifen, linie'
i, Svenska etymologier s. 62 f.).
lisl. rdk f., pl. rdJcir 'streifen' vergleiche ich aind.
H- f. 'streiifen'. Dies gehört mit aind. rdji- f. 'rich-
gerade', fj- 'sich strecken' zusammen. Neuisl. rdk
Q. *rmki', vorgerm. *rÄ^f-, Vß^t- voraus,
lonyme an. reik möchte ich aus vorgerm. "^ragr, *ra^9-
m. hraiäa-ff 'breit' ist etymologisch noch nicht über-
gärt worden. Sowol lit. brandiis 'kömig' und gr.
belastet' als aind. mrityati 'zerfällt, löst sich auf
mir scheint, der grundbedeutung nach dem germ.
:läre germ. hraiöa-e aus vorgerm. *bhor9dho-8. Für
Hg hebe ich got. usbraidjan 'ausbreiten' hervor.
retäa u. a. 'heu (zum trocknen) ausbreiten'; nord-
n (praet. briat), oberdeutsch mist breiten 'fimum in
lere'. Ich vergleiche mit Bezzenberger, BB. 3, 81
^i 'streuen', byrii, btrti 'sich verstreuen', lett. birdtt
reuen'. Norw. dial. en^i breier seg wird gesagt,
jemähte gras über die ganze fläche ausgebreitet
lie anwendung des wortstammes in dem von Leskien
stellten lit. bdras 'in einem zuge gemähtes stück
»m 'Schwaden'.
)rw. breidr verwant ist, wie schon Aasen vermutet
bredi (in breffafgnn) 'Schneehaufen', neunorw. dial.
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454 BÜOGE
brede, bride nt, in anderen mondarten fem.^ 'schneemasse',
namentlich der alte, nie schmelzende schnee des hochgebirges,
'fim', auch 'gletscher'. Für die anwendong in bezug auf den
schnee vgl. lett. birda 'feiner schnee'.
Mit ahd. breit verwant ist ahd. breta 'flache hand'. Dies
lässt sich von ahd. bret 'brett', ags. bred und von bort, got
baurd nicht gänzlich trennen. Die lautliche vermittelung mit
breit wird möglich, wenn man germ. braiöa-e aus vorgerm.
^bhorddo'S erklärt.
Für die bei breit stattgefundene bedeutungsentwickelung
vergleicht Bezzenberger passend aind. asilrna- 'hingestreut,
ausgebreitet'; auch 'bestreut, bedeckt' (wie nord. breiöa 'über-
decken' bedeutet); aind. dstrta- 'hingestreut, ausgebreitet, breit'.
Für die von mir vorausgesetzte vorgerm. form *bhor9dhO'S,
worin -dho- an eine zweisilbige wurzelform gefugt ist, vgl. gr.
jteXad-a}; taXid-o).
28. Ahd. heimo m. 'hausgrille', nhd. hdme m. f., wovon
Heimchen ; ags. hama 'hausgriUe'. Gewöhnlich sieht man hierin
eine ableitung von heim, so dass das wort etymologisch 'haus-
bewohner' bedeuten sollte. Allein einige formen lassen sich
hiermit nicht leicht vereinigen. Für ahd. mühlieimo 'cicada',
später mucheim, heimi4ch findet sich in der Schweiz hammemauAj
muckkam und für mhd. heimelmus 'cicada' wird in der Wetterau
hammelmatts gesagt. Diese formen Immm^emauch, hammelmaus
lassen sich nicht aus heim erklären, hammdmaus gehört zu
hammein bei Fischart 'hüpfen, springen', das von hamme ab-
geleitet ist. In den hervorgehobenen formen nur umdeutungen
zu sehen, scheint mir nicht nötig. Ahd. hamma t 'hinter-
schenkel, kniekehle', ags. hamm gehören mit gr. xt*i^ftfj, air.
cndm 'bein, knochen' zusammen, und Fick, Vgl. wb. 1*, 389
nimmt eine urform *qonämo-s an. Hiemach vermute ich, dass
ahd. heimo 'heimchen', urgerm. *haiman' aus *hainman, vor-
germ. ^kan^mon- entstanden ist und zu ahd. hamma aus vor-
germ. *kanmä- gehört, so dass das wort etymologisch 'das
tierchen mit den grossen schenkein' bedeutet. Dass vorgerm.
^konamon- zu germ. "^hainman-, haiman-, nicht zu *hnaiman'
wurde, erkläre ich aus dem einfluss der verwanten Wörter (ahd,
hamma u.s.w.).
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BEITRAOB ZÜB YOBGBRMANISGHEN LAÜT6ESCHICHTE. 455
29. Germ, faigja- 'dem tode verfallen, dem tode nahe'; an.
feigr, aschw. acc. fasigjqn\ ags. /ie^e; as. ßgi\ ahd. feigi. Fick
und Osthoff haben hiermit aind. paJcvd- von pac- verglichen.
Dies passt der bedeutung nach trefflich: pakvd- ist 'gekocht,
reif, reif s.v. a. dem vergehen, dem tode nahe, — verfallen';
vgl. gr. jtixcav 'reif. Hierbei ist zu beachten, dass tirol. feig
*fast reif, vom obst das schwarze keine hat', bedeutet (Kluge,
Et, wb.*). Nhd. feiges gestein 'das sich zu lösen beginnt'; feiges
eimmencerJc 'das schon fault' (DWb.); mhd. ain feiges holz
'biegsam^ schlank'. Mhd. veige zugleich 'furchtsam, feige', wie
in der Hias m yrixorsq 'ihr Weichlinge'.
Diese anwendungen machen die Verbindung des germ.
faigja- mit got. faihs 'bunt', urnord. faihidö 'schrieb' höchst
unwahrscheinlich. Allein nach germ. lautgesetzen kann faigja-
weder aus ^fagjor noch aus ^f^gja-, wie man gemeint hat, ent-
standen sein.
Zu aind. pahvä- gehört zugleich nach meiner Vermutung
armen. |>ax (gen. ^\.paxiQ) 'gekocht'; Ich erkläre die erhaltung
des p und das x a^ dem einfluss des w, einer grundform
*pakwi', was ich hier nicht begründen kann.
Nach dem vorhergehenden vermute ich, dass germ. faigja-
von derselben wurzel wie ind. paJcvd- gebildet ist und dass
das a« desselben nach der von mir begründeten regel sich aus
vorgerm. a + 9 entwickelt hat, welche vocale zwei verschie-
denen Silben angehörten. Prof. Torp, dem ich dies mitgeteilt
habe, vermutet für germ. faigja- eine vorgerm. form *poq9wyo-.
Ich kenne sonst keine form, die mit Sicherheit auf eine zwei-
silbige wurzelform *jp€ga- führt. Vorgerm. *poq9Wi/o- verhält
sich in betreff des 9 zu aind. pakvd-, wie avest. yezivt zu
aind. ydhvt.
30. Isl. smdri m. 'klee' (trifoUum), smosrur f. pl. 'klee-
wurzel'; norw. dial. smcBre m. und smcera f.; ebenso in schwed.
mundarten, dän. snio&re und pl. smcerer. J. Grimm, Kl. sehr. 2,
121) bemerkt zu Marceil. Burdig. cap.3, s.40: 'trifolium herbam,
quae gallice dicitur uisumartis' folgendes: 'es ist deutlich das
ir. seamar, seamrog, gaeL seamrag, woher das engl, shamrock
und an. smdriy jütische smasre\
Dass nord. smdri aus dem ir. worte entlehnt sein sollte,
ist unglaublich; dagegen kann smdri mit nemr. seamar, mittelir.
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456 BUOGE
adj. semrach urverwant sein. Ir. semräch kann aus *seinbrako-
und dies wieder aus *semraJco- entstanden sein.
Isl. smdri erkläre ich aus urgerm, ^smdirhon-, vorgerm.
"^smardhm-. Wenn dies richtig ist^ steht smdri zu ir. seamrog
im ablautsverhältnis.
31. Anorw. hreistr n. collect, und hreistrar t pl. 'schuppen',
norw. dial. reist n. Davon vb. isl. hreistra, norw. dial. reista
'die schuppen abschaben'. In einer anderen mundart sagt man
risp 'schuppen', was zugleich 'was man abstreift' bedeutet und
zu rispa 'abstreifen, abreissen' gehört. Nhd. schuppe, ahd.
scuoppa ist von schaben abgeleitet. Man erwartet hiemach,
dass anorw. hreistr von einem verbum abgeleitet ist, das
'schaben' bedeutet hat.
Ich deute germ. hraistra- aus vorgerm. *karsdtro- und ver-
gleiche kslav. hrasta 'Scabies' aus *korsta, lit. karseti 'flachs
riffeln, wolle kämmen, striegeln', aind. kos-, kaSati (aus *kars-)
'reiben, schaben, kratzen', fut. kaSiSyati. Oder aber aus ^ka-
r9strO',
In derselben bedeutung wie reist (anorw. hreistr) wird in
anderen neunorw. mundarten ras n. gesagt; davon vb. rasa
s.v.a. reista. Auch ras, aus "^hrasa-, spricht dafür, dass das
ei von hreistr aus vorgerm. a + 9 entstanden ist In betreff
des ra- von rcw vgl. anorw. ra^s aus "^arss, ragr = argr, (rata,
32. Ahi3i,gameit 'vanus, obtusus, stultus,contumax,jactans';
in gimeitun, ungimeitun 'vane, incassum'; gameitheit 'insolentia';
gameitison 'luxuriare'. Im mhd. bedeutet gemeit 'lebensfroh,
keck, schön, lieblich, lieb', welche anwendung sich aus 'eitel,
^mutwillig, ausgelassen' entwickelt hat (vgl. die bedeutungs-
entwickelung bei mhd. toi). As. gimed 'töricht, übermutig'.
Ags. s^emdd 'vecors', einmal poet. mddmod 'foUy'; neuengl. mad
aus dem ags. part. praet. ^enicedd. Abweichend ist die bedeu-
tung des got. gamaids (acc. pl. gamaidans) 'verkrüppelt'. Der
bedeutungen wegen gehört ganiaids, ahd. gameit u.s.w. nicht
sicher zu got. inmaidjan 'verwandeln', inmaideins 'vertauschung',
maidjan xajr?]Xtveiv, eig. 'vertauschen', welche mit lat. mtUuus,
alat. moituos, lett. mitet 'verändern, unterlassen' und wol zu-
gleich mit ahd. midan, nhd. meiden verwant sind.
Ahd. gameit (wozu in gameitun) stimmt dem sinne nach
trefflich mit den folgenden Wörtern überein: gr.fnkfjv 'umsonst',
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BEITBÄGE ZUR VOBGERM^KISCUfiN LAUTGESCHICHTE. 457
raioq ^eitel, nichtig, vergeblich; töricht, wahnsinnig; leicht-
tig, ausgelassen, mutwillig'; air. in-madce 'sine causa', madae
Tgeblich' (Stokes, ürkelt. sprachsch. s. 206). Die ir. Wörter
gen, dass gr. fiar- nicht aus m^t- entstanden ist.
Ich vermute, dass ahd. gameit, "^gamaida-e aus ^gd-maipa-e
kstanden ist, weil der hauptton fiüher auf der ersten silbe
% Genn. -maida-, *mai]>a- ist nach meiner Vermutung aus
rgerm. *fiiat9- entstanden und gehört mit den angeführten
und ir. Wörtern zusammen. Hier hat vorgerm. 9 oder
luciertes i dem gr. a, wie in vorgerm. *hrotü9- (woraus germ.
iiw')y entsprochen. Diese erklärung ist jedoch unsicher.
Der bedeutung des got. wertes näher steht anorw. meifa
irstümmeln; etwas so beschädigen, dass es unnütz wird',
unorw. dial. meiffa {meie ausgesprochen) 'eine spur nach-
sen', meidd f. 'streifen, spur' muss dagegen anders wohin
lören.
33. Grot. fraiw n., anorw. frä, frjo n. (dat. frdsvi) 'same
T gewächse, menschen und tiere), nachkommenschaft'; schwed.
1. fre 'same'. Eine scharfsinnige etymologische deutung hat
thoff, Beitr. 20, 95 f. gegeben. Früher hatte man das wort
: \BX,pario 'gebäre, zeuge, bringe hervor' (z.b. fruges et reliqua
le terra pariat), \itperiü,pereti 'brüten' zusammengestellt.
5S scheint mir noch jetzt möglich. Germ, fraiwa- kann aus
'germ. *jpariW;o- entstanden sein.
Der Umlaut des anorw. free kann in verschiedener weise
lärt werden. Das anorw. adj. frAr 'fruchtbringend' kann
' einen stamm *fraiwja' zurückgeführt werden. Auf ein
tum ^fraitvjan deutet schw. dial. frö (praet. frödd) säg
if werden'. Aus diesen formen kann das ce auf free über-
gen sein.
Allein auch eine andere erklärung ist möglich. Von vielen
m. neutralen Wörtern finden sich nebenstämme 1) auf -a,
auf -s oder -aal-iz, Z. b. an. egg neben ags. pl. ckgru. Daher
m das ce von free aus einem stamme *fraiwijs- auf den stamm
itva- übertragen sein.
Für die bildung eines vorgerm. *par^o-m vgl. lat. vacuos,
uos, arvom, scUvos; anorw. adj. ^rr, st arwa-; aind. fkvd-,
leiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXIV 30
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458 BUGOS
34. Ueber das wort 'kleid' hat A, Erdman
umsichtigen und gründlichen abhandlung 'Kleid nnc
sala 1891) gehandelt. Mhd. (zuerst in der mitte d(
kleit n. (gen. kleides, nom. pl. kleit und Meider), mnd
cleet, afries. kUth, klath, ags. ddö (seit dem 8. jh.), s
an. klAÖi n. Erdmann erklärt kMd als 'zusamme
zeug' und stellt es zu klei-ster, yXoiog u.s.w. Dies ]
der bedeutung wegen nicht wahrscheinlich vor. Ei
düng wie ags. hine mid cildcldöum betcand 'panni
volvit' deutet eher darauf hin, dass 'kleid' als 'ui
zeichnet ist. Darauf deutet auch der umstand, dass
speciell *die Überkleider' bedeuten kann (Eyrb. cap.
der Wurzel klai-, gloi- 'kleben' sind Wörter die mit
bedeutung nach verwant sind, sonst nicht gebildet
Ich wage eine dreiste Vermutung. Aus ßiXefiVi
ßXfjfia, ßtßoZrjfiai ist eine indog. wurzel gel9' zu folj
cldö, ddbdy urgerm. *klaipUf oder *klaipa könnte dahe
germ. *golitos oder *golito-m mit dem hauptton auf
oder zweiten silbe voraussetzen. Der bedeutung vi
gleiche man ßakZofiai mit dfig)!- oder jisqU 'sich u
anlegen' (z. b. jisqI dh fisya ßaXXtro (pagog) von w
kleidern; act. ßaXXeiv 'anlegen, umtun' (0^9:1 6k
aXXo xaxov ßaXov 'qds )[£rc5ra); ßXijfia (xoItijq) 'd
(flßXriiia 'umwurf, anzug, kleidung', afig^lßoXov 'gew;
beachte hierbei namentlich mhd. umbekleit n., mnd.
'mantel'.
Ein gewisses kleid heisst aisl. und neuisl. kost,
klcede, norw. kasteplagg, von kasta 'werfen'.
An. klceäi kann, wie u. a. Hellqvist vermutet ha
ags. entlehnt sein. Dagegen spricht nicht das läpp
ladde, denn läpp, a kann aus dem umgelauteten no
standen sein; siehe Qvigstad, Nord, lehnwörter im la
die durch -i abgeleitete form verbietet es nicht, in
lehnwort zu sehen. Denn nach ags. dat. ^ddffe, ge
kann mau im an. dat. klceöe, gen. klckfes gesagt
diesen formen einen nom. klceäe gebildet haben. ]
anorw. dat. strcetej wie Zimmer zuerst gesehen hat,
ags. dat. sträte entlehnt, und nach dem dat ist d
nom. strdete n. gebildet. Wenn dagegen kläfi ein
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BEIT&ÄOE ZXTB YOBGEBMANISCHBN LAUT6BSCHICHTE. 45d
wort wäre, könnte es sich in betreff des vocals der Wurzel-
silbe zu ahd. kleit verhalten wie as. ärundi zn got. airt^.
Der anorw. gen. pl. kldböna ist, wie ich vermute, von der
flezion der schwachen feminina beeinflusst.
35. Ahd. mhd. hein n., and. len, ags. hän, an. hein 'es (ossis)
knochen', später *bein, Unterschenkel'. Dafür, dass germ. haina-
aus vorgerm. *Sö»a- entstanden ist, spricht ein nord. wort. In
vielen der altertümlichsten neunorw. mundarten huna f. 'knochen-
röhre*, besonders von der tibia; pl. *anne oder Schienbeine'.
Auch uberh. 'knochenbau'. Nordschw. dial. hords-huner f. pl.
Fischbeine'. Björn Halldörssen erklärt isl. Jmna als 'pes ursi'.
Dies nord. hunön- f. kann mit hein m. verwant sein, wenn
dies aus vorgerm. töm- entstanden ist.
Der von mir im vorhergehenden belegte lautfibergang, dass
germ. ai aus vorgerm. ä (Ö) mit einem reducierten i entstanden
sein kann, wird wol in der folgenden weise aufzufassen sein.
Das reducierte i palatalisierte den in der vorgerm. form vor-
hergehenden consonanten. 'Das t-element, welches sich aus dem
palatalisierten consonanten entwickelte, verband sich mit dem
unmittelbar vorhergehenden vocal ä (ö) zu dem diphthong ai,
wonach das nach dem consonanten folgende reducierte i schwand.
Die in den germ. formen häufig eingetretene Versetzung
(z. b. no. 6 *hraina'Z aus vorgerm. kor.no-s) spricht kaum gegen
die annähme einer palatalisierung des früher unmittelbar vor
dem reducierten i stehenden consonanten. Denn die palatali-
sierung des consonanten und die einwirkung desselben auf den
vorhergehenden vocal hat nach meiner Voraussetzung, wenig-
stens zum teil, zu einer zeit stattgefunden, wo das reducierte i
noch nicht geschwunden und die metathesis noch nicht ein-
getreten war.
Der hier besprochene lautwandel ist mit dem späteren
germ. i-umlaut verwant, z. b. anorw. ferr aus */aWÄ. Der
omgelautete vocal (e) wird zuweilen sowol im ahd. (z. b. airin
= erin) als in nord. runeninschriften durch ai bezeichnet, allein
der durch i-umlaut geänderte vocal bleibt kurz und ist nicht
diphthong geworden (vgl. J. Schmidt, Voc. 2, 473 f.).
Der lautübergang, wodurch zweisilbige vorgeim. formen
wie *kroWi' zu einsilbigen (germ. hraiw-) wurden, hängt viel-
30*
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460 BUGOE
leicht damit zusammen, dass ein mehr musikalischer accent
in einen mehr energischen exspiratorischen accent übergieng.
Die consonantischen vermittler bei dem Übergang von
yorgerm. ä (ö) + reduciertem i zu germ. ai waren namentlich
r, l, n, m, v. Im folgenden fOhre ich alle die von mir behan-
delten Wörter auf, obgleich die erklämng bei mehreren un-
sicher ist.
Der vermittler ist
1) r; s. no. 2. germ. ^^airö] 3. got. airu8\ 6. an. hreinn; 7. got
fraisan; 16. a^. Hrckda; 19. ahd. cAcr^; 27. got braida-; SO.isl.
stndri; 31. got. fraiw. Im ganzen bei 9 wortformen.
2) l; s. no. 4. ahd. feilt; 5. got. mail\ 10. got. aglaits; 34. ahd.
hleit Im ganzen bei 4 wortformen.
3) n; s. no. 14. ahd. meinen; 15. an. subst. eimr; 17. got tains;
20. got. aih; 23. ags. dran; 28. ahd. Mmo; 35. ahd. bein. Im ganzen
bei 7 wortformen.
4) m; s. no. 8. norw. adj.etin; 9. got. ma? ton; 18. ahd. n^man.
Im ganzen bei 3 wortformen.
5) tc; s. no. 1. gothraiwa-; 11. ahd. araweie: 21. ags. u^o^end;
22. gotl. vajlunde; 24. ags. Idwerce. Im ganzen bei 5 wortformen.
Mehr isoliert sind die folgenden fälle:
rs als vermittler: no. 31. an. hreistr?;
nk als vermittler: no. 13 ahd. öheim.
Ferner ist bei no. 29. germ. faigja- eine vorgerm. form *po-
qdwyo- vorausgesetzt, in welcher ein q das vor wy stehende 9
mit dem vorhergehenden o vermittelte.
Endlich habe ich für no. 25. ahd. reihhen und für 26. anorw.
reik vorgerm. formen vermutet, in denen ein vorgerm. ^ ein ä
mit dem folgenden reducierten i vermittelte und wo das ä nach
einem r folgte. Für no. 12. got. arbaips f., ags. earfoff n. habe
ich vorgerm. *aräb9t; für no. 32 ahd. ga-meit voi^rm. *mafch (?)
vermutet.
Auch sonst treten die consonanten r, l, n, m, w ähnlich als
vermittler auf. In aind. grathitä', trSitd-, mfdiid' ist das 9
^hinter muta, media und spirans' als i geblieben. Dagegen ist
dasselbe 'hinter nasal und liquida' nicht geblieben: fräntd-,
jatd-, dtrnd-, pUrnd-' (Bechtel, Hauptprobleme s. 218). Auch
nach to nicht: Bini.pütd'. In diesen wortformen ist^ wie in
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iOE ZUB yOBQEBMANISGH£N LAUTGESCHICHTE. 461
r behandelten germanischen, eine silbe aus zweien
freilich unter anderen betonongsverhältnissen.
m im vorhergehenden gegebenen belegen kann germ.
nrspr. (indog.) ä mit einem reducierten i, teils aus
^.) ö mit einem reducierten i entstanden sein,
u. a. in no. 8. norw. eim adj., 15. an. eimr subst, 21.
ir aus 0. So u. a. in 1. got. hraiw-, 11. ahd. aro/weuf,
m, IL got. tains, 18. ahd. netman, 27. got braids, 29.
, S4.Bhi.kleit
ihreren Wörtern vermag ich nicht zu entscheiden,
oder ein vocal der dem ä des lat. parte, des umbr.
spricht^ vorauszusetzen ist; z. b. bei 2. germ. *adrö.
inn nimmt in seinem Grundr. an, dass indog. 9
ersten silbe (im auslaut der zweisilbigen wurzel-
iexionssilben und suMxen) im aind. und avest. durch
i. durch a, im gr. durch a, im kelt. durch a ver-
lud er belegt dies durch nicht wenige beispiele.
it er keine spur des in dieser Stellung vorauszu-
idog. 9 im germ. nachweisen können. Durch meine
habe ich dieser auffassung der germ. lautverhält-
hergehenden eine andere entgegen zu stellen ver-
reducierte i der von mir vorausgesetzten vorgerm.
pricht einem aind. i oder einem gr. 5 oder beiden.
ww?-; 2. germ. airo; 5. got. mail; 6. an. hreinn; 8. norw.
^ an. eimr subst.; 18. ahd. neiman-, 32. ahd. gameit
imenstellungen geben keinen beweis für die aus-
d im urindog. Allein z.b. nach hraiw- aus vor-
^' neben aind. kravi-, gr*. xqbüj finde ich es un-
ich, dass indog. d in dieser Stellung als ein ge-
Lurzes a ausgesprochen wurde,
gensatz des germ. hraiw- aus vorgerm. *ätom;9-,
1 got. müuks aus vorgerm. mcfo^-, vgl. ydXa, setzt
3 die zweite silbe von "^hrowd- schwächer als die
betont war. Daher vermute ich, dass die form
gesetzlich in der zweisilbigen nominativform ent-
Dagegen scheint *kroto9- in dreisilbigen casus-
die zweite silbe unbetont war, lautgesetzUch zu
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462 &U66E
hraiw' geworden zu sein, wahrscheinlich wo in der d
i, ei oder e folgte.
Besonders interessant ist das Verhältnis bei n
cheren aus *kairjan, vorgerm. *gariSiyO'\ ags. cierran
Jan, vorgeim. ^garsiyo-; sjLkeyra aus *kaufjan, voi
TuSiyo. — Hier setzt 6in germ. verbum eine vorf
mit reduciertem i voraus; ein anderes, das mit jem
lieh identisch ist, eine vorgerm. form, worin s i
nach r folgte (eine vorgerm. form auf der *nulls
drittes germ. verbum, das sich von jenen nicht tre
setzt eine vorgerm. form mit reduciertem u voraus.
Verschiedenheiten erklärt werden sollen, lässt sie
historischen formen dieser verba nicht nachweisen,
ist wahrscheinlich, dass der Wechsel des reducierten
reducierten u in den vorgerm. formen dieser verba
in der flexion stattfindenden Wechsel der vocale dei
Silben bestimmt wurde (vgl. ahd. neinian, aus vorg(
niyo-, neben got. glitmunjan).
Die abweichung des ags. cierran von ahd. chere
an. kayra hat wahrscheinlich in betonungsverhält
vorgerm. spräche ihren grund.
Wo in den vorgerm. formen der von mir l
Wörter ein consonant auf das reducierte t folgte,
entsprechenden germ. formen gewöhnlich eine ver»
getreten: germ. rai aus vorgerm. art, lai aus ali, n
mai aus anti, wai aus aWi. S. no. 6. 7. 9. 10. 11.
21. 22. 27. 31. 33. 34.
Zuweilen ist eine Versetzung vor einem consona
blieben, wie es scheint, wegen des einflusses verwan
S. no. 15. 19. 20. 28. Dass Versetzung bei no. 18 a!
aus vorgerm. *nom<m*yo- nicht eingetreten ist, hat d
hauptgrund, dass die lautverbindung nm- im ger
nicht gestattet ist. Aehnlich ist bei no. 30 smart zi
dass das germanische anlautendes snir- nicht dulde
Das aus vorgerm. ä (p) + reduciertem i entstau
ai steht mehrmals zu germ. ce (ß) im ablautsverli
got. mail neben meljan (no. 5), wo mir das e urind^
Gleichartig scheint mir das Verhältnis des got.
ferja (no. 7), ags. dran zum as. dran (no. 23), an. i
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BEITbIQE ZUB VOBGEBMANISCHEN LAUTQE80HICHTE. 463
). 26); am ehesten auch das des ahd. feili zu fäli (no. 4).
iders fasse ich das Verhältnis des got. airus zum as. ärundi
). 3) auf. Das IB welches von ä in ärundi vorausgesetzt
rd, scheint mir speciell germanisch, und ich erkläre mir die
tstehung dieses ce daraus, dass die erste silbe damals, als
IS m entstand, nicht den hauptton trug. Gleichartig hiermit
leint mir das vocalverhältnis bei eim adj. — cemen (no.8),
tr — am (no. 15), vajlunde — välan (no. 22). Germ. *airö
), 2) aus vorgerm. *ar9- steht zu rö in an. roffr im ablauts-
rhältnis; ebenso an. HreiÖgotar aus *hraiffi' zu ags. hreff-
3 *hröpi'. Die formen rö-, hröpi- sind mit gr. xgcc-defipov,
\'öfiäTog in betreff des langen vocals gleichartig.
Da das hier behandelte germ. ai aus vorgerm. äQf) +
Luciertem i entstanden ist, kann es natürlich zu ä und zu
1 verschiedenen vocalen der c- reihe im ablautsverhältnis
hen.
Neben ahd. araweiz (no. 11) flbadet sich aratvlz, dessen i
aus schwa-i + schwa-i erkläre. Diesen Übergang bespreche
im folgenden artikel näher. Die ablautstufe im- neben eim-
. 15) ist wahrscheinlich speciell germ. und zu eim- nach der
dogie ähnlicher ablautsreihen gebildet. Ueber anorw. velendi
22 vgl. den folgenden artikel.
Das zusammenrücken der zwei silben zu der germ. einen
a ä + schwa-i zu ai) hat zur zeit der vorgerm. freien be-
ung stattgefunden. S. meine bemerkungen zu as. ärundi
3), norw. cemen (no. 8), schw. dm (no. 15), schw. välan (no. 22).
Der lautwandel macht überhaupt den eindruck, dass er
einer weit zurückliegenden stufe der sprachentwickelung
getreten ist. Vgl. z. b. no. 30 an. smdri aus "^smairhan-,
rerm. ^smarQJcon- neben mittelir. semrach. Ich zweifle nicht,
; derselbe älter ist als die germ. lautverschiebung.
Es ist meine absieht, zwei artikel folgen zu lassen: II. zur
aterung des germ. i; III. zur erläuterung des germ. au, eu
u.
CHKISTIANIA, aprü 1899. SOPHUS BUGGE.
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ZUR GESCHICHTE DER ADJECTF
AUF -ISCH.
I.
Die entwicklnng des bösen Sinnes.
1. Durch unsere spräche geht seit beginn der
ein starker zug vom objectiven zum subjectiven. Das i
hat gelernt, zu den dingen der aussenwelt Stellung :
im grossen wie im kleinen, in reformation und re
haben sich die Völker der neuen zeit das recht der 1
nung erkämpft, in dem namen den der moderne m
dingen gibt, heftet er ihnen das urteil an, das er ül
Da er aber nicht lauter neue Wörter schafft, um diest
zu gentigen, so verschiebt sich ihm die bedeutung d
denen: glück ist ihm nicht mehr die art, wie etwas i
sondern der ausschlag zum guten (der alte sinn noch 1
z. b. Vom auffrürischen geist 3 und Müntzer, Schutzr
neudrucks,*) beide 1524), und wie glück sind viele vo
des mittelaJters behandelt worden, z. b. prts, das u
nommee' im guten wie im bösen sinne entspricht, od
das so gut nhd. 'verdienst' wie nhd. *schuld' umf
erste beispiel zeigt uns zugleich, wie die durch die s
rung entstandenen lücken des Wortschatzes gefüll
durch heranziehung von fremdworten. Höchst bezeicl
für die entwicklnng unsrer spräche und für das ül
des subjectiven triebes ist es, dass diese fremden en
sobald sie einwurzeln, gleichfalls subjectiv gefärbt w
renommee, interessant, Qualität hat sich eine entwicl
») Die belege sind nur dann ausführlich angeführt — wo a
angegeben ist, nach band und seite — wenn sie sich in den w
noch nicht finden.
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ZUB GESCHICHTE DEB ADJECTIYA AUF -ISCH. 465
;en, bei mechanischj Schablone, schematisch zum bösen sinne
Izogen. Daneben geht die entwicklang innerhalb des alten
achgutes immer weiter: gesellschaft und stand treten seit
Q ende des vorigen jk's im prägnanten sinne auf, familie
l weit erst in diesem (Bnrdach scheint mir in Beimars und
ilthers verse einen zu modernen sinn zu legen, wenn er,
inmar der alte und Walther von der vogelweide s. 9, deren
dt mit 'gesellschaft' übersetzt: nirgends fordert das mhd.
lective werlt diesen gefühlston). Wie sehr der zug zum
gectiven die nhd. spräche beherscht, zeigt sich auch darin,
j schwer es der Wissenschaft, die die dinge objectiv fasst,
[t, deutsch zu sprechen, und wie unmöglich es der alltags-
ache ist, wissenschaftliche ausdrücke unverändert aufzu-
unen. Man denke an bedeutungsverschiebungen, wie sie
oluty ästhetisch, dilemma, exact, indifferent, kritisch, moralisch,
tfinell, religiös, speculation, wahlverwant erfahren haben, so-
d sie in die gemeinsprache aufgenommen wurden. Noch
e beobachtung möge die ausdehnung unserer bewegung
?en: von den beispielen, mit denen Bechstein, Germ. 8, 330 ff.
L pessimistischen zug in unserer spräche beweisen will, ist
br als die hälfte subjectiv gefärbt worden und hat bloss
lurch ihren bösen sinn bekommen: tyrann, pfaffe, unverschämt
i. sind mit hass erfüllt worden, buhle, wollust, geil, demokrat,
stokrat, komödiant, literat, Schulmeister, tölpel, bauer, knecht,
ne, wicht, mensch, armselig, erbärmlich, elend, pobel, dumm,
V mit Verachtung.
So Hessen sich noch hunderte von beispielen für diese ent-
^klung vom objectiven zum subjectiven anführen, sowol für
L fall dass die alte vox media zu einem lobe, wie dafür
s sie zu einem tadel geworden ist. Einen pessimistischen
' unserer spräche darf man darin nicht sehen wollen, wie
3echstein a. a. o. mit einseitiger hervorhebung der fälle der
rten art getan hat, aber allerdings zeigt sich ein übergewicht
^r fälle. Den grund dafür muss man wol in neigung und
ürfnis der alltagssprache suchen, die eben zum tadel mehr
>ct braucht als zum lobe, und auch daran darf man wol
ken, dass die höhezeit dieser entwicklung, das 16. jh., durch
hinabsteigen der literatur, ein versenken in die tiefen eines
tisch und religiös bis zur leidenschaft erregten, im kämpfe
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466 QOBTZE
beredten, mit lob und Zustimmung kargen Volkslebens bezeich-
net wird.
2. Durch jenen Umsturz im sprachleben wurde ein ganz
neuer wertschätz zu tage gefördert und (was für uns allein
controUerbar ist) zur literaturfähigkeit erhoben, der bisher tief
unter allem Schrifttum gestanden hatte: mit ihm eine klasse
von adjectiven, deren entwicklung uns hier näher beschäftigen
soll: die adjectiva auf -isch. Vielleicht gerade weil ihre bil-
dung zu jener zeit weit um sich gegriffen hat, haben sie, so-
weit ihnen ein gefühlswert beigelegt worden ist, durchweg
eine entwicklung zum bösen genommen. Freilich nicht aus-
nahmslos. Zwar zum lobe gewordene adjectiva wie deutsch
und hübsch sind nur scheinbare ausnahmen, denn sie wurden
zur zeit der subjectivierung vom Sprachgefühl nicht mehr als
adjectiva auf -isch erkannt, aber auch andre durchbrechen die
regel: zunächst fremde adjectiva, die schon mit einem lobe
ins deutsche aufgenommen sind, so ätherisch, franz. ähere, erst
zu ende des vorigen jh.'s ins deutsche aufgenommen oder doch
allgemeiner geworden, vgl. Hildebrand im DWb. unter genie 10 f.
Zachariae, Poet. Schriften 1765, 1, 130, 1754 von Schönaich im
Neologischen Wörterbuch verspottet, nach Klopstock und Schiller
bei Jean Paul, z. b. Werke, Berlin 1840, 3, 26. 42 und Seume,
Spaziergang nach Syrakus 1^, 150 (1803). — balsamisch, franz.
balsamique, ebenfalls bei Schönaich, Seume und späteren, doch
auch schon in Stielers Wörterbuch (1691). So recht ein ana-
kreontisches wort, schon ironisch bei Zachariae, Poet. Schriften
1765, 1,250: ein balsamisclies theer tränkt ietzt die durstigen
räder. — exemplarisch^ 'exemplaris'. Lobend bei Grimmeis-
hausen, Simpl. 663. *) Courage 14. Keuscher Joseph 11; vgl. Anz.
fda. 4, 173. — musikalisch 'musicalis', Anz. fda. 4, 176. Genn. 29,
387. — i)oKtocÄ 'politicus, politique', Germ. 28, 395. 29, 389.
Zs. fdu. 10, 777 ff. Anz. fda. 4, 181.
Diesen als adjectiva übernommenen fremdworten schliessen
sich solche an, die erst im deutschen zu fremden Substantiven
mit lobendem sinne gebildet worden worden sind, so gravitätisch
0 Der Simplicissiinns wird nach selten der aasgabe A angeführt, weil
danach die stellen bei Keller, Kögel nnd Kurz leicht zu finden sind, Grim-
melshausens andere werke nach buch und capitel
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ZUR QESCHICHTE DER ADJEGTIVA AUF -ISCH. 467
ZU gravitas, oft bei Christ. Weise und Grimmelshausen. Fischart
kann doch nicht umhin, in das wort einen tadel zu legen: im
Ausspruch des esels v. 26 entstellt er es zu groUtetisch (s. auch
Hauffen, Caspar Scheidt 22). Auch bei Serz, Teutsche Idiotismen,
Provinzialismen, Volksausdrucke u.s.w., Nürnberg 1797, wird das
wort tadelnd verwendet: er kommt gansf gravitätisch, magnißce
se infert Jetzt hat es wol immer ironischen klang.
Deutsche adjectiva auf -isch können ein lob erhalten
a) wenn sie Übersetzungen von solchen fremdworten sind;
so das junge dichterisch zu poetisch; haushältisch und haus-
hälterisch zu ökonomisdi; heldisch neuerdings zu heroisch;
malerisch zu pittoresque (nicht vor Stieler zu belegen); redne-
risch und schönrednerisch zu rhetorisch; reiterisch und ritterisch
zu cavaUer und chevaleresque, beide bei Stieler, reuterisch mit lob
auch in Grimmeishausens Courage 3, wo das DWb. seltsamer-
weise tadelnde bedeutung annimmt, und in der Deutschen
grammatik des Laurentius Albertus 71 d. n., dagegen mit tadel:
eyn zornig, vnchristlich, bitter hertz, vnd gar eyn hitzig, reute-
risch geblüt, Ickelschamer, Clag etlicher brttder 43 d.n. (Rothen-
burg 1525); ohne geffihlston: die andern zween macMen (d. i.
statteten) sich reuterisch aus, allein der amptschreiber von Zossen
. . . kante nicht zu fasse gehn (also die beiden reuterisch aus-
gestatteten tun das), der setzt sich auff einen pawrwagen Barth.
Krüger, Hans Ciawerts werckliche historien35 d.n. (Berlin 1587);
retterisch für sauveur bei Stieler; staatsmännisch für politique
und weltmännisch für cavalier, wol nicht vor Goethes Dichtung
and Wahrheit 15. buch (1814);
b) als Verneinungen von tadelnden adjectiven auf -isch.
Die meisten bildungen dieser art sind künstlich und selten:
unmässiggängerisch, unschlächterisch, untyrannisch und unzän-
kisch bei Stieler, unweidmännisch in Zachariaes Poet. Schriften
1765, 1, 284, vnpfäffisch in Fischarts Bienenkorb 204 a, und
manches mit un- beginnende adjectiv in Campes Wörterbuch.
Alt und verbreitet ist allein unparteiisch: Lexer, Mhd. wb.
DWb. unter kreppisch. Mumer, An den adel 5. H. ß. Manuel,
Weinspiel (1548) v. 3511. Faustbuch des christlich meinenden,
vorr. (auch Scheible, Kloster 2, 76). Scheidt, Grobianus v. 1902.
Goldast, Reichshändel (1614) titel, vorr. 2. Simpl. 350. 353. Der
schlesisch- lausitzische ausdruck der unparteiische für 'dieb'
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468 GOBTZE
gehört wol zn partei in dem sinne ^streifcorps zum plttndern
und fooragieren', bezeichnet also scherzhaft den der nimmt
ohne einer solchen partei anzugehören. Eine unhaltbare er-
klärung bringt E. G. Anton in seinem Verzeichnis oberlausitzi-
scher Wörter (Görlitz 1825—48) 14, 6, doch auch er fasst den
ausdruck als scherz auf. Beispiele genug von solchen die der
ausdruck nach unsrer auffassung zunächst getroffen hätte,
stehen im DWb. unter gart (garde, stipis coüectio sive potius
extorsio Frisch), garten (garden, exire praedatum Schottel) und
garihruder {jgardehruder = fmUs vagabtmdus, praedo mendicM
Stieler);
c) wenn das wort von dem sie abgeleitet sind, nachträg-
lich seinen tadelnden sinn zum lobe wendet; so neckisch, schel-
misch (in der bedeutung 'zu heiteren possen geneigt' zuerst
und hauptsächlich bei Mitteldeutschen, vgl. ausser den nach-
weisen des DWb. Gryphius, Peter Squenz 25. Horrib. 66. Hay-
neccius, Hans Pfriem v. 2360 [Leipzig 1582]. Weise, Erznarren
203. Grimmeishausen, Simpl. 117. 205. 439. 507. 717. Keuscher
Joseph 15); schalkisch (nur md. zu belegen); närrisch s. unter 21.
3. Die geschichte unserer adjectiva hat bisher mehr die
lexikographen als die grammatiker beschäftigt, sie ist mehr
analytisch als synthetisch behandelt worden. Jakob Grimm
hat in der Deutschen grammatik 2, 375 ff. über ihre lautliche
gestalt und ihre Verbreitung, Wilmanns in der Wortbildungs-
lehre 467 ff. über die gesetze ihrer bildung, Eluge in der
Nominalen Stammbildungslehre § 210 f. über ihre älteste ge-
schichte gehandelt, aber die entwicklung ihrer bedeutung ist
noch nicht im Zusammenhang dargestellt worden. Einen ansatz
dazu enthält Bechsteins erwähnter aufisatz. Das material im
einzelnen findet sich in unseren älteren und neueren Wörter-
büchern, bei Schade, Müller und Zamcke, Lexer, Maaler, Stieler,
Frisch, Adelung, Grimm, Eluge und Paul, dann aber auch in
den Wörterbüchern der md. und nd. mundarten. Schliesslich
wurde, soweit es nötig und möglich war, auf die quellen selbst
zurückgegangen.
4. Im allgemeinen ist die entwicklung der adjectiva auf
-tsch folgenden weg gegangen: von haus aus bezeichnen sie
die herkunft. Hatte das wort von dem sie abgeleitet wurden,
einen lobenden oder tadelnden sinn, so teilten sie ihn. So
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ZUB QESCHICHTB DBB ADJECTIVA AUF -ISCH, 469
entwickelte sich der zustand, dass ein teil unserer adjectiva
einen tadel bezeichnete. Zufällig waren das gerade die häufig-
sten, die also im sprachbewusstsein einen grösseren räum ein-
nahmen als die ohne tadel. Darum gewöhnte sich das sprach-
gef&hl, diesen gelegentlichen tadel als einen wesentlichen
bestandteil der bedeutung der gruppe aufzufassen: neue adjec-
tiva auf 'isch wurden vorwiegend von solchen worten abgeleitet
die einen tadel enthielten, ja zu adjectiven mit anderen
Suffixen wurden nebenformen auf -isch gebildet, so
ividersinnisch von Kant zu widersinnig (ebenso auch schon
Fischart, Garg.163). — eigenwillisch von Fischart, Bienenk.l74a
und Bingwald zu eigenmllig, — grätisch schlesisch und ober-
laus, zu grätig, Weinhold, Beiträge zu einem schlesischen wb.
unter grätig, K. G. Anton 8, 14. — drecksch oberlaus, zu dreckig,
K G. Anton 7, 16. — gallisch zu gallig. Stieler, Frank, Krämer,
Paracelsus. — grentisch zu grandig * mürrisch' bei Sachs, Fabeln
und schwanke 1, 206. 513, zu scheiden von einem wie es scheint
rotwelschen grandig 'gross' nach franz. grand, Simpl. 253. Teut-
scher Michel 13. Springinsfeld 23. Vgl. ferner Mumer, Narren-
beschwörung 16,41. Moscheroschs rotwelsches Wörterbuch. Weim.
]b. 4, 83. K. G. Anton unter grandig. Hörn, Soldatensprache 118.
— statisch zu stätig 'störrisch' von pf erden, denn nur das kann
stäiig bedeuten (vgl. Lexer, Maaler, Frisch, Adelung, Campe,
das Bremisch-niedersächsische wb.), und nicht 'lammfromm', wie
Spanier, Zs. fdph. 29, 420 Mumers stettig rösser übersetzt
haben will.
Schliesslich wurde es auch möglich, dass die ableitungs-
silbe erst den tadel in ein wort hineinbrachte, indem sie eine
tadelnde Übertragung veranlasste, und schliesslich wurden
adjectiva lediglich dadurch dass sie auf -isch endeten, zum
tadel. Diese letzte entwicklung ist sehr selten; eins der
wenigen beispiele ist jägerisch, zu dem Frisch bemerkt: 'ist
etwas spöttisch wegen der endung -isch, jägerlich ist besser'.
Wenn man auch keinen anlass hat, Frischs angäbe zu be-
zweifeln, so kann doch der spöttische beigeschmack von jage-
riseh nur geringe ausdehnung gehabt haben, denn weder bei
Sebitz 1580 noch bei Goethe 1816 noch im heutigen bairischen
(z.b. Fliegende blätter 2731. 1897) ist ein tadel darin zu ver-
spüren, und schon 1775 erhebt Adelung einsprach gegen Frischs
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QOETZE
CA. Jedenfalls ist die aufstellung einer grup
in dieser art praktisch ohne wert.
Die wenigen adjectiva auf -isch die in germi
[reichen, bezeichnen die herkonft. Es sind
ahd. mennisc — an. menskr — got. mannisks
Ahd. himiUsc — An.himne8kr
ahd. Ae»mt«c — AH^heimskr
aM, diutisc — gotpiucUskö
B,hd. Jieidanisc — got Juii/ntcisks
Ahd.judeisc — got, iudcUwisks
an. hemskr — got bamisks.
lese ältesten adjectiva unserer klasse haben i
en sprachen alle erhalten: himmlisch, jüdisc
hnen noch heute die herkunft vom himmel,
er heimat : aber auch schon an diesen ältestei
it man, dass sie durch eine leichte bedeutungsvc
adel werden können: bei jüdisch hat sich die
n dem zu gründe liegenden Substantiv, bei ;
s' in dem adjectiv selbst vollzogen.
In ahd. zeit wächst die zahl der adjectiva
id bei Grimm, Kluge und Wilmanns angefüh
line aufzählung unnötig ist. Natürlich wach
vellen der ganzen bildung auch die zahl de
üsem sinne. Von tadelnden nominibus abg«
aber auch bloss daher, mit einem tadel bei
ruttisc * schrecklich', von brutti 'schrecken'; git
rl'gier'; wordtÄC * mörderisch', von mord; tuli
ol, vielleicht schon gemeingermanisch: äset
r * träge, gleichgiltig' bei Tamm, Et svensk c
>äter zu tadelndem sinne entwickelten adjecti
, gipürisch, kindisc, unadalisc ist der tadel ^
enthalten, heidanisc, irdisc, weraltisc musstei
r Christen zum Vorwurf werden; dass das
chnung der endung zu setzen ist, zeigen die
gesetzten fronisc, himib'sc, enoirdisc. Immer
ken, dass bei einer verhältnismässig grossen
iva möglichkeit und wol auch neigung zu
ins moralische vorhanden ist; es muss a1
Q, dass diese neigung noch keine bestimmt
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GESCHICHTE DER ADJECTIVA AUF -ISCH. 471
hat, weder zum guten noch zum bösen sinne:
itehen noch offen. Wir erkennen aber in den
)eispielen auch schon den grund dafür, dass der
schritten worden ist: gerade die häufigsten der
Wörter, girisc, mordisc, gipurisch, Mndisc waren
iwicklung fähig, die entgegengesetzten, erwirdisc,
c waren leichter ersetzbar und sind denn auch
rben, denn adelisch bei Luther, Mumer (An den
Agricola ist eine junge neubildung und ohne
lass es hier u. ö., z. b. auch in Scheidts Grobianus
seh gebraucht wird, ist wol zufall.
se menge der ahd. adjectiva auf -isc bezeichnet
die meisten sind von Völker- und ländemamen
2hisCy frenkisCj crehhisc, naearenisc, punikisk, sama-
% spanisc, wcUahisc u.v.a.
im mhd. bleibt das die hauptsächlichste verwen-
idjectiva, und noch heute können wir fast zu
amen ein adjectiv auf -isch bilden. Aber gerade
isse unserer adjectiva immer neu gebildet wird,
B meist gar keine eigne bedeutung: für die be-
lichte kommen nur wenige fälle in betracht, in
ertragung der bedeutung stattgefunden hat. Zwei
diese entwicklung sind wir schon oben in jüdisch
begegnet, weitere mögen hier folgen.
d.i. *flamländisch', war im mittelalter 'fein ge-
aus den Niederlanden kam die ritterliche cultur
land, und nach Stalder 1, 376 bedeutet es in der
*das feine, zarte'. Flämisch zu reden hält der
reht und nach Grimmeishausens Vogelnest 1, 18
len kriege ein Schwabe für vornehm. Umgekehrt
lis Schimpf und ernst no. 484 ein heraufgekom-
men sprach, er nimpt sich an schwebisch Freden,
ere culturwelle viele flämische colonisten über
[and nach dem osten führte, bekam flämisch
i dem grossen wuchs, der ernsten art und den
chtem der Flemminge die neue bedeutung * gross,
rücksichtslos' (im Hennebergischen ist auch hol-
gross', Zs. fdm. 3, 134; die lausitzische bedeutung
eine abschwächung aus der folgenden; K. G.Anton
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472 aoBTZE
17, 19 vergleicht unflätig), dann in der Altmark und in Nieder-
sachsen, Schlesien und Nordböhmen, Franken, Henneberg und
Hessen * mürrisch, verschlossen, tückisch', schliesslich im Bairi-
schen wald, Nordböhmen und Thüringen (Stieler 496) 'böse,
zornig'. Auf eine dritte, vielleicht noch bevorstehende, ent-
wicklung deutet Knothe, Markersdorfer mundart 38, wenn er
für Nordböhmen flaniända 'vagabund, liederlicher mensch' an-
führt. Sie entspräche einer dritten invasion der Flamen, der
als herumziehender händler. Dieses neueste flämisch hat aus-
sieht, entwickelt zu werden, denn es kann an redensarten an-
knüpfen wie er ist von Flandern, vagi sunt eius amores (Serz,
Teutsche idiotfemen 43 a), er ist aus Flandern, ein Fländerer,
er fländert (J.G.Berndt, Versuch zu einem schlesischen Idiotikon,
Stendal 1787), mädchen aus Fkmdem (Schmeller 1,792), die aus
volksetymologischer umdeutung von fländem 'flattern' ent-
standen sind (vgl. auch fländem im DWb.). Umgekehrt hat
wol auf die entwicklung des volksnamens flämisch zu 'mürrisch'
das weitverbreitete flanschen 'das gesicht verziehen' einfluss
gehabt, namentlich die Verbindung flämiscJies gesidit ist durch-
aus = flunsch, doch daii man nicht mit Adelung flämisch in
diesem sinne überhaupt als ableitung zu flennen n.s.w. an-
sehen.
Auf einem umwege vom volksnamen zum tadel geworden
ist mhd. hiunisch. Begreiflicherweise hatten die Hunnen in
Deutschland nicht den besten ruf hinterlassen, das zeigt schon
die 38. zeile des Hildebrandsliedes: du bist dir, alier Uün,
ummet späher ..., wo der tadel noch rein occasioneU in das
Substantiv gelegt zu sein scheint Doch hat sich wol AlOtün
als scheltname festgesetzt, vgl. Förstemanns Namenbuch 1, 757
und Grimm, Deutsche mythologie 490. hiunisch aber und hart-
hiunisch wurde scheltname für eine schlechte weinsorte (s.
ausser Lexer und DWb. Schmids Schwab, wb. Anz. fda. 4, 138 ff,
Zs. fda. 23, 207 und Zs. fdm. 1, 257. 2, 250. Weistümer 3, 487.
Fischart, Garg.310. 313 f. Bienenk.243a. Ist vielleicht hutuU-
wein Sachs, Schwanke 1, 262 = hiunischer wein? Dann könnte
hundssoff und hundstrunk im DWb. als rausch von hiunischem
weine aufgefasst werden, hundsvoll und hundstrunken (auch
bei Sachs, Schwanke 1, 262. 594) 'von hundswein trunken'
heissen. Eine andere erklärung im DWb. und den Generibos
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ZUR GSSCUICHTE DER ADJBCTIVA AUF -ISCH, 473
ebriositatis, das. unter hundsvolT). Unabhängig von dieser in
den Weingegenden, also namentlich im obd. vorgenommenen ent-
wicklnng, wandelte die norddeutsche sage mit dem mittelpunkt
in Westfalen (Grimm, Myth. 490) die Hunnen in riesen. Das
zugehörige hiunisch gieng aus der bedeutung ^riesenhaft' mit
neuem tadel in die von ^ungeschlacht, roh, unedel' oder
'grimmig' &ber, des letzte oft bei Sachs, z.b. Schwanke 1, 25.
Widerum abweichend ist das bairische Af/n^c^ aus 'ungeschlacht'
zu ^gierig, heisshungrig' verengert worden. Sollte hier das
Wortspiel Ungern — hungern eingewirkt haben, das z.b. Mumer,
Narrenbeschw. 88, 15 verwendet (vgl. Spaniers anm. zu dieser
stelle und unter 17)? Ganz anderer herkunft ist das weit-
verbreitete hinsch als name einer pferdekrankheit, Spanier zur
Narrenbeschw. 95, 78. Staub -Tobler 2, 1475. Jung ist hünisch
= 'wie ein hüne' in Jordans Nibelungen 1, 15 u. ö.
Wenn Fischart, Garg. 374 das Ungeziefer seines beiden
das vngarisch vihe nennt, so knttpft er ausser an die unrein-
lichkeit der Ungarn (vgl. Sachs, Schwanke 2,421) an den grossen
rühm an, den das ungarische rindvieh in Deutschland genoss
(Garg. 381. Podagr. trostbüchlein 28). Es ist schwer zu sagen,
ob diese bosheit ein witz Fischarts oder eine redensart ist.
Geschichtliche Verhältnisse dagegen spiegeln sich in der ent-
wicklung die die Wörter sklavisch und polnisch im deutschen
genommen haben. Sklavisch wird etwa zu Fischarts zeit zu
'servus' geworden sein: Garg. 161 meint auff türckisch vnd
sclavisch bloss die spräche, 163 den sclavischen Bömem die
denkart, Grimmeishausen nimmt lieber sclavonisch oder böh-
misch, wo er Volk und spräche meint, aber schon für Fischart
ist eine bildung wie übershlavisch möglich: vberschlavischer,
vberknechtischer dienst übersetzt er Bienenk. 187 a hyperdulia.
Polnisch ist in Schlesien und Sachsen, in dem lande das an
Polen grenzt und dem das lange mit ihm politisch verbunden
war (bei Bernd, Die deutsche spräche in dem grossherzogtum
Posen und einem teile des angrenzenden königreiches Polen,
fehlt es), ferner in Baiem zu 'liederlich' geworden in den
redensarten hier siehts polsch aus, heute machen wir pohlsch,
es geht pohlsch über eck. Ein stück geschichte lebt in der in
den Sudeten üblichen Wendung es sitt aus wie im pulschen
kriege (Albrecht, Leipziger mundart) und dem in Sachsen und
Beiträge nir getchichte der deutschen spräche. XXIV. 31
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474 GOfiTZE
Franken fiblichen hier siehts aus wie im bohlschen reichstag
(Albrecht und Serz). Mit unrecht zieht Schmeller das dänische
polish hierher, denn das ist, wie die nebenform polidsk und die
bedeutung ^verschmitzt' anzeigen, = politisch, das ja auch im
md. nd. vielfach in diesem sinne auftritt. Auch das schwedische
kennt ein poUtisk 'schlau' neben polsk 'polnisch'. Dass polsik
hier zum tadel würde, ist schon wegen der alten Waffenbrüder-
schaft der Polen und Schweden unwahrscheinlicL Von einem
verrückten kleiderschnitt heisst es Simpl. 137: die hosen waren
auf polnisch oder schwäbisch, und das wams noch wol auffeine
närrischere manier gemacht Die hosen waren, wie s. 207 lehrt^
sehr eng.
Häufig kommen adjectiva von völkemamen, weil sie eine
fremde, unverständliche spräche bezeichnen, zu der bedeutung
'unverständlich, seltsam, verkehrt'. Verbale ausdrücke dieser
art führt Hildebrand im DWb. unter kauderwelsch an; von
adjectiven auf -isch gehören hierher: hebräisch 'unverständlich'
Fischart, Bienenk. 55a. 79a; — lateinisch vielfach 'gelehrt-ver-
kehrt'; — winsch aus windisch 'unbeholfen, einfältig, verkehrt'
K. G. Anton 15, 12; — udcerwendsch, göttingisch und bremisch-
nieders. 'eigensinnig, albern', altmärkisch auch 'unordentlich,
verkehrt'; — krdbatisch 'wunderlich' bei Fischart: crabaüsck
verzunckt, von griechischen buchstaben, Bienenk. 228 a; weldies
(Gargantuas mantel) mächtig lustig cräbatisch sähe Garg. 180;
gut krahatisch geschirr 229; ein hräbatischen verrenkten bossen
reissen 354; — böhmisch in den redensarten böhmische dörfer,
schon Simpl. 21, von Schmeller durch ein spottverschen auf die
czechischen dorfnamen erläutert, böhmischer ohrle/fel SimpL u. ö.
von einem starken knotenstock, böhmischer sträl Garg. u. ö.
'fünf zinkiger kämm', und in ausdrücken wie: mausen und der
pferdte warten, worzu die böhmische art, un€ ich höre, die beste
seyn soll Courage 2; disz böhmisch handwerck ebda., vom stehlen,
vgl. Sachs, Schwanke 2, 421. Die vorwürfe die hier den Böhmen
gemacht werden, sind also unverständliche spräche, gewalt-
tätigkeit, unsauberkeit und dieberei. Eine geschichtliche er-
innerung birgt dagegen der satz du (Luther in Wonns) wür-
dest mit deinem predigen, beheymische geschenck geben, döster
vnd stiftt welche du ytzt den fürsien verheyssest Th. Müntzer,
Schutzrede 38 d. n. Erklärt wird die stelle durch Mumer,
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B GESCHICHTE DEE ADJECTIVA AUF -ISCH. 475
iw. 35, 32. Dan du (Luther) . . . vnderstast vnsern
ohedigen, vnd höhemische meren zu verkünden Mumer,
22 d. n. geht deutlich auf die Hussiten; — eigeu-
jabundus et vage' Stieler. Auf die zigeuner als
er zielt der satz jnen das pludermuse vnd wurm-
iff zigeineriscJh eingauckelen Garg. 302; — spanisch
Q eigentlichen sinne bei Grimmelshausen: da salzte
biszlein, so meinem magen, der nunmehr zu den
\en tradamenten gewöhnet war, gantz spanisch vor-
371. Uebertragen schon hey diesem herm kam mir
^)ertig und fast spanisch vor 174. Der herr ist ein
Imählich hat man die herkunft der wendung so
isen, dass die gelahrtheit des magisters Serz und
ids dabei an gr.öJtaviog gedacht hat, mit dem es
isser durch diese gelehrte Volksetymologie nicht im
susammenhängt. Eine spur schliesslich der inqui-
iie spanischen Stiefel und der spanische mantel; —
h, weitverbreitet in der älteren spräche:* Fischart,
Bienenk. Ib. Grimmelshausen, Teutscher Michel 5.
Gryphius, Peter Squenz 12. Stieler. Germ. 28, 371,
neueren mundarten: Bernd. Zs. fdm. 1,286. 2,247.
der als der heutige Sprachgebrauch bewegt sich
usen, Vogelnest 2, 3: so kauderwelsch . . . , dasz ich
hen konte, und Serz: kauderwälsch, verborum prae-
oharbarum; kauderwälscJies latein, cum faunis et
loqui; — krautwelsch, nach dem urteile des Tirolers
dm. 6, 292 nur eine entstellung aus kauderwelsch;
h, als churwallisch zuerst in einer Graubündner ur-
lart, Garg. 31; — rotwelsch, zunächst und noch heute
it welschen brocken versetzte spräche der bettler
(der erste teil des Wortes selbst ist welsch: rupta
j), aber früh verallgemeinert zu 'ungereimt' (Grim-
Teutscher Michel 13) und 'unverständlich'. Ganz
n Holteis Schlesischen gedichten, ausgäbe letzter
flateinsch a brünkel ruthwälschen; — kinder-, klug-
luges wb. unter kauderwelsch; — rebsteckenwelsch
usen; — zeitungswelsch Grenzboten vom 5. 6. 1897
13; — gotisch nahmen die Deutschen, vorurteilslos
ler bedeutung 'mittelalterlich beschränkt' aus dem
31*
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476 GOBTZE
französischen herüber, oft bei Groethe. Vgl. Zs. fdph. 30, 510.
J. Grimm, GDS. 454*). Socin, Schriftsprache und dialekte 12.
Paul, DWb.
deutsch. Luther hat einmal, vielleicht an ein im volke
lebendes Wortspiel denkend, ein gewundenes und gedehntes
deutsch wendisch oder denisch deudsch genannt Natürlich
machen es unsere nachbam mit uns nicht besser, als wir mit
ihnen: im dänischen heisst, in unbewusstem widersprach zu
der etymologie des wertes deutsch, det er iydsk for mig 'das
sind mir böhmische dörfer'; yon einem kinde das noch nicht
ordentlich sprechen kann, heisst es: hamet taier endnu tydsk:
eine bestätigung fflr Fr. PoUes ansieht von der yolksmeinnng
aber fremde sprachen; auf die deutsche grobheit zielt der aus-
druck: han bUver saa vred som en tydsher. Noch gröber sind
unsere slavischen nachbam, die uns überhaupt die spräche ab-
sprechen und uns nemXdC 'stumm' nennen. Im norditalischen
heisst todescare 'unverständlich sprechen', im übrigen ist den
Italienem an uns Deutschen der grosse durst das auffallendste
gewesen, so bei Scheffels trinkas wein aMa tedesca (Gaudeamus,
Abschied von Olevano), aber auch schon in K. Scheidts vorwort
zum Grobianus 4 d.n. und in Basiles Pentamerone (l.tag, 7.mär-
chen. 2. tag, 7. märchen und Liebrechts anmerkungen in seiner
Übersetzung). Die Franzosen halten sich über die deutsche
Schwerfälligkeit auf, ein beispiel dafür steht im Simpl.384, wo
ein französischer arzt zu Simplicius sagt: t&r redet von der
sacke wie ein teutscher, wan ihr aber einer andern natian wäret,
so wolte ich sagen, ihr hättet davon geredet wie ein narr (das
wolte verrät, dass der satz aus dem französischen übersetzt
ist). Umgekehrt ist im deutschen seit Brants, Luthers und
Huttens tagen deutsch zum lobe geworden; die ganze entwick*
lung lässt sich bei Grimmeishausen zeigen und wir führen
daher einige beispiele aus seinen Schriften hier an: zunächst
heisst deutsch deutlich von der spräche: sagte dieser mit teutsd^en
Worten Simpl. 87; meinen ausjsdriicklichen teutschen Worten Keu-
scher Joseph 8 (von der Egypterin Selicha), femer vom Inhalt
der rede: dasz sie mir endlich nach lang-gehabter mühe und
vergeblicher umschwaiffender weitläuffigkeit nur aUfu teutsch
euverstehen gab Simpl. 217; sie solle aber nicht so dunckel,
sondern fein teutsch mit der spräche herauss 340; teutscher eu
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ZUB OBSCHICHTE DER ADJECTIVA AUF -ISCH. 477
reden Simpl. 2 continuatio (Keller 1023) = Courage 22 = war-
hafper zu reden Teutscher Michel 4 (derselbe comparativ auch
in Denen mundarten: des mu9st m» deutsch» machn 'besser aus-
deutschen' Schmeller 1, 555); u>an ich dir omsz brüderlicher liehe
teutsch herauss sage 489; der könig fing selbst an sein gut teutsch
mit mir zureden 'mir ohne Umschweife vorwürfe zu machen'
553 (in Eögels ausgäbe sind die Seitenzahlen 553 und 554 ver-
druckt). Schliesslich von der gesinnung: werde ich ... mich so
gut teutsch erzeigen 274; ich muste schweigen, weil Spring-ins-
feld ausz einem teutschen auffrichtigen hertzen mir die warheit
so getreulich sagte 321; so vertraue ich meine person ihrer an-
gebomen teutscher^ reäUchkeit 393. Qanz vergessen ist der
eigentliche sinn des wortes im Keuschen Joseph 11: Musai, der
allerdings nach der Elamiten art einen offenhertzigen teutschen
sinn hatte,
altdeutsch konnte erst zum lobe werden mit und nach der
ausbildung des Hermanncultus. Aus Fischart gehört hierher
die alt teutsch tugendmutsamkeyt Peter von Stauffenberg v. 79
(1588); vnd für alt teutsch standhafftigTceyt reiszt ein weibisch
leichtfertigkeyt Eikones 1, 47 f.; aus Grimmeishausen: ou/f gut
alt-teutschy ohn einzige bemäntelung und gleisznerey Simpl. 441;
bey christlicher treue und ältteutschem bidermannsglauben 760.
Stieler kennt altteutsch nur als bezeichnung für verba obsoleta\
ebenso ältväterischteutsch 2277; undeutsch ist 'undeutlich' ge-
worden, so schon bei Luther: so ich nu nicht weis der stimme
deutunge, werde ich vndeudsch sein dem, der da redet, vnd der
da redet, wird mir vndeudsch sein. Bei Grimmeishausen ist es
widerholt 'nicht deutsch': ausz jedem unteutschen wort Simpl.
686; die unteutsche hinter lAffland 689; an einigen undeutschen
orten Vogelnest 2, 16. Mit tadel: dasz ein solcher phantast . . .
sich verlarven, mit allem fteisz zum unteutschen machen und
seine redliche landsleut verachten will Teutscher Michel 3;
seltzfam, unteutsch und unverständlich Simpl. 660.
Während der name deutsch überall in Deutschland, wo er
einen gefühlswert bekommen hat, zum lobe geworden ist, sind
die namen der einzelnen stamme mannichfach mit tadel be-
hänget worden, der meist harmlose neckerei zum ausgangspunkte
hat; pommerisch enthält den Vorwurf des bäurisch kräftigen
in der wendung pommrischer trunk bei Stieler und Schmeller;
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478 GOETZE
preussisch ist in den Zeiten des particularismus in Sachsen zum
Schreckenswort geworden: da gennte merja breissch warn heisst
'das ist um aus der haut zu fahren'. In der Schweiz bedeutet
prüssisch 'grob, brutal'; schwäbisch hat an einer stelle bei
Fischart einen tadel: dann ich kan auch fioch fünff sprachen
ohn schwätzenschwäbisch, das ist die sechszt, heisst lügen Gai^g.
459 (geschwätzigkeit wirft auch Sachs den Schwaben vor^
Schwanke 2, 421, ebenso Kümelant dem Marner: das ander rat
dir swcebisch melt, dtn diutsch ist uns ee drcete MSH. 3, 56b).
Femer das häufige wort 'schwäbisch ist gäbisch'. fränkisik
wird in der Altmark gebraucht wie sonst spanisch: dat wärt
di fränhsch ankaamn Danneil. Hiermit vergleiche man, dass
schon Luther in den Tischreden die spräche der Franken als
grob und vngehöflet bezeichnet, femer die Untugenden die un-
gefähr gleichzeitig der Schwabe Frank und der Baier Sachs
den Franken nachsagen: geldgier, räuberei und gotteslästerung,
raub und trank. Schliesslich gehört hierher altfränkisch^ das
bei dem Franken Hugo von Trimberg natürlich ohne tadel
erscheint:
anch sol man noch besvnder danken er sei der alten frenkischen lente:
eins Sprichwortes aUen Franken. die waren einveltich getreu, gewere.
man sprichet gern, swen man lobt wolte got, das ich alsam were
heyte, Renner 22264 ff.
Der Tiroler Vintler bezeichnet in seiner Blume der tugend um
1411 das wort als neumodisch. Im schlesischen hat es, schon
1640 bei Wencel Scherffer, den beigeschmack von 'einfiUtig'
angenommen, doch scheint dieser durchaus auf den osten be-
schränkt geblieben zu sein, denn sowol bei denen die vor und
mit Scherffer zugleich schrieben (Maaler. Fischart, Garg. 446.
Grimmeishausen, Simpl. 314. 657. Vogelnest 2, 1) wie auch in
den heutigen mundarten ist es durchaus nur 'altmodisch'. Ob
in bairisch eine neckerei liegt, wenn Grimmeishausen, SimpL
195 sagt: unter den falschen würffein befanden sich Niderländer,
welche man schläiffend hinein rollen muste ..., andere waren
oberländisch, denselben muste man die bayrische höhe geben,
wan man werffen ^woUe, ist nicht zu sagen: die beiden andern
ländernamen sind nur der äusseren anlehnung wegen eingesetzt.
Auch einzelnen städten wird ein tadel angehängt, den
bedeutendsten zuerst, vor allen Köln. Kölnisches gewicht sind
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ZUB OESCmCHTB BEB ADJECTIVA AUF -ISCH. 479
'schlage', in Holland 'zu leichtes gewicht', Kölsche muff 'maul-
hänger' werden die Kölner im Rheinfränkischen gescholten
(Zs. fdm. 3, 555), am verbreitetsten ist die redensart vom Köll-
schen bötchen, in der den Kölnern nachgesagt wird, dass sie
noch einmal so viel auf die wäre aufschlagen, als sie zu nehmen
vorhaben. Zu Hildebrands belegen im DWb. Woeste, Wb. der
westf. ma. 138. Mit dieser redensart fällt die vom niderlenschen
bieten (Mumer, Schelmenzunft 2, 20) zusammen: der Alemanne
Mumer meint mit Niderland eben Köln. In Oberdeutschland
spielt Nürnberg die rolle von Köln: vff Nürenbergerisch hangen
(Zamcke zum Narrenschiff 48, 86) entspricht hier dem KöU-
sehen bötdien. Andre äusserungen des unmuts über Nürnberg
stehen bei Mumer, Schelmenzunft 16, 27. 28, 40. Narrenbeschw.
79, 14. — sodomiHsch. Sodomit war nach 1. Mos. 19, 4 ff. zuerst
in der theologischen und juristischen spräche zu 'knaben-
schänder' geworden, aus dem Schwabenspiegel bringt Adelung
ein beispiel dafür, dazu sodomitisch Fischart^ Bienenk. 146b.
Frisch 2,284a. Adelung 4, 501. Campe 4, 463. — altmlisch Garg.
40 f. bringt J. Grimm im DWb. mit mhd. alMl 'hermaphroditus'
zusammen; da aber bei Fischart beide male der sinn 'altmodisch'
sein wird und gleich nach der ersten stelle Rastatt, Schilck-
haim und Henau (Schiltigheim und Hagenau) genannt werden,
so ist es wahrscheinlicher, dass Fischart an das dorf Altweiler
im kreise Zabem gedacht und dass ihm dabei doch mhd. wtle
vorgeschwebt hat: das wäre ganz fischartisch. Diese erklärung
scheint mir näher zu liegen als die Grimms unter altmlisch
und auch unter antiquisch, wo er altunlisch für eine scherz-
hafte Verdrehung oder für einen druckf ehler für aitunbisch hält.
Fast überall tragen hier adjectiva auf -isch einen tadel,
den ihre grundworte nicht oder doch nicht so scharf aus-
drücken; man darf aber doch nicht den tadel schlechtweg auf
rechnung der endung setzen, wie es z. b. Albrecht, Leipziger
ma. s. 42 tut: gerade bei seinen beispielen Pegsche schuster und
de Zwicksdien liegt die misachtung schon in den grundworten:
man denke bloss daran, dass Pegau hierzulande nicht anders
als Kuhpege heisst. Auch brauchen es nicht immer die adjec-
tiva auf 'isch zu sein, die den tadel tragen, so namentlich
wenn dieser seinen Ursprung nur einem zufälligen anklang
dankt, wie bei der in Leipzig beliebten Zwenkschen Umne,
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480 GOETZB
d. L der neigong, mit den äugen zu zwinkern. Oft entwickelt
sich hier gar kein adjectiv, so in der gleichbedeutenden frage
an einen gähnenden was machen se denn in Jene? den schelt-
namen Lappländer ('schlecht gekleideter mensch, um den die
läppen hängen' Albrecht. Berndt, Versuch zu einem schlesischen
Idiotikon), Nassauer, Potjsdamer, Cappadocier (Renner 3939
neben diep, trvgner, lugner), SchweUsinger (Fischart, Bienenk.
195 b), Butjsmacher (lügner', hutzbacherei 'aufschneiderer Schmid,
Schwäbisches wb. 111), Hottentott ('Centaurus est' Serz), Lappen-
hauser und Ältenhauser (Sachs, Schwanke 1, 588 ff. 2, 314). Dass
aber dennoch das adjectiv viel öfter einen tadel ausspricht als
das grundwort, liegt daran dass es einen vergleich und damit
ein Werturteil enthält: Kölsch ist nicht mehr bloss 'aus Köln
stammend', sondern 'wie in Köln', und femer daran dass in
dieser function viel eher eine Übertragung möglich ist.
8. Wie die Ortsnamen zu den ländemamen, so verhalten
sich zu den Völker- die personennamen und entsprechend
ihre ableitungen unter einander. Auch von ihnen sind einige
zum tadel geworden: gretisch 'weibisch' bei Mumer, Geuchmatt
V.157. 1791. 1797. 1871. Maaler 144d. 192c. Stieler; zu Grefe,
im allgemeinen sinne verächtlich 'mädchen', hierzu Wacker-
nagel, Kl. sehr. 3, 137. ^Gritte oder Grete, für Margarethe; doch
meist nur, wenn man tadeln und schelten will Dumme, a(o)U
lerne Gritte s. auch Pimpeigritte' Bernd, Die deutsche spräche
in Posen. Auch ausserhalb Deutschlands: Margarethe heisst
hei den Siziliem durchaus ein gefälliges, feiles mädchen Seume,
Spaziergang 1^, 166. epikurisch hat seit Luther immer die be-
deutung 'gottlos und genusssüchtig', so im Spiesschen Faust-
buch von 1587, s. 105 d. n. Simpl. 257. 261. 348. Ebenso das
grundwort: Epicurus ist bei Sachs, Schwanke 1, 139 haupt-
mann der schlauraffen, epicurer ist bei Fischart, Bienenk. 206 b.
208b und Grimmeishausen, Simpl. 512. 643 schlechtweg 'schlem-
mer'. — matthiasch 'gestreng' von einem herscher bei Luther,
von Matthias Corvinus; s. Zs. fdph. 26, 48 f. 430 1 — beeUe-
bubisch, luciferisch, satanisch haben wie teuflisch tadelnden sinn
und lassen sich sämmtlich aus Fischart belegen: Bienenk. 217b.
Jesuiterhütlein v. 263 und 549, zu dem dritten s. Germ. 28, 400.
29,393, zu dem zweiten lud f ersehe hoffart Luther, An den christ-
lichen adel 40.
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ZÜB GESCHICHTE DER ADJECTIVA AUF -ISCH. 481
Diese ableitongen von personennamen führen ans schliess-
lich auf die namen der religiösen parteien des reformations-
zeitalters, die hier zusammengestellt werden mögen, lutherisch
hat jetzt in katholischen gegenden Baiems oft einen feind-
seligen, mistrauischen beigeschmack (Brenner, Zs. des allg. d.
Sprachvereins 12,92); der bairische herzog Wilhelm IV. (1508
— 1550) sagte einst zu seinem hofstaat: sauffty frest, huret:
werdet nur nicht Lauterisch (der Chronist fttgt hinzu: sie enim
dixit pro Lutherisch, denn er war ein Sewbair Schmeller 1, 1541.
Das geschichtchen auch bei Fischart, Garg. 142. Woher der
name sewpayren kommt, sucht Sachs, Schwanke 1, 317 zu er-
klären, vgl. 2, 303). Im Elsass werden die Protestanten 2u^^
mefttätcÄ:J:ej>/* gescholten (Zs. f dm. 3, 483), und wol von anfang
an ist das wort feindselig gemeint, denn nach Luthers schrift
Wider Hans Worst 49 scheint es zuerst von erzbischof Al-
brecht von Magdeburg, also einem gegner Luthers, gebraucht
worden zu sein. Luther selbst wendet es nur an, wo er werte
seiner feinde anführt oder verspottet, und auch in der zeit
kurz nach ihm überwiegt durchaus der gebrauch im munde
der gegner; bezeichnende beispiele stehen in der Zimmrischen
Chronik 2, 322 und 3, 630, bei Sachs, Fabeln 2, 408. 412 und in
Fischarts Bienenk. 107 b. Eine erinnerung an die geusen ent-
hält wol die nnl. scherzrede luthers wezen für 'kein geld im
beutel haben' (Molema, wb. der groningenschen ma.; gösisch
Bienenk.l71a; das grundwort gös im Podagr. trostb. 16, 30, wo
Hauffens erklärung wol nicht zutrifft), einen Wortwitz das
bekenntnis des trinkers im Garg.: ich bin kaltwinisch (s.o. alt-
wüisch), wenn ich jn (den wein) kalt habe, und Lutherisch,
wenn er trüb ist (luter). — Zu talvinisch ist ausser diesem
beispiele noch die schweizerische redensart anzuführen en hü-
vinische möge ha 'alles vertragen können' (Staub-Tobler 3, 238).
Nach Rochlitzer gerichtsrechnungen ist ein dortiger pfarrer
1604 vor einen ealvinischen hurentreiber gescholten worden
(Mitteilungen des Vereins für sächsische Volkskunde 5, 7). —
ketjserisch ist in einem ratsprotokoU von Ulm 1517 'sodomitisch',
ebenso im älteren dänisch. Unbeirrt davon kommt es z. b. bei
Luther und Fischart vor: An den christl. adel 12. 15. 18. 61. 65.
Wider Hans Worst 18. 20 u. ö. Bienenk. 11 a. 16 a u. ö. Garg. 5,
387, auch bei Sachs, Fastn, 5, 37. — täuferisch und wider-
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482 aoETZE
täuferisch sind tadelnd, so oft sie vorkommen, bei Luther, aber
auch noch im Flöhhaz y. 1999 und Simpl. 491. 575, namentlich
der Vorwurf der Vielweiberei liegt ganz gewöhnlich darin, vgl
Luther, Wider Hans Worst 58. — zmnglisch zuweilen mit
tadel: man sagt, das itzt etttiche papisten jgtinnglisch sind Luther,
Von der winckelmesse vnd pfaffenweihe 24 d. n.; das die gott-
seUigen Stiftungen von den jswinglischen schwermem alsojemer-
liehen sollen zerrissen und vernichtet werden Zimmrische Chronik
1, 192. — katholisch zeigt von allen diesen Worten die reichste
entwicklung. Am mildesten ist hier der tadel, wenn es in der
Schweiz 'sonderbar, fi-emdartig' bedeutet, in Westfalen und
Nordböhmen ist es zu ^fägsam, willenlos', in der Schweiz weiter
zu 'dumm' geworden, diesen klang hat auch Fischarts h&nfiges
kaüiolisch oder katzwolUsch (das o war kurz: catollischen Zimmr.
Chronik 3, 377). In Posen, Pommern, der Altmark, Sachsen,
Thüringen und der Schweiz ist es in der redensart de» ist ja
um katholisch zu werden = 'verrückt' (ohne tadel dagegen asz
me möcht katholisch werde in Hebels Alemannischen gedichien,
Die feldhfiter). Dänisch catholsk ist geradezu 'toU', schwedisch
katolsk 'unrecht, verkehrt', und das Göttingische (Schambach
140) hat gar die Zusammensetzung muttenkaiholsch, mit der
einem verdriesslichen menschen gleichsam nachgesagt wird,
er sei aus lauter ärger (mutten wie sonst mucken, grillen)
katholisch geworden. In Kaspar Stielers Grehamschter Venus
121 d.n. wird katolisch ein mädchen genannt, das es mit allen
männem hält: sollte dieser bedeutung die etymologie des
Wortes zu gründe liegen? Umgekehrt hat das wort in katho-
lischen gegenden den sinn von 'echt und recht, vemOnftig'
angenommen, so (allerdings ironisch) gut cathoUsdi Fischart,
Bienenk. 196b. 233a. 234a, gut vnd catholisch 36b. 51a, gleich-
bedeutend gut mönchisch Grimmeishausen, Immerwährender
calender (Kurz 4,248); in der Schweiz heisst es bei recht-
schaffener kälte hüt is katholisch, in Baiem ists in der Wen-
dung da gehts nicht katholisch zu 'rechtmässig'; einen kaÜMlisth
machen heisst hier und in Nordböhmen 'ihn zur Vernunft
bringen' und so ganz geht in dieser wendung die gnuid-
bedeutung des Wortes verloren, dass der Oberpfälzer seinem
störrischen ochsen zuruft: wart, i will di katolisch machng!
An die guten klosterweine denkt Fischart, wenn er Garg. 87
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ZUR GESCmOHTB DEB ADJECTIVA AUP -ISCH. 483
sagt: nur caihölischen wein her, so sich auff seine gute verlaszt,
das zeigen die gleichbedeutenden Wendungen neben eym kännlin
* gutes reinischen weins, den ma/n theologischen wein nennet Bienen-
k. 4b; vinum iheologicum oder theologantenwein, noch vinum cos
oder Jcostwein, dcus ist, wein ausz desz pfarrhers fäszlein 4b;
so nem man vom besten vino fheologico, oder vom wein, den die
babilonisch hur (der papst) den fUrsten vnd königen einzu
schencken pflegt 241b. Und noch heute in der Schweiz das
sfig iez au wider emol es katolisches tröpfli.
9. Die zuletzt besprochenen worte und ihre Synonyma
gehören ein^ klasse unserer adjectiva an, die die entwicklung
des bösen sinnes sehr anschaulich zeigt und die wir daher bei
dem Schriftsteller der sie in voller entwicklung zeigt, bei
Luther, an einigen beispielen im Zusammenhang betrachten
wollen: es sind die adjectiva auf -isdi, die die Zugehörigkeit
zu einer partei bezeichnen. Johannes Clajus, der seine gram-
matik auf beispielen aus Luthers deutschen Schriften aufgebaut
hat, sagt s. 57 d.n.: in -isch desinentia possessionem significant,
out proprietatem, aut gentem, a/utpatriam, aut sectam, zu den
adjectiven der letzten klasse rechnet er heiserisch, königisch,
churfürsHsch, lutherisch, papistisch, cäluinisch, flacianisch. Die
meisten dieser beispiele sind ohne tadel, und in der tat bedingt
die Verwendung unserer adjectiva zur bezeichnung der partei
keinen tadel: parteiisch und unparteiisch gebraucht Luther
regelmässig so, auch 1. Ck)r. 1, 12 ist ohne bösen sinn: ich sage
aber dauon, das vnter euch einer spricht ich bin paulisch, der
ander ich bin apoUisch, der dritte ich bin kephisch, der vierde
ich bin christisch, ebenso 1. Cor. 3, 4: denn so einer saget, ich
hin paulisch, der ander aber, ich bin apoüisch (ähnlich dasjs ich
weder petrisch noch paulisch bin Simpl. 349; der bibelisch pau-
lisch vnd euangelisch luft möcht in ketzerisch machen Bienenk.
196b; vgl 232a. Garg. 5; wörtlich an die Vulgata hält sich
dagegen Fischart oder sein niederländisches vorbild Bienenk.
29 b: das in der gemein der Corinther etliche sich nanten Petri
jünger, die anderen Pauli discipeln, die driten apollisch etc.).
Dagegen stellt sich der tadel sofort ein, wenn Luther von den
angehörigen einer feindlichen partei redet, wenn er bekennt:
wir sind widder bepstisch noch carlstadisch, sondern frey und
christisch, oder wenn er klagt: viel ebräisten sind, die mehr
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484 OOETZB
rabbinisch, denn christisch sind; zum bittersten Vorwurf steigert
sich der böse sinn in Luthers bepstisch und papistisch.
Beide Wörter sind in der reformationszeit und später überaus
häufig, natürlich nur auf protestantischer und calyinischer
Seite. Für Luther vgl. noch die papistischen Heintaen (Hein-
rich d. j. von Braunschweig) vnd heinteische papisten Widö"
Hans Worst 29, femer Germ. 28, 393. 29, 388. Simpl. 751 wird
das wort ganz wie katJwlisch gebraucht; ein papistischer böse-
wicht Alberus, Fabeln 37, 10; der teüfel, der den misjgbraueh
des papistischen sacraments erfunden hat Val.lckelschamer, Clag
etlicher brüder 54 d. n.; die papistischen alfentaereyen Weise,
Erznarren 183; die papistischen ceremanien mit dem kindischen
Jcinderwiegen 189. Aber nötig ist dieser tadel nichts das zeigen
barfussisch (Dietz, Wb. zu Luthers deutschen Schriften 1, Leipzig
1870; barfüserisch Fischart, Garg. 28. 176. Bienenk. 194b; bar-
fusserseylerisch Garg. 178), dmrfürstisch, herzogisch (Dietz unter
churfürstisch, Deutsche Städtechroniken 10, 355. 22, 60. 25, 210
[Nürnberg und Augsburg]), kaiserisch (Chroniken 3, 118, Nürn-
berg. Fischart, Bienenk. 130 b. Garg. 394. Helber, Syllabierbüch-
lein 1593, titel. Simpl. 265. 471. Courage 6. Springinsfeld 20.
Calender Kurz 4, 217 f.), kirchisch und thümisch, d. L 'domisch',
königisch, pfaUgräfisch (Sachs, Schwanke 2, 247). Zufilllig für
Luther nicht belegt, dafür aber bei Melanchthon, ist land-
grafisch (Lexer unter milhüs. Garg. 84. Limburger Chronik cap.26),
grafisch und freiherrisch (G^ldast, Reichshändel, vorrede). Diese
parteinamen zeigen uns so gut wie die vorher behandelten
ableitungen von orts- und personennamen einen weg, auf dem
adjectiva auf -isch aus der reinen bezeichnung der herkunft
zum tadel werden können.
10. Von den eigennamen aus hat sich eine Verwendungsart
unserer adjectiva zu ziemlicher Selbständigkeit entwickelt, die
construction von auf mit dem acc. eines adjectivs auf
•isch, die einer besondem betrachtung bedarl Wir wollen
die entwicklung dieser construction an einigen beispielen aus
Fischart und Grimmeishausen verfolgen.
Ausgegangen ist sie offenbar von der räumlichen bedeutung
der praep. auf, von fällen wo ein nachzubildendes neues auf
ein vorhandenes vorbild gelegt wurde, wie ein kleid vom
Schneider auf ein modeil. Die Wendung kam allmählich zu
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ZUR OESCmOHTE DER ABJEGTIVA AUF -ISCH. 485
der weiteren bedeutung ^auf diese und jene weise'; in dieser
Verwendung verdrängt auf älteres in, dann bleibt wie beim
französischen ä la maniere das Substantiv weg, aus älterem
auf deutsche ari wird auf deutsch. Da sich nun der volks-
mässigen Vorstellung die art eines Volkes vor allem und fast
nnr in seiner spräche ausdrückt (viele beispiele bei Fr. PoUe,
Wie denkt das volk über die spräche. Vgl. Sachs, Schwanke
2, 302. Schmeller unter deutsch)^ so wird die Wendung auf dieser
stufe ihrer entwicklung verengert zu der bedeutung 'auf die
und die spräche'. Diese Verwendungsart ist im frühnhd. die
normale, fOr sie f&hren wir zuerst beispiele an: aus Fischart
auffnider teutsch. auffgutpreyt fränchisch hoch teutsch Bienenk.
Ib; auff teutsdi oder frantaösisch 5b; auff niderländisch 114a;
auff frantzösisch 141b; auff welsch 194a; auf sein spanisch
121a; auff italiänisch vnd frantzözisch 238b. f.; auff vnser
teutsch 242 b; auf dein latein Glückh. schiff, Eehrab v. 69; auf
gut teutsch vnd kain latein v. 85 u. a. m.; aus Grimmeishausen
auff sdavonisch Springinsfeld 12, ou/f böAmi^cAebda.; auf latei-
nisch Vogelnest 1, 7; aufhebreisch Keuscher Joseph 13; uff recht-
schaffen teutsch Kalender, Kurz 4, 243; auff gut dlt-teutsch, ohn
eintzige bemäntelung und gleisjmerey Simpl. 441. Die letzten
stellen beider schriftsteiler legen schon ein gefühl in die
Wendung.
Daneben findet sich die construction nicht selten von
Sitten und eigenschaften, bei Fischart auch von einzelnen vor-
fallen gebraucht; doch stellt sich diese Verwendung dem Sprach-
gefühl immer als kühner gebrauch der ersten dar, das zeigt
Fischarts den zweck mit den schönen zänen aus dem treck
müssen auf niderländisch trecken vnd schlecken (nnl. trekken)
Garg. 157. Hierher gehört femer auff spartanisch Garg. 102;
auffgetisch 102; auf cananeisch 151. Bienenk. 84a; briistlein
nicht zu hoch auff schweitzerisch vnnd kölnisch, nicht zu nider cm ff
niderländisch . . . , sondern auff frantzösisch . . . oder auff gut
engeüendisch Garg. 113; auff indianisch Bienenk. 58 b. Selten
sind beispiele dieser art bei Grimmeishausen: auf spartanisch
Teutscher Michel 8 (wir sagen jetzt lakonisch); deszwegen hielt
er auch das versprochene quartier sehr ehrlich und auff hollän-
disch Simpl. 324. Oefter wird hier das Substantiv hinzugesetzt:
auf eine altfränckische oder holländische manier, da aUes mit
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486 GOETZE
guter ordre eugeht Springinsfeld 18; auf die böhmische manier
Springinsfeld 4; anch bei Fischart: aufeuangelische weise Bienen-
k. 192 a. Diese ganze Verwendungsart steht sichtlich unter dem
einflusse des romanischen d la, deutsches gepräge erhält sie
erst dadurch dass sich auch hier wider der böse sinn durch-
setzt. Zunächst kann auch hier das Substantiv dabei stehen:
auff die phariseische weise Bienenk. 166a; auffpäpsiische weise
262 a; auff eine gante fremde und hey nahe a^ff die alte anti-
quitätische manier Springinsfeld 2; wann man auff italienische
oder spannische manier gemein wasser unter den wein schüttet
Vogelnest 1,4; die hosen waren auff polnisch oder schwäbisch,
und das wams noch wol auff eine närrischere manier gemacht
Simpl. 137. Weit öfter aber fehlt es; auch bei dieser häufigsten
Verwendungsart ist es deutlich, wie sie von der spräche aus-
gegangen ist: ati;fmo5c<mt^i5cA Bienenk. 133b; auff sün römisch
oder cardinalisch 232 a; auff trateisch, auff indisd^ Garg. 100;
auff eigeinerisch 302; auff jüdisch 372; a/uff cüicisch vnnd
faUensüchtisch (valencisch) 372; auf gut schweierisch Glückh.
schiff, Kehrab v. 64; auf grob schweieerisch v.858; ein.,, scheuer
.,, in deren wir a/uff türcJcisdi auff der erden herum sassen und
gleichwol auff alt teutsch herum soffen Springinsfeld 22; auff
jüdisch oder türchisch . . . auff franteösisch, spanisch oder croa-
tisch Teutscher Michel 3; auff böhmisch eu stehlen, auff cretisch
eu lügen, auffitalianisch eu lefflen, auff spanisch eu schmeichlen
und eu betriegen, auff russisch eu praUen und auff gut franteö-
sisch eu potemartem wissen Teutscher Michel 3; auff franteö-
sisch thun 11; ein weiter rock oder Mttel auf franteösisch, pol-
nisch oder crawatisch Simpl. 3. continuatio (Keller 1045); er
mästete uns auf schwädisch, und hielt gewaltig eurück SimpL
371; auf catholisch, lutherisch, calvinisch Yogelnest 1, 3. Ein
in diesen und den folgenden belegen dem adjectivum beigefügtes
gut soll es nicht zum lobe erheben, es drückt nur aus, dass
sich der betreffende Vorgang vollkommen in der art des be-
griffes vollzogen hat, den das adjectiv ausdrückt. Einen
ironischen klang bringt ferner das gut in das folgende bei-
spiel: obgleich die reimen von schlechter kunst auff gut Hans
Sächsisch geschmiedet, so war doch der inhalt so Vernunft-
massig Vogelnest 2, 12. Das ist zugleich der einzige fall, dass
Grimmeishausen diese construction mit einem von einem eigen-
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ZUR GESCHICHTE DBB ADJECTIVA AUF -ISCK 487
namen abgeleiteten adjeetiv anf -isch wagt; nm so häufiger
sind solche fälle bei dem wortkühnen Fischart. Vergleichend
ohne tadel sind bei ihm: auff nuLdmilianisch oder teurdanckisch
6arg.281; auff saulisch 283; auff adamisch 306; auff janisch
335; auff alckestisch, senecisch, eneisch 102; auff gut michelr
angelisch, holheinisch, stimmerisch, Älbrechtdurerisch, luocm^üe-
risch, hockspergeriseh, Jose ammisch 446. Tadelnd sind dagegen
auff eulenspigliseh 253 XL ö.; auff diogenisch 80; auffdiamedisch
371; auff müntaerisch vnnd münsterisch prophetisch 380; auff
machiaueUisch 417; auf machametisch oder mässometisch Bienen-
k.81a; auff achitophelisch 127 b. Tadelnd sind schliesslich von
Fischarts hierher gehörigen ffignngen die zu appellativen ge-
hörigen: der Übergang zu ihnen wurde Fischarts Sprachgefühl
erleichtert durch die vielen constructionen zu erdichteten, aus
appellativen zurechtgestutzten Ortsnamen, an die er gewöhnt
war, so: auff sdhlaurafßsch Garg. 78; auf durstbergisch i2; auff
eszlingisdi vnd hberaiuisch (Leberau nördlich von Rappoltsweiler)
340. Hierher gehören auch die alten durstallerischen panta-
grueJisten 115 (durst-thalerisch, unorganisch wie schweitzerisch
Garg. 89. 113. 122. 172 U.Ö.; baselerisch 33. 176; harhüserisch
89 für jponmcft; jochimsthalerisch 374; straszburgerisch Bienenk.
36a; carfheuserisch 89b; rockenstubnerisiA 104a)-
Lobend ist von den ableitungen von appellativen nur auf
gut schreiberisch Glückh. schiff Kehrab v. 71, bei Grimmeishausen
nur auff gut einsidlerisch^\m^\.\%Q, alle andern sind tadelnd: auff
iJiorherrisch Garg. 23; cmf schiffmännisch 246; auff sein pfäfßsch
Bienenk. 220b; auf edelmännisch Simpl. 471 und 6, 8 (Keller 822.
868); auff soldatisch 581; auf gut betierisch Springinsfeld 22;
aii/f" rechtschaffen gut bulerisch Vogelnest 2, 7, auf gut bäurisch
Courage 23, ohne Werturteil auff stättisch gebauet Simpl. 246.
Bei Grimmeishausen spielt hier die ironische Verwendung
eine besonders grosse roUe, und fiberall fühlt man den gedanken
an die Verwendung unserer adjectiva für die spräche hindurch,
der die construction überhaupt ermöglicht hat.
11. Wir schliessen diesen abschnitt über die adjectiva auf
'isch von eigennamen u. ä. mit der bemerkung, dass diese auch
jetzt noch nicht angehört haben, gelegentlich einen tadel zu
entwickeln. Wenn Bismarck, Gedanken und erinnerungen 2, 228
von ekstatischen auffassungen spricht oder eine Europäerin
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488 aoETZ£
gelegentlich aus Ceylon schreibt: die borke die uns ans land
bringen sollte, sah sehr asiatisch aus, so gebrauchen sie rein
occasionell asiatisch in dem sinne von 'barbarisch'; schon fester
scheint eine derartige Verwendung von schweizerisch ein-
gewurzelt zu sein: die neuen grossere gasthäuser im Schwarz-
ivdld sind in ganz Deutschland die schweizerischsten im guten
und Übeln sinne Grenzboten 57, 1, 89.
12. Aufs engste sind den adjectiven von ländemamen die
von land, heim u.a. abgeleiteten verwant, wie mhd. lendisch
('inländisch', Chroniken 15, 153; das baltische landsch in der
bedeutung 'vom lande stammend' ist jünger, schon weil der
Umlaut fehlt, Wissensch. beihefte zur zs, des allg. d. Sprachvereins
3, 29), inlendisch (Bienenk. 192 b. Keuscher Joseph 15), üzlendisck
(mhd. Luther. Maaler. Helber, Syllabierbttchlein 15. 28. Grim-
melshausen, Teutscher Michel 1), mörlendisch, niderlendisch, ober-
lendisch (Geiler von Eaisersberg, Irrig schaf, Strassburg 1510,
Aa VI. Eck, Vorrede zur bibelttbersetzung, Ingolstadt 1537 =
Kluge, Von Luther bis Lessing 30. Im Wortspiel SimpL 195),
überlendisch, zu denen im nhd. noch viele andere gekommen
sind, wie altländisch, binnenländisch, fem-, fremd-, hier-, mit-
ländisch (Fischart, Garg. 349), mittel-, vaterländisch (erst in
neuester zeit für 'patriotisch' = 'vaterlandsliebend'; in diesem
sinne behält z. b. noch Seume das fremdwort immer bei:
Spaziergang 2^, 6. 19. 151. 203; ihm ist vaterländisch entweder
'das Vaterland betreffend': e^ne vaterländische neuigJceit 2, 70,
oder 'wie im vaterlande': weiter herab ist alles vaterländisch
160, öfter ist es geradezu 'deutsch' (vgl. engl, fatherland, father-
landers, schw. det stora fosterland = Deutschland): den vater-
ländischen bäum 10; grüne vaterländische eichen 54; hier bin
ich nun wieder unter vaterländischen freunden 152; vaterländisd^
gegend 1,145 könnte man mit 'Vaterland' widergeben', in das
andenken des vaterländischen flusses 2, 12 und den vaterländi-
schen boden 194 den genetiv 'des Vaterlandes' einsetzen, ebenso
in die meisten beispiele des DWb.); unter- und hoUändiseh (die
holländische manier Weise, Erznarren 123 und holländisch durdi-
zugehn im DWb. knüpft vielleicht an fiändrer in dem dritten
oben besprochenen sinne an; vgl. auch Holländer im DWb.);
heimisch mit aus- und inheimisch, einheimisch (Spiessches Faust-
buch 134 d.n. Simpl.585); unheimisdi (Lexer im nachtrag. Seume^
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ZUR GESCHICHTE DER ADJECTIVA AUF -ISCH. 489
Spaziergang 2\ 75. 126 'unheimlich'); geheimisch (vgl. Kluge,
Von Luther bis Lessing 52') aus einem psalterium latinum
von Strassburg 1508) ; femer bürgiscJi, birgisch, gebirgisch (un-
ubertragen 'aus dem gebirge', so nach Adelung im gemeinen
leben. Seume, Spaziergang 1*, 9; recht gebürgisch reden 'grob wie
ein Tiroler', Zs. f . d. culturgeschichte 5, 55, aus Nürnberg 1765;
bei Sachs 'dumm'); irdisch mit über-, unter-, unirdisch (tvmme
priester vnd Schulerorden ist nv sogar vnerdisch worden, daz sie
wenent, sie sin die an künsten, die sie wurden nie: swen dvnket,
dcus er weise sei, dem wont ein gauch vil naJien bei Renner
17885: der sinn ist 'hochmütig', also vielleicht gegensatz zu
einem irdisch 'demütig'?), seeisch mit über- und unterseeisch;
meerisch mit mittelmeerisch] mittelweltisch; städtisch mit gross-
und Tdeinstädtisch (es ist ihm gangen wie jenem kleinstädtischen
bürgemeister 'jenem bürgemeister einer kleinen Stadt' Weise,
EIrznarren219; kleinstädtisch 'oppidanum' Serz, mit sehr starkem
tadel Adelung 2, 1626; vgl 1401); reichisch (Wissensch. beihefte
zur zs. des allg. d. Sprachvereins 1, 25).
Jede erweiterung des horizonts hat zu diesen adjectiven
neue gebracht, die entdeckung von Amerika (oder Luthers
bibelübersetzung?) den gegensatz von morgen- und abendlän-
disch, die gründung von colonien die adjectiva hinter-, mutier-,
tochterländiseh,
13. Hierher gehören schliesslich die jungen ausdrücke der
Sprachwissenschaft, die sich nicht besinnen wird, ein adjectivum
ardensländisch oder neckarländisch oder nordisch zu bilden,
wenn sie von der spräche des Ordenslandes oder des Neckar-
gebietes oder des nordens spricht (als richtungsbezeichnung
hatte sich nordisch nicht durchgesetzt, so wenig wie südisch,
mittemächtisch [mittnäditisch Fischart, Garg. 354. Frisch 1, 40 b.
666 c] und mittägisch [Garg. 354]), so wenig sie sich am ende
des 16. jh.'s bedacht hatte, thonawisch (als bezeichnung der
herkunft 1572 in Fischarts Praktik 19), suntgewisch und höchst-
reinisch (alle in Helbers Syllabierbüchlein von 1593) zu er-
finden. Allein auf Otto Bremers karte der deutschen mund-
arten finden sich sechs derartige worte, die sich noch in keinem
Wörterbuche und kaum in volksmässigem gebrauche finden:
havelländisch, breisgauisch, ringgauisch, riesengebirgisch, itzgrün-
disch und taubergrundisch.
Beitrage zur gescbichte der deutschen spräche. XXIV. 32
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490 GOKTZB
Wie leicht sich solche bildungen jetzt einbürgern, erkennt
man an diesrheinisch und überf-heinisch, rechts- und Utücsrhei-
nisch, von denen die beiden ersten nicht älter als das 11. buch
yon Qoethes Dichtung und Wahrheit, die beiden andern nicht
älter als die entsprechenden eisenbahnen sein werden, dann
an der bildung reichsländiseh, die sicher aus der zeit nach 1871
stammt, und endlich an ostelbisch, das sammt dem noch ge-
schmackloseren Ostelbien erst ein geschenk der agrarischen
bewegung der letzten jähre ist.
14. Für die bedeutungsentwicklung sind auch diese adjec-
tiva wichtig, weil sie aus der bedeutung der reinen herkunft
zu einem bösen sinne tiberleiten können. Die möglichkeit
dazu ist gegeben, wenn z. b. das adjectiv der herkunft von
einem teile eines yolkes, etwa von einem einzelnen stände, ab-
geleitet wird. Solche adjectiva erhalten dann im munde der
gegner dieses Standes oder auch schon der angehörigen andrer
stände fast mit notwendigkeit einen bösen klang. So ist bei
keiner bezeichnung der grossen Standesgegensätze Deutschlands
der böse sinn ausgeblieben: mhd. biurisch, göutcisch, dörpisch
bedeuten im munde der ritter 'täppisch', ein ritterisch etwa in
dem sinne von 'hochmütig' oder 'habgierig' ist uns vieUeicht
nur deshalb nicht überliefert, weil wir aus der ritterzeit keine
bauemliteratur haben; städtisch hat im munde unserer nord-
deutschen bauem noch heute einen bösen, argwöhnischen klang
(natürlich bei dem Glogauer Gryphius nichts Palm, Lustspiele
287), und ebenso in dem fastnachtspiele Claws bür die Wendung
up horgers Üben, •
Wie biurisch und seine verwanten sind dann auch nerrtsch^
teerisch, risenisch, twergisch aufzufassen. Sie bedeuten ursprüng-
lich 'dem Stande, der klasse der narren, tören, risen, twerc
entstammend, ihr angehörend'. Da aber der begriff der her-
leitung neben dem der Zugehörigkeit mehr und mehr zurück-
tritt — ein ganz natürlicher Vorgang, denn der alltäglichen
rede sind die gegenwärtigen, tatsächlichen Verhältnisse wich-
tiger als die geschichtlichen und logischen zusammenhänge —
und da zugleich der attributive gebrauch in der apperceptiven
bedeutungsentwicklung eine grössere rolle spielt als der prä-
dicative, so gehen sie einfach in die bedeutung 'wie ein narre,
tore, rise, twerc' über, und diese grössere freiheit der bedeutung
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ZUB GESCHICHTE DER ADJECTIVA AUF -ISCH, 491
ist der gnind dafür geworden, dass sich diese adjectiva viel
weiter ausgedehnt haben, als die substantiva, von denen sie
abgeleitet sind: das wort du narr, das Luther im neuen testa-
ment zum Scheltwort macht, in das er also einen vergleich
legen will, hat sich dazu viel ungeeigneter gezeigt als das,
logisch genommen etwas mildere du närrscher kerl. Ebenso
ist läppisch in vollem gebrauch, läppe fast ausgestorben. Ur-
sprünglich aber hat neben jedem dieser adjectiva ein gleich
lebendiges Substantiv gestanden, wie neben biurisch in Hart-
manns Gregorius v. 1125 grojse gebüre v. 2791. Die substantiva
bewahrten aber ihre grundbedeutung, blieben darum, einmal
angewendet, gröber als die vergleichenden adjectiva {du narr
Matth. 5, 22 ist die ärgste beleidigung, es heisst eben 'geistes-
kranker'), waren auch mehr auf den gebrauch in der anrede
beschränkt und fanden deshalb nicht so leicht eingang in die
bucher, wenn sie auch in der mundart häufiger sein mögen:.
hier wird hauer noch jetzt als Scheltwort verwendet, so gut
wie bei Fritz Reuter demoJcratte und jesuwitter oder bei Johanna
Spyri gar arisioJcraten,
Nach dem muster dieser adjectiva, die rein vergleichend
gebraucht werden können, werden solche gebildet die nur so
zu verwenden sind, auf die der begriff der abstammung über-
haupt nicht mehr passt, so kindisch, weibisch, eselisch, herisch.
Auch bei diesen geht dann wider das bewusstsein verloren,
dass sie ursprünglich 'wie ein kind, weib, esel, herr' bedeuten.
Für die nun folgende bedeutungsverschiebung ist wol der ge-
brauch in prädicativer Stellung vorbildlich geworden, der oft
bei adjectiven, die daneben oft attributiv verwendet werden,
an der associativen bedeutungsentwicklung mitarbeitet und
gerade die grösseren Sprünge ermöglicht. Der satz er ist
hindiseh, xäiöixog iöriv, ist — wenn wir von der weiteren
entwicklung des griechischen verbs absehen — durchaus =
xal^ti, das adjectiv auf -isch verhält sich zu seinem grundwort
wie das particip zum verbum, oder genauer zum substantivierten
verbalinfinitiv. Diesem Verhältnis gemäss sind nur adjectiva
auf -isch gebildet, die einen bösen sinn haben: die ohne tadel
sind entweder bei der bedeutung der reinen herkunft oder bei
der des Vergleichs stehen geblieben. Diese erscheinung hat
ihren grund darin, dass jede grammatische gruppe, in unserm
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492 GOETZE
falle also eine durch gleiches sufflx verbundene gruppe von
adjectiven, auch eines inneren bandes, einer gleichheit in der
bedeutung bedarf. Bei jungen gruppen, z. b. unsem adjectiven
auf 'haft, wird dieses band von dem noch bedeutungsvollen
suffix geliefert. Erblasst die sinnliche bedeutung des sufflxes,
so wird sie durch eine geistige, oft durch eine bloss gramma-
tische function ersetzt; bei imseren adjectiven auf -isck, wie
wir gesehen haben, drückt das sufflbt auf der zweiten stufe
einen vergleich aus. Lockert sich aber auch dieses band, so
wird es nötig, die gruppe durch etwas gemeinsames zu binden,
das nicht mehr in der natur des sufflxes liegt, sondern in der
der Stämme gesucht werden muss, und dazu bot sich in unserm
falle als das praktischste, weil von den meisten der vorhan-
denen bildungen dargebotene, der böse sinn, der darum von
allen adjectiven verlangt wird, die die participiaJe stufe, wie
wir sie nennen wollen, ersteigen. Trotzdem blieb die freiheit
der bedeutung so gross, dass zusammenstösse mit andern gruppen
eintreten, namentlich mit der der adjectiva auf -lieh, die ja in
der entwicklung vom vergleich zu participialera sinne der unsem
parallel gegangen ist. Als beispiel mag Luthers und Müntzers
(Schutzrede 20) buchstäbisch dienen, das genau unserm Imch-
stäblich entspricht (dies Bienenk. 108 a), während wir für Luthers
dreibachstainsch wol dreibuchstäbig oder -stabig sagen wurden.
Bei jedem solchen zusammenstoss ist, zuerst gewis mit
bewusster absieht, dann nach analogie, zuletzt und hauptsäch-
lich aber unbewusst nach dem Sprachgefühl eine Scheidung
des gebiets nach dem grundsatz eingetreten: das adjectiv auf
-isch bekommt einen tadelnden sinn, d^s concurriei^nde auf
-lieh, 'ig, 'haß wird zum lobe. Die erste erscheinung haben
alle deutschen grammatiken, von J. Chr. A. Heyse bis WUmanns
gebucht: neben bäurisch, dörfisch, abgöttisch, herrisch, kindisch,
launisch, schmeichlerisch, schulmeisterisch, widersinnisch, weibisch,
eigenwillisch und abergläubisch stehen bäuerlidi, dörßich, gött-
lich, herrlich, kindlich, launig, schmeichelhaft, meisterlich, sinnig,
weiblich, willig und gläubig. Mhd. standen ausserdem neben
kleffisch, kriegisch, mordisch und nidisch: klaffte, kriegic, mordic
und ntdic, neben hwnisch, teerisch, eselisch und tiufelisch: hanÜch,
torlich, esellich, tiufellich und neben girisch: giric und girltck.
Die andere erscheinung aber, die die grammatiker übersehen
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ZUB GESCHICHTE DEB ADJECTIVA AUF -ISCH. 493
haben, wie Bechstein oben die entwicklung zum guten sinne,
verdient auch beachtet zu werden: die concumerenden adjec-
tiva auf -ig, -lieh, -haft sind im gegensatz zu denen auf -isch
zum lobe geworden. Man denke nur an den häuerlichen Wohl-
stand^ die dörfliche stille und das häusliche glück in unseren
romanen, an die Verallgemeinerung und verblassung des wortes
herrlich, an die fülle von gemftt und gefühl die in weiblich
oder kindlich liegen kann. Alle diese adjectiva übertreffen
ihre grundworte an geftthlsinhalt; wo diese Steigerung zu gutem
sinne nicht möglich war, sind sie ausgestorben und haben denen
auf -isch das feld geräumt, so mhd. klaffte, kriegic, mordic und
nidic] honlich, torltch, esellich, tiufellich und girlich, Dass aber
diese teilung des gebiets etwas junges ist, wird eben durch
die existenz dieser nun ausgestorbenen adjectiva bewiesen: bis
tief ins mittelalter hinein haben viele von ihnen bestanden,
und dass sie meist älter sind als die entsprechenden auf -isch,
das zeigen ahd. honlihho, esillih, tiufallih, ntdig, girig und herlih,
denen noch keine adjectiva aui -isch zur seite stehen.
15. Vielleicht gelingt es, den Ursprung des bösen sinnes
zeitlich und örtlich näher zu bestimmen. Den ausgangspunkt
mag eine beobachtung Rudolf Hildebrands zum worte kindisch
(DWb. 5, 766) bilden. In Schillers Künstlern v. 62 f. hiess es
statt der anmuth gürtel umgewunden wird sie (die Schönheit)
sum kind, dass kinder sie verstehn in der ersten fassung sieht
man sie kindisch uns entgegen gehn, was wir als Schönheit
hier empfunden, wird dort als Wahrheit vor uns stehn, Schiller
hat dieses ihm geläufige kindisch entfernt auf einen wink aus
Sachsen, auf den rat des Meissners Kömer, der in seinem
briefe vom 16. jan. 1789 zweifelte, ob das wort edel genug
sei. So änderte der dichter, 'imi dem worte kitUlisch auszu-
weichen ', wie er am 22. jan. an Kömer schreibt. Also für den
Mitteldeutschen bietet das wort einen anstoss, für den Schwaben
nicht. Verfolgen wir es rückwärts, so finden wir es bei den
Oberdeutschen Sebastian Brant, Johann Pauli, Gottfried von
Strassburg, Heinrich von Wittenweiler (andre beispiele in
Haupts anmerkung zu MF. 4, 10) ohne tadel, dagegen hat
kindisch schon im md. Passional des 13. jh.'s einen bösen sinn,
ohne den es später sehr selten anzutreffen ist: den wenigen
hierher gehörigen belegen des DWb. aus Luther wüsste ich
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494 OOETZE
nur zuzufügen: alle meine heitnlichJceiten, die zwar auff nidUs
anders, als auff kindischer einfalt und frihnmigJceit bestunden
Simpl. 100 (dagegen tadelnd über das Team er mir auch ganU
kindisch vor 509). Ebenso Weise, Erznarren 127. 189. Der
leyen disputa, zu dem leser (hg. von John Meier; wetterauisch
um 1530). Sachs, Fastn. 1, 151. 159. 6, 98. 113. Schwanke 1, 133.
381. 2, 132. 543. Fischart, Anweisung zum Ismenius t. 27. 45.
Gryphius, Geliebte dornrose, Palm 328); die kindischen jähre
Zachariae, Poet. Schriften 1765, 1,227, und wie dass a halarde
und kindsch war *alert und jung' Holtei, Schlesische gedidite,
ausg. letzter band 219. Ebenso wird weibisch noch im 15. jh.
bei Heinrich von Wittenweiler und noch 1512 in einem obd.
glossar ohne tadel verwendet, während es in Mitteldeutschland
schon 1349 bei Konrad von Megenberg 'weichlich' bedeutet
16. Auch bei den adjectiven auf -isch, die nicht bis ins
nhd. eins auf -lieh neben sich haben, stellt sich der böse sinn
zuerst in Mitteldeutschland ein. Betrachten wir zunächst einige
ableitungen von tiernamen: im mhd. werden sie ohne tadel
gebraucht: bärisch, kühisch, rehisch (sämmtlich im DWb. unter
kühisch) und taubisch (im md. Leben Ludwigs) haben alle
keinen bösen sinn, ebenso die im ausgehenden mittelalter ge-
bildeten tierisch und viehisch (DWb. unter kühisch und eseltsdb).
Wenn sie aber einmal in tadelnder, d. h. hier ftbertragener,
bedeutung gebraucht werden, so ist das stets bei Mitteldeut-
schen: wölfisch gebraucht zuerst der Thüringer Eöditz von
Saalfeld, nach ihm der Franke Melissus (DWb. unter laurisA)
in dem sinne von 'raubgierig', eselisch wendet zuerst Heinrich
von Mügeln, also ein Sachse, auf den menschen an (obd. mimd-
arten ist der esel gar nicht immer Sinnbild der dummheit, da-
für dient z. b. im Elsässischen der stier, Martin und Lienhart,
Wb. der eis. maa. 73 b; vgl. Polle, Wie denkt das volk über
die spräche« 23; für Baiern führt Schmeller 1,25 und 2, 778
B ganzer ochs oder stiorax an), und auch von den später^! die
es haben, gebraucht es nur der Mitteldeutsche Luther schlecht-
weg als Schimpfwort, also mit völliger misachtung der bedeu-
tung der herkunft. viehisch bei Megenberg noch ohne tadel,
hat zuerst in der md. Griseldis des 15. jh.'s einen bösen sinn,
der dann bei den späteren Mitteldeutschen durchaus vorherseht^
vgl. Scheidt, Grobianus v.2246. Fischart^ Qarg.3. Bienenk. 120b.
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ZUR GESCHICHTE DER ADJECTIVA AUF -ISCH. 495
204b, kaum dass Luther cor ferae noch mit viehisch herta über-
setzt. Allerdings ist der tadel dann auch Mh ins hd. ge-
drungen, s. die beispiele aus Eeisersberg, DWh. unter eselisch
und hähisch, aus Mumer und Brant, Thesmophagia y. 28. Bei
Griinmelshausen ist es oft geradezu ^ unkeusch ^, namentlich in
der häufigen wendung viehische begierden Simpl. 222. 516. 525.
546. Courage 6. 12. Vögeln. 2, 12. 14. Keuscher Joseph 6. 8. 9. 10,
aber auch sonst: ein zärtlich weibisch, ja schier viehisches leben
Teutscher Michel 3; viehische geilheit Stolzer Melcher (Kurz 4,
329); irrdisch und viehisch Keuscher Joseph 13. Lebendiger ist
der vergleich noch in Wendungen wie viehische Unmenschen
Courage 12; viehischer Unwissenheit und bestialität Vogelnest
1, 19; auch bei Fischart: so wird die lieb ein viehisch brunst
Anweisung zum Ismenius v. 61. — Luther schimpft fiber D.
Fevers vnd dergleichen lugenhaffUge, lästerliche, eselische
schrifft, über das lesterliche, fressende, beerwölffische (d. i.
werwölfische; Sachs hat mit anderer anlehnung nerwolff)
manstrum zu Born, das böckische weszen des doctor Emser,
die crocodilische rachgir des bischofe Albrecht von Magde-
burg, die falsche füchsische busse (Reinhart Fuchs) des ge-
fangen herzogs von Braunschweig, er spricht von aller mördi-
sehen und wölfischen lerer art (DWb. unter mördiscK) und
über das epicurische und sewische leben der bischöfe (Wider
Hans Worst 29).
17. Nicht so leicht zur band, dafür aber mit schärferer
ausprägung hat Hans Sachs die adjectiva auf -isch von tier-
namen: alle die in seinen fastnachtspielen und schwanken
vorkommen, sind tadelnd; ohne bösen sinn nur einige aus den
fabeln: perische stim *bärenstimme', fuechsisch geselschaft *ge-
sellschaft von fuchsen' 1, 269 (nach Götzes neudruck), räppisch
awg 'rabenauge', wölfisch rot 'rotte von Wolfen' 2, 598, vgl. 336,
also überall das adjectiv an stelle des genetivs des grundwoi*ts.
Unübertragen wird 1,69 vom esel gesagt: vor frewden hib er an
zu schreyen mit seiner eszlischen schalmeyen: ob aber eselisch
hier ganz ohne tadel ist, erscheint fraglich, wenn man ver-
g-leicht, dass 1,44 eselisch geschrey von der keifenden, groben
rede einer frau gebraucht wird.
Damit kommen wir zu der viel grösseren zahl der über-
bragrenen tiemamen: füchsisch 'falsch' Schwanke 1, 200. 2,21;
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496 OOETZE
kueisch vom trinken der menschen 2,615, vgl. Zamcke zun
Narrenschiff 16,53; rüdisch 'wild wie ein hund' 1,78. Harnen
Seufried v. 59; sewisch von unmässigem essen Schwanke 1, 440.
2,552 und von unordentlichem leben 2,553. 589. 611; tiriseh
*wild' vom aussehen 1, 11, vom blick 1, 483, vom benehmen
Fastn.2, 14; hündisch 'geizig' 1,57, 'cynicus' Fastn.4,79 (ta-
delnd auch bei Frisch 1,475 c. Simpl.89, doch ohne tadel in
Weises Erznarren 130, wo der laut r ein hündischer buchsiabe
(= liier a canina der römischen grammatiker) genannt wird.
Das teii/ium comparationis ist das knurren, hier wie in einem
beispiele des DWb. aus Scriver: der geistige ist hundisch und
mürrisch wenn er etwas ausgeben soll Nur scheinbar liegt
ein adjectiv auf -isch vor, wenn in einem schwäbischen monats-
reim des 15. jh.'s die hundstage hundische tage genannt werden,
denn das ist wol unter dem zwange des verses aus hundstage
zerdehnt, das seit dem 15. jh. auch in Oberdeutschland nach-
zuweisen ist; man beachte auch den mangel des umlaute.
Ebenso ist das adjectiv anheimisch aus dem adverb anheims;
räterisch (auch Simpl. 752) aus dem Substantiv räters; gdfisch
aus dem adjectiv gelfs entstanden (DWb. unter anheimisdi,
rätersch, gelf), vielleicht auch linkisch, das nach den belogen
des DWb. nicht vor dem 18. jh. in attributiven gebrauch
übergeht, aus prädicativem linksch, danach auch denkisch bei
Schmeller, tausiksch und fannerhandsch (Zs. fdm. 6, 530), alle
ein ausdruck des bedUrfnisses, isolierte adverbien auch attributiv
zu verwenden. Hierher gehört wol auch hungerisch sterben
bei Murner, Narrenbeschwörung 88, 15, aus hungers sterben,
wobei das i, das überdies den vers zu lang macht, wol nur
auf rechnung des setzers, nicht Mumers selbst, zu stellen ist,
der gedanke an ungerisch den Übergang gewis erleichtert hat
Andrer ansieht ist freilich Spanier in seiner anmerkung zu
dieser stelle. Umgekehrt ist gewis in der Gäuchmatt v. 3687
statt wo ist der leckers bösjswicht her? leckersch zu lesen,
das Mumer, Schelmenzunft 26, 20 hat. — Besonders gross
in der bildung unmöglicher adjectiva auf -isch ist Stieler:
er bildet zur erklärung von falsch, barsch, harsch, unwirsch:
ballisch sp. 86, barrisch 99, Jiarrisch und hartisch 773 und wir-
risch 2517).
Zu hündisch gehört bei Sachs hündafütisch (auch im neueren
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ZÜB GESCHICHTE DER ADJBCTIVA AUF -ISCH. 497
bairisch: hundsfUtisch 'res frivola'; hundsfütisch Üben 'parum
liberal! fortuna est' Setz. 'Erbärmlich' bedeutet das wort
jetzt auch im Breisgau: Zs. fdm. 5, 408, 'betrügerisch' in Nord-
böhmen: Knothe, Markersdorfer ma. unter hundsfiUsck] böckisch
Germ. 18, 373 = Lexer im nachtrag 'widerspenstig' (beckisch
Garg. 37?); eglisch Schwanke 1, 381. 516. Fastn. 6, 3 (das adjectiv
bedeutet überall, wo es vorkommt, 'sonderbar', es ist wie egel
'seltsamer einfall' und egeln 'sich närrisch benehmen' nur bei
Sachs belegt, und schon deshalb scheint es bedenklich, die
Sippe zu trennen, wie es Grimm im DWb. tut, der die stark
flectierten formen des Substantivs egel zu egel m. 'igel', die
schwachen zu egel t 'arista', ahd. agana, das adjectiv eglisch
wider zn egel m. stellt. Das schwanken zwischen starken
und schwachen formen im plural von masculinen auf -el ist
ja in nmd. mundarten nichts ungewöhnliches, zudem hat Sachs
schwache formen nur unter dem drucke des reims: Schwanke
2, 67 reimt egeln auf segeln, 465 B.nt pregeln, 508 auf schwegeln,
und damit hat er wol zugegeben, dass ihm die starke form
das normale ist. Auch erklären sich alle verwendungsweisen
des Wortes, wenn wir es von egel 'igel' ableiten. Eine be-
trachtung der bedeutung wird am besten von den verschiedenen
eigenschaften dieses tieres ausgehen, die zu einer Übertragung
auf menschliche zustände einluden. Das nächste sind natür-
lich die stacheln des igels; daher sagt Heinz Widerborst,
Schwanke 1, 120:
mein gifrandt das ist ein igels palck. halt aUenthalben widerpart,
damit deck ich mein alten schalck, wann ich stich mit spitzigen werten
bin stachlicht, gantz iglischer art, dückisch ymb mich an allen orten.
So wird igeln zu 'stechen, prickeln', auch übertragen auf
stechenden verdruss: das igelt mich 'ärgert mich' (Maaler. Stalder.
Thumeiszer). Die so verblassende bedeutung wird zu neuer
anschanlichkeit geweckt dadurch dass man die stechenden egel
Tvie die gleichfalls stechenden mucken, raupen, würmer,schnaken,
Späne, Sparren, oder die im köpfe oder ohr zirpenden, girrenden,
rumorenden grillen, tauben, ratten, mause (Scheidt, Grobianus
V. 1199. 8157) und flöhe in den köpf des geärgerten versetzt;
das bild ist freilich kühn, namentlich wenn die egel im plural
auftreten, aber die tauben finden ja auch zu mehreren platz
im köpfe. In dieser Verwendung steht egel bei Sachs oft neben
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498 GOBTZE
einem andern der genannten tiernamen, so sagt der Egelmair,
Schwanke 2, 611 vil egel trag ich in meim schopff, dt€ hundz-
muckn schtvirmen vmb mein kopff; von einem betrunkenen
heisst es 1, 388 er hob so selezam tawbn vnd egel, ein anderer
treibt so seltzam egel vnd grillen; am geläufigsten ist aber die
Zusammenstellung mit schwände: mit schwencken vnd egdn
unterhält 2, 508 ein lustigmacher das volk; ein freyharts hnab
erzählt von sich: auch so treib ich gut schwenck vnd egd 2, 275
(wo egel freilich auch 1. sing. ind. praes. vom verbum egeln sein
könnte, doch vgl.) vnd treibt ser seUam schwenck vnd egdn
2,67 von einem betrunkenen. Dass die egd im köpfe sind
und dass unter dem schöpfe des Egelmairs nicht etwa der
äussere haarschopf zu verstehen ist, zeigt 2,465, wo es von
einem zänkischen weibe heisst wen si stechen ir eenckisch egdn,
und auch von dem nervösen mönche 1, 516 könnte Sachs nicht
sagen der so ein eglischen kopff ist hon, wenn die egel nicht
im köpfe gedacht wären. Auch auf sinn und wesen könnte
eglisch nicht so leicht übertragen werden, wie es an folgenden
stellen geschieht: mit dem eglischen wessen mein 1,516; mein
eglisch selezam weis ebda.; mein syn seltzam, eglisch vnd wunder-
lich, all mein gedancken die sind sunderlich 1, 119; der eglisch
wirt selzam vnd wunderlich 1,381; dw pist gar umnderlu^ vnd
entisch, zw selzam, eglisch vnd zv grentisch, vnferstanden, grob,
vnpescheiden Fastn. 6, 3. Aber auch abgesehen von seiner
stachlichkeit hat der igel zu vergleichen anlass gegeben: zu-
nächst hat sein familienleben anstoss erregt, denn Megenberg
sagt im Buche der natur von ungeordnetem eheleben der
menschen: der mensch würkt iglischen oder gensischen\ man ist
versucht diese anwendung mit einer stelle des märchens Hans
mein igel in Verbindung zu bringen (Grimm, Kinder- und haus-
märchen 2^ 118); femer leitet sich von der unreinlichkeit des
igels die landesübliche Verwendung des namens schweinigd
her, der aber seinen Ursprung der ähnlichkeit der igelphjsiog-
nomie mit der des Schweines verdankt (vgl. Stachelschwein)^
schliesslich aber hat, und das kommt wider für unser egdn
in betracht, der drollige gang und das planlose hin- und her-
fahren des lichtscheuen tieres zu Übertragungen herau^efordert
Daher das märchen vom Swinegel: alles kunn he verdregen,
aver up siene been laet he nicks kamen, eben weil se von natukr
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ZUR GESCHICHTE BEB ADJECTIVA AUF -ISCH. 499
sdieef wöören Märchen 2», 404. Daher auch bei Sachs egeln
'taumeln' von trunkenen und schlaftrunknen, ganz deutlich
Yom gang: er phantctsirt vnd da her egelt vnd nur mit halbem
tc-inde segelt 2, 92; cUs sie zv der stieg kumen tca^s, gings hinauff
mit prumen vnd muncken vnd war noch wol halber schlaff
druncken vnd egelt also auf die stiegen 2, 197. Mit dem ge-
danken an egel 'schwank': den thuet man mit halbem wint
segeln, nach dem so fecht man an ev egeln mit selczamen possen
vnd schwencken, so nerrisch, als mans kan erdencken 2, 56;
fantasirest, wunderst vnd egelst gleich ainem thom vor pider-
lewten 1,423.
Während eglisch von Sachs noch als ableitung zu einem
tiernamen empfunden worden sein mag, haben zwei andere
wol schon bei ihm den Zusammenhang mit ihrem grundwort
verloren: ewdrisch * mürrisch', das Grimm zu ur stellt (ein beleg
aus Luther mit seltsamen deutungsversuchen Zs. fdph. 26, 57 ;
nach Sachs bei Hayneccius, Hans Pfriem v. 2238) und mu6kisch
(bloss md.: Schmid, Schwab, wb. 378. Schambach. Hennebergisch:
Zs.fdm3,134. Obersächsisch: Albrecht. Schlesisch: Holtei475.
Posnisch: Bernd).
Nicht unter die tiernamen gehören entisch 'seltsam, ver-
drossen' Schwanke 1, 206. 513 (nach ausweis der nebenform
entrisch zu ahd. antisc — antrisc, dieses wol zu antt *alt' und
danach 'seltsam, unheimlich, nicht geheuer'. In diesen be-
deutungen herscht es jetzt in md. mundarten: Schmeller. Enothe.
Holtei 239 und Weinhold im glossar zu Holteis Schlesischen
gedichten. P. Drechsler, Wencel Scherffer; vgl. entig 'seltsam'
Sachs, Schwanke 1, 30) und relnsdi Fastn. 5, 74 'flott, schmuck
von der kleidung, nach Zs. f dm. 6, 65 und Schmeller 2, 5 sammt
den nebenformen robisch und rdbisch nicht zu rabe, denn dazu
heisst bei Sachs das adjectivum rabbisch, sondern röubisch zu
raub 'gestohlenes kleid, robe', scharf geschieden von dem gleich-
falls vorkommenden rawbisch.
18. Auch bei Fischart sind die adjectiva auf -isch von tier-
namen fast alle tadelnd: äffisch Bienenk. 148b, = 'närrisch'
auch bei Luther; duckmäusisch\ Sachs denkt nachweisbar an
maus: er ... daucht wie ein mause Schwanke 1, 36; esilisch
Garg. 18; fledermäusisch Garg. 28; füchsisch Garg. 254; grillisch
Garg. 17. Praktik 16. Auch bei Gryphius, Peter Squenz 16, 20j
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500 60ETZB
hetzhundisch Qarg. 163, wol 'hunde hetzend'; lugentisch Bienen-
k. 185 a, aus legendisch mit dem gedanken an Ulgen und ente
entstellt, vgl. Andresen, Deutsche Volksetymologie» 59; lugenden
auch bei Grimmeishausen, Vögeln. 2, 13; meusisch Garg.254;
nachteulisch Garg. 28; nachtigaUisch ohne tadel; predigkautgisch
Garg. 6. 159. 216, immer in Zusätzen der ausgäbe von 1582;
rossTcäferisch Garg. 309 ; säuisch Podagr. trostb. 98, 12, auch bei
Fischarts lehrer Scheidt, Grobianus s. 7 d.n. und v.485; vihisch
Garg. 3. 143.
19. Im 17. jh. hat die anwendung unserer adjectiva von
tiernamen merklich abgenommen; aus dem Simplicissimus ist
holtjsböckisch 'unbeholfen' und säuisch zu nennen, aus Weises
Erznarren schulfüchsisch 35. 81, bestialisch 151 (auch bei Grim-
melshausen von menschlichen zuständen: Simpl. 109. 116. 137).
Eine grössere menge dieser adjectiva lässt sich nur noch aus
Stieler belegen: ohne tadel einige ableitungen von vogelnamen,
wie adlerisch, falkisch und voglerisch, dann biberisch neben
und gleichbedeutend mit bibem *von biberfeil', und tigerisch
'getigert', weit mehr aber tadelnd: äffisch, beestisch, melius quam
bestialisch, böckisch, füchsisch, gauchisch {jgöuchisch 'ineptus' bei
Maaler, in Oberdeutschland bekannt aus Mumers Geuchmatt,
in der es das häufigste adjectiv auf -isch ist), geyerisch 'gierig',
volksetymologisch zu vultur gestellt, hündisch, schneckisch,
kühisch, schwälbisch 'unzuverlässig', seuisch, tierisch, viehisch,
wölfisch.
Der erwähnung bedarf schliesslich noch eine eigentümliche
Verwendung die diese adjectiva von tiernamen in nmd. mnnd-
arten gefunden haben: einige ableitungen von den namen
männlicher und weiblicher haustiere bezeichnen die brunst der
entsprechenden Weibchen. Das älteste dieser adjectiva, mhd.
reinisch, bezeichnet die stute, die nach dem reine, dem hengste,
verlangt; gerade dieses wort ist nicht nur md.: sollte es auf
die bedeutung des nmd. reihisch (Zs. fdph. 8, 347. 9,472) ein-
gewirkt haben? Woeste verzeichnet in seinem Wb. der westt
ma. bcersk 'brünstig' von sauen, zu beer = s3ii.per, und rw-
melsk von der katze, die nach dem r^mel, dem kater, begehrt;
Danneil im Wb. der altmärk.-plattd. ma. bocksch von schalen
und Ziegen 'nach dem bocke verlangend'. Zu scharfem Vor-
wurf werden diese adjectiva, wenn sie vom menschen gebraucht
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ZUB GESCHICHTE DER ADJECTIVA AUF -ISCK 501
werden, so gut wie anders gebildete bezeiclinungen der brunst,
wie läufisch, reiisck, westfälisch fleisch (von fäsel Fortpflanzung')
und göttingisch bramsch (von brammen = hd. brummen).
In der modernen spräche endlich ist die anwendung der
adjectiva von tiemamen sehr eingeschränkt, ausser tierisch,
viehisch und einigen fremdworten sind eigentlich nur äffisch
und hündisch in lebendigem gebrauch; schweinisch, das wol
gelegentlich gebildet wird, ist zuerst aus dem Leipziger Sing-
spiele von Harlequins hochzeit-schmausz 1696 (neudruck von
Ellinger s. 67) zu belegen.
20. Die beispiele von no. 19 zeigen, dass die tadelnde Ver-
wendung der adjectiva von tiemamen, ihre Übertragung auf
menschen, wesentlich md. ist. Dasselbe wird die folgende be-
trachtung einiger besonders häufiger adjectiva auf -isch mit
bösem sinne lehren.
abgöttisch und abgötterisch sind in ältester zeit nur aus
Mitteldeutschland zu belegen; zuerst steht abgöttisch in des
Thüringers Ernst von Kirchberg Mecklenburgischer chronik.
Zu weiterer Verbreitung ist das wort erst bei Luther und seit
ihm gelangt; in der art wie er es verwendet, offenbart sich
auch wie das seltsame wort aufzufassen ist: es bezeichnet die
Zugehörigkeit zur partei des abgottes: daher so oft die sub-
stantivierte form die abgöttischen Weish. Sal. 1, 5. 1. Cor. 5, 10.
11. 6, 9. Offenb. 22, 15. Ebenso noch im Spiesschen Faustbuch
Yon 1587, s. 9, und erst danach allgemein 'falschgläubig', wie
Apostelgesch. 17, 16, und durchgängig bei Fischart, Bienenk.
38b. 57a. 83b. 175b.
Auch manches andere der die Zugehörigkeit zu einer partei
bezeichnenden adjectiva zeigt md. Ursprung und ist auf Mittel-
deutschland beschränkt geblieben, s. no. 9 churfUrstisch, Jcmse-
rischj ketzerisch, lutherisch, papistisch und päpstisch, pfaU- und
landgräfisch, markgräfisch Städtechroniken 11, 660 (Nürnberg).
Einen fiänkischen beleg bringt Lexer im nachtrag. Nicht zu-
fällig ist es der Mitteldeutsche Clajus, der diese gruppe unserer
adjectiva zuerst aufgestellt und aus dem Mitteldeutschen Luther
belegt hat. Hierher scheint auch eTbisch zu gehören, wenig-
stens kommt es im Yocabular von 1482 als Substantiv 'phan-
tasta' vor, so dass es zunächst den den elben anhangenden
bezeichnete. Die älteren belege gehören durchweg Mittel-
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502 GOBTZE
deutschen, Herbort von Fritzlar, Rüdiger von Münerstadt an
der Khön, dem alten Passional an, jetzt ist es in der bedeutung
*von elben verwirrt' in md. mundarten weit verbreitet, vgl.
Grimm, Myth,* 412. Schambach. Zs. fdm. 5, 472, doch auch obd.
Zs. fdm. 4, 40. Staub-Tobler 1, 186.
21. Entschieden md. herkunft sind folgende adjectiva auf
'isch, die einen vergleich enthalten: bettlerisch und bettelisch
bei Lexer, Stieler, Luther, Fischart, Sachs, sammt den ablei-
tungen heUelsächisch 'dürftig' bei Weise, Erznarren 82, und
bettelschamisch 'sich des betteis schämend' Garg. 299, ohne
Umlaut und daher wol vom Substantiv. — diebisch verdrängte
von Mitteldeutschland aus das mhd. dieplich, das bei Luther
nur noch vereinzelt als adverb, als adjectiv überhaupt nicht
mehr vorkommt. Er hat das im 15. jh. gebildete diebisch —
älter wirds wegen des fehlens der brechung nicht sein — in
die Schriftsprache eingeführt, doch auch schon früh im obd.:
Murner, Schelmenzunft 26, 20. 29, 12 (1512). An den adel 42.
Dasypodius 1535. Maaler 1561, viel häufiger aber bei Mittel-
deutschen: Sachs, Fastn, 1, 130. 6, 51. 7, 34. 95. Schwanke 1,
31. 364. 2,53. 516. 600, hier übertragen 'heimlich' 2,83 (zu
dieser Verwendung leitet die des unübertragnen adverbs über:
das ir mir wöU den enspan mein so diebisch tragen aus dem
haus 1,364) und diebischer Verräter 'bösewicht' 1,109 in ganz
allgemeiner bedeutung Fischart, Bienenk. 215 a. 238 b. M. Hay-
neccius, Hans Pfriem v. 1833. 1852. 2361. Grimmeishausen, SimpL
117. 177. 675. Keuscher Joseph 2. Kalender Kurz 4, 252. Beson-
ders deutlich ist die vergleichung in der häufigen wendung
diebischer weis zu erkennen Simpl. 594. 717. Vögeln. 1, 12. 17.
2, Privilegia und 25. Participiale auffassung des wertes ver-
raten hingegen Fischarts Zusammensetzungen blutdiebisch 'blut-
stehlend' Flöhhaz, Überschrift vor v.893 und nacfMiebisch Garg.
91. — läppisch zeigt in seiner form nd. Ursprung; auf hd.
boden kommt es zuerst bei Heinrich von Wittenweiler vor,
mit starker erinnerung daran bei Sachs, Schwanke 1,588,
beide male daneben der dorfname Lappenhausen, Seine Ver-
breitung verdankt das wort also wol der satirik des 15. 16, jh.'s;
ein bild von seiner Verbreitung in den mundarten ist schwer
zu gewinnen; jedenfalls gehört es im nmd. zu den häufigsten
adjectiven auf -isch. Einzelne belege: Spiessches Faustbuch
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ZUB GESCHICHTE DEB ADJECTIVA AUF -ISCK 503
von 1587, 129. Fischart, Bienenk. 230a. Praktik 18. 31. Neithart
Fuchs (um 1500) v. 227. 2332. 2360. Grimmeishausen, Simpl.
495. Galgenmänlin Kurz 4, 293. Sachs, Fastn. 5, 140. 146.
Schwanke 2, 399, In Chr. Reuters lustspiel von der Ehrlichen
frau (1695) heisst ein hippenjunge so. — närrisch steht zuerst
in Heinrichs von Freiberg Tristan. Von ihm gilt das über
läppisch gesagte fast noch mehr. Es ist gewis, dass das wort
im md. viel fester wurzelt als im obd., wo es mit narreht und
dessen nachkommen das gebiet teilen muss, aber dank dem
obd. Charakter der narrenliteratur lässt es sich in älterer zeit
für Oberdeutschland viel öfter belegen. Eine grössere be-
deutungsentwicklung hat es dagegen nur im md. erlebt. Zu-
nächst ist der sinn viel milder geworden, wie in der ganzen
Wortsippe. Femer ist, da oft der zornige närrsch genannt
wurde, unser wort in einigen gegenden Mitteldeutschlands zu-
nächst in prädicativer Stellung zu 'reizbar' geworden, vgl. Zs.
f dm. 3, 267 und Woeste, Westf . wb.
22. Noch auffälliger als bei diesen vergleichenden adjec-
tiven ist die md. herkunft bei denen die bis zu participialer
bedeutung durchgedrungen sind. — argwöhnisch ist in md.
form und bedeutung schriftsprachlich geworden: schwäbisch
archweinisch heisst z. b. in Augsburger Chroniken des 16. jh.'s
(Städtechroniken 23, 162. 165. 238) 'verdächtig, beargwöhnt',
ebenso bei Th. Platter und im Vocabularius von 1482, so dass
man zur erklärung des nhd. wortes einen starken druck von
Mitteldeutschland her annehmen muss. Vgl. Sachs, Fastn. 6,
146. Schwanke 2, 26. Grimmeishausen, Simpl. 223. Vogelnest
2, 4. Keuscher Joseph 10. — grämisch 'feindselig' in Kirch-
bergs Chronik, also aus der Wendung 'einem gram sein' ge-
bildet (sich ergrämsen 'sich erzürnen' K G. Anton, Verzeich-
nis oberlaus. Wörter 8, 5), später 'grämlich' Sachs, Fastn. 1,
143. Simpl. 465. Vögeln. 2, 8. 21. sieben grümische, grämische
böhmische polnische bettelleut Dunger, Kinderlieder und kinder-
spiele aus dem Vogtlande ^ 132. Das wort ist nie über md.
gebiet hinausgekommen, ebensowenig die jüngere bildung gries-
grämisch. — hämisch ist nach Kluges Et. wb.« ebenfalls md.,
wenn aber Kluge hier angibt, das wort trete zuerst im 15. jh.
in Mitteldeutschland auf, so wird er durch Lexer widerlegt,
der es für Heinrich von Freiberg (um 1300) und Nicolaus von
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504 QOETZE
Jeroschin (nach 1355), zugleich aber auch far Oberdeatscbe
wie Ottokar von Steier (um 1309; im steirischen des 15. jh.'s
auch hemischheit), den sog. Seifried Helbling (1290 — 98) und
Oswald von Wolkenstein (1367 — 1445) belegt In den ni
Wörterbüchern kommt es nirgends vor; für 'hinterlistig* gibt
es hier reichlich ersatz in den weitverbreiteten Wörtern fUnisch
und glupisch, nücksch und luurhaftig (Adelung 2, 731. 932. 1080.
Woeste 305. Schambach 65. 259. 283. Mi 21. 24. 27. Dannefl
58. 65. Weinhold 28. Mullenhoff zu Klaus Groths Quickborn"
284). Dagegen ist hämisch in obd. mundarten weit verbreitet:
für Baiem belegt es Schmeller von Sachs (auch Fastn. 1, 139.
2, 7. 3, 94. 7, 98. Schwanke 1, 25. 153. 482. 2, 32. 430. 622)
bis auf die gegenwart, noch früher ist es durch Oswald von
Wolkenstein für Tirol bezeugt, während es Zs.fdm. 5, 447 für
die jetzige Etschtalmundart belegt wird. Im Nordböhmischen
ist es jetzt gleichfalls geläufig, vgl. Enothe, Markersdorfer nuu
und so steht eigentlich nichts als der beleg aus Jeroschin der
annähme im wege, dass hämisch ein altes bairisch-fränkisches
wort sei, das Luther (z. b. Fabeln 7 d. n.) adoptiert und in md.
form in die nhd. Schriftsprache eingeführt habe. Bei obd. Ur-
sprung ist es aber unwahrscheinlich, dass hämisch mit heimisek
zusammenfällt, wie Kluge und Paul in ihren Wörterbüchern
vermuten: bairisch hämisch fällt nicht mit hoamisch zusammen,
vielmehr wird hämisch^ wie Lexer im mhd., Heyne im DWb.
und Wilmanns in seiner Grammatik annehmen, zum stamme
ham, spec. zu mhd. hem 'zu schaden beflissen, aufsässig' ge-
hören, in dem also der begriff des heimlichen schon von den
des böswilligen zurückgedrängt war, als das adjectiv auf -tsek
davon abgeleitet wurde. Wider eine andere bedeatongs-
entwicklung zeigt schw. hemsh 'schauerlich, düster'. SpSt^
ist dann freilich hämisch oft mit heimisch vermischt worden:
heimisch erscheint in der bedeutung von 'boshaft' bei dem
Thüringer Jonas (Nordhausen 1546), dem Sachsen Muscnliis
(Frankfurt an der Oder 1564), dem Franken Eyring (Wltt«i-
berg 1725), sowie bei den Oberdeutschen Frank (Tübing»
1534) und Scheidenreiszer (Augsburg 1838), umgekehrt hämisA
bei Sachs in der bedeutung 'versteckt', Und gerade Sachs
kann uns zeigen, wie man dazu gekommen ist, hämisch zu
'heimlich boshaft' zu machen: zunächst braucht er das wart
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ZUB GSSCmCHTB DSB ADJEGTIVA AUF -ISCK 505
ffir 'boshaft' ganz ohne den begriff der heünlichkeit: pScHsch,
mutwillig, hösz tmd heunisch Tiemisch, muncket vnd wetterleunisch
Schw&nke 1, 25; siehst nit, wie sieht dein man so heunisch,
tückisch, hemisch vnd wetterletmisch Fastn.3, 94; darnach ver-
maint der hemisch dropff den pock geunsUch ev erdappen
Schwanke 2, 622 von einem wolfe. Oefter tritt dann neben
hämisch ein wort, das den begriff des heimlichen daznbringt:
den schmaichUr, gleisner vnd den hewchler, den dueckischen,
hemischen mewMer Fastn. 2, 7; oMf das hemischt vnd dueckischt
wol Schwanke 2, 32, oft in der Verbindung hemische duck Fastn.
1, 139. Schwanke 1, 482. 2, 430. Und schliesslich kann dieses
wort auch fehlen, ohne dass der begriff des heimlichen mit
verschwände: wer prauchet vil hemischer stueck vnd fleisset sich
neidischer ÖMcck Schwanke 1, 153. Hier ist wol nur des reimes
wegen die gewohnte Verbindung angegeben worden. Statt
hemischer duck steht bei anderen heimtücke, dazu haben die
Mitteldeutschen Fischart, Grimmeishausen (Simpl. 511) und
Stieler das adjectiv heimtückisch. Lessing und noch Adelung
2, 1080 schreiben dafür hämtückisch, indem sie sich das wort
zu deuten versuchen. — hederisch 'zänkisch', von hader, ist
iBvenigstens vorwiegend md., zu den belegen des DWb. Müntzer,
vorrede zum neudruck der Schutzrede x. Sachs, Schwanke 1, 206.
2, 470. 538. In Kehreins Grammatik 2>, 86 aus Hugens Eetho-
rica, Tübingen 1528. — höhnisch ist sicher md. herkunft. Zu-
erst kommt es gegen 1290 bei einem Franken, Bfldeger dem
Hunchover, dann bei Luther vor, und Petri muss in seinem
Bibelglossar, Basel 1523, seinen obd. lesem honen mit spotten,
sahmähen, sehenden erklären. Sachs hat das wort erst seit
1559: Schwanke 2, 127. 303. 380. 584. Fischart 1576 im Glück-
Ii äfften schiff, Kehrab v.226 und 1581 im Bienenk. 126 a. Bei
örimmelshausen z.b. Teutscher Michel 7. Springinsfeld 1. Simpl.
1 . continuatio, bei Chr. Eeuter Schelmuffsky B 15. 25. 116 d. n.,
t>ei Zachariae, Poet. Schriften 1765, 1, 60. 164. — klaffisch,
Tcl^f^ch von klaffe 'geschwätz' ist niemals im obd. fest ge-
Vfc^orden, dagegen kl^^ch im nd. sehr häufig. Zuerst tritt
das wort in Hugos Eenner auf, dann in Megenbergs Buch der
tL£k1:iir und im Eönigsberger Passional, öfters auch in alten
|>il>eln, vgl. Kehrein, Gramm. 2^,86 und DWb. unter fUmehmisch.
hriegisch, zuerst im Eenner des Franken Hugo von Trim-
SeitrSge sur gcscbicbte der deutschen spräche. XXIV. 83
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506 GOETZE
berg, hat schon hier die bedeutnng der herkunft yerloren,
denn es heisst 'trotzig, streitsüchtig'. Es kehrt dann bei Al-
brecht von Eyb wider, der in Eichstedt in Mittelfranken dom-
herr war, femer bei Luther und Opitz, aber früh ist es auch
ins obd. gedrungen: es steht in dem vor 1487 in Baiem ent-
standenen Salman und Markolf v. 264, bei Keisersberg, in einem
Bemer fastnachtsspiel von 1522 sowie bei Frisius und Maaler.
Möglicherweise hat aber das wort keine selbständige bedeutungs-
geschichte, sondern ist zu hrieg gebildet wie hellicus zu heO/wn.
In der späteren spräche kommt es übrigens auch ohne tadel
vor, so bei Mumer, Geuchmatt v. 2370. HL R. Manuel, Weinspiel
(1548) V. 3331. Fischart, BienenL 255 a. Jesuiterhütlein v. 592.
Grlückhafft schiff, Eehrab v. 420. — mördisch ist schon vor
1122 in der ad. Genesis bezeugt, dann im liederbuch der Hätz-
lerin, im Renner und in Kirchbergs chronik. 1360 findet es
sich in einer Nürnberger chronik, 1489 bei Heinrich von Mfigeln,
nicht selten bei Luther und Sachs (ohne Übertragung Schwanke
1,466). Es ist also ganz md. und hier viel gebraucht, denn
es hat schon früh eine starke abblassung erfahren; schon im
Renner kann man es bisweilen für eine blosse Verstärkung
halten: dv machest vü mördisch vbel leut 4829, tre wdh ein
mordisch di&p du bist 7015, so hiea der mördisch vbel man 14253.
Jetzt ist mordsch in diesem sinne weit verbreitet^ vgl. Scham-
bach, Mi. Im nhd. ist mördisch in diesem sinne wie sonst
auch von mörderisch abgelöst worden, das gleichfalls zuerst
im md. auftritt. Der erste beleg ist eine Variante zu der eben
erwähnten Nürnberger chronik; Luther gebraucht in späteren
jähren, etwa seit 1530, mörderisch, wo er früher mördisch ge-
setzt hatte, andre schon etwas früher: Mumer, An den adel
13 d.n. (1520). Müntzer, Schutzrede 30. 34 (1524). Ickelschamer,
Clag etlicher brüder 53 (1525). Ganz fest ist es bei den spä-
teren: Fischart, Bienenk.238a, Hayneccius, Hans Pfriem v.1457.
Grimmeishausen, Simpl. 490. Courage 3. Keuscher Joseph 4.
Musai 2. Ebenso als Verstärkung: Zs. fdm. 2, 192 (aus Nürnberg
und Eoburg) und dän. morderisk. Md. ist natürlich auch
meuchelmördisch und -mörderisch (dies bei Grimmeishausen,
Keuscher Joseph 1, zusatz und beim jungen Goethe 3, 428),
muss doch Petris bibelglossar, Basel 1523, Luthers meOchd-
mörder mit heinUich mörder, das Nürnberger glossar von 1526
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ZUR aESGHICHTE DBB ADJECTITA AUF -ISCH. 507
Luthers meucheln mit heymlich triegen erklären. — neidisch
kommt zuerst bei Eilhart von Oberge und Hugo von Trimberg
vor, es ist zugleich nnl., dänisch und schwedisch, und schon
Lexer macht im DWb. auf die md. herkunft aufmerksam.
Früh hat es sich über ganz Deutschland verbreitet: Braut,
Narrenschiff 57, 65. 64, 59. 69, 25. Sachs, Fastn. 1, 28. 104.
Schwanke 1, 153. 198. 264. 381. 2, 592. Frisius und Maaler.
Scheidt, Grobianus 137. Fischart, Bienenk. 254a. Glückhafft
schiff, Eehrab v.581 und nach 858. Grimmeishausen, Simpl.
anhang (Eögel s. 590). Zachariae, Poet. Schriften 1765, 1, 176.
184. 250. 264. — räubisch erscheint zuerst mit tadel im md.
Leben des heiligen Ludwig, in J.Eothes Ritterspiegel und in
Eirchbergs Chronik, auch später vorwiegend bei Mitteldeutschen:
Alberus, Fabeln 9, v.25. Flöhhaz v. 1208. Ueber Sachs s. s. 499.
Ebenso sind die belege für räuberisch md., zu denen des DWb.
Grimmeishausen, Vögeln. 1, 2. Keuscher Joseph 8. — spöttisch
tritt zuerst bei Eonrad von Megenberg auf, und zwar, wie
diese adjectiva mit participialer bedeutung oft, als adverb.
Nhd. belege: Th. Müntzer, Schutzrede 37. Agricola, Auslegung
vom 19. psalme (s. den neudruck von Luthers Auffrurischem
geyst 4S 1525). Sachs, Fastn. 7, 157. 159. Schwanke 2, 303. 312.
378. Fischart, BienenL 172b. Peter von Stauffenberg v. 444
Grimmeishausen, Simpl. 139. Springinsfeld 13. Vögeln. 2, 12.
Zachariae, Poet. Schriften 1765, 1, 33. 39. 62. 2, 92. Aus dem
nhd. ist das wort ins dänische und schwedische gedrungen. —
tämisch wird von den md. idiotiken für Posen, Schlesien, die
Oberlausitz, Böhmen, Baiem, Henneberg, den Westerwald,
Nordwürtemberg und die Pfalz bezeugt. Mitteldeutsche wie
Weise, Grimmeishausen (Eeuscher Joseph 15), Gryphius (Ge-
liebte domrose, Palm 257), Goethe und Musäus verwenden es.
Als tämisch ist es in Baiem altheimisch, sogar bei dem Tiroler
Oswald von Wolkenstein kommt es schon vor. Aus Schlesien
(Weinhold, Beiträge zu einem schles. wb. WSB. 18541 anhänge.
Zs. fdm. 4, 165. Zs. fdph. 26, 252) ist es nach Mähren und Nord-
böhmen gelangt (Enothe, Markersdorf er ma. Zs. fdm. 5, 465. 478);
von Baiem nach Eämten (Lexer, Eämt. wb.). Ueberall be-
deutet es zuerst 'schwindlig, betäubt', dann 'närrisch, dumm',
und endlich ist es zur einfachen Verstärkung geworden, in
Sommers Bildern und klängen aus Rudolstadt (2^, 62 z. b.) wie
83*
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508 OOETZE
im bairischen, in Kärnten wie bei Fr, Reuter. Der Übergang
mag sich in Wendungen wie einen temisch schlagen yollzogen
haben, wo tämisch ursprünglich acc. des resultats war, aber
als adverb aufgefasst wurde. Dem bairisch-österr. eigentfim-
lieh ist die entwicklung über 'närrisch' (s. das.) zu 'aufbrausend,
zornig' Zs. fdm. 4, 340. 6, 272. Schmeller 1, 603. — Ulddsck be-
legt Lexer vorwiegend aus Franken; zuerst freilich kommt es
in des Alemannen Anthonius von Phor Buch der gleiclmisse
vor, dann auch bei Mumer, An den adel 41 d.n. Narrenbeschw.
16, y. 8 und Maaler. Die mehrzahl der belege ist aber doch
md., sowol für die mundarten, vgl. Schmeller. Zs. fdm. 3, 406.
Weinhold, Beiträge zu einem schles. wb. 101a. Holtei, Schles.
gedichte, ausgäbe letzter band 101. 246. 334 u. 5., als auch für
die Schriftsprache: Luther. Müntzer, Schutzrede 39. Sachs,
Hürnen Seufried v. 1140. Fastn. 1,49. 106 u.o. Fischart, Jesa-
iterhütlein v. 9. Grimmeishausen, Simpl. 332. 619. Zachariae,
Poet. Schriften 1765, 1, 62. — hintertüchisch, jetzt im sächsi-
schen gebräuchlich, ist wol eine contaminationsbildung ans
hinterlistig und heimtückisch. In einer Tiroler volkserz&hlung,
Der pfannenflicker, von Karl Wolf, Gartenlaube 1897, s. 700,
wird von hintertückischen Preussen gesprochen wegen der
hinterlader die sie im kriege von 1866 hatten {tacken also =
'stossen'), und auch das gegenstück vordertückisch gewagt
Eine andere Zusammensetzung ist blasjstückisch 'beträglich\
bei Luther 1522. — vorteilisch ist in der bedeutung 'auf un-
redlichen gewinn bedacht' nur aus Mitteldeutschland zu be-
legen, Luther hat es Maleachi 1, 14, Sachs, Schwanke 1, 335.
Auch das verbum vorteilen, Sachs, Fastn. 1, 89 und verfarteilen
1, 92 scheint nur md. zu sein, ebenso vorteilhaflig, z. b. bei
Grimmeishausen, Keuscher Joseph 2. — toucherischj zuerst in
einer Nürnberger chronik vor 1488, erscheint bei Stieler ohne
tadel. Ausserhalb des md. ist das wort nicht zu belegen. —
zänkisch, dessen grundwort Weigand in seinem Wörterbuch
für Mitteldeutschland in anspruch nimmt, tritt von anfang an
in participialem sinne auf. Zuerst steht es im cölnischen Voca-
bularius theutonista von 1475 und im Arnstädter rechtsbuch,
dann bei Luther, z. b. Eömer 2, 8. Sachs, Fastn. 4, 50. 112.
127. 6,111. 7,35. 135. Schwanke 1, 135. 136. 170. 201. 27a
2, 6. 7. 26 u. ö., bei dem Hessen Alberus und in der wetttf *
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zun GESCmOHTE DBB ADJECTIVA AUF -ISCK 509
auischen Leyen dispata^ sowie bei Fischart, Praktik 18 und
Hayneccins, Hans Pfriem s. 8 d. n.
23. So haben wir für einen teil der vergleichenden adjec-
tiva auf -isch und die wichtigsten von denen mit participialer
bedeutung den md. Ursprung im einzelnen gezeigt; für die
ältesten beispiele mag es die folgende Übersicht tun: Lexer
verzeichnet aus mhd. quellen, abgesehen von fremdworten,
ableitungen von orts- und personennamen und Substantivierungen
aus ahd. zeit, 113 adjectiva auf -isch {'esch)y die zu gleichen
teilen aus obd. und md. quellen stammen. Vergleichend sind 43,
davon enthalten 26 einen tadel, und von diesen 26 stammen
ausschliesslich aus md. oder von Mitteldeutschland her beein-
flussten quellen 11. Zu participialer bedeutung sind 34 durch-
gedrungen; diese sind bis auf 3, gtrisch, tospiseh und tückisch,
nur aus md. quellen belegt.
24 Schon in md. zeit sind auch die fremden adjectiva
auf -isck mit tadel meist md. und umgekehrt die in Mittel-
deutschland üblichen meist tadelnd, so auch fast alle die Luther
gebraucht^ z.b. älfentsrisch 'läppisch'; bacchantisch 'unverständig',
80 auch bei Stieler; curtisanisch; epikurisch 'ungläubig', s. no.8;
fantastisch, zugleich obd.: Petri benutzt in seinem Bibelglossar,
Basel 1523, ^anteschtisch zur erklärung von Luthers alber\ Jcar-
dinälisch: mit solchen cardinelischen, wetterwendischen, meuchel
Worten Wider Hans Worst 58 d. n.; auch bei Seume, Spazier-
gang 1', 154 hat kardinalisdi nicht den besten sinn; launisch,
auch bei Sachs, Fastn. 1, 143. 7, 87. Schwanke 1, 381. 492,
danach bei Hayneccius, Hans Pfriem v. 823 als leunisch; par-
teiisch, vor Luther nur im Nürnberger Vocabularius von 1482;
pestileneisch, bald nach Luther auch bei Oberdeutschen wie
Maaler, vgl. auch Eluge, Von Luther bis Lessing 46. Germ.
28,395. 29,389, wo sich, wie auch in den übrigen beitragen
Gomberts zur altersbestimmung nhd. wortformen gerade für
fremdworte viele alte nachweise finden; phariseisch 'heuchle-
risch' Von dem auffrürischen geist 12. Müntzer, Schutzrede 20.
Ickelschamer, Clag45; sophistisch-, tyrannisch, auchickelschamer,
Clag 47. 53. Sachs, Fastn. 1, 33. 4, 113. Schwanke 1, 399. 2, 128.
129. 629. Alberus, Fabeln no. 21, v. 36. 96. 132. Grimmeishausen,
SimpL 44. 52. Springinsfeld 4; vgl. DWb. unter mördtsch und
mordlich] aUvettelisch fabel, von Petri mit alter weyber märlin
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510 aoBTZE
erklärt, später bei Dasypodios und danach bei Frisch. Erst
aus (dtvettelisch hat wol Stieler sein veUeUsch gebildet.
Ohne tadel sind yon Luthers fremden adjectiyen nur
wenige und nur solche die er nicht frei, sondern genau nach
lat. Vorbildern geschaffen hat; so das häufige evangelisch, das
schon 500 jähre früher Notker und der Wessobrunner prediger
dem lat. evangelicus nachgebildet hatten, und apostolisch.
Diese häufigen Wörter haben dann wider anderen, wie evan-
gelistisch und new testamentisch (Dietz unter evangelisch) zum
Vorbild gedient, biblisch fehlt auffällig genug bei Luther,
offenbar weil er zu dieser bildung keinen anhält im lat fand,
denn mlat. hibUcus war Substantiv und nur in Paris gebräuch-
lich, und weil sein Sprachgefühl eine bildung dieser art, rein
aus dem deutschen heraus, schon verlernt hatte. Dem Ober-
deutschen Ickelschamer war sie noch möglich, s. Clag 49. Wie
sehr aber der Mitteldeutsche jener zeit für solche bildungen
eines fremden Vorbilds bedurfte, zeigt Alberus, der in seinem
Dictionar zur rechtfertigung des seit 1520 gewagten enddms-
tisch ein antichristims erfindet.
Md. sind ursprünglich auch einige andere tadelnde adjec-
tiva auf -isch: abenteurisch, als aventiurisch in einer Kölner
Chronik von 1499, als ebentheuwerisch in Kehreins Gramm. 2\ 86
aus Aventin belegt, als abenteurisch oft bei Saclis, Schwanke
1, 302. 379. 549. 552. 2, 489 und danach bei Hayneccius, Hans
Pfriem v.693, durchweg in der bedeutung 'seltsam'. — rebel-
lisch, in Schrift und mundarten nui* md., und hier zu der be-
deutung 'unruhig' abgeschwächt: Albrecht, Leipziger ma. Grimms
Märchen no.82 (aus Weitra in Deutschböhmen). Grimmeishausen,
Courage 23. 28. Simpl. 107. 620. 713. Zachariae, Poet. Schriften
(1765) 1, 45. 235. — barbarisch, Lexer im nachtrag. Grimmeis-
hausen, Teutscher Michel 1. Simpl. 1. continuatio (Keller 1012)
von Türken, Keuscher Joseph 6 und Musai 5 von Beduinen.
Stieler. — melancholisch Fischart, Praktik 8. 15. Spiessches
Faustbuch von 1587, 39. 113. Simpl. 202. 539. 642. VogehL 2, 1.
5. 8. Auch die entstellung maulhenkolisch ist vorwiegend md.
(zu den belegen des DWb. noch Courage 5. Vögeln. 2, vorr.), und
in Mitteldeutschland hat sie sich so festgesetzt, dass sie kaum
noch verstanden wurde; so sagt K. G. Anton im Verz. oberlans.
Wörter 2, 11 (1826): mauJhängolisch, s. v. a. verdrossen. Es ist
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ZUR GESCHICHTE DER ADJECTIVA AUF -ISCK 511
entweder von maulhangen gebildet, oder wafarschemliclier aus
melancholisch verderbt, aber 10,5 (1837): manJcolsch ist nur
verderbt aus melancholisch, was es auch heissen soll. Wencel
Scherffer hat dafür melampisch, s. Paul Drechsler, Wencel
Scherffer 180. — schmaroUerisch, ausser bei Keisersberg nur
bei Mitteldeutschen.
Andere sind ganz auf die mundart beschränkt geblieben,
so H^ottisch bei Albrecht; feninsch bei Schambach, Danneil,
Dähnert^ Mi, und das daraus zusammengezogene ßnsch, das.
und Zs. fdm. 2, 318; hassardisch von franz. hazard, aber mit dem
gedanken an hass und daher 'feindselig' Beinwald. Vilmar.
Schmeller; hräkeelisch Stieler. Dähnert, als hrajoelsh Zs. fdni.
6,217 aus Lippe; liberalisch Albrecht; bei Reinwald *von frauen-
zimmem, freigebig mit ihrer gunst'; obstinatisch Woeste. Dan-
neil. Mi Albrecht. Zs. fdnt 5, 296; schawemacksch auch nd.:
Eeuter, Franzosentid» 203.
Dann auch einige die zur blossen Verstärkung geworden
sind, wie kannibalisch^ auch entstellt zu galvanisch Polle, Wie
denkt das volk über die spräche^ 45, Jcälaboarsch Danneil,
calaberisch Zs. fdm. 6, 118 (dies obd.); kapitalisch, eine md. er-
weiterung zu dem weiter verbreiteten steigernden kapital, vgl.
Schmids Schwab, wb.; mordialisch Alhrecht Zs. fdm. 2, 192 aus
Nürnberg und Eoburg, 3, 134 aus dem Hennebergischen, 5, 505
aus Pressburg, und namentlich die ableitungen von sacrament:
schlappermentsch Gryphius, sakkermentsch Holtei, Schlesische
ged. 463, aber auch die obd. sakrisch Zs. fdm. 3, 185. 5, 103. 252.
6, 197. 510 und sappermentisch Hebel, Alem. ged. (Werke 1834,
2, 13) und endlich maUfiaisch, bei Lexer und im DWb. aus
Oesterreich und Tirol, bei Schmeller aus Baiem belegt.
Die für die deutschen adjectiva auf -isch aufgestellten
bedeutungsklassen treffen für diese fremdworte nicht zu, denn
die sind den adjectiven auf lat. -icus nachgebildet und be-
zeichnen demnach die Zugehörigkeit überhaupt; doch sind
manche vergleichend, so bacchantisch, curtiscmisch, pharisäisch,
sophistisch, andere participial geworden, so abenteurisch, rebeh
lisch, hrakeelisch, launisch, melancholisch und schmarotzerisch.
25. Die fremden adjectiva auf -isch mögen zu einer kurzen
betrachtung des bösen Sinnes bei unsrer adjectivklasse in
anderen germanischen sprachen überleiten. Auf zwei arten
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512 GOETZE
kommt hier ein böser sinn zu stände, selbständig vom dentscheD
oder durch entlehnung. Als beispiel für die erste art der wt-
wicklung kann uns das englische dienen, für die zweite das
schwedische. Im engl, hat, widemm von den eigennamen ab-
gesehen, reichlich die hälfte aller adjectiva auf -ish einen
bösen sinn; von diesen fallen die wenigsten mit deutschen ad-
jectiven auf -isd^ zusammen, wie childish mit kindisch; baariA
mit bäurisch; hellish mit höüisch; selfish mit selbstisch; ikievisk
mit diebisch, so dass man nicht genötigt ist^ aus sprachyerg^ei-
chenden gründen ein höheres alter des bösen Sinnes anznnebmeii,
als wir oben, no.6, zugegeben haben. Die geringe ftb^rm-
stimmung beider sprachen erklärt sich yollkomm^ wenn man
annimmt, dass eben nur keime dieser entwicklung, die nn-
bewusste neigung gelegentlich einmal einen gefühlswert irgend
welcher art in ein adjectiy auf -isd^ zu l^en, in der mutter-
sprache vorhanden waren. Ein tiefgehender unterschied ist
namentlich der, dass das engl, keine adjectiva auf -isi mit
partidpialer bedeutung kennt, mit einer ausnähme: snappish
'schnippisch', das schon deshalb der entlehnung aus dem nd.
(snappsh) verdächtig ist Die grosse masse der engL adjectiva
auf -ish enthält einen vergleich und ist von Substantiven ab-
geleitet: von den tadelnden z.b. beastish 'viehisch' von beast;
brutish 'tierisch, sinnlich, roh', von brüte; bearish 'bärenhaft'
von bear; doggish 'hündisch' von dog; goatish 'geil wie eine
ziege' von goat; stmkish 'schlangenartig' von snake; ehuriisk
'bäurisch' zu churl; clownisch 'bäurisch' zu cUnon; fiendish 'bos-
haft zu fiend; foolish 'läppisch' zu fool; foppish 'geckenhaft'
zu fop; knavish 'schelmisch' zu knave; monkish 'mönchisch' n
monk; rakish 'liederlich' zu räke; roguish 'schurkisch' zu rogme;
rompish 'ausgelassen' zu romp; womanish 'weibisch' zu wamam.
Die stelle des nhd. -Uch vertritt -ish in ableitungen zu farbei-
namen wie blueish, brownish, greenish, greyish, reddish und ist
hier ganz lebendig. Einem deutschen adjectiv auf -isch nach-
gebildet ist slavish, ausserdem stimmt thickish zu tiUck mit
dem bei Schmeller verzeichneten dickisch; bookish 'budigeletirt*
mit mhd. buochisch überein, ohne dass man enüehnung an-
nehmen müsste.
26. Auf dem anderen wege ist in den neueren nord.
sprachen der böse sinn in die adjectiva auf -isk gekomraeB,
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ZüB GB8CHICHTB DBB ADJBGXIYA AUF -ISCH. 513
durch enÜehnuBg aus dem deutschen. Ich entnehme die belege
für diese behauptung dem neuschwedischen, weil es dem nhd.
femer steht als das dänische, und daher alles was in dieser
beziehung yom schwed. gilt, auch für das dän. angenommen
werden darf, der umgekehrte schluss aber unrichtig wäre, und
führe dabei Fredrik Tamms abhandlung Om tyska &ndelser
i svenskan (aus üpsala univ. ärsskrift 1880) ausführlicher an
als nötig wäre, wenn diese schrift in Deutschland so bekannt
wäre wie sie es verdient.
Im allgemeinen darf man im nordischen jedes adjectiy
auf -ish ffir entlehnt halten, denn lautgesetzlich hat im nord.
das Suffix -iska- sein i verloren. In einigen adjectiven auf
-nisker ist die regel nicht durchbrochen, sondern das i ist
secundär aus sonantischem n entstanden, ebensowenig bedeutet
z.b. sundrisker eine ausnähme, denn hier gehört das i zum
stamme, das wort ist wahrscheinlich aus sundriksker zusammen-
gezogen. Somit ist jedes schw. adjectiy auf -isk entlehnt. Doch
nicht jedes auf consonant + sk ist altheimisch, denn etwas
später als im nord. fieng das synkopierungsgesetz auch im nd.
an zu wirken, im nmd. war die synkope nach r, l und n durch-
geführt, und. und nnl. ist sie allgemein durchgedrungen, also
können derartige adjectiva ebenso aus einer dieser sprachen
entlehnt sein. Hierher gehören z. b. djcevulsk, himmelsk, hätsk,
spetelsk aus mnd. düvelsch^ hetsch, hemelsch, spetelsch] glupsk,
hundsk, huthersk, löpsk, spotsk aus nnd. glupsch, hundsch, lu-
thersch, löpsch, spöttsch; kosUersk, nidsk, skcehnsk, siursk aus
nnl. kettersch, nijdschy schelmsch, stuursch.
Auch die schw. adjectiva die in dem i das kennzeichen
der entlehnung tragen, haben im übrigen schw. lautform an-
g^enonunen. Eine der ältesten entlehnungen ist afgudisk (Tamm,
Et. syensk ordbok, Stockholm 1890 ff.); in aschw. zeit ist Jnf-
pisker und hövisker (dazu das jüngere ohöfvisk) entlehnt worden,
die grosse masse aber erst seit dem 15. jh., so c^urisk, hednisk,
horisk, jardisk, nitisk, partisk (im 15. jh. partijsk), sekterisk,
^elfvisk, slafvisk Selten sind entlehnungen aus dem nhd.; das
>este zeichen dafür ist, dass es ausser luthersk und den un-
leutschen kcettersk und sekterisk im schw. keine adjectiva auf
ersk oder -erisk gibt: förförisk, ßrrädisk, inbüsk, krigisk,
Yiordisk, svärmisk, upprorisk entsprechen noch den älteren
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514 GOETZE
verführisch, verrätisch, einbüdisch, hriegisch, mordisch, schwär-
misch, aufrührisch, während das dän. hier und öfter die jüngeren
formen hat, vgl. ausser ßrßrersk: holersk, forhrydersh, hyklersk,
reversh, tryUerish Schliesslich sind auch von echt schw. Stäm-
men adjectiva auf -isTo dem deutschen nachgebildet worden,
wie hehetisJc und hädisk
Von wirklich schw. adjectiven auf -sk bleiben mit tadd
nur sehr wenige übrig: aschw. dulsker, glömsker, iUker, *lömsker
= nschw. dolsk, glömsk, ilsk, lömsk: ein neues zeichen für unsere
behauptung, dass der böse sinn im germ. erst im keime vor-
handen war.
n.
Zur bildnngsgesehlehte der adjeetivA auf -foel^.
27. Eine neue bedeutungsgruppe pflegt im sprachbewosst*
sein einen so grossen räum einzunehmen, dass sie auch benadi-
barte teile des Wortschatzes in ihre kreise zieht. So haben
auch die participialen adjectiva auf -ist^ einen teil der älteren,
die herkunft oder einen vergleich bezeichnenden adjectiva in
ihren kreis gezogen; beispiele genug für diese entwicklung
sind im ersten teile vorgekommen.
Diese neue art der betrachtung hat nun aber auch auf
die bildung der adjectiva auf -isch eingewirkt. Bei partici-
pialer bedeutung war es nicht mehr wie bei der der herkunft
oder des Vergleiches nötig, dass der bildung ein hauptwort zu
gründe lag, vielmehr lag es näher, sie zu einem verbum zu
stellen, und wir haben mannichfache belege dafür, dass adjec-
tiva auf 'isch, die unzweifelhaft von Substantiven abgeleitet
sind, nachträglich zu verben bezogen worden sind, so aufruh-
risch, regnerisch, stürmisch und zänkisch von Adelung im Lehr-
gebäude der deutschen spräche 2, 69, abergläubisch, argwöhnisch,
neidisch, spöttisch, tückisch, zänkisch von Heyse im Lehrbuch
der deutschen spräche 1, 565, höhnisch und zänkisch noch 1878
von Weigand in seinem Deutschen wb.
28. Kein äusserlich war diese ableitung noch viel öfter
möglich: auch bei arbeitisch (Albrecht, Leipziger ma.), balbierisch
(ausser bei Stieler auch bei Paracelsus, DWb. unter baderiseh),
bettelisch, girisch, röubisch, rumorisch (Sachs, Schw. 2, 544. Scheidt,
Grobianus 112 d. n. Fischart, Podagr. trostb, 13), täppisch und
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ZUB GESCHICHTE DBB ADJECTIVA AUF -ISCK 515
verrausch konnte man an arbeiten^ halbieren, betteln, gern,
rouiben, rumoren, tappen, verraten denken so gut wie an arbeit,
baHbier, bettet, gir, roup, rumor, tappe, verrat; klapperisch,
knauserisch, meuterisch, ölperisch, zauberisch (z. b. Fischart,
Bienenk.63b. 237 a. Spiessches Fanstbuch 8. 13. 25. Grimmels-
hausen, SimpL 686. 757. Springinsfeld 6. Vögeln. 1, 1. 12. 2, 22.
25. Stieler. Zachariae, Poet, schritten 1765, 1, 133. 143 u. ö.)
konnten, so lange zwei congruente silben hinter einander
nicht geduldet wnrden, sowol zu Substantiven auf -rer als zu
yerben auf -em gehören; ganz zweifelhaft ist mistrauisch, das
entweder vom verbum oder vom substantivierten inl abgeleitet
ist. Ott genug lag es auch formell näher, an das verbum zu
denken, z. b. wenn das zu gründe liegende subst. ausgestorben
war, wie bei laurisch zu loMcr 'spitzbube', oder bei abtrün-
nisiih zu mhd. abetrünne 'abfall', oder wenn das verb mit dem
adjectiv den umlaut gemein hatte, wie arcwcenen mit a^'c-
tocenisch gegen arcwän\ aufrühren mit aufrührisch gegen auf-
rühr (auch bei Fischart, Garg. 235. 349. Alberus, Fabeln 10,
V. 108); höhnen mit höhnisch gegen höhn; kleffen mit klefßsch
gegen klaffe; rühmen mit rühmisch gegen rühm; stürmen mit
stürmisch gegen stürm (Grimmeishausen, Keuscher Joseph 4.
Stieler. Zachariae, Poet, schritten 1765, 1, 143. 280, stürmerisch
2, 33, dann ott im stürm und drang: Der junge Goethe 1, 91
ILO. Gerstenberg, ügolino, Vorbemerkung (1768). K.Ph. Moritz,
Anton Reiser 293. 427. 432 d.n. [1786]. Seume, Spaziergang 2 V
54 u. 0. Ursprünglich scheint das wort dem französischen nach-
gebildet zu sein, es tritt zuerst in einer Übersetzung des 14. jh.'s
[Hagen, Gesammtab. 1,26, 211] auf und zwar sofort in über-
tragener bedeutung wie das franz. orageux; auch bei Fischart,
Garg. 235 kann es nachbildung sein. Dazu bei Stieler wind-
stürmisch); wüten mit unitisch gegen wut (wütnisch im Peter
Leu V. 974 [1557], wittisch, wüttisch ^aufgebracht' in Schmids
Schwab, wb. als bairisch. Das rotwelsche wittisch, wittsch ist
vielleicht durch einen gleichen bedeutungsübergang zu 'sonder-
bar, albern' geworden, wie wir ihn oben bei närrisch fanden).
Es traf sich, dass in Mitteldeutschland, wo der participiale
^inn früher als im obd. eingetreten war, auch diese neue ety-
[nologie mehr nahrung fand, weil hier die verba viel öfter
imgelanteten stammvocal hatten; hier konnte sich auch aber-
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516 GOBTZB
gUubisch (nebst ahgläubisch bei Luther, femer in Maalers Wb^
in Widmanns Faustbnch, äberschrift zum l.cap. = Scheibles
Kloster % 285 [Hamburg 1599], bei Grimmeishansen, Galgra-
männlin 1. 3. 6. Vögeln. 2, 12 ff. 26. Oehlinger fährt in seinw
Gramm. 54 d. n. abergleubisch als possessiuum an, der Strass-
bnrger kann eben mit dem participialen sinne nicht zurecht-
kommen, aftergläübisch Zs. fdph. 8, 365) zu glauben; mördisch
und meuchelmördisch zu morden; tückisch zu tücken; zenTäsch
zu zenken stellen.
29. Die folge dieses Zusammentreffens war, dass seit mhd.
zeit neue adjectiva auf -isch nun auch wirklich zu yerben ge-
bildet wurden. Diese bildung ist bis auf unsere tage lebendig
geblieben und ist stets auf Mitteldeutschland beschränkt ge-
wesen. Das ist nicht unwichtig für die wortbildungslehre,
denn nach diesem gesichtspunkte wird man in zweifelhaften
fällen entscheiden können, ob ein adjectivum auf -isch von
einem subst. oder einem yerbum abgeleitet ist Die ableitung
von yerben hat übrigens ziemlich weiten umfang angenommen;
mir sind 158 sichere ableitungen yon yerben bekannt, das sind
— wenn meine zahlen auch gewis zu klein sind, werden die
yerhältnisse doch etwa stimmen — yon den ableitungen zu
eigennamen abgesehen, 15,5 proc. aller adjectiya auf -isch.
39. Die ältesten yerbalableitungen stehen im Benner des
Franken Hugo von Trimberg, es sind fümaemisch 'sich heraus-
nehmend, vermessen' y. 300 und neckisch 'boshaft' 7087 (auch
bei Sachs noch nicht in dem milden sinne wie jetzt; s. Schwanke
1, 342. 2, 71. 378. 382, wo es 'zu derben possen aufgelegt' und
1, 258, wo es 'wunderlich' bedeutet. In dem zweiten sinne im
nmd. weit verbreitet: Bernd, Die deutsche spräche in Posen.
Bemdt, Vers, zu einem schles. id. unter schnake. KG. Anton,
Verz. oberlaus. Wörter 2, 13. Albrecht. Adelung. Fulda. Campe.
Beinwald. Schmid. In demselben sinne dobemeckisch, auch bei
Beinwald, und Mefemeckisch, dagegen schabemäckisch bei Weise,
Erznarren 106 und Beinwald von nack m.). Ein credisch 'aber-
gläubisch' wird durch das im Servatius vorkommende credisckeit
verlangt; gebisch 'zu geben geneigt', das im nmd. auch in
gutem sinne vorliegt (Bernd. Beinwald. Albrecht Adelung),
wird früher mit tadel verbunden gewesen sein, das zeigt «ier-
gebisch 'verschwenderisch' im md, Aristoteles des 15. jtCs.
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2SÜB GESCHICHTE DER ABJECnVA AUF -ISCK 517
Oswald von Wolkenstein hat, wol aus dem md., rumblisch
(rumpeln gleichzeitig nur noch bei Heinrich von Freiberg),
smielisch, tumbrisch, türmisch, der Nürnberger Voc. von 1482
IL a. betrübisch, der des Antonius Annaberger vom anf ang des
15. jL's tobisch (vgl. dSweseh 'wütend' von wetter nnd vieh bei
Schambach, diaoisk ^verkehrt, verwirrt' von der schöpsdrehe
Zs.fdm.6,57, dagegen ist toben im obd. zn Luthers zeit un-
bekannt, Th. Wolfe bibelglossar, Basel 1523, gibt es mit grymmig,
ßomig sein wider, Zs. f dph. 22, 328).
31. Häufiger werden die verbalableitungen seit Luther. Mit
ahklebisch übersetzt er Hebr. 12, 1 r^v evxeQlörarov dfiaQzlav,
er bringt heuchelisch, mürrisch (auch bei Hayneccius, Hans
Pfriem V. 334, Grimmeishausen, Simpl. 704. Zachariae, Poet.
Schriften 1765, 1,180. 232. 2,12. Moscherosch. DWb. 5, 582 o.),
störrisch (Sachs, Schwanke 2, 513. Hayneccius, Hans Pfriem
V. 2054. Zachariae, Poet. Schriften 1765, 1, 193, obd. dagegen
unbekannt, denn Petri erklärt Luthers störrig 1. Mos. 49, 7
n. ö. mit wiäerspennig, streitig), verführisch (Ickelschamer, Clag
47. Spiessches Faustbuch s. 7. Adelung 2, 1401) und wetter-
wendisch (daher bei Clajus, Deutsche gr. 57 d.n. und Helber,
Syllabierbttchlein 14, 27; dafür bei Petri unstet, vgl. Schambachs
wickenwenä^sch) in die Schriftsprache, seinem sprachkreise ge-
hören auch hreppisch von treppe» 'kröpfen, ärgern' und em-
pörisch an.
32. Hans Sachs hat o/ufschnüppisch (Fastn.3,13 auffschnüp-
pich wie AregpiscÄ mit unverschobnem pp, in der bedeutung
^hochmütig'). Das wort zeigt zugleich den sinn des gleichbed.
schnippisch, wie aufschnüppisch von aufschnuppen, aufschnupfen
kommt, so wird schnippisch oder besser schnüppisch von hd.
schnupfen kommen, das heisst aber ^die luft heftig durch die
nase ziehen', in diesem falle aus hochmut, etwa mit zurück-
werfen des kopfes verbunden (dieselbe grundbedeutung hat
schnupfen oder schnuppen 'weinen', bei Sachs, Schwanke 1, 28.
430. 482. 535. 2, 196, denn das heisst: 'die luft heftig durch
die nase ziehen', um das tränenwasser aufzuhalten). Etwas
anders bezeichnet Hayneccius dasselbe benehmen: vnd vnter-
steht sich noch, das er vns schnarchend vberpoch Hans Pfriem
V. 1470 1 Ganz hiervon zu trennen und immer nur von der
Sprache gebraucht ist sdmäppisch mit fürschnäppisch 'vorlaut',
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518 OOSTZE
bei ßeinwald und Zs. fdm. 3, 140, die von schnappen 'laat werden*
kommen, vgl. Hans Pfriem & 4 d.n. nnd y. 553; dagegen zeigt
schnuppisch 'lecker im essen', bei Beinwald, eine dritte be-
dentnngsentwicklung von schnupfen: hier heisst es ^die Infi
über dem essen durch die nase einziehen, schnuppem^, gencdr
nisch 'verschwenderisch' Schwanke 1, 381. 2,312. 547. Fastn.
1, 92. 95. 138 (dazu bei Stieler vergeudisch)^ mänckisch 'mürrisdi',
prängisch 'prangend', schma/roteisch 'schmarotzend' Schw&Dke
2, 318, mtäppisch Fastn. 5, 142 ('sich einschmeichelnd' auch bei
Fischart, Podagr. trostb. s. 22 bei Kürschner. Grrimmelahaosen,
Simpl. 212. 354. 451. 591. Courage 23. Springinsfeld 1. Keuscher
Joseph 8. Ad, Stifter, Studien 2, 15 [1844]. Schmid, Schwab, wb.
Anders bei K. G.Anton, Verz. oberlaus. Wörter 15, 23: ^eutäj^^isA
wird ein plumper, grober, auch wol zudringlicher nnd unvö*-
schämter mensch genannt, weil er immer zutappt^ mit der tappe
oder talpe überall hinzutritt oder zugreift. Campe.' Sollten die
beiden ersten bedeutungen bloss der etymologie zu liebe an-
gesetzt sein?).
33. Fischart wendet ausser den schon genannten heudt
lisch, mürrisch und zutäppisch folgende verbalableitangen auf
-isch an: balgisch, bübelisch (zu bObeln, vgL bäbeUeren Brant,
Narrenschiff 27, 6, vielleicht auch mit dem gedanken an hibUsdi
Garg. 117), diebraumisch 'hinwegräumend wie ein dieb', KdW-
verbergisch im Wortspiel mit lichtenbergisch Garg. 24, sdiindisek
'geizig', schlampampisch und sdmippisch. Bei Grinunelshausen
kommen neu hinzu haushäliisch und wurmisch ('yerdriesslich',
von wurmen 'verdriessen', Vögeln. 2, Privüegia^ später bei Giy-
phius, Peter Squenz 16 und Lessing), sowie vexirisch Calender,
Kurz 4, 255.
34. Die reichste ausbeute an verbalableitungen aof -isA
gibt Stielers Wb. Nur ein achtel von seinen beispielen ist frei
von tadel: lehnisch (wider bei Beinwald im anhang) mit om-
lehnisch, auslehnisch, entlehnisch und verUhnisch, die Stieler
sp. 1124 so schematißch hinter einander aufzählt, dass man
denken kann, er habe sie selbst erst zu lehnisch gebildet,
ferner flechtisch, flickisch, kaffisch, das Stieler = 'wachsam' setzte
das wol aber entsprechend der bedeutung des nhd. gaffen und
dem westfäl. gcepsk, das nach Woeste 'unberufen, neugierig*
bedeutet, mindestens eine hinneigung zum bösen sinne gehabt
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ZUB GBSGHICHTB BEB ADJEGTIYA AUF -ISCK 519
f
hat, Underisch, sinniseh (in beispielen auch bei Stieler nirgends)
und wehnisch ^wöhnisch'.
Im ganzen besser bezeugt, auch bei anderen schriftsteilem,
sind Stielers verbalableitüngen mit tadel: au8äff%8c\ hellisch,
empörisch, ergidnsch, gakisdh, geltwerfischy greifisch, kasteyisch,
Jda/ubisch (= nd. glubsch)^ JdeUerisch, hriechisch, lermisch. Krisch
(= leirisch 'langsam', wie lären = leiren, vgl. Lexers liererisch
ans einer md. hs. des 15. jh.'s), misdenkisdi, misdünkisdi, nach-
äfßseh, plackisch, plapperisch, plünderisch (seiner bedeutnng
gemäss zu plündern, nicht zn plunder, auch die hauptsächlich
md. Verbreitung macht die verbalableitung wahrscheinlich),
poUerisch {*\mgestim'; polderisch oder hüisch Ickelschamer, dag
54), porrisch und aufporrisch, sa/ufisch und seufisch (nd. supsch\
scheuchisch, schlägisch (auch bei Campe), schleuderisch, schien-
herisch, schmähisch, schmalerisch, schmeichelisch^ schmiegisch,
schnackisch, stolperisch, verdenhisch, verheerisch, verödisch, wer-
fisch und wirfisch, eauderisch, zechisch, eergisch und eerrisch.
Dann einige von verben auf -ieren: banquetierisch, bossierisch,
brafirisch, fexirisch, flattirisch, haselirisch, hausirisch, partirisch,
schändirisch, schimpfvrisch, sektirisch, skaUirisch, spaeirisch,
spendirisch.
35. In grösserer zahl begegnen wir verbalableitüngen auf
'isch wider in den nmd. mundarten. Am wenigsten werden wir
von dem bisher innegehaltenen chronologischen verfahren ab-
weichen, wenn wir zuerst die mehreren mundarten gemeinsamen
und dann die einzelnen eigentümlichen betrachten. Zwar nicht
alle finden sich in den Idiotiken, an die wir uns hier halten
müssen, bei Woeste, Schambach, Albrecht, Danneil, Mi, Wein-
hold verzeichnet; namentlich von denen, die kraft ihrer weiten
Verbreitung in die Schriftsprache gedrungen sind, wie mis-
irauisch, mürrisch, störrisch und weiterwendisch, fehlen manche.
Ffir das göttingische, westfälische, mecklenburgische und
altmärkische sind bezeugt: bitsch oder betsch 'bissig', löpsch
und snippsch oder sn^sch\ für Mecklenburg, die Altmark und
Leipzig angreifisch, anschlägisch und naditrägisch\ für West-
falen, Gröttingen und die Altmark glupisch und snacksch 'ge-
schwätzig'; für Göttingen und Westfalen körisch 'wählerisch'
(zu scheiden von nd. körisk, kürisch 'schreiend', z. b. Voss 2, 119)
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520 aoBTZis
xmiprättsch oäerprötsch 'maulend'; für Göttingen und Mecklen-
burg toedertcensd^.
Dem westfäl. allein gehören an: argdenkesch, driewisk,
Sterbietsk, nieterbietsJc, slubietsk, gcengesk, gäpsk oder güunsk,
gcBpsk, hürksk, nitsch, prängesk, sUnsk, smöksk, snaigesk, snü-
wesk und niepentücksk] dem gOttingisch-grubenhagischen: änisek,
bramsch, hruUschy dötoesch, fdtsch, gr^sch, lüsdi, merksch,
mdksch und maisemelksch, smitsch, schewisch, be^preksch; stö-
ätsch, süpsch, twingelsch, unverlätsth, upscatsch und upsUetsch;
dem mecklenburgischen äwerögsch, krüdsck, schulsch, langtägsck
(oft auch in Beuters Stromtid), wetterdänsch\ dem altmärkischen
nur naotäögsch\ in Leipzig hört man aiühängisch, riebisch 'rei-
bend, scheuernd^ von kleiden^ ubelnehmisch (E. G. Anton ge-
braucht das wort selbst 1, 11 und 18, 13) und wahlisd^.
Mehr als dreiviertel dieser adjectiva haben einen bösen
sinn, und productiv ist die gruppe nur noch insoweit sie einen
bösen sinn hat, aber innerhalb dieser grenze ist die bildung
durchaus lebendig, z. b. wird in Leipzig jetzt bisweilen ruppsch
für ruppig gesagt, und ein hohes alter ist für keine der yerbal-
ableitungen anzunehmen, die nur einer einzelnen mundart an-
gehört.
86. Es ist s. 514 gesagt worden, dass die participialen
adjectiya auf -isch den verwanten yerben besonders nahe stehen.
Als eine bestätigung dieser annähme wird es aufzufassen sein,
wenn zu participial gewordenen adjectiyen, neben denen kein
yerbum steht, gern eins aus dem adjectiy abgeleitet wird.
Wir belegen im folgenden diese erscheinung aus Schriftsprache
und mundarten, schicken aber yoraus, dass die md. und nd.
belege, trotz ihres absoluten Übergewichts, relatiy in der
minderheit [sind, d. h. den yorhandenen sprachstoff weniger
erschöpfen, als die möglichst reichlich gegebenen obd. beispiele.
Die ältesten yerba yon adjectiyen auf -isth bedeuten 'die
spräche, die das adjectivum bezeichnet, sprechen^ so teelsehem,
kauderwelschen bei Lessing, Thfimmel, Campe und Stalder; rot-
welschen bei Holtei, Schlesische ged. 218; latmiseiien bei Mumer,
Luth. narr y. 1284 (ygl. latinüare); polschen auch in flbertra-
genem sinne = 'unverständlich sprechen' Bernd, Die deutsche
spräche in Posen. Holtei 357 und Weinhold im glossar dazu.
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ZUB GESCmCHTE DEB ADJECTIVA AUF -ISCH. 521
IntransitiY ist dann auch das von einem übertragenen
völkemamen abgeleitete fiämschen 'eine finstre miene machen*
K. G.Anton, Verz. oberlaus. Wörter. J. Petters, Andeutungen zur
stof&ammlung in den deutschen maa. Böhmens. Fr. Knothe,
Markersdorfer ma.; anßämschen ist durch die präposition tran-
sitiv geworden. Anton. Petters. Knothe; galbschen 'zanken' zu
mhd. gelf 'übermütig' Schmeller aus Aschaffenburg; girschen
'erschleichen, subrepere' Lexer aus der Hohenfurter Benedic-
tinerregel des 13. jh.'s = Zs, fda. 16, 266; glubschen 'scheel, glu-
pisch ansehen' Anton; dazu das transitive anglupschen bei
Anton und Bernd; hämischen 'hämisch sein' und daher einen
'hämisch behandeln' Anton. Dagegen von hämsch 'reizbar,
empfindlich' das nordböhmische ^s hat 'n cfhämscht 'er hat sich
tüchtig verletzt' Knothe; hübschen, transitiv, namentlich in den
Wendungen sich hübschen Anton und Campe, und sich anhübschen
in Thüringen und Obersachsen, hübschen 'hübsch machen' im
DWb. auch aus Wirsung Calixtus und 'hübsch werden' aus
Stalder; mhd. hövesclien 'den hof machen' ist offenbar franz.
eourtiser nachgebildet; Mndschen 'kindisch sein' im DWb. und
bei Holtei, Gedichte 364. Bemdt, Versuch zu einem schles. id.
Anton; verkindschen 'kindisch werden' Adelung 2, 1580; läpp-
schen, das häufigste dieser verba, auch in Weinholds Beiträgen
zu einem schles. wb. Bernd und Albrecht; lünschen 'übellaunig
sein' Zs. fdm. 5, 155 aus Fallersleben, 6, 354 aus Lippe, im
Bremisch -ns. wb. aus Braunschweig, schliesslich in J. Fr.
Schützes Holst, id.; muckschen bei Anton und Holtei, Gedichte
336. 365; narr sehen bei Anton. Albrecht. Campe, aber auch in
Mumers Luth. narren v.2 (vielleicht nach fatuari?); neidschen
in den bedeutungen 'neidisch sein, einen neidisch behandeln,
ansehen' aus Westmitteldeutschland belegt; falschen 'tälsch,
albern sprechen und handeln' bei Bernd. Holtei 228. 364. 437.
491. Anton (auch unter dälschen); teerischen 'närrische dinge
treiben' in Heinrichs von Freiberg Tristan; tückschen 'tückisch
tun, schmollen' Albrecht. Bismarck, Gedanken und erinnerungen
1, 189; unmrdischen 'unwirdisch werden, indlgnari' in Megen-
bergs Buch der natur.
Diese beispiele werden für sich selbst sprechen und zur
genfige zeigen, dass die bildung durchaus md. ist. Damit
ordnen sich die verba auf -ischen oder -sehen passend in das
Bdträge zur geschichte der deutschen spräche. XXIV. 84
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522 VON DER LBTEN
bild ein, das wir oben von der Verbreitung der paiücipial»
adjectiva auf 'isch gewonnen haben.
LEIPZIG. ALFRED QOETZE.
ZU HARTMANNS REDE VOM GLAUBEN.
Beitr. 24, 206 ff. beschäftigt sich Leitzmann mit meinem
buch: Des armen Hartmann rede vom glouven (Breslau 1897).
Er sucht nachzuweisen, dass die Interpolationen, die ich in
diesem denkmal zu erkennen glaubte, als solche nicht gelten
dürfen, und macht dann einige bemerkungen zu dem von mir
hergestellten text Da seine angriffe bei unbefangenen lesero
den eindruck hervorrufen müssen, als seien meine annahmen
recht leichtfertig, möchte ich um die erlaubnis bitten, hier
einige worte zu meiner Verteidigung zu sagen.
Als ich mich s. z. mit der *Rede vom glouven' abgab, las
ich sie mir widerholt laut vor. Dabei fiel mir auf, da^ ver-
schiedene versgruppen in rhythmus und diction sich sehr merk-
lich von dem tenor der anderen verse unterschieden. Als ich
daraufhin näher zusah, bemerkte ich in diesen versen auch
andere eigenheiten, in denen sie gegen H.'s verse aberein-
stimmten.
Als solche erschienen mir und erscheinen mir noch heute:
1) Die verse mit fünf hebungen, die für jene zeit im all-
gemeinen gewis nichts ungewöhnliches sind, aber auffallen
müssen, wenn sie in einem gedieht von über 3000 versen nur
sechs mal begegnen (vgl. mein buch s. 34. 38). — Während
ferner H.'s verse durchaus schwungvoll und bewegt sind, kann
man diese fünfheber kaum als verse lesen: es ist baare prosa.
wie denn auch einer dieser verse (2675, vgl. mein buch s.37)
tatsächlich als prosasatz vorkommt. Bei einem andern w&re
es ganz leicht gewesen, ihn nach dem muster von Hartmaon-
Bchen in einen guten vers zu verwandeln (vgl 1481 gdobei
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zu HABTHANKS RBDE VOM OLAUBEir. 523
ststu, herre, heilich Crist mit 1942. 2114. 2354 lob dir, herre,
heilich Crist),
2) Armat in ausdruck und worten, not- und flickverse,
äusserst ungeschickte widerholungen von versen die keines-
wegs formelwert besitzen und einander beinahe unmittelbar
folgen. Vgl. bes. 79 nah ouh niemer mer ne tut, 83 noh ouh
niemer mer ne tut; 982 da begunder dem vater danke, 985 gote
begunder danken. Aehnlich 1095 f. = 1103 f. 1097 beinah =
1137. Derlei mag ich einem dichter nicht zutrauen, der über
einen für jene zeit fast ungewöhnlichen reichtum an worten
und synonymen Wendungen verfügt; der in der kunst, dasselbe
in immer andrer form zu sagen, ein meister ist (man vgl. die
verse 75—164. 199—220. 1225 f. 2404 f. und mein buch s. 70 f.).
3) Eine art, wissen und kenntnisse zur schau zu tragen,
die ich mit dem sehr bescheidnen, jeder prahlerei abholden
wesen H.'s auch nicht in einklang bringen kann. Der inter-
polator citieil genau (1510. 2881), H. beruhigt sich mit einem
einfachen hinweis auf die heilige schrift oder das neue testa-
ment (vgl. mein buch s. 68), der interpolator bringt bibel-
sprüche und -citate an unpassender stelle, bloss um zu zeigen
dass er sie kennt (vgl. v. 714 f. 2674—79. 2880—83), während
H.'s citate immer in den Zusammenhang passen (man vgl. mein
buch s.94f.). Besonders charakteristisch für den interpolator
sind die verse 2674 — 79, die in fünf reihen zwei (von den
sechs) fünfhebigen versen und zwei unpassende bibelcitate
enthalten.
Diese eigenheiten des interpolators verbinden sich auch
psychologisch aufs beste: Impotenz und unbescheidenheit gehen
doch oft genug zusammen.
Wenn ich auch sonst stilistische und metrische Ungeschick-
lichkeiten auf das conto des interpolators setzte, wird sich
niemand darüber wundern. Z. b. lauten 2850 f. (die zudem in
die umliegenden leidenschaftlichen mahnungen sehr unglücklich
eingeschoben sind) wole gedenke an dae, intrüwen rätich dir
daz, bringen also einen rührenden reim, wie ihn H. sonst ver-
meidet (vgl. mein buch s. 8), und den er in diesem fall doppelt
gut hätte vermeiden können, hätte er sich nur, wie das sonst
seine art ist, selbst (2404. 2512) widerholt: nu bedenke dih
34*
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524 VON DER LETEN
hcus, iniruwen ratih dir daz. Darum erklärte ich die beiden
verse für unecht.
Die andern argumente die ich als solche ansah, besonders
die obd. worte in interpolierten versen, kommen jetzt nicht
mehr für mich in betracht.
Allerdings muss ich einräumen, dass meine kriterien im
grund ästhetische sind, und dass ihnen viel subjectives anhaftet
Es ist darum eben so schwer, sie für jedermann einleuchtend
zu machen, wie ihre beweiskraft richtig abzuschätzen, ins-
besondere für einen anfänger, der des guten noch gern zu viel
tut, in philologischen Untersuchungen noch unerfahren ist, auch
beobachtungen die für sein empfinden gewis sind, leicht für
objectiv erwiesene hält.
Darum sehe ich heute, nachdem mein blick natürlich un-
befangener geworden, dass ich bisweilen ins tüfteln geriet,
unterschiede herausfühlte, die nicht existierten, auch von ärm-
iichkeit redete, wenn sie nicht vorhanden war. Ich lasse dem-
gemäss meine bedenken gegen 105 f. 201 f. 229—34 (vgl. auch
Ps. 134, 6 und Reuschel, Lit.-bl. 20, 161). 805—8. 1401—3. 1405.
1531 f. 1610—13 fallen.
Ueber 25 — 34 bin ich mir noch nicht im klaren; ich gebe
aber, zumal wenn ich das von L. s. 216 gesagte in betracht
ziehe, zu, dass ich mich auch hier irrte. Freilich bleibt mir
der gebrauch von wände in v. 33 für H. auffällig; ebenso ver-
stehe ich, wenn die verse echt sind, nicht recht, warum H. gott
in 20 versen um hilf e bittet, nachdem er weiss und zuversicht-
lich hoffen darf, dass gott ihm diese hilfe gewähren wird.
Die andern verse halte ich nach wie vor für interpolator-
mache.
Ich komme nun zu Leitzmanns gegenargumenten. L. geht
auf meine metrischen kriterien 'ein für alle mal' nicht ein, da
meine behandlung dieser dinge 'den an eine rhythmische
Statistik zu stellenden ansprüchen nicht genügt', (s.211; vgl.
auch s. 215 und s. 206 'die eine unerlässliche statistische ana-
lyse der rhythmik ganz beiseite lassende metrik'). *Von den
metrischen tendenzen des gedichts', fährt L. fort, 'hat er sich
offenbar selbst kein klares bild gemacht, vielmehr bietet er
an stelle einer nüchternen Untersuchung phrasen' (z.b. &52).
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Zu HABTBEA1TN8 BBDE VOM GLAUBEN. 525
Dass meine metrik in vielen punkten anfechtbar ist, weiss
auch ich. Darf man sie aber darum in bausch und bogen
verwerfen? Nebenbei habe ich s. z. für mich eine 'ausführliche
statistische analyse der rhythmik' hergestellt und sie absicht-
lich nicht abgedruckt, ebensowenig wie ein reimregister. Wa-
rum ich so verfuhr, kann ich hier nicht begründen. Meine
'phrasen' auf s. 52 mag jeder selbst nachlesen; ich habe
mich in den betr. Sätzen so gut ich konnte bemüht, die be-
sondere art von H.'s metrik und den eindruck, den sie mir
machte, zu schildern. Anscheinend also kennt L. meine metrik
nicht so genau, dass er sie mit solchen Worten beiseite schieben
dürfte.
Meine stilistischen kriterien behandelt L. auch recht ge-
ringschätzig. Zu 2850 f. (mein buch s.42): 'ich brauche nichts
zur Widerlegung hinzuzufügen'. — Zu 2880—83 (mein buch
s. 37: ich hatte gesagt, H. eitlere nie so genau, vgl. zu 1910 ff.):
'nun, dann hat er es in diesem einem fall doch getan'. — Zu
1481—92 (mein buch s. 38): 'die weiterhin gerügten stilwider-
holungen finden sich bei H. so massenhaft, dass ich mir belege
ersparen kann' (wo finden sie sich? ich finde sie nirgends). —
Zu 299 1 (mein buch s. 41, 297 Hecht — 299 UecJit] 299 swär —
301 swarjs, ausserdem schliessen sich 301 wtjs und swans viel
besser an 297 vinster und Hecht an als 299 liec^t und swär)
'das motiv des anklingens von liht an Hecht ist doch nicht
ernst zu nehmen'. — Zu 1501 — 12 (mein buch s. 35) findet L.
meine Interpretation von 1500 und den vorangehenden versen
falsch. Er will die 'richtige' Interpretation geben und erklärt
dann die verse: 'gottes gnade lehrt (!) die creaturen, dass sie
jede auf ihre weise gott zu loben haben' (eine merkwürdige
gnade!). Er gibt dann sofort eine zweite 'richtige' Interpreta-
tion und fasst dis lob in 1500 rückbezüglich als 'das lob, von
dem der dichter eben gesagt hat, dass es gott dargebracht
werden solle'. Aber dann hätte disr lob gar keinen Inhalt,
und grade diesen Inhalt bieten die folgenden echten verse, in
denen der rühm gottes sozusagen specificiert wird, eben weil
gott den verschiedenen dingen verschiedene gnadenbeweise zu
teil werden liess (1497—99). — Zu 1085—1124 (mein buch
s. 42): 'die widerholungen stören uns natürlich nicht, denn sie
sind nicht ungeschickter als manche andren, die doch ruhig
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526 VON DEB LEYEN
passieren dürfen' (bitte, welche? Nebenbei war meine behand-
lung von 1085—1124, wie ich auch ausdrücklich sagte, nur ein
Vorschlag; damit erledigen sich alle anderen ausfälle von L.)
— Zu 705—10 (mein buch s. 36) sagt L., ich hätte auf das
wort werltkuning einen 'luftigen türm' (was ist das?) gebaut
Auch sonst zieht er starke worte starken argumenten vor und
macht sich seine Widerlegung allzuleicht. In v. 714 1 (mein
buch S.41) hatte ich festgestellt, dass der interpolator den
guten reim lilium : filium verderbe. L. sagt * dieser gute reim
sollte durch seinen gleichklang eher verdächtig wirken'. Nun
vgl. man 89 f. ineffabüis : miraUlis, 317 f. heatrix : creatrix, 343
eloquentia: sapientia, 367. 401 u.s.w. — Zu 1612 (mein buch
s. 34): ich hatte behauptet, riejsen trans. sei bairisch (das ist
nicht zutreffend, vgl. Otfr. 1, 18, 11 und Beuschel, Lit.-bl.20, 161).
L. sagt nun: 'das ist nicht einmal ganz richtig, denn auch das
Bolandslied hat riezen\ Ist denn das Bolandslied kein bai-
risches denkmal? Femer sei das wort auch nind. vorhanden
als reten. Ja, aber nur in Sinem beleg, aus dem jähre 1464
(Redentiner osterspiel), und es ist noch nicht einmal sicher,
ob hier r^tm wirklich dem mhd. riezen entspricht.
Diese belege werden genügen, um L.'s Widerlegung zu
charakterisieren. Es wird nicht nötig sein, auch zu seinen
anderen angriffen Stellung zu nehmen, obwol ich manches auch
gegen sie vorbringen könnte. Ich erkenne gern an, dass mich
L. in manchen fällen eines bessern belehrt hat; im übrigen
halte ich seine starken worte für nicht so schlimm wie sie
vielleicht klingen. Etwas schmerzlich ist mii- nur, dass er
mir eine 'starr schematisierende' betrachtungsweise vorwii*ft,
während ich mich überall nach besten kräften bemühte, der
Individualität des Annen H. gerecht zu werden. Es liegt mir
hier auch nicht daran, L. zu überzeugen; er mag meinetwegen
die ganze Rede vom glouven für echt halten: ich wollte mich
nur rechtfertigen, indem ich meine motive für die annähme
von Interpolationen, die L. kaum oder gar nicht nennt, noch-
mals vorführte und zeigte, dass L. es mit seiner Widerlegung
doch bisweilen allzu leicht nimmt.
L.'s bemerkungen zu meinem text geben mir auch zu
kurzen erwiderungen anlass. L. macht, nachdem er mir, leider
mit recht, einige flüchtigkeiten vorgeworfen, 39 besserungs-
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zu HABTHANKS BEDB VOM GLAUBEN. 527
vorschlage. In 25 davon beschränkt er sich darauf, den hsl.
text, den ich geändert, zu verteidigen; mit recht in 444. 795.
1287. 3207. 3699. In 2528. 2547. 2564 gibt L. gegen Wacker-
nagel und mich Massmann recht. 2171. 2469 halte ich meine
änderungen aufrecht, weil sie dem stil des dichters besser
gerecht werden als der überlieferte text; ich kann aber nicht
verlangen, dass sie einen andern durchaus überzeugen. — Zu
2974 (ich hatte beredeten in bredigeten geändert) gebe ich zu,
dass L.'s Interpretation viel für sich hat. — 1083 war ich
auf die von L. vorgeschlagene lesart selbst verfallen, zog sie
aber auf anraten von Vogt zurück. — 559. 801. 2160 bleibe
ich bei meiner lesart aus meti-ischen gründen. — 2212 habe
ich nicht gebessert, sondern es liegt ein druckfehler vor. —
146; wer sine im text lässt, muss auch goieheite in goteheit
ändern und den guten reim zu wishdte zerstören. Für trahten
mit dem acc. bringt das Mhd. wb. a. a,o. sehr wenig belege.
Ich bleibe also bei meiner lesart. — 758; wenn L. das ist
der hs. wider einfügt, zerstört er das ganze rhythmische und
syntaktische gefüge der umliegenden verse. — 782 muss den
in dem geändert werden wegen des da/s in 781. — 925; wel-
chen sinn L. aus dem vers herauslesen wiU, wenn er das
sulen nicht eliminiert, das weiss ich nicht. — 1592; rüwent,
das L. wider herstellt, kommt in der Verbindung mit clagen
nie und im absoluten sinn sehr selten vor. Seit wann ist
femer geböte : volgen : verbolgen ein dreireim? — ^1908 ver-
stehe ich L.'s Interpretation nicht und finde sie ausserdem
syntaktisch höchst sonderlich. — 2055 änderte ich wegen 2056
liejse, 2057 woldis, 2059 gSbe. — 2210 hat Massmann t, L. hält
es für abkürzung von ind. Dies wort kommt aber sonst bei
H. nie vor, obwol sich die gelegenheit dazu oft genug geboten
hätte. — 2523 stellte ich um wegen 2521. 2522. 2525, vgl.
auch mein buch s. 51, metrik § 8.
In andern fällen gibt L. eigne Vermutungen. Davon
scheinen mir zutreffend die zu 9. 29. 206 f. 324. 2287. 2307.
2413 (ge/geine)y unwahrscheinlich die zu 636. — 530; getwas
kann hier nicht, wie L. will, 'bösewicht, tor' heissen. Denn
erstens ist der teufel kein tor, zweitens wäre doch böse getwas
* böser bösewicht' eine arge tautologie. Den einwand, dass H.
1292 für 'gespenst' getüstemisse sage, hätte ich machen sollen!
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528 VON DEB LETEK, Zu HABTKAKKS BEDE VOM GLAUBEN.
Da hätte ich schöne dinge über 'schematisierende betrachtongs-
weise' zu hören bekommen! — 755 sint (: kinden) ändere ich
trotz MSD. 56, 16 nicht in sinden, vgl. meine Metrik § 1 (s.45).
— 3135 halte lU nicht für unverständlich, sondern für eine
md. contraction von ligit (vgl. Weinhold ^ § 52). — 1068. 2534.
2829 erklärt L. meine interpunction für verfehlt: ich kann
ihm keineswegs beipflichten; es mag jeder selbst darüber
urteilen.
MÜNCHEN. FRIEDRICH VON DER LEYEN.
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ETYMOLOGISCHES.
1. Nhd. gaul aus mhi gut *eber, männliches tier über-
haupt', zu welchem nl. guil 'eine noch nicht trächtig gewesene
Stute' eine femininbildung ist, geht auf vorgenn. *ghülO'S zu-
rück. Dies lasse ich der indog. wz. ^heu- 'giessen' entstammen
und vergleiche damit gr. x^^og 'saft'. Vgl. got. auhsa 'ochse',
aind. ukSdn 'stier' zu ukSati 'besprengt'; lät. verres 'eher' zu
aind. t7ar^a^i ^beregnet', u.s.w.
2. Mhd. kuta, Jcutze 'kauz' erhielt wahrscheinlich den namen
wegen seines geschreies. So verhält es sich vielleicht auch
bei ags. cyta 'rohrdommel; weihe', engl. hite. Die beiden Wörter
dfirfen wir also zusammenstellen und weiter mit lit. gaudiiü,
gaüsti 'in langgezogenen tönen heulen, dumpf heulen, weh-
klagen', gaadtmas 'geheul, wehklage', lett. gauda dass., gaudüt
'heulen, wehklagen' verbinden.
3. Mhd. ge-hiure 'sanft, anmutig, woran nichts unheim-
heimliches ist', ahd. as. un-hiuri 'grausig, schrecklich', ags.
hgre 'freundlich, mild', aisl.Aj^rr 'mild' sind noch nicht genügend
erklärt. Sie sind vielleicht mit mhd. huren 'kauern', behüren
'niederhalten, niedertreten' verwant und verhalten sich dazu,
wie ahd. hold 'gnädig, herablassend' zu hald 'sich vorwärts
senkend, geneigt'. Vgl. auch ahd. unhiuri, ungihiuri 'schreck-
lich, unheimlich' : got. unhuipöns 'unholdinnen'. Aus ahd. un-
gihiuri 'unheimlich' entwickelte sich wahrscheinlich bei mhd.
gehiure der begriff 'woran nichts unheimliches ist'.
Die grundbedeutung der germ. wz. hur- wäre also 'biegen,
beugen'. Hierher können weiter gehören: ags. hyran, engl.
hire, mnd. hUren 'mieten', mhd. behüren 'mieten, kaufen', ver-
hören 'verkaufen'. Vgl. got. biugan 'biegen' : bugjan 'kaufen',
Vert, Am. journ, phil, 19, 42 f.; aind. namayati 'biegt, lenkt ab',
■■■ DigitizedbyVjOOQlC
530 WOOD
gr. vw/iaa) 4enke, regiere' : lett. nömdt 'mieten'; aind. ndmati
^beugt, beugt sich' : lat. emö ^kaufe', got. niman 'nehmen'. Vgl
Prellwitz, Et. wb. s.v. vi/io), va)/iaa>. ühlenbeck, Et. wb. s.t.
ninum.
Die germ. wz. hUr-, vorgerm. qü^o-, scheint eine erwdte-
rung der indog. wz. qu-, qau- zu sein. Vgl. got. hauns 'niedrig,
demütig', lett. kduns 'schäm, Schmach', gr.xavi^o^ ' xaxog, xav(^'
xaxoq, lit. kuvetis 'sich schämen' (s. ühlenbeck, Et. wb. s.v. hanns).
Hier ist wol auch die grundbedeutung 'sich beugen, sich ducken;
4. Aisl. küra 'untätig sein', schw. kura, dän. kare, mengL
couren, engl, cower 'kauern' haben natflrlich nichts mit mhd.
huren 'kauern' zu tun. Sie gehören mit katizen zur selben
WZ. ku' (Kluge, Et. wb.* s. v. kauern) und lassen sich mit gr.
yvQoq 'rund, gekrümmt, gebückt', yvQoq 'kreis', yvq6<d 'bi^ge.
krümme' vergleichen. Hierher wol auch mhd. l^ime 'gebrech-
lich, schwach, elend', ahd. kumig 'gebrechlich, schwack, krank',
ursprünglich 'niedergebeugt, hinfällig' (vgl. engl crank 'krmn-
mung' : d. krank, Kluge, Et.wb.*), ahd. chümon 'trauern', as.
kumian 'beklagen' (vgl. got. driusan 'fallen' : ahd. trürem
'trauern'), ags. cyme 'anmutig, schön', eigentlich 'biegsam,
schmuck' (vgl. schmiegen : schmuck). Weiteres über die wt
git- bei Prellwitz, Et. wb. s. v. yvaXov.
5. Got. hnasqus 'weich, fein', ags. hnesce 'zart', ahd. nascön
'naschen' können auf vorgerm. *qnod'Sqo- oder ^qn^d-sqo- zu-
rückgehen. Vgl. lit. kdndu 'beisse', aind. khadati 'kaut, zer-
beisst', gr. xvwöcov 'zahn am jagdspiess' (Brugmann, Gnmdr.
l^ 420).
6. Got. neh, neha 'nahe', aisl. när, ags. neahy as. ahd. nok
U.S.W, führe ich auf vorgerm. *nik'jfo- zurück und vergleiche
damit aind. ndgati 'erreicht, erlangt', lat nanäscor, got ga-
nöhs 'genug' u.s.w.
7. Ahd. gisaly ags. ^isel, aisl. gisl 'kriegsgefangener, bälg-
schaftsgefangener' vergleicht man mit dem gleichbed. air. gkM,
Die grundform *gheislO', worauf diese sippe beruht^ bedeutete
vielleicht ursprünglich 'anhaftend, zurückbleibend' und lässt
sich dann in diesem falle mit lat haereö vergleichen.
8. D. mahr 'alp', mhd. mar, mare, ahd. mara 'qu&iendes
nachtgespenst, nachtalp', ags. mara 'nightmare', aisL mara
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ETYMOLOaiSOHES. 531
'mahr' sind nicht genügend erklärt. Ausserhalb des genn.
vergleicht man russ. kUcimora 'gespenst', poln. mora, böhm.
müra *alp'.
Die germ. wz. mar-, zu welcher auch ags. ma-mor 'schlaf,
betäubung' gehört, ist identisch mit der indog. wz. mf-
'zermalmen, zerdrücken'. Vgl. aind. mfnäti 'zerschlägt, zer-
malmt', gr. (lagra/iat 'kämpfe', fiagalvo) 'reibe auf', aisl. merja
'stossen' und auch aind. mdrate 'stirbt', lat morior u.s.w.
(s. Prell witz. Et, wb.). Vgl. aind. svapiti 'schläft, schläft ein',
svapdyaü 'schläfert ein, tötet', ags. swebban 'einschläfern,
töten'.
9. Got. sels 'gütig, mild', aisl. smll 'glücklich', ahd. sältg
'glücklich, selig', ags. smli^ 'gut, glücklich', scelra 'besser'
u.s,w. vergleicht man mit ncymr. hoU 'ganz', lat. sollm, osk.
sullus 'omnes', und weiter auch mit gr. oXog, aind. sarvas
'ganz'. Vgl. Brugmann, Die ausdrücke für den begriff der
totalität 43 1 Kluge, Et. wb.* s. v. selig; Schade, Wb. s. v. sels.
TJhlenbeck, Et. wb. s. v. seh will diese erklärung verwerfen,
schlägt aber keine andere vor.
Germ. *se-la' leite ich von der wz. se- 'säen' ab. Morpho-
logisch ist es mit air. sil 'same' identisch. Vorgerm, se-lo-
bedeutete also 'das säen, die säezeit' und dann 'Jahreszeit,
zeit' überhaupt. Vgl. die ähnliche bedeutungsentwicklung bei
lat. satio, franz. saison, engl, season, wz. se-. Als adj. be-
deutete es 'zeitgemäss, rechtzeitig, schicklich, passend' (wie
engl seasonahle\ woher 'tauglich, glücklich, gut' u.s.w. Vgl.
gr. Soa 'zeit, Jahreszeit, tageszeit, rechte zeit', coQatoq 'recht-
zeitig, schicklich, schön'; lat. tempestlvus 'zeitgemäss, recht-
zeitig, schicklich, passend'.
Dass diese erklärung des germ. "^se-la- das richtige trifft,
beweist die bedeutung von ags. sml: 'zeit, günstige zeit, ge-
legenheit, glücklicher umstand, glück'. Daraus erklärt sich
auch der begriff von ags. scelan: 'zufallen, zu teil werden'.
Vgl. ags. tld 'zeit: : Man 'zufallen'. Ags. sml steht dem grund-
begriff 'das säen, die säezeit' am nächsten. Obwol dieses wort
weder von Kluge noch von Uhlenbeck bei der auf ührung von
Wörtern erwähnt wird, die mit got. sels verwant sind, darf es
nicht davon getrennt werden. Für germu '^sela- können wir
also folgenden bedeutungswandel constatieren: vorgerm. "^selo-
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532 WOOD
'das säen, die s&ezeit; zum säen, zur säezeit gehörig, recht-
zeitig' : ags. s(Bl 'zeit, günstige zeit, glück'; aisl. söSU 'glück-
lich' U.S.W. Vgl. lit. se-JUä, lett. si-lda 'same' : lat sae-ctihm,
Brugmann, Grundr. 2, 115. Fick, Vgl. wb. 2\ 294.
10. Mhd. schruhe, nl. schroef, aisl. sJcrüjfa 'schraube', worin
Kluge, Et.wb.5 lehnwörter aus lat. scropha 'sau' sieht, sind
vielleicht echt germ. Sie lassen sich gut mit lat. scrapus
'spitzer stein', gr. öxogjtlog 'stachlig' verbinden und vielleicht
auch mit aisl. pl. sJcurfor, as. sourf, ahd. scorf 'schorf' (vgl
Noreen, Urg. lautlehre s. 205 1). Diese beruhen auf der grund-
form *squerpO' mit den ablautsstufen *squrp', *$qufp; *sqffjp'
(vgl. Brugmann, Grundr. 1^, 260).
Die grundform ^squerpo- kann man von der wz. squer-
herleiten, welche sich in com. bret. spem 'spinae', lit. skvhiU
'mit einem spitzen Werkzeug bohrend stechen' findet (vgL Fick,
Vgl. wb. 2«, 311). Vielleicht ist mhd. schrabe enger mit lit
skverbti als mit lat. scrupus zu verbinden. Dann repräsentiert
schrübe ein vorgerm. *squfbhä'.
11. Ags. stndan 'schreiten' : ahd. strltan 'streiten' ist eine
gleichung, an deren möglichkeit Kluge gar nicht gedacht zu
haben scheint (s. dessen Et. wb. s. v. streit). Phonetisch darf
sie allerdings nicht für ganz sicher gelten, da germ. str- auf
vorgerm. str- oder sr- zuiück gehen kann. Begrifflich aber
ist diese Verbindung natürlich und ohne Schwierigkeit, wenn
man für die germ. wz. strid- die ursprüngliche bedeutung 'aus-
strecken, wonach trachten, sich anstrengen' annimmt. Daraus
entwickelt sich leicht sowol 'schreiten' als 'streiten'.
Man vergleiche ähnliche bedeutungsentwicklung bei den
folgenden: gr. oQiyo} 'ausstrecken' : 'schreiten' : 'angreifen, an-
fallen', ogey/ia 'das ausstrecken' : 'schritt'; smi.stighr 'schrei-
ten' : 'angreifen'; aslov. stignqti 'eilen' : gr. arelxco 'gehe, steige',
got. steigan 'steigen'; gr. Jterävw/ic 'strecke aus' : jrivofiai
'fliege' : lai.petö 'greife an'; ags. r^a» 'stürzen' : 'anfallen' :
^e-rls 'wut' : risan 'steigen' : mhd. reise 'zug, reise'; ags. dadan
'eilen' : clacu 'streit'; ten^an 'eilen' : 'anfallen'.
12. Engl. ^Äroe 'schmerz', Bgs.^mian, ahd. druo^ 'leiden'
aus der germ. wz. firö- sind aus der indog. wz. tre- 'drehen'
entstanden, also mit ags. firäwan, ahd. dräen verwant. VgL
für die bedeutung lat. torqueo 'drehe' : 'peinige'; engl tcriihe
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ETTMOLOaiSCHES. 533
'drehen, winden' : 'sich winden, sich vor schmerz krümmen',
an zQcknngen leiden'.
13. Mhd. strafe *tadel, strafe', strafen 'bestrafen, züchtigen'
sollen nach Eluge den übrigen germ. dialekten fehlen. Man
darf sie aber mit ags. prafian 'antreiben; tadeln, züchtigen',
prafung 'verweis, Züchtigung' verbinden und auf die erweiterte
WZ. trg-pO' zurückführen. Vgl. gr. rgi^o) 'drehe, wende; treibe
zurück, schlage ab; treibe an, überrede', hv-rginm 'beschäme,
züchtige', aind. trapate 'schämt sich, wird verlegen', trapayati
'beschämt', lat. irepidus etc. Vgl. Prellwitz, Et. wb. s.v. xQixio.
Persson, Wurzelerweiterung s. 51. Diese sippe ist also mit der
vorhergehenden urverwant.
14. khäi. 0idaläriy mhd. £td6Z(3ßr6 'zeidler', ableitung zu ahd.
ztdal-y mhd. ffidel- in der Zusammensetzung /sidalweida u.s.w.
(s. Kluge, Et. wb. s. v. zeidler) weisen auf ein germ. ^ttpia-, vor-
germ. *dt-tlo' hin, welches der wz. dt-, dÄ- entstammt. Aus
derselben wz. sind entstanden lett. dejums 'gehöhlter bienen-
stock', dejele 'bäum, worin ein bienenstock ausgehöhlt ist oder
ausgehöhlt werden kann' (wegen weiterer beziehungen vgl.
Prellwitz, Et. wb. s. v. öipog).
Mt. VEENON, Iowa. FRANCIS A. WOOD.
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UEBER DEN GOTISCHEN DAT. PLUR. NAHT AM.
Nach der ansieht der meisten autoren haben wir bei den
consonantstämmen im got. die endung -um im dat pl. zu er-
warten. Diese endung finden wir bewahrt in den verwant-
schaftswörtern auf -r, in menöjmm, bajoptim und bei denjenigen
consonantstämmen welche dank diesem dativ auf -um und
anderen ein lautgesetzliches u enthaltenden endungen (acc
sg. -m; acc. pl. -uns) zur w-declination übergetreten sind. Solche
nomina sind bekanntlich fötus (gr. jtovg, lat. pes, aisl. fötr\
ttm^us (gr. oöovq, lat. dens, aisl. tgnn) und wol auch handus
(aisl. Äpwd, pl. hendr). Baürgs, alks, spaürds, brusts, duips,
waihts, miluks, mitap$ haben sich alle mehr oder weniger der
t-declination genähert und haben im dat. pl. -am.i) Die endung
-am, wol der a-declination entlehnt, haben die participia prae-
sentis und das masc. reiks, welches sich auch im gen. sg. mit
der form reihs den mascc. auf -a anschliesst. Das wort nahfs
steht aber mit seiner dativendung -am unter den got. femi-
ninis absolut vereinzelt, und es wird deshalb vergeblich sein,
die betreffende form iurch annähme von anlehnung an andere
Paradigmen erklären zu wollen.
Joh. Schmidt, meines Wissens der erste welcher diese
eigentümliche form zu erklären versuchte (KZ. 26, 18), findet in
got. nahtam den rest eines alten w-stammes und betrachtet
das betreffende wort als ein beispiel des wechseis zwischen
-r- und -n- in verschiedenen indog. neutralen Substantiven.
1) Die angaben der grammatiker über die declination der znr letzt-
genannten gnippe gehörenden snbstantive müssen jedoch mit einiger reserre
aufgenommen werden, weil ihre plaralformen bei Ulfilas sehr spärlich ver-
treten sind. Nach Schnlzes steUenverzeichnis sind nur von hakrgs aUe
pluralcasus Überliefert, ausser haürgim ist spaürdim der einzige dat. pU
Ton miluks und dülps sind gar keine pluralformen da.
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'-'.,^1
GOT. NAHTAM. 535
Den r-stamm haben wir sowol in gr. vvxxooq, als auch in lat.
wctur-nu-s bewahrt; den neutralen «-stamm sucht Schmidt in
;kr. naktdbhiSy got. nahtam und in der got. compositionsform
lahta- in nahta-mats.
Was zunächst die compositionsform ndhta- betrifft, so ist
lire beweiskraft so gut wie gar keine. Die von Braune in
einer Got. gramm. s.39 aufgeführten beispiele zeigen, dass in
en nominalcompositis der a-vocal in der compositionsfuge
eineswegs an stamme gebunden ist, wo er lautgesetzlich hin-
ehört. Nahta-mats muss wol in derselben weise beurteilt
rerden, wie bröpra-lubö und garda-woMands, Ich gebe aller-
ings zu, dass Schmidt nicht ganz unberechtigt war, für die
)mpositionsform ndhta- eine Specialerklärung zu suchen, so
mge er in dem daneben gestellten nahtam eine uralte form
'blicken zu müssen glaubte. B. Kahle 0 hat indessen darauf
ifmerksam gemacht, dass die form nahtam sehr wol auf got.
)den entstanden sein kann, und zwar durch den einfluss des
nnverwanten dagam. Bei erneuter behandlung der frage
it J. Schmidt-) die meinung Kahles nicht einmal erwähnt;
inem beispiele folgen Braune, Streitberg und Wrede, von
snen die beiden erstgenannten keine erklärung geben, wäh-
nd Wrede mit Schmidts darstellung einverstanden ist.
Die ungünstige aufnähme, welche Kahles Vermutung ge-
nden hat, beruht m. e. auf der knappheit seiner beweis-
drung. Kahle bringt allerdings mehrere schöne analogien
s verwanten sprachen, wie z. b. ahd. gen. sg. nahtes und
t. sg. nahte neben der regelmässigen gen. -dat. -form naht,
er die beweise welche aus dem got. geschöpft werden können,
leinen ihm entgangen zu sein.
In Schulzes Glossar finden wir als belegstellen für die
m nahtam angegeben Marc. 5, 5. Luc. 2, 37. I.Tim. 5, 5. Luc.
7. Marc. 5, 5 steht nahtam jah dagam, gr. vvxtoq TcaX i^fjsQag;
c. 2, 37 nahtam jah dagam, gr. vvxra xal Tjfi^Qav] 1. Tim. 5, 5
itam jah dagam, gr. vvxxoq xal tj/iigag; Luc. 18, 7 dagam jah
itam, gr.^fidgag xal vvxzog.
Die form nahtam ist also nur in der Verbindung nahtam
^) Zar entwickelang der consonantischen declination im germ. s. 35.
2) Die pluralbildang der indog. neatra s. 212. 253 f.
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536 PiPPmG, GOT. NABTAM.
jdh dagam bez. dagam jaJi nahtam überliefert Die bedeatung
ist in allen fällen dieselbe und zwar = 'ohne nnterbrechnng'.
An eine mechanische Übersetzung aus dem griech. ist nicht zu
denken, da wir im grundtexte ganz andere und dazu wechselnde
casusformen antreffen (bald den gen., bald den acc.). Nur die
reihenfolge der beiden dative ist beweglich und richtet sich
nach dem griech. Vorbild.
Folglich haben wir es im got. nahtam jah dagam bez.
dagcmi jah nahtam mit einer stereotypen wortfägnng von
stereotyper adverbialer bedeutung zu tun. Wenn man auf
grund der genannten belegstellen bisher erschlossen hat, dass
der dat. pl. von nahts nahtam gelautet habe, so ist diese schlnss-
folgerung entschieden übereilt gewesen. Auf grund der ahd.
adverbialform nahtes hat niemand den gen. nahtes angesetzt
weil der wirkliche gen. naht zufällig belegt ist. So lange wir
im got die form nahtam nur in der oben genannten Verbin-
dung vorfinden, müssen wir den in das paradigma von nakU
gehörenden dat pl. als unbelegt betrachten.
J. Schmidts ansetzung eines alten Stammes naktan- bat
also nunmehr keine andere stütze als skr. naktäbhis. Aber
auch diese stütze ist trüglich, denn wie mein freund Lides
bemerkt, erklärt sich diese form am einfachsten durch annähme
von beeinflussung durch das sinnverwante ähabhis.
TJPSALA. HUGO PIPPISG.
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S38 MULLER
Der letzte teil des berichtes steht vereinzelt da: kein anderer
autor weiss etwas von Tectosages in Pannonien. Aber die
notiz wird dadurch noch nicht verwerflich. Sowol der ge-
schichtsschreibung wie der sage galt das tolosanische als die
heimat des ganzen volkes der Volcae, und zugleich leitete die
erstere das tolosanische gold vom Brennuszuge nach Delphi
her. Daraus erklärt sich die fassung des berichts Justins,
dass der in Pannonien angesiedelte teil erst von Narbonensis
nach Griechenland, dann zurück nach Tolosa und dann wider
nach niyrien gezogen sei. Nach ausmerzung dieses augen-
scheinlichen von der tradition betreffend Tolosa veranlassten
irrtumes bleibt die an sich nicht unwahrscheinliche nachricht
übrig, dass die Tectosages ausser in Narbonensis und in Ga-
latien, auch zum teil in Pannonien in der nähe der Istri, d. h.
im Obern Sautale, sich niedergelassen hatten.
Wir finden aber das volk bei Caesar noch an einer vierten
stelle, nämlich an der Hercynia silva, ansässig. Dieser sagt
(BG. 6, 24): Ac fuit antea tempus, cum Germanos Oalli virMe
superarent, uUro bella inferrent, propter hominum mtdiitudinem
agrique inopiam trans Ehenum colonias mitterent. Itaque ea
quae fertilisstma Germaniae sunt loca drca Hercyniam siham^
quam Eratostheni et quibusdam Graecis fama notam esse video^
quam iUi Orcyniam appellant, Volcae Tectosages occupaverunt
atque ibi consederunt; quae gens ad hoc tempus his sedibus
sese continet summamque habet iustitia^e et bellicae laudis opi-
nionem. Schon Ben. Niese hat diese nachricht mit der Justins
verbunden (Zs. fda. 42, 142), aber nur um beide gänzlich zu
verwerfen. Nach ihm soll durch die Tectosages Caesars und
Justins 'ursprünglich wol nur die herkunft der pannonischen
Kelten erklärt werden', und 'diese Volcae am hercynischen
walde ganz und gar der fabel zuzuweisen sein'. Es ist aber
schwerlich einzusehen, wie 'die wanderungssage' dazu kommen
konnte, in Pannonien die existenz eines zweiges der Volcae
Tectosages zu fingieren, mit dem zwecke, die herkunft anderer
pannonischer Keltenstämme zu erklären.
Müllenhoff meinte mit recht, Caesar habe, der sage und
der tradition folgend, die Tectosages an der Hercynia für eine
colonie ihrer stammesgenossen an der Cevenna gehalten (2,276X
und habe die sage vom Sigovesuszuge im sinne gehabt (204),
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ZUR HEIMAT DBB VOLGAE. 53d
wonach zur gleichen zeit, als die Gallier unter Bellovesus
über die Alpen in Italien eindrangen, ein anderer teil desselben
heeres sich unter Sigovesus ostwärts gewant habe und in die
hercynischen Wälder ausgezogen sei (261). Aber unberechtigt
ist der daraus von MüUenhoff gezogene schluss, dass alles an
dem berichte verwerflich sei ausser dem Wohnsitze eines teiles
der Tectosages an der Hercynia. Beseitigt man Caesars
oratorische fassung des berichts, so besagt der kern nichts
anderes, als dass die Tectosages noch zu seiner zeit an der
Hercynia wohnten, aber da keine autochthonen waren, son-
dern aus dem alten Eeltenlande stammten. Warum diese
offenbar auf gallischer tradition beruhende notiz fabelhaft sein
soll, ist nicht einzusehen. Im gegenteil stimmt sie zu allem,
was wir übrigens von den Wohnsitzen des volkes wissen und
zu den resultaten der Untersuchungen über die Eeltenzüge
(Duncker, MüUenhoff Hirschfeld, Niese u.s.w.).
Nach den Volcae an der Hercynia ist überall herumgesucht
worden: den meisten anklang fanden noch Müllenhoffs hypo-
these, sie hätten im Maintale gewohnt, und die Muchs, ihre
heimat sei Mähren. Beide hielten jene gegenden für die,
woraus die Yolcae zu anfang des 8. }h.'s einerseits nach Nar-
bonensis, andererseits nach der thrakisch-griechischen halbinsel
abgezogen seien. Dem widersprechen aber Caesars worte qiMie
gens ad hoc tempus his sedibus sese continet, denn die Volcae
von Narbonensis und Galatien können unmöglich aus einem
ver sacrum hervorgegangen sein und nur aus dem auszuge
des ganzen volkes aus seiner vorigen heimat erklärt werden.
Der fehler liegt m. a. n. hierin, dass man bis jetzt nicht er-
wogen hat, was in Caesars notiz unter Hercynia süva zu ver-
stehen ist.
Die stelle Caesars lag Tacitus vor bei c. 28 der Germania:
Validiores olim Gallorum res fuisse summus auctor divus Julius
tradit, eoque credibile est etiam Gallos in Germaniam trans-
gressos. Worauf folgt: Igiiur inter Herq/niam silvam Rhenum-
que et Moenum amnes Helvetii, ulteriora Boii, Gallica utraque
gens, tenuere. Manet adhuc Boihaemi nomen significatque loci
veterem memoriam, quamvis mutatis ctdtoribus. An dieser
stelle ist Hercynia silva natürlich die Rauhe Alb, nicht wie
sonst bei Tacitus (Germ. 80. Ann. 2, 40) und den anderen nach-
86*
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540 MÜLLER
caesarischen autoren, das deutsche mittelgebirge, was andentet,
dass Tacitus die stelle einem altem antor entnommen, der die
gebirge nördlich vom Main noch nicht kannte. Ich vermute,
dass seine quelle eben dieselbe stelle Posidonius war, woraus
Strabo entnahm (Z293): g>f]ol de xal Bolovg rov ^xvriov
ÖQVfiov olxelv JtQoxeQov^ rovg dh Klfißgovg OQfitjcavTag ixi
rov rojtov xovxov, dxoxgovo&^iwag t5^d rSv Bolcov ixl rov
"löTQOV xal rovg JSxoQÖlöxovg FaXazag xazaß^vcu, eh' hcl
TavQlotag xal TavQlaxovg, xal rovrovg FaXarag, alz hu ^Ekov-
Tjzzlovg, Daraus geht nur hervor, dass Posidonius die ge-
birge Böhmens Hercynia nannte, aber nicht ob er die Rauhe
Alb oder die gebirge nördlich vom Main unt«r dem namen
mitbegriff, und in anbetracht seines alters ist das erstere
wahrscheinlicher. Jedenfalls aber hatte Tacitus einen autor
vor sich, der ihn veranlasste die ihm ebenfalls vorliegende
stelle Caesars, welche als keltisches volk an der Hercynia
nur die Volcae Tectosages nannte, zu verwerfen, denn sonst
hätte er hier ohne zweifei auch diese miterwähnt.
Caesars notiz stammt augenscheinlich aus einer griechischen
quelle, aber nicht aus Posidonius, weil sonst Strabo die Tecto-
sages wol auch genannt haben wurde. Erwägt man aber, da^
die angeführte stelle des Posidonius die älteste uns bekannte
ist, worin der name 'Egxvvia von den Alpen 0 auf die Rauhe
Alb und die nordöstlich anschliessenden gebirge übertragen
war (DA. 1,432), und dass Caesar in seiner vorläge noch die
ältere form 'OQxvvia vorfand, dann liegt die Vermutung nahe,
dass diese unter dem namen noch die Alpen verstand, was
Caesar natürlich entgehen musste. Und hält man nun die
stelle, so gedeutet, neben der von Justin aus Trogus aus-
gezogenen, so zeigt sich sofort, dass beide aus derselben quelle
^) Es scheint mir nicht überflüssig hervorzuheben, dass die anwendnng
des keltischen namens anf die Alpen natürlich nur von der geographischen
Unkenntnis der älteren Griechen herrührt. Im keltischen muss Perkumia
von anfang an das deutsche mittelgebirge zwischen Rhein und Weichsel
bezeichnet haben; denn nur so lässt sich die enüehnung von fa^guni im
gotischen mit der bedeutung des namens bei den nachcaesarischen autoren
vereinigen. Jedenfalls ist es unrichtig, den namen auf das Erzgebirge oder
die böhmischen randgebirge zu beschränken, und ist mithin auch der schluss
hinfällig, dass die Ghermanen den namen nur an der grense Böhmens oder
Mährens aus dem keltischen entlehnen konnten.
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ZUB HEIMAT DER VOLCAE. 541
geflossen sein müssen, welche etwa dieses enthielt, dass die
Tectosages sich von Gallien nach der Orcynia gewant nnd
sich dort nach besiegnng der Istri niedergelassen hatten.*)
Caesar hat dann die Istri weggelassen, weil er wusste, dass
diese nicht an (seiner) Hercynia wohnten, nnd überdies für
den zweck seines excerptes keinen wert hatten, während
Trogns nmgekehrt die Orcynia ausmerzte, weil er wusste, dass
bei den Istri nur von den Alpen, nicht von (seiner) Hercynia
die rede sein konnte.
Ob Caesars worte quae gens ad hoc tempus Ms sedibus .
sese continet von ihm selbst herrühren oder aus der gemein-
samen quelle stammen, lässt sich schwerlich entscheiden. Es
wäre möglich, dass das volk schon vor Caesar verschwunden
war, und z. b. das los der Boier, der Vernichtung durch die
Daker Boirebistas (Strabo A 213), geteilt hatte, aber ebenso
möglich und m. a. n. wahrscheinlicher ist, dass sie bei Ptole-
maeus widerkehren unter dem erst bei diesem vorkommenden
namen Latovici. Jedenfalls aber ist das fehlen der Tectosages
bei Strabo und Ptolemaeus kein grund, wie Niese will, um
die notizen Caesars und Justins ganz der fabel zuzuweisen.
Aus der gemeinsamen quelle Caesars und Justins muss
auch die enge Verbindung stammen, worin bei letzterm der
zug der Tectosages nach Illyrien zum Galaterzuge nach Delphi
stand, wobei es gleichgiltig ist, von wem die augenscheinliche
nmkehrung der Zeitfolge der zwei zttge herrührt. Die Ver-
bindung aber bestätigt die Vermutung Dunckers (28), dass die
grosse Keltenbewegung an den Alpen um 300, woran die er-
innerung bei Livius (10, 10) und Polybius (2, 19) erhalten blieb,
den stoss gab zum Galaterzuge. Ist die Vermutung richtig,
dann gehörte zum Gallorum ingens exerciius, der nach Livius
in 299 in Etrurien eingefallen war, auch der non mediocris
populns ex gente Tectosagorum, der nach Justin nachher die
Istri besiegte und sich in Illyrien niederliess. Von ihren
neuen dortigen Wohnsitzen muss dann in 281 der vorstoss zum
Galaterzuge ausgegangen sein, denn die Volcae bildeten omnium
^) Diese ursprüngliche queUe muss also älter als Posidonius gewöhn
sein, aber das hindert nicht die ansieht Gntschmids, dass die hauptqtieUe
Justins Timagenes gewesen sei, noch die Nieses, dass Nepos die gemein-
schaftliche nächste quelle fUr diesen passus Justins und Livius" war.
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542 MüLLEB
consensu den Schwerpunkt des zuges, und das zurückbleiben
eines teils des Stammes in ülyrien steht der annähme gar
nicht entgegen. Es ist begreiflich, dass die bei Callimachus
und Pausanias erhaltene sage (DA. 2, 272) die zwei kurz auf-
einander folgenden züge desselben yolkes miteinander verband
und es aus dem äussersten westen Europas nach Griechenland
kommen liess. Und zugleich wird dadurch die scharfsinnige
Vermutung Dunckers (33) bestätigt, die Volcae an der Cevenna
seien da ums jähr 300 angekommen. Livius erzählt^ dass die
Gallier mit der bestimmten absieht gekommen waren, neue
Wohnsitze zu erlangen, ut tandem aliqua sede certa consistani.
Es ist mithin wahrscheinlich, dass die Volcae sich erst^ nach-
dem die Etrusker sich ihren abzug erkauft hatten, in zwei
Züge geteilt haben, wovon der eine sich ostwärts nach ülyrien
und der andere westwärts nach Narbonensis wandte, und es
scheint mir selbst nicht unmöglich, dass das zwei jahi*hunderte
später von Gaepio geraubte aurum iolosanum grösstenteils aus
der ingens pecunia stammte, welche die Galli (Volcae) in 299
aus Etrurien über die Alpen mitgenommen hatten.
Den Wohnsitzen der Volcae im Maintale und in Böhmen
bei Müllenhoff und in Mähren bei Much ist hiermit glaube ich
der boden geschwunden. Nach Griechenland kam das volk
aus Pannonien, und nach Pannonien und Narbonensis aus
Etrurien. Woher aber kam es, als es im jähre 299 in Etru-
rien einfiel? Hier mflssen wir anknüpfen an Müllenhoffs
schöne und folgenreiche entdeckung (2,279): 'dass die Volcae
einst die unmittelbaren nachbam der Germanen waren und
aus deren nächster nähe abgerückt sind, unterliegt mindestens
keinem zweifei, weil die Germanen nach ihnen den ganzen
keltischen volksstamm benannt haben'. Dabei muss man aber
im äuge behalten, dass der name Walxöa = 'Kelten' sich nur
im westgermanischen findet, während er im ostgermanischen
fehlt. 1) Die Volcae waren also wahrscheinlich die ursprüng-
lichen keltischen nachbam der Westgermanen.
^) Dass Wlahu im slayischen aus dem deutschen entlehnt ist, beweist
^^h nicht, wie Müllenhoff will, dass die Slayen den namen von den Goten
oder' Ostgermanen entlehnt haben müssen. Die entlehnnng kann ebensogut
geschehen ^^in, nachdem die Slaven nach dem abznge der Goten und an-
deren Ostgei^i^Qen zu nachbam der Westgermanen geworden waren, und
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ZUR HEIMAT DER VOLCAE. 543
An den zwei ersten Keltenzugen hatten die Volcae keinen
anteil gehabt. Der erste, nach MüUenhoff im 6. jh. anzusetzen,
fügte dem alten Keltenlande das vorher nur von Iberiem und
Liguriern bewohnte gebiet zwischen Loire und Garonne hinzu,
und führte den stamm dann nach Iberien, wo er den Griechen
zuerst bekannt wurde unter dem namen CeltaeJ) Er gieng
also vermutlich von der Loire aus. Der zweite zug gieng zu
anfang des 4.jh.'s über die Alpen nach Italien, und mag er
nun nach der bei Livius erhaltenen tradition ebenfalls von dem
mittleren Gallien, oder nach der modernen ansieht Bertrands,
d'Arbois de Jubainvilles und Nieses (a. a. o. s. 151) von den
Donauländem ausgegangen sein, jedenfalls wird die bei Justin
erhaltene tradition, der zug sei aus einem ver sacrum hervor-
gegangen, bestätigt durch den umstand, dass sich damals im
cisalpinischen Gallien eine anzahl Völker niederliess, wovon
mehrere namensvetter im transalpinischen zurückliessen. Für
sich allein berechtigen die zwei züge nur zu dem Schlüsse,
dafis die ursprünglichen gi^enzen zwischen Germanen und
Kelten gegen den schluss des 5. jh.'s noch nicht verschoben
waren.2)
Ein Jahrhundert später aber kommen die ursprünglichen
keltischen nachbam der Westgermanen nach Italien, ut tandem
aliqua sede certa cons^istant Sie sind aus ihrer Urheimat ver-
trieben, ohne zweifei durch die Germanen, denn nach dem
jähre 300 waren diese nie und nirgends ihre nachbarn, so
dass die entlehnung ihres namens nur vorher stattgefunden
haben kann, und ihre Vertreibung gegen den schluss des
4. jlt's geschehen sein muss. Treffend stimmt hierzu das
resultat der Untersuchungen Kossinnas (lieber den Ursprung
es w&re höchst auffallend, dass sich keine einzige spur des namens in den
ostgennanischen Sprachresten erhalten hat, wenn er da wirklich exi-
stiert hätte.
^) In meiner abhandlung Pe ciyitates van Gallie, in den Yerhh. der
k. akad. y. wetensch., afd. letterk., n. r. 2, no. 1 (Amst. 1898, s. 48) habe ich
gezeigt, dass der zweifei Kieperts und MüUenhoffs an der Wahrheit der
äussening Caesars, dass der keltische stamm des mittleren Gralliens ipsorum
Ungua CeUae appeüantur, unberechtigt ist.
*) Obiges beanstandet nicht die auch m. a. n. richtige hypothese, dass
die ktlsten zwischen Weser und Rhein schon damals von Ingväonen be-
siedelt waren.
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544 MTTLLBR, ZUR HEIMAT DEE VOLCAE. — HÖRN, ZU BEITB. 24, 403.
des Germanennamens, Beitr. 20, 297, und Die vorgeschichtliche
ausbreitung der Germanen in Deutschland in der Zs. d. ver. L
volksk. 1896, s. 9), dass das gebiet zwischen Leine und Rhein
seit etwa 300 seine germanische bevölkerung erhalten hat,
und es scheint mir deshalb unmöglich, die Urheimat der Volcae
vor ihrem aufbrach nach dem Süden gegen 300 anderswohin
zu verlegen als nach jenem gebiet, woraus sie durch die Istiie-
vonen vertrieben wurden. i) An der Weser, Aller und Leine
lag Jahrhunderte hindurch die grenze zwischen Kelten und
Westgermanen: dort muss die benennung TTottw, Wolxöz,
Wälxöz^) = * Kelten' entstanden sein.
ROTTERDAM, november 1899. S. MULLER.
ZU BEITR. 24, 403.
Nachträglich finde ich, dass bereits Scherer im jalire 1869
in der besprechung von Lexers Wörterbuch (Zs. t österr. gynm.
20, 831 f. == Kleine schritten 1, 379) alds mit ahd. erdo zusammen-
gestellt hat. Er sagt: *Die zuräckführung von aide, alder
(nebenform von oder) auf al »ander« halte ich nicht für glück-
lich, das dd der hochdeutschen grundform eddo ist singuIär
genug, um singulare lautvertretungen begreiflich zu machen.
Man mag hier zunächst an althochdeutsches erdo und das ver-
einzelte l für r denken.'
DARMSTADT, 1. august 1899. WILHELM HÖRN.
^) Wenn die durch Timagenes bei Ammian (15, 9, 4) erhaltene dmiden-
sage, dass die Kelten zum teil ab insults extimis et tractibus iranirhenanis
stammten, jenem in Narbonensis erzählt war, so kOnnte darin eine yoUcb-
sage der Volcae stecken.
') Für die Zeitbestimmung der lautverschiebung ist das gewonnene
datum unerheblich, da die Umbildung von Wölköz in Walx^ ebensogut
vor als nach dem abzuge der Volcae stattgefunden haben kann.
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ALTE LESEZEICHEN IN EINER ORTNIT-
HANDSCHRIFT.
Beitr. 20, 349 ff. habe ich alte lesezeichen besprochen,
welche in der Nibelungenhandschrift k mit rötel am rande
angebracht sind. Der dritte teil der sammelhandschrift, zu
der k gehört (no. 15478 [suppl.3145] der Wiener hofbibliothek)
enthält eine bearbeitung des Ortnit, die in Mttllenhoffs Deut-
schem heldenbuch 3 mit y bezeichnet ist. Auch diese weist
ähnliche vermerke auf, je drei im dreieck stehende punkte
mit einem darangesetzten Schnörkel. Die stellen, wo sie sich
finden, sollen im folgenden aufgezählt werden. Da für die
erkenntnis ihrer bedeutung der Zusammenhang entscheidend
ist, so füge ich in klammem jedesmal die Strophen und verse
der Ortnitausgabe im Deutschen heldenbuche an, die mit der
stelle der Wiener bearbeitung zu vergleichen sind.
Die lesezeichen stehen bei
4, 3 (6, 3) Er het stvelff mannes stercke der Jcaiser lobesam.
13,4 (13,4) Jerusalem im lande der her sein kröne treit
21, 1 (18, 4) Ich ml nach der juncJcfrawe hin fa/ren über mer.
49, 3 (53, 3) wol achczig tusent schiMe vil manges ritters tach.
100. 2 (106, 1) Er het czwelff mannes stercke ortnit der kune mä.
106, 1. 2 (111, 3. 4) So wil ich dir helt geben dipesten sturmewat
als si a/uff diser erde kain kunig noch kaiser
hat
176. 3 (188, 1) rot guldin was di schaide vnd auch der fessell sin,
171 y 1.2 (188,3.4) Sin knopff der luchtet helle wae luter vnde
rain
Bar eyn so lag begraben ain licht karfunckel-
stain.
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546 LÜNZEB
209. 2. 3 (225, 2. 3) [hier steht das zeichen doppelt]
die euch nu helffen sollen und di sin alle hie
mit lichten stahelringen sin si gar wol hewart
221. 2 (241, 2) Es mugen wol gar ferre die frunde vü dir sin,
221, 4 (241, 4) ich han uff mine libe mer dann fir hundert jar.
224. 3. 4 (245, 3. 4) wann du den stain beslussest und nimst in
deinen munt
waz sprach sin in der weite das wirt dir
alles kunt.
246. 3 (275, 3) wann nie kein mä uff erde mich umb min todhter
bat
249. 4 (282, 4) si stachen unde schlugen und wo dy styme was.
257, 4 (293, 4) [hier steht das zeichen doppelt]
Der cristen achczig tusent di käme uff dae lant.
276,4 (317,4?) funff tusent guter helde di han ich hie verlorn.
297, 3. 4 (344, 3. 4) wefs bitest du sa lange plas bald uff din
herliom
Nun tusent guter helde di hast du hie ver-
lorn.
335, 3. 4 (396, 3. 4) Er sprach er hat beschaffen himel und erteriA
an den solt du gelauben sprach eu ir aiberich.
340. 1. 2 (405, 1. 2) Da sprach eu ir ir muter vil gut ist mannes
lip
Du macht vil gerne werden des kuneheldes
wip,
344, 3. 4 (409, 3. 4) Si sprach ner mir min fater und bis sin fride-
schilt
Dajs er nit werd erschlagen so tun icli was
du wüt
356. 2. 3 (420, 2. 3) Da het er guter Ihelde ain midiel tau verlorn
wol achczig tusent helde bis uff cewelff tu-
sent mä,
403, 1. 2 (481, 4) Das zwerg nach cristem orden si in dag wasser
vnd auch der kunig von retissen fraw libgart
mä si his.
404, 2. 3 (482, 3) daz si da vber käme fällig in zwenzig tagn
Dar nach an ainem morgen si kamen gen
messin.
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ALTE LNEZEICHEN IN BnfTEB 0BTNITU8. — BEHAGHEL 547
Den mann der diese vermerke angebracht hat, interessierten
also angaben von zahlen (49, 3. 257, 4. 276, 4. 297, 3.4. 356,2.3.
404,2), namen (13,4. 403,1.2. 404,3), vorausdeutungen (21,4.
105, 1. 2. 340, 2. 344, 3. 4), berichte über wunderbares, erstaun-
liche begebenheiten, prachtstücke u.dgl. (4,3. 100,2. 176,3.
177,1.2. 209,2.3. 221,2.4. 224,3.4. 246,3. 249,4. 335,3.4).
Nach allem war er derselbe, von dem die lesezeichen in der
Nibelungenhandschrift herrühren, und das hier mitgeteilte be-
stätigt und ergänzt die Charakteristik, die ich von ihm a. a. o.
s. 353 zu geben versuchte, um auf den geschmack des publicums
zu schliessen, das jene bearbeitungen fanden.
FELDKIRCH in Vorarlberg, 19. sept. 1899.
JUSTUS LUNZER.
DER ARTIKEL BEI PERSONENNAMEN.
Immer wider, zuletzt von Wunderlich, Zs. fdph. 31, 518,
wurden vergebliche versuche gemacht, die erscheinung zu
deuten, dass der deutsche personenname zu gewissen zeiten
und in gewissen gegenden mit dem artikel verbunden wird.
Es sei daher gestattet, mit wenigen werten das lächerlich
einfache Sachverhältnis darzulegen.
Unter den altdeutschen beinamen, aus denen sich die
heutigen familiennamen entwickelt haben, lassen sich zwei
besonders wichtige gruppen unterscheiden. Die eine gruppe
enthält die bezeichnung der abstammung: Dieterich Bernhardes,
Dietrich, der söhn des Bernhard: hier wird der genitiv regel-
mässig ohne artikel angereiht. In einer zweiten gruppe werden
bezeichnungen von eigentümlichkeiten einem personennamen
als attributive nomina angefügt; dies geschieht regelmässig
mit hilfe des artikels: Hans der Bülielcere, Wemher der garte-
fuxre, Herman der röte. Wir sollten also erwarten, dass sich
daraus zwei arten von neuhochdeutschen eigennamen entwickelt
hätten: die eine ohne artikel: BernJiards, Biedriciis, Peters
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548 BEHAGHEL, DER ARTIKEL BEI PERSONENNAMEN.
u. s. w., die andere mit artikel: der Bühler, der Fries, der
Gärtner, der Eothe, der Freund u. dgl. Ein solcher zustand
lässt sich tatsächlich in älterer zeit nachweisen. Es ist aber
sehr begreiflich, dass er nicht dauernd sich behauptet hat,
dass vielmehr ausgleichung eingetreten ist. Wenn nun im
norden die herkunftsbezeichnungen den sieg davon getragen
haben, im süden die eigenschaftsbezeichnungen, so darf man
vermuten, dass das kräfteverhältnis der beiden Seiten in den
verschiedenen gegenden ein verschiedenes gewesen sei. In
der tat wissen wir, dass im norden die eigennamen, die vom
vatemamen gebildet sind, viel häufiger erscheinen als im Süden.
Wie das zu erklären sei, das ist in letzter linie eine frage
der lebensverhältnisse, eine frage der Völkerpsychologie. Man
sieht, wie scheinbar ganz unbedeutende grammatische kleinig-
keiten mit recht tief greifenden fragen sachlicher art in be-
ziehung stehen können.
Von den familiennamen ist im süden der artikel dann auch
auf die Vornamen übertragen worden.
Ich behalte mir vor, auf die angelegenheit ausführlicher
zurückzukommen.
GIESSEN, 18. october 1899. 0. BEHAGHEL.
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550 OOBTZB
daß es wir! gutter dingen,
zu allen Sachen gschickt,
20 gitt crafft dem man daß er gat dran,
an stryt vnd an die fr5nwliu fyn,
macht ouch daß die thnnd hnrtig sjn.
3 Wo wachßt doch h&nw so gatte,
daß mir min theil onch werd,
25 Gotts hallts in siner h&tte,
wo es ie wachßt vff erd
daß es m5cht wol geratten,
z& frftaden dient es fyn,
wir wellend sieden, braaten,
30 da mnß kein mangel syn
mit froud vnd m&t das h6nw ist gnt
lond vns das snber f&ren yn,
es mag alzyth g&tt h5nwen syn.
4 Der yns das h6aw thftt g&ben
35 Gott well sin Schinner syn,
daß er blyb lang by l&ben,
yß hfiuw macht er g&t wyn,
vnd kocht yns g&tte bisslin,
darzA bastettenn gndg
40 wir achten nit der Spisslin
r&bhüner sind sin fiig,
die wachtlen ynd die lerchen gsond,
die sind so Instenklich bereit
mit gsellschafPt g&t yfi aller frönd,
45 5 Das h5nw thftt in nit rUw€9
gibt yns deß alzyth gnng,
wer das nit wol mag küwen,
der selb ist nit sin fiHg,
yfi in wolt onch yerdrieflen,
50 bim gsang yfi seitenspil,
der m5cht deß h6nws nit gnießen
yfi wer sin gar zy yil,
wer Mnd wil han, der selb gang dran,
das h^uw mit yns y^empfe My,
55 nun raath wer doch der hftuwer siy.
6 Wil am besten das melden,
mS l&bt in solcher art
Im holtz yfi yff den felden,
wo mS mit h&nw yß fiot,
(X) es m&cht ein ieds w&nen,
das m¥ in dem graß,
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HEITLIED. — SIEVEBS, ZUM SCHLUTTEBSCAKDAL. 551
rächen mit den z&nen,
vn laden mit dem glas,
das hbuw so giit das manchem thut,
65 dschaben tryben wol yß dem gwand*)
das hönw ist iedem wol bekannt.
7 Der h&nwer thÄt selbst h6nwen,
sin g&rtlin wol gestallt
t5 thüt ouch selber säyen,
70 darin was im gefallt,
es th&nd im Blümlin tragen')
die sind so wol gformiert,
darab thftt in belangen,
sin g&rtlin wol geziert,
75 das bnwt er wol, darü er sol,
der fnicht gemessen alle zyth,
die im sin Glrtlin t&glich gibt.
Ist gwüßlich war.
vnd er findts sich.
LEIPZIG. ALFRED GOETZE.
ZUM SCHLUTTERSCANDAL.
In den Modem language notes 14 (1899), 317 ff. misbraucht
O. B. Schlutter meinen namen, um für seine elaborate auf dem
gebiete der ags. glossographie Stimmung zu machen, indem er
u. a. sp. 318 schreibt: *He (nämlich Prof. Sievers) showed kind
interest in my work in that he wrote to Prof. Wölfflin of Munich,
to give me some friendlj ad vice as to prudence, an act of
kindness which he certainly would not have done me, had he
thonght me capable of the »moral obliquity« of which Prof.
Hart accuses me. Moreover, he and Prof. Khige being the
») Vgl. Sachs, Fastnachtsp. 7, 87 neudr.: Wer de^n keriletn so schnewczen
kon, Des rock die scfiabn nit kumen on, sondern der yerspielt seinen rock
(y. 32. 175 if. 254 if.). Aehnliche enphemismen bei Fischart, Garg. 133 f.
nendr., femer den achimmd aus dem gdde treiben DWb. 9, 155 und Sachs,
Fabeln n. schwanke no. 127, 11. 212, 43.
*) trag mit abkürsungsschnörkel.
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552 SIEVEB8, ZUM SCHLUTTEBSCAKDAL. — BEBICHTiaUKaEN.
advisers of Prof. Goetz of Jena, as to the Old English part
of the Corpus Glossariorum Latinorum, whatever I have done
towards elucidating glosses or flnding sources of them, has been
submitted to him.'
Das wahre an der sache ist, dass ich seinerzeit die herren
Wölfflin und Goetz, bei denen sich Schlutter wie an andern
orten eingedrängt hatte, direct und dringlich vor den in bezog
auf Unkenntnis und methodelosigkeit bisher unerreichten
ergüssen Schlutters auf einem gebiete gewarnt habe, dem sie
als klassische philologen fern standen. Wenn die beiden herren
daraufhin ihre absagen an Schlutter in freundliche form ge-
kleidet haben, so war das ihr gutes recht: ich muss mich
aber dagegen verwahren, dass Schlutter daraus nun mit der
ihm eigenen Unverfrorenheit für sich capital zu schlagen
versucht.
LEIPZIG-GOHLIS, 8. dec. 1899. E. SIEVEES.
Berichtigungen.
S. 25, 12 V. u. lies sicher statt nicht. — 31, 9 v, u, l der dichter 8U er.
— 40, 1 tilge also. — 56, 9 t?. u. l. wichtigsten jener Wörter. — 63, 9 2. ihn
— 70, 17 l (8 : 1000). - 73,4 i. 1 Ä. - 75, 10 t?. «. Z. z, A. — 78, 13 L
L'anfes Gkrairs et Gaie s'an ... — 80, 2 t?. u. I. Fritzschs. — B2j 10
V. u. l. choralis, 10. aufl.
Halle a. S. Druck von Ehrhurdt Karras.
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Carl Winter's UniTersitätsbnebhandlang in Heidelberg.
Sammlung von Elementarbüchern
der al^ermanischen Dialekte.'
Heransgegeben
von
Dr. W. Streitberg,
a. o. Professor au der Kgl. Akademie Mflnster i. W.
Erschienen sind:
1. Band. Urgermanische Grammatik. Einfühmng in das
vergleichende Studium der altgermanischen Dialekte von
Dr. W. Streitberg, o. Profeesor an der Kgl. Akademie in
Münster. 8«. brosch. 8 M., geb. 9 M.
2. Band. Gotisches Elementarbuch von Dr. W. Streitberg^
0. Professor an der Kgl. Akademie in MUnster. 8®. brosch.
3 M., geb. 3 M. 60 Pf.
3. Band. Altisländisches Elementarbuch von Dr. B. Kahle,
a. 0. Professor an der Universität Heidelberg. 8'^ brosch.
4 M., geb. 4 M. 80 Pf.
IVeu ! 5. Band. Altsäehsisches Elementarhuch von Dr. F. Holt-
hausen, o. Professor an der Universität Gotenburg. S*'.
brosch. 5 M., in Lwd. 6 M.
]Ven.! 7. Band. Mittelhochdeutsches Elementarbuch von Dr.
V. Michels, o. Professor an der Universität Jena. 8'*.
brosch. 5 M., in Lwd. 6 M.
In Vorbereitung sind:
4. Band. Altenglisches Elementarbuch von Dr. K.D.Bülbring.
0. Professor an der Universität Groningen.
6. Band. Althochdeutsches Elementarbuch von Dr. G. Holz,
a. 0. Professor an der Universität Leipzig.
Die Sammlnng soU zur Einflihrung in das Studium der altgermanischen
Dialekte dienen. Sie hat den Zweck, alles zu bieten, was dem Anfänger
zur gründHchcu wissenschaftlichen Kenntnis der iüteren Perioden der
hauptsächlichsten germanischen »Sprachen von nöten ist.
. . . Wir freuen uns. dass die pädagogische Seite in dieser gansen
Sammlung zum Worte gekommen ist. Sie ist in der That vorzüglich aus-
gefallen, und wir können nur wünschen, dass die übrigen Bändchen ihren
Vorgilngern nicht nachstehen mögen. Was der Student beim Studium
unserer alten Sprachen an Zeit gewinnt, das kann er anderen Seiten der
germanistischen Wissenschaft zuwenden, die ja nichts anderes sein will
und sein kann als die Wissenschaft von unserer geistigen Entwickelun|r-
Aber immerhin bleibt die Kenntnis der Sprache die notwendige VorbedingUDg
für alles übrige. Sie zu erleichtern und zu vertiefen, ist auch der Zweck
dieser Sammlung, die wir auf das freudigste begrüssen, da sie allen An-
forderungen, die man an sie stellen kann, auf das beste entspricht.
(AUgem. ZeitQfig.)
BEITKÄGE
ZÜB
GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR
UNTER MITWIRKUNG VON
HEBMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HERAUSGBGEBBN
VON
EDUARD SI£T£B8.
XXY. BAND*
HALLE A. S.
MAX NIEMEYER
77/78 GR. STEINSTRASSE
1900
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INHALT.
Seite
Die handschriftenyerhältnisse des Nibelungenliedes. Von
W. Braune 1
Zum alter des namens der Franken. Von 0. Bremer . 223
Zu den Malbergischen glossen und den salfränkischen
formeln und lehnwOrtem in der Lex Salica. Von
W. Tan Helten 225
Unechte negation bei Otfrid und im Heliand. Von
E. Lörcher 543
Saxonica. 1. Das Taufgelöbnis und der Indiculus super-
stitionum. Von A. Leitzmann 567
Noch einmal gotisch nahtam, (Zu Beitr. 24, 534 ff.) Von
G. Burchardi 591
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Ausgegeben den 19. Februar 1900.
UJd-^M^-^
/rrr^T BEITRÄGE
R DEUTSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR.
UNTER MITWIRKUNG VON
HERMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HERAUSGEGEBEN
VON
EDUARD SIEYER8.
XXV. BAND. 1. HEFT.
HALLE A- S.
MAX NIEMEYER
77/78 GR. STEINSTRASSE
1900
c ^.^ Tt^A^ 15 n T\ 1_*.- ■!.-•
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INHAL T.
Ci Seite
Die handsclirifteuverhältnisse des Nibelungenliedes. Von
W.Braune 1
Zum alter des namens der Franken. Von 0. Bremer . 223
Zur nachricht!
Es wird gebeten, alle auf die redaction der 'Beiträge' bezfio:-
licheii Zuschriften und Sendungen an Professor Dr. E. Sievers
in Leipzig-Gohlis (Turnerstrasse 26) zu richten.
Die heiTcn natarbeiter werden gebeten, zu ihren Daanuscripten
nur lose quartblätter zu verwenden, nur eine seite za be-.
schreiben and einen breiten rand freizulassen.
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I rvvAj^ ^ :> d^u
©
DIE HANDSCHRIFTENVERHAELTNI8SE DES
NIBELUNGENLIEDES.
Die Nibelungenkritik, welche um die mitte unseres Jahr-
hunderts die germanisten erregte und ihnen als grundfrage
unserer Wissenschaft erschien, ist in den letzten Jahrzehnten
in ein ruhigeres fahrwasser geraten, so dass die früheren
gegensätze ihre schärfe verloren haben. Lebhaftere tätigkeit
hat sich in neuerer zeit nur auf dem gebiete der höheren
kritik geltend gemacht. Die fragen nach der entstehung und
composition unseres liedes sind von verschiedenen Seiten ein-
dringend erörtert worden, freilich ohne dass hinsichtlich der
positiven aufstellungen schon ein bleibendes und allgemeiner
anerkanntes resultat erreicht wäre. Wichtig ist dagegen in
n^ativer hinsieht das ergebnis, dass die Lachmannsche lieder-
theorie als beseitigt gelten kann, ja überhaupt jede lieder-
theorie, sofern sie meint, die Zusammensetzung unseres gedichtes
ans mehr oder wenig mechanisch aneinander gereihten einzel-
liedem, die als solche noch ausscheidbar wären, erklären zu
können. Die ausführungen von A. Schönbach, Das Christentum
in der altd. heldendichtung s. 49 ff. dürften jetzt allgemeine
Zustimmung finden, auch bei der mehrzahl derjenigen gelehrten,
welche am längsten den Standpunkt der Lachmannschen lieder-
theorie festgehalten haben.
Dem gegenüber ist die niedere kritik, die erörterung der
handschriftenfrage, in den letzten Jahrzehnten kaum gefördert
worden. Die Untersuchungen von Bartsch 1865 und deren
kritik und modiflcation durch H. Pauls abhandlung zur Nibe-
lungenfrage (1876) im dritten bände dieser Beiträge sind die
letzten auf selbständige und eingehende einzelbetrachtung
gegründeten gesammtdarstellungen dieser fragen. Es wird
Beitrage zur sescbichte der deutsches spräche. XXV. 1
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2 BBAUNE
daher lohnen, von einem neaen Standpunkte aus die hand-
schriftenverhältnisse des Nibelungenliedes zu prüfen.
Dass die recension C* den originalen text biete, wird jetzt
wol von niemandem mehr behauptet, nachdem selbst Zarncke
in seiner 6. aufläge (1887) diese ansieht preisgegeben hat. Es
ist allgemein anerkannt, dass C* von einem Überarbeiter her-
rührt, der mit umsieht und feinerem höfischen geschmack dem
gedichte eine neue fassuug gegeben hat, und dass die originalere
recension in den hss. der Not-gruppe vorliegt: mag man nun
mit den anhängem von A annehmen, dass C* direct ans B"^
hervorgegangen sei, — oder mit Bartsch -Paul, dass C* sowol
als B* wozu A gehöre, unabhängig aus einer verlorenen
grundlage herstammen, der B* treuer, C* freier umdichtend
gefolgt sei. Nachdem also C* ausgeschieden ist, dreht sich
die meinungsverschiedenheit nur noch darum, ob A oder B*
die originalere form des gedichtes biete. Und es scheint fast,
als ob jetzt in dieser frage die überwiegende tendenz nach
der Seite von A hingienge, wie denn z. b. F. Vogt, in Pauls
Grundriss 2, 1 s. 316, sich für die prioritÄt von A ausgesprochen
hat. Das stärkste argument für A liegt ohne zweifei in den
plusstrophen von B*, deren Überflüssigkeit und unursprünglich-
keit dem modernen leser sich bei der mehrzahl derselben auf-
drängt. Zumal wenn man den streng Lachmannschen Stand-
punkt verlassend bei einzelnen dieser Strophen auch ausfall
in A zugibt, so scheint in der tat gi'osse Wahrscheinlichkeit
dafür vorzuliegen, dass die meisten der plusstrophen von B*
Zusätze sind. Ist man aus der betrachtung der Strophen zu
einer für A günstigen meinung gelangt, so können leicht die
lesartendifferenzen als unwesentlich und für den beweis un-
nötig erscheinen. Man vergleiche z. b. R. v. Muth, Einleitung
s. 148: 'durch diese betrachtung der Verschiedenheit des
Strophenbestandes, die keinen zweifei lässt, dass die plus-
strophen des textes B spätere zusätze sind, sind wir einer
vergleichung der lesarten überhoben', worauf nur beispiels-
weise einige lesarten besprochen werden. Und doch sind die
lesarten für eine objective erfassung der Sachlage wichtiger,
als die das urteil mehr bestechenden Strophendifferenzen, bei
denen nur zu leicht ein subjectives element die entscheidung
beeinflusst. Ich habe diese erfahrung selbst gemacht Ata ich
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HAHBSCHRIFTENVEBHALTKISSE DES NIBELUNGENLIEDES. 3
aus anlass meiner ersten Vorlesung fiber das Nibelungenlied
im jähre 1884 daran gieng, eine selbständige ansieht über die
handschriftenfrage zu gewinnen, hatte ich auch zunächst die
Strophendifferenzen zum ausgangspunkt genommen. Dann erst
trat ich an das lesartenmaterial heran, und zwar in der durch
die betrachtimg der Strophenunterschiede entstandenen erwar-
tung, dass sich mir doch schliesslich A als ältester text er-
weisen werde. Aber im verlaufe der arbeit ergaben sich aus
den lesarten aufschlüsse über die beziehungen und die genea-
logie der hss., welche mir eine sicherere, von geschmacks-
urteilen unabhängige beantwortung der handschriftenfrage zu
ermöglichen schienen. Ich sehe es mit als einen beweis der
richtigkeit meiner handschriftenbeurteilung an, dass sie es
gestattet, die verwantschaft der hss. des Nibelungenliedes
durch einen exact durchgeführten Stammbaum darzustellen.
Wenn es für die entstehung mittelalterlicher hss. als die regel
betrachtet werden darf, dass die eine aus der anderen einfach
abgeschrieben worden ist, so muss auch an die beurteilung
einer weit verzweigten Überlieferung zunächst die forderung
gestellt werden, die abstammungs- und verwantschaftsverhält-
nisse unter substituierung der nötigen Zwischenglieder möglichst
genau zu reconstruieren. Und dieser forderung sucht denn
auch jeder herausgeber in erster linie zu genügen. Es kommen
nun freilich fälle vor, wo diese bemühungen scheitern, sei es
dass die Überlieferung zu spärlich ist und wichtige Zwischen-
glieder spurlos untergegangen sind, sei es dass wirklich in
einzelnen fällen die Schreiber neben ihrer eigentlichen vorläge
noch eine andere hs. benutzt oder sonst eine andersartige
Überlieferung hineingemischt haben. Jedoch ist dabei im äuge
zu behalten, dass nicht jede vereinzelte Störung des durch-
gehenden Verhältnisses der hss. auf mischung der Überlieferung
schliessen lässt: zufälliges zusammentreffen unverwanter hss.
in derselben änderung ist nicht selten anzunehmen, wenn die
änderung nicht sehr eigenartig, oder wenn der anlass erkennbar
ist, der mehreren dieselbe nahe legte. Speciell für das Nibe-
lungenlied ist dieses erklärungsmittel ausreichend, um einen
klaren Stammbaum der hss. festhalten zu können, abgesehen
allein von den Strophen der einleitung 1 — 21, die eine andere
erklärung erheischen.
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4 BRACKE
Eine consequent durchgeftthrte gliederung und gruppienmg
der hss. des Nibelungenliedes ist von den anhängem der hs. A
noch nicht versucht worden: sie ist von diesem Standpunkte
aus auch ganz unmöglich. Zamcke hat zuerst die engeren
familien unserer hss. richtig erkannt und Bartsch hat sich an
ihn weiteiiiihrend angeschlossen. Aber auch Bartsch ist nicht
dazu durchgedrungen, consequent die folgerungen zu ziehen:
er konnte das auch nicht, da seine grundanschauung über das
handschriftenyerhältnis in wichtigen punkten falsch ist. Es
ist deshalb die Untersuchung ganz von neuem zu führen.
Den ausgangspunkt bildet für uns die gruppe Db*, welcher
das erste capitel gewidmet ist Denn die zu dieser gruppe
gehörenden hss. und fragmente gehen so sicher auf eine ein-
heitliche stammhs. zurück, dass erst auf grund der folgerich-
tigen yerwei*tung dieser erkenntnis eine feste basis für die
weitere Untersuchung gewonnen werden kann.
Die Strophen eitlere ich nach der ausgäbe von Lachmann^
die plusstrophen von B* bez. C* werden durch hinzugefügte
buchstaben (348 a, 348 b etc.) kenntlich gemacht. Für die les-
arten lege ich — unter berücksichtigung des seitdem neuent-
deckten materials — die Varianten von Bartsch zu gründe. ^
Die lesarten von Lachmann und für einzelne fälle die v. d.
Hagens sind zur ergänzung hinzugezogen worden. Für sämmt-
liche fragmente habe ich deren abdrücke hinzugenommen und
daraus einzelne Unklarheiten in Bartschens Varianten beseitigt
Zu den hss. B und a standen mir die collationen von Bartsch
(vgl. ausg. 1, s. VI u. xiii) zu geböte, welche ich aus dessen nach-
lass erworben habe. Einige zweifelhafte stellen der Heidel-
berger fragmente g habe ich nach der hs. verificiert.
Cap. L
Die gruppe Db*.
Die gi'uppe Db*, wie wir sie nach den beiden vollständigen
hss. nennen, nimmt schon dadurch eine eigenartige Stellung ein.
1) Was dagegen y. Mnth, Zs. fdph. 8, 463 if. ansftthrt^ kann mich davon
nicht abhalten. Ich glanbe, dass flir gegenwärtige nntersnchnng das tob
Bartsch gebotene material eine genügende gnmdlage gewährt Ffir eine
ausgäbe würde ich nachvergleichungen als wünschenswert betrachten.
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HANDSCHBIFTENVEEHALTNISSE DES NIBELüKQENLIEDES. L 5
dass ihr anfang bis Strophe 268, 1 der recension C* angehört, i)
während sie von 268, 2 bis zum Schlüsse den text B* bietet.
Zu Db* gehören noch die zwei fragmente N und S. Letzteres
ist besonders, wichtig wegen seines hohen alters: es scheint
noch in die erste hälfte des 13. jh.'s zu gehören.^) Da nun
von S auch stücke aus der anfangspartie erhalten sind, so
wird dadurch bezeugt, dass die eigentümliche Verbindung der
texte beider hauptrecensionen, wie sie in Db* vorliegt, schon
in sehr alter zeit, spätestens vor der mitte des 13. jL's, voll-
zogen worden ist. Dieser Vorgang kann natürlich nur ein
einmaliger gewesen sein, und es ergibt sich schon daraus, dass
die hss. D, b, N, S auf ein und dieselbe sehr alte stammhs.
zurückgehen.
A) Der text Db* als ganzes.
Abgesehen von dieser mechanischen Verbindung der texte
C* und B* ist der text Db* auch als ganzes zu betrachten.
Der Schreiber der stammhandschrift,3) welcher die recensionen
C* und B* verknüpfte, liess zwar den Strophenbestand seiner
originale unverändert (über zwei versehen 1397 und 1431 s.
gleich unten), aber im Wortlaute des textes nahm er allerhand
kleine änderungen vor. Nicht grade sehr eingreifende, aber
doch der zahl nach immerhin so viele, dass der text Db* sich
1—268 von C*, in den übrigen teilen von AB* deutlich ab-
hebt, doch ohne dass damit eine besondere eigenart verbunden
') Ebenso der anfang der Klage bis 340 (Lachm.)-
>) Pfeiffer, Germ. 8, 198 setzt die hs. S in die erste hälfte, Bartsch,
aosg. 1, XI in den anfang des 13. jh.'s. Die yon Piper, ansg. 1 (nach. s. 104)
mitgeteilten facsimiles yon S stimmen sehr wol sn dieser ansetznng.
*) Den singnlar bitte ich nicht zn streng zu fassen: es kOnnen auch
sehr wol zwei personen gewesen sein, welche die stammhs. hergestellt
haben. Man könnte sich denken, dass der eine den anfang des Liedes
und der Klage ans einer hs. der rec. C* abgeschrieben und ein anderer
Schreiber die fortsetznng beider gedichte ans einer hs. B* genommen habe.
Freilich kann man sich anch andere möglichkeiten vorsteUen: es ist müssig,
über die art der entstehnng der znsammenfügnng sich in mntmassnngen
zu ergehen. Wenn nnr die MüUersche ausgäbe des Nibelungenliedes ohne
jede historische nachricht erhalten wäre, so würde es ebenso unmöglich
sein, den näheren hergang der Verbindung der texte A und C zu erraten.
— Vgl. Laistner^ Nib. s. 2.
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. Inre zwelf wochen diu reise muoz geschehen AB
' * Inre zwelf wochen ir reise 8ol geschehen C
6 BBAUKE
wäre: es sind abweichimgen, wie sie eben jede selbständige
hs. einer mhd. dichtung zu bieten pflegt.
Ich führe einige beispiele von lesarten des textes Db* an:
a) ans dem ersten teile (=C*).
Ez 8ol in kurzen stunden ir reise geschehen Db
227, 4 unz eine an Sivrlden des künec Sigemundes kint B
wider Stvriden des künec Sigemundes kint C
wider Styriden der schcsnen Sigdinden kint DSb
246, 1. 2 Die gesunden br&hten yerhouwen manigen rant
und helme vil verschroten in Ountheres ktnt ABC
Ib yerhouwen manigen sdiilt — 2b durch den künec miü Db
In allen diesen fällen hat C die echte, durch AB gestützte lesart der
rec. C*.
b) aus dem zweiten teile (=B*).
277, 3 ir und slner mäge AB = ir und siner muoter Db (vgl. Zarncke,
Germ. 13, 454 ff.)
888, 2 ir sult den bracken l&zen j& sihe ich einen bem (A)B
J& sihe ich (l&t den bracken!) einen gr6zen bem Db
1390. 1 D6 sprach der künec Günther: AB = Do sprach der künec : ' biiet DNb
1397.2 — 1398,1 fehlen in DNb durch überspringen von dem reimworto
lant (1397, 1) auf lant (1398, 1)! vgl. Bartsch, ausg. 1, xx.
1431. Die beiden Strophen 1431. 32 sind in Db (N fehlt hier) in eine
zusammengezogen und zwar durch grobe nachlässigkeit, ver-
anlasst durch gleiche reime. Die so entstandene Strophe in Db
= 1431, 1. 4. 1432, 1. 2 ist sinnlos und unförmig. Sie ist in b
am treuesten überliefert; erst der verf. von D hilft dem sinn
auf, indem er 1431, 4 in statt ir setzt, und der form, indem er
1432,2 b (tcant der was si holt) zu einem richtigen strophen-
schluss mit vier hebungen (toant der was si mit triuwen hoU)
erweitert. Es ist sehr möglich, dass dieses monstnim nicht
dem im ganzen doch verständigen ver&sser der stammhs. der
gruppe Db"** zukommt, sondern dem Schreiber der spedellen
vorläge der hss. D und (N)b (vgl. unten s. 11).
1999. 3 wart von Hagenen swerte kreftecUche wunt AB
wart von Hagenen kreften harte sire wunt Db
4 b des er wart nimmer mßr gesunt AB = daz er wart [vil D]
ungesunt Db
2191.4 a owS ir guoten beide AB = w& nu, guoten recken Db.
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HANDSCHBIFTENVERHALTNISSE DES NIBELUNGEKLIEDES. I. 7
Nicht gar viele abweichungen der gruppe Db* sind so
erheblich wie die eben vorgeführten. Aber in kleineren ände-
rongen gehen Db(NS) so häufig mit einander, abweichend
von allen übrigen hss., dass man auch diese der stammhs. zu-
weisen muss. Es ist freilich die möglichkeit da, dass manche
der letzteren abweichungen von den einzelnen hss. D und b
unabhängig und zufäDig zusammentreffend gemacht wären.
Aber bei der engen verwantschaft der hss. wird man diese
annähme doch nur zulassen, wenn andere gründe dafür sprechen.
Ueberhaupt ist die einheitliehkeit der gruppe eine so feste,
dass man auch da wo die einzelnen hss. derselben auseinander
gehen, durchaus nicht mit der lesart einer hs. operieren darf.
Vielmehr ist es dann stets nötig, zunächst die lesart der
stammhs. Db* festzustellen, welche in den allermeisten fällen
nicht zweifelhaft sein kann. Erst diese erschlossene lesart
Db* darf man benutzen als einen factor zur kritik des ge-
sammtgedichts. Man darf nie, wo D (oder b) mit einer ent-
fernter liegenden hs. zusammentrifft, darin etwas ursprüngliches
sehen, wenn b (bez. D) sich den näher liegenden hss. an-
schliesst; solches zusammentreffen ist stets zufall. Es ist die
betrachtung solcher fälle methodisch wichtig und sehr in-
structiv für die erkenntnis der Zufallsmöglichkeiten, da keine
hs.-gruppe des N.-Ueds so eng zusammengehört und so deutlich
auf eine einzige hs. zurückgeht, wie DNSb.
Diese letzteren bemerkungen waren notwendig, da Bartsch,
welcher doch die enge verwantschaft der betr. hss. nicht ver-
kennt, trotzdem in nicht seltenen fällen allein aus D, wenn
diese mit C stimmt, die lesart seiner recension I feststellt,
auch wenn b zu ABd etc. stimmt. In solchen fällen bietet
natürlich b die lesart der gruppe Db* und D hat keinen
kritischen wert, sondern trifft ändernd nur zufällig mit C zu-
sammen. Einige beispiele werden im folgenden mit besprochen
werden.
B) Die einzelnen hss. der gruppe Db*.
Die genealogie der vier uns bekannten glieder der gruppe
Db* lässt sich genauer bestimmen. Schon Bartsch gibt an
(ausg. 1, xxi), dass das fragment N mit b in näherem zusammen-
hange stehe als mit D. In der tat setzen N und b eine quelle
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8 BRAUNE
Nb* voraus, welche nicht die vorläge von D gewesen sein kann.
Einige sichere be weisstellen sind:
1567, ^h da ee Pazzouwe sint ABD = von den eUenden sint Nb
Die lesort von Db* hatte hier also, wie D answeist, noch den
originalen text.
1576.3 — 1577,2 ist in Nb ausgelassen dnich abirren von degene anf
degen\ D hat diese anslassnng nicht.
2040 T. 8 n. 4 sind in Nb yertanscht.
2048,4. An stelle dieses yerses widerholen Nb 2047,4.
Dass b nicht direct aus N geflossen ist, ei^bt sich eben-
falls bald. Nicht selten bewahrt b gegen N^das echte, z. b.
2164,1a Ben süeen, disen leinen ABC. b = Sitjsen in disen
leiden N. Auch D ändert hier selbständig dem original noch
etwas getreuer: Sitjgen unde leinen D.
Zur bestimmung der lesart Db"*" haben also, wo alle drei
hss. vorhanden sind, b und N nur 6ine stimme gegenflber D.
Meist ist aber bei Nb (bez. b allein), die ursprünglichere lesart
zu finden, da D viel zahlreichere selbständige änderungen hat
als Nb. Erst durch die Veröffentlichung von b in Bartschs
lesarten ist daher die möglichkeit gegeben, die gruppe Db* in
fruchtbringender weise zur kritik des N.-lieds heranzuziehen.
Die zahlreichen änderungen, welche D selbständig vor-
nahm, bewirken, dass D öfter mit änderungen anderer hss.
zufällig zusammentrifft Ich gebe hier nur einige beispiele des
Zusammentreffens von D mit C*, wo Bartsch, unter verkennung
des genealogischen Verhältnisses von Db* meint, dass D die
ursprungliche lesart der recension B* bewahre und sie gegen
alle übrigen hss. der recension in den text setzt.
295.2 enebene ABJd nnd b = enhende CE, an hende D
845, 4 versniden ABJd und b = verhouwen CaD
913,1 Bo si wold^n dannen ABJQd nnd Sb == dannen wolden CaD
932, 1 alle liefen b = liefen alle CD
999. 3 her Sigemunt b = Sigemunt CD
1262, 2 armbonge b = bonge CD
1407. 1 immer sanfter wesen Nb = immer baz gewesen aD
1522. 4 Sit b = seht aD
1524, 4 einen helt ze sinen banden b =» der was ein helt zen banden aD
1679,4 ftteren b = h&n gefderet D, gefüeret hau C. Vgl. hieizn 1725,4
(ADb), s. unten s. 36
2051. 2 swen twinge durstes not Nb = swen der durst [nu C, hie a]
twinge CaD.
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HAKDSCHBIFTENVEBHALTKISSE DES NIBELUNGENLIEDES. I. 9
An andern ganz ebenso beschaffenen stellen setzt Bartsch
die lesart von D nicht in den text, z.b. 1060,4 die slüeisel b
= des hordes stüzeel CD, 2167, 2 edelen lip Nb = edel wip
CD u.a.m.
Wer die natur der massenhaften ändernngen in D kennt
und andrerseits die abstammnng von D fest im äuge behält,
wird nicht des Irrtums fähig sein, dass ein solches zusammen-
treffen von D mit C* etwas anderes als zufall sei.
Auch b kann mit C* zusammentreffen, während D die
ursprüngliche lesart bewahrt. So z.b.
799,4b oder von weihen schulden mich der künk hohe besant BJd.D
der kunic habe nach mir gesant Ca.b.
Doch ist bei b dieser fall weniger häufig, da b nicht so
viel selbständige änderungen hat wie D. — Die änderungen
• von b, soweit sie eingreifender sind, tragen ein zu junges ge-
präge, um oft mit der alten hs. C zusammentreffen zu können.
Sehr beliebt sind auch in b auslassungen einzelner worte, wo-
durch (ganz ähnlich wie bei A) altertümlicher aussehende verse
entstehen, z. b. 1629, 1 Staie sere si sich werten = Stvte si sich
werten b, oder auch falsche verse wie 1628,4 a mir hat der
künec Etzel = mir hat der Jcünec b (vgl. A z. b. 417, 4),
1641,4 b vil harte vrcelichen sint = vroelichen sint b (letzter
halbvers mit drei hebungen wie oft in A) u.a.m., — wohin-
gegen D ein deutliches streben hat den vers zu glätten, vgl.
z- b. 1474, 2 und das oben s. 6 zu str. 1431. 32 bemerkte. Weit
besser ist die Überlieferung des textes Nb in N, von welcher
aber leider nur wenig über 200 Strophen erhalten sind.^
Es gilt nun noch die Stellung des alten fragments S (Germ.
8, 190 ff.) zu bestimmen. Dieses ist zwar nur kurz (es enthält
im ganzen ca. 40 Strophen), aber es trifft sich günstig, dass es
doch auf alle fragen seiner genealogie antwort gibt.
Es fragt sich zunächst: ist S die stammhs. der gruppe Db*?
eine möglichkeit, die von v. Muth (Einleit. 208) und von Laistner,
Das Nibelungenlied s. 3 angenommen wird. Diese annähme ist
0 Für die Klage gilt ganz das gleiche Verhältnis der drei hss. D,N,b,
wie wir es eben für das Lied bestimmt haben, vgl. die nachweisungen Ton
Edzardif einl. s. 6—10, der nnr etwas zn viel gewicht auf hs. D legt und
gegenüber Nb ihren Charakter als Überarbeitung nicht genug henrorhebt
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10 BBAUKE
aber unwahrscheinlich, denn S hat manche kleine ändenmgen
des ursprünglichen, die D und b nicht haben, z. b. 859,4b
chuneres sin S, wo Db mit den übrigen hss. käeners gesin
haben. 865, 4b hat D mit den übrigen hss. mit triuwen,
S entriuwe, auch b änderi^ in triuwen. Diese und andere
kleine abweichungen von S, so geringfügig sie an sich sind,
machen es doch rätlich anzunehmen, dass S nicht die directe
quelle der übrigen ist. — Wir haben also bis jetzt eine drei-
fache Überlieferung des textes Db*: S, Nb, D. Es wäre nun
noch zu fragen, ob diese drei selbständig auf die stammhs.
zurückgehen oder ob zwei noch enger zusammenzufassen sind.
Auch hierfür liefert uns S wenigstens 6ine vollständig ent-
scheidende beweisstelle:
227, 2. 3 Dancwart und Hagene und ander skäneges man,
swajs si striten nach iren, daz ist gar ein wint
etc. B*
V. 3 a lautet in der rec. C* (welcher hier Db* noch angehört):
swaz iernan streit nach eren. So haben C und S, also die
stammhs. Db* stimmte zu C. Dagegen haben D und b den
halbvers: Striten nach [den D] eren, eine sehr eingreifende
und sinnverderbende änderung, wodurch Dancwart und Hagene
zum subject wurden und die correlation swajs — dasf zerstört
ist. In einer solch sinnstörenden änderung konnten D und b
wol nicht zufällig zusammentreffen, die änderung muss einer
gemeinsamen quelle zufallen. Dieser folgt widerum b getreuer,
indem sie die Verbindung nach eren (= B*C!S) bewahrt^ wäh-
rend D versfüllend nach den eren schreibt
Wir können nun also den Stammbaum der gruppe Db*
mit aller Wahrscheinlichkeit so au&tellen:
orig. pb*)
S " (DNb*)
(Nb*)
Ausser unsern vier erhaltenen gliedern haben wir also
noch mindestens drei verlorene hss. der gruppe Db* mit not-
wendigkeit anzunehmen.
An die anforderungen des obigen Stammbaums muss sidi
die kritik strict anschliessen. Es ergibt sich daraus, dass wir —
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HANDSCHBIFTENVEBHALTNI88B DES NIBELUNGENLIEDES. I. 11
bei vom haupttexte abweichender lesart — den text der stamm-
hs. nur da ganz sicher erkennen können, wo auch S vorhanden
ist In diesem faUe ist die Übereinstimmung von Sb oder SD
entscheidend. Z.b. 861,2 a Do was nu (üf gesoumet) ABC =
Do was im Sb = Do was D; es ist also in Db* nu zu im
geändert worden, D liess dieses im aus.^ — 900,4b in der
aschen ligen vant B*C. Statt ligen haben Sb da, in D ist da
ausgelassen, nicht etwa ligen, die änderung von ligen in da
gehört der stammhs. — 922,4 b ein helt nu nimmer mir begät
So Ad und Ca. JQ haben stärker geändert, B lässt das nu
aus, Db* änderte nu in nocJi: noch haben Sb. Dieses noch
lässt D aus. eine auslassung ganz nach der art von D (wie in
den beiden vorigen stellen), welche mit der auslassung von nu
in B nichts zu tun haben kann. Bartsch aber schreibt: ein
helet nimmer mir legal, er folgt also hier B im gegensatz zu
allen übrigen texten.
Wo S nicht vorhanden ist, da können wir aus b (bez. Nb)
und D, wo die gruppe vom Originaltexte abweicht, streng ge-
nommen nur auf die grundhs. DNb* schliessen; die stammhs.
der gruppe Db* kann in solchem falle noch mit dem haupt-
texte gestinnnt haben, so wie wir es oben s. 6 für die confun-
dierten str. 1431. 32 vermutet haben. Doch ist dieser fehler
gewis ein unbedeutender, aus den 40 durch S controlierbaren
Strophen sehen wir, dass bei weitem die mehrzahl der ab-
weichungen schon der stammhs. zufällt. Praktisch fällt es
auch nicht sehr ins gewicht, ob eine lesart der quelle DNb*
oder der stammhs. der gruppe Db* zugehört.
0 Die übliche art der variantenangabe erschwert es oft sehr, das hss.-Ter-
hldtnis zn dnrchschanen. So lauten die Varianten zu obiger stelle bei Bartsch:
2. Nu Jh. nu fehlt Da, im JSbh. Es sollte heissen: Bö was im {im fehlt D)
DSb, Nu was im Jh. nu fehlt a. Man würde dann gleich sehen, dass das
tm in Jh auf selbständiger ändemng des Originals beruht und nichts mit
Sb zu tun hat, femer dass in D nicht nu weggelassen ist, sondern im, wäh-
rend in a nu ausgefaUen ist Wäre hier zufällig C nicht erhalten (welches
wu hat), 80 würde an unserer steUe Bartsch nach ^nu fehlt Da' das nu aus
der rec. B* getilgt haben. Es wäre durchaus nötig, die Varianten nach den
hs8.-grappen auseinander zu halten.
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12 BBAITHE
C) Kritischer wert des textes Db*.
Um zunächst eine deutliche anschauung davon zu ermSg-
lichen, in welchem grade die gruppe Db* von dem haupttexte
abweicht, stelle ich im folgenden für 100 Strophen die sämmt-
liehen abweichungen zusammen. Ich habe dazu str. 1542 — 1641
gewählt, weil davon die ersten 42 Strophen auch in N erhalten
sind. Vor den gleichheitszeichen befindet sich der haupttext
(AB), dahinter die lesart von Db*. — Um femer die hs. D,
nach welcher man vor Bartschs lesarten allein den text Db*
kannte, in ihrem Verhältnis zum texte Db* zu veranschaulichen,
gebe ich unter dem striche alle besonderen abweichungen der
einzelhs. D, wo die gruppe Db* zum haupttext stimmt. Vor
dem gleichheitsstrich steht der haupttext unter hinzufugung
der zu ihm stimmenden hs. der gruppe, dahinter der text D.
— In beiden abteüungen sind die chiffem fernerer hss., welche
mit Db*, bez. D zufällig in der betr. lesart zusammentreffen,
in klammem hinzugefügt.
1542,4 ün = fehlt DNb. — 1543,2 haben = sSn DNb, — 1545,4
grimme = grimmic DNUgHd), — 1548, 1 über = über die DNb.
1553, 1 Do begnnde er mofen Danewarten yil vaste an A = Do be-
gnnde mofen Hagene yil vaste eai N, N bewahrt hier aUein die lesart ton
Db*, welche Hagene statt er — Danewarten einsetste, D und b ändern
selbständig: Do begunde Hagen vil yaste mofen an b, Do begonde yasie
Hagen mofen dan D, — 2. hilf& = hilf Nb (hilf mir D[Bl). — 1554,4 ii
schieden = die schieden DN (die fehlt b), — 1555, 2 ahzec = achtiehen
DNb, — 1556, 1 tz = yon DNb(l). — 1559,3 hnndert = wol hundert
DNb. — 4. blnotea = fehU DNb.
1542, 1 hielten b = Uten DN. — 1543,4 de« JV. ABH = da* I>6
igdCa). — 1544, 1 wag Nb = nnd waa D{c^, — 4. gewannen 6 = ge-
nomen DN. — 1545, 2 helt Nb = helt her D. — 3. dae nimet er das er
mich harte s^re geslnoc D. — 1547, 1 hie fllr gereit Nb = alhie für reit D.
— 3. nu Nb = des D. — 4. der helt mnoz N{b) = mnoa der helt D.
1548, 3 yil h^rlichen b (yil herticlichen ^ = zn einander 2>. = 4. si iV^
«= die D. — 1549, 3 küene = yil küene D. -- 4. brast = brach D.
1660, 1 schal Nb = erschal D. — 1551, 4 daz JV6 = dd D. — 1552, 3
drsBte Nb = drset im D. — 4. der küene N. Bd, des küenen & = des künec
D(AlCa). — 1553, 4 der küene Dancwart Nb = Dancwart der küene D,
— 1554, 3 gerne rechen Nb = rechen gerne D. — 1555, 2 beliben Nb =
die beliben D. — 1556, 1 dem wege Nb = den wegen D. — 2. hellen 6
«= beiden DN. — 3. ix Nb = do irn D. — 1557, 1 der degen Nb = der
küene degen D. — 4. r&te ft = rät euch DN. — 1558, 1 d4 iV6 = und D.
— 3. gebreste Nb = gebreche D.
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HAKDSCHBIFTENVERHALTNISSE DES NIBELUKaENLIBDES. L 13
1563, 3 an ein gras = an daz gras DNb, — 1566, 3 twanc = gie DN
(was b).
1670.3 BüedegSres = des küneges DNb.
1581. 4 niht so lieber nuere = so lieber maere niht DNb(f). — 1582, 4
heten leide = leide beten DNb. — 1583,3 wurden = diu wurden DNb
(gJli. — 4. den » dem, sine friunde s= slnen friunden DNb(JT). — 1585, 2
{N bridU abl). — 3. bi mir daz = her bl mir Db(J). — 1586, 1 muote
AdJ = munde Db {BgCa, vgl 1106,4), antwurte = sprach dö Db(JGa).
1589.3 zogen = zouwen Db(g).
1591. 3 hove = htse Db. ~- 1592, 4 in zühten = mit z. Db. — 1594, 4
an den triuwen = yil wserlichen Db. — 1596, 4 vil = wie Db(JCa). —
1597, 2 TÜ wol = mit triuwen Db. — 1598a, 4 einigem = einem minni-
8ten Db.
1606. 4 mit den beiden = mit ir beiden Db. — 1607, 4 nimmer beide
= beide nimmer Db. — 1608, 3 vil = fehlt Db. — 1609, 3 saz = was Db.
1614 a, 2 künec = fttrste Db. — 1617, 4 künege wol gezam = künege
1560. 2 den mlnen Nb = dem mlnem D(a). — 4. nnz Nb = biz an
den D. — 1562, 2 der snelle Nb = der vil sn. D. — 4. d& gerasten unser
moere Nb = d& wir gerasten unz morgen D. — 1563, 4 wie Nb = vil D.
— 1564,2 diu sunne Nb = diu b€re sunne D. — 4. belt Nb = künec
D(a). — 1565, 2 ich Nb = ich da D. — 1566, 3 entran Nb = entgienc D.
— 1567, 1 Wir kunnen euch niht bescheiden wir legen uns damider D.
— 2. gevrieschen Nb = griffen da zu 1>. — 3. edelen Nb = degen D.
— 1568, 1 Der edelen kttnege ^6 = der küneginne D{1). — 3. daz lant
Nb = di lant D.
1570.3 muosen rtten Nb = riten muosten D. — 1571,2 unde Nb
= und daz D. — 1572,2 vü Nb = fehlt D. — 1573, 1 schände N =
schaden Db(a). — 3. sit iV = so D, da b. — 3. erg&n N ÄJa = zerg&n
Db{Bdl). — 1575,2 vil JV^ = zu D (so b). — 4. in Nb = mit 1){JI). —
1576. 4 blnte Nb = heute D.
1580, 3 unser Nb = mlne iD(Jl). — 1581, 2 an 2V6 = üf 2>. —
4. nihtNb = niht m§r D. — 1583,3 er Nb = er d& D. — 1587,2 in b
= im D. — 1588, 1 geste b = maere D{J). — 2. dise b = die edeln D.
— 1589, 2 aUe 6 = allez D(gJ). ^ ^. in b = fehlt D.
1591,2 künege b = ftirsten D. — 1592, 1 in 6 = im I>. — 1593, 1
Bin & = des D(J). — 2. kisten b = kästen D. — 4. vllzen b = wunder D.
— 1596, 3 ir herren b = herre D. — 1599, 1 an 2» = üf D(g). — 4. selten b
= selten 6 D.
1602,2 riehen b = üehten I>. — 3. s& ft = fehlt D. — 1604,4 l&n
= gel&n D (verl&n bg). — 1605, 1 Doch so muost si leisten daz der vater
ir gebot D. — 1607, 1 Der wirt bi O^möten gienc in einen sal D. —
4. dorften b = bedorften D. gehandelt b = beherberget D. — 1608, 4
yil höhe = schcsn und hdch D (hdch ba), vielleicht fehlte vil st^on in Db*.
1612, 1 gezzen b = gesezzen 2>. — 4. d& & = her D. — 1614, 4 diu
ist = si ist 2> (die b). — 1614a, 1 wie & = und D. — 2. lieben b = edeln D,
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14 BRAUNE
gezam h (kttnig^ne zam D). — 1618,3 wlbmecltche = minnecllche Dhig).
— 4. ir TÜ minneclichen = im wsetlichen Db(J),
1621. 2 vil = fehlt Db. — 1625, 3 an = unz an Db(J). — 1626, 4 sd
lieber = solcher Db. hie iht B = hie Db(gd).
1636. 3 jenes = eines I) (Jld, meines b).
1641.4 vil harte = harte D {fehlt b).
3. hie b = fehlt D. — 1615, 4 vü harte = harte B (AJa, vil b). — 1619.3
daz wurde daz = daz iz wnrd D (do daz was b).
1621, 3 zegagene stuont 6 = zn einer stnnt D. — 1622, 3 wset-
liehen b = minneclichen D. — 1624,2 a als wir wider riten D. — ei 6
= si im 2). — 1627, 1 es 5 = des D. — 3. recken | noch hinte müeset b
= hinacht | müest zu splse D. — 1628, 1 mir b = mirz D. — 3. mit iu
her b = hei mit euch X>.
1630, 2 künde vor gespam 2>. — 1631, 2 moere b = minie D (cf.
1211, 3 Ä). in ft = im D. — 4. Etzeln b = EtzeUnes D. — 1632, 4 tohter
schoene b = schoenen tohter DQCa), — 1633,4 guote b = edel 2>. —
1636, 2 s5 gerte ich niht m^r hinnen | mit mir ze tragene D. — 3. dort b
= des der D. — 4. Etzeln b = Etzelines D. — 1637,3 dd ged&hte m b
= si ged&hte D, — 4. j&mers = j&mer unde D. — 1638 (die str. fekU
in b.% 1 iu = dir D.
1641, 1 von ft == vor D(B).
Aus dieser Zusammenstellung kann man ersehen, dass die
abweichung des textes Db* vom haupttext keine sehr grosse
ist. Es sind 44 Varianten auf 102 Strophen, und zwar sind
davon die meisten sehr geringfügiger natur, auf manche (15)
sind auch andere hss. selbständig gekommen (vgl 1545,4.
1556,1. 1581,4. 1583,3. 1583,4. 1585,3. 1586,1(2). 1589,3.
1596,4. 1618,3. 1618,4. 1625.3. 1626,4. 1636,3). Etwas
charakteristischer sind nur etwa 10 (1543, 2. 1553, 1. 1555, 2.
1556,4. 1559,4. 1570,3. 1591,3. 1594,4. 1598a, 4. 1609,3), von
welchen widerum nur die hälfte für sinn oder constraction von
erheblicherer bedeutung sind. Es ist das ein Verhältnis, welches
den text der stammhs. Db* nicht eben anders erscheinen lässt,
als den jeder andern alten guten hs.: der text Db* darf uns
also die stelle einer guten hs« aus dem anfang des 13. jh.'s
vertreten.
Dahingegen hat die hs. D in demselben abschnitte zu den
44 abweichungen von Db* noch 104 eigene hinzugefügt, von
denen viele recht bedeutend sind und sinn oder construction
wesentlich ändern. Bei diesen häufigen änderungen trifft dann
D naturgemäss nicht selten mit andern hss. zusammen^ ins-
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HANDSCHBIFTENVEBHALTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES. I. 15
besondere mit den ebenfalls stark ändernden gruppen J(JK):
1568,1. 1575,4 1580,3. 1588,1. 1589,2. 1593,1. 1632,4; mit
C(a): 1544,1. 1560,2. 1564,4; s. hierüber noch oben s. 8. —
In dem durch N belegten abschnitte trifft D ebenso mehrmals
zufällig mit b oder N zusammen: b 1543,4. 1573,1. 1573,4;
N 1542,1. 1544,4. 1556,2. 1557,4, in einigen dieser fälle
treten noch andere hss. hinzu.^
Diese probe dürfte am besten das oben über den geringen
kritischen wert von D allein bemerkte erhärten.
Von b und N würde es nicht lohnen, in gleicher weise
wie von D die selbständigen abweichungen des obigen ab-
schnitts vorzuführen, da diese hss. noch weniger gelegenheit
zu falscher anwendung gegeben haben wie D.^)
Während wir bisher den text Db* als einen einheitlichen
auf 6ine alte gute hs. zurückgehenden ins äuge gefasst haben,
so tritt, sobald man ihn zur kritik des haupttextes heran-
ziehen will, die Zusammensetzung dieser alten hs. aus zwei
recensionen in den Vordergrund. Für die kritik des Nl. ver-
tritt uns der text Db* zwei verlorene alte hss., eine der
recension C*, die andere B* angehörig; die letztere die von
268, 2 bis zum schluss reicht, ist eine annähernd vollständige
») Vgl. besonders 1573,1 schände N = schaden Db(a). Für die drei
steUen 1542,1. 1544,4. 1556,2 w&re Tielleicht die annähme vorzuziehen,
dass DN hier die lesart Ton Db"' repräsentiere, b aber selbständig ändernd
Silin alten text zurückgekehrt sei.
') Zum vergleich will ich wenigstens die übereinstimmenden ab-
weichungen von N und b (also des textes Nb"**) aus den str. 1542—1585
noch angeben, denen gegenüber der text D mit dem haupttexte stimmt.
1545, 3 daz 2> = da Nb, — 1547, 2 Günther D = Giselh^r Nb. — 1549, 4
des D.Agd = dö Nb(BlCa): doch kann hier auch dö das ursprüngliche
sein, — 1550, 4 er wsene D = ich wsene er b {AI, wan er Nä), — 1552, 2
hin im I> = im hin iV^ (in in b). — 3. vü D = fMt Nb{B), — 1556, 4
Die sin niht engelten (engelten in D ausgelassen) wänden, den was allen
ze gäch D = Die stn niht engulten: wan (wan fehlt b) den was allen ze
g&ch Nb. — 1561,3 manic D = fehU Nb, — 1563,3 legen uns D =
lege wir uns Nb(d), — 1565,3 wurden D = s!n worden Nb, — 1567,4
da ze Pazzouwe D = von den eilenden Nb, — 1573,3 verlos Sifriden D
= SivTlden verlos iSr6(JBJa). — 1576, 3 — 1577, 2 /e«en A ft. — 1579,4
dienen beiden D = beiden dienen Nb(JJ), Im ganzen 14 abweichungen,
d^en gegenüber die hs. D in dem gleichen abschnitte 54 hat.
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16 BRAUNE
hs.; auf ihr beruht auch ffir die kritik des Nl. die hanpt-
bedeutung von Db*; — die erstere ist nur ein fragment von
267 V4 Strophen. Die Würdigung des hauptteils Db* wird den
inhalt des cap. II bilden. Hier soll zunächst nur der kürzere
erste teil untersucht werden.
Dieser erste teil von Db* welcher wie oben s. 5 f. bemerkt
zum texte C sich ganz ähnlich verhält wie der zweite teil
zum texte AB, ist für die textesherstellung der recension C*
in dieser partie ein willkommener zweiter zeuge. Und für
die gruppierung der zur recension C* gehörigen hss. überhaupt
ist das fragment Db* ein wichtiges glied.
Ueber diese gruppierung handeln Zamcke, ausg.^ s. 380 f.
Bartsch, Unterss. s. 380 f.; ausg. 1, xxiii. Beide stinmien darin
überein, dass a mit dem fragment R eng zusammen gehört,
Ka teilen mit einander viele änderungen gegenüber dem bessern
texte C;i) andererseits kann, wie a genugsam zeigt> aber auch
der text Ra nicht direct aus der hs. C geflossen sein,^) es
gehen also die texte C und Ra auf ein gemeinschaftliches
original zurück. Das speciellere Verhältnis von a zu R glaubt
Bartsch in den Unterss. s. 380 noch dahin definieren zu können,
dass a direct aus R geflossen sei, später in der ausg. ist er
geneigter, beide unabhängig aus gleicher vorläge abzuleiten.
Letztere ansieht ist die richtige. Denn wenn auch a die
Unterss. s. 380 angeführten groben fehler von R selbständig
bessern konnte, so ist das bei zwei stellen nicht wahrschein-
lich: 1415, 1 den Ca = der R(B), 1416,2 mit Ca = fehlt R.
Hier gab die lesart von R sehr wol einen — wenn auch
anderen — sinn und der ev. abschreiber a hätte gar keine
veranlassung gehabt, durch conjectur zur echten lesart zurück-
zukehren.
Das fragment E (250, 3 — 296, 4), welches in seinem ersten
teile (250, 3 — 268, 1) noch mit Db* zusammentrifft, schliesst
sich sehr genau an hs. C an. Namentlich den abweichungen von
Db gegenüber, die, wie wir gleich sehen, wenigstens zum teile
das echte bewahren, geht E stets mit C. Dem steht nicht
^) Die art der Übereinstimmung Ton Ra charakterisiert Bartach gut
Unterss. s. 380.
•) Vgl. z. b. 1896, 2 (Zamcke, Germ. 4, 433) u. a. m.
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HAKDaCHBIFTEHVEBHALTNiaSE DES NIBELUNGENLIEDES. I. 17
entgegen, dass E an einer stelle einen leichten fehler mit Db
teüt: 263,4 vil der vremden C(B*) = vil den vr. DbE: es ist
das ein leicht begreiflicher zirfall.
Das genauere Verhältnis von E zu C ist schwierig zu be-
stimmen. Abschrift aus C selbst dürfte E kaum sein, da es
einige fehler von C nicht teilt (255, 2 und 283, 1 fehlt man
in C, 259, 1 fehlt er C, 282, 1 stemen E(B*) = stem C). —
Bartsch meint, C und E seien abschriften desselben Originals.
Es ist das nicht unwahrscheinlich. Unklar aber bleibt das
Verhältnis zu Ra. Gehen Ra, C, E alle drei selbständig auf
feine vorläge zurück, oder sind C und E gegenüber Ea noch
in eine engere einheit zusammenzufassen? Eine entscheidung
dieser alternative ist mit unserer Überlieferung unmöglich, da
Ra und E nirgends concurrieren. Doch könnte man zu gunsten
der zweiten möglichkeit die Übereinstimmung von C und E in
einem groben fehler anführen wollen: 254, 1 solt Db(B*) =
scolt E, schalt C. Aber freilich könnte auch Ra derselbe fehler
vorgelegen haben.
Das kurze fragment F (1904—1914,2) wird auch schwer
unterzubringen sein. Bartsch meint, F stehe weiter ab (von
CERa). Dieses urteil kann nur auf die stelle 1910, 1 gegründet
sein, wo Ca mit friunden haben gegen F jsur friunden, wel-
ches jBur mit £uo ir, zir von B* stimmen könnte. Wül man
aber, woran nichts hindert, diese geringfügige Übereinstimmung
dem zufalle zuschreiben (zumal zur doch eigentlich eine unf orm
ist), so stimmt im übrigen hs. F vollständig zu Ca; sie könnte
ebensowol direct von C als von Ra abstammen; denn wodurch
sich F sonst abhebt, sind lauter corruptelen: auf 10 Strophen
hat F 7 auslassungen von worten gegenüber Ca, unter denen
zwei sinnstörende (1905,2 wunden^ 1911,2 den swerten üf);
femer zwei störende fehler 1907, 4 Günthers statt Giselheres
Ca(B*) und der recken statt die r. Ca(B*). Diesen zahlreichen
Verderbnissen kann man wol obiges zur beirechnen, und es
würde demnach F freilich der correctheit nach von den
übrigen weit ab stehen, während es genealogisch ihnen sehr
nahe stehen könnte, ohne dass es möglich wäre etwas sicheres
zu sagen.
Während wir also für die bisher genannten glieder der
recension C* (C, R, a, E und wol auch F) eine gemeinschaftliche
Beitrage nur geschichte der deutschen spräche. XXV. 2
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18 BRAUNE
quelle annehmen dürfen, die wir C*i nennen wollen, so nimmt
das fragment Db* eine abgesonderte stellang ein: es geht auf
eine andere stammhs. der recension C* zurück, also C*2-
Dass dem so ist, lässt sich leicht erweisen. Bei weitem
die meisten abweichungen, die sich in Db* 1 — 268, 1 Ton C(E)
finden, gehören in die kategorie der oben s. 5 f. besprochenen,
welche durch den verfertiger des textes Db* hineingebracht
sind: das ist durch das nähere zusammenstimmen yon C und
rec. B* ersichtlich. Eine verhältnismässig viel kleinere an-
zahl von stellen aber stimmt in Db* zur rec. B*, während
C(E) abweicht. In diesem falle bewahrt also Db* den eigent-
lichen text C* und Bartsch ist auch demgemäss in seiner
ausgäbe verfahren. Ich gebe zunächst die belege der partie,
wo auch E vorhanden ist (250,3 — 268,1):
259.3 wülen Dh{B*) = muote CE
263.1 bereiten Db(B*) = dö sniden GE
264.4 den bot man sumelichen Db{B*) = man gap dft g^ennog^n CE.
Aus dem stücke 1 — 250 führe ich alle beträchtlicheren
beispiele auf:
28,3 ander Db{B*) = vremder C
58,3 wilt aber du J)h(B*) = wellen aber wir C
65.3 recken Dh(B*) = gesellen C
78,2 daz sol man mir sagen Db(B*) = kan mir daz ienuin sagen C
81.4 Gunthere DbiB*) = im groezliche C
82.1 dem künege von Metsen Ortwln Db(B*) = ein recke der kies
92.2 r&te Db(B*) = site C [Ortw. C
125.2 die mit in komen sint Db(B*) = die hie mit in sint C
218, 2 Gßmöt und Hagene die recken vil halt B*
— — — die kuenen recken halt Db =
G6m6t der herre unt Hagene ein degen balt C
230. 2 mit dem swerte Db (B*) s= mit den banden ü
236. 3 Bin bruoder Liudegfir DSb{B*) = der küene L. C.
Da nun Db'*' sonst durchaus und bei den eingreifendsten
Umarbeitungen mit der recension C* stimmt, so ergibt sich
also, dass C\ (die hs., aus der der verfertiger des textes Db*
die erste partie entnahm) einen text der recension C* enthielt,
der in einer reihe von stellen noch zum alten texte stimmte,
dass also die übrigen hss. der rec. C* auf eine stammhs. C*,
zurückgehen, welche selbständige weitere kleine ändemngen
vornahm. Dass dies nicht die hs. C allein war, ist für E
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HANDSCHBXFTENVERUAI.TNISSE DES NIBELUNGENLIEDES. L 19
direct ersichtKch; aber auch von Ra kann man nach ihrer
sonstigen Übereinstimmung mit G positiv behaupten, dass sie
in den ersten 268 Strophen nicht auf seite von Db"** stehen
wflrdeiLO
Für die anzunehmende stammhs. C*2 haben wir aber
ausser Db* wahrscheinlich noch einen zweiten zeugen, die
Umarbeitung des Nl. k, welche in ihrem grösseren teile (459 —
849 und 912 — schluss = Lachm. 433—797 und 860 — schluss)
nach der recension C* gearbeitet ist.^) Schon Holtzmann (Germ.
4, 315 ff.) und Zamcke (ausg.xxiv und 372 ff.; vgl. dazuBeitr.
20,494) haben hervorgehoben, dass die von k (bez. von der
vorläge von k, welche den mischtext herstellte) benutzte hs.
der rec. C* nicht zu der durch die hss. C und a bekannten
gruppe gehört habe. Durch die wortkritik wurde man aus k
allein das kaum zu erweisen wagen,^) wol aber durch den
Strophenbestand. Str. 1972, die in B* überliefert ist, fehlte in
C und a und zwar durch auslassung in folge überspringens
von Hagcne 1971,4 auf Hagenc 1972,4. Ebenso fehlt in C
und a Str. 2258. Beide Strophen aber sind in k erhalten und
deshalb auch von Zamcke (nach B*) in seiner ausgäbe auf-
genommen. Das original der bearbeitung C* hatte also diese
beiden Strophen: erst der Verfasser von C*i hat die auslassung
verschuldet.*)
Demnach haben wir in der vorläge von k eine hs. der
recension C* welche gegenüber C*i in wichtigen fällen die
*) Für die Klage hat Edzardi (einl. s. 58 f.) das gleiche Verhältnis des
zu C* stimmenden teils von Db* nachgewiesen.
*) Üeher die bearbeitnng k vgl. die monographie von J. Lanzer, Beitr.
20, 345. Daselbst s. 479 ff. über die abgrenznng der teile.
") Doch kann anch die wortkritik manches lehren, s. unten s. 21 und 23 f.
*) Ausser diesen beiden durch B"** gesicherten Strophen hat k noch eine
anzahl plusstrophen allein überliefert (vgl. Zamcke, ausg. s. 372 f.). Nach
den Untersuchungen von Lunzer, Beitr. 20, 470—478 (vgl. auch s. 406) sind
viele derselben sicher nicht k zu verdanken, sondern haben schon in der
vorläge gestanden. Und zwar stehen diese Strophen alle im zweiten teile
des Nibelungenliedes, durchaus in der C*-partie von k. Sie tragen auch
inhaltlich, wie Lunzer nachweist, im ganzen den Charakter der plusstrophen
der recension C*. Es ist also sehr wol möglich, dass der der hs. k zu
gründe liegende text C* einige weitere vom Verfasser C* herrührende zu-
Batzstrophen tothalten hat, die der hs. C*i abgiengen.
2*
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20 BRAUNE
originalere fassung hatte. Den gleichen fall hatten wir bei
C*2, der vorläge des anfangsteils Db* Es ist nun zwar
durchaus nicht strict beweisbar, dass diese quelle von k zur
hs. C*2 gehört hat, da die durch k und Db* überlieferten stellen
von C* sich nirgends decken: es wäre also nicht zu widerlegen,
wenn jemand neben C*2 für Db* auch für k noch einen über-
lieferungsstrang C*3 annehmen wollte und C*i C*2 C*3 selb-
ständig auf die urhs. der recension C* zurückgehen liesse.
Aber mit gutem gründe nimmt man nicht mehr unbekannte
grossen an als unbedingt nötig, und deshalb werden wir, so
lange nichts dagegen spricht, das original von k mit Db* zur
gruppe C*2 rechnen.
Für diese gruppe C*2 ist endlich noch ein dritter zeuge
erstanden in dem neu aufgefundenen fragmente ü (Zs.fda. 25, 78X
welches zwar nur 14 Strophen überliefert (1212, 3 — 1226, 2),
aber genügendes material zur beurteilung darbietet
ü gehört im übrigen durchaus zur hauptrecension C* und
stimmt, von kleinen selbständigen abweichungen abgesehen,
ganz mit C und a. An zwei stellen aber bietet U sehr be-
merkenswerte lesarten, die sicher echter sind als die von C und a.
1233, 3. 4 80 entweich ich iu nie triuwen, sprach der häene
degen, unt ml iu immer dienen die teil wir beide leben
megen Ca. Statt 4b hat U: die wtle wir beide geleben.
Es dürfte keinem zweifei unterliegen, dass hier C* den un-
genauen reim degen : leben hatte (wie 717, 1), welcher in C*i
durch anfügung von megen C (mugen a) schleppend beseitigt
ist: die form megen, für die im Nl. sonst mugen gilt, erscheint
nur hier im reim. Die lesart von k ist hier sehr frei aus C*
umgeformt (weil mir got leben geit), kann also nichts bezeugen.
1212,4 idi weis vil wol was Kriemhilt mit disem sdkaUe
getuot B*, ich weis wol das diu frouwe wunder mü dem
schatse getuot Ca. In U: ich weis wol was diu frouwe mit
dem schatse getuot. Hier ist es klar, dass U, welche mit B*
den indirecten fragesatz teüt, die originalere form bietet, wäh-
rend Ca dem satze eine ganz andere Wendung gegeben haben.
Andrerseits aber gibt sich U dadurch als Vorstufe von Ca
kund, dass diu frouwe statt Kriemhilt eingetreten ist U hat
also hier die echte lesart C*, C*i hat weiter umgeformt Es
trifft sich glücklich, dass hier der Wortlaut in k so gut erhalten
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HANDSCHRIFTENVERHÄLTKISSE DBS NIBELUNGENLIEDES. I. 21
ist, um erkennen zu lassen, dass k zum texte ü, nicht zu Ca
stimmt. In k (str. 1282, 4) heisst es: Ich weiss tcol, waz Kren-
hüde noch mit dem schoiUe tuot. Wir haben hier den fttr B*
und U gegenüber Ca charakteristischen indirecten fragesatz.
Man könnte nun zwar hier in k noch grössere Übereinstim-
mung mit B* finden, indem nicht diu frouwe (Cüa), sondern
Krenhilde gesetzt ist. Das würde aber fehl geschlossen sein,
da erstens k hier durchaus auf die recension C* zurückgeht
und zweitens der umarbeiter k auch sonst oft den namen Kren-
Mlde einführt, wo ihn die vorläge nicht hatte. So gleich in
der übernächsten Strophe (1284 k) statt ir y. 1: dö was ir
grimme leit = das was Krenhilden leit k. So ist also auch
an obiger stelle Krenhilde für diu frouwe (U) eingetreten. Es
gehört also U enge zur vorläge von k, also zum texte C*2.
Graphisch lässt sich das Verhältnis der glieder von C*
so darstellen: 0
(C*)
(CM (C%)
R a F(?)
}b* ü
>) Diese gliedenmg Ton C* darf mit den im texte gegebenen ein-
schränkiingen ansprach anf Sicherheit machen imd steht auch, was die
gmppe G*i betrifft, wesentlich im einklange mit der von Bartsch und
Zamcke gegebenen Classification (CS ist bis jetzt in dieser weise nicht
anfgesteUt). Wenn also t. Mnth (Einl. s.208) sagt: 'Zamcke hat £F zu-
sammengesteUt nnd Ton Ba geschieden (ausgäbe s. 381); Bartsch stellt E
zn C, trennt aber F davon nnd weist B in mitten (ansg. s. xviu), beweis
genug, dass diese detailclassificationen keinen wert habend so ist das zu
beweisende so verkehrt wie die beweismittel verdreht. Wie hat denn
Zamcke EF zusammengestellt? Doch nur insofern, als er es wegen der
kürze dieser fragmente ablehnt, sie überhaupt zu classificieren: in dem
8. 381 gegebenen Stammbaum hat er allerdings *EF zusammengestellt', aber
nur mit der motivierung 'unbestimmt'. Wie v. Muth darin ein urteil über
die genealogie der hss. sehen kann, ist ganz unbegreiflich; und wenn Bartsch
es versucht, diese von Zamcke unbestinunt gelassenen fragmente nun doch
genealogisch zu bestimmen, so ist es klar, dass er damit in keinen wider-
sprach zu Zamcke treten konnte und dass v. Muth deshalb keinen grund
hatte, sein törichtes verdict über specieUere dassifiderungen abzugeben.
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22 BRAUNE
Ueber das Verhältnis des textes von C*2 zu dem von C*,
ist noch eine bemerkung nötig. Es würde nicht hinlänglich
motiviert sein, wenn man den text C% weil er in einer reihe
von stellen die älteren lesarten gegenüber den änderungen von
C*, bewahrt hat, nun ohne weiteres als die altertümlichere
oder echtere form der recension C bezeichnete.') Es kann
sich auch so verhalten, dass C*,, selbständig aus ur-C* ge-
flossen, wol in einer reihe durch C*, geänderten stellen das
echte bewahrte, dagegen in anderen stellen ebenso auch seiner-
seits änderungen vornahm, denen gegenüber nun C*, d^
ältesten text bewahrt. Die zahlreichen abweichungen z. b., in
welchen Db* sicher gegenüber C (und B*) jüngeres bietet
(vgl. oben s. 6 ff.), gehen zwar zum grössten teile auf den ver-
fertiger der stammhs. Db* zurück: es können aber auch sehr
wol manche davon schon der vorläge (C*^) angehören. Diesen
gegenüber wäre dann C*, die ältere fassung. Ferner haben
wir gesehen, dass die Umarbeitung k aus C*2 lu^ mindestens
zwei Strophen erhalten hat, die in G*i ausgefallen waren.
Ebenso gut kann auch C'*'^ Strophen haben ausfallen lassen,
die nun widerum in C*i erhalten sind. In dem C*-teile von k
fehlen folgende 7 Strophen: 2) 660. 723. 1667. 1671. 1689. 1706.
1984. Hiervon kann eine oder die andere Strophe schon der
vorläge von k gefehlt haben. Wahrscheinlich ist mir das für
1667, wo k den schlussvers von 1666 mit dem Stichwort mwt
{daz si mich leben tvieaen der vroutoen Kriemkilde muot) um-
gearbeitet hat in Wcug in nun dunkt dais peste. Dcus woü wir
greifen an (k str. 1759). Hier wäfe für k ein umspringen von
muot 1666 auf muot 1667 weniger denkbar. Vielmehr dürfte
die Strophe schon in der zu C*2 gehörigen vorläge ausgefallen
gewesen sein.
Die gleiche Wahrscheinlichkeit ergibt sich bei der aus-
lassung von 1689. Hier bessert der Überarbeiter k die lücke,
die er in C*^ fand, aus, indem er 1690, Ib (k str. 1781) statt
spracfh der Jcänic rieh schreibt so sprach hunig Eteel reich: in
^) So schon Lachmann, ansg. s. ix: 'Db stimmen im aafiing der
Nibelnnge nnd im anfang der Klage auffallend mit C£, doch so, dass die
Überarbeitung in Db leicht die ältere ist.'
') Vgl. Beitr. 20, 463 f. Die sicher nur von k durch zusammemdehung
yerstümmelten Strophen 1431 f. 2103 f. kOnuen ausser betracht bleiben.
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HANDBCHBIFTENYEBHÄLTKISSE DES NIBELUNHENLIEDES. I. 23
der letzten zeile von 1689 war Etjsel namentlich eingefährt,
dorch den ansfall war eine ondeutlichkeit entstanden^ die nun
k verbessert.
Auch das frag^ment U, welches mit k in einer älteren
lesart stimmte, erlaubt ebenso nach der anderen seite zu
schliessen. U weicht in einigen stellen von der lesart G ab,
wo G sicher das echtere hat Man würde diese abweichungen
alle der einzelnen hs. ü zuschreiben dürfen. Aber zwei davon
werden von der vorläge von k geteilt, werden also wol selb-
ständige abweichungen des textes C*2 gewesen sein.
1217,2 (ßolt das Kriemhilte) reichte man dar für B'^'Ga,
Uk er statt man {reichte er her für U, reicht er gar vil her-
für k). 1220,4b daa ander muosen si da län G, auch B*
hat den plural an der entsprechenden stelle (daß si zer verte
solden hän)\ dagegen der sing, in ük: daz ander muoste si
da län U, Daz ander must Krenhilde dort in Furgunden län k.
— Dagegen ist chemenaten, welches U 1216, 4 statt kameren
(AgJdG) hat, nicht die lesart des textes G*2, da k (nach Jcamer-
für 1287, 1) in seiner vorläge noch kameren las. Diese ände-
rung von kameren in kcmenaten haben viele hss. unabhängig
vorgenommen: von G*i hat sie a, von B* die hss. B und Db:
es treffen hier also 4 (bez. 5) hss. zufällig in einer änderung
zusammen, welche allerdings in ihrer genesis leicht begreif-
lich ist.
Immerhin zeigen einige im vorhergehenden benutzte proben
von lesarten der hs. k, dass nicht nur im strophenbestande,
sondern auch in den lesarten die hs. k bei vorsichtiger be-
nutzung für die erschliessung von G*^ und damit für die
Sicherung des Urtextes der rec. G* von wert sein kann. Von
Zanicke ist k schon hie und da nutzbar gemacht. So schreibt
er 883, 4 vier und zweinzec nach B* und k, gegen vier und
drizec Ga, ebenso folgt er B* und k 1756, 2. 1877, 1.0 Bartsch
schliesst sich in seiner ausgäbe hierin Zarncke nicht an.
Lunzer hat die frage eines zweiges G*2 = k nicht gestellt.
Aber er hat das material zusammengebracht, indem er die
^) Dagen wird Zarnckes ftndernng der Überlieferung yon Ca in 1682 a, 1. 2
(= Z. 266,5, vgl. Zarnckes anm. s. 898) durch k 1774 definitiY widerlegt;
wir müssen also hier der Urschrift der rec. C* die beiden überladenen
halbyeise zusprechen.
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24 BRAU17E
stellen aufführt, in welchen der C*-teil von k näher zu les-
arten von B* stimmt. Vieles davon wird ja zufälliges zu-
sammentreffen sein, aber besonders in der gruppe Beitr. 20,
497 — 499 ist so manches sicher eine lesart von C*», die Ci
gegenüber das echte bewahrt; es befindet sich darunter auch
die oben besprochene stelle 1212,4, welche durch das zeugnis
von U gestützt und als die originale C*-lesart erwiesen wird.
Cap. n.
Die gmppe ADb*.
Der zui- recension B* gehörige hauptteil des textes Db*
erweist sich nun als nächster verwanter der hs. A. Schon
Bartsch, ausg. 1, xxi hat die verwantschaft zwischen Db* und
A bemerkt. Aber s. xix behauptet er ebenso auch nahe ver-
wantschaft zwischen hs. B und A: zu klarer erkenntnis der
Sachlage ist er nicht gekommen und die nötigen consequenzen
hat er nicht gezogen. Es ist nun aber zu erweisen, dass hs.
A mit Db* näher verwant ist als mit irgend einer andern hs.,
dass A und Db* auf eine gemeinschaftliche stammhs. zurück-
gehen und dass erst diese stammhs. ADb* zu hs. B in beziehung
gesetzt werden darf. Allerdings teilt hs. A mit hs. B eine
kleine anzahl von lesarten bez. fehlem, von denen Bartsch
a.a.O. einige anführt. Aber dieselben verschwinden gegen-
über der weit grossem anzahl von lesarten, die A nur mit
dem texte Db* teilt, und können die annähme einer grappe
ADb* nicht erschüttern. 0 Diese speciellen Übereinstimmungen
von Db* mit A, welche sich durch das ganze gedieht gleich-
massig hinziehen, gilt es nun zunächst zu betrachten.
Wenn sich eine engere gmppe ADb* erweisen lässt, so
wird dies ein entscheidendes argument sein gegen die bevor-
zugte Stellung von A, während vom Standpunkte Bartsch-Paul
aus die gruppe ADb* keiner beanstandung unterliegen würde.
Es ist daher die beweisführung wesentlich gegen die anhänger
von A zu richten. Doch bemerke ich gleich hier zur vor-
läufigen Orientierung, dass ich im übrigen den Standpunkt
von Bartsch nicht teile, sondem ganz wie Lachmann die
recension C* aus B* durch die mittelstuf e Jd* entstanden sein
») Weiteres darüber s. unten unter El 8. 58 ff.
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HANDSCHRIFTENVERHALTNI8SE DES NIBBLÜNQEKLIEDE8. H. 25
lasse. Diese frage wird aber zunächst keine hervortretende
rolle spielen und uns erst weiter unten in cap. IV beschäftigen.
Wer den text A als die ursprünglichste gestalt des Nibe-
lungenliedes ansieht, muss eine Zweiteilung der Überlieferung
der art machen, dass aus dem original x einerseits A geflossen
ist^ andererseits eine hs. y, welche die stammhs. aller Übrigen
geworden sein mfisste. Ueber die Stellung des zur rec. B*
gehörigen hauptteils von Db* existiert vom Standpunkte A aus
meines wissens keine anerkannte ansieht. R v. Muth in seiner
Einleitung s. 209 dürfte wol die durchschnittliche meinung der
anhänger von A widergeben mit folgendem Stammbaume:
B
Db*
Hier wäre y die stammhs. aller hss. ausser A, aus welcher
einerseits B geflossen ist, andererseits eine stammhs. z, aus
welcher unabhängig sowol die recension C*, als die gruppe Jd
geflossen sein müsste. Die Stellung von Db* ist hier insofern
unklar gelassen, als die trennung derselben in zwei heterogene
teile nicht deutlich markiert, sondern ihr Charakter als mischhs.
in schiefer weise für die gesammtclassification verwertet ist,
für welche vielmehr die beiden teile von Db* als gesonderte
hss. angesetzt werden müssen. Doch geht so viel daraus her-
vor, dass V. Muth den hauptteil Db* hinter B, also von A
entfernter, einordnet.
A) Zum beweise der gruppe ADb* führe ich zunächst eine
reihe von stellen vor, in denen die lesart A und Db den übrigen
hss. gegenüber steht, ohne dass es möglich wäre, die eine oder
andere lesart als die ursprünglichere in anspruch zu nehmen.
Durch solche stellen kann nun zwar für den anhänger von
Bartsch bewiesen werden, dass ADb auf eine stammhs. zurück-
gehen, nicht aber für den Standpunkt Lachmanns. Aber auch
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26 BBAÜKE
für diesen wird dadurch wenigstens das gezeigt, dass Db* der
hs. A näher steht als die übrigen hss.
297,4 got läge in nimmer mSre kamen in miniu küneges
(fürsien C) lant BdJC
— — — — komen in Tenemarken
lant Db
— — — — ae Tenemarke in dag
lant k.
Hier wird man von B* aus die lesart Db als die der
stammhs. ADb ansehen, die von A weiter geändert ist Man
wird geneigt sein, die lesart von BdJC, welche küneges lant
wie ein compositum mit dem attribut mtniu verbindet (ähnlich
413,2 ufYib elliu küneges lant, vgl. 1330,2), fOr eigenartiger
zu halten als das, was ADb bieten. Vom Standpunkte A ans
dagegen wird man Db als leichte änderung des Originaltextes
fassen, während BdJC eine stärkere änderung aufweisen, die
nicht wol durch zufälliges zusammentreffen mehrerer hs&,
sondern nur dadurch zu erklären ist, dass BdJC auf eine ein-
heitliche vorläge zurückgehen. Es würde daraus also folgende
modification des oben gegebenen Stammbaumes sich ergeben:
Dp-^
BdJC
Wer also A für den originalsten text hält, muss eine hs. y
annehmen, welche die Strophenzusätze und viele lesartenände-
rungen vornahm. Diesem y steht dann Db* sehr nahe, wäh-
rend die hs. z — aus welcher unbeschadet speciellerer gliederong
BdJC geflossen sind — weitere änderungen vomahnt Nur
dieser schluss, aber dieser auch mit notwendigkeit, wird ans
dieser und den zunächst folgenden stellen für den Standpunkt
A zu ziehen sein.
313,3 daß gebent si mir gerne teil ich si Udic län ADb
geben Bd ) ( f4?old BdC
gceben JC i \ ob ich si wolle län J.
Hier unterscheiden sich beide gruppen durch den condi-
tionalfall; BdJC haben den Irrealis, denn auch das gd>€n Bd
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HANDSCHBIFTENVBBHALTNIBSB DES NIBBLUNOENLIEDES. n. A. 27
ist nach aasweis des wold als conj.-praet gcehen zu fassen.
J hat im nebensatze eine klärlich aus BdC entstandene ände*
rung. Zum indic. stimmt auch y. 2 mügen ADb (und C) statt
mähten BdJ.
429, 4a Bö er in erkande (beJcande A) ADb = dö er in
reht erkande BdJCa
460, 2b Stvrit den tot BdJC = Stvrit (der helt A) den
grimmen tot ADb
532,3b und truogen richiu kleit ADb = liehtiu kleit
BdJCa
605,1a Bojs tuon idi ADb = Dojs nim ich rell.
612,3 Der riche {edel K) künic dö selbe vil wol hesloz
die tür ADb = Der riche künic selbe dö hesloz die tür rell.
635,1a Sivrit der herre BdJCa = Und der J^erre Stvrit
ADb* : Und ouch der herre Sivrit (auch her S. b) Db* Und
der künic Stvrit A
635,3a Daz si ze Eine brdhten BdJCa = Daz si dar
(aldar D) brähten ADb
636, 3 Ez enwart nie geste mere baz gepflegen BdJCa =
gesindes (f&r geste) ADb
680,4a mit küneges friunde rate BdJ (C ganz anders)
= mit des küneges rate ADb
706,2b die snellen boten guot BdJC = degene (für
boten) ADb
853,4a Vor allen minen friunden BdJCa = Für alle
mine friunde ADb
876,1b einen guoten spürhunt BdJCa = einen spürhunt
ADSb
1009, 3 Do kustes (Si cust J) also toten den edelen ritter
guot BdJCa = Und kuste in (in fehlt b) also töten, den e.
r. g. ADb
1030, 3a Zuo Sigemundes lande BdJCa = Zuo iuwerem
lande ADb
1097, 2a Si was ir edelen minne (in edelen minnen B)
Stvride undertdn BOdJCa = Si was dem besten manne
(recken D) S. u. ADb
1141,3a Daz er da vriunde hete BdJCa = Daz er da
hete vriunde ADb (conj.-praet hite in der cäsur beliebt; vgl.
Bartech, Wörterbuch s. 134).
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28 BRAUHB
1143, 4a Ob sis joeh (tu B, audi d, haU J, joch C, iäek a)
volgen wolde BdJCa = Und ob sis v. tc. ADb
1144, 1 Stoae der häneginne liebes gesehihi BdJCa =
... liebes noch gesehihi ADb
1302, Ih so was in bereit BdJlCa = wart ADb
1320,2a Die von Heichen töde BdJCa = Die nach H.
t ADb
1374,3a Der enwolden si mU fiiera BdUKCa = Siet^
wolden ir n. m. ADb
1455, la Gejselt unde hätten BdJEa = Die geseU (seU b)
und ouch die hätten ADb
1492, (1) 2 (Do ruoft er mit der krefle dag al der wäc erdoz)
Von des heldes sterke: diu was michd unde gros ADb = (. . .
erdos), wan des heldes sterke was m. u. g, Bdla
1682, 1 Ja bringe ich tu BdJ = Ich bringe tu ADb
1684.3 gewcete ADb = gewmfen relL
1692.4 Das si ir (ir fehlt Bda) mit dem lebene de-
heinen von den Hiunen lie (... niht einen dannen kamen
lie Ca) BdJCa = Das si ir nie deheinen von den Hiunen
(von dem huse b) komen lie ADb. Vom Standpunkte B* ans
wird man hier anflQiren därfen, dass bei der eigenartigen
Wendung von den Hiunen läsen (= 'weglassen*) sowol ADb*
wie auch C* das bedflrfnis ffihlten, komen einzufügen, beide
aber unter verschiedener änderung des übrigen Wortlautes.
1695, la jEr gedahte langer (manger J) nuBre BdJCa =
Er gedahte [im D] lieber mosre ADb
1730,4b (Dieäbermüeten degene) einander sähen si anBd;
ein ander vaste (vaste fehlt E) sähen an JK, sähen vaste ein-
ander an C(a) = \die D] sähen alle ein (an A) ander an ADb
1734,4 b ist herzeleide (laid d) geschehen BdJCa = ist
herseleit von im geschehen A, von im ist leide geschehen Db
(ADb*: ist herzeleide von im geschehen).
1772, 2b der (fehlt E) wart nie dehein BJE (diu sunne nie
beschein C*) = wart noch nie dehein ADb
1868,4 Da wart von swosren stiiden durch helme biulen
vil geslagen BJCa = D, w, v. sw. stüelen biulen harte vü ge-
slagen (harte vil fehlt b) ADb
1926, 1 Ich sihe in üf dem tische: er winket mit der
liant BJCa = Ich sihe in üf dem tische winken m,d.h. ADb
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HANDflCHBIFTENVESHALTNISSB DES NIBELUNGENLIEDES. IL B. 29
1993,3 Jcceme er danne hinnen BJd (Ca ändert) = Jccem
er danne widere ADb
2135, 1 swie herte gemuot BJCa = swie zornic ge-
muot ADb.
B) Lachmann hat in seiner ausgäbe des Nibelungenliedes
häufig die hs. A verlassen, da er ihre lesart als falsch erkannte.
In vielen andern fällen aber hat er sicher falsche lesarten von
A in seinem texte stehen lassen, einen teil davon als falsch
zugebend, indem er entweder die lesarten des textes B* oder
eigene conjecturen gegen alle hss. dafür einsetzen will. Für
alle die von ihm selbst als falsch betrachteten lesarten von A
gesteht er jedoch den correcten lesarten der übrigen hss.
lediglich den wert von conjecturen zu, d.h. er meint unsere
hs. A habe hierin fehler der urhs. x beibehalten, die von den
übrigen hss. verbessert seien. Dass er darin zu weit gegangen
ist, haben auch die anhänger von A im allgemeinen zugegeben.
Wenn die übrigen hss. nicht aus A selbst, sondern mit A aus
einer gemeinsamen quelle herstammen, so können sie a priori
ebenso wol das richtige erhalten haben als A. Und wenn
man im allgemeinen A als weniger bewusst ändernd ansieht
und demgemäss in allen zweifelhaften fällen A folgt, so ist
doch da, wo A falsch ist, das richtige zunächst in dem andern
Strange der Überlieferung zu suchen. Die Lachmannsche auf-
fassung dagegen würde eine urhs. postulieren, die an groben,
zum teil unsinnigen fehlem ausserordentlich reich gewesen sein
müsste. Diese folgemng wird man aber beanstanden, wenn
man erwägt, dass unsere hs. A selbst nachlässig geschrieben
und fehlervoll ist, also für die meisten fehlerhaften stellen
auch vom Standpunkte der rec. A* aus die Wahrscheinlichkeit
grösser ist, dass der fehler erst von der hs. A hineingebracht
sei.^ Es ist nat rlich von vornherein wahrscheinlich, dass
auch die urhs. unseres Nibelungenliedes einige fehler gehabt
hat, aber mehr als unbedingt nötig ihr davon zuzuschreiben
sollte doch vermieden werden. Und so halte ich es denn für
methodisch richtiger, alle offenbaren fehler, die nur in A
stehen, dieser hs. allein zuzuweisen, so lange nichts dagegen
0 Vgl. die a&mmlTing der fehler in A von Bartsch, Untersuchungen
s. 63 und dazu Paul, Beitr. 5, 430 ff.
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30 BRAUNE
spricht. Anders steht es dagegen mit fehlem, welche A mit
andern hss. teilt. Diese mfissen natürlich schon in der vorläge
von A gestanden haben.
Es zeigt sich nun, dass es gerade wider die grappe Db*
ist, mit welcher die hs. A eine beträchtliche zahl von fehlem
teilt, und zwar solche, die auch Lachmann als fehler in A
anerkannt hat. Nun sind das immerhin schon so viele fehler,
dass man bedenken tragen sollte, sie alle der urhs. zuzuweisen,
und der annähme zuneigen wird, dass A und Db auf eine
zwischenhs. zurückgehen, die nicht die urhs. ist Aber der
anhänger von A wird zunächst doch noch geneigt sein, auch
diese fälle mit dem oben s. 26 aufgestellten Stammbaume in
einklang zu bringen, also anzunehmen, dass alle diese gemein-
samen fehler von ADb der urhs. x angehören, von A sowol
wie von y beibehalten sind, worauf erst z durch conjectur
besserte, während Db* die fehlerhafte lesart y (= x) bewahrte.
Diese ansieht lässt sich aber nur so lange behaupten, als sich
in allen fällen zeigen lässt, dass die guten lesarten von B etc.
gegenüber der fehlerhaften lesart ADb conjecturen sein können.
Sie muss dagegen fallen, wenn sich auch nur in einem teile
der fälle erweisen lässt, dass die lesart von B* nicht nur die
correcte, sondern auch die ursprüngliche sein muss, aus welcher
erst die falsche in ADb hervorgegangen ist Ein solcher nach-
weis wird natürlich nur unter besondem umständen zu fuhren
sein, weshalb man eine grosse anzahl von stellen nicht erwarten
kann. Und der nachweis einiger solcher stellen, in welchen
die falsche lesart von ADb unursprünglich und aus B* hervor-
gegangen ist, lässt sich in der tat führen. Andererseits gibt
es auch keine stelle, in welchen eine gemeinsame lesart ADb
sich gegenüber B* als ursprünglich erweisen lässt Und des-
halb wird man methodisch richtig alle falschen lesarten der
hss. ADb diesem zweige der Überlieferung zuschreiben müssen
und urteilen, dass die übrigen hss. die lesart der urhs. be-
wahren. Es folgt daraus, dass der s. 26 vom A- Standpunkte
aus zur erklärung der Übereinstimmungen zwischen A und Db
aufgestellte Stammbaum unmöglich ist, dass vielmehr A seiner
isolierten Stellung beraubt werden und mit Db zusammen auf
eine gemeinschaftliche quelle zurückgeführt werden muss,
welche nicht die urhs. unseres Nibelungenliedes war. Graphisch
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HANDSCHBIFT£Ny£BHlLTNI8SB D£S NIBELUKaEN LIEDES. II. B. 31
wird sich das — immer noch unter vorläufiger nichtbestimmung
des genaueren Verhältnisses der übrigen hss. — so darstellen:
^
Jd* C*
Db*
i
Hierbei würde die hs. y als ein text anzunehmen sein,
der im grossen und ganzen sich eng an den urtext x anschloss,
keine grossen änderungen vornahm, sondern nur in einer ziem-
lichen reihe von stellen kleinere änderungen und auch fehler
eindringen liess, so wie es eben bei jeder einzelnen mhd. hs.
ihrer vorläge gegenüber der fall zu sein pflegt. Aus dieser
Zwischenstufe y floss dann der zur Nöt-gruppe gehörige haupt-
teü der f amilie Db* ebenfalls ohne grössere änderungen, wäh-
rend A oder vielmehr ihre vorauszusetzende ältere vorläge a
eine stärker ändernde recension darstellt.
Ich führe nun die beweissteilen für obige behauptungen vor,
also in erster reihe diejenigen fehlerhaften lesarten von ADb,
welche sich als unursprünglich gegenüber B* erweisen lassen.
Zuerst bespreche ich eine stelle, welche zwar an sich nur
eine unscheinbarere Variante bietet, aber den vorzug hat, dass
sich hier durch eine unanfechtbare sprachgeschichtliche tat-
sache dartun lässt, dass ADb eine jüngere änderung gegenüber
der in Bd vorliegenden ursprünglichen lesart haben. Zu dem
zwecke sind zunächst excursweise einige bemerkungen voraus-
zuschicken über den umschriebenen Infinitiv perfecti im mhd.^
Diese umschreibungsform ist jung, viel jünger als die son-
stigen formen des umschriebenen perfects. Im ahd. des 9. jh.'s
ist sie noch gar nicht vorhanden: die lateinischen infinitive
perfecti werden stets durch den inf. praes. widergegeben (vgl.
die beispiele bei Grimm a. a. o.). Am frühesten ist der inf. perf.
(neben dem vorhersehenden inl praes.) bei N. zu finden, wol
dem bestreben der nachbildung der lateinischen form ent-
*) Vgl. Glimm, Gramm. 4, neudruck s. 198 flf. ; Vemaleken, D. syntax
1, 97 ff.; Erdmann, Syntax 1, 110 ff,; v. Monsterberg-Münckenan, Der Infinitiv
in den epen Hartmans yon Aue (Germanist, abhandlnngen 5) s. 156 ff.
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32 BRAUNE
sprangen. Denn in der poetischen literatnr fehlt er zunächst
noch: die Wiener Genesis kennt ihn nicht Anch der Vorauer
Alexander zeigt kein beispiel, wol aber der Strassborger an
einer stelle, die jüngere Umbildung des Originals ist (ed. Einzel,
V. 490 = 415 f. Vor.). Wie es scheint fängt die form erst seit
der mitte des 12. jh.'s an einzeln in der poetischen spräche auf-
zutreten. Aus König Eother bringt Grimm einige bel^e.
Auch in der Kaiserchronik tritt die form schon auf (z. b. 1149.
1374. 1723. 2510. 2519). Und in der blütezeit der höfischen
dichtung ist sie ganz üblich. In der mhd. gebrauchsweise
des inf. perl sind nun aber zwei hauptkategorien zu unter-
scheiden. 1) Die erste möchte ich den eigentlichen int
perf. nennen. Bei ihm wird die vollendete handlung des
verbums in ihrer beziehung auf die zeit des regierenden
verbums als gegenwärtig hingestellt: es ist also ein praesen-
tischer Infinitiv, der Infinitiv des perfectum praesens: z. b.
Walther 52, 20 oh ich da enzmschen loben mnoa, so tvcene ich
me heschouwet hän 'so meine ich mehr gesehen zu haben';
Nib. 231, 1 da tet wer bruoder die aüer grcßzisten not, diu
immer in den stürmen hunde ^n geschehen ^die jemals ge-
schehen sein konnte'; Nib. 914, 4 dem sol man jehen danne
den man sihet gewunnen hän (in C anders gewant der sol hän
gewunnen, den man siht ze vorderst stän). Häufig steht dieser
inf. perf. im mhd. nach dem verbum 'wollen', z. b. 1830, 3 si
wolden Volkeren ze tdde erslagen hän. Diesen eigentlichen
inf. perf. wenden wir nun auch noch im nhd. an (z. b. idi
glaube mich nicht getäuscht zu haben\ ich wollte das einmal
deutlich ausgesprochen Jiaben etc.). Immerhin ist der mhd.
gebrauch etwas umfänglicher, da wir in vielen fäUen den
einfachen inf. praes. vorziehen würden. Das ist besonders
nach 'wollen' der fall, wo die 'Intensität des begehrens dadurch
hervorgehoben wird, dass man die erstrebte handlung in leb-
hafter Vorstellung als bereits geschehen vorführt'.^ Weitere
beispiele aus Nib.: 1017, 1 Do der künic Sigemunt wolde s(n
geriten ('als der könig S. reiten wollte'); 1529, 4 dar umbe ich
in gerne Mute ertrenket wolde hän; 1775,4 die KriemhUde
^) Vgl. hierzu t. Honsterberg, Zs. fdph. 18, 7 ff., wo auch die beispiele
für diese construction aus Hartman zusammengesteilt sind.
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HAKDSCHBIFTENyEKHALTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES. IL B. 33
man wolden an den gesien schaden gerne hän getan; 1785, 3
wolt ir sldfende uns ermordert Mn\ 2250, 3 etc. Die praesen-
tische natur dieses mhd. inl perl tritt klar hervor 625, 2
unt weit in hän gebunden, wo C* gleichbedeutend hat und
wold in damit binden, oder 321, 2 ich wolde hinnen rtten =
ich wolde sin geriten A. Besonders beliebt ist der inf. ver-
loren hän, den wir nur durch 'verlieren' übersetzen können,
wo im mhd. durch den inf. nachdrücklicher der zustand des
vollendeten Verlustes als gegenwärtig bezeichnet wird. Bei-
spiele: 14,4 du muost in schiere vloren hän\ 1846,4 C* oder
ich wil darutnbe minen lip verloren hän; 2259,1 sol ich dich
hän verloren. Aehnlich er wolde in hän gescheiden Eudr.
1438,4. 128,3 'er wollte ihn trennen', d.L er wollte ihn im
getrennten zustande, als einen getrennten haben, wo das part.
fast nur als adj. fungiert, etwa wie in einem satze er wold in
hän gesundenS)
2) Die zweite art nenne ich den stellvertretenden inf.
perf. Während wir für die erste art im nhd. überall auch
den inf. perf. anwenden können (wenngleich wir oft lieber den
inl praes. brauchen), so darf die zweite art im nhd. nicht
durch den inl perf. übersetzt werden. Dieser mhd. inf. perf.
vertritt nämlich die umschriebenen formen der hil&verba mac,
sol, hm, tar, darf, muoz, wellen^ welche im mhd. nicht gebildet
werden können, da den verben ein part. praet. völlig fehlt.
Erst spätmhd. und nhd. bilden sie ein part. praet., welches in
umschriebenen formen dem inf. angeglichen ist.^) Im nhd.
geben wir also diesen mhd. inl perf. stets durch umschriebene
formen der hilfeverba mit regiertem inf. praes. wider; z. b.
Nib. 120, 3 er soldez haben län ('er hätte es lassen sollen');
909, 3 m4m sold mir siben soume met und lütertrank haben her
gefUeret dö des niht mohte sin, dö solt man uns gesideUt haben
näher an den Bin, Die mhd. fälle dieses inf. perl stehen kaum
beim praesens der hil&verba: ein bedfirfnis der Umschreibung
des reinen perl bestand wol nicht, da das einfache praet.
1) Im nhd. brauchen wir statt 'haben' nachdrücklicher auch * wissen'.
Man konnte nhd. sagen er woUte ihn getrennt wissen ebenso wie er wollte
ihn gesund wissen,
*) Vgl. Erdmann, Syntax 1, 110 und P. Merkes, Beiträge zwt lehre Yom
gebrauch des infin. im nhd. auf historischer gmndlage. Leipz. 1896.
Beitrage xur geachichte der deutschen spräche. XXV. 3
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34 BRAUNE
solte, mohte etc. diese bedeutung noch gut versehen konnte. 0
Es ist vielmehr immer das plusquamp. der hilfeverba, wel-
ches auf diese weise umschrieben wird, und zwar wesentlich
der conjunctiv des plusquamperfects. Das hängt damit zu-
sammen, dass der einfache conjunctiv praeteriti schon im ahd.
auch als Irrealis der gegenwart und zukunft fungiert und
daher die Vergangenheitsbedeutung nicht zweifellos ausdruckt.
Wol kann auch im mhd. der conj. praet. noch die Vergangen-
heit ausdrücken, aber zur deutlichen hervorhebung derselben
tritt der umschriebene conj. plusquamp. schon im ahd. auf
und breitet sich im mhd. immer mehr aus. Diese entwicke-
lung konnten nun die hilfsverba nicht mitmachen, da sie kein
part. praet. hatten, und deshalb tritt stellvertretend bei ihnen
der inf. perf. des regierten verbums mit dem conj. praet der
hilfsverba ein. Diese Umschreibung ist dem ahd. noch ganz
fremd. Bei 0. hat durchaus der einfache conj. praet die be-
deutung unseres conj. plusqu., z. b. 0. 3, 19, 27 ni uuoU er uuiht
thes sprechan, thoh er sih mohti rechan (obwol er sich hätte
rächen können), sie duan ouh, obar uuolti (wenn er gewollt
hätte), innan dbgrunti Auch in der Wiener Genesis ist nur
diese form vorhanden, z. b. 21, 14 die wole mähten genesen
(= mhd. die wol mähten sin genesen), ob er sich ire walte int-
Wesen (wenn er sie hätte entbehren wollen). Ebenso hat der
Vorauer Alexander nur diese ausdrucksweise: 710 (ed. Einzel
= in S lücke) wie mehte siu vester sin (wie hätte sie fester
sein können); 990 so solt im diu burch werden tiure, gewunners
nieht mit chriechiscen fiure = S 1380 so solde ime ouh di burh
Wesen vil türe, ne heter si mit den füre . . . nit bestän. Da-
gegen beginnt seit mitte des 12. jh.'s die Umschreibung aufisu-
treten. So ist in der Eaiserchronik noch die alte ausdrucks-
weise geläufig, z.b. 1061 do wurden die cnehte, die von adeU
unt von rehte reweite vursten solten sin; daneben aber auch
z. b. 4745 du mähtes ie allez an mih hän getan. Im allgemeinen
scheint im höfischen epos der inf. perf. schon vorzuwiegen, wie
wenigstens für Hartman die Zusammenstellungen v. Monster-
bergs erkennen lassen (vgl. Erdmann, Syntax 1, 125). Genauere
0 Die drei fälle, welche y. Honsterberg, Genn. ablih. 5, 158 dafür an-
führt, sind alB 'eigentliche' inff. perf. zn fassen.
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HANDSCHBIFTENVERHALTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES. U. B. 35
nntersuclumgeii wären hier noch zu wünschen. Bei Wolfram
steht die alte ansdrucksweise noch häufig neben der neuen, z. b.
P. 152, 17 ob si halt schilt solde tragen, 200, 20 si möhten vliegen
$6 diu hup, 160,6 der ob der tavelrunder den hcehsten pris
solde tragen, aber 161, 19 solt erz hän geriten, 197, 18 sehs
ritter solter hän gevalt
Im Nibelungenlied und in der Kudrun überwiegt die alte
ausdrucksweise noch durchaus. In der Kudrun findet sich der
stellvertretende inf. perf. nur 127, 3. 312, 4. 367, 3 und durch
conjectur der herausgeber 717, 4. 1453, 2. Dagegen sind sichere
beispiele des einfachen conj. praet. statt conj. plusqu. 120, 4.
384,4. 607,4. 875,1. 961,2. 975,2. 1051,4. 1305,4. 1413,4.
In den Nibelungen findet sich der vertretende inf. pert ausser
den oben angeführten 120,3. 909, 3. 4 (2) noch 401, 4 (B* in A
und in C selbständige änderungen). 792,2. 1066,2. 1242,2.
2232,4, im ganzen 8 fälle. Dagegen steht ein conj. praet,
welcher nhd. mit conj. plusqu. übersetzt werden muss: 237, 4.
251,4. 300,2. 413,2. 415,4. 506,4. 536,2. 585a, 1. 629,3.648,4.
666,2. 724,2. 824,2. 861,4. 905,2. 924,4. 1051,3. 1054,2.
1064,2. 1291,3. 1374,2. 1416,3. 1652,4. 1883,4. 1895,4.
2010, 2. 2215, 4. Das sind 27 sichere fälle, in denen Überein-
stimmung der hss. besteht, i)
Ausser diesen gibt es nun aber im Nl. noch eine reihe
von fällen, in denen die altertümlichere ausdrucksweise bezeugt
ist, während einzelne hss. zur grösseren verdeutlichui^ den
vertretenden inf. perf. für den inf. praes. eingesetzt oder auf
andere weise die Vergangenheitsbedeutung klar hervorgehoben
haben. Dass das jüngere Umänderung ist und nicht das ori-
ginale sein kann, ist schon von vornherein als sicher zu be-
trachten. Die Vorführung der einzelnen fälle wird dies er-
härten.
Voran stehe die stelle, um derentwillen dieser excurs ein-
geschoben werden musste, da in ihr die einsetzung des inf. perf.
der zu erweisenden gemeinsamen quelle von A und Db* zufällt:
1725,4. Diese stelle ist in der Originalfassung nur in B und
') Uebergangen habe ich diejenigen fälle, in denen die anffassnng
zweifelhaft ßem kann (z.b. 281,3. 790,2. 1539,2. 1549,1. 1607,4), da auch
nhd. fibersetznng mit dem einfachen coig. praet. als znlfissig angenommen
weiden kOnnte.
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36 BKAUKE
in d erhalten: hetet ir guote sinne, ir soldet ejs pillicke län
('wenn ihr klug wäret, so hättet ihr es billig unterlassen
sollen'). Dagegen hat die urhs. ADb haben eingefügt: A ir
soldei ejB hültcken haben län, D ir soldet ea bilUch habn gelan,
b ja soU ir ez verhorn hän. Hier hat A entschieden die lesart
der quelle ADb, einfache zuf figung von haben, wodurch der
yers einen takt zu viel erhält, weshalb auch Lachmann das
haben streichen will. Aber auch die quelle Db* muss noch
genau wie A gelesen haben, denn die leichte änderung von D
sowol, wie die stärkere von b bezwecken den zu langen yers
richtig zu machen. Die Übereinstimmung von B und d, die,
wie wir weiter sehen werden, überhaupt die sicherste gewähr
für die Originalität einer lesart bietet, ist hier dadurch ganz
besonders gestützt, dass sie die sprachlich ältere ausdrucksweise
bieten. Unabhängig von ADb hat die gruppe J (hier durch
JK vertreten) ebenfalls plusquamperfectische ausdrucksweise
hergestellt durch die änderung ir het ea billichen län, woraus
dann wieder Ca so het irz piUiche län geflossen ist.
Wie hier ADb, so haben in den folgenden stellen einzelne
oder mehrere hss. geändert. Niemals B, dagegen öfter die
auch sonst mehr ändernden hss. D (ohne b, also gegen die
quelle Db*), A und J: 1751,2 mir enhunde in dirre werlde
lieber niht geschehen: Db* hatte zunächst umgestellt niht lieber
geschehen (so b), nur D hat nimmer lieber stn geschehen. —
698,3 man sold iuch dicker sehen: nur D habn gesehen. —
1679,4 den soldet ir mir fUeren (bringen A) in dae Etseten
lant Hier hat von allen hss. der rec. B* nur D mir hdn ge-
fUeret Dagegen hat G^ unabhängig geändert den solt ir mir
gefüeret hänJ) — Nur in J steht der inl pert: 133, 4 künde
nimmer stn gewesen bcus J statt künde nimmer werden bog. —
1010,4 vor leide möht ersterben alle = erstorben stn J. —
Allein in C* stehen 2 fälle: 585,2 und 910,6. — In A allein
ist die Originallesart geändert: 526, 2 getorste si in küssen, diu
vrouwe taste dae alle = Qetorste si in hän küsset, dae hete si
äne haz A. Hier ist es unwiderleglich klar, dass der ganze
0 Bartsch setzt hier fälschlich den inl. perf. in seinen text B% wegen
der snfftlligen übereinstimmnng yon D (g^egen b) mit C, Tgl. oben 8. 8. —
Auch Paul, Beitr. 8, 483, beurteilt die stelle nnrichtig.
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HANDSCHBIFTENVERHÄLTNISSB DE8 NIBELUNOENLIEDES. H. B. 37
yers in A unnrsprünglich ist. Nicht nur der conditionalsatz
mit der einfahning des inf. perf., der durch die junge apoko-
pierte form des part. auffällt, sondern auch der nachsatz
mit seiner hervorhebung der Vergangenheitsbedeutung erweist
sich als geändert. Und zwar scheint hier die änderung erst
unserer hs. A zuzufallen, da kusset aus küssen geändert ist,
die vorläge also noch den inf. hatte. — 1054,4 so möhte er
vreveUtchen zuo Kriemhilde gän, nur A ändert den- zweiten
halbvers in diJce sin euo ir gegän: anlass war natürlich die
einsetzung des inf. perf. — 93, 2 b hat A statt ea mähten niht
getragen das deutliche plusquamp. ez heten niht getragen ein-
gesetzt. — Mehrere hss. stimmen überein: 1253, 4 mir enkunde
an disen ziten nimmer lieher geschehen. Hier haben D und J
sin geschehen eingesetzt. Ebenso 1327, 4 stn gewesen DJ statt
ivesen, — 1079, 4 döne künde im Kriemhilt nimmer vinder ge-
wesen. In Db, J und a steht sin vor gewesen; das echte haben
AC und B, doch ist auch in B von jüngerer hand sin zwischen-
geschrieben, in d steht eine starke änderung. — 2223, 4 Hilde-
brant der küene, wie künde er grimmer gewesen? Hier ist in
A und J sin vor gewesen zugesetzt. — 2232, 4 nimmer küener
gewesen: in A, D und J ist sin eingeschoben, natürlich auch
von A und D selbständig, da b noch das echte hat. — 724, 4
im künde an liehen vriunden nimmer leider (leider nimmer A
und C) geschehen. Hier haben Db und Jd sin geschehen, Dass
der von AB und Ca gebotene einfache inflnitiv das echte ist,
kann nicht zweifelhaft sein, doch muss natürlich die einfügung
des sin von der quelle Db und von den hss. J und d unab-
hängig erfolgt sein. — Ganz ähnlich ist 13,4 ir enkunde in
dirre werlde leider nimmer geschehen. Hier steht sin geschehen
in AJd, während ßCD den einfachen infinitiv haben. In der
textkritisch schwierig zu beurteilenden eingangspartie geht A
bisweilen auch sonst mit J zusammen, so gerade in str. 13,
während die gruppe Db hier noch zu C* gehört. Man könnte
daher auf die annähme kommen, dass die einschiebung dieses
^n in A und in J(d) nicht unabhängig sei. Dass jedenfalls
aber die auch von A gebotene lesart unursprünglich ist, steht
nach obigen ausführungen fest. Zu allem überfluss lässt sich
darauf hinweisen, dass in der formelhaften wendung . . . künde
. . . nimmer lieher (oder leider etc.) stn (oder geschehen) niemals
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38 BRAUNB
sonst der inf. perf. gesetzt wird (vgl. 237, 4. 251, 4. 506, 4.
648,4. 905,2. 1253,4. 1652,4. 1895,4); es sind stets nur ein-
zelne hss., welche in diese formel den inf. perf. hineincorri-
gieren, nämlich in den oben besprochenen stellen 13, 4. 724, 4.
1253, 4. 1751, 2.
Zn den oben aufgezählten 27 fällen, in denen der einfache
conj. praet (= nhd. plusquamp.) in allen hss. steht, sind jetzt
also noch 18 fälle gekommen, die in einzelnen hss. geändert
worden sind, so dass wir also nun im ganzen 45 fälle zählen,
gegenüber nur 8 fällen, in denen der vertretende inf. perf.
auch schon für den archetypus unserer hss. feststeht
Nachdem also für die stelle 1725, 4 nachgewiesen ist^ dass
die urhs. ADb unzweifelhaft eine jüngere fehlerhafte ändemng
eingeführt hat gegenüber dem in Bd gebotenen ursprünglichen,
fahre ich nun fort in der oben (s. 31) angekündigten aufzählung
der fehlerhaften lesarten, welche A mit Db teilt.
1678. In den zwei ersten langzeilen stimmen die hss. im
wesentlichen überein, nur in 1 a hat ADb eine die construction
ändernde, übrigens aber gleich gute abweichung: 1. Het ick
gewest diu mcere (= Waa sint disiu mcere ADb), sprach do
Eugene, 2. dcuf iu gäbe solden bringen degene. Dagegen sind
V. 3 und 4, die den nachsatz enthalten, ganz abweichend: 3. ich
wcere wol so riche, het ich mich bae verdäht, 4. dojs ich iu mine
gäbe her ze lande hete bräht BdJCa = 3, ich weste iuch wol
so riche, ob (als D) ich mich baz (bctz fehlt Db) kan verstän,
da^ ich iu miner gäbe her ge lande niht gefüeret hdn ADb.
Hier ist 3 b in A metrisch um einen takt zu lang (Db stellt
durch auslassung des — durch alle übrigen hss. gesicherten —
baa den vers her), auch 4 b ist metrisch überladen. Es lässt
sich nun zeigen, dass BdJCa die originale fassung haben.
1) Hagen sagt mit beissender Ironie: 'hätte ich gewusst^ dass
du geschenke erwartetest, — so wäre ich reich genug ge-
wesen, hätte ich mir die sache nur besser überlegt, dass ich
dir meine gäbe ins land gebracht hätte.' Der Verfasser der
urhs. ADb verstand hier die Ironie nicht und änderte deshalb
V. 3. 4 in eine einfache positive entschuldigung um: — 'ich
wusste dich so reich . . . dass ich dir keine gäbe her ins land
gebracht habe.' Das ist deutlicher, aber auch viel stumpfer
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HAKDBCHBIFTENVEBHALTNISSE DES NIBELUNQEKLIEDES. II. B. 39
and anpassender. 2) Dass die fassong B-C die originale ist,
geht aber ganz besonders daraus hervor, dass nur in ihr das
haz einen sinn hat. Bei der Umarbeitung in ADb ist es stehen
geblieben, ist aber unverständlich. Erst Db* hat mit weg-
lassung des h(iz sowol dem vers als dem sinn aufgeholfen:
ob (als) ich mich kan verstän ist ein richtiger ausdruck, vgl.
1120, 1. 87, 1 C* (= Z. 14, 3), auch als ich mich wol (od. rehte)
verstän könnte es heissen, vgl. Mhd. wb. 2\ 588. Aber bojs
verstän ist unsinn, da ein comparativ hier nicht möglich ist,
wählend in der Originalfassung das bojs in Ordnung ist, da es
heisst 'hätte ich nur vorher die sache besser überlegt' (näm-
lich als jetzt, da ich keine gäbe habe). Es ist sehr zu ver-
wundern, dass Lachmann, der die lesart von A des metrums
wegen als falsch zugibt, hier eine conjectui* vorschlägt, die
den Sprachfehler beibehält. Er will lesen Sh ob ich mich baz
versan, — 4 b her ge lande niht gewan. Nun kann aber sich
hoB ver sinnen natürlich nur da angewendet werden, wenn es
sich darum handelt, eine bessere einsieht zu gewinnen als
vorher, als ein anderer u.s.w. Vgl. z. b. 146,2 unz ich mich
baz versinne, Walther 69, 3 der sich baz denn ich versinne;
Mhd. wb. 2^, 310 a. Dass Lachmann wol an dem metrum in A
anstoss nahm, den falschen ausdruck dagegen sogar in seine
conjectur hinein conservierte, ist nur so zu erklären, dass er
das baz als einfach steigerndes adv. nahm, also als positiv
fasste, während es mhd. lediglich comparativ ist, dem etwas
verglichenes zur seite stehen muss. Erst in der nhd. poesie
des 18. jh.'s bekommt das nun nur dichterische wort bass die
bedeutung eines positivs (= tüchtig, stark, sehr), beispiele s.
DWb. 1, 1155. Lachmann hat also das baz vom nhd. Sprach-
gefühl aus misverstanden. Seine existenz in A ist nur aus der
Originalfassung B* zu begreifen, und insofern ist diese stelle
ein weiterer sicherer beweis für unsere auffassung des hand-
schriftenverhältnisses.
1152,1. Do sprach aber Hagene : mir mac nieman wider-
sagen BJOd.Ca = mir mac nieman daz gesagen Db, mir
mac daz nieman gesagen A. Hier hat die anwendung von
tmdersagen in der bedeutung 'widersprechen' anlass zur ände-
rung in ADb gegeben. Das wort hatte im 13. jh. wesentlich
nur die technische bedeutung *fehde ansagen', woraus sich
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40 BRAUNE
dann wider übertragene anwendungen entwickelten. Auch im
NL ist diese anwendung schon die gewöhnliche (15 mal). Ur-
sprünglich aber hatte widersagen den allgemeinen begriff
* gegen jemand reden', also transitiv * einem etwas versagen'
oder intrans. 'einem wideraprechen'. In dieser allen gnind-
bedeutung ist das wort im Nl. ausser unserer stelle noch
zweimal bezeugt (vgl. Bartsch, Unterss. s. 207 f.). 0 Aber immer
ändern einzelne hss. das misverständliche wort. 2097, 2 haben
widersaget nur Db und Ca, während A, B und J — natürlich
jede selbständig — das geläufige versaget einsetzen. 2035,4
haben ANbJdCa widerseit, nur B und D haben verseit ein-
gesetzt. An unserer stelle ist die änderung der urhs. ADb
zuzusprechen, und zwar zeigt wol Db die ursprünglichere form,
indem dag gesagen einfach an stelle des widersagen gesetzt ist
Erst A stellte doj^ an eine andere stelle und schädigte dadurch
den vers, dem Lachmann (z.Nib. 1146) nun wider durch eine
überflüssige conjectur abhelfen muss.
1146, 1. Warunibe? sprach dd Gunter, ich behüete vil tcol
daz BJd {ich behüete wol immer dag Ca). Hier hat ADb statt
^) Im ahd. ist widersagen erat bei N. Torhanden, nur in der eigent-
lichen bedeutong (Graff6,102): er widersaget negat, der widersageiUo wan
contraria Org.; sowäz föne dem einemo gesäget wirt, taz wki nöte wider-
saget föne demo ändermo Bo (N. ed. Piper 1, 232, 5). Die in der ritter-
lichen spräche herschende bedentnng 'fehde ansagen* ist hervorgegangen
ans der transitiven ^jemandem etwas versageni anfsagen^ vgl. diu im ir
hidde widerseit; der mir die gnade niemer widerseit; oh er mir helfe wider-
seit Hartm. Iwein. Das eigentliche object war vride. Yollstfindig noch im
Strassbnrger Alexander (ed. Kinzel) 2331 si widersagiten ime den fride tmd
wolden vehten mit ime. Auch Nib. 2035, 4 steht noch des wart den eßenden
der fride gähes widerseit nnd Ludw. Kreuzf. 1271 den fride widersageU die
gotes erliche ritterschaft dem soldane und siner craft. Aber in der hdfischen
spräche wird dies object regelmässig weggelassen, so dass einem widersagen
scheinbar intransitiv geworden ist. In unseren Wörterbüchern ist die be-
dentongsentwicklung mangelhaft;. Das Mhd. wb. (2, 2, 22) stellt die ab-
geleitete bedentung voran nnd verzeichnet erst nnter 2) die beispiele der
gmndbedentnng. Lexer stellt zwar die gmndbedentong voran, leitet aber
fälschlich direct ans dieser die in der ritterUchen poesie so sehr h&nfige
bildliche anwendnng des ^fehdeansagens* ab (^mit dat entsagen, aich los-
sagen von, intr.'), z. b. dem pfluoge, dem geiouben, der schäme, dem timcd
widersagen, worauf er dann erst das ^fehde ansagen' folgen ISast ^ Die
gnmdbedeutnng scheint im 13. jh. nach nnd nach ganz verschwunden
zu sein.
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HANDSCHBIFTENVEBHiLTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES, n. B. 41
ich hehüete die inflnitivoinschreibung ich Jean — betvaren ein-
gesetzt ich Tcan vil (Jcund b) wol bewaren dae Ab, wodurch ein
zu langer vers entstand. D bessert diesen durch stärkere
Umarbeitung: ich kan daz wol bewam (, dae ich im so nahen
nimmer sol gevam, dae ich inicht enfurhte etc.), Lachmann
yei^sucht es auf andere weise.
1303, 4. 1304, 1. An dieser stelle hat Lachmann die les-
art B in den text gestellt, die lesart A aber verworfen und
dies mit vollem recht; nur dass wir hier eine änderung nicht
von A allein, sondern der urhs. ADb haben. Die einen fehler
enthaltende lesart von B ist sicher schon der B und ADb
gemeinsamen quelle zuzuschreiben, da die änderung von ADb
sich nur aus der lesart von B erklärt. Die ursprüngliche
lesart wird entschieden im anschluss an JIC und d sein: ich
tonen man alle ette bt vroun Kriemhilde vant Den herren
IXetrichen und ander manigen degen (vgl. Paul, Beitr. 3, 474).
Wie der in B stehende fehler M dem Kriemhilde vant ent-
standen ist, ist freilich schwer zu sagen, sicher aber ist, dass
ADb von diesem fehler aus die naheliegende Verbesserung
machte bi dem kunige Kriemhilde vant, wodurch freilich der
vers ungelenk wird. So lesen Ab, D ändert auf grund der
lesart ADb den vers in Eteeln bi K v, (die lesart Db* ist hier
durch b als mit A stimmend ganz sicher). Und consequent
änderte dann ADb in 1304, 1 den accusativ in den nom.: Der
herre D. und under manic degen {Her D. der herre D). Wenn
K. Hofmann (Z. textkritik s. 75) hier gegen Lachmann von der
lesart ADb ausgehen will, so wird das schon dadurch zurfick-
gewiesen, dass B zwar in 1303, 4 zu ADb stimmt, dagegen in
1804, 1 doch den acc. hat, also entschieden ursprünglicher ist
als ADb. Denn wäre B aus A corrumpiert, so wäre der zu
JlCd stimmende acc. unbegreiflich. Aber auch der sinn ist
von Lachmann richtig, von Hofmann falsch gefasst worden.
Denn es handelt sich hier gar nicht um Etzel und Eriemhild,
sondern darum, dass aus mangel an platz das gefolge Etzels
weiterhin aufs land quartiert wird, während Dietrich und
seine leute in der nähe Kriemhilds, also in der stadt bleiben.
— Wir haben also hier eine evidente beweisstelle für die
aus anlass des fehlers der vorläge von ADb + B ändernde hs.
ADb*
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42 BRAUNE
1433, 1—3. Für diese stelle hat schon Bartsch, Unterss.
s. 179 f. vollkommen richtig ausgeführt, dass das original
rührende reime bot, also nach BdJK: Urloup genamen heten
die boten nü von dan \ von toiben und von mannen, vrcelich sie
dö dan \ fuoren ums in Swäben. Dieser rührende reim ist von
C* verbessert worden, indem das erste dan beseitigt wurde,
durch von wibe und von man, welches aus 2 a in Ib genommen
wurde. Aber auch der Schreiber ADb nahm anstoss an dem
rührenden reime, formte jedoch den zweiten vei-s um. Er
schrieb von toiben und von mannen {von m, und von wtben A) |
vroßlick als ich nu gesagen kan (so A, | als ich [euch D] gesogen
kan Db). A hat hier in 2 b sicher die echte lesart ADb be-
wahrt wegen des vrcelich, welches durch die übrigen hss. ge-
deckt wird, aber den zweiten halbvers in ADb so überlud,
dass Db"*" besserte. Das als ich [nu] gesagen kan ist eine flick-
phrase, von ADb klärlich wegen des rührenden reims ein-
gesetzt. Lachmann gibt die stelle als fehlerhaft zu, dichtet
sie aber selbständig um.
1553,1. Dö begonde er ruofen Danewarten an BdLCa.
Hier setzte hs. ADb* im zweiten halbvers vü vaste zu, wo-
durch der vers gestört wird: Dö begonde er ruofen Danewarten
vil vaste an. Die urhs. der gruppe Db* die hier am treuesten
durch N vertreten wird, suchte zu bessern, indem Hagene statt
er — Daficwarten eintrat: Do begunde ruofen Hagene vü vaste
an. D und b setzen das (vil) vaste wider anders (s. oben s. 12).
Lachmann ändert selbständig.
1694, 2 a. Ejg tourden mtne gisel \ zwei wmtUckiu hini
BdJ.Ca. Der erste halbvers lautet in ADb verstümmelt cm
wären wol (Ab: in D wird versucht zu füllen: ea wären ua
der mäzen). Lachmann lässt hier die Verderbnis stehen.
1988,3b. durch sinen helmhuot BJd.Ca = durch sinen
(den A) helm(e) guot ADb. Hier schreibt Lachmann gegen
ADb helmehuot-, mit recht, denn das altertümliche heimkuot
(vgl. Kaiserchronik 14609) ist ein seltenes wort, für das ADb
leicht heim guot einsetzen konnte. Gegen alle hss. sdireibt
Lachmann 2214, 1 üf den helmehuot (heim guot hss.), was kaum
zu rechtfertigen ist, da guot als epitheton für heim für NL fest
steht (vgl. 2296, 3. 1969, 3. 1791, 3. 2220, 2) und die Schreibung
helme in A nichts beweisen kann.
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HANDSCHBIFTENyEBHALTNISSE DES NIBELUNaENLIEDES. H. B. 43
1994, 3. 4. Hier ist 3 b wan ich lüzel schaden hän ADb
sowol metrisch schleppend, als dem sinne nach schief, zndem
tautologie mit 4b: noch vil kleine getan (so Ab, D ändernd
nocJ^ vil wenic iht getan) ADb = schaden kleinen noch getan
BJd.Ca. Dass ADb in 3 b geändert hat ist sicher, aber zweifel-
haft könnte man über das original sein. Vortrefflich ist üf
Häwartes man Jd, worauf auch C* {uf in und fnanigen man)
zoriickgeht. B hat als ein unvereaget man, was nicht sehr
plausibel ist, aber jedenfalls in Übereinstimmung mit JdC be-
weist, dass ursprüngliches reimwort von 3 b man war. Den
geläufigen reim man : getan zu beseitigen konnte für ADb
wol nicht grund der änderung sein. Ich möchte mich doch
dafür aussprechen, dass üf Häwartes man das echte ist, dass
aber in der hs., auf welche ADb und B zurückgehen, eine
lücke oder Verstümmelung war, dass also ich hin dir erste er-
mrnet . . . man vorlag, woraus ADb und B jede anders änderten.
2201,3a. Für heiz ich BJ.Ca haben ADb hiea ich, was
auch Lachmann als fehler beseitigt.
303, 1. Ich sol in immer dienen. Statt dieses in, welches
auf die brüder sich bezieht, hat ADb fälschlich beziehung auf
die zuletzt genannte Kriemhilt angenommen und iu eingesetzt
{ew b, iuch A, euch D). Lachmann schreibt hier mit den
übrigen hss. in. Nur b hat auch v. 3 consequent eurem statt
ir gesetzt.
477, 4. sie füerent segele rtche, die sint noch wizer danne
der (ein JC) sni BdJ.Ca. Wenn hier in ADb wtze statt riche
steht, so ist das doch klärlich ein durch das folgende u?izer
veranlasstes versehen. Vgl. 917, 3 in JQ zwei wiziu pantel
statt zwei wildiu p. nach in zwein wtzen hemden 917,2. Schon
M. Bieger s. 101 gab das zu, während Lachmann und nach ihm
Eonr. Hofmann s. 86 unnötig conjicieren.
1020, 4b. des wcere Kriemhilde not BdJ. In ADb ist mir
eingeschoben: des w, mir Kr. n. Lachmann (varr.) erwähnt
nicht, dass mir auch in A steht. Die änderung in 0 des wosr
mir armen wibe not (vgl. 1018, 2) ist natürlich davon ganz
unabhängig, aber von der gleichen tendenz veranlasst, vgl.
Bartsch, Unterss. s. 300.
1111, la. Do sprach der marcgräve BdJ.Ca. In ADb ist
Büedegir hinzugesetzt, das auch von Lachmann gestrichen wird.
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44 BRAUNE
1148, 4. an smu ir wöl gelunge, dae solt {soldet B) ir un-
gevehet län BdJ.Ca. Das seltene, nur hier belegte ungevehet
beseitigte ADb. Vielleicht hat A das ältere mit dem misver-
ständnis daa soldet ir h eitlen län, woraus erst Db das allen-
falls passende, aber immer noch schiefe c2a^ sult ir ir geliehen
län machte. Doch könnte auch Db die lesart von ADb be-
wahren und A die geläufige Verbindung beliben län eingesetzt
haben. Lachmann conjiciert im anschluss an Db.
1342,3b. des miiese ich vreude hän BMdJl.Ca. Hier hat
offenbar ADb verlesend statt vreude das unsinnige viende ein-
gesetzt, welches in A geblieben ist Daraus bessern Db ere,
was wenigstens einigermassen passt. Das richtige vreude hat
Lachmann in seinen text gesetzt.
1382, 3. und allee ir gedigene, die mäge und auch ir man.
Hier hat die hs. ADb statt mäge fehlerhaft magt eingesetzt
So steht sowol in A als in Db. Wenn N mctge hat, so ist
dies bei dem oben s. 7 ff. festgestellten Verhältnisse dieses frag-
ments zu Db notwendig Verbesserung. Ueber eine ganz gleiche
entstellung im Lohengrin s. Beitr. 10, 136.
1401, Ib. sprach Hagene, swes si jehen BdJKla. Hier ist
in ADb ein den vers überladendes halt eingeschoben. So in
ANb; D macht habnt gejehen aus halt jehen. Lachmann will
sprach Hagene streichen.
1448, Ib. Statt Ober hat A ein unsinniges üjser, während
in Db üf steht, letzteres wol besserungsversuch des schon von
ADb'^ herrührenden tieer. Lachmann schreibt mit den übrig^i
hss. über.
1497, 3. nu nemt hin vriuntüche hiute (hiut den 1) ndnen
solt Bdl. J fehlt hier, C* ändert stärker, die lesart hiute er-
scheint genügend gestützt durch die Übereinstimmung von BdL
In ADb fiel hiute aus, Db ergänzen den in A beibehaltenen
zu kurzen halbvers zu herre minen solt, Lachmann und nach
ihm Bartsch ändern nu nemt vriuntliche hin minen soU.
698,3a. Sivrit der min sun Bd, Sivrit der sun min J
(C* abweichend). In ADb Sivrtt min sun ist das der aus-
gefallen, wodurch der vers verstümmelt wird. Lachmann
schreibt zwar für sun das grammatisch fehlerhafte sune (vgL
Beitr. 9, 548 ff.), der vers wird dadurch aber doch nicht
richtig.
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HANDSCHSIFTENVERHALTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES, n. C. 45
1151, 3. dcus mr geriten nimmer (immer Ca) BdJ.Ca. In
ADb daa mr niht (nimmer D) kamen ist daraus ein yerstüm-
melter halbvers gemacht, den zwar Lachmann wegen vieler
ähnlicher fehler in A nicht beanstandet, der aber doch so sehr
dem rhythmns der Strophe widerspricht, dass die Verderbnis in
ADb nicht zweifelhaft sein kann. Vgl. über diesen pnnkt
weiter unten cap. m. B.
1159. 3. Die (Da B) bäten minnecliche trasten si ir muot
(si den muot Ca) Bd.Ca. Die bäten si m. tr. iren m. J = Si
bäten (bätens Db) minneclichen (innecUchen b) und trösten ir
den muot ADb. Hier geben beide lesarten guten sinn. Aber
es lässt sich nachweisen, dass ADb* unursprfinglich ist. ADb*
hat die schwierigere construction (si object zu Uten) deshalb
misverstanden, weil der inl trösten (diese ältere Schreibung
ohne nmlaut noch in den alten hss. BC) fälschlich als praete-
ritum aufgefasst und deshalb und eingefügt wurde. Das nach
dieser änderung im ersten halbvers fehlende object ergänzte
erst Db*. Auch einzelnen Schreibern der hauptgruppe scheint
die Stellung des objects si Schwierigkeiten gemacht zu haben:
J stellt si hinter bäten, B dagegen macht si zum subject von
bäten durch änderung des Die in Da, Wäre ADb die ältere
lesart, so wäre kein misverständnis möglich gewesen und die
änderung unverständlich.
1309. 4. s6 si durch Kriemhilde alle heten (hie Cad) getan
(heten alle getan B) Bdl.Ca = die durch Kriemhilde willen
alle wurden (wurden alle A) vertan ADb. Dass hier ADb
unursprünglich ist, wird dadurch erwiesen, dass der wirkungs-
volle gegensatz zwischen si — alle und v. 1 ouch gab ir nie
deheiner euo sin selbes höchgejnt vernichtet ist. Es werden
die recken Etzels gepriesen, wie freigebig sie sich zu ehren
der hochzeit ihres königs benahmen: 'auch nicht einer von
ihnen gab zu seinem eignen feste so grosse gaben, wie sie
alle hier zu Kriemhilds ehren gaben.'
C) Durch die soeben besprochenen 25 stellen ist nach-
gewiesen, dass ADb in fibereinstimmenden lesarten entschieden
änderung des in den übrigen hss. bewahrten originalen haben.
Abgesehen von den vier letzten stellen hatte auch Lachmann
überall anerkannt, dass der in A (und Db) stehende text
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46 BRAUNE
fehlerhaft sei und hatte so oder so geändert. Es ist also jetzt
zuzugeben, dass die durch die oben unter A) gegebenen bei-
spiele bezeugten näheren beziehungen von A und Db auf einer
zwischenhs. beruhen, die nicht das original, sondern selbst
schon eine abgeleitete hs. war.
Ich führe im folgenden noch eine weitere reihe von stellen
auf, in denen ADb zusammenstimmen* Wir werden hier überall
jetzt in ADb die secundäre lesart sehen müssen.
312,2. die unsem widerwinnen die tceUent riten vruo
= die ufisem gesie wellent riten morgen vruo Db, unser geste
wellent morgen riten vruo A. Ob hier A oder Db die genauere
lesart ADb bewahren, ist nicht zu entscheiden^ die einheitlich-
keit der lesart ist aber klar: ADb ersetzte widerwinnen durch
das kürzere geste, weshalb wellent in den ersten halbvers ge-
nommen und im zweiten zur füllung morgen zugesetzt wurde.
Danach werden wir auch für 140,2 annehmen dürfen, dass
nicht erst A, sondern schon ADb widerwinnen durch viende
ersetzt haben, da wir eben für 140,2 den text Db* der Not-
klasse nicht besitzen. Das wort widerwinne ist entschieden
ein altertümliches und veraltendes wort: es ist ahd. im frän-
kischen Otfrid belegt, im 12. jh. findet es sich noch ausserhalb
der bairisch-osterreich. ma. bei Lamprecht, in Hartmans Credo
und im Lanzelet. Nach 1200 dagegen steht es nur nodi in
bair.-östr. quellen (vgl. Denkmäler 2», 250. Gerade in den dem
Nibelungenliede zeitlich und örtlich nächststehenden dichtnngen
wie Biterolf, Klage (298), Kudrun, kommt es vor, immer nur
vereinzelt: es ist von vornherein wahrscheinlich, dass es auch
zum Sprachschatze des Nibelungendichters gehört« und dass
der Schreiber ADb das in vielen gegenden schon abgestorbene
wort als unüblich beseitigte, — viel wahrscheinlicher, als dass
statt des üblichen viende oder geste das altertümliche wort
eingesetzt sei. In C* allerdings kommt es noch zweimal mehr
vor, ein beweis, dass der Verfasser von C* dem sprachkreise
angehörte, in dem das wort noch gebraucht wurde. Die beiden
fälle in C* stehen übrigens dicht hinter den beiden des Ori-
ginals: 149, 4 und 315, 2. Schon Laistner s. 5 hat richtig ge-
urteilt, dass der Verfasser C* hier durch die kurz vorher-
gegangenen fälle des Originals 140, 2 und 312, 2 veranlasst
worden sei, widerwinnen (für vienden) einzusetzen.
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HANDSCHRIFTENYERHALTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES, n. C. 47
317,4. ez enwart nie degen nochmire geurloubet bcuf Bd.
Diese lesart des Originals, welche ein allgemeines urteil ent-
hält, gab durch ihren Singular degen in hinblick auf den vor-
hergegangenen plural (urloub si alle nämen etc.) anstoss zu
änderungen: in JC unter beibehaltung des ez enwart und Ver-
setzung des degen in den dat. plur.: ejn enwart von degenen
noch nie geurloubet bae J, essnwart noch nie degenen mire g. b. C.
In ADb dagegen wurde auch das verbum plural: ejs enwurden
nie degene [noch D] mire geurloubet baz ADb.
348, 2 da in beiden BdC = [da D] von in beiden ADb. Die
änderung auf selten von ADb ist dem zusammenhange nach
leicht begreiflich. Auch J ändert den dativ in eine praepo-
sitionale Verbindung (an in),
634,4. Hier ist zwischen ADb und den übrigen hss. ein
sachlicher unterschied. In ADb wird den rittern geschenkt
{die herren die dar körnen, die schieden vrcelichen dan), in
BJd.Ca dagegen den fahrenden leuten: die du gäbe gerten BJd
(die gäbe nemen wolden Ca), die etc. Und dem entsprechend
lautet V. 3b in ADb: vil manigem werden man Db (manegen
hüenen man A) = vil manigem varnden (vremdem B)
man BJd.Ca. Im Nl. kommt am Schlüsse von festen beides
vor: schenken an fahrende 42, schenken an ritter 316 (wo
allerdings das schenken Günthers als siegeslohn zu fassen ist).
An andern stellen ist es unbestimmt gelassen: es können fah-
rende und ritter gemeint sein (vgl. die Zusammenstellungen
von Kettner, Zs.fdph. 16, 50 f. 17,140fL). — Wir werden also
unseren sonstigen ergebnissen folgend auch hier ADb als das
secundäre betrachten. Dann ist in 3 b werden Db die lesart
von ADb, dem varnden des Originals zunächst stehend; auch
vremdem in B muss aus varnden verschrieben sein, da ja in
4a B die für die fahrenden charakteristische phrase die da
gäbe gerten teilt. Vielleicht hat vremden B auch ADb voran-
gelegen und die änderung des vremden in werden ADb zog
dann die entsprechende Umformung von v. 4 nach sich.
656, 3a. (waa goltvarwer gSren ir ingesinde truoc\ perlen
und edel gesteine \ verwieret wol darin BdJ (C* anders).
Aus perlen änderte ADb — vielleicht verlesend — p feile und
edel gesteine. So Db. A widerum änderte pfelle in borten
(vgl. smaräde üf die borten verwieret Willeh. 60, 8. 154, 15).
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48 BRAUNE
Dass die originale lesart in BdJ liegt, ist von vornherein
wahrscheinlich (so auch Laistner s. 34), vgl berkn mit edel
gesteine verwieret in goltvarwe geren j. Tit (Mhd. wb. 3, 625 a).
Die lesarten von Db und A sind syntaktisch auffällig: borten
(pfelle) asyndeton zu goltvarwer geren, durch die entstehung
der lesart genügend zu erklären.
669, la. 8i versuochte an dem künige BdJ = S. v. an den
künic ADb, wodurch der rhythmus verschlechtert wird (vgl.
oben s. 45 zu 1151, 3).
759, 2 b. toan sin unde din BdJ = wan din unde sin ADb
in rührendem reime auf wie hunde daz gesin. Bartsch, Unterss.
s. 179 meint, der rührende reim sei vielleicht das echte. Aber
wenn ADb 1433 rührenden reim beseitigt hat (oben s. 42, vgl
auch die folg. stelle), so kann andererseits ebenso gut eine leichte
auf nachlässigkeit beruhende Umstellung in ADb hier einen
übrigens vollständig erlaubten rührenden reim hervorgerufen
haben; etwas entscheidendes lässt sich freilich nicht beibringen.
1014,4. durch mtnes sunes liebe: des sült ir äne jswivel
{gar an angest Ca) sin Bd.Ca {daz wizzet üfdie triutce min J).
Statt der bekräftigenden formel führt ADb im zweiten halb-
vers den satz des ersten weiter: dur(^ mines sunes {iwers
mannes A) liebe ADb | und durch des edelen hindes din Db,
und des edelen hindes sin A. In Bd.Ca liegt hier rührender
reim vor auf ich wil iu wcege sin, der in J beseitigt ist durch
einsetzung einer anderen Versicherungsformel, während ADb
so änderte wie Db noch haben. In A wurde die ganze stelle
stärker geändert: 3b ich tuon iu triuwen schin, wobei dann das
din von ADb durch nahe liegenden zufall wider in sin um-
gesetzt wurde (vgl. Bartsch, Unterss. s. 179 und unten s. 73).
1061, 2 b. 3. defi schätz [den Bd] hiez man d<m \ tragen zuo
dem sewe {scheffe B) | an diu schiffelin BdJ. In ADb wurde
der inf. tragen in den vorigen vers zum regierenden verbum
gesetzt, ausserdem in 3b guoten zugefügt. Es hiess also in
ADb: den schätz hiez man tragen dan \ zuo dem siwe an dm
guoten schiffelin. So Db, nur dass D den kurzen v. 3a er-
weitert zuo dem wilden sewe, welcher in Ab unverändert ge-
blieben ist. In A wurde dann der überladene halbvers 2a
geändert in den schätz si truogen dan. C* ändert die stelle
in seiner weise freier.
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HAm>SCHRIFTENVERHALTNIS8& DES NIBELÜNGEKLIBDES. II. C. 43
1110, 2. stt daz wir ir hceren \ so maniger (großer Ca)
eren jdien Bd J.Ca. Hier hat ADb das hceren an eine ge-
läufigere stelle gesetzt: stt \daz Db] wir ir so maneger \ iren
hosten jeken. Dadurch ist aber die richtige caesur zerstört.
Denn trennung des attributiven adjectivs von dem folgenden
Substantiv ist bei der Selbständigkeit der halbverse nicht ge-
stattet. In A allein ist dieser fehler durch nachlässigkeit des
Schreibers oder durch änderungen öfter herbeigeführt, vgl.
333,2(auslassungdesÄer), 402,2. 470,2. 636,1. 1030,4. 1530,2.
1933,1.0
1160,1. Überwinden Jcunde \ niemen do daa toip. Von
ADb war niemen fälschlich zum ersten halbverse gelesen,
weshalb der dann zu kurze zweite durch einschiebung von
edele gebessert wurde. Auch J hatte diesen lesefehler be-
gangen und schrieb daher daa reine wip,
1183,3a. (dojB aUiu diniu leit) der künic Eteel s wende
(swendet J) BdJ.Ca = d. k B. wende (wendet D) ADb. Das
eigentümlichere swende ist in ADb zu dem gewöhnlicheren
wende geworden. Ebenso hat h hier wendet aus swendet J
abgeschrieben.
1325,3 a. dojs nie diu vrouwe HeUhe BdJ.Ca = daz diu
vrouwe Helche nie ADb (Umstellung des nie, nicht eben falsch,
aber doch weniger gut).
1389, 2b. woere nie beMnt B*C*. In ADb* ist mSr zu-
gesetzt: wcer nie mer bekant A, nie wcere mer 6. DNb.
1393, 3b. durch ir fugende muot BdJ (durch tugentlichem
muot \ ganz anders C*). Der gen. tugende, den 1 beseitigte,
wurde auch in ADb* geändert: durch ir tug enthaften muot
ADNb.
>) Die einzige stelle, wo vielleicht der archetypns eine solche falsche
caesur aufwies (1713,3), leidet an einem sachlichen fehler, so dass eine
yerderbnis hier sicher anzunehmen ist. Vgl. über diese stelle unten cap. vi.
— Der Yon Bartsch (gegen Lachmann) mit falscher caesur angesetzte vers
2043, 4 ist anders zu beurteilen, ygl. unten s. 94.
Es ist darauf hinzuweisen, dass auch in der alliterationspoesie das
attributive a^jectiy von seinem Substantiv nur bei alliteration beider teile
durch die caesur getrennt werden darf, so dass Verstellungen, wie sie von
Lachmann und andern angenommen sind {vm scal mih suäsat \ chitid auertu
kauwan etc.) jetzt aUgemein als unmöglich anerkannt werden. Ygl. Bieger,
Zb. fdph. 7, 43; Sievers, Altg. metrik s. 47.
Beiträge zur geschichte der deuUchen spräche. XXV. 4
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50 üBÄinnB
1440,1a. Er sprach: der harn xer spräche Bda. Statt er
sprach hat E das synonyme er jacJi. Dieser Singular konnte
zu änderungen veranlassen. Denn auf Eriemhilds frage an
Werbel und Swemltn antwortet nach diesem er sprach zu
schliessen nur einer. Deshalb machte J si jähen aus dem er
jadi von E; unsinnig ändert 1: der hünig der kom ze ^präefte,
da es sich um Hagen handelt In ADb dagegen ist er sprach
einfach gestrichen.
146a, 2b. Die originale lesart ist ee hus si heten län BdE
(J fehlt liier). In ADb* fiel das subject si aus. Aus dem m€
hüs heten län der vorläge besserten die einzelnen has. ver-
schieden: A die heime heten län, b £e haus heten si län, D die
hus heten Verlan (wobei sdnene vramcen subject wird).
1491, Ib. daz im niht dienen Mom = doM er nilU [«u Db]
dienen mm ADb. Diese stelle in ADb wäre der einzige fall
persönlicher constmction von zemen im NL
1641,4. diu truoc er da gen Hiunen vü harte herUeke
sint BJd, truoc vil herlichen sint C, truoc mit grdäen iren simt a
(ähnlich 1). In ADb ist vrölichen für herltchen eingesetzt (t^
vr. sint A, harte vr. sint D, vr, sint b), offenbar gedankenlose
änderung nach dem muster anderer stellen, wie 1606, 4. 1647, 3.
Denn dass Dancwart die ihm geschenkten kleider am Hunnen-
hofe fröhlich getragen habe, ist doch unpassend. Ganz ähn-
lich setzt A allein vrwliche fttr richtiges MrUche ein 1876,4,
wo Lachmann dann vrevelUdie conjicieren will. Wie an unserer
stelle wird in b ohne r&cksicht auf die zukunft geändert 1623,4 b
genÖ0 in verdroe.
1693, 4. Helche diu getriuwe was im innedichen hoU Bd J.Ca
= durch daz er getriuwe was, was ich im von herzen hoU ADb*
(A ändert den zweiten halbvers wol wegen der aufeinander
stossenden zwei was in des muoz im wesen ich hoU, D stellt
um was getriuwe). Der Verfasser von ADb beseitigte die ihm
unnötig scheinende erwähnung der Helche. Die umgekehrte
änderung wäre unverständlich.
1713, 2. swer sin selbes hüete, der tuo daz enzU BJEd.Ca.
In ADb ist statt des einfachen conjunctivs hüete eine infinitiv-
verbindung mit wellen eingesetzt (vgl 1146, 1 oben s. 40 f.), wo-
bei es dahingestellt sein mag, ob der ind« in A (swer sin selbes
hüeten wü), oder der conj. in Db {swer stn selbes h. wollh^
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HANDSCHBIFTENVERHlLTNISSfi DBi NIBELUNOENLI^DBS. n. D. 5l
staer weüe sin s. Meten D) die ursprüngliche lesart von ADb
war. In A ist ausserdem der zweite halbyers geändert; Lach-
manns versteflung^ wonach ml von seinem inl getrennt und
zum zweiten halbvers gezogen wird^ ist nicht zu fauligen.
1921,4b. gevriden niemen enkcm BJ.Ca. In ADb ist um-
gestellt und damit die beliebte rhythmische form des zweiten
einsilbigen takts zerstört worden: niemen gevriden Jean A: den
so entstandenen ersten einsilbigen takt beseitigen Db durch
einschiebung von wol.
1965,4a. nu brinc mir min geworfen BJd.Ca. In ADb
ist der sing, hrir^i durch den nahe liegenden plural bringet er-
setzt {n& fehlt in A).
2229, 3b. komen durch {in J) den sal BJ, und darauf be-
ruhend den pälas jsende komen Ca. In ADb ist den sal durch
dag fval ersetzt, welches wort sonst in den Nib. nicht vor-
kommt.
2305,1b. diu rede ist gar verlorn BJKCa. Statt rede
setzen ADb hier weniger passend hete ein. Umgekehrte ver-
tauschung beider worte findet sich in A 1838,2 a.
Dieser aufzählung fftge ich endlich eine stelle an, die einzige
in welcher die übereinstimmende lesart ADb wol als die des
Originals bezeichnet werden darf: 476,4 si komen weiger-
Uehen in dag Brünhilde lant Aber hier gehen die übrigen
hss. sehr auseinander: tcaydeliche d, tcunnediche J, ritterliche
BCa. Es haben also hier wol die einzelnen hss. weigerliche
beseitigt^ das übrigens 1822, 1 in allen hss. steht (vgl Bartsch,
ünterss, s. 207).
D) Zu der gruppe ADb treten nun aber auch noch frag-
mente. Ganz bestimmt L und g, von denen L freilich nicht sehr
umfangreich ist; es enthält str. 1505, 4 — 1532, 1 im Zusammen-
hang und aus der partie 849—1016 einzelne, meist kleine,
bruchstücke, im ganzen etwa den umfang von 53 Strophen.
Aber das umfangreichere fragment g ist abschrift aus L und
enthält 1188,3 — 1292,2. 1499,4-1551,2. 1577,2 — 1627,2.
2216,2 — 2229,2, also ungefähr 220 str. Wir haben so von
dem texte Lg, da das zusammenhängende stück von L in das
zweite fragment g fällt, im ganzen etwa 247 str. Dieser text
Lg tritt nun in den entscheidenden stellen auf die seite von
4*
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52 BHAÜNE
ADb gegen die übrigen hss. Und zwar gehört der text Lg
weder zu dem texte Db, dessen specielle änderungen er nie
teilt, noch zu dem ebenfalls scharf aasgeprägten texte A^ son-
dern er bildet ein selbständiges drittes glied, welches also
direct auf die urhs. der gruppe zurückgehen muss.
Die beweisenden stellen, in denen g(L) mit ADb gegen
die übrigen hss. stimmt, sind:
1211,3. daz ez wol hundert moere ninder künden tragen
{woX\ sehs Ca; mohten nit getragen J) BdJ.Ca = ez enkunden
hundert moßre dannen niht getragen ADbg, wobei A mitUe statt
moere eingesetzt hat.*)
1236. 3 a. 5i Uten gegen den gesten {gesten fehlt B) BdHJ.Ca
= si Uten holde Ab, und si Uten balde D, st Uten holde und
sere g, wobei Ab die urlesart ADbg bewahren.^)
1250.4 a. da wart vrouwen dienest BdJH = den vrouwen
wart dö (da D, fehlt b) dienest ADbg.
1290, 2. zwSne fürsten riche . . . | W der vrouwen gende
truogen ir diu kleit (gende truogen iriu kleit B, giengen, die
truogen ir diu kl d, giengen und truogen ir diu kleit J, giengen
und höhten ir diu kleit Ca). In ADbg 3) steht riche kleit statt ir
diu kleit, wobei D giengen die hat (wie dJCa), in notwendig zu-
fälliger Übereinstimmung, da durch Ab g6nde als lesart von
Db* erwiesen wird. Die lesarten von ADbg einerseits und
der übrigen hss. andrerseits zeigen eine bemerkenswerte sach-
liche abweichung, insofern truogen ir diu kleit auf das tragen
der schleppen geht. Schleppen waren im 12. jh. schon durch-
aus üblich (vgl. Schultz, Höf. leben 1, 199 ff.). Konrad Hofmann
s. 74 bezweifelt, dass das tragen der schleppen vor dem 13. jL
vorkomme. Gegen 1200 muss es nach ausweis unserer stelle aber
jedenfalls bekannt gewesen sein. Das riche in ADbg ist (wie
oft in ähnlichen fällen in einzelnen hss.) nach fürsten riche
des vorhergehenden verses verschrieben worden.
>) Das wort mül kommt im Nl. nicht vor; doch hat ehenso 1631,2
die hs. D mitUe statt mcsre geschrieben. Vgl. Bartsch, Wörtcrh. a. xu.
') Möglicherweise ist die Verstümmelung in B die lesart der ADb*
und B gemeinsamen quelle, so dass die änderung ADb* dadurch veranlasst
wäre.
^) Dass g hier wie ADb hat, ist in Lachmanns und Bartschs Varianten
nicht angemerkt.
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HANDSCHBIFTENVERHALTNISSE DES KIBELONaENLIEDES. n. D. 53
1531, 4b. wir werden sicherliche bestdn BHd.Ca = mr
werden scherUch(e) bestän AD, w. w. schedelich b. bLg,
Hier haben AD die lesart der grundhs.; scherliche kann ja 4n
scharen' bedeuten (Lexer s. v. scharliche), ist aber sehr selten
und hier entschieden aus sicherliche verschrieben. Die hss. b
und Lg haben unabhängig von einander scherliche in schede-
liehe verbessert, was nahe lag, vgl. die folgende str. 1532, 4.
Lachmanns conjectur schierliche wird schon von Bartsch (Unterss.
S.67) mit recht verworfen.
1537, 3. 4. in starken urliugen, vil ungefüegiu her, der
körnen Gelpfräte wol siben hundert oder mir. So B. Diese
stelle macht der beurteilung grosse Schwierigkeiten. In Hd
(J fehlt hier) und Ca steht in v. 3 sSr statt her-, alles übrige
stimmt. Dagegen ist in ADbg das erste reimwort schar, und
3 b lautet (mit änderung der adjectivform) vil ungefUege schar
und dazu 4 b wol siben hundert ze helfe dar. Dieser halbvers
ist in seinem zweiten takt etwas überladen, weshalb Lachmann
statt hundert die für das Nl. immerhin unwahrscheinliche ver-
altete form hunt conjicieren wollte.^) Jedenfalls dürfen wir mit
Lachmann annehmen, dass die fassung von 4b, welche ADbg
haben, unursprünglich ist. Wir werden aber scUiessen, dass
ze helfe dar nur eingeflickt ist, einem im vorigen verse ein-
getretenen schar zu liebe, während die lesart von BHd.Ca
siben hundert oder mer so sehr dem Sprachgebrauch des Nl.
bei zahlangaben entspricht,^) dass diese auch metrisch un-
anstössige lesart notwendig das ursprüngliche sein muss. Dieses
ze helfe dar in v. 4 b ist also sicher eine änderung der grundhs.
ADbg. Das schwierige ist nur, die ursprüngliche reimform von
3 b zu bestimmen.
Bartsch hält ser für das echte und meint, es sei dafür
fälschlich sar geschrieben, welches dann von ADbg als schar
») Vgl Bartech, Unterss. s. 191 und Weinhold, Bair. gr. >. 264, Mhd. gr.»
B. 339. Mag das schon im anfang des 12. jh.^s veraltete hunt sich in ein-
zelnen gegenden noch länger gehalten haben, so ist man doch nicht berech-
tigt, es ohne weiteres in jedes spätere denkmal hineinzusetzen, das sonst
stets hundert hat
*) Vgl. die bei Bartsch, Wörterbuch s. 239 zusammengestellten zahl-
reichen fälle von oder bei Zahlwörtern vor comparativen (z. b. hundert oder
haz 1559, fünfhundert oder mere 1935 etc.).
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54 fiRAUNB
verstanden worden wäre (Unterss. s. 64. 73. 191). Er nimmt
Mso wol an, dass das her in B, welches allerdings auf rasnr
steht, conjectur sei ffir ein sc^r bez. sar der vorläge. Dann
mttsste man also annehmen, die grondhs., anf welche nicht
nur der zweig ADbg, sondern auch B zurückgeht, habe statt
ser fälschlich schar (aar?) eingesetzt, in 4b aber die richtige
fassnng noch belassen. B habe dann, um den reim herzu-
stellen, für schar das synonyme her eingesetzt, während ADbg
den folgenden reim änderte. Es lässt sich aber auch die mög-
lichkeit denken, dass die fassung B das ursprüngliche bOte.
ADbg haben ungefUege schar, B dagegen ungefüegiu her (zu
ungefUegiu ser stimmend). Hätte B in seiner vorläge ungeßiege
schar gefunden, so würde er wol auch den sing, ungefüege her
beibehalten haben. Ist ungefüegiu her B das echte^ so konnte
der reim her : mir anlass zur änderung geben.O So hätte Hd
(G*) ungefUegiu ser eingesetzt mit änderung des Sinnes, ADbg
dagegen hätte dann sinn bewahrend ungefüege schar geschrieben
und dann auch den folgenden reim geändert. — Jedoch möchte
ich mich lieber für die erste auffassung entscheiden w^en der
rasur, auf welcher Aer in B steht. B hätte also zunächst sdwir
{sarT) nach seiner vorläge geschrieben und dann dem reime
mer zu liebe radiert und her eingesetzt.
1539,4b. das was vil toisUch getan BHd.Ca. Für tri^-
lieh steht in ADbg williclich, wodurch die im letzten halbverse
beliebte rhythmische form beseitigt wird.
Unbedeutendere Übereinstimmungen von ADbg(L) finden
sich ausserdem 1195,2. 1197,4. 1509,4. 1511,3. Aber diese
können nichts beweisen, da in solchen dingen leicht unverwante
hss. zusammentreffen, wie z. b. 1509, 4 gegenüba^ trurende in
ADbg trüric {truridichen D) steht, aber auch H hat unabhängig
in trüric geändert^ während die nächstverwante hs. d mit den
übrigen trurende liest. Aehnlich trifft 1016,3 J zufällig mit
ADbL zusammen.
Es fragt sich nur noch, ob es stellen gibt, die der engeren
Zusammenfassung von ADbg widersprechen. Dahin gehören
von vornherein nicht solche, in welchen entweder D oder b
mit den andern gehen. Bei der engen einheit der gruppe Db
1) Dem Nl. sind zwar reime a : d sehr geläufig (Presse! s. 13 f.), nicht
ftber e : i (nur Mr : Medegir 2117).
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HANDSCHBIFTENTERHALTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES. H. D. 55
muss dA notwendig zofall yorliegen. Sdcher falle gibt es
zwei 887,4 haben ADL spranc, was ein sehr erklärlicher
fehler, aber als offenbar falsch schon von Lachmann geändert
ißt Diesen fehler wird entweder auch b in seiner quelle yor-
gefenden, aber in spi^ach geändert haben; oder der fehler ist
von den einzelhss. zufällig übereinstimmend begangen, wie
907, 2; wo A, D und J spranc für sprach haben. Etwas auf-
&llig^ ist 1516,4, wo DHdC* haben em woldea doch niht
lägen: äae foas im {in Hd) leide getan, AbLg em woldez doch
nikt laaen, eren het m leide getan, während B oifenbar ändernd:
em tooldee doch niht läzen ir deheinen understän. Was hier
Db* gehabt hat kann fraglich erscheinen. Zunächst könnte
man die ansieht hegen, dass D ändernd zufällig mit RiG*
zusammengetroffen wäre. Aber das wäre insofern auffällig,
als eine ähnliche letzte halbzeüe im Nl. nur noch einmal vor-
kommt (2194, 4 in was vil leide getan). Wahrscheinlicher ist
das umgekehrte. Denn nach einem negierten satze mit Idzen
einen abhängigen satz mit en- folgen zu lassen, war jedem
ttihd. Schreiber so geläufig, dass darauf mehrere kommen
konnten. Ich meine also, dass D hier mit HdC* das original
bewahrt und dass einerseits b, andrerseits A und Lg (diese
vielleicht einheitlich?) in der nahe liegenden änderung zu-
sammentrafen.
Anders wäre es, wenn den fällen der Übereinstimmung
zwischen ADb und Lg entgegen B und den übrigen hss. nun
gleich gewichtige fälle der Übereinstimmung zwischen B und Lg
g^^nüber stünden. Dies ist aber nicht der fall. Die mehr-
zahl der fälle sind ganz leichter zufallsart: 1249, 3 (wortum-
stellung), 1508, 4 (auslassung von hie\ 1514, 4 {den = stnen).
In 1507,3 ist in A und in Db wan weggelassen, ohne dass
der sinn dadurch geschädigt wird, nur dass aus der frage ein
befehl wird {saget ir mir herHagene Db*, saget mir her Hagene A).
Alles dies wird von A und W) zufälliges zusammentreffen sein.
In 1525, 1 {ir soumer ADb, der soumer Lg, die soumer BHda)
stimmt Lg gar nicht zu B, sondern das der ist wol eher aus
dem ir ADb entstanden. In 888, 1 fügen LBd zu Tcurzwtle
das epitheton guoter hinzu (gegen ASDbJ.Ca). Dieses epitheton
ist geläufig (347,4. 1304,4. 1408,4 C*) und konnte von mehreren
zur ausfüllung des hier fehlenden auftakts zugesetzt werden.
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56 DRAU17E
— Aber auch die folgenden übereinstimmimgen von g mit B
lassen sich sehr evident auf walten des zufalls zurfickfuhren.
1243,4 ist in mit ir kam hirliche vil maniges edeln recken Üp
von mehreren hss. der nahe liegende plural eingeführt kamen A,
qimmen Db, auch d hat komen, während H noch com zeigt;
ebenso qiuim g. In der einsetzung des plurals stimmen A, Db
und d zufällig überein, auch Lachmann schreibt gegen A kom,
vgl. seine anm. zur stelle mit hinweisen auf 943, 4. und 1648, 4,
wozu noch zu vergleichen ist, dass 1239, 4 uns wartet vü der
degene BJHG das wartet in wartent umgesetzt ist von ADbg,
von d und von a. — 1266, 4 b vil wol dae Kr. ervant BgJdC.
Hier ist das vil in wie geändert (so dass daraus ein ausrufungs-
satz entsteht) von A, Db, H und a, gewis von allen vieren selb-
ständig, da auch H und a hierin von ihren gruppengenossen ab-
weichen. Damit ganz parallel ist 1596 zweimal vil in wie geändert
und zwar ist in v. 2 vil vorhanden in B und D, in A ausgelassen,
während Jd.bg.Ca wie mit ausruf haben; in v. 4 steht vil AgJBd,
wie Db.J.Ca. — 1518, 3 b vil ßomic was gemuot {genuog g)
LgBHd (C* daraus ändernd) = vil jsomic was sin muot ADb
(vil fehlt D), wobei in ADb die Wortverbindung etwas anders
wird. Im Nibelungenliede ist die Verbindung zomic gemuot
nicht selten (vgl. Bartsch, Wb. unter gemuot), aber auch der
parenthetische zweite halbvers sornic was sin muot kommt
vor (1785, 1. 436, 1. 782, 1), so dass doch wol zwei Schreiber
unabhängig darauf kommen konnten. Vgl. die ähnlichen ver-
tauschungen 593, 3. 769, 4 unten s. 72.
Eher könnte man vielleicht vermuten, dass von den di-ei
gliedern A.Db.Lg der urtext A dem urtexte L etwas näher
gestanden hätte als Db*. Ausser dem s. 55 zu 1516,4 be-
merkten vgl. 849, 4 b Kriemhilt diu kunegin(ne) (vcr)lie alle =
diu schcßne künegin verlie A, diu schcene KriemhiU verlie L;
1524, 2 0UO sinen handen einen helt ALg = einen helt ee sinen
handm BHd.b (D ändert hier zufällig = C* vgl. s. 8); 1535, 4b
grcedtche alle = vreisliche Ag. Endlich 1237, 4, wo das echte
allein B hat: gdp man deti gesten stnt Die übrigen füllen den
vers verschieden aus: Ag gap man den gesten allen sint; Db*
las noch wie B, aber b da den gesten, D den edeln gesten^
HdJ den liehen gesteht, C den edeln gesten (mit D zufällig
stimmend), a den werden gesten.
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HAND8CHBIFTENVERHALTNIS8E DES KIBELUNQENLIEDE8. II. D. 57
Es ist hier nun noch das fragment M zu besprechen, von
welchem freilich nur 36 Strophen erhalten sind: 1329—1364
(= Bartsch 1389—1424). Dass dieses fragment in den kreis
der hss. ADb* und B gehört, ist sicher: an zwei stellen 1334, 2
und 1356, 1 hat M mit B und A einen fehler der urhs. ADbB
erhalten, wähi'end Db corrigiert haben (s. unten s. 62). Wenn
es nun gilt zu entscheiden, ob M sich zur gruppe ADb oder
zu B stellt^ so sprechen doch wol die vorhandenen stellen mehr
für ADb.
1344, 2. 3. diuht ez si niht ze verre, so lüede ich über Ein
swelh ir da gerne scehet her in miniu lant Demgegenüber lautet
V. 3 in ADb.M swelh ir da gerne sa^het \ varn her in miniu lant.
Unter abrechnung von kleinigkeiten {her varn b, her fehlt D,
min AM) stimmen alle vier in dem varn überein, welches hier
an scehet angeknüpft ist, während in den übrigen her zu lüede
v. 2 gehört. Dieses varn ist zusatz: laden mit her (in ditze lant,
ze lande) verbunden kommt auch sonst vor, vgl. 1439,3. 1726, 2.
2038, 3, aber da steht her unmittelbar nach laden, kn unserer
stelle, wo es durch den relativsatz davon getrennt war, lag
das misverständnis nahe, her mit soehet zu verbinden und den
int varn zu ergänzen (vgl. 1692, 4, oben s. 28). Bei weiter ab-
liegenden hss. könnte man sogar zugeben, dass zwei Schreiber
unabhängig auf diesen gedanken gekommen wären. Immerhin
ist es einfacher, nur einen einzigen act anzunehmen und die
stelle als beweis der engeren einheit von ADb und M gegen-
über B zu betrachten. Die folgenden stellen sind weniger
beweiskräftig.
1364,4b haben ADbM unde auch ir beider kint, während
in BdJKl nach beider noch das adj. liebez steht: und ouch ir
beider liebez kint (und otich des marcgräven kint Ca). Beides
ist gleich gut, ohne dass über das ursprüngliche etwas zu ent-
scheiden wäre. — 1357, 3 bitet daz er mir bringe \ her in ditze
lant AbM (in D vil schiere statt her). Das her fehlt in B,
mit im dJ(K)lCa. Hier könnte B mit dem halbverse in ditze
lant wol das echte bewahren. — 1332, 20, der si da was ge-
waltic: das da fehlt ADbM.
Mit B gegen ADb stimmt M in der oben s. 44 besprochenen
stelle 1342,3^ wo M die abweichung von ADb nicht teilt,
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&8 BRATTKfi
Stand in seiner vorläge viende, so mttsste conjector das rich-
tige vreude hergestellt haben. — Auch 1332,4b tritt M zu B:
ob im daa noch immer \ von ir ze leide mähte komen MBdJ
(in J leichte Umstellung). Dagegen ist in ADb von ir weg-
gelassen: ob im daß no6h immer \ ze leide mohte komen ist die
für ADb* zu erschliessende lesart, durch welche der letzte
halbvers verstümmelt wird (D bessert aus).
Der Vollständigkeit wegexL seien noch zw^ stdlen aa-
gefiihrt. 1329,4 gröziu leit BMGa, grozUchiu leit J, grozUch
leit Ay grodtchez leit d. Auch Db* hatte nach ausweis von b
gröziu, D ändert stärker. Beide epitheta von leit sind im NL
üblich. Es können sehr wol A, J und d selbständig gröz durch
grözlich ersetzt haben. — 1341, 3 sdien liezet AMdCa» liezet
sehen B mit f^erhafter caesur, liezet schouwen Db J. Falls
B die lesart des archetypus bewahrte, wären die ändemngen
der übrigen leicht verständlich. Immerhin wäre es auch mög-
lich, dass B einen fehler gemacht hätte und die Umstellungen
in Db und J zufällig wären.
Nach alledem scheint auch M zur gmppe ADb* zu ge-
hören und zwar auf ähnliche weise wie Lg, d. h. es deckt sich
weder mit A noch mit Db, sondern bildet «in selbständiges
glied der gruppe, welches wir nun LgM nennen könnten« Da
Lg und M an keiner stelle concurrieren, so ist freiUch letz-
teres urteil nicht sicher: Lg und M könnten auch unabhängig
von einander sein. Doch wird man nicht ohne not einen vierten
zweig der gruppe ansetzen wollen.
E) Zum Schlüsse unserer behandlang der gruppe ADb
müssen wir nun noch diejenigen mom^te erwägen, welche
gegen die annähme dieser gruppe zu streiten scheinen könnten.
Hier kommen die fälle in betracht', in welchen ein glied d^
gruppe ADb zu einer andern hs. stimmt, während das andere
glied mit den übrigen hss. geht
1) Man hat bemerkt, dass an einigen stellen die hss. A
und B unter ausschluss der übrigen zu einander stimmen, und
hat daraus auf eine nähere verwantschaft dieser hss. schliessen
wollen (vgl. oben s. 24). Die in betracht kommenden fälle sind
an sich schon nicht zahlreich geg;enüber den in den vorij;en
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HÄNDSCHBIFTENVERHALTNISGS: DES KIBELUNGEKLIEDES. II. £. 59
absclmitten besprochenen häufigen ftbereinstimmungen von A
und Db. Aber eine einzelbetraohtung derselben ist doch ge-
boten, da das über ADb gewonnene resnltat es verbietet,
dass A in engeren beziehnngen zu 6, als za Db stehen kann.
Mehrere der fälle beruhen ganz augenscheinlich auf zu-
fälligem zusammentreffen. Sehr häufig sind in den einzelnen
hss. änderungen der Wortstellung, zumal vor und nach der
caesur und da können leicht zwei unabhängige hss. in der-
selben Umstellung zusammentreffen. So 1018, 1 Wie mähte ich
den mit ougen \ immer an gesehen Db.Jd.Ca, dagegen AB
immer \ mit ougen an g. Ebenso 2089, 2 do hüten si sich
beide \ ee füeeen für den man Db.J.Ca = AB ee füezen
(fuoze A) I beide f. d. m. — In solchen fällen ist es nicht zu
entscheiden, wo die änderung liegt. Es kann hier A mit B
umstellend zusammengetroffen sein, während Db die lesart
ADb bewahren. Ebensogut aber kann in Db die Umstellung
vorliegen, die dann zufällig gleichfalls in Jd(C) unabhängig
sich eingestellt hätte. Aehnlich ausser der caesur 1306,3
guotes niht AB = niht guotes, wo für die Umstellung in Db
und in JdC die versglättung als motiv sich darzubieten scheint.
— 2163,3 haben AB stritmüeden man, dagegen DNb.J.Ca
sturmmüeden. Nun werden strit und stürm in den einzelnen
hss. häufig vertauscht, z. b. 258, 4 strite ABd = stürme CDEJb;
225, 1 stHte ABdC = stürme DbJ; 215, 1 Sturmes BJdC =
sMtes ADb (hier gehört Db* noch zur rec. C, ist also mit A
zufällig zusammengetroffen, wie in der vorigen stelle mit J);
244, 4 in dem stnt D = in stürme alle; 843, 1. 209, 4. 1418, 2
etc. Welches adjectiv hier das richtige ist, bleibt unsicher:
sturmmüede steht sonst noch zweimal in allen hss., strttmüede
einmal. Es muss entweder A mit B oder Db mit JCa zufällig
in der vertauschung zusammengetroffen sein. — 2094, 3 dag
lant zfw den bürgen, der sol mir niht bestän AB, statt der
steht des DC, dajs bJa. Hier scheiden sich drei gruppen, jede
aus nicht zusammengehörigen hss. bestehend: der und des sind
gleich möglich; dag steht nur in jungen hss. — 613, 4 Dag
was dem künege Db.JdCa = Dacr was dem künege Günther AB.
Es kann Günther ebensowol von zwei hss. selbständig zugesetzt,
als weggelassen worden sein, doch ist das erstere wahrscheiu-
licher, vgl. 677^ 1,
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60 BRAUNE
In einigen andern stellen, die auch ein zußllliges zu-
sammentreffen mehrerer hss. bieten, kann man mit einiger
Wahrscheinlichkeit das echte erschliessen. 2080, 1 Hin du eage
mcere AB. Statt moere steht bcese DJCa, stärker ändert b
hin du lügencere. Hier dürften AB das echte bewahren. Denn
hcßse ist das gewöhnliche epitheton zu mge und wird im NL
in zwei anderen stellen von allen hss. geboten: es la^ nahe,
dass mehrere unabhängig für aage mcere das geläufige scige
boese einsetzen konnten. D ist hier zufällig mit JGa zusammen-
getroffen; vermutlich bot sogar noch Db* mcere, die lesart von
b könnte den ausgang auf -cere aus ihrer vorläge beibehalten
haben. — Umgekehrt sind 1166,2 A und B in einer fehler-
haften änderung zufällig zusammengetroffen. In den Eiselen
man Db.Jd.Ca setzen A und B edelen statt Etzelen ein, was
evident falsch ist, weshalb auch Lachmann hier AB nicht folgt
Dieses zusammentreffen von A mit B verliert alles auffällige,
wenn man bedenkt, dass vertauschungen zwischen edeU und
Etzele in den hss. sehr häufig sind. Seltener tritt Etsele für
edele ein. So in der recension C* 1087, 1 künic EteeU für i.
edele der ersten recension, ebenso C* 2019,4; desgleichen
steht in einzelnen hss. EteeU, wo alle übrigen edeU haben:
J 1134, 1, D 2100, 1. Meist dagegen ist das umgekehrte ein-
getreten: ebenso wie in unserer stelle ist edele für das EteeU
des Originals eingesetzt von B 1098,1; — A 1142,4. 2291,1;
— Db 1292,3. 1352,4; — D 1286,3. 1328,2. 1337,4; —
b 1337,4. 2040,4. 2095,1; — d 1805,1. Es ist daher auch das
zusammentreffen von A und B nicht auffällig und weist auf
keine gemeinsame quelle hin. — Die gleiche beuiteilung erfor-
dert 282, 2 des schin so lüterliche ab den wölken gät Db.Jd.CEI,
wo AB der schin haben. Hier konnte die beziehung auf den
nächststehenden plural der stemen leicht mehreren unabhängig
in die feder kommen (vgl. Rieger s. 41 f.). Eine ähnliche stelle
ist 1427, S in AB der statt des, wo die fahrlässige beziehung
auf die schüde sehr nahe lag.i) — Zufällige Übereinstimmung
liegt auch 843, 4 vor, wenn A und B sorge statt leide einsetzen:
0 Ganz ebenso ist es zufall, wenn 1415, 1 der bruoder statt den b. in
B und R und 1455, 3 der künec statt den k. in B und d steht, wie ja über-
haupt ganz unverwante hss. in derartigen kleinigkeiten oft
treffen.
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HANDSCHRIFTENVERHALTNIS8E DES NIBELUNGENLIEDES. IL E. 61
sorge stend mehrfach in der Umgebung: 843,1. 845,4. 839,1,
besonders die erete stelle konnte leicht einfluss ausüben. Doch
wäre immerhin auch die möglichkeit zuzugeben, dass die
übrigen hier sorge durch leide ersetzt hätten, wie 845, 4 J
(und A).
Das echte haben AB wahrscheinlich noch in folgenden
fällen erhalten: 1087, 4 die edelen (vil edele A) künege her AB.
Statt hünege haben DbJdCa küneginne. In letzter änderung
konnten mehrere hss. zusammentreffen, weil im vorhergehenden
von der Kriemhild die rede war. Das folgende beweist aber,
dass AB das echte bewahren. — 2036, 3. Für mortrcejszen AB
bieten die übrigen hss. morircechen. Letzteres ist im Nl. noch
einmal belegt 2145,1 (durch mortrcechen willen), wo allein J
statt dessen morcrcBz^en schreibt. An letzterer stelle ist mort-
rcBchen gesichert, an unserer stelle scheint die bedeutung von
-roBigze besser zu passen, welches im Nl. noch einmal vorkommt
im comp, wortrcezee 788,3 AB.d.a (wo DbJ mortrcezze haben).
— 1942,2 haben nur Aß: daz ich ie gesaz in dem hüse \ vor
dem degene. Dagegen duz ich mich ie geschied Qiän geschei-
den b) I von disem degene Db, daz ich vor Volkere \ ie gesaz
dem degene Ca, daz ich ie gesaz \ in disem gademe J. Wenn
Bartsch und ihm beistimmend Paul (Beitr. 3, 410) ihren text
auf grund der jungen und oft ändernden hs. J construieren,
so ist das sicher irrig. Hier haben AB das ursprüngliche und
der etwas überladene erste halbvers veranlasste zu verschieden-
artigen änderungen. C* beruht hier nicht auf J, vielmehr weist
C* darauf hin, dass die quelle von Jd* noch wie AB las (d fehlt
hier) und erst J arbeitete um.
Während die bisher besprochenen fälle der Übereinstim-
mung von A und B sich unschwer durch zufälliges zusammen-
treffen in änderungen auf der einen oder der andern Seite er-
klären und also mit dem sonst einheitlichen texte ADb sich
vereinigen Hessen, so scheint die sache bei den folgenden etwas
anders zu liegen. 1495, 2 haben AB dannen statt des einzig
richtigen da nennen, welches auch Lachmann in seinen text
setzt: den er da nennen hörte, dö er des niht envant dl.a,
sich nennen statt da nennen Db. Es wäre ein kaum glaub-
licher Zufall, dass A und B selbständig auf den seltsamen
fehler dannen für da nennen gekommen sein sollten. Hier
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6Z BRADKB
mnss der fehler einer einzigen Instanz zugeschrieben werden.
Man könnte nun annehmen, dass der fehler im archetypus
gestanden und von der gruppe JdC** einerseits, von Db andrer-
seits selbständig gebessert sei. Man kann aber auch, da eine
engere grundhs. der texte ADb einerseits, B andrerseits doch
anzunehmen ist, den fehler dieser zuweisen, so dass JdC* das
originale bewahrten, während von der gruppe ADbB die auch
sonst selbständige grundhs. Db"** sich nennen conjicierte, A und
B aber die immerhin allenfalls verständliche fehlerhafte lesarfc
conservierten. Für diese auffassung möchte ich mich ent-
scheiden. — Das gleiche gilt dann für 2203, 3 mit starken
verchtvunden Db. J (C'*' ändert daraus mit sinen tiefen wundem)^
Hier haben A und B statt starken den fehler startÄ (mit startk
verchwunden B, mit starch wunden A), der auch wol kaum von
zweien selbständig gemacht, aber sehr leicht von Db ins rich-
tige verbessert werden konnte. — In den beiden folgenden
stellen teilt das fragment M den fehler von AB. 1356, 1
bittet das si leisten, dojs in der künec {der künee in D) enboi
Db.Jld.Ga. Statt der künec (Etzel) haben hier ABM Bäedeger.
Einen solchen fehler, für den in der Umgebung keinerlei anlass
vorliegt, kann wol eine hs. machen, aber kaum mehrere un-
abhängig an derselben stelle. Es ist also anzunehmen, dass
hier Db das richtige durch conjectur hergestellt hat. Schon
Lachmann verweist darauf, dass die hs. B allein einen ähn-
lichen fehler macht 1754, 4, wo in B der Büedger statt der
künec (Etzel), und 1935, 4, wo B der künege Büedeger statt der
künec Günther einsetzte: in beiden fällen ist freilich unmittelbar
vorher von Rüdiger die rede, was in unserer stelle nicht der
fall ist. — Eher könnte man 1334,2 zufälliges zusammen-
treffen in einem fehler annehmen, wo ABM fälschlich Gisd-
here statt GtmtJiere Db.Jd (C* ganz anders) bieten, da un-
mittelbar vorher von Giselher die rede war. Aber wahrschein-
licher ist auch hier, dass der fehler nur einmal von der qudle
ADbB begangen wurde und dass Db das richtige conjiciert hat
Diese sämmtlichen A und B eigentümlichen lesarten können
also gegen die einheit der gruppe ADb nichts beweisen: sie
sind an zahl geringfügig gegenüber den zahlreichen gemein-
samkeiten von A und Db und vor allem sind es fälle leich-
terer art, die meist nur einzelne worte betreffen und nch gar
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HAin)BCHSIFTEinrEBHlLTNI8gB DSS VlSeLüKGENLIEDES. U. E. 63
nicht yergleieben lassen mit den schwereren änderungen in
ADb^ die oft die ganze satzconstruction verschieben.
Es bleibt nur noch eine merkwürdige flbereinstimmang
von A nnd B zu besja^echen^ die den Strophenbestand betrifft»
n&mlich das fehlen einer ganzen Strophe, oder vielmehr der vier
Zeilen 491,4— 491 a^S. Ueber diese zeilen ist schon verschiedent-
lich gehandelt; es sei hier nur auf die in entgegengesetztem
sinne sich entscheidenden besprechungen von Bartsch, Untersa
8. 303 1 und Laistner, Nib. s. 14 ff. verwiesen. Wären die zeilen
zugesetzt, wie Laistner mit E. Hofmann und andern behauptet,
so musste Db* dieselben aus einer andern quelle nachgetragen
haben. Ihrem Inhalte nach stehen zwar die vier zeilen auf
gleicher stufe mit so mancher anderen plusstrophe von B^
Aber deswegen darf man sie nicht für unecht erklären, d. L
der urhs. unseres Nibelungenliedes absprechen, wie wir weiter
unten noch ausführen werden. Dass hier vielmehr ein aus-
fall vorliegt, dafür sprechen mehrere gründe. Einmal eben
der umstand, dass nicht eine ganze Strophe differiert, sondern
die vierte zeile der einen und die drei ersten der nächsten
Strophe. Dieses Verhältnis ist auch in der nach allgemeiner
ansieht Strophen zusetzenden recension C* ohne analogen.
Noch dazu iSndet sich hier der merkwürdige umstand, dass
491.3 auf das reimwort Umt ausgeht und 491a, 3 ebenfalls, so
dass für die auslassung die plausibelste erklärung vorliegt im
überspringen von einem lant auf das andere. Auffällige paral-
lelen gerade hierzu liegen bei sicheren auslassungen einzelner
hss. vor, die zum teil schon Bartsch a.a.O. angemerkt hat«
Die urhs. Db* hat die vier zeilen 1397, 2 — 1398, 1 ausgelassen
(DNb), und zwar ebenfalls durch das gleiche reimwort lant
veraidasst (vgl oben s. 6). In J ist 348 b, 4 — 348 c, 3, also
grade wie hier die vierte zeile der ersten und die drei ersten
Zeilen der folgenden Strophe ausgelassen, veranlasst durch das
gleiche reimwort bereit. 1576,3 — 1577,2 sind in Nb aus-
gelassen durch abirren von dem reimwort degene auf degen.
782. 4 — 783, 2 sind in h ausgefallen durch den gleichen halb-
vers den dinen Schemen lip. Und in b fehlen die vier zeilen
1181, 3 — 1182, 2, veranlasst durch das gleiche reimwort gm.
Bartsch hat im allgemeinen zwar das argument vom abirren
auf gleiche werte zum beweis der auslassung überschätzt^
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64 BtlADlTE
besonders wo es sich um ganze Strophen handelt nnd so häufige
Strophenanfänge wie 1)6 sprach. Aber in unserem falle scheint
mir in der tat der beweis der auslassung zwingend. Dass die
Zeilen ausgelassen sind^ dafür spricht aber auch der Zu-
sammenhang. Denn 491a, 4 si rihten sich i?er verte: man satA
st rtten üf den sant bekommt seine motivierte beziehung erst,
wenn mit dem si die in den ausgelassenen zeilen genannten
recken der Brünhilt gemeint sind. Diese richten sich zur
fahrt und reiten voraus an den Strand. Nach der überUefernng
in AB miisste der plural si auf Brünhild gehen und würde
unter beziehung auf Brünhild und ihr gefolge grammatisch
wol zu rechtfertigen sein, nicht aber, dass an dieser stelle
von Brünhild gesagt würde, dass man sie an den Strand reiten
sah. Denn sie fährt ja im folgenden noch fort mit ihren Vor-
bereitungen. Nachdem sie 491a, 1 ff. die recken ausgewählt
hat, die sich daraufhin zurecht machen, führt sie 492, 1 auch
damen zur begleitung mit sich, die sich nun ebenfalls (wie die
ritter) zur abreise rüsten: sin sümten sich niJU langer, sin
wolden gähen dun (492, 3). Erst 493 wird dann die abreise
der Brünhild erzälilt.
Wenn wir also die vier zeilen ala ausgelassen betrachten
müssen, so fragt es sich, von wem? Hat die urhs. ADbB* die
verse noch gehabt, so müssten A einerseits und B andrerseits
zufällig dieselbe auslassung begangen haben, beide von lant zu
lant abirrend. Das wäre zwar möglich, aber doch recht auf-
fällig, da sonst derartige auslassungen immer nui' einer stelle
zufallen. Denn die beiden analoga, die Bartsch a.a.O. an-
führt, fallen weg. Die auslassung 1397, 2 — 1398, 1, die Bartsch
von D und Nb annimmt, fällt in Wahrheit der urhs. Db* zu.
Der zweite fall dagegen betrifft zwei volle Strophen nach 102
(102a. 102b), die nach Bartsch von A und J ausgelassen sein
sollen. Aber damit steht es doch anders. Diese plusstrophen
stehen nicht in A J, aber auch nicht in d und in der hier noch
zu B* gehörigen hs. k. Sie stehen dagegen in C* (vertreten
durch die hss. CDb) und in B. B tritt also hier gegenüber vier
hss. der ersten hauptrecension auf die seite der recension C*.
Das erklärt sich meines erachtens am besten dadurch, dass
man annimmt, diese zwei Strophen gehören der recension C*
an, und sind nur von der hs. B oder einer ihrer directen
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HANDSCHBIFTENVEBHALTNISSB DBS NIBELUKOBNLIBDES. II. E. 65
Vorgänger aus C* entlehnt.*) Als eigentum des dichters C*
verraten sie sich auch durch die Verhältnisse des caesurreims
(vgl. unten cap. V). Aus dem von Bartsch hier geltend ge-
machten gleichen anfange D6 sprach von 102 a, 1 und 103, 1
auf auslassung zu schliessen (so auch Lunzer, Beitr. 20, 490),
ist verfehlt, weil — wie vorhin bemerkt — Strophenanfänge
mit Do sprach so häufig sind, dass diese nichts beweisen. Die
recension G^ hat sehr oft Strophen eingeschoben, welche mit
D6 sprach oder auch mit einfachem Do (auch dieses genügt
nach Bartsch, Unterss. s. 805 zum beweise der auslassung in A)
beginnen, vgL z.b. die nach 329. 1887. 1523 eingeschobenen
C*-strophen (ferner nach 271. 327. 756. 858. 910). So konnte
es denn sehr leicht kommen, dass C* mit D6 sprach beginnende
Strophen so einschob, dass dieselben vor eine ebenfalls mit Do
sprach beginnende sti'ophe des Originaltextes zu stehen kamen
und nun also nach Bartsch daraus auslassung in B* erschlossen
werden müsste. Genau unser fall ist in C* noch einmal mit
der nach 1352 eingeschobenen Strophe eingetreten, so dass
also nichts im wege steht, auch 102, 5 — 12 als von C* ein-
geschobene Strophen zu beti^achten, die allein die hs. B rein
äusserlich entlehnte.
Falls man also ein zufälliges zusammentreffen von A und B
in der auslassung 491, 4 — 491a, 3 nicht zugeben will,^) so muss
die lösung die sein, dass die urhs. von ADb + B diese Zeilen
— von lant auf lant abirrend — ausgelassen hat Dieser urhs.
hatten wir ja schon im vorhergehenden einige fehler zu-
gewiesen, wie wir später noch einige in ADb und in B conser-
vierte fehler dieser urhs. kennen lernen werden. Wenn man dies
annimmt, so hätte dann die stammhs. des textes Db* die lücke
ausgefüllt durch entlehnung aus einer vollständigen quelle,
welche nicht der weiter ändernden rec. C* sondern entweder
der gruppe Jd* oder sonst einem anderen zweige der ersten
hauptrecension angehört haben müsste.
^) Ebenso Laistner, Nib. s. 2.
*) Doch ist daraxif hinzuweisen , dass str. 1103 unabhängig in a und
in b ausgefallen ist: ein zufälliges zusammentreffen zweier hss. in einer
Strophenauslassung ist also nicht als unmöglich zu bezeichnen, zumal wenn
ein gemeinsamer äusserer anlass nachweisbar ist wie in str. 491.
Beiträge nur geschichte der deutschen spreche. XXV. 5
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66 BRAUNE
2) Wenn sich uns im vorigen gezeigt hat, dass die zwischen
A und B vorhandenen Übereinstimmungen nicht derart sind,
dass sie die einheitliche gruppe ADb durchbrechen können, so
sind nun noch die fälle von näherer Übereinstimmung von A
mit J zu erwägen, die ebenfalls beachtung gefunden haben.
Die auffälligsten Übereinstimmungen finden sich in den
einleitungsstrophen 1 — 21. Aber diese können für das übrigre
gedieht nichts beweisen, da die einleitung ihre besonderen
Schicksale gehabt haben muss, über die wir später in cap. Y
sprechen werden. In der partie bis str. 268, wo A allein die
gruppe ADb vertritt, da Db zu C* gehören, können specielle
Übereinstimmungen von AJ überhaupt nichts gegen die gruppe
ADb beweisen: sie sind aber auch, ausser der einleitung, kaum
vorhanden. Denn wenn 41, 3 Sigclint . . . nach aUen siten pfiae
durdi ir sunes liebe teilen rötejs golt statt teilen in A und J
das verbum flnitum si teilte steht, so ist das eine syntaktische
angleichung an pflac, wie sie in mehreren hss. sich zufäUig*
einstellen kann. Und ebenso beruht 62,4 vianden AJ statt
des wiganden der übrigen auf ersetzung des veralteten, in
den Nib. ausserdem nur noch einmal (943, 4) belegten tcigant,
die von zwei jüngeren hss. wie A und J selbständig vor-
genommen werden konnte. Auch 115, 4 ist in AJ st^tt tu als
Zufall leicht begreiflich. — In dem hauptteile, wo Db zu A ge-
hören, ist die zahl der fälle AJ auch nicht zahlreich, und vor
allem sind es keine tiefgehenden differenzen von den übrigen.
Zufall ist bei den meisten sofort als Ursache des Zusammen-
treffens ersichtlich. So 392, 1 Man hies den gesten sdtenken \
und schuofin [ir Dd] gemach Db.Bd, dem gegenüber unt schaffen
guot gemach A, unt schaffen ir gemach JCa. Hier liegt eine
ganz ähnliche syntaktische ausgleichung vor, wie in der eben
besprochenen stelle 41, 8 in welcher mehrere hss. sich zufiHlig'
begegnen können, ohne dass eine entscheidung möglich ist —
782, 2 daa wwre dir guot BdCa. Der knappe vers lud zur
erweiterung ein. A und J treffen sich in dem nahe Uzenden
lihte guot, D liest vil guot, b stärker ändernd es wer noch alles
guot: sowol ADb* als Db* haben hier sicher noch wie BdCa
gehabt. — 2029, 3 wojs het ich iu getan AJ statt wag hdn ich
tu getan der übrigen, wo sogar noch eine dritte unzweifelhaft
abliegende hs., nämlich a, zufällig auch in wom ich euch heU
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HAITDSCHBIFTBNVERHALTKISSE DES NIBELUNGENLIEDES. II. E. 67
getan ändert. — 1329, 4 ist statt tougenlichen in A, J und a
tugenüicken gesetzt, eine fehlerhafte, aber dem Zusammenhang
nach naheliegende änderung; vgl. 1354, 2 tugenüichen d =
tougenlichen JELC, wo tugentlichen das ältere und aus güet-
liehen BADbM entstanden ist. — 2048, 2 dö quälte man mit
fiure I den recken {helden A) da den lip AJ, gegen DNb.BdC:
dö quälte man den recken \ mit fiure da den Up, eine von den
vielfach eintretenden Umstellungen in der caesur (vgl. oben
s. 59), die hier ebenfalls von a selbständig vorgenommen wird,
während C mit den übrigen geht^ Ebenso sind 1246, 4 die
glieder hüniginne und der riter dienest umgestellt. — Analog
ist die änderung der Wortstellung 1680,2. Hier enthält die
stelle deidi hört der Nibelunge \ niene gepflac die sehr seltene
construction von pflegen c. acc., die jedoch im Nl. 1960, 2 noch
einmal belegt ist. An letzterer stelle hat nur J den acc. in
den gen. geändert, an unserer stalle dagegen hat auch A, mit
J zufällig zusammentreffend, unter Umstellung bei der caesur
dojg ich der Nibelunge \ hortes nie gepfl>ac (nit enpflac J). Durch
diese Umstellung von A J ist aber die ursprüngliche Wortfolge
hört der Nibelunge, welche auch in der vorhergehenden Strophe
1679, 1 und noch einmal 717, 8 steht, verschoben: nur C* hat
(Z. 78, 1) Nibelunge hört und die Überschrift von avent. 19 der
Nibelunge hört Auch die in AJ eingetretene trennung des
regierten genetivs durch die caesur ist eine Verderbnis. Selb-
ständig hat auch D an unserer stelle die seltene construction
geändert daj^ ich der Nibelunge \ hört nie gesach, während b
zu den übrigen stimmend hier allein die lesart der gruppe
ADb bewahrt hat. — Etwas auffäUiger ist das zusammen-
treffen von AJ nur an folgenden drei stellen: 1663, 4 er i^t
vor maniger eit {manigem tag b) begraben Db.Bd = er ist nu
lange begr, A, er lit lange begr, J, wo freilich die lesarten von
A und J nur in dem worte lange identisch sind, worin man
doch Zufall erkennen muss. 725, 2 haben AJ mit wunderlicher
schar gegen mit wünneclicher schar der übrigen, denen Lach-
mann sich anschliesst (vgl. Bartsch, Unterss. s. 229). 723, 3 Von
^) In allen solchen fällen hat C natürlich die alte lesart C* und die
junge hs. a beweist durch ihr zusammentreffen mit AJ nur, dass auch
diese jungen hss. jede selbständig auf die naheliegende änderung yerfaUen
konnten.
5*
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68 BBAUKE
ir hovereise \ erstuont michel sir BDbd.Ca (von kleinen ab-
weichungen abgesehen). Statt des erstuont (ersttumden) haben
AJ wtwhs (umohs vil michel s. A, wuohs in mangiu ser J).
Das auftreten von wuohs in A und J mnss auffallen: an einer
zweiten stelle 820, 4 steht erwuohsen BDbd, uniohs den A, da
umohs den J, während in Ca erstuonden eingesetzt ist Es ist
die möglichkeit dass 723, 3 AJ mit umohs das echte bewahren
und dass mehrere andere hss. selbständig diese seltenere Wen-
dung durch eine geläufigere ersetzten, wie es 820, 4 nur C*
getan hat. — Ueber die stelle 2299, 3. 4 s. weiter unten cap.IV
unter fragm. K.
3) Die hs. J trifft ebenso in einigen fällen mit Db zusammen,
während A mit den übrigen hss. geht. Die fälle stehen an
zahl und gewicht den eben besprochenen in AJ ungefähr
gleich und besagen ebenso wenig wie diese. 642, 3 setzen Db
und J driaec tüsent statt drieec hundert ABd.Ga, ein offenbarer
Zufall. Ebenso 681, 1 wo si fuoren ABC in si fuorten ver-
ändert ist von Jd und unabhängig in Db; vgl. die parallele
stelle 1361, 2, wo Adl fuorten statt fuoren haben, welches ancb
Lachmann in seinen text setzt. Auch 1093, 2 sind Db and J
zufällig zusammengetroffen, indem sie unlobelich ABdCa durch
unhilltch ersetzen. 1244, 1 setzen Dbg und J Tuonouwe statt
Trune der übrigen, 1423, 2 Db und JK im für uns der übrigen,
beides durch den Zusammenhang naheliegende vertauschung^i.
1655, 1 setzen Db und J weunde ein für vreuden, ebenfalls
durch den Zusammenhang nahegelegt, wie gleicherweise 1394, 4
A und D vriunden für vreuden eintreten lassen, sicher beide selb-
ständig, indem b mit vreuden die echte lesart ADb'*' bewahrt
hat. Zufall ist es auch, wenn 482,4 die auffällig scheinende
bezeichnung Dankwarts als Gtselkeres man (ABd) von Db und
J übereinstimmend in GuntMres man corrigiert wird. Diese
bezeichnung, welche in C* in folge grösserer Umarbeitungen
in Wegfall gekommen ist, muss aber doch dem originale an-
gehört haben, da unmittelbar darauf 489, 3 Giselheres man in
AdD stehen geblieben und in BbJ verändert ist Etwas auf-
fälliger ist 953, 2, wo statt owe mir {mich Bd) mines leides
(dises leides A) ABd(Ca) in Db und J gleichmässig owi mir-
dines Ubes eingetreten ist. Wahrscheinlich ist die genesis die,
dass zuerst ADb* den fehler machte, dtnes leides zu schreibeiiy
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HAKDSCHRIFTEyyEBHÄLTNISSE DES KIBELÜNGEm.IEDES. H. E. 69
was A in dises leides besserte, während Db ebenfalls bessernd
auf dines Ithes kamen nnd darin nnn mit der selbständigen
ändemng von J zusammentrafen.
4) Aus den erörterungen unseres ersten capitels (s. 5 ff.)
hat sich ergeben, dass die gruppe Db* eine feste einheit bildet
so dass man mit der einzelnen hs. D oder b gar nicht operieren
darf, ohne die Originallesart der gruppe Db* festgestellt zu
haben. Ich habe schon s. 14 f. hervorgehoben, dass die stark
ändernde hs. D infolgedessen oft zufällig mit einer andern hs.
zusammentrifft, während b die lesart der gruppe bewahrt.
Aber auch b ändert oft selbständig, während D die original-
lesart beibehält. Und so darf man auch einzelnen auffälligeren
stellen gegenüber nicht von der einheit Db* abgehen. So wenn
1728, 3 die Originallesart den holt ze stnen handen (ABdCa) in
D und in JK zu den helt üz Niderlanden verändert worden
ist, so därfen wir zwischen den lesarten von D und JK keinen
directen Zusammenhang statuieren, indem eben zwei hss, selb-
ständig statt der allgemeinen epischen formel eine sonst häufige
speciellere beziehung auf Siegfried eingesetzt haben. Hier
liefert b mit der die formel freilich auch zerstörenden lesart
den helt mit mtnen handen den beweis, dass Db* noch die
Originallesart hatte. Es ist bei jüngeren hss. vielfach zu beob-
achten, dass typische formein des epos durch etwas indivi-
duelleres ersetzt werden: besonders eigenartige lesarten von A
sind oft diesem bestreben zu verdanken.
Von diesem Standpunkte der engeren einheit Db* sollen
hier noch einige bemerkenswertere fälle besprochen werden,
in welchen scheinbar die einheit von Db dadurch alteriert
wird, dass entweder b(N) oder D mit der hs. A in einer ab-
weichenden lesart stimmen, während das andere glied der
gruppe Db mit der mehrzahl der hss. geht. Solche fälle lassen
eine zweifache erklärung zu: entweder ist das zusammentreffen
mit A ein zufälliges, oder Ab (bez. AD) geben die lesart der
urhss. ADb*, welche von D (bez. b) durch conjectur in die
echte lesart gebessert ist. Die fälle sind:
a) AD: 1394. 4 vriunden AD für vreuden ist schon vorhin
(s.68) bei 1655,1 mit besprochen. — 1143, 2 Den kurzen zweiten
halbvers dem degene BbdC füllen AD mit kuonen aus, während
Ja werden einsetzen, Wie J und a in dieser ausfüllung zu-
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70 BRAUNE
fällig zusammengetroffen sein mttssen, so werden es also anch
A und D sein. — 2050, 4 des wcsn min leben [so Nb] schiere \
in disen sorgen jsergi NbBdJCa = des {dae A Jd) uxBne \ich D]
min leben \ in disen sorgen (nceten D) schier eerge AD. Auch
hier wird D zufällig mit A in der Versetzung von schier zu-
sammengetroffen sein. — 788, 4 Statt ee gät an Stvrides Up
haben AD ea git im wcerlich an den Up, wol sicher in zufällig
übereinstimmender änderung, da sowol A als D häufig eigen-
namen durch das pronomen ersetzen, vgl. die Zusammenstellungen
von Bartsch, Unterss. s. 295 ff. Ganz ähnlich treffen A und C
340, 4 in der ersetzung von Gunthere durch mir zusammen. —
2161,1 Do der junge GiseUier sack sinen bruoder tot AD.
Statt bruoder hat Nb und B sweher, dagegen J bruoder unde
sweher, Ca ändert in dojs si beide wären tot. Wenn man die
vorhergehende Strophe erwägt, in der zuerst Gemot, dann
Rüdiger erwähnt ist, so wird man verstehen, dass hier AD
das echte erhalten haben, das auch J noch vorlag. Es ist klar,
dass Nb, B und J selbständig den zuletzt genannten sweher
anbrachten, C* hat dann gründlich abgeholfen. — Ebenso dürften
1713, 4 AD mit daz enhoer ich niemen gesogen die lesart ADb*
und damit das originale bewahrt haben. Es lag nahe, das im
zusammenhange gerechtfertigte hcer durch kan zu ersetzen:
welches eine viel geläufigere ausdrucksweise, hier aber weniger
passend ist.
Dagegen ist 943, 3 AD mit der einsetzung von wtp für kint
sicher im unrechte, wie auch schon Lachmann zugegeben hat,
vgl. auch Bartsch, Unterss. s. 73. Eine ähnliche änderung hat
A allein vorgenommen 989,3 b, wo die originale lesart ist wip,
man unde kint, worauf 4b reimt: die weinten Sivriden sint.
y. 3 b ist metrisch richtig, doch wurde wol der takt tcip man
(vgl. Walthers vät walt \ Uup rör \ ) als härte empfunden und
verschiedene suchten den vers zu glätten. Db und JQ Hessen
(natürlich unabhängig) man aus und haben den halbvers wip
unde kint, A dagegen liess das reimwort kint weg, so dass der
halbvers lautet man unde wip und der reimvers dazu dem ent-
sprechend geändert di weinden Sifrides Up. Ebenso hat A
auch 943,4 den reimvers vil guote wigande sint, nachdem im
vorigen verse edeliu wip statt des richtigen edeliu kint ein-
getreten war, umgeändert in vil guoter uAgande Up. D teilt
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HANDSCHBIFTENYEBHlLTinSSE DES NIBELUNGENLIEDES, n. E. 71
mit A aber nur v. 3 tvtp statt Mnt, während v. 4 in D das
originale sint in stt geändert ist, nm einen reim auf wip zu
erhalten. Hiemach ergibt sich als wahrscheinlichste geschichte
dieser corruptel, dass den fehler wip für kint schon ADb* be-
gangen hat, während das reimwort sint bestehen blieb. Db*
behielt diese lesart mit dem mangelhaften reime wip : sint
bei, D suchte durch sit etwas mehr zu glätten, während b,
geleitet durch den im Nl. ungeheuer häufigen reim Joint : sint,
auf das reimwort sint in y. 3 das richtige kint wider herstellte.
A dagegen änderte y. 4 in de( auch durch 989, 4 b als ihm ent-
spi-echend bezeugten weise. Die andere möglichkeit der er-
klärung, dass A und D unabhängig in y. 3 wip für kint ein-
gesetzt hätten, wäre immerhin auch denkbar.
b) Ab: Auch hier sind zufällige kleinigkeiten zu notieren.
So ist 2226,2 statt des singulären meistiu not yon A und b
das im Nl. häufige grcestiu not eingesetzt. — 2082, 4 bedürfen
Ab = bedurften, beides gleich möglich. — 1933, 1 Umstellung
bei der caesur: statt des originalen Do sprach der marcgräve \
der edel Büedeger schrieben Ab prosaisch Do sprach der edel
marcgräve B. den yers zerstörend. Vielleicht fehler yon ADb*
den die oft metrisch bessernde hs. D beseitigt hat. — 1318, 1
Statt des richtigen geslozeen, das auch Lachmann aufnimmt,
haben A und b geflogen, ein fehler der in diesem zusanmien-
hange leicht zwei gedankenlos schreibenden in die feder
kommen konnte, zumal das yerbum fliezen kurz yorher steht.
— 1432, 1 poten Ab statt des richtigen auch yon Lachmann
geschriebenen porten ist wahrscheinlich ein fehler yon ADb*,
den D corrigiert hat. Der fehler konnte begegnen; da yorher
und nachher yon den spileman, den boten, die rede ist. —
451, 4 wcere ist ein leicht erklärlicher fehler für wcete der
übrigen, das auch Lachmann aufnimmt. — 357, 2 was niht ze
klein Ab = diu enwas niht klein DBJdC: es steht in Ab ze
yor klein statt des diu am yersanfasg. Man wird yielleicht
auslassung des ^e in D annehmen, so dass ADb* mit ze den
übrigen gegenüberstände. Aber auch selbständige zufügung
des ze m X und b wäre möglich. 409, 4 (niht ze guot) ist ze
unabhängig in J und a ausgelassen, während 1246, 4 niht ze
leit DbgJCa = niht leit ABHd steht. Es kann bei diesen
dem sinne nach gleichbedeutenden Wendungen das ze in un-
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72 BBAtlNE
abhängigen hss. leicht eintreten oder wegfallen, 80 dass eine
entscheidong über die ursprüngliche lesart kaum möglich ist.^)
Die beiden stellen 769, 4 und 593, 8 zeigen erscheinungen,
welche der schon oben s. 56 unter Lg besprochenen stelle 1518, 3
analog sind. 769, 4 b ist die echte lesart (die frouwen wurden
beide) vil sere eomic gemuot ( ; tuot) D.Bd J.Ca. Statt gemuot
haben Ab genuog, trotz des auch in ihnen stehenden reimes
; tuot Solche vertauschungen ähnlich klingender worte kommen
auch sonst vor: 1518, 3 hatte ebenso g gemuot durch genuog
ersetzt, während ihre vorläge L noch das richtige bot 2) 769,4 b
wird der Vorgang der sein, dass die vertauschung ADb^ zu&llt
und D von dem reime geleitet das richtige gemuot wider her-
stellte. — Umgekehrt ist 593,3 die Originallesart truric fro«
genuoc D.BdJ.Ca und der reimvers dazu 593, 4 swie er des tages
kröne truoc Db.Bd J.Ca. Hier ist v. 3 statt des durch den reim
geforderten genuoc vielmehr gemuot eingetreten: truric was
gemuot b, in A ist statt dessen muot gesetzt, wie 1518, 3 in
ADb (s. oben s. 56): truric was sin muot In b ist noch der
ursprüngliche nun assonierende reim truoc beibehalten, A da-
gegen hat dem muot zu liebe einen neuen reimvers ir fröude
düht in niht ze guot (s. unten anuL 1). Auch hier wird der her-
gang der sein, dass ADb"" gemuot einsetzte, während D dem
reime folgend genuoc wider herstellte, wie andrerseits A stärker
ändernd nach der anderen richtung richtigen reim gewann.
Vom Standpunkte Lachmanns aus würde nun zwar sich die
^) Ln allgemeinen aber wird man doch wol den einfachem ansdrack
ohne ze als den älteren betrachten dürfen. Mir ist nicht bekannt, ob über
das alter des Vorkommens der ironischen forme! mit ge yor einem ad-
jectiv in der mhd. poesie schon nntersnchungen angesteUt sind. Aber sie
dürfte doch wol erst der höfischen knnstdichtong eigen sein. Darauf deutet
auch schon das überhandnehmen der formel in O. Nach Bartschs Wörter-
buch begegnet sie in der ersten recension der Nib. sechs mal, dazu noch
allein in A 593, 4 (s. oben) und unsere stelle 357, 2 in Ab. Dagegen hat
C^ ausser den sechs fällen von I, die alle beibehalten werden, nodi sechs
neue fälle eingeführt, meist in folge stärkerer Umarbeitung oder in neu-
gedichteten Strophen (329, 12. 669, 4. 1238, 2. 1255, 2. 1527, 2); einfieusbe Um-
setzung des positiven ausdrucks in die formel 1105, 4: den tcirt si gerne
kamen sach = C* den wirt si niht zungeme aach. Vgl. Zs. fdph. 5, 12 f.;
Grimm, Gr. 4*, 1250.
>) Vgl. noch 94, 4 genuog d (statt gemuot) : guot; ähnlich in J 394b, 4
und in g 1546, 4,
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HAyDSCHRIFTENVEBHALTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES, n. E. 73
Sache so ansehen, dass A mit seinem reime muot : guot das
echte hatte. Man änderte dann ans irgend einem gininde sach-
lich den letzten halbvers und erhielt dadurch den falschen reim
gemuot : truoc, welcher zustand in b erhalten wäre, während
die übrigen dann in v. 3 gemuot zu genuoc umsetzten, um
richtigen reim auf truoc zu gewinnen. Aber ganz abgesehen
davon, dass dieser A-standpunkt unserer darlegung des hss.-
yerhältnisses weichen muss, ist es auch sonst verständlicher,
dass der anstoss zu den änderungen aus der öfter begegnenden
fahrlässigen vertauschung von gemuot und genuog hergekommen
ist, aus welcher dann die sachliche änderung in A hervor-
gegangen ist. Wir haben hier ein hübsches beispiel dafür,
wie eigenartig erscheinende lesarten von A in Wahrheit doch
Umarbeitungen des Verfassers der vorläge unserer hs. A ihr
dasein verdanken.
Auch 1652,4 hat die oft und mit Überlegung bessernde
hs. D das echte wider hergestellt, während Ab die falsche
lesart von ADb* bewahren. Hier hatte ADb* in dem satze
des Jcüneges ingesinde kund ez niht lieber gestn statt lieiber
das noch in Ab stehende gegenteil leider eintreten lassen,
welches als dem zusammenhange zmvider schon in Lachmanns
texte wie in D der richtigen lesart hat weichen müssen.
Einen fehler von ADb hat D auch 1151, 1 corrigiert, wo der
halbvers Des antumrte Hagenen verstümmelt war {Des anU
tvurte dö A, Des antwurte da b). Wahrscheinlich war in ADb
Helenen einfach ausgelassen und Ab flickten unabhängig dö
bez. da ein, während D richtig besserte. Eine natürlich un-
abhängige auslassung steht hier auch in a, wo aber ausser
Hagene auch der herre (C) weggelassen ist, so dass der ganze
langvers nur lautet do antwurt Gernöt.
1066, 2 ist in Ab rührender reim beseitigt. Die original-
lesart ist Und wcer sin tüsent stunde noch alse vil gewesen
Und solt der herre Sivrit gesunder sin gewesen DJBOdJ.C.
Statt des zweiten gewesen setzen Ab genesen ein. Dass dieses
genesen nur eine allerdings nahe liegende Verlegenheitsauskunft
ist, um den rührenden reim zu beseitigen, beweist schon die
Schiefheit des ausdrucks. Für die pleonastische Verbindung
gesunt genesen ist ein zweiter mhd. beleg bis jetzt nicht nach-
gewieseu und dürfte auch nicht nachzuweisen sein, ebensowenig
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74 BRAUNE
wie im nhd. (vgl. das material in Grimms Wb. s. v. genesen
s. 3385 ff. und gesund s. 4309 ff.). Es ist eine anrichtige
meinung, wenn man glaubt, das Nibelungenlied dürfe die
anderwärts genugsam belegten rührenden reime des yerbum
substantiyum nicht haben: Lachmann z. stelle und W. Grinun,
Gesch. des reims s. 49 sind hierfür massgebend gewesen. Aber
man hat nicht das recht, in werken der guten mhd. zeit gegen
die beste Überlieferung rührende reime zu beseitigen (vgL z.b.
Paul, Beitr. 2, 551 zu Walther 55, 33). Dagegen ist es leicht
verständlich, dass mit der im 13. jh. zunehmenden Wertschätzung
der äussereren form und der reimkünste die Schreiber einzelner
hss. rührende reime ihrer vorläge beseitigten. Hierfür gibt es
in der Überlieferung des Nibelungenliedes reichliche beispiele.
Ich verweise auf Bartsch, Unterss. s. 177 (wo freilich das hand-
schriftliche material noch nicht vollständig vorlag) und auf
unsere besprechung von 1433 (oben s. 42). 759, 2. 1014 (s. 48).
Ausserdem hebe ich noch hervor die stelle 509, 2. Hier haben
Db.B.C auf län reimend: wä ir minen bruoder den känic habet
Verlan, In A, in J und d ist getan statt verlän eingesetzt
worden, in A ist auch wä correcterweise in war geändert, in
J und d ist das auf verlän beruhende wä stehen geblieben.
Es ist nicht zweifelhaft, dass hier die einzelnen jungem hss.
selbständig und zufällig übereinstimmend den rührenden reim
beseitigt haben. Dass J die tendenz zur beseitigung rührender
reime hat, ergeben die Zusammenstellungen von Bartsch a.a.O.,
und von A dürfen wir getrost dasselbe annehmen. — So
werden wir dann auch 1066, 2 uns nicht wundem, dass sowol
A als b unabhängig auf die dem reime nach nahe liegende,
aber sprachlich schiefe änderung von gewesen in genesen ver-
fielen. Dass A und b hier selbständig sein können, während
D die echte lesart ADb* bewahrt, dafür spricht noch, dass
hier auch die junge hs. a selbständig auf diese ändemng ge-
kommen ist, während die alte hs. C die echte lesart bewahrt.
Die herausgeber von C* Holtzmann sowol wie Zamcke, haben
hier verkehrterweise die lesart von a in ihren text gesetzt,
da ihnen jedenfalls autorität von A dies zu fordern schien.
Bartsch widerum hat in seinen haupttext die falsche lesart
Ab gesetzt, weil er nach seinem princip die Übereinstimmung
von a mit Ab für zwingend lüelt. Nur Piper hat die allein
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HANDSCHRIFTENVERHiLTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES, m. A. 75
sprachgemässe und dnrch die ältesten hss. belegte lesart in
seinen text aufgenommen.^)
Cap. m.
Die liandsclirift A.
Nachdem wir im vorigen capitel gesehen haben, dass die
hs. A mit Db* zusammen auf eine grundhs. zurückgeht, welche
nicht das original war, gilt es nun von diesem Standpunkte
aus den text A zu würdigen. Dieser stellt sich danach als
eine selbständig ändernde recension dar, welche uns nur in
6iner relativ jungen hs. erhalten ist, die selbst in vielen einzel-
heiten unsorgsam geschrieben, aber doch im wesentlichen treu
eine mit Überlegung redigierte vorläge copiert. Diese vorläge
hatten wir oben s. 31 a genannt. Die selbständigen änderungen
von a bestehen nun einmal in der auslassung von Strophen
und zweitens in der oft sehr starken umfoimung einzelner
lesarten. Da beide arten von abweichungen für den Stand-
punkt Lachmanns als beweise der ursprünglichkeit von A in
anspruch genommen werden, so müssen wir hier auf diese fragen
noch etwas eingehen.
A. Die Strophendifferenzen.
Als der stärkste beweis für die ursprünglichkeit von A
•gelten die Strophendifferenzen, die *plusstrophen' von B (vgl.
oben s. 2), welche bis auf die neueste zeit das ansehen von A
als ältesten textes erhalten und noch ausgebreitet haben. Nach
dem von uns erkannten handschriftenverhältnisse sind nun
aber diese 'plusstrophen* auslassungen von a (soweit nicht
einige davon etwa erst versehentliche auslassungen von hs. A
sind); wir haben demnach jetzt zu fragen, welches gewicht
denn die gründe beanspnichen können, durch die diese Strophen
als Zusätze erwiesen werden sollen.
Die gesammtzahl der Strophendifferenzen zwischen A und
der durch Db*B vertretenen Originalfassung beträgt 61. 2) Von
^) VgL über rührenden reim auch unten in cap. Y.
^ Die einleitungspartie str. 1—21 ist hier nicht mit in betracht ge-
zogen, ebensowenig sind mitgerechnet die zwei Strophen nach 102, die nicht
A allein angehen und anders zu beurteilen sind (oben s. 64). Auch die aus-
gelassenen Zeilen in 491 und 491a (ygl. s. 63ff.) sind hier nicht mitgezählt.
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76 BRAÜKE
diesen 61 Strophen fallen nun bekanntlich die meisten, 55, in
einen kleinen abschnitt des gedichts, in die aventinren 6—11
(= Str. 324 — 666), während über den weiteren verlauf des ge-
dichts sich nur die sechs Strophen nach 882. 886. 999. 1598.
1614. 1818 verteilen. Diese sechs verstreuten Strophen bieten
keine handhabe zur entscheidung; man hat daher bei der be-
urteilung der Strophendifferenzen das hauptgewicht auf die 6. —
ll.avent. zu legen, da die hier so starken differenzen am ehesten
eine entscheidung ermöglichen. Freilich ist schon die tatsache
an sich ein rätsei, weshalb gerade nur in den sechs aventiuren,
welche in B* 399 Strophen umfassen, A 55 Strophen weniger
hat. Das rätsei bleibt sich gleich, von welcher seite aus man
es betrachtet. Hat der Verfasser von a in dem kleinen teile
die vielen Strophen ausgelassen, natürlich mit einer gewissen
absieht, so befinden sich im übrigen gedichte eine masse
Strophen, die inhaltlich ebenso unbedeutend und zum teil
störend für unseren geschmack sind, dass man nicht begreift,
weshalb von ihnen nur sechs ausgelassen worden sind. W&re
aber A das original, so würde es ebenso unbegreiflich sein,
dass der redactor der sog. gemeinen lesart nur in den sechs
aventiuren den drang zu umfassender zudichtung zeigte, wäh-
rend der hauptteil des gedichts ebensogut noch zudichtungen
vertragen hätte, wie das beispiel des zudichters C* zeigt. Man
könnte versucht sein an der einheit des textes A zu zweifeln.
Darauf beruhte K. Hofmanns erklärungsversuch, der vom Stand-
punkte A aus berechnen wollte, dass die sechs aventiuren aus
einem älteren, durchweg kürzeren original in die hs. A ge-
kommen seien. Aber diese hypothese beruht auf rechenfehlem
und ist als zurückgewiesen zu betrachten (vgl. Paul, Beitr. 3,
383 f. V. Muth, Einl. s. 152 f.). Ein ähnliches erklärungsprincip
bringt Kautenberg, Germ. 17, 431 ff. vom Standpunkte B aus
zur anwendung. Er nimmt die benutzung von teilcodices an.
Schreiber A habe zuerst einen codex abgeschrieben, der bis
324 reichte. Von da einen sehr schlechten und verstümmelt^i
teilcodex, der 325—665 enthielt, von da an bis zum schluss
wider eine gute vorläge des textes B. — Alle diese erklämngen,
die in A mechanische mischung eines längeren und kürzeren
textes sehen wollen, scheitern aber daran, dass die lesarten-
differenzen zwischen A und B'*' durch das ganze gedieht hindnrcli
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HANPSCHBIFTENVEBHÄLTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES. III. A. 77
ungefähr die gleichen sind: es lässt sich hier kein anderes
Verhältnis in der kürzeren partie von A entdecken als in den
längeren. Und das spricht für die einheit des textes A. —
Eamn einer ernsten discnssion zugänglich ist der erklärungs-
versuch Laistners (Nibelungenlied s. 29 ff.), der annimmt, im
archetypus seien die 55 Strophen der av. 6 — 11 durch einen
grossen tintenguss unleserlich geworden, A habe die unleser-
Uchen Strophen einfach ausgelassen, während B* statt der un-
leserlichen neue selbständige Strophen gedichtet hätte. So
wären die plusstrophen von B* neudichtungen, aber Vertreter
alter echter Strophen des archetypus. Solche erklärungen sind
kinder der phantasie, welche nicht hoffen dürfen ausser ihrem
Urheber einen gönner zu finden. Wir müssen uns dahin be-
scheiden, die tatsache hinzunehmen, da es unmöglich sein
dürfte, die veranlassung dieser auf kleinen räum zusammen-
gedrängten Strophendifferenzen wissenschaftlich zu erkennen.
Wir werden also gut tun diese frage beiseite zu lassen und
nur zusehen, wie sich die Strophendifferenzen von unserem
Standpunkte aus als auslassungen von aA begreifen lassen.
Die Strophendifferenzen sind schon viel erörtert worden.
Ich nenne hier nur für den Standpunkt B die behandlung von
Holtzmann, Unterss. s. 6 ff. und Wislicenus, Germ. stud. 2, 26 ff.
und vom Standpunkte A neben der älteren arbeit von M. Rieger,
Kritik d. Nib. s. 21 ff. die neueren von K. Hofmann, Zur kritik
s. 6 ff. V. Muth, Einl. s. 125 ff. und E. Kettner, Zs. fdph. 26, 433.
Der letztgenannte hat auch in seinem buche: Die österreichische
Nibelungendichtung (Berl. 1897) unsere frage mehrfach gestreift.
Vom Standpunkte A aus ist das hauptargument, welches
bis auf den heutigen tag werbende kraft besitzt, dass die
mehrzahl der plusstrophen von B* den Charakter von erweite-
rungen, müssigen, oft störenden Zusätzen trage. Und das ist
ohne zweifei der fall, besonders nach den anf orderungen ge-
messen, die wir jetzt an ein einheitlich concipiertes werk stellen.
Bei manchen dieser Strophen können wir uns dem Schlüsse
kaum entziehen, dass sie später hinzugedichtet seien.^) Und
* ties
^) leb hebe in dieser binsicbt besonders die vier zwischen 3d4 ti^'*
stehenden Strophen hervor, die dem modernen betrachter sc^*-^^ Kritiker
der einschiebnng zu tragen scheinen, weil wir geneigtes sich, dass er
anschlnsa yon 895, 2 an 894, 8 zu fordern. Doch lässt &
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78 BRAUNE
es erscheint deshalb die annähme als die einfachste, dass A
mit dem fehlen dieser Strophen die orspronglichste textfonn
biete. Aber das einfachste ist doch nicht in jedem falle Abs
richtige.
Es ist ganz besonders zu betonen, dass diejenigen plns-
strophen von B*, welche uns am meisten als zudichtungen er-
scheinen wollen, ihrem Charakter nach durchaus nicht ver-
schieden sind von der grossen anzahl solcher Strophen, die
über das ganze gedieht hin verstreut auch in A stehen und
die Lachmann wegen des gleichen störenden oder überflüssigen
Inhalts als interpolationen bezeichnet hat^) So sind beispiels-
weise die zwei plusstrophen von B* 526a. b, in welchen Sin-
dolt und Hunolt erwähnt werden, gewis ein sehr junger anwuchs
der sage, aber sie stehen ganz gleich den übrigen erwähnnngen
dieser beiden: 719. 720 und an mehreren stellen des Sachsen-
kriegs 172. 199. 210, welche alle von Lachmann beseitigt werden.
Es ist bei weitem das wahrscheinlichste anzunehmen, dass ein
und derselbe mann diese höfischen Strophen verfasst hat Ganz
das gleiche liesse sich noch an vielen beispielen ausführen,
auch solcher Strophen, die den glatten Zusammenhang stören,
deren es ja im gemeinsamen texte AB bekanntlich viele gibt
Auf diese gemeinsamkeit des cliarakters der 'plusstrophen' von
B* und vieler 'unechten' Strophen von AB ist auch sonst schon
hingewiesen, so an mehreren stellen von Kettner, Zs. fdph. 26,
437 und besonders Oest. Nib. s. 69 ff., wo er ausführt^ dass die
bewusste und unbewusste nachahmung anderer Nibelnngen-
hang vom Standpunkte B* ans sehr wol rechtfertigen, Yg\. was darüber
Wislicenns s.27 ausführt
^) Wihnanns sagt in seiner anzeige Ton Kettners buch (OGA. 1896)
s. 22 über die als interpolationen ausgeschiedenen Strophen sehr treffend: *Oft
wird man zwar mit grosser Wahrscheinlichkeit annehmen können, dass eine
stelle, die als interpoliert erscheint, zu den jüngsten schichten der dichtnng
gehört; doch bleibt auch dann der zweifei, ob sie Tom dichter herrührt oder
vom bearbeiter. Denn da ja auch die arbeit des dichters vorlagen Torans-
setzt, so kann es nicht fehlen, dass elemente, die er selbst eingefügt hat,
-y^j^gentlich auch wie interpolation aassehen.' Ghinz dasselbe lässt sich anch
die iix ^^^ interpolationen aussehenden 'plusstrophen' tou B* anwenden.
, ' ^ --^^^ unserer handschriftenauifassung jedenfalls dem archetypus
textes senen T^ ^y^^^j jüngere interpolationen sem, oder aber auch schon
differenzen zwis, ganzen zurückgehen.
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HAKBSCHBIVTENTERHALTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES. HI. A. 79
stellen, die er Zs. fdph.26 für den dichter der 'plusstrophen'
von B in ansprnch nahm, auch den dichter der 'unechten'
Strophen des gemeinsamen textes charakterisiere. Es ist diese
Übereinstimmung umsomehr hervorzuheben, als die dem um-
arbeiter C* angehörigen Strophen doch einen davon verschie-
denen Charakter tragen.
Unsere Untersuchung des handschriftenverhältnisses hat
uns gelehrt, dass der Schreiber von a, der Verfasser der recen-
sion A*, alle die 'plusstrophen' von B* in seiner quelle y
(s. oben s. 31), aus der ja auch der text Db* floss, gefunden
haben muss. Es ist nun durchaus glaublich, dass a — wie
er überhaupt auch durch die über das ganze gedieht ver-
streuten lesartenänderungen seine Selbständigkeit bekundete —
in der auslassung von Strophen ebenfalls nicht sinnlos vorgieng.
Was auch der grund gewesen sein mag, weshalb er nur in
av. 6 — 11 so stark kürzte, er kürzte im grossen und ganzen
nicht ungeschickt, indem er meist nur solche Strophen weg-
liess, die entweder für die handlung überflüssig waren, oder
vielleicht sogar bei genauerem nachdenken störten. Dass ein
mittelalterlicher Schreiber an Unebenheiten anstoss nehmen
konnte, zeigt uns ja das verfahren des Verfassers von C*, der
auch viele Unebenheiten und Widersprüche seiner vorläge er-
kannt und weggeschafft hat. Ueberlegung müssen wir eben
bei a annehmen und dürfen die Strophenauslassungen nicht
auf blosse nachlUssigkeit schieben, wie dies Holtzmann und
Bartsch vorwiegend tun. Das beweist ja schon, dass einige
male A einer Strophenauslassung wegen den umstehenden text
ändert. Die wichtigsten fälle dieser art sind 442, 4 und 640, 4,
während die änderungen 429, 1 und 608, 1 auch allenfalls die
annähme von nachlässigkeit zulassen könnten.
Nun würde es freilich auffällig sein, wenn dem Verfasser
von a bei seinen kürzungen gar keine misgriffe passiert wären,
wenn er nur solche Strophen weggelassen hätte, die ohne
schaden oder zum nutzen des Zusammenhangs wegbleiben
konnten: er wäre ja dann ein Lachmann des 13. jh.'s gewesen.
Solche consequente Überlegung und allseitige erwägung des
Zusammenhangs würde man bei einem mittelalterlichen kritiker
nicht erwarten dürfen. Und in der tat zeigt es sich, dass er
misgriffe begangen hat.
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80 BBAUNE
Es sind seinen strichen nicht nor Strophen zum opfer ge-
fallen, die man ungern entbehrt, wie 497a und 499a, wenn
auch ihr fehlen nicht grade den Zusammenhang zerreisst, >) oder
die schöne und passende Strophe 437 a, die kein modemer kritiker
gestrichen haben würdet): er hat sich auch in der ausscheidong
vergriffen bei 540 a. b, wo er zugleich noch 540 und 541 mit
hätte streichen sollen,^) Und er hat endlich Strophen aus-
^) Von der antwort Hagens 497ay 1 £F. sagt Bieger b. 26 sehr mit un-
recht: 'es ist blindlings nach einem motiy gehascht, so albern es sich aus-
nähme \ Nein, dass Hagen hier Torgibt/ er wolle lieber bei den damen
bleiben und ihre gewänder hüten, das ist natürlich nur grimmer homor,
wie er ganz zu Hagens sonstigem Charakter passt. Sein eigentlicher zweck
ist dabei, für die botschaft Siegfirieds die bahn frei zu machen. Es ist
selbstTerständlich, dass dieser zug nur dem dichter des liedes angehören
kann, welcher die persönlichkeit Hagens so gestaltet hat. — In anderer
beziehung kann diese partie und die darin zu tage tretende tendenz Hagens,
das Terhältnis zwischen Siegfried und Eriemhild zu befördern, zur stütze
der Strophen 341a. b. dienen, in welchen ebenfalls Hagen gelegenheit zor
Zusammenkunft der beiden herbeiführt, so wie auch schon vorher Hagen
zweimal (150. 390) Günther veranlasst, die hilfe Siegfrieds in anspmdi
zu nehmen. Es könnte darin wol ein alter zug der sage yorliegen,
dass Hagen es ist, der die enge Verbindung Siegfrieds mit den Bnrgnnden
befördert.
*) Dass das si 438, 1 durch TruvhiU 437, a 3 erklärlich wird, ist schon
mehrfach hervorgehoben.
') Es ist diese strophengruppe ein recht treffendes beispiel für die vorhin
(s. 78) betonte tatsache, dass die 'plusstrophen' von B* auf dieselbe band
hinweisen, welche auch in dem gemeinsamen texte AB zu erkennen isL
Am schlusB der vorigen aventiure sind die zui'üstimgen zum empfang Gün-
thers und Bmnhilds geschildert: in str. 537 sind die damen mit ihrem putz
fertig, und die ritter, die sie zum Rheinufer führen soUen, kommen herbeL
Der eigentliche zug zum ufer wird nicht besonders ausgeführt, sondern im
anfang der neuen aventiure steht der empfang am Bheinufer schon bereit
(538, 4. 539, 4) und sieht zu, wie Günther und sein gefolge am andern nfer
sich einschifft. Jetzt erst holt nun ein zudichter wenig passend das ver-
säumte nach, indem er, den fortgang der handlung unterbrechend, mit der
grosses ankündigenden phrase nü Juert ouch disiu nuere (die noch Einmal
besser motiviert 583, 2 vorkommt) die nichtige erzählung einschiebt, wie
Ute die damen von der bürg herunterführte, wie Gere und Sifrit sidi um
Kriemhild bemühten, Ortwin mit Ute ritt und viele ritter und damen selb-
ander zum ufer zogen, woneben reichlich buhurdiert wurde. Diese aUtfig-
lichkeiten unterbrechen ganz unleidlich die erzählung, die sich mit 542,1
Der künic was komen übere straff an 538. 539 anschliesst Die vier Strophen
rühren sichtlich von demselben her: denn wer es für nötig hielt die Ute
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HANDSCHBIFTENYERHALTNISSE DES KIBELUNGEKLIEDES. HI. A. 61
gelassen y die des Zusammenhangs wegen keinesfalls fehlen
durften, deinen Streichung einen riss hinterlassen hat, durch
den man beweisen könnte, dass ein verlust vorliegt, wenn wir
das nicht schon so wüssten. Wir sehen im folgenden diese
Strophen etwas näher an.
Zwischen 338 und 339 stehen zwei Strophen. Dass diese
Strophen, wenigstens der inhalt von 388b, notwendig in den
Zusammenhang gehören, ist selbst von anhängem von A meist
zugegeben. Zuerst von M. Rieger s. 21. K. Hofmann s. 6 will
hier den ausfall einer Strophe in A annehmen, und v. Muth
s. 127 schliesst sich dieser ansieht an. Es ist auch völlig un-
fassbar, wie ein vernünftiger mensch 339 hätte anfangen
können: Der gesellen hin ich einer etc., wenn er nicht un-
mittelbar vorher unter Zurückweisung des heeres gesagt hätte
selbe vierde degene vam unr an den si (338 b, 8). Wir werden
natürlich folgern, dass a in seiner vorläge auch 338 a gefunden
habe. Denn was man für die minderwertigkeit dieser Strophe
beigebracht hat (z. b. Eettner, Zs. fdph. 26, 435), kann bei der
grossen menge von ähnlichem im Nibelungenliede nichts besagen.
Nach 348 fehlen in A vier Strophen. Dass sie dem ori-
ginale angehört haben müssen, ist unzweifelhaft. Die frage
der Eriemhilt 346, wer die erwählte dame sei, erforderte not-
wendig eine antwort, die 348a, 3 bringt: wir welln hurewilen
in PrünhiUe lant (die antwort schliesst sich natürlich mit
absieht in der form der früheren allgemeinen angäbe 345, 3
an). Und dass die antwort gegeben ist, beweist klärlich 351, 4,
dcuf unr äne schände rümen Prünhilde lant, was Günther nur
sagen konnte, wenn 348a, 3 vorausgegangen war. Es ist be-
hauptet worden, dass man in A hier keine lücke empfinde, so
von Müllenhoff, Z. gesch. d. N.N. s. 90 gegen Zamcke, und von
K Hofmann, der von den vier ^schneiderstrophen' spricht, die
man in A nicht vermisse. Es ist richtig, wenn man vom
Standpunkte des Volksliedes aus die sache betrachtet, so wird
SU erwähnen, der mnsste auch der Eriemhilt gedenken und die bohnrt-
Btrophe, welche der str. 542 vorgreift und die anch schon Lachmann wegen
des caesnrreimB athetierte, ist yiel besser motiviert , wenn sie sich an die
weiteren ansfühningen von 540 a. 540b anschliesst, als wenn sie direct auf
540 folgte. M. Bieter s. 22 hebt hervor, dass ohne diese Strophen die weit-
läufige ankündigong 540, 1—8 keine folge habe.
Bdtrage xur geschichte der deutschen spräche. XXV. Q
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82 BRATJNB
man eine sprunghafte, wesentliche glieder flberhfipfende dar-
stellnng, wie sie hier A bietet, erträglich finden können.
Das Nibelungenlied besteht aber in der vorliegenden form
nicht aus Volksliedern, sondern ist nach den intentionen seines
dichters ein höfisches kunstepos. Und ganz besonders die
ganze hier in rede stehende erzählung 840 — 864, die der
dichter natürlich ohne jedes ältere material frei im &cät
höfischen geschmack componierte und die Lachmann deshalb
auch vollständig aus seinem ^echten' liede entfernte, sie ist
ihrem ganzen umfange nach eine höfische ^schneiderpaitie',
in die auch unsere 'schneiderstrophen' als notwendiges glied
hineingehören. Hier darf man nur den massstab der höfischen
dichtung anlegen, und mit diesem gemessen wäre es undenkbar,
dass der dichter die directe frage der königin in 346 ge-
stellt hätte, ohne die ritter in höflicher weise darauf ant-
worten zu lassen, es wäre undenkbar, dass 851,4 in sprung-
hafter manier auf die nicht vorhandene antwort bezug genommen
würde. G^en die Strophen fährt v. Muth, EinL s. 129 an, sie
seien überaus zierlich: ^anspräche und antwort correspondieren
genau; man beachte femer das aufnehmen desselben prädicates
13. 14 ir sult und die suchenden silben 16; das alles zeigt den
einfluss der höfischen poesie bester zeit'. Nun, ein höheres
lob hätte der Verfasser der ganzen partie sich sicher nicht
gewünschtl Wenn v.Muth schliesslich an 848 d, 4 {wände wir
der verte hän deheiner slahte rät) anstoss nimmt und meint^
hier sei die Interpolation deutlich, da sie nur verständlich
werde durch 361, wo Eriemhild von der reise abrät, so wird
dieser einwand niemanden verblüffen: es ist hier doch zunächst
nur der im mhd. so beliebte negative ausdruck der positiTen
aussage, dass sie zu der fahrt ganz fest entschlossen seioL
Ob der dichter dabei schon den Inhalt der späteren Strophe
361 im sinne gehabt hat, ist sehr zweifelhaft, würde aber
natürlich mit der einheit des dichters von str. 348d und 361
bestens harmonieren.
Nach 383 fehlen in A drei Strophen, für und g^en deren
echtheit vom ästhetischen Standpunkte aus verschiedenes bd-
gebracht ist: Rieger und Wislicenus finden sie sehr gut und
passend, während v. Muth dem widerspricht. Damit ist natür-
lich nichts zu beweisen. Wol aber lässt sich hier zynngend
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HAKDSCHBIFTENYERHALTKISSS DES KlBELUKQENLIEDfiS. ÜL A. 6d
dartün, dass sie in den nrsprfinglichen Zusammenhang ge-
hören. Darauf hatte schon Wislicenns hingewiesen, was
Y. Math in seiner polemik ganz übergeht In 388 a— c wird
das aussteigen von Siegfried und Günther erzählt und 384
ihre rüstung beschrieben: rekte in einer maee den helden vil
gemeit von sneblanker vance ir ros und auch ir Ueit wären
vil geliche. Während Siegfried und Günther weiss gekleidet
waren, wird dann 386 von den ihnen folgenden Dankwart
und Hagen gemeldet, dass sie von rabenswaraer vance tniogen
ri(Aiu kleit In A ist der Zusammenhang durch auslassung
der drei Strophen gröblich zerrissen. Da muss man notwendig
die schne^weisse kleidung von 384 auf alle vier beziehen^ was
dann durch 386 widerlegt wird. Hier kann man die aus-
lassung von a nur kopflos nennen.^ Dass der passende Zu-
sammenhang erst durch einen interpolator hergestellt sei, ist
ganz undenkbar, zumal diese Strophenfolge, die eine moderne
höfische rüstungsschilderung bietet, notwendig folgerichtig con-
cipiert sein muss, da ihr nicht altes, abgerissen überliefertes
si^enmaterial zu gründe gelegen haben kann. Dass in den
drei Strophen die dienstbarkeit Siegfrieds hervorgehoben wird,
ist durchaus im sinne der auffassung des Originaldichters, wie
Eettner, Zs. fdph. 26, 437 zugeben muss. Es lässt sich das also
in keiner weise dafür geltend machen, dass diese Strophen ihm
nicht gehören könnten.
Auch die nach 385 von A ausgelassene Strophe ist im
zusammenhange nicht zu entbehren. Freilich ist sie inhalt-
lich eine der rüstung beschreibenden Strophen, von denen man
ja mit besonderer wonne annimmt, dass sie der interpolator B
< zugedichtet' habe. Ist diese Voraussetzung aber richtig?
Man ist dabei von dem gefühl geleitet, dass den 'ursprüng-
lichen liedem', will sagen dem altüberlieferten sagenmateriale
gegenüber diese höfischen demente notwendig zutaten sein
müssen. Daraus folgt aber nicht, dass der höfische dichter
des liedes, der ja sicher muster von ausgeführten beschreibungen
aus der älteren epik kannte (vgl Eettner, Oest. Nib. s. 6), nicht
auch schon die nötigen beschreibungen mit aller von der mode
1) Kettner, Zs. fdph. 19, 106 bemüht deshalb hier swei yerBchiedene yer-
fssser.
6*
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84 BRAUNE
erforderten Vollständigkeit hätte einfügen können, so dass noch
'zudichter' da nachzuarbeiten gefunden hätten. Dass höfische
zudichter nicht in erster Unie darauf aus waren, beweist der
gewis höfisch gerichtete Verfasser von C* unter dessen sämmt-
liehen zusatzstrophen sich keine einzige befindet, die eine
rttstungs- oder kleidungsbeschreibung des Originals erweitert
hätte. Dagegen Hessen sich einzelne Strophen der art Yon
jemandem, der wie a in dieser partie zu kurzen trachtete, am
ehesten ohne schaden für den Zusammenhang der erzäUung
weglassen. Aber in unserem falle zeigt bei genauerem zusehen
doch der Zusammenhang, dass 385 a nicht fehlen darf. In A
heisst es 385: 5t körnen zuo dem lande, als esir eilen in gtbot
Bei der einfachen erzählung, dass Günther und Siegfried ans
dem schiffe ausstiegen, ist die formel als ez ir eilen in gebot
nicht am platze. Sie steht nur, wenn wirklich etwas helden-
mässiges getan oder berichtet wird. So 2222,4 dae rock der
alte Hiltehrant als im sin eilen dae geb6t\ 2057 a^ 4 (C* = Z.
325,2) do nerten sich die degene als in ir eüen das gebot
Dazu 2220, 1 D6 vaht der herre Sigestap als im sin eüen rieL
Analog als in ir hraft gebot 2213,2. Die wol motivierte an-
Wendung der formel ergibt sich an unserer stelle sofort, wenn
es heisst: si körnen euo dem lande, als ea ir eilen in gebot. Mit
spem niwesliffen, mit swerien toolgetdn etc. Also ihre held^i-
haftigkeit war die veranlassung, dass sie mit tfichtigen speren
und Schwertern ans land stiegen. Streicht man mit A die
Strophe, so ist die formel eine ruine ohne sinn. Es kann nicht
zweifelhaft sein, was hier das prius ist Wenn v. Muth s. 131
gegen diese Strophe anführt, dass niwesliffen axa^ bIqthuvov
sei, so weiss ich nicht, was damit bewiesen werden solL Dass
ein sonst gut belegtes wort wie niuwesliffen (vgl. Lexer s. v-X
im Nl. nur Einmal vorkommt, dafür gibt doch fast jede Seite
von Bartschens Wörterbuch weitere beispiele. Kettner, Zs. fdph.
26, 440 hebt sogar hervor, dass im Nl. sper sich sonst nur drei-
mal finde, gegenüber sonstigem schaft. Bezüglich des sachlichen
sei auf Härtung, Altertümer s. 395 ff. verwiesen. Eichtig ist^
dass im Nl. öfter (14 mal) schaft als sper gebraucht wird.
Dass aber dem sprachgebrauche des dichters auch das allgemein
ritterliche sper gemäss war, würde durch die übrigen drei
stellen hinreichend bewiesen, wenn es dessen bedürfte.
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HAHDSCHBIFTENYERHALTNI8SE DES NIBELUNGENLIEDES, m. A. 85
Die nach 582 in A fehlende Strophe zerreisst nun zwar
nicht den Zusammenhang. Aber durch ihren Verlust wird die
antithese von 582 ay4 und 583,4 zerstört, welche sicher ursprüng-
lich ist, und durch einen interpolator nicht hineingebracht
sein wfirde. 583, 4 will freilich Lachmann gegen alle hss.
conjicieren der hat i statt er hete, um damit den offenbaren
fehler merltcher degen in A statt des richtigen der eierltche
degen zu reparieren. Durch diese conjectur wird gröblich der
sinn des yerses entstellt, in welchem mit naivem realismus
vorausgesetzt wird, was natürlich niemand aus dem mittel-
alterlichen publicum bezweifelt haben kann, dass Günther vor
seiner ehe mit Brünhilde schon oft liebe genossen hatte. Wenn
Lachmann in der anm. die gemeine lesart als wenig passend
bezeichnet, so kann das nur von einem sehr modernen empfinden
eingegeben sein, das dem mittelalterlichen menschen unver-
ständlich gewesen sein würde. Dass die lesart der gierliche
degen richtig und auf Günther zu beziehen ist, zeigt auch
ein blick auf den sonstigen gebrauch. Die formel der gier-
liehe degen, oder im letzten halbvers der vil eierltche degen
begegnet regelmässig als epitheton bestimmter vornehmer
beiden: Günther 153,4, Sivrit 189,4. 288,4, Volker 1977,4.
2166, 4, (1234, 4 C), Hagene 2286, 4, (1197, 4 C). Nur einmal ist
eierlieh allgemein angewant, aber wider in einer formel vil
manic snerltcher degen 2174,4, in welcher auch das einfache
eiere vorkommt (1179, 4). Davon würde sich also das eier-
Itcher degen in A abheben: wenn Lachmanns sinn beabsichtigt
wäre, würde es mindestens manec eierlicher degen heissen.
Zudem zeigt ja A durch das in v. 4 mit den übrigen hss.
stimmende er hete, dass in seiner vorläge noch das richtige
stand und dass in der auslassung des der v. 3 hier nur eine
der vielen kleinen nachlässigkeiten der hs. A vorliegt. Die
zeile 583,4 erhält nun ihre rechte motivierung und Wirkung
erst dadurch, dass 582 a, 4 gesagt ist, S. hätte die Er. tausend
anderen frauen vorgezogen. Im gegensatz dazu hatte Günther
dicke samfter U anderen wiben als iler Br. gelegen. Es ist
ausserdem noch auf die — übrigens sonst im NL nicht weiter
vorkommende — form der praeteritio ich sage iu niht mire
hinzuweisen. Schon Wislicenus hat richtig betont, dass diese
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86 BBAITNE
doch einiges mehr voranssetze, als 582,4: die Strophe 582a
ist zur unterläge dafür nicht wol zu entbehren.
Endlich ist auch str. 589 a mit Holtzmann und Wislicenus
ffir ganz unentbehrlich zu halten. Den sehr schwachen ein-
wendungen Müllenhoffe s. 92 hat y. Muth nichts gewichtigeres
hinzugefügt Schon Rieger s. 25 fühlte die schwäche der Posi-
tion, und wenn Eettner, Zs. fdph. 26, 441 annehmen will, das
do 589, 1 gehe nicht auf die zeit bald nach der fesselung,
sondern falle in die zeit gegen morgen, so ist das eine yer-
legenheitsausflucht, die man höchstens ergreifen durfte, wenn
str. 589 a nicht existierte. Von unserem Standpunkte aus können
wir nur urteilen, dass a durch die beseitigung der Strophe
einen misgriff begangen hat, welcher die ordnungsmftssig fort-
schreitende und gut angelegte erzählung verwirrt hat.
Während die im vorhergehenden besprochenen Strophen
durch den Zusammenhang als dem originale angehörend sich
erweisen, ist unter den Strophen unwesentlichen Inhalts, die a
mit fug streichen durfte, doch noch eine, von der man durch
ein äusseres kriterium erweisen kann, dass sie wirklich von a
ausgelassen ist. Es ist dies die Strophe 417 a, welche sich
inhaltlich mit ihrer beschreibung des waffenrocks der Brnnhild
zwischen der beschreibung von schild und sper nicht eben sehr
empfiehlt und damit so manchen an ihrer stelle wenig passend
stehenden Strophen des Nibelungenliedes gleich zu stellen ist
Eine ausfuhrliche rechtfertigung und erklärung der strophe
unternimmt Zamcke, Beiträge z. erkl. u. gesch. d. Nib. s, 234 fL
266.^ Dass ihr fehlen in A aber secundär ist, wird durch
>) Znm sachlichen möchte ich noch hinzufügen, dass der waffeniock
allerdings ein nenes rüstnngsstück war, aber nicht so nen wie Hartiing,
Altertümer s. 445 nach Köhler, Die entwickelnng des kriegswesens 3, 1, %
annimmt, der das zweit« Jahrzehnt des 13. jh.*s als die zeit des aofkommeiifl
des waffenrocks angibt. Köhler hat diese Zeitangabe jedenfalls gemacht im
anschlnss an A. Schultz, Höf . leben 2, 34, 2. anfl. s. 41, welcher den waffen-
rock anf siegeln zuerst 1211 nachweist und danach s. 48 C 58) angibt, dass
in den ersten decennien de& 13. jh.'s der waffenrock aufgekommen sei.
Köhler s. 45 fügt das Zeugnis hinzu, dass der waffenrock in der schlackt
bei Bouyines 1214 erwfthnt werde. Aber die Siegelschneider rückten jeden-
falls der mode nur sehr yerspätet nach. Und die Zeugnisse aus dichtem,
die Schultz selbst beibringt, führen uns schon weiter zurück. Dass in
Wolframs Parziyal der wäpenroc ein ganz bekanntes kleidungsstück ist,
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HANDSCHBIFTENVEBHALTNISSE DES NIBBLUNOBNIiIEDES. HI. A. 87
den namen Amgaue erwiesen, welcher zusammen mit Zaac^
mane 353, 2 von Wolfram f&r seinen Parzival dem Nibelungen-
liede entnommen ist. Vgl hier&ber Bartsch, Germ. stud. 2, 128 1
Die von Lachmann (anm. zu 353 und 417) vertretene an-
schauung, dass das Nibelungenlied diese namen aus dem Par-
zival entlehnt habe, muss freilich von den Vertretern von A
festgehalten werden, wie denn deshalb auch Vogt, Pauls Grund-
riss 2, 317 den archetypus des Nibelungenliedes nach 1205
ansetzen will.^ Während sonst ein einfluss des Parzival auf
das Nl. absolut fem liegt^ sind die Vertreter dieser ansieht zu
der h(k^hst sonderbaren annähme gezwungen, dass zuerst der
Verfasser des Originals 353 Zaeamanc dem Parzival entnommen
habe, sodann wider der ^zudichter' B* 417a Ajgctgouc, und end-
lich hätte der Verfasser von C* nochmals in einem punkte den
Parzival benutzt in bezug auf seine gestaltung von Bumolts rat
(vgl. Zacher, Zs. fdph. 2, 505. Martin, Zs. fda. 32, 384). Diese an-
nahmen sind so haltlos und widersprechen den sonstigen an-
erkannten literarischen beziehungen derart, dass jetzt auch
Kettner (Oest Nib. s. 195) die entlehnung von Zaaamanc aus
dem Parzival fallen lässt Wolfram ist bekanntlich derjenige,
welcher gross darin ist, namen überall her zu entlehnen, vgl. die
Zusammenstellungen von Bartsch a. a. o. und von Martin, Zur
gralsage QF. 42, 4 ff., woselbst u. a. nachgewiesen ist, dass
Wolfram eine grosse masse antik klingender namen aus Solins
Polyhistor bezogen hat. Ganz besonders lehrreich für Wolframs
yerfahrungsweise ist es zu betrachten, wie er auch wider für
beweist doch mindestens seine existenz in Deutschland für das jähr 1200.
Auch Ufarich im Lanselet erwfthnt mehnnals (362. 650. 4428) den waffen-
rock. Gegenüber den yenuchen den Lanzelet ins 13. jh. zu rücken (zuletzt
Ton Singer, Bemerkungen zn Wolframs Parzival s. 81 ff.), ist doch wol
mit Grohn (Zs. fda. 43, 265 ff.) an der abfassnng im letzten Jahrzehnt des
12. jh.'s festznhalten. Es kann also auch im Nl. die Strophe 417 a nm
oder Yor 1200 entstanden sein. — Im Kibelnngenliede wird übrigens der
waffenrock noch einmal erwähnt 1638, wo Bftdiger dem Günther ein todfen-
Uch gcwant schenkt. Dadurch wird jedes chronologische bedenken gegen
417 a beseitigt.
1) Nachdem neuerdings Fr. Vogt, Ilberg-Richters Jahrbücher 3, 137 ff.
Wolframs yerhalten gegenüber seinen quellen so feinsinnig gewürdigt hat,
so steht zu erwarten, dass er seine oben erwähnte ansieht über ^a^otic
und Z€uam€mc nicht mehr festhalten werde.
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88 BRAUNE
seinen Willehalm das namenmaterial des Parzival nutzbar
macht (nachweise bei San Marte, Ueber Wolfr. Wilhelm v. 0.
s. 156 ff.). Dass Wolfram das Nibelungenlied kannte, wissen
wir ans seinen zahlreichen anspielnngen. Wie er nun die
übrigen ihm bekannten deutschen dichtungen, Eneide, Eilharts
Tristan, Hartmanns Erec u. a. auf ihr namenmaterial hin aus-
nutzte, so ist es selbstverständlich, dass er sich aus dem Nibe-
lungenliede die so anmutend orientalisch-fremdartig klingenden
namen Ajsagouc und Zaeamanc nicht entgehen liess, um damit
zwei orientalische reiche zu benamsen. Ajsagauc braucht er
auch noch in der ursprünglichen anwendung als herkunftsort
edler Stoffe: im 5. buche 234 samit von Äeagouc und Tit 80
gesteine von Äsagouc. In das Nibelungenlied, welches auch
sonst Stoffe aus Arabien, Indien, Libyen, Marokko und Ninive
bezieht, sind die namen Azagouc und Zcusamanc ohne zweifei
aus der mündlichen tradition der spielleute genommen, die seit
den kreuzzügen ja orientalischen aufputz liebten. Die Urformen
und herkunft dieser beiden namen festzustellen wird man wol
aufgeben müssen, i)
Durch die anspielung Wolframs auf Rumolts rat nach der
fassung C* im 8. buch des Parzival wird sicher gestellt, dass
diese redaction um 1205 spätestens vorlag. Diese Jahreszahl
entspricht durchaus sonstigen indicien. War es doch selbst
Lachmann wegen der Lorscher Verhältnisse nicht möglich, C
tiefer hinab als 1225 zu rücken. Und auch die sehr alte
handschriftliche bezeugung der recension fällt schwer ins ge-
wicht. Es fragt sich nur, ob Wolfram allein die fassung C*
gekannt hat. Wenn das zu bejahen ist, so müsste deren ent^
stehung bis gegen 1200 zurückgerückt werden, wogegen nichts
zu erinnern wäre. Denn dass C" lange nach dem abschluss
unserer ältesten in B"* vorliegenden form entstanden sein
müsse, braucht man nicht anzunehmen: wenige jähre genfigten
dazu. Man wird nach erfolgtem abschluss des Nibelungen-
liedes bei dem grossen eindruck, den es nach den zu beobach-
tenden literarischen Wirkungen auf die Zeitgenossen machte,
^) Für die auf klänmg dieser frage wäre es übrigens nur mrückscliieben
der Schwierigkeit nm eine oder zwei instanzen, wenn man annähme, dass
das Nl. die namen ans Wolfram und dieser wider ans dem gespensterhaften
Kyot hätte.
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HANDSCHRIFTENVEBHÄLTNISSB DBS NIBELUNGENLIEDES. HL A. 89
alsbald eine rege abschreibertätigkeit annehmen müssen. Die
Klage entstand sehr bald nachher und wurde den hss. des
Liedes beigeschrieben: diese fand denn auch der nmarbeiter C*
schon mit dem liede verbunden vor und entnahm aus ihr einen
teil seiner bearbeitungsmotive. Ich glaube nicht, dass man
den archetypus des liedes B* früher aIs etwa 1195—97 wird
ansetzen dürfen. Denn der Verfasser muss doch schon von
der ältesten höfischen epik angeregt worden sein. Die nach-
weise im einzelnen, die Kettner, Oest. Nib. s. 4 hierfür bei-
znbiiQgen sucht, sind freilich für directe nachbildung nicht
zwingend: selbst die kleiderbeschreibung Nib. 384. 386, deren
veranlassung durch Erec 1941 ff. auch von Martin, Anz. fda.
24,284 zugestanden wird, stimmt doch im einzelnen und im
Wortlaute zu wenig überein. Während im Nl. Günther und
Siegfried weiss gekleidet und beritten sind. Dankwart und
Hagen aber schwarz, so erscheinen im Erec je fünf junge
konige und fünf alte gleichmässig gekleidet: die rosse der
jungen sind schwarz, die der alten weiss. Es können sehr
wol beide dichtungen direct nach der anschauung gearbeitet
sein: denn eine anordnung von gleich gekleideten rittergruppen
wrird bei festlichkeiten im wirklichen leben oft genug zu sehen
gewesen sein. Dass Hartmanns Iwein benutzt sei, glaubte
Kettner a. a. o. s. 194 durch die episode vom bahrrecht beweisen
zu können. Dieser beweis ist aber entschieden misglückt (vgl.
Martin, Zs. fda. 32, 380 und Anz. fda. 24, 284), auch der Wortlaut
ist nicht so übereinstimmend, wie E. meint: es stimmen doch
nur einzelne worte, wie wunden und bluoten, die bei der
ähnlichkeit der sache notwendig in beiden stellen vorkommen
müssen. Immerhin wird man annehmen müssen, dass der
Nibelungendichter die ältesten werke, wie Veldekes Eneide
und Hartmanns Erec, vielleicht auch Ulrichs Lanzelet, gekannt
haben wird.
So viel aber darf man sicher sagen, vor Wolframs Par-
zival sind beide hauptrecensionen des Nl. abgeschlossen ge-
wesen, und aus ihnen hat er Assagouc und Zaeamanc ent-
nommen. Der Schreiber a beseitigte dann die str. 417 a mit
Äjsagouc.
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90 BRAÜHB
B. Die lesarten von A.
Neben den strophendifferenzen sind ffir den text A eine
grosse anzahl abweichender lesarten charakteristisciL Hierbei
ist zu scheiden zwischen dem texte a nnd unserer hs. A
Letzterer fallen sicher die meisten der nachlässigkeiten, groben
verschreibongen und anslassnngen zu, welche grade diese ha
so sehr entstellen. Hierüber verweise ich auf die Sammlungen
von Bartsch in seinen Untersuchungen.
Oft ist in A der rhythmus der Strophe verändert Hier
ist es bisweilen schwer zu entscheiden, was dem schreibe
unserer hs. und was dem Überarbeiter a zuzuschreiben ist
Die abweichungen finden sich besonders in der letzten halb-
zeile. Bartsch hat (Unterss. s. 142 ff.) erwiesen, dass an diesa*
stelle der zweite takt der regel nach einsilbig ist Diese
rhythmische eigenheit kann nur in dem gesangsvortrag der
Strophe begründet gewesen sein, wie denn auch die gesungenen
Eürenbergstrophen durchaus diese form haben, von einigen
leicht zu bessernden fehlem der jungen Überlieferung ab-
gesehen. Als die Strophe dann im Nl. zu nicht gesungenem
lesevortrag benutzt wurde, konnte diese auf dem gesang
basierende rhythmische form vernachlässigt werden. Immer-
hin ist unter dem nachwirken der tradition der einsilbige
zweite takt im original des Nibelungenliedes noch recht h&ufig
gewesen. Es darf aber nicht verwundem, wenn bearbeitar,
der fortschreitenden tendenz nach beschränkung der einsilbigen
takte folgend, diese rhythmische formel vernachlässigten, —
weniger principiell Senkungen ausfüllend, als viehnehr un-
bewusst die modernere versform wählend, wenn sie aus anderen
gründen die letzte halbzeile änderten. Das ist in hohem
grade bei C* der falL Aber auch in A, und zwar dürfen wir
hier wol meist den bearbeiter a verantwortlich machen, da in
den letzten halbzeilen, die er ganz neu dichtet, in der regd
die neuere versform eintritt Vgl. z.b. in den inhaltlich zu-
sammengehörenden 969, 4. 970, 4. 973, 4, wo A eine gekOnstelie
klimax hineingebracht hat (aU im sin triutce daz gebot — da»
was ir ander hersseleit — dae do ir heree vol durdhsneit) statt
der in B"*" stehenden formelhaften ausdrücke mit einsilbigem
zweiten takte (des gie im wcerlichen not — da» was ir grceg-
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HANDSCHBIFTENyERHALTNISSE DES KIBELÜNOEiniilEDES. KL B. 91
liehe leit — daß was ir icasrltehen leit). Weitere beispiele für
diese tatsache ergeben sich aller orten; es seien nur die fälle
kurz vor und knrz nach dieser stelle hier citiert: 966, 4. 965, 4.
964,4. 957,4. 948,4. — 976,4. 983,4. 984,4. 988, 4. 0
Eine weitere metrische abweichung der letzten halbzeile,
die in A häufig sich findet, ist die Verkürzung derselben um
einen takt, so dass sie nur drei hebungen hat, wie die übrigen
zweiten halbzeüen der langverse. Schon Max Rieger s. 99 ff.
hat zugegeben, dass die von ihm gezählten 114 fälle solcher
mangelhaften verse Verderbnisse seien; er schiebt sie der nach-
lässigen Überlieferung von A zu. Vgl. hieilLber femer Bartsch,
Unterss. s. 156 ff. Es ist ganz klar, dass dieser fehler im
wesentlichen der nachlässig geschriebenen hs. A verdankt
wird. Verschiebungen der richtigen Wortstellung wie 2037
£er ivSrlde nie gehorn statt nie eer wirldi geb&m und ganz
besonders auslassungen einzelner wOrter bilden die haupt-
inasse.2) Die auslassungen sind meist für den sinn unwesent-
0 Natürlich kann auch der Schreiber der hs. A manches davon yer-
unacht haben. Besonders wird man viele der wortnmstellnngen dem
letEten Schreiber zuzuweisen geneigt sein, vieUeicht selbst stärkere fäUe,
wie 2093, 4. 2120, 4 n. a. Umgekehrt ist im texte A auch manchmal gegen
das original die alte rhythmische form hergestellt worden: ich zähle 19 f^e
^regenUber 70 fällen, die in A weggeschafft worden sind. Meist durch die
in A beliebte auslassung von wQrtchen, wie 326 er hete daz houhet (sin)
veriom, 167 do er daa nusre (rehte) ervant, 584 von groeen schulden (tool)
hthagen (die auslassung von wol bei beheben in A ist gegen den Sprach-
gebrauch des liedes), oder durch kleine umsteUungen wie 398. 1151. Mit
etwas grosseren änderungen verknüpft nur 312. 435. 563. 857. 1448. 2305,
natOrlich zuföllig, da a nicht des metrums wegen änderte. Während er
bei ändemng des letzten halbverses seiner moderneren art gemäss meist
die zweite Senkung ausfttUte, so konnte ihm seltener auch das gegenteil
passieren, da er ja den einsilbigen takt noch nicht perhorrescierte. Das-
selbe ist ja auch in C* zu beobachten. So hat zufällig in zwei von den
letztangefOhrten steUen (435 und 2305) auch C* durch selbständige ände-
rung verse mit fehlender zweiter Senkung erhalten, und der von a ge-
dichtete halbvers 442, 4 alles leides vergas hat ebenfalls zufällig den alten
rhythmus getroffen, welcher auch im entsprechenden verse des originab
vorliegt
*) Damit wird dann gewöhnlich die beliebte form des rhythmus der
zweiten fehlenden Senkung zerstört, z. b. 1427 von vrhmdin getan A statt
von einen vrkmdSn getan. Ich bemerke, dass die fäUe, in denen diese
rhythmische form in A durch Verwandlung in einen dreihebigen vers be-
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92 BRAUNE
lieh, aber auch solche fehlen nicht , durch welche der sinn
gröblich zerstört wird, wie die auslassung von hete 234, oder
1173 ja verlos ich einen \ den vrautve ie gewan statt ja verUs
ich ein den besten \ den ie vr&uwe gewan. Nachlässiger
Schreibertätigkeit wird man auch noch die selteneren fälle
zuschreiben dürfen, wo durch vertauschung von Worten, oft in
combination mit auslassung, der vers verstümmelt ist: 256 der
noch wunder Ut ixa der nü vil sire wtmder lit oder 282 vü
numeges heldes muot statt den eieren helden der muot Aehn-
lich 436. 479. 526. 643. 885. 1574. Etwas stärkere ändemngen,
die den Inhalt berühren, finden sich nur bei fünf dreitaktigen
Schlusszeilen in A: 390 den hovesiie sagen für da von diu
rehten mcere sagen; 614 von mtnen handen wi für dem hüenen
Stvrtde wS; 797 ich minne niemer dich für dag diene ich iemer
umbe dich; 779 daz eine erziucte ir lip für das tet Criemkilde
Up; 413* dar under minnedichen \ ir liehtiu varwe schein für
ir minnecUchiu varwe \ dar under hirltchen schein. Der letzt-
genannte fall ist der leichteste: er ordnet doch wesentlich nur
das wortmaterial um, so dass man ihn ohne weiteres dem
letzten Schreiber beimessen dürfte, wenn er seine vorläge un-
genau im äuge habend sich in der reproduction freier gehen
liess, wie man dies bei den Schreibern mhd. gedichte allent-
halben findet (vgl. z. b. 572, 4). Auch der vorletzte fall 779
lässt sich noch unschwer so auffassen. Dagegen bieten die
drei ersten stellen 390. 614. 797 grössere änderungen des
Sinnes. Man wird diese dem bearbeiter a zuweisen müssen,
der also zum mindesten mit drei fällen an dieser metrischen
ausweichung beteiligt wäre.
Jedoch haben wir hier noch eine auffassung zu berühren,
nach welcher die gelegentliche dreitaktigkeit der letzten halb-
zeile ursprünglich dem metrum gemäss wäre. Diese ansieht
ist vertreten von A. Heusler, Zur gesch. der altdeutschen vers-
kunst (Germ, abhandll. 8. Breslau 1891) s. 122 fl Er zählt in
der hs. A ca. 220 dreitaktige sehlussverse. Diese soUen nach
ihm nun freilich zum allergrössten teile seeundär sein und nur
16 davon sieh mit den erschliessbaren kurzen originalvers^
seitigt ist, unter den in yoriger anm. genannten 70 fäUen nicht mit gesählt
sind. Es würden damit mindestens noch einmal 70 hinsukommen.
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HANDSCUKIFTUNVEBHÄLTNISSE DBS NIBELUKOENLIEDES. in. B. 93
decken (s. 155). Aber er sucht auf anderem wege zu er-
weisen, dass das original des Nibelungenliedes, aus welchem er
mit Bartsch B* und C* selbständig entstanden sein lässt, eine
grosse zahl dreitaktige Schlusszeilen gehabt habe. Heuslers
beweisfflhrung muss ich vollständig ablehnen. Er geht aus
von 24 seiner meinung nach klaren fällen (s. 123 ff.), in wel-
chen aus der vorliegenden Überlieferung noch der kurze
schlnssvers zu entnehmen sei. Aber das ist nur dann der
fall, wenn wir Bartschens hypothese über die Stellung von B*
und C* gelten lassen. Wenn man wie Heusler (no. 10) 1597, 4
aus B* üeer Bürgenden lant und C* den helt von Bürgenden
lant eine dreitaktige grundform von Burgonden lant erschliesst,
so ist das Willkür, die nicht berücksichtigt, dass die lesart
von C* aus B* entstanden sein kann. Solcher art sind die
meisten von Heuslers sicheren fällen. In einigen liegen in
unserer Überlieferung wirklich dreitaktige verse vor. Denn
wenn solche in der jungen hs. A besonders häufig begegnen,
so haben doch auch andere hss. vereinzelte fälle der art, welche
aber meist einfach durch die übrigen hss. als producte nur
eben dieser hs. erwiesen werden. So z. b. hat 1820, 4 (Heusler
110.22) B zware ninder bazJ) Aber durch die richtige er-
wä^^g der hss. wird nimmer d.i. niemere als dem original
angehörig erwiesen, und Bartsch schreibt deshalb mit recht
£ffcäre niemere haz. Einzelne dreitaktige verse gehen über
unsere hss. hinaus auf eine vorläge zurück. So hat die grund-
hs. ADb"^ Str. 1332 durch auslassung einen dreitaktigen schlnss-
vers erhalten (vgl. oben s. 58). Und auch das original unserer
Überlieferung hat vielleicht einzelne fälle der art enthalten.
Deren bleiben etwa 1 bis 2 von den nach Heusler 'klaren'
allen übrig. Es ist dies 2163, 4 (Heusler no. 24 s. 127), wo
als urlesart ADbN ja wcen uns got niht langer \ hie ee lebene
gan sich ergibt. Das ist wol zugleich die lesart des archetypus,
denn B sucht den vers durch erweiterung {got von himeU),
J durch Umstellung zu bessern. Die zweite stelle str. 199
(Heusler no. 3 s. 124) ist schon fraglicher. Denn die von B
gebotene lesart vil manec edel wip kann allenfalls viertaktig
^) Nor Bcheinbar dreitaktig ist d eww ymmer bae, da ymmer natür-
lich als iemire zu lesen ist.
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94 BRAUVB
gelesen werden. Die grnppe ADb*^ wird hier noch allein durch
hs. A vertreten, welche in vil manec uxBÜichess toip zusammen-
trifft mit der besserung von C* (CDb). Das edel in B wird
durch J und d bestätigt, welche sonst beide selbständig
bessern.^ — Sind also im archetypus, ja vielleicht sogar im
original ganz vereinzelte mangelhafte schlussverse gewesen,
so sind sie eben als mängel anzuerkennen. Anders freilidi
Heusler, der auf seinen 24 'klaren' fällen fussend nun mit
kühner kritik aus den abweichungen zwischen B* und C* für
das ganze lied 449 solcher dreitaktiger schlussverse erschliesst
Der versuch Heuslers, dem original des liedes massenhafte
kurze schlussverse zu vindicieren, ist aber auch aus allgemei«
neren gründen zuiflckzuweisen. Heusler meint, die Nibelungen-
strophe vor unserem liede sei eine volkstümliche Strophe, die
viele freiheiten gehabt und sich erst allmählich zu der in
unserer Überlieferung des liedes vorliegenden regelmässigkeit
entwickelt habe. Diese auffassung, nach der dann die in
späteren strophischen gedichten der heldensage auftretenden
abweichungen nicht Veränderungen, sondern bewahmng der
ursprünglichen volksmässigen freiheit sein sollen, ist ganz
haltlos. Kein weiterer grund als die construierte theorie der
entstehung des epos kann für die annähme geltend gemacht
werden', dass die Nibelungenstrophe bei den österreichischen
Spielleuten des 12. jh.'s für lieder aus der heldensage üblich
gewesen sei. Vielmehr ist unsere strophenform durchaus ein
product des kunstgesanges und weist ihrer ganzen art nach
0 Femer wird man 1069, 4 fOr den archetypns den knnen schlossren
tr süher und ir goU annehmen müssen. In J und C* ist hMu yoigeschlagen,
A schiebt rotes vor golt ein, D owck nach umd, — Auch 2048, 4 hat Tiel-
leicht an triuwen nie verlie ADNb im archetypus gestanden. AUe übriges
gehen auseinander: an den triutoen nie verlie B, noch an kimoen verke d,
an rehten triuwen verlie J. In C ist deheinen substantiyisch construiert
und in den zweiten halbvers genommen: wand ich der mhten friumde | an
triuwen nie deheinen lie. Wenn aber in a wider steht (=ADNb) cm
triuwen nie verlie, so könnte man einen angenblick meinen, hier sei die
echte mit B* stimmende C^-lesart Aber die tatsache, dass a in dem
charakteristischen umbau der ersten halbzeile zu C stimmt, beweist, dass
nur durch jüngere yerst&mmelung in a der zu kurze halbveTS entstanden
ist. Und so dürfen wir auch die möglichkeit nicht leugnen, dass B die
echte lesart hat und ADNb nur durch auslassung yon den den rers Ter-
stümmelten.
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HANDSCHfilFTENYERHÄLTNISSB DES NIBELUNGENLIEDES. m.B. 95
auf die kunstformen des altösterreichischen minnesangs hin,
der ja in den Kürenbergstrophen geradezu eine altertfimlichere
form unserer Strophe bietet. Der dichter des liedes, welcher
diese gesangstrophe zuerst für ein grösseres lesegedicht an-
wante, muss aus dem kreise dieser dichtung hervorgegangen
sein und auf dem boden ihrer poetischen technik gestanden
haben. 1) Diese älteren lyriker haben nun doch schon im
wesentlichen festgefügte strophenformen. Wenn auch die
scharfe trennung des stumpfen vom klingenden reime noch
nicht überall durchgeführt ist, so macht dies doch keinen
unterschied in der taktzahl der yerse aus: auch die Nibe-
Inngenstrophe steht ja im princip noch auf diesem boden« Aber
ein beliebiges wechseln zwischen versen von drei und vier
takten in den entsprechenden stellen derselben strophenform,
wie es Heusler der Nibelungenstrophe zuspricht , ist dieser
strophischen kunst durchaus fremd. Es würde das ja auch
mit dem melodischen gefüge der Strophe im Widerspruche
gestanden haben. Es kann hier unerörtert bleiben, ob in der
volkstümlichen grundlage, auf welcher vielleicht die österreichi-
schen lyriker gefusst haben mögen, derartige freiheiten ge-
herscht haben könnten: unsere Nibelungenstrophe geht direct
nur auf die ausgebildeten kunststrophen der dichter, wie
Efirenberger, Meinloh u. a. zurück und ist an deren mass-
stäben zu messen.
Die zweite grössere abweichung im metrum, welche in
der hs. A besonders hervortritt, betrifft den ausgang der
ersten halbzeilen. Dieselben sind durchaus viertaktig, gehen
aber seltener auf ein einsilbiges betontes wort aus, meist
endigen sie auf ein zweisilbiges wort mit langer Stammsilbe,
dessen unbetonte nebensilbe also den vierten ictus trägt.
Stände statt des zweisilbigen wertes mit langer Stammsilbe
ein kurzsilbiges, so würde der vers nur drei takte haben, also
um einen takt zu kurz sein. Dieser fall findet sich nun ver-
schiedentlich in den einzelnen hss., besonders oft in A. Die
erscheinung ist ausführlich von Bartsch besprochen ünterss.
^) VgL hierüber die ansffthniiigen von Kettner (Oest. Nib.) und von
Sehönbachy Das Christentum in der altd. heldendichtnng s. 50.
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96 BBAUKfi
8. 168 ff. und von Heosler, a. a. o. s. 108 ff. Letzterer will auch
hier gegen Bartsch erweisen, dass die dreitaktigen verse neben
den yiertaktigen der ursprünglichen Strophe gemäss seien, und
will im originale des liedes eine grössere anzahl solcher verse
vermuten, die dann von den beiden recensionen B* und C*
meist entfernt seien. G^en diese auffassung lassen sich die-
selben allgemeinen gründe geltend machen, die auf der festig-
keit der gesangstrophe beruhen, welcher nicht im innem der
langzeile beliebig ein voller takt fehlen darf, so wie auch die
Strophen der alten Osterreichischen kunstlyrik solche freiheiten
nicht kennen. Aber auch im einzelnen lässt sich der beweis
nicht führen, dass solche verkürzten verse für das original
unseres liedes als normal gelten könnten. Schon Bartsch hat
gezeigt, dass der name Sifrtt, der in seinen obliquen casus
oft am Schlüsse der ersten halbzeilen steht, für den dichter
des liedes einen langen vocal in der zweiten silbe gehabt
haben muss; es ist also eine dehnung eingetreten, ebenso wie
in den namen auf -her: GuntJUr, Giselher, Volkir eta Dass
später in diesen eigennamen wider Verkürzung des zweiten
teUs eingetreten ist (nhd. GüntJier, Seifert etc.), entspricht der
allgemeinen sprachlichen entwicklung. Aber in der älteren
zeit muss in einer gewissen periode die tendenz bestanden
haben, kurze vocale in zweiten teilen der eigennamen durch
das gewicht des nebentones zu dehnen, wie dies in den namen
auf -wini allgemein anerkannt ist (Nib. Orttvin, Nenttvin, Wolf-
win) und hier auch durch die diphthongiemng bis ins nhd.
hinein conserviert wurde {Trauitcein etc.)^ Die namen auf
'Mr und Sifrit sind also definitiv aus dem material auszu-
scheiden. Dann bleiben nur sehr vereinzelte fälle übrig, bei
denen man fragen kann, ob sie vielleicht dem archetypus
unserer hss. angehört haben. Selbst wenn das der fall ist,
und wenn man sogar weiter schliessen wollte, dass dem dichter
des liedes unter über 9000 fällen vielleicht 3—4 fehlerhaft
gebildete erste halbverse zugestossen seien, so würden diese
seltenen ausnahmen die regel nicht aufheben: als fehler wären
^) Es wäre wol zu fragen, ob nicht in diesem zusammenhange be-
trachtet der name des wolfes isengrim (nhd. Eisengrein) doch als zweiten
teil das a4j. ffirim mit dehnung des i enthalten könnte. YgL MftllenhoiF,
Z8.fda.l8,7.
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HANDSCHRIFTENYEBHIlTNISSE des NIBELUNGENLIEDES. UI. B. 97
sie jedenfalls aufzufassen, auch wenn der dichter selbst sie
verschuldet hätte. Heusler zählt allerdings s. 108 ff. 24 zu
kurze erste halbzeilen auf , die er dem original zuschreiben
möchte. Aber bei richtiger beurteüung der Überlieferung
schmilzt dieses material sehr zusammen. Die meisten der
falschen ausgänge sind, wie schon Bartsch richtig gezeigt hat,
in den einzelnen hss. dadurch entstanden, dass die wortsteUnng
geändert wurde. Die im volksepos sehr grossen abweichungen
von der gewöhnlichen, auch der poetischen, Wortstellung (vgl.
Paul, Mhd. gr. § 187 fl) finden ihre motivierung allein in den
bedfirfnissen der Strophe. Und ganz besonders ist es der
< klingende' ausgang der ersten halbzeilen, zu dessen gunsten
von der gewöhnlichen Wortstellung abgewichen wird, wenn
ein wort mit kurzer Stammsilbe im spiele ist, also z.b. in
have Sigemundes 35,2, während ohne dieses bedürfnis der
gen. voranstehen würde (in Eteeln hof des richm 1754, 2),
oder bei hote: regelrecht in der zweiten halbzeile 86,2 oder
fUrsten loten siny dagegen am schluss der ersten halbzeile
1375, 4 als ez boten Mneges, 1419, 1. 1422, 4 die boten Kriem-
hilde, während z.b. bei dem worte recke nie der genitivische
eigenname nachgestellt wird, z.b. 1261,3. 1338,2 die Kriem-
hilde recken und so stets die Dietriches recken, die Stfrtdes
recken, die Brünhilde recken, die Hagenen recken etc. Die
nachstellung eines solchen genitivs tritt nur ein, aber dann
stets, wenn bei der normalen Wortstellung ein zweisilbiges
wort mit kurzer Stammsilbe an den ausgang einer ersten
halbzeile kommen und dadurch der vers verstümmelt würde.
Vgl. Bartsch, Unterss. s. 171. Die Schreiber einzelner hss.
setzten nun fahrlässigerweise öfter die prosawortstellung ein.
Darin konnten auch mehrere hss. zusammentreffen. So hat
1375,4 nicht nur Db, sondern unabhängig davon auch d als
ez küneges boten, wodurch der vers um einen takt zu kurz
wird. Wir sehen hier an Db*, dass der umstellungsfehler
auch einer weiter zurückliegenden hs. zukommen kann. So
hat die grundhs. ADb einige von uns schon oben (s. 45. 48)
besprochene fälle der art. In 1151,3 daz mr niht («immer D)
komen ADb statt daz toir geriten nimmer liegt vertauschung
des ausdrucks vor, indem komen statt riten gesetzt und zu-
gleich die Wortstellung in die normale nebensatzform um-
B«itrig« air getchichta d«r deutschen fprache. XXV. 7
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98 BRiLUKB
geändert ist. In 669, 1 si verauodUe an dem kimige hat
ADb den wie es scheint geläufigeren acc. an den iünie ein-
gesetzt, wobei freilich zur not noch viertaktige lesnng mOglich
ist. Und 698, 3 Sivrtt der mtn sun ist durch auslassung des
der in ADb entschieden dreitaktigkeit entstanden. Auch 1151, 1
haben wir oben s. 73 einen in ADb yerstfimmelten ^%ten halb-
vers kennen gelernt S. auch zu 1147, 3 unten s. 104.
Es fragt sich nun, inwieweit wir schon dem archetypus
solche mangelhafte halbyerse zuschreiben dfirfen. Da kann
es zunächst keinem zweifei unterliegen, dass die nur durch
6ine hs. gebotenen fehlerhaften verse eben nur dieser hs. zu-
zuschreiben sind. Als einfach bezeugt sind natfirlich auch die
fälle von ADb oder von Db aufzufassen. Solche einfach be-
zeugte sind auch mehrere der von Heusler a. a. o. far das
original beanspruchten. So ist A 717,4 Hey solder immer
körnen \ in Burgonden lant eine klare Umstellung aus hei
solder komen iemer der übrigen. Es ist in den einzelnen hss.
zu beobachten, dass in infinitiyyerbindungen der inflnitiv nach
dem ende hinstrebt (wie nhd.), während ihn die ältere ^rache
gern weiter vor setzt. Femer 982, 3 in A toir miiezen immer
Magen statt wir müexen klagen immer. Ebenso in D 941,2
ir sult ez alle helen statt ir Sidt ee Helen aUe der ftbrigen.
Der erörterung wert sind nur folgende fälle der Heuslersch^i
Zusammenstellung.^
0 Ganz auszuscheiden sind einige beispiele Hen«lera Ton Tonen mit
stumpfem ausgang, die yiertaktig zu messen sind, nur nach älterer weise
mit spärlicher füllung der Senkungen, wie wir ähnliche yerse auch noch
hei Hartmann finden. Einzelne hss. suchen hier allerdings die spftter zu
knapp scheinenden yerse auszufüllen. Es sind dies die folgenden: 1073, 3
wcer er niM mtn mac. Hier suchen die jüngeren D und d unabhängig
durch die dem Nibelungenliede fremde schwache form möge zu beflsein.
1754, 4 nü was ouch eszens zit, wo widerum mehrere hss. (DdE) durch ^U
zu helfen suchen, welche form sogar Bartsch in den text setzt. 2051, 2
stcen iwinge durstes not, wo C* und unabhängig daron D das verbum
tmngen an den yersschluss setzen, denen Bartsch folgt. Vielleicht ist hieriier
auch 2227, 2 mm helfe lit erslagen zu rechnen, wo Lachmann mit C* erüa-
gene bessert, was freilich auch möglich ist. — Heusler hätte auch 815,3
mit anführen können: ouch ist so grimme starc BJd, wo A durch Umstel-
lung siarc grimme schlecht bessert, während Db einfadi e anhängen (grimme
starke): ADb* hatte also noch die lesart von BJd. In C* steht ^rifi»iiie
küene. — Aehnlich mit klingendem ausgang 1452, 2 der halbven «ift {rnffe-
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HAND8CHBIFTENVEBHALTNISSB DES NIBELUNGENLIEDES. lU. B. 99
Für 1341, 8 ist schon oben (s. 58) als möglich zagegeben,
dass B mit dae ir mir Uezet sehen die lesart des archetypns
bewahre, obwol auch sehr wol die lesart AMd(Ca) das echte
haben kann. Nicht mehr als eine möglichkeit ist auch bei
1357, 2 nnd 1526, 1 znzngeben: das eine mal hat A, das andere
mal B einen falschen versansgang, der durch Umstellung der
Satzglieder leicht zu heilen und in verschiedenen hss. ver-
schieden geheilt worden ist. Diese Verschiedenheit der Um-
stellungen wird man aus dem heilungsbestreben erklären
können, wenn die ursprüngliche falsche cäsur feststeht. Da
aber das fehlerhafte nur je 6iner hs. eignet, so ist es ebenso
möglich, dass nur diese hs. fehlerhaft die Satzglieder um-
gestellt und dass zufällig an dieser stelle auch andere hss.
vertauschungen von Satzgliedern vorgenommen haben, wie sie
ja sonst oft und ohne den anlass eines falschen versausgangs
in den hss. vorgenommen werden. So wäre 1526,1 dann als
echte die lesart von ÄLgd Do si nü wären alle \ Jcomen üf
den sant anzusehen. Db mit homen waren \ und E mit alle
wären \ kamen stellten gleichgiltig um, während B mit wären
kamen \ aUe einen fehler begieng. Ich gestehe, dass mir diese
auffassung bei allen drei stellen die wahrscheinlichere ist.
Auffällig ist 1420, 3 dar nach in siben tagen BDb = ... in
s^>en nahten AJK, . . . m nahten siben d, . . . m tagen sibenen C*.
Während Eieger s.98 ncihten in AJ für echt hält und tagen
in BD als modernisierung bezeichnet, worauf C* durch tagen
sibenen dem vers aufhelfe, so erklärt Bartsch, Unterss. s. 171
die lesart C* für das echte, BDb stellten daraus prosaische
Wortstellung her, während AJ, die den fehler BDb in ihrer
vorläge vorfanden, durch nahten den vers verbesserten. Heusler
dagegen hält die lesart von BDb mit dreitaktigem verse für
das ursprüngliche. — Zunächst ist Riegers auffassung zu be-
fuögi ADb (D schiebt grozzer ein), ebenso d, während B mit ungefuegen
warten, JK nnd danach C* mit ungefuegen Sprüchen bessern. Paol, Beitr.
3,482 hält unrichtig die lesart von JC^ für die echte. Ebenso 1227,2
nnd 1251, 2 mit ir gesindS, wo die hss. aosfällen, und 102, 1 wir suln den
^lUrrhi Bd (A setzt jungen zu, C* nü, J schreibt sollen). Vgl. noch 621, 4.
Bei all diesen yersen beweist die übereinstimniung der haupthss., dass sie
in dieser kurzen form dem archetypns zukommen, ohne dass man mit Heusler
sie als beweise der dreitaktigkeit gelten lassen muss.
7*
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100 BBAUNB
seitigen, als ob die einsetzung von tagen statt nahten eine
modernisierung bedeuten könne. Allerdings war das zählen
nach nachten eine eigenheit des germanischen altertoms, die
wir z. b. im Heliand noch voll entwickelt sehen, wo zwei,
drei, sechs, vierzig nachte gezählt vorkommen. Das war znr
mhd. zeit schon anders: man zählte durchaus nach tagen,
wenn man auch bisweilen z. b. vier tage und vier nachte
sagte. Die blosse nachtzählung hatte sich dagegen lebendig
erhalten nur in den zwei formein: siben naht und viersdien naU.
Nur diese beiden, besonders vierjsehen naht, kommen in der
mhd. literatur vor, aber auch noch nach dem 13. jh. und in
den weistümem herscht diese formel durchaus. Vgl. z. b. die
nachweise im Mhd. wb. und bei Lexer s. v. nahtA) Wenn also
in siben tagen an unserer stelle das echte war, so konnten A
sowol wie JEd selbständig das ihnen in dieser formel durch-
aus geläufige naht einsetzen. Im Nibelungenliede verhält es
sich im übrigen so, dass in einer stelle 1390, Ib Ober di$e siben
naht steht in allen hss. der rec. B* (in C* als erster halbvers
der zweiten langzeile in disen siben nahten). An einer zweiten
stelle 1102,1b (in siben tagen reit) ifrt; dagegen sieben mit
tac gezählt. Es ist also daraus für unsere, die dritte stelle,
nichts zu entscheiden. Die Zählung mit 14 begegnet 1628, 2,
wo die recension B* ise vierzehen tagen (zweiter halbvers) hat^
während C* die zahl in den ersten halbvers setzt und d^alb
daraus ee vierzehen nahten macht. Wir sehen: bei 7 und 14
war den leuten die Zählung mit tac und mit naht gleich ge*
läufig. Bei allen andern zahlen ist dagegen im Nl. nur die
to^-zählung möglicL Es kommen vor: 3 tage 1140,3. 1801,3;
4 tage 1003,1; 12 tage 304,1. 705,3. 371,1 (C* = an dem
zwelften morgen B*)^); 682,1 (C* = in drin wachen B*);
17 tage 1307,1; 24 tage 1099,2. — Vergleicht man die
übrigen stellen, an welchen mit tac gezählt wird, so steht in
zweiten halbversen meist tagen am versschluss und dann die
zahl vorher: 1140, 3 in disen drien (siben C*) tagen, 1801, 3
£e vollen drien tagen, 1307, 1 sibeneehen tage, 1099, 2 in vier-
undssweineec tagen. Dagegen in ersten halbversen steht stets
1) Im ne. hat sich fortnight bis hente erhalten.
') Vgl. 1465, 4 a an dem ewdften morgen aUe, nur E an dem zwelften
tage mit falschem yerse.
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HANDSCHBIFTEHVEBhIlTKISSE des NIBELUNGENLIEDES. IH.B. 101
tctgen voran und das flectierte zahlwort im versscUnss: inre
tagen ewelfen 304, 1 nnd 705, 3, in C* auch noch 371, 1 und
682,1; in den tagen vieren 1003,1; ohne weitere yarianten,
als dass 705, 3 d umstellend den vers verdirbt in inner zwelf
tagen. Hiemach mfisste man urteilen, dass die lesung von G^
an unserer stelle das ursprüngliche biete. Doch ist zwischen
unserem verse und den obigen ersten halbversen noch der
unterschied, dass letztere kürzer sind, unser vers 1420, 3 a
hat dagegen am auf ang noch ein dar näck und es ist damit
die möglichkeit gegeben, den vers dar nach in s(ben tagen
viertaktig zu lesen und ihn den oben s. 98 anm. behandelten
Versen beizuordnen. Dann würde sich sowol die Umstellung
in C% als auch die in mehreren hss. selbständig erfolgte ein-
setzung des in dieser formel allen geläufigen nahten aus dem
streben erklären, den altertümlichen vers zu modernisieren.
Für besonders sicher hält Heusler die beiden dicht bei-
einander stehenden fälle 1910, 2 und 1911, 1, wo nur hs. B den
tümen und dem turne hat, dagegen ADb türen mit dreitaktigen
Versen: die nämen an den türen und des huop sich vor den
türen. In J steht das zweite mal vor der selben tür, das erste
mal ist für das in der vorläge gestandene türen eingesetzt
porte, so dass die verse in J correct sind. C* hat das erste
mal stiegen, das zweite mal porte. Es wäre nun freilich sehr
seltsam, wenn hier das original so kurz hintereinander zwei
falsche verse gehabt haben sollte. Aber der handschriften-
bestand dieser stellen spricht so entschieden für das auch
sachlich klare türen , dass man trotzdem geneigt sein möchte,
die falschen verse zuzugestehen und der hs. B hier behu& aus-
besserung des verses eine sachlich nicht recht plausible ände-
rung schuld zu geben, — wenn diese beiden stellen allein
ständen I Aber wir haben ja noch mehrere fälle, wo dieses
für uns sachlich auffällige tum neben türe begegnet, und zwar
nicht nur in B und nicht an stellen, wo ausbesserung des
verses vorzuliegen scheinen könnte. Die stellen sind schon
vielfach besprochen. Zuerst hat sie Lachmann (anm. zu 1910)
zusammengestellt und in seinen text hat er überall (auch
gegen A) tum eingesetzt Dann nenne ich Liliencron s. 114
und Bartsch, Unterss. s. 223, welche beide wie Lachmann tum
als das originale festhalten. Dagegen hat Paul, Beitr. 3, 483
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102 BRAÜNB
sich für türe erklärt, dem Hensler beistimmt. Die äbrigen
stellen sind: 1774,8b für den turn stdn ABD, die türe statt
d^n tum bJ.Ca; — 1941, 3b swer euo dem tum gat B; statt
dem tum haben den tum A, de tum D, den duren b: das de
in D ist doch wol den aufzulösen, so dass schon ÄDb* den
tum las; in J steht der tur, in C* swer gegen der tür gät; —
2144,3b bi dem turne stdn BNCa, U einem turne st. D; fttr
dem turne hat A den turen, b den kunigen, J der tür. Nach
ausweis von DN ist dem turne hier noch die lesart von ADb'^
gewesen: auch b ist offenbar zu seiner stärkeren änderong
durch das ihm unverständliche turne seiner vorläge veranlasst.
— Eine weitere von den früheren unbeachtete stelle ist 2016, 3 a
dö stuant noch vor dem twme {turnen d) DbBd; statt dem turne
haben A .J.Ca dem hüse, was alle ausgaben in den text setzen.
Auch hier also las ADb* noch dem turne. — Der befund
dieser sechs stellen ist also der, dass drei mal (1910. 1911.
1941) nur B htm hat. Die anderen drei mal (1774. 2016. 2144)
hatte ausser B auch noch ADb* tum (bewahrt drei mal in D
und je einmal in A, N und b. Einmal (2144) tritt diesen sogar
C* bei und einmal (2016) d, welche hs. aber an allen anderen
fünf stellen fehlt: es ist nicht unwahrscheinlich, dass d auch
da wie B das echte gewahrt haben würde. Denn dass tum
an allen diesen sechs stellen das echte ist, das muss ich Pauls
darlegungen gegenüber entschieden festhalten. Das sachliche
macht uns zwar Schwierigkeiten, wie es auch schon den alt^i
Schreibern anstössig war: denn ein türm am aufgange des saals
ist sonst im mittelalterlichen burgenbau nicht bekannt (vgL
Schultz, Höf^ leben 1, cap. i. Härtung, Altertümer s. 305). Aber
es ist nicht abzuweisen, dass der dichter — doch wol aus an-
lass eines ihm bekannten Vorbilds — sich es so vorgestellt
hat, dass die tür zur stiege des saals in einem türme gelegen
hat, oder durch einen türm flankiert worden ist Denn die
änderung des klaren tür in tum wäre doch nur 1910. 11 des
Verses wegen begreiflich, nicht aber an den anderen stellen;
besonders 1774, 3, wo nahe dabei 1778, 2 in allen hss. diu tür
steht. Noch dazu wenn man annehmen sollte, dass ausser B*
drei mal auch ADb* tür in tum geändert habe. Und vollends
die stelle in C* 21441 Wie sollte C* hier auf turne gekommen
sein, wenn er dasselbe nicht in seiner vorläge gefunden hätte^
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HANBBCHBIFTEKVERHIlTNISSE DE8 KIBELÜNGENLIEDBS. IILB. 103
die uns dann bis nahe an die zeit der entstehnng des liedes
fahren würde. Dagegen ist die textgeschichte sofort verstand-
lieh, wenn man annimmt, dass tum das auf einer speciellen
Idee des dichters beruhende originale ist, was der durch den
Zusammenhang (vgl. besonders 1778,2 zu 1774,3) so nahe
liegenden emendation in den pl. türen für jeden einzelnen
Schreiber leicht zugänglich war.^) Sollte man bei so vielen
einzelnen Schreibern und an so vielen verschiedenen stellen
die sonst durch nichts gebotene finderung des verständlichen
iärj bez. hüs 2016 (vgl. dazu 1776,3) in tum annehmen, so
wflrde ja die archäologische Schwierigkeit vervielfacht.
Wir sehen also, dass von Heuslers material keine einzige
stelle den näheren nachweis erbringt, dass der archetypus
einen dreitaktigen ersten halbvers gehabt habe, wenn auch
bei einigen davon die möglichkeit zugegeben werden kann.
Dagegen ist es nach unserer auffassung des hss.-verhältnisses
wol wahrscheinlich, dass in der von Heusler nicht angeführten
stelle 1414,2 der archetypus gehabt hat man hiez in aUen
geben. So hat Ab.B und d, während in JE und C*(CEa) mit
correctem ausgang man htetf in geben allen steht. Auch D
fand noch die lesart von ADb* vor, denn es steht daselbst:
af geben aUen; wir sehen also, wie der Schreiber D während
des Schreibens die nahe liegende Verbesserung vornimmt. Die
lesart ADb*Bd ist natürlich ein nachlässigkeitsfehler, der durch
herstellung einer mehr prosaischen Wortfolge entstand, aber
*) Uebrigeus meine ich, das« überall der sing, tum zu schreiben sei,
welches in B an fünf stellen steht nnd anch in den anderen hss., wo sie
das wort haben, heischt Nnr einmal (1910) hat B den pl. turnen, der
sonst nur noch 2016 in d erscheint gegen turne BDb. Dieses turnen ist
wol nnr eine ausweichnng in folge der bei den Schreibern vorliegenden
vnklaren anschannng, der anch 2144 in D einem turne für dem turne BNCa
entsprossen ist. Nach dem stände der Überlieferang müssen wir urteilen,
dass der dichter sich nnr ein^ tnrm gedacht hat. Ich würde daher 1910
dem turne gegen B in den text setsen, statt dass Lachmann und Bartsch
auch 1911. 1941 nnd 2144 (nnr Lachmann) gegen alle Überlieferung den
plural schreiben. Veranlassung dazu gab ihnen jedenfalls der in den hss.
für turne gewöhnlich erscheinende pl. den füren: aber dieser pl. war erst
durch turne .yeranlasst, während sonst im Nl. tür stets singularisch ge-
bnmdit ist: so auch in der oben citierten stelle 1778, 2 diu tur was behüetet,
wo kein tum m gründe liegt. Auch dieses spricht gegen die von Paul
a. a. 0. flr 1910. 1911. 1941. 2144 geforderte Schreibung des pl. den tOren,
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104 BRAUNE
ein solcher fehler kann sehr wol vereinzelt anch dem Schreiber
des archetypus passiert sein nnd JXC* können ihn yerbess^
haben. Deswegen wird dnrch solche vereinzelte fälle doch
nicht erwiesen, dass das original dreitaktige erste halbverse
als metrisch correct zugelassen habe.
Wir kehren nun zur hs. Ä zurück, welche zu kurze erste
halbverse in grösserer anzahl bietet als die anderen hss. Im
ganzen sind es ungefähr 80 fälle. Nach den vorher gegangenen
erörterungen werden wir mit voller Sicherheit sagen müssen,
dass diese verse fehlerhaft sind, selbst wenn dies nicht das im
vorigen capitel festgestellte Verhältnis von A zu ihrer grund-
lage ADb* forderte. Sehen wir diese fehlerhaften ersten halb-
verse auf die qualität der fehler an, so sind es in der weit
überwiegenden mehrzahl solche, die der nachlässigkeit der
letzten Schreiber unserer hs. A entsprungen sein können.
Voran stehen die Wortumstellungen, durch welche meist die
gewöhnliche Wortfolge hergestellt wird. Solcher art sind
folgende 17 (16) fälle: 65,4 (gerne sehen statt sehen gerne).
198, 2. 227, 3. 241, 2. 681, 2 (mit weiteren geringfügigen ände-
rungen). 717,4. 765,1. 982,3. 997,1. 1015,1 (vroutce haben
statt haben vroutce, dieselbe umsteUung auch in a und in d,
also in drei hss. unabhängig, um haben näher mit seinem ob-
ject zu verbinden). 1078, 2. 1147, 3 (auch in a und b).i) 1357, 2.
0 Der vers 1147, 3 lautet: dag Kriemhüt solde mmnen \ den riehen
kimic her. So BdJ. Dagegen haben die übrigen nemen statt minnen
nnd zwar solde nemen mit falschem vers Aab, correct nemen aoide DC.
Bartsch, Unterss. s. 170 hält letzteres fttr das echte nnd setzt es m seinen
text: er meint, dass die vorläge von BdJ den fehler von Aab sölde nemen
anch gehabt hätte, der dnrch einsetznng von minnen gebessert sei. Das
ist aber nicht richtig. Vielmehr ist minnen durch die übereinstimmnng
von BdJ schon an sich hinreichend gestützt. Die daraus sich ergebende
folgerung, dass einerseits ADb'", andererseits 0*(Ca) selbständig mmnen
durch nemen ersetzten, hat aber durchaus innere Wahrscheinlichkeit Denn
die durch mehrere beispiele für das Nl. gesicherte anwendnng yon minnen
in der bedeutung 'zur ehe nehmen' (ygl. 1145,3. 1190,3. 1194,3. 1335,8.
1618,4) konnte bei der bekannten bedeutungsentwickelung von minnen
leicht Veranlassung geben, nemen dafür einzusetzen, welche^ dazu bereit
l^ i^g^' 1142, 4. 1150, 2. 1159, 4). So ist dies auch an anderen der obigen
stellen geschehen; nämlich 1194,3 schreibt J dag ei nimmer mir \ gencem
deheinen man. Vgl. auch 18, 3, wo J ebenfalls minnen durch nemen e^
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handschbiftenverhIltnisse des kibelüngekliedes. in.B. 105
1362,1. 2050,4 (zufällig auch in D, vgl. oben s.70). 2156,3.
2303,1. Diesen umstellungsfehlern schliessen sich vier fälle
an, in denen durch nachlässige wortvertauschung ein falscher
vers entsteht: 86, 4 (fueren Bd = kommt Ä, vamt J: die in
zwei hss. selbständig und verschieden bewirkte einsetzung des
indic. ist durch den indic. des folgenden nachsatzes, in gegensatz
zu 86, 1. 2, nahe gelegt). 321, 2 (stn geriten A für rtten, vgl.
oben s. 33). 2203, 2. 2216, 1. Femer drei fälle, in denen nach-
lässigerweise — wie oft in A — etwas ausgelassen ist: 386, 2
(fmere). 417,4 (tfe minnen). 1860,3. Auch die Verstümmelung
des Verses 569, 3 dcuf si in versprach \ aldd niht zehant für
dcuf si in niht versprechen \ tvolde al da ee hant darf man
wol der blossen nachlässigkeit eines Schreibers zutrauen.
Ebenso 1899, 1 Dar nach shwc er dem meisogen die auslassung
des Darnach und Umstellung des er.
Diesen 25 fällen stehen nun aber einige gegenüber, die
bewussten änderungen ihr dasein verdanken müssen. Es sind
die folgenden: 393,3 die (ich) dort sihe statt die in miner
bürge; 398,2 £fuo dem gaste statt nu muget ir gerne hceren;
401.3 durch dich mit im statt ja gebot mir her ee vame;
402. 4 getoinne aber ich statt und ist dae ich gewint^; 614, 4
oder iu geschihet \ von minen handen we (wo durch die ände-
rung auch der zweite halbvers verstümmelt ist, s. oben s.92);
615, 3 d4ig heimliche statt dass heimlicher dinge (Bartsch, Unterss.
s. 198); 2251, 2 den muoe ich immer klagen: des get mir groziu
not statt dae muoz mir sin ein jämer vor aller mtner not. —
Ausser der letzten stehen alle diese stellen in den sechs aven-
tiuren str. 324 — 666, in welchen der Verfasser von a überhaupt
stark geändert und die vielen Strophen beseitigt hat. Das
setzt 1335, 3 setzte Db* nemen für minnen, und zwar moste nemen mit
falschem vers b, nemen muoste D, wobei b doch wol die form Ton Db*
bewahrt. 1618,4 setzen J und C*(Ca) ze nemen{e) für ze minnen der
übrigen ein. Auch an unserer stelle wird D (wie 1335, 3) den falschen vers
der vorläge Db* gebessert haben, so dass also der falsche vers 1147, 3 ans
dem register der hs. A zn streichen nnd den oben s. 97 f. besprochenen
fehlem Ton ADb* beiznrechnen ist. Da der Verfasser von C* sehr sorgfältig
mit den ansgftngen der ersten halbverse verfuhr (es haben nnr die einzelnen
hss. von G* durch nmsteUnng einige fehler, nie C und a zusammen), so
wird man folgern, dass C* nemen solde schrieb und a die fehlerhafte um-
steUung (wie oben bei 1015, 1) selbständig vornahm,
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106 BBAÜNE
kann nicht zufällig sein. Denn von obigen 25 stellen, die
unbewnssten abschreiberfehlem ihr dasein verdanken können,
entfallen auf diese 343 Strophen nur drei, also die yerhftltnis-
mässige zahlJ) Die zusammendrängung von sechs stark ge-
änderten falschen ersten halbyersen auf diese partie beweist,
dass auch der Verfasser von a in dieser hinsieht jdas metnim
nicht genau behandelte, und es bleibt daher die m^glichkeity
dass auch von den oben aufgezählten 25 filllen schon einige
auf sein conto kommen und nicht auf das der Schreiber von A.
Neben den vielen kleinen nachlässigkeiten, die den letzten
Schreibern der hs. A, und neben den metrischen ausweichungen,
die wenigstens teilweise dem Verfasser von a zur last fallen,
haben wir aber in A eine grosse anzahl lesarten, die aus be-
wusster änderung hervorgegangen zum teil den sinn der stellen
merklich verändern und die deshalb notwendig dem Verfasser
von a zuzuschreiben sind. Diese hauptsächlich würde es gelten
von unserm Standpunkte aus zu wärdigen und ihre unursprung-
lichkeit nachzuweisen. Freilich hat es grade damit seine be-
sonderen Schwierigkeiten. Denn während die Verstösse gogen
das metrum in ihrer grossen mehrzahl als secundärer art ohne
weiteres erkannt werden konnten, so spielt hier leicht der
subjective geschmack eine grosse rolle, indem dem einen die,
dem anderen jene lesart besser gefällt Nun kommt es ja
freilich nicht darauf an zu zeigen, ob die lesart A dem ge-
danken nach eigenartiger, schöner, individueller gefärbt er-
scheine als die von B*, sondern welche von beiden ursprüng-
licher sei. Aber auch darüber wird sich nur ausnahmsweise
etwas entscheiden lassen. Im grossen und ganzen wird man
daher doch das anderweit geschöpfte urteil über die Stellung
von A auf die beurteilung dieser lesarten wirken lassen.
Aber es sind doch schon einige wichtige kategorien fest-
gestellt worden, unter welche sich gruppen von änderungen
in A fassen lassen. Dadurch wird bewiesen, dass A das secun-
däre bietet, und deswegen wollen wir doch in kurzem hierauf
eingehen. Bartsch hat erkannt (& besonders die einleitung
') Das genaue yerhiitnis ist 2816 : 25 « 848 : 3*/t«.
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HAlfrDfiCHBIFTENYERHlLTNIBSE DBS NIBELUNGENLIBDES. m.B. 107
seines Wörterbuchs s. xvm tL\ dass der Verfasser von a viele
stellen geändert hat im höfischen sinne. Oder, da ja auch
schon der Verfasser unseres Originals höfisch gebildet war und
die altere höfische epik und lyrik kannte, so wird man es
genauer so bezeichnen müssen, dass der Verfasser a nun schon
die fortgeschrittene höfische dichtung kannte und das höfische
und minnigliche element, die lyrische ausdrucksweise noch zu
verstärken bestrebt war. Dass das einen jüngeren Verfasser
charakterisiert, ist evident: das umgekehrte, die beseitigung
dieser demente, wie sie die anhänger von A annehmen mfissen,
wäre höchst unwahrscheinlich. Der Verfasser von a berührt
sich in diesen tendenzen mehrfach mit dem Verfasser von C*
der hierin freilich noch weiter geht, wie er ja überhaupt viel
stärker umarbeitet als a.
Einige beispiele für diesen moderneren Charakter wollen
wir hier im anschluss an die Sammlungen von Bartsch hervor-
heben. In A ist das höfische her vor eigennamen gegenüber
dem Originaltexte sehr gesteigert Wenn in B* 832, 1 Sieg-
fried zu seinem vater noch einfach sagt min vater Sigemunt,
so sagt er in A vater min hir Sigemunt Weitere beispiele
bei Bartsch a. a. o. — Für die Steigerung der lyrischen und
minniglichen ausdrucksweise in A sind die Strophen 292. 293
die frappantesten beispiele mit ihren im Nl. sonst nicht vor-
kommenden Wendungen: besonders s^i twanc gen einander der
seneden minne not und awei minne gerndiu herze heten anders
missetän gegenüber den einfacheren Wendungen des Originals.
Dass die fassung in B"*" die originalere ist geht auch aus
293, 1 hervor: der ausdruck wart iht da friuntUche getwungen
wiziu hant setzt voraus, dass 292, 1 gesagt war, dass Eriem-
hilt sich von S. an der band führen liess, was in A durch die
minnigliche Umarbeitung beseitigt ist. Wie hätte sonst ein
liebkosen der band statthaben und als ganz selbstverständlich
bezeichnet werden können (293, 3), wenn nicht die erwähnung
des führens vorhergegangen wäre? — Ebenfalls sehr charak-
teristisch ist die änderung, welche a str. 442, 4 anbringt, indem
er die Strophen 442 a. b. c. beseitigt. Statt er sprach euo dem
hiinege und tet ml wtsUche dae schreibt er mit beziehung auf
die damen: da er und ander degene alles leides vergaa.
Weitere fälle der bevorzu^ung höfischer terminologie in A
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108 BRAUNE
mögen noch folgen. Das modewort eähtedtche steht in B* auch
schon drei mal (1126. 1376. 1391), ist aber yon (?" noch wdter
vier mal angebracht worden (83. 104. 398. 554) und ebenso
steht in A allein mktecltche 1615, 4 (fttr ffüeütcke, wie in C 554)
und 398,2 mit C in diesem werte zusammentreffend: B^ nu
muget ir gerne hceren, wie diu maget sprach = C^ diu maget
ziihtecltche sfuo dem recken sprach, A ssuo dem gaste si jriäUec-
liehen sprach, Dass A geändert ist, zeigt auch der zu kurze
erste halbvers (oben s. 105). 298, 3 ist eOhtecltchen in A f&r
das sonst im Nl. häufigere geaogenliche eingetreten. Auch
478,4 mit eühten A für vil groee B* gehört hierher (in C*
viel häufiger, vgl. Bartsch, Wb.). — Man beachte femer die
beyorzugung des epithetons schosne in A^: 808,3 der schoenen
Voten Joint (für edelen B*); 352, 3. 849, 4 diu schoßne Jcänigin A
= Kriemhilt diu kilnigin, ähnlich schcene kilnigin A 1269, 4.
403,4: das original hat die Verbindung schcene künigin nur
Einmal 570,4, wo es durch den Zusammenhang wol motiviert
ist. Für des herren Sivrtdes wip 863, 4 setzt A daz vü wunder-
schcene toipJ^) Femer steht schcene in A allein als epitheton
von vrouwe, wip, maget noch 370, 4 (den Schemen frauwen A
statt den höhgemuoten B*). 422, 4 (schcenen A für das hier viel
bessere starken). 804, 2. 522, 4. 2, 1 ein schcene magedtn A statt
edel m. Ganz besonders charakteristisch aber ist, dass nur in
A einmal 27, 4 Siegfried das epitheton schcene bekommt (statt
küene B*), da im ganzen gedickte Siegfrieds epitheta sonst
nur edel, küene, snel und starc sind.^)
Die ausdrücke des dienens gegenüber den damen sind in
A gesteigert. So steht 303, 4 statt dasf ist nach iuwem hulden
min frou KriemhUt getan der modische terminus dae muoe m
^) Allerdings ist in A andererseits schosne des Originals auch einige
male ausgefallen; 735,2 durch auslassung, 800, 3 durch st&rkere änderang,
570, 4. 605| 2 durch yertauschung mit edd und Uehe,
>) Das epitheton nur hier in A. Im originalen texte kommt mit
wtMder- nur einmal yon Siegfried der wwndenikAene man 815, 3 Yor: das-
selbe steht dann noch einmal in A 1710 Ton Volker und 102 a, 3 in C Ton
Siegfried.
*) Auch 240, 3 ist die änderung in A Sivrit der junge der wcBOkke
man (statt der wceütche recke SivrU der junge man) nur daran su erkennen,
dass nur hier der junge epitheton zu Siegfried ist, während die fonnel
8writ der junge man noch zweimal vorkommt (40. 64).
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ANDSCHRIFTENVBBHALTNISSE DES NIBELUNaEKLIBDES. m.B. 109
ge dienste min frou Kriemhilt sin getan A.^) Ebenso 7S6, 3. 4
dag ir beider grüeeen $6 minneclich ergie, dö sach man vil
der recken, der dienen vrouwen dd niht lie A = .., so schöne
ivart getan, do sach man vil der recken bi den juncvrouwen stän
503, 2. Charakteristisch ist die höfische yoranstelliing der dame
in A: «r suU ir Prünhilde und minen dienest sagen statt min
und Prünhilde dienest suU ir ir sagen B*. Die gleiche höfische
beyorzngang der dame hat C* eingeführt 698, 1, 2. 1807 und
in zwei fiberschriften (s. unten den elxcnrs nach cap. y).
Zu starke ausdrucke gegen&ber den damen werden wie
oft in C, so auch in A bisweilen gemildert. So 604,3 yon
Brfinhild: si ist ein vreislicheg wip. Das adj. vr eislich, welches
überhaupt für die höfische rede im yeralten war, schien zu
stark. Deshalb setzt hier A dafär angesüichea, G* ungehiwree,
beide mit Zerstörung der rhythmischen form der letzten halb-
zeile.^) Der ausdruck tiuvel in bezug auf eine dame wird be-
seitigt in A 599,2, wo B hat ich hän den übelen tiuvel heim
ge hüs geladen. Während C^ hier nichts ändert, so ist 1682
ich bringe iu den tiuvel in Hagens anrede an Er. in C* ge-
ändert zu dag ist verloren arbeit und auch 1334, 1 ist ich wom
der Obel vaUmt Kriemhilde dag geriet in G* durch stärkere
änderung beseitigt.^)
Wichtig ist in diesem zusammenhange besonders Strophe
1594, die in C'*' wegen der gevelschet vrouwen varwe ganz
unterdrückt ist (ygl. 549, 4 C*). In A ist die Strophe stehen
1) Man beachte, dass durch die ändernng in A zugleich die rhythmische
form des zweiten einsilbigen taktes beseitigt wird. Ebenso in der folgenden
steUe!
*) C* beseitigt vreidich noch öfter, aber nicht wie Bartsch (Unterss.
8.225) meint, ans metrischen rflcksichten. So mit beziehnng anf Siegfried
d8,4 SivrU der vreislkhe man B***: dafür C* S, der vil k&ene mcm; mit be-
ziehung auf Kriemhild 1849, 4. Dagegen ist es von C* hineingebracht mit
besiehung anf Hagen 1971, 4, und zum ersatz des noch schfirferen Uu/cd-
Udken mit beziehnng auf Kriemhild 2167, 3.
') Im übrigen scheint der ausdruck välavU dem Verfasser C* weniger
unhdfisch erschienen zu sein als iiufeli er setzt ihn 1938, 1 und 2248, 1 mit
beziehnng auf Volker und Hagen für Uwsd ein und ebenso 417, 4 für diu
Mi des Uuveles vfip, während er 4Sß, 4 Uuvd mit beziehnng auf Brünhild
stehen lisst. Auch valandmne 1686, 4 und 2308, 4 in der anrede Dietrichs
und Hagens an Kriemhilt ist in C* stehen geblieben, der Situation ent-
sprechend.
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110 BRAUNE
geblieben, aber sie bat eine böfische Steigerung erfahren, in-
sofern im letzten halbvers statt der allgemeinen yersicheningr
dag ist in den triuwen war noch ein lob der damen angeknüpft
wird: si wären hübsch unde clär. Schon Bartsch hat angemerkt^
dass dar im Nl. überhaupt nur hier vorkomme, hübsch nur
hier von damen gebraucht werde.^ Das wort hövesch, hübsch
kommt sonst im Nl. zweimal vor in den Verbindungen die boten
höfsch unde guot 1393 und ingesinde . . . höfsch unt gemeit 1282.
Die beziehung auf männer ist, nach den belegen der Wörter-
bücher zu urteilen, überhaupt die vorwiegende im mhd. Doch
begegnen auch hövesche frouwen schon frühe, vgl Eaiserehr.
(ed. Schröder) 4351. 4565. Freilich liegt an unserer stelle
hübsch in einer ganz besonderen anwendung vor: als synony-
mum von clär geht es schon ganz auf die äussere erscheinung
und dürfte das früheste beispiel der nhd. anwendung des wertes
sein. Dass das dem Sprachgebrauch des Nibelungendiditers
noch fremd war, ist als sicher zu betrachten. Noch bezeich-
nender aber ist in A der gebrauch von dar. Steinmeyer hat
in seiner schönen abhandlung 'üeber einige epitheta der mhd.
poesie' (Erlanger prorectoratsrede 1889) s. 7 ff. gezeigt, dass
das fremdwort dar zuerst in Mitteldeutschland und am Nieder-
rhein auftritt. In Ob'erdeutschland ist es vor 1200 höchst
vereinzelt imd zwar nur in der eigentlichen bedeutung 'hell'.
Hartmann braucht es z.b. einige mal vom klaren äuge, vom
klaren tag, aber nicht auf personen bezogen. Dieser gebrauch,
insbesondere von frauen in der bedeutung 'schön' ist nach
Oberdeutschland erst durch Wolfram gedrungen, der das wort
massenhaft anwendet. So war denn auch im original des
Nibelungenliedes diese anwendung von dar undenkbar. Ei*st
der Verfasser von a, der später als Wolfram arbeitete, hat
dieses einführen können, und zwar hat er es nicht nur in das
lied, sondern auch in seine hs. der Klage hineingebracht: 355
vil maniges triutmne Mär (für dar B*C*: här).^) Diese beiden
0 Auch riterlich ist im NL, wie Bartsch bemerkt, nnr 275, 4 in A mit
beziehung auf damen gebraucht: sich zierte riierliche (statt vUzecUdie der
übrigen) manic woeäichiu meit. Alle übrigen (11) anwendnngen des a^j^^
tivs nnd adverbs beziehen sich auf männer. Doch vgl. Alexander (ed. Kinsel)
6048. K. Bother 1833.
*) Auch C* hat, wie Steinmeyer anmerkt, in der Klage das wart <
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HAKD8CHRIPTENVBRHIlTNI88B DBS NIBELUNGENLIEDES. m.B. 111
stellen in A stfitzen sich gegenseitig und machen es evident,
dass A hier geändert hat Diese consequenz zieht denn auch
Steinmeyer und erblickt darin — unter berufung auf Bartsch
— 'hSlBsche &nderungen unter Wolframs einfluss'. Es stötzt
dieser Sachverhalt von neuem unsere darlegung oben s. 87 ff.,
dass das original des Nibelungenlieds vor Wolfram anzusetzen
is^ welcher selbst das Ued kannte und daraus Zagamane und
ÄMogime entnahm, worauf später a die str. 417 a mit Aeagauc
wegliess.1)
eingeführt: 1432 dö ersufte diu vil JUare statt dö ersüfte si zewäre B*. —
YgL Edzardi zur Klage 808 (= 355 L.).
') Dem scheinen nicht ganz die darlegnngen Steinmeyers zu dem a^j.
wert a. a. 0. s. 8 ff. zu entsprechen. Er f&hrt ans, dass das epitheton ritter-
licher penonen noeH in der oherdentschen dichtnng der achtziger und nenn-
sig«r jähre des 12. jh.'8 in Oberdentschland nicht ehen hftnfig sei. Becht
häufig werde es erst durch Wolfram, der es anch sachen und ahstracten
heilege (werder pris, werdiu minne etc.). Er sagt dann (s. 10): 'nur zwei
unter den Nibelungenliedern der redaction A bedienen sich, an drei stellen
im ganzen, unseres beiworts, welches hingegen in den Zusätzen derredac-
tionen BC des Öfteren begegnet'. Diese angaben sind nur teUweise correct.
Falsch ist, dass zwischen A und B* ein unterschied in dem gebrauche des
Wortes wert bestehe. Die originalrecension B* hat wert drei mal als epi-
theton von Personen: werder gast 542,1. 1257,4 und werder man 1176,1
(dazu Tgl. 634, 4 oben s. 47), also ganz in der weise wie das epitheton vor
1200 im allgemeinen, wenn auch nicht sehr zahlreichen gebrauche war.
Auch Hartmann im Erec und Iwein zeigt nur diese beiden Verbindungen
mit gast und man (fünf mal, nach Steinmeyer s. 18). In den drei stellen
stimmt A durchaus zur allgemeinen recension B*. Aber B* hat auch nicht
ein einziges beispiel mehr als A. Bichtig dagegen ist, dass C* das epi-
theton häufiger braucht Während er die letzte stelle 1176, 1 werden man
in küenen man ändert, hat er andererseits zehn weitere fälle: werden liuten
354,2 (ättdemng aus misverständnis des fremden liuten B* = fremde den
Uuten, was auch A richtig verstehend ändert, aber schief: fremde dan\),
von den werden gesten 1128, 3 (= umbe dise geste\ werden gesten 1256, 4
(= ed^en), werden man 482, 3 (B* ganz abweichend), werden recken 18, 4
(s= guoten ritters)y werden ritters 1822. 4 (= eddn ritters)^ werden witewen
1063, 4 (= stehen wüewen% werde degene 1755 b, 4. 1848 a, 3 (neue Strophen),
«r vü wert empfahen 673, 3 (starke änderung). Von diesen zehn föllen zeigen
nenn wert bei personen, nur das letzte beispiel steht bei einem abstractum.
Diese erscheinung darf man in C* nicht auf einfluss Wolframs zurttck-
fAhren, sondern eher ist die Klage, die wert in ausgedehntem masse hat
(werdee leiten 1236, vgl. auch Steinmeyer s. 10) hierin, wie in andern sach-
lichen dingen, auf den diehter C* von einfluss gewesen. Die Klage aber ist,
wie das Nl., älter als der Parzival, und Steinmeyer selbst sagt (8.11), dass
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112 BRAUNE
Nachdem so durch die wortgeschichtliche forschung er-
wiesen ist, dass 1594,4b in A jüngerer ersatz der yersiche-
rongsformel dae ist an den triuwen war vorliegt, so bietet
uns dies den Übergang zur constatierung der tatsache, dass
in A überhaupt öfter solche allgemeine formein, allgemeine
hindeutungen auf die zukunft, typische oder farblose redens-
arten und worte ersetzt sind durch besonderes, durch Wendungen,
die mehr auf den speciellem fall eingehen oder modischen und
lyrisch-minniglichen Inhalt hineinbringen. Solche lesarten von
A, die eigenartiger und schöner erscheinen als die farbloseren
lesarten von B'^, sprechen vom ästhetischen Standpunkte aus
betrachtet für A. Vom kritischen Standpunkte aus dagegen
wird man grade solche lesarten in A als jünger, die von B*
als älter anerkennen müssen. Die ausgebildete höfische er-
zählungskunst liebte eben verfeinerten und individualisierenden
ausdruck, während bei dem dichter des Originals noch vom
epos der fahrenden her die Vorliebe für typische redensarten
und allgemeine formein haftete oder vielmehr durch den grad
seiner höfisch-poetischen cultur noch nicht ganz verdrängt war.
Wir gehen im folgenden einige der hauptsächlichsten bei-
spiele durch.
143, 4b ist wie in der vorigen stelle die formel dae mssei
üf diu triuive min ersetzt durch etwas specielleres: des sult tr
gewarnet sin, — 614, 4 ist die hinweisung auf die zukunft
M getet diu vrouwe dem küenen Sivride tc^^ in A ersetzt durch
einfloBS Wolframs auf Klage und Biterolf nicht zu statnieren sei Er weist
auch — wie mir scheint sehr richtig — darauf hin, dass das von ca. 120O
ab datierende überhandnehmen des gebrauchs von wert mehr auf die ritter-
liche Umgangssprache, als auf literarische einflösse zurttckgeführt weiden
kdnne.
Dass A andererseits auch Wörter entfernte, die in der Umgangssprache
seiner zeit veralteten, dafür sind sehr treffende beispiele die wdrter vrieM
und wine. Ersteres kommt im Nl. yiermal in der bedeutnng 'gatte' vor.
Alle vier sind von J entfernt, in A nur zwei 790,8 und 796,4, letzteres
durch stärkere änderung (vgl. Bartsch, Unterss. s. 207). Ebenso war wtw«
'geliebter, gatte, bez. gattin' veraltet Von den sieben vorkommenden
fäUen lässt A vier stehen (519. 576. 765. 2072) und bringt drei durch ände-
rungen weg (640. 831. 1684). An aUen stellen ändern jüngere bss. in
mannigfachster weise: J hat nur zwei mal (576. 765) das wort stehen
lassen (vgl. Bartsch, Unterss. s. 194).
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HANDSCHBIFTENVERHALTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES. UI.B. 113
oder iu geschihet von minen handen we. Die ersatzzeile haben
wir schon wegen ihrer beiden fehlerhaften verse als änderung
erkannt (s. 92. 105). Diese änderung in A zeigt nun zugleich
eine erscheinung, die mehrfach widerkehrt. Im Nibelungen-
liede begegnet es oft, dass der in eine Strophe zu verarbeitende
gedanke dem dichter nur bis zum Schlüsse der dritten lang-
zeile oder bis zur ersten hälfte der vierten ausreichte. Die
vierte langzeile oder letzte halbzeile wurde dann mit einej
hindeutung auf die zukunft oder einer sonstigen formelhaften
Wendung ausgefüllt. Der Verfasser von a findet nun in manchen
dieser fälle ein mittel den hauptgedanken fortzuführen, so
dass er# die zur ausfüllung dienende formel fallen lassen kann.^)
So ist in unserer Strophe der vierte langvers in A noch zur
rede der Brünhild gezogen. — Aehnlich 470, 4 warumbe er des
gerte, des hört in niemen verjehen B*. Statt dessen in A zur
rede des Siegfried gezogen: so wil ich iu leides lägen hie niht
geschehen. — 1922,4 der sarge gie Kriemhilde vil harte gro^e-
liehe not B*. In A ist der vers zur rede der Kriemhild ge-
zogen: mich tunnget jamers sorge: ee gät mir an des libes not
(zum ausdruck vgl. die änderung in A 988, 1). Hier ändert
auch C* in gleichem sinne: nü hilf mir und dem hünige uz
dirre angestUchen not.
Die in der letzten stelle von A und C* beseitigte formel
des gie dat. d. person not ist eine lieblingswendung des Nibe-
lungendichters. Sie kommt in B* ausserdem noch 16 mal vor.
Am häufigsten des gie in {ir, im) wcerliche not als letzter halb-
vers (71. 961. 1224. 1530. 1951. 2002. 2255) und ebenfaUs als
letzter halbvers des gie in sicherlichen not (1737. 1812); als
zweiter halbvers der ersten drei langzeilen des gie den helden
not (170. 460. 2252), des gie in sorge not (2024; vgl. 1922) und
etwas abweichend: dö gie ir trurens not (1722), eornes gie im
not (2152), des gät in michel not (2175). 2) Diese Verbindung
ist nun sowol in A als auch in C* mehrmals beseitigt. In C*
^) Es ist beachtenswert, dass auch m C^ sich die gleiche neigong
zeigt. Vgl. 1646, 4 und andere im folgenden mit zu erwähnende beispiele.
') Nicht mitgezählt sind yier fälle, in denen die redensart innerhalb
der rede steht und der dativ der ersten person statt hat, z.b. diswär des
gie mir not 1544, ähnlich 864. 1638. 1867. Zu diesen kommt noch ein fall
in A (2251), während C* zwei davon (864. 1867) ändert.
Beitrage cor gescUchte der deutschen sprach«, XXV. 8
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114 BRAüire
927. 1224. 1951. 2152, in A 927. 969. 2152. Die letzte steDe
ist in A nor unbedeutend geändert (was statt gie), in den
beiden ersten aber ist es die formel des gie im tccerlicl^e not,
statt deren A 927 einsetzt des twanc in ehaftiu not (C* stärker
ändernd), 969 als im sin triuwe dae gebot Die variierung der
feststehenden redensart sowol in C* wie in A trägt deutlich
das merkmal des secundären an sich.
Die formel daß was ir grcsdiche leit 970, 4 und daa was
ir wcBrlichen leit 973, 4 ist in A ersetzt durch daa was ir ander
hereeUit und dae do ir heree vol durchsneit Die dadurch hinein-
gebrachte Steigerung ist bemerkenswert, aber entschieden allzu
geistreich. Wie sollte der dichter gesagt haben, dass Kriem-
hilds herz erst dadurch vollkommen durchschnitten worden
wäre, dass Siegmunds leute durchaus gegen Günther kämpfen
wollten? Ihr 'erstes' herzeleid, die ermordung Siegfrieds, reichte
nach des dichters meinung zur vollkommenen durchschneidung
des herzens gewiss aus, so dass er es nicht durch zwei unter-
geordnete dinge würde überboten haben, wie unser sinnreicher
höfischer Überarbeiter a. Dagegen sind die beiden vom dichter
gebrauchten formein vollständig hinreichend, um Eriemhilds
misbilligung darüber auszudrücken, dass sie Siegmunds leute
kampfgerüstet sah (970) und dass sie den kämpf nicht unter-
lassen wollten (973). Ueber die metrische form der änderungen
in A s. oben s.90. Die Wendung dajs was ir ander herzeleit
belegt Lachmann (anm. zu 970) reichlich aus der literatur des
13. jh.'s, am frühesten bei Wolfram. Vgl. auch Bartsch, Unterss.
s. 212. Wir sehen also auch hierdurch den Verfasser von a
im gefolge der ausgebildeten höfischen poesie.
Ich stelle noch eine reihe von fällen zusammen, in denen
der bearbeiter a an die stelle farbloserer und einfacherer Wen-
dungen des Originals etwas reicheres oder künstlicheres gesetzt
hat: 485,4. 636,4. 820,4. 845,4. 932,4. 948,4. 966,4 976,4.
981,4, 988,4. 1017,4. 2173,4 (vgl. Bartsch, Wb. s.xix). 2299, 4.
2309,4.
Endlich sind es noch zwei lieblingsadjectiva des dichters,
deren sehr häufiges vorkommen in den bearbeitungen durch
variierende ausdrücke etwas vermindert wird. Da ist erstens
herlich mit seinem adv. hirUche{n). Nach Bartschs Wb. kommt
es in B* im ganzen 119 mal vor. Davon entfernt die bearbeitnng
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HANDSCHRIFTEN VERHÄLTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES. IV. A. 115
C* 29 fälle und bringt dafür nur 12 neue hinein. In älmlichem
Verhältnisse beseitigt A 5 von den 119 fällen in B* (264. 286.
801. 1340. 1413) und bringt nur 6in neues Mrltch hinein (469, 2).
Das zweite wort ist ffrceelich mit seinem adverbium, welches
nach Bartschs Wb. in B* 51 mal vorkommt. Davon entfernt
C* 15 fälle und bringt dafür 6 neue hinzu. In A ist das wort
9 mal entfernt (305. 307. 360. 453. 594. 253. 970. 1906. 1922;
in den ersten 5 stellen ist einfach michel dafür eingesetzt), und
nur ein neues grcedich ist hinzugekommen (246 für vrcelich B*y)
Wir sehen aus diesen letzten beispielen wider, wie schon
aus den früheren beobachtungen, dass a ungefähr in ähnlichem
grade modernisiert und variiert wie C*. Das absolute quantum
ist freilich in C* grösser, da C* viel durchgreifender umarbeitet
als a, dessen wirkliche änderungen (von den fehlem und un-
bedeutenden abweichungen in ausdruck und Wortstellung ab-
gesehen) sich dem gegenüber doch in sehr bescheidenen grenzen
halten. Ueberhaupt sind die grösseren änderungen der lesart,
welche auch den gedanken abbeugen, in A im ganzen dünn
gesät und vereinzelt. Etwas mehr zusammen drängen sich
solche änderungen nur in einigen kurzen partien, als welche
sich am bestimmtesten etwa str. 292—470 und str. 939—1004
herausheben lassen. Es ist nicht zu übersehen, dass die erstere
partie sich wenigstens zum teil deckt mit derjenigen, in welcher
a auch so viele Strophen seiner vorläge ausgeschieden hat.
Cap. IV.
Die Stellung der gmppe Jd*.
A. Das Verhältnis von Jd* zu C*.
Dass die recension G* nicht mehr die Stellung beanspruchen
kann, welche ihr Holtzmann und Zarncke anweisen wollten, ist
jetzt aUgemein anerkannt: C* ist eine durchgreifende Über-
arbeitung des alten textes. Die frage ist nur noch, ob C*
direct aus der recension B* entstanden ist, oder aber mit
dieser zugleich, und unabhängig von dieser auf ein verlorenes
^) Eine zweite stelle ist noch 654, 4, wo aber ausser A groezltchen
auch D grcezlich hat. Die originaUesart B* ist hier das verwante adv.
ffrdze, das A wie andere Jüngere hss. auch sonst entfernt, Tgl. Bartsch,
Unten», s. 196.
8*
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116 BRAUNE
original zurückgeht. Diese letztere ansieht ist von Bartsch
aufgestellt in seinen Untersuchungen 1865. In ihrer ursprüng-
lichen formulierung, dass das original schon um 1150 entstanden
und um 1170 ein erstes mal umgearbeitet sei, wird die ansieht
von Bartech wol von niemandem mehr geteilt, seitdem Paul in
seiner kritik dieser hypothese nachgewiesen hat, dass nichts
von dem uns erhaltenen Nibelungentexte älter sein kann als
1190. Aber das kritische hauptresultat von Bartsch, die Selb-
ständigkeit von B'^ und C* und ihr unabhängiges zurückgehen
auf ein original, hat Paul doch anerkannt, trotz seiner ein-
schneidenden kritik und Widerlegung vieler hauptpunkte der
Bartsch'schen theorie. Ich glaube nun, dass man hierin Paul
nicht folgen darf, sondern mit Lachmann annehmen muss, dass
C* aus unserer recension B* direct entstanden ist Der schwer-
wiegendste beweis dafür ist die Stellung der gruppe Jd*. Die-
selbe war sehr wol zu begreifen vom Standpunkte Zamckes.
Wenn man zugibt, dass C* das original sei, so bildet Jd* den
Übergang zur engeren gruppe B* (ADbB). Zamcke führt folge-
richtig Jd* als erste 'vollständigere' gestalt von B* auf, aus
der er die zweite 'kürzere' gestalt, B* im engem sinne, her-
vorgehen lässt») Dagegen ist Jd* ein unlösbares rätsei, wenn
man der handschriftentheorie Bartech-Paul folgt. Paul selbst
hat in seiner sorgfältigen Untersuchung über die gruppe Jd*
Beitr. 3, 464 ff., für die beantwortung dieser frage das material
geliefert.
Bartsch, Unterss. s. 315 ff., hat die gnippe Jd* mit seiner
handschriftentheorie derart zu vereinigen gesucht, dass er sie
als product mechanischer mischung erweisen will. Der Schreiber
der,urhs. dieser gruppe sei dem texte B* gefolgt, habe aber
daneben einen text C* gehabt, welchem er eine anzahl Strophen
und einzelne lesarten entnommen habe. Dem gegenüber führt
Paul den nachweis, dass sich die eigentümliche verwantschaft
der lesarten von d* und besonders von J* mit C* mit der
mischungstheorie absolut nicht vereinigen lasse. Denn die Jd*
mit C* gemeinsamen lesarten sind zwar so zahlreich und gehen
0 Doch hat Zamcke daneben ancli die möglichkeit zugegeben (ansg.*
s. XVI n. 365), dass die plosstrophen von Jd*" ans C* entlehnt sein kannten:
an der zweiten steUe scheint er sogar diese anffassnng zu bevorzugen.
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HANDSGHBIFTEKVEBHIlTKISSE des NIBELUNGENLIEDES. lY.A. 117
SO durch das ganze gedieht hindurch, dass sie unmöglich auf
zufälligem zusammentreffen von Jd* bez. J* allein mit C*
beruhen kOnnen. Aber sie sind ihrer natur nach gegenüber
den abweichungen zwischen C* und Jd* doch so nebensäch-
licher natur, betreffen so selten einschneidende sachliche diffe-
renzen, dass die ansieht von Bartsch dadurch zurückgewiesen
wird. Es müsste denn ein mischer, der aus C* eine anzahl
ganzer Strophen entnommen hätte, von den lesarten nur un-
scheinbareres aus G* genommen haben, die augenfälligeren,
stärkeren und sachlich bedeutsameren änderungen aus C*, die
dicht dabei oder in derselben Strophe standen, hätte er aber
verschmäht. Wer so wie der Verfasser von Jd* nach Bartsch
aus einer hs. der recension C* einige bunte flicken zur grösseren
Verzierung auf seinen text B* setzte, der würde, ausser ganzen
Strophen, von lesarten doch auch nur solche genommen haben,
die etwas besonderes bedeuteten und augenfälligerer art waren.
— Femer aber wendet Paul gegen Bartsch den gewichtigen um-
stand ein, dass zwar der Strophenbestand in J* und d* im wesent-
lichen übereinstimmt, in den lesarten dagegen viel öfter die
gruppe J* allein mit C* geht, während d* den text von B*
bietet. Nur der kleinere teil der Übereinstimmungen mit C*
trifft Jd* gemeinsam. Das würde bei der mischungshypothese
zu dem höchst seltsamen schluss zwingen (Paul s. 466), dass
zunächst der Schreiber des Originals Jd* die zwanzig Strophen
und einige lesarten aus C* entlehnt und dass dann der Schreiber
J* von neuem C* benutzt und nun nur noch eine reihe von
lesarten daraus entnommen hätte, — oder aber dass das ori-
ginal Jd* schon alle in J* zu C* stimmenden lesarten ent-
halten, aber dann d* ausser seiner Jd*- vorläge eine hs. B*
hinzugenommen und daraus eine anzahl lesarten nach B* cor-
rigiert hätte.
Paul stellt deshalb der mischungshypothese gegenüber
auf grund der lesarten in Jd* von seinem allgemeinen Stand-
punkte aus folgende ansieht auf: es gibt gar keine geschlos-
sene gruppe Jd*, sondern wo J* und d* mit C* stimmen, da
haben sie die ursprüngliche lesart der ersten hauptrecension.
Sie sind also die eigentlichen Vertreter des textes B*. Das
wurde graphisch ausgedrückt sein:
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118 BRAUNE
n(c*)
B* d*
Es würde also auf das original der ^o^recension zunächst J*
zurückgehen, mit diesem zugleich eine hs. y, die eine anzahl
lesarten änderte. Aus dieser entsprang dann einerseits d*
treuer bleibend, andererseits die urhs. der engeren gruppe B*
(BADb), welche die ca. zwanzig Strophen auswarf und noch
eine anzahl lesarten änderte, die in d"*" dem originale gemäss
blieben und sonach zu J*(C*) stimmten.
Es ist Paul zuzugeben: wenn Bartschens von ihm geteilte
ansieht über das Verhältnis der recensionen B* und C* richtig
ist, so muss auf grund der lesarten die Stellung von Jd"*" in
dieser weise definiert werden. Von dieser auffassung aus er-
örtert er denn auch s. 486 ff. die Strophendifferenzen, wobei er
zu zeigen hat, dass alle plusstrophen von Jd'^ gegenüber B"^
als ursprüngliche zu betrachten seien. Hierbei scheint ihm
doch manches sich durch die mischungshypothese besser zu
erklären, so dass er zu dem Schlüsse kommt, dass die betrach-
tung der plusstrophen zu unsicherem resultate führe und viel-
leicht etwas mehr zur mischungshypothese hinneige. Deswegen
sei es nötig, das lesartenverhältnis hinzuzunehmen: 'und dies
dürfte doch vielleicht den ausschlag gegen die annähme der
mischung geben'.
Mit dieser zaghaften Wendung hält also Paul schliesslich
seine aus den lesarten erschlossene hypothese aufrecht Sie
ist aber ganz unmöglich. Diese anschauung, J'*' und d"*" als
durchgangsstufen zu dem texte B* und als echte Vertreter
der ersten hauptrecension des liedes zu betrachten, war nur
so lange sachlich haltbar, als man C* als 'das original' be-
trachtete. Diese theorie litt ja nun an dem schweren fehler,
dass man die entschieden altertümlichere recension B* aus
der höfisch moderneren herleiten musste, dass alle die sach-
lichen und formellen differenzen zwischen C* und B* in ihrer
entstehung sehr wol begreiflich waren, wenn C* die stark
ändernde und B* die originalere fassung war, dass man aber
nicht begreifen konnte, wie jemand dazu hätte kommen soUen,
C* zur fassung B* umzuarbeiten. Deshalb ist ja eben Holtz-
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HANDSCHBIFTEKyERU<NlSSE DES NIBELUNGENLIEDES. lY.A. 119
mann - Zamckes Standpunkt allgemein verlassen, und auch
Bartsch -Paul halten den text C* für stark überarbeitet und
B* gegenüber modernisiert. Stand man aber einmal auf dem
jetzt verlassenen Standpunkte C* und hielt die Überarbeitung
von C* aus nach Jd* hin für sachlich wahrscheinlich, nun so
war es ebenso begreiflich, noch ein zweites mal von Jd* zu
BA eine zweite, schwächere bewegung nach der gleichen rich-
tung hin anzunehmen. Dagegen von jedem andern Standpunkte
aus betrachtet, ist diese annähme ganz unhaltbar. Wer wie
Paul C* als tiefgehende sachliche Überarbeitung anerkennt,
der kann als consequenten gegensatz dazu nur B* im engeren
sinne brauchen, nicht aber als eigentlichen Vertreter der Not-
recension die gruppe Jd* ansehen, welche in allen sachlichen
unterschieden, soweit sie vorhanden sind, durchaus auf selten
von C* steht.
Die tiefergehenden differenzen zwischen B* im engem
sinne und Jd* finden sich im wesentlichen nur in den plus-
strophen. Dass aber diese plusstrophen den Charakter von C*
tragen und im gegensatze zu B* stehen, hat für das formelle
(ausfullung der Senkungen) selbst Paul s. 487 nicht leugnen
können. Noch mehr aber treten sie sachlich auf die seite der
bearbeitung C*. Ich habe über diesen punkt schon Beitr. 9,
553 ff. (Otenheim im Nibelungenliede) gehandelt und gezeigt,
wie die Strophe über Otenheim, welche in Jd* nach 939 (= C*
nach 942) steht, ganz im sinne des zudichters C* ist und mit
der nur in C* befindlichen grossen Interpolation über Lorsch
sowol ihrem ganzen wesen als auch dem ausdrucke nach {da
ist noch derselbe brunne 939,8 = da noch diu vrouwe here
begraben in eime sarJce Ut 1082 d, 4 C) die auffälligste familien-
ähnlichkeit besitzt. Der in der Otenheimstrophe wirksamen
tendenz, zweifeln des publicums zu begegnen, die für C* so
charakteristisch ist, verdankt auch die in C* nach 1513, in Jd*
(Hd) nach 1511 stehende Strophe ihr dasein, welche die über-
fahrt so vieler menschen in einem schiffe glaubhaft machen
soll (vgl. Beitr. 9, 558). — Die erwiesene tatsache, dass C*
notizen der Klage in sein lied hineinarbeitete, betrifft auch
eine in Jd* stehende Strophe 1201a, in der nach Klage 494
(Lm.) eingefügt wiid, dass Etzel sich vernoijieret habe. Paul
müsste seiner handschriftentbeorie zufolge annehmen, dass auch
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120 BRAUNE
diese Jd*-strophe ursprünglich und nur von BADb weggelassen
sei. Aber das will ihm doch selbst zu gewagt erscheinen
(s. 489). — Endlich ist auch eine weitere tendenz der umdich-
tung C*, die in scharfem gegensatz zu B* steht, aber ebenfalls
in der Klage ihren keim hat, nämlich die entschuldigung
Eriemhilds und Schmähung Hagens, in Jd* vertreten, in den
zwei Strophen 1837a. b und in der Strophe 1775a. Die schwer-
wiegenden einwürfe gegen seine theorie, die sich hieraus er-
geben, hat Paul nicht leicht genommen. Wenn seine theorie
richtig wäre, müssten diese ganz im sinne von C"' Eriemhild
gesucht entschuldigenden Strophen dem original der recension
B* eigen sein, was mit der ausgeprägten Stellungnahme dieser
recension unvereinbar wäre. Dass die von B* vertretene auf-
f assung der Kriemhild die ursprüngliche ist und die schwäch-
lichen entschuldigungsversuche in C* jüngere zutat sind, ist
so einleuchtend, dass Paul doch wol nur seiner handschriften-
auffassung zu liebe sagen konnte (s. 489f.), es sei noch nicht
ausgemacht, welche auff assung die ursprüngliche sei. Wenn
es die günstigere sei, so könne dann die tendenz zur herab-
ziehung Kriemhilds in B* weiter gegangen sein als in B*J*d.*0
Diese gründe lassen es als ganz unmöglich erscheinen,
die plusstrophen Jd* dem originale von B* zuzuweisen, und
damit ist Pauls handschriftenauffassung gefallen. Die plus-
strophen von Jd* welche durchaus den C*- Charakter tragen,
1) Dass die auffassung der Eriemhild in B'*' die nrsprttnglichere ist,
lehrt auch ganz abgesehen von der geschichte des Stoffs eben das Verhältnis
zur Klage. Es ist doch a priori wahrscheinlich, dass zwei gedichte ver-
schiedener Verfasser wie Nibelungenlied und Klage, die erst nachträglich
in enge Verbindung gebracht werden, wie in verschiedenen andern dingen
so auch in der auffassung der schuld der Kriemhild abweichende Stand-
punkte einnahmen. Es ist weiter wahrscheinlich, dass ein überlegsamer
umdichter wie C**, der die beiden gedichte nun schon hintereinander ge-
schrieben vorfand und beide gleichmässig umarbeitete, auch die Verschieden-
heiten der auffassung auszugleichen bestrebt war. Dagegen wäre es ein
wunderbarer Vorgang, wenn ein umdichter B*, wie ihn die Verteidiger von
C* postulieren mussten, beide dichtungen hintereinander umgearbeitet und
dabei geflissentlich Nibelungen und Klage differenziert hätte, in einzel-
heiten sowol, als in der auffassung der beiden hauptpersonen, Kriemhild
und Hagen. Wir müssen also schon deshalb die in B*' von der Klage ver-
schiedene auffassung dieser personen als das ursprüngliche ansehen. Vgl.
hierzu MüUenhoff, Zur gesch. der NN. s. 81 1
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HAND8CHBIFTENVERHÄLTNI8SE DES NIBELUNGENLIEDES. lY. A. 121
könnten also nach der Bartsch - Panischen recensionentheorie
nnr durch mechanische mischnng aus C* in die recension B"*"
geraten sein. Nun hat Paul aus den lesartenverhältnissen
mit recht diese hypothese bekämpft. Er hat auch weiter gegen
die directe entlehnung dieser Strophen aus C* mit vollem grund
geltend gemacht (s. 488), dass sich in den plusstrophen von Jd"*"
zwischen dem texte Jd* und dem texte C* genau ebensolche
abweichungen finden, wie sonst zwischen den texten B* und C*.
Diese abweichungen zwischen Jd* und C* tragen bisweilen
geradezu den Charakter der Umarbeitung und sind in str.
1511a auch auf den reim ausgedehnt. ^Solche abweichungen
finden wir innerhalb C* nicht, und ebensowenig haben J* und
d* abweichend von B* je eine solche änderung mit einander
gemein.' Das spricht entschieden gegen mechanische entlehnung
aus C*, beweist vielmehr, dass bei anfertigung der recension
C* diese Strophen schon vorhanden waren und vom Verfasser
C* ebenso behandelt wei-den wie alle übrigen Strophen seiner
vorläge. Auch den Standort der in seiner vorläge stehenden
plusstrophen Jd* hat ja bekanntlich der Verfasser von C* in
einigen fällen geändert. 0
Wir stossen also, wie wir die sache auch ansehen, auf
Unmöglichkeiten; wir können die existenz der gruppe Jd*
nicht erklären und nicht begreifen, wenn wir von der Bartsch-
Paul'schen handschriftentheorie ausgehen. Dagegen ist alles
begreiflich, wenn wir Jd* als erweiterung von B* ansehen
und erst daraus die recension C* entstanden sein lassen. Die
von Bartsch aufgestellte theorie der zwei von einander unab-
hängigen recensionen des Nibelungenliedes ist also falsch: C*
ist aus B* durch Jd* oder genauer durch d* — J* hindurch ge-
flossen. B* ist also für uns das original des Nibelungenliedes.
Wir fragen uns nun nach den gründen, aus welchen Paul
nicht zu dieser einfachen lösung des rätseis gelangt ist. Paul
hat die recensionentheorie von Bartsch einer einschneidenden
^) Für die enüehnungshypothese im sinne der theorie von Bartsch ist
gegen Paul wider aufgetreten Hermann Fischer in seiner ausführlichen
besprechnng von Pauls schrift, Germ. 27, 233—254. lieber die steUung der
gruppe Jd* handelt er daselbst s.246fir. Aber sein yersuch, Pauls gegen-
gründe zu widerlegen, kann die entgegenstehenden Schwierigkeiten in keiner
weise beseitigen.
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122 BBAÜKE
kritik unterzogen. Bartsch stützte bekanntlich die erschlies-
sung eines älteren Originals der beiden unabhängigen recen-
sionen auf zwei beweise, die aus der äusseren form genommen
waren. Er gieng erstens davon aus, dass das original asso-
nanzen gehabt habe, die von B* und C* weggeschafft seien,
und zwar meist in verschiedener weise. Und zweitens nahm
er an, dass das original sehr viele unausgeffillte Senkungen
gehabt hätte, die von beiden recensionen selbständig vielfach
ausgefüllt wären, jedoch so, dass C* in höherem grade die
Senkungen ausfüllte als B.% welche überhaupt dem originale
treuer geblieben sei. Die abweichungen des Wortlauts zwischen
B* und C* suchte Bartsch als aus solchen tendenzen der for-
mellen glättung hervorgegangen zu erweisen. Es ist nun das
verdienst von Paul, nachgewiesen zu haben, dass Bartsch hierin
fehlgegangen ist. Er hat nachdrücklich hervorgehoben, dass
C* hauptsächlich des inhalts wegen überarbeitete, und dass die
formalen anlasse zur Überarbeitung, die Bartsch überall suchte
für diesen umdichter nur sehr nebensächlich waren. In der
frage nach den fehlenden Senkungen ist das sichere resultat
von Paul dies, dass für B* überhaupt keine neigung zur aus-
füllung von Senkungen nachweisbar ist, wol dagegen für C*.
Aber auch für C* war die ausfüllung der Senkungen nicht
bewusste tendenz, sondern mehr unwillkürliches ergebnis seiner
ihm geläufigen moderneren dichtungsmanier. Der dichter C*
änderte sinn und Wortlaut meist um des inhalts willen, nicht
der form wegen, und bei der neuen gestalt, die er den versen
gab, stellten sich unwillkürlich mehr ausgefüllte Senkungen
ein als in seiner vorläge. Da aber zu seiner zeit synkope
der Senkung noch durchaus üblich war, so beseitigte er sie
nicht ganz, und auch in versen, die ihm ganz eigen gehören,
gestattete er sich noch diese freiheit ohne scheu. Es fällt
also dieses beweismittel für Bartschens theorie vollständig weg.
Auch gegen Bartschens hauptargument, die assonanzen-
theorie, wendet sich Paul in gleichem sinne. Er weist nach,
dass die weitgehenden Schlüsse, die Bartsch aus den reim-
abweichungen von B* und C* auf zum teil sehr harte asso-
nanzen zieht, verfehlt sind und dass bei weitem die meisten
reimabweichungen zufällig in folge änderungen sachlicher
natur entstanden sein müssen. Er zeigt, dass reimverh<nisse,
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HANDSCHBIFTENVERHÄLTNIflSB DES NIBELUNOBNLIEDKS. IT. A. 123
wie sie zwischen B* und C* vorliegen, durchaus nicht zwingen,
auf eine unbekannte grundlage zu schliessen, sondern dass
ganz ähnliches auch da zu tage tritt, wo nachweislich die
eine bearbeitung aus der andern uns vorliegenden fassung ent-
standen ist. Das schlagende beispiel geben die abweichungen
der einzelnen hss. des Nibelungenliedes. Aber hierbei kommt
Paul nun doch nicht zu dem Schlüsse, dass Bartschens ganze
theorie falsch sei, sondern zwei bedenken sind es, die ihn
trotzdem veranlassen, in gewissem grade der assonanzentheorie
Bartschens gewicht beizulegen und zu folgern, dass doch B*
und C* unabhängig aus einem allerdings nur wenig zahlreiche
assonanzen tragenden und nur unbedeutend älteren originale
geflossen seien. Wir haben gesehen, dass die gruppe Jd* diese
ansieht unmöglich macht, und wir werden weiter sehen, dass
demgegenüber Pauls bedenken zurücktreten müssen und anders
erklärt werden können.
Pauls ersten grund bilden die reimungenauigkeiten, welche
allein in B* und allein in C* stehen, während in den gemein-
samen Partien ähnliches fehlt. Diese reimungenauigkeiten be-
treffen die consonanten (vgl. hierüber Paul, Beitr. 5, 436), wäh-
rend vocaUsche ungenauigkeiten in beiden recensionen über-
einstimmend vorhanden sind.^
Es sind dies in B* folgende: sunifrum 123,3. 1851,3.
dan : geaam 1226, 1; Hagene : gademe 2248, 1. 2280, 1, menege :
Hagene 1916, 1; ausserdem wäre etwa noch der vocalisch un-
genaue reim Oerndt : tuot 2033, 1 hervorzuheben. Das sind
sieben ungenaue reime stärkerer art."2) Alle diese sind in C*
0 Jedoch hätte Panl von seinem standpankte aus als beiden recen-
sionen gemeinsam den consonantisch nngenanen reim Otenheim : dehein
939 a, 3 aufführen müssen, da ja diese Strophe sowol in C^ als in den seiner
meinnng nach die echte form von B* vertretenden hss. Jd steht.
>) Die übrigen von Paul, Beitr. 3, 410 ff. als möglich zugelassenen fälle
sind zu streichen: 1942, 1 und 2270, 1 steht Hagene : gademe nur in J*,
1889, 1 nur in D. Zweifelhafter ist 2118, 1, wo degen : wegen Db.C* einem
degen : geben in ABJ gegenübersteht. Hier scheint das handschriften-
verhältnis für geben zu zeugen, so dass Db ändernd mit C* zusammen-
gefallen wäre. Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass das naheliegende gäbe
geben drei Schreibern unabhängig in die feder gekommen ist, gegenüber
4em ungewöhnlicheren gäbe wegen ^ das aber sehr passend und durch Ion
wegen 1899, 4 gestützt ist. Wegen ist denn auch von I^achmann und Bartsch
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124 BBAUNE
beseitigt durch geringfügige Umänderungen, die den inhalt
nicht berühren, also doch wol formeller art sind. Besonders
deutlich erscheint das bei 2033, 1, wo der starke Gemoi B*
(im reim auf tuot) von C* in Gemot der hochgemuoi ver-
wandelt ist.
Demgegenüber stehen in C* allein folgende nngenane
reime: 1636, 1 Hagene : habene, 1896, 1 Hagene : gademe, 1960, 1
Hagene : zesamene, 717, 1 degen : geben und 1223, 3 degen : ge-
leben U (in Ca gebessert, vgl. oben s. 20). In diesen fünf
stellen stehen in B"^ reine reime, ohne dass der sinn merklich
abweicht.!)
Paul meint nun dieses Verhältnis nur so erklären zu
können, dass aus einem ungenau reimenden originale B* die
einen, C* die anderen reime hätte stehen lassen. Aber auch
von unserem Standpunkte aus können wir uns mit den tat-
Sachen sehr gut abfinden. Es ist klar, dass die in B^ stehenden
ungenauen reime von C* beseitigt sind.^) C* hatte das prindp
genau zu reimen und beseitigte daher die ihm auffallenden
reime seiner vorläge durch leichte formale änderungen; nur
das eine Otenheim : dehein 939 a, 3 liess er passieren. Von den
fünf ungenauigkeiten, welche C* selbst hineingebracht hat, sind
drei dreisilbige reime auf Hagene, die insofern eine besondere
Stellung einnehmen, als sie im Nibelungenliede die stelle ein»
sonstigen stumpfen reims vertreten und bei ihnen eigentlich
nur das letzte e träger des reims ist. Wie Hagene : degene
ein überall begegnender correcter reim ist, so konnten auch
jene immerhin seltnem formen sehr wol von einem dichter
in den text gesetzt Vgl. Paul 3, 412. Eine lehrreiche parallele ist 1637.1,
wo a mit b zufällig in der ändemng began (f fir gezam) im reim auf eemm
zusammentrifft. Ebenso 2156, 1, wo D und h gewesen statt gewegen eia-
setzen ( : degen),
>) Der Ton Paul 3, 412 noch mitgerechnete vocalisch nngenane t&m.
Volker : ger 1826, 1, dem in B^ reit : Uit gegenüber steht, ist ausser aanti
zu lassen, da in C* hier eine grössere ändemng vorliegt (1825 in C* ab-
gelassen), welche die reimänderung zuMlig mit sich gebracht habea bobb.
Die von Pauls Standpunkte aus gebotene annähme, dass B* nur um den ras
Volker : ger des * Originals' zu beseitigen, unter hinzufügiuig einer gaazea
Strophe weitgehend geändert habe, trägt ihre Widerlegung in sich selbst
*) Einer derselben dan : gezam 1226, 1 war schon von Jd* in
gezam gebessert, was C* vorfand und übenuümL
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HANDSGHRIFTEKVERHALTNI8SB DES KIBELÜKOENLIEDES. IV. A. 125
gelegentlich angewendet werden, selbst wenn er sie an andern
stellen beseitigt hatte. Ist doch Hagene : gademe auch in J
und in D selbständig eingeführt worden (s. oben s. 123 anm.2).
Die beiden andern reime degen zu gebm und geleben sind
noch dazu von einer art, wie C* sie in B* nicht vorfand.
Wir dürfen ruhig annehmen, dass ein solcher gelegentlicher
reim von 6 auf ^ dem dichter C* ebensowenig zuwider war
als Wolfram. Andererseits hat C* die aus B* von ihm be-
seitigten reime von m auf w (sun : frum) selbst nicht begangen.
Die inconsequenz , über die wir uns wundem könnten, liegt
also nur in den selteneren reimen auf Hagene, von denen er
drei aus B* beseitigt und dafür selbst wider drei hineinbringt.
Aber ähnliches können wir aus andern hss. auch beibringen.
Die hs. a hat z. b. 1896, 2 und 1960, 2 die C*-reime gademe
und eesamene auf Hagene in sagen bez. getragen gebessert und
andererseits hat a selbst auch wider unreine reime hinein-
gebracht. So 1637, 2 vernam : hegan a für vemam : gezam C,
oder 845, 4 meist (statt bereit) im reime auf breit Vgl. Paul
s. 402, wo noch andere in einzelnen hss. selbständig entstandene
unreine reime zusammengestellt sind, von denen noch besonders
auf die oben s. 72 f. besprochenen vertauschungen zwischen ge-
muot und genuoc hingewiesen werden möge. Sonach werden uns
die drei seltenen reime auf Hagene, welche C hat, nicht veran-
lassen müssen, Pauls Schlüssen s.412f. zu folgen. Sein hauptein-
wand, wie es denn komme, dass diese ungenauigkeiten sich
gerade nur da finden, wo beide recensionen von einander ab-
weichen, setzt das was er beweisen will, die beiden unabhängig
entstandenen recensionen, schon voraus. Denn für uns ist es
doch klar, dass die gemeinsamen teile nichts der art enthalten
können, wenn eben C* die drei Hagene-Y%\mQ seines Originals B*
geändert hat. Die drei von ihm selbst herrührenden müssen
dann schon in der 'abweichenden' partie stehen. Ich kann
mich also in der beurteilung dieses Panischen beweises im
grossen und ganzen Henning, Anz. fda. 4, 53 f. anschliessen,
allerdings unter berücksichtigung der correcturen Pauls, Beitr.
5, 436.
Pauls zweiter grund für die annähme zweier selbständiger
recensionen ist der, dass in den fällen, wo B* und C* in beiden
reimworten abweichen, sich durch kreuzung bisweilen aus
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126 BRAims
beiden recensionen assonanzen herstellen lassen. Die gesammt-
summe der abweichungen beider reimworte ist 167. Unter
diesen 167 fällen sind 16, welche durch kreuznng eine assonanz
ergeben würden. Paul meint nun, dass diese zahl grosser sei,
als sie es bei dem walten reinen zuf alls sein dürfte. Diese be-
hauptung sucht er durch eine Wahrscheinlichkeitsrechnung zu
erhärten. Er legt dieser diejenige gruppe der fraglichen
kreuzungen zu gründe, welche eine etwas beträchtlichere zahl
enthält, nämlich den fall, dass in der einen recension der reim
am: am, in der andern der reim an : an steht. Diese reime
finden sich unter den 16 kreuzungsassonanzen sieben mal Bei
der verhältnismässigen Seltenheit der am-reime gegenüber den
weit häufigem an -reimen rechnet Paul heraus, dass unter
167 fällen abweichender reime höchstens 6in fall des Zusammen-
treffens von am- und an -reimen vorkommen dürfe, wenn der
Vorgang der gewesen wäre, dass ein umarbeiter statt reiner
reime seiner vorläge — aus beliebigen sachlichen gründen
ändernd — andere reine reime eingesetzt hätte. Dass statt
dessen es sieben solche fälle gebe, könne nur dadurch erklärt
werden, dass das original die assonanz am : an gehabt habe,
die unabhängig von B* sowol wie von C* gebessert, in der
einen recension einen reinen reim am : am, in der andern an :
an ergeben hätte.
Wenn Pauls auffassung gegen die directe herleitung von
C* aus B* etwas beweisen sollte, so müssten dabei folgende
bedingungen erfüllt sein. Einmal, dass in den betreffenden
fällen die änderung nicht durch klar liegende sachliche an-
stösse veranlasst sein könnte. Denn nach Pauls meinnng ist
sie ja aus dem formellen anlass entstanden, dass in der vor-
läge eine assonanz wegzuschaffen war. Ist sie jedoch aus dem
Inhalt zu motivieren, was ja auch nach Pauls ansieht der
hauptgrund aller änderungen in C* ist, so fällt jeder anlass
für annähme einer assonanz weg. Zweitens müsste einem
ändernden jeder reim gleich nahe gelegen haben. Das ist
aber keineswegs der fall, sondern die anklingenden reime
können einem änderer sich entweder durch den inhalt und
das Wortmaterial des geänderten oder durch das geistige
nachklingen des Originalreims dargeboten haben, wie Henning,
Anz.fda.4,55 richtig ausführt.
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XLan>S(mBTFTENVERHALTNI8SEDESiriBELüNaEin.IEDES. IV.A. 127
Sehen wir uns daraufhin die sieben öw-an-fälle näher an,
so ergibt sich gleich, dass in einigen offenbar der sinn von
C* geändert worden ist. In 645, 1. 2 ist die änderung von
C* dadurch veranlasst, dass die beiden Strophen 643. 644 ge-
tilgt wurden, weil Hagen darin der Kriemhild schnöde ant-
wortet. Deshalb konnte C* die erste hälfte des ersten verses
von 645 nicht behalten (Daz liezen si beliben), da sie sich auf
den inhalt der getilgten Strophen bezieht. Er machte die
zweite hälfte da bereiten si sich dan zur ersten, natürlich mit
der nötigen Umformung: Si bereite sich zer verte. Er ergänzte
die fehlende zweite hälfte durch die nichtssagende, im Nl.
sehr geläufige floskel als ir vil wol gemm. Damit hatte er
einen an-reim beseitigt und einen -am-reim an dessen stelle ge-
setzt. Warum verfiel er aber hier grade auf die flickf ormel mit
gessamii Nun sehr einfach deshalb, weil das gewan im zweiten
verse durch die nahe liegende vertauschung mit dem syno-
nymen vham einen bequem liegenden reim darauf bot. Man
hat also hier keinen formellen grund zur änderung anzunehmen,
weder eine assonanz, noch — wie K Hof mann s. 22 will — die
gleichreimigkeit der ganzen Strophe in B* die ja an sich fUr
C* wol auch einen anstoss zur änderung hätte geben können.
— Auch 1126,3.4 liegt in C* nicht bloss eine änderung der
zwei Zeilen vor, sondern der ganzen Strophe; auch hier ist es
eine sachliche änderung, die die reimänderung mit sich zieht.
Sie fällt in die für C* sehr charakteristische kategorie, dass
die etikette und die Standesrücksichten sorgfältiger beobachtet
werden. Im original empfängt Günther die 'boten', in C* wird
aus ihnen Eüdiger herausgehoben. Schon in der letzten zeile
der str. 1125 beginnt die Umformung, was nicht der fall sein
würde, wenn nur am Schlüsse von 1126 eine assonanz hätte
beseitigt werden sollen. Der inhalt von 1126, 1 wird von C*
schon in 1125, 4 verlegt, wo durch Streichung des formelhaften
schlusshalbverses daz was durch gröze zuht getan leicht platz
zu schaffen war. Ein weiterer anstoss für C* war dann femer
die art wie Günther in 1126,2 mit Gemot zusammengefasst
war unter singularischem verbum. Derartiges beseitigt C*
auch sonst (vgl. Liliencron, Hs. C. s. 128). Vielleicht war dies
überhaupt der keimpunkt der ganzen änderung, indem G^ erst
Günthers empfang berichtet und danach gesondert — dem
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128 BRAUNE
ränge nach — den Geraots. Dazu brauchte er allerdings mehr
räum und diesem streben konnte in 1126,3 noch die formd
als im wol gezam zum opfer fallen. Weshalb er nun statt des
-at»-reims auf einen -an-reim verfiel, zeigt das material: mit
stnen mannen in 1126, 3 a B* ergibt in C* den zweiten (reimen-
den) halbvers unt alle sine man. Demzufolge musste dann
auch 1126, 4 den guoten Rüedegere er bt der hende gcnam ge-
ändert werden in der künec Rüedegere fuorte bt der hende dan
Auch diese Strophe kann also fär die assonanzentheorie nicht
angeführt werden. — In 1285, 4 macht sich wider die höfische
tendenz von C* geltend, indem die ehre von den vasallen auf
die königin übertragen wird (K Hofmann s. 22): ais ea ir
{Kriemhilds) eren wol gezam C*. Die änderung ist also eben-
falls nicht der form wegen entstanden.^ Dass C* hier statt
des an-reims den reim auf gejsam einführte, war durch den
sinn nahe gelegt, zumal sich in dem von ihm bevorzugten
lohesam ein bequemer reim darbot,^)
In den übrigen vier stellen ist ein erkennbarer Wechsel
des Sinnes in C* nicht vorhanden. Damit ist aber nicht ge-
sagt, dass ein formaler anstoss die änderung der reime hervor-
gebracht haben muss. Der umdichter C* ändert ja meist in
unverkennbarer weise des sinnes wegen. Aber daneben stehen
eine menge von änderungen des ausdrucks, die nur einer lust
am andersgestalten entsprossen sind. Das ist sehr oft im
inneren des verses der fall, ohne den reim zu berühren; oft
sind aber auch reimänderungen so aufzufassen. Nicht aus-
geschlossen ist, dass bisweilen auch formale anstösse dazu den
1) Im entsprechenden reimverse ändert C* ein toceUicher man in ein
fursie lohesam. Letzteres ist im gemeinsamen t«xte nur zwei mal Yor-
handen (368. 1465), von C* aber ausser unserer steUe noch zwei mal ne^i
eingeführt (44 a. 506). Dagegen wird westlich von C* sehr oft beseitigt,
aber doch anch einige'male nen eingeführt (Bartsch, ünterss. s. 228).
') Ein beweiskräftiges beispiel, wie in folge einer sinnändemng xa-
fällig in G* ein -am-reim einem -an^reim in B* gegenübertreten kann,
bietet die Klage 3683 ff. (Bartech = 1840 ff. Lachmann), wo C* die von
ihm schon im Nibelungenliede erzählte gründung von Lorsch in seiner
Klage streicht Da heisst es in B* (des si von erste da began :) dö si des
künde gewan = C* da si diu mcere dar venuim ( : von Lorse gahende
quam). Hier haben selbst Bartech und Edzardi eine assonanz zu erschlieasen
unterlassen.
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HANDSCHRIFTENVERHALTNI8SE DES NIBELUNGENLIEDES. IV. A. 129
anlass gegeben haben können. Aber man darf nicht für jede
ändenmg yon C* einen uns erkennbaren anlass nachweisen
wollen. Belege hierfür bringt der vergleich beider texte auf
jeder seite.^ Ein solcher fall ist die von C* umgebaute
Strophe 368, in deren v. 1. 2 B* den reim getvan : man, C* ge-
nam : lobesam hat. Hier hat C* ohne ersichtlichen grund
geändert. Aber das ist leicht zu erkennen, weshalb er den
an-reim grade durch einen am-reim ersetzte: der reim nam :
lobesam bildete im original das zweite reimpaar. Von da über-
nahm C* einfach sein erstes reimpaar, während er das zweite
mit einem neuen reime versah. Ein solcher fall ist sehr
geeignet, die unzulässigkeit von Pauls Wahrscheinlichkeits-
rechnung zu illustrieren, die doch von der annähme ausgeht,
dass dem umdichter jeder reim gleich nahe gelegen hätte.^)
— 920, 3. 4 ist von C* umgeformt worden, so dass dem reime
dan : getan in C* nam : alsam entspricht. Eine assonanz wagt
hier selbst Bartsch s. 16 nicht zu construieren: denn bei dieser
müsste das eine reimwort aus B* das andere aus C* genommen
werden. Aber das ist hier unwahrscheinlich, da C* nicht nur
formal redigiert, sondern den ganzen gedanken gründlich um-
gebildet hat. Ein inhaltlicher anstoss zur änderung ist aber
auch nicht zu entdecken, ich halte mit Bartsch Liliencrons
dahin zielenden versuch (Hs. C s. 60) für gänzlich misglückt.
Wir haben also hier in C* eine freie, weder durch die form
noch durch den Inhalt veranlasste Umbildung der zwei zeilen.
0 Hierin schiesst Liliencron in «einer vieles treffliche enthaltenden
analyse der recension C* oft ühers ziel hinaus, indem er möglichst jede
ändenmg von C erklären will, und zwar meistens ans gründen des sinns.
Deshalb wird er oft spitzfindig und überkünstlich.
*) In dieser Strophe ändert auch A das zweite reimwort des ersten
reimpaares {gewan : man) zu began. Der vers in B* von Stade begunde
schieben der kreftige man heisst in A von Stade er schieben vaste began.
Auch hier freie Umformung des ausdrucks ohne formalen anstoss, den
Bartsch hier sicher in einer assonanz vermutet hätte, wenn es sich um B*
und C* handelte. Aber wie der umdichter A hier zu seinem neuen reime
kommt, ist des beispiels halber der hervorhebung wert. Er nimmt ihn
nicht aus der grossen zahl der vorhandenen -an -reime, sondern aus dem
vorliegenden wortmateriale: das begunde der ersten halbzeile tritt als began
in den reim. Also dieselbe erscheinung, der wir bei C* in den zur erörte-
rung stehenden fällen meist begegnen.
BeitriSge cur geschichte der deutschen spräche. XXV. 9
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130 BRAUNE
Eins aber können wir mit Sicherheit erkennen, nämlich woher
C* auf seinen am -reim gekommen ist. Der ist nicht aus der
luft gegriffen, sondern das im original innerhalb der zeile
stehende alsam, welches durch seinen logischen ton zum reime
prädestiniert war, bot sich von selbst dazu dar. Also auch
hier ist die Wahrscheinlichkeitsrechnung unangebracht — In
650, 3. 4 steht dem reime vernam : gezam B* in C* man : hegan
gegenüber. Auch hier hat man eine assonanz anzunehmen
nicht nötig, sondern der keim der Umformung liegt in der
zweiten reimzeile: sich kleidete ir gesinde mit vlize wöl als in
gezam. C* woUte den ingressiven sinn des kleidete deutlich her-
yorheben^ durch die im mhd. so beliebte Umschreibung mit
beginnen. Das flickwort als in gezam bot dazu den passenden
platz. Nach began änderte er dann auch das erste reimwort
um. Dass dies der hergang war, wird durch parallelen ein-
zelner hss. illustriert. 1637, 2 ist weinen st gezam sogar in
zwei ganz femstehenden hss., also unabhängig, in a und in b
in weinen si began geändert, und zwar ohne dass der erste
reim (vernam) danach corrigiert wurde. Es liegt daselbst also
eine secundäre assonanz vor. Ebenso in hs. B 1511, 4 ais ee
müeden began ( : benam) statt als ez ir müede gezam der übrigen.
Dass B hier geändert hat, hat selbst Bartsch (gegen ünterss.
s. 11) in seiner ausgäbe zugestanden.
Der letzte fall von am-an-reimen endlich 956, 3 weist auch
nicht auf eine assonanz der vorläge hin. Sondern auch hier
ist C* direct aus B* zu erklären. Und der grund ist hier ein
formaler: es war der rührende reim benam : vernam, welcher
C* den anlass zur umreimung gab.2) Dass dabei C* gerade
^) Gänzlich unhaltbar ist die behanptong Liliencrons s. 130, dass C
hegimwn c. Inf. nicht liebe. Nach Bartsch, Wh. ist das ingressiye hegiimen,
ausser den zahlreichen gemeinschaftlichen stellen, in B* allein 16 mal, in C*
21 mal Yorhanden, also eher ein überwiegen in C*.
') lieber den rührenden reim im Nl. vgl. Bartsch, ünterss. s, 177 ff.
Paul, Beitr. 3, 443 f. und oben s. 73 f. Die Sachlage ist die, dass C* oft
den rührenden reim von B* wegschafft, aber einige male ihn umreimend
auch wider — aus Unachtsamkeit — selbst hineinbringt, also eine ganz
ähnliche erscheinung wie bei den unreinen reimen. Das gleiche finden
wir auch in einzelnen andern hss. So schafft A bisweilen rührende reime
von B* weg, vgl. 327,2. 509,2. 1066,2 (oben 8.73), dagegen 1168,1 meit :
gemeit A, statt wip : Up,
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HANDSCHBIPTENVERHALTNISSB DBS NIBELUNGENLIEDES. IV. A. 131
auf einen an-reim verfiel, lag nahe genng: es handelt sich
hier nm Siegfrieds gefolge, das durch die trauerbotschaft ge-
weckt wird, also wdhter manigen man. Die sachlichen motive,
die LiUencron s. 64 nnd Hofmann s. 22 hier C* unterschieben,
sind spitzfindig.
Wenn wir sonach für die sieben an-aw-reime, auf welche
Paul seine Wahrscheinlichkeitsrechnung gründet, ohne Schwie-
rigkeit eine erklärung finden, die auf directe entstehung von
C* aus B* sich gründet, so bieten die übrigen neun verein-
zelten sog. kreuzungsassonanzen erst recht dieser erklärung
keine Schwierigkeit. Es sind die folgenden: 288 Icumen :
frumen B* = sun : tuon C*, 332 sun : tuon = kum : frum,
810 not : tot : guot : guot,^) 849 sage : trage : versagen : tragen
(C* ändert in v. 1 den gedanken!), 535 Arabi : bi = Arabin :
sin (C* schafft rührenden reim weg); 1336 abe : habe = tage :
missehage; 1499 muot : guot = not : röt, 1518 gemuot : guot =
genuoc : ungefuoe,'^) 2305 leben : geben = lebe : gebe (in C* das
dxd xoipov aufgelöst). Für einige dieser 'kreuzungen' liegt
der anlass der änderung in G'*' am tage. Für die anderen ist
es massig nach einem gründe zu fragen, da eben nicht jede
änderung von C'*' einen erkennbaren anlass hat. Jedenfalls
brauchen wir deshalb nicht zur assonanzenhypothese zu greifen.
Denn solche 'kreuzungen' finden sich auch sonst, wo einzelne
hss. ändern. Wie Paul selbst s. 422 hervorhebt, finden sich
in den 36 fällen, in denen einzelne hss, beide reimwörter
ändern, zwei kreuzungen. Bei den 167 reimabweichungen
zwischen B* und C* dürften wir nach diesem Verhältnis
9V3 fälle erwarten, statt der 16 vorhandenen, vorausgesetzt
dass reiner zuf all walte. Nun aber haben wir bei der einzel-
betrachtung gesehen, dass der blosse zufall hier nur zum
1) Hier hat Bartsch (Unterss. s. 45) die answahl, ob eine assonanz oder
der rührende reim Ton C* das ursprüngliche sei. Aber C* ändert den sinn
(ygl. Liliencron s. 24. Hofmann s. 55) und die reime sind nebensache.
*) Hier war der hergang klärlich der, dass C* vU eomec was gemuot
in eomie was genuoc änderte und danach dann auch den zweiten reim
umbildete. Ueber die häufige Tertauschung Ton gemuot und genuoc vgl.
oben s. 72 f., wo auch hervorgehoben ist, dass an unserer steUe g gegen die
yorlage L genuog eingeführt hat, freilich ohne wie C* den entsprechenden
reim zn ändern. Ygl. auch oben s. 125.
9*
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132 BBAUNB
kleinen teile räum hat, sondern dass durch die mannigfachsten
factoren die büdung des geänderten reims bestimmt wird.
Es ergibt sich also, dass die bedenken, welche Paul be-
wogen, in seiner bekämpfung der Bartschischen zweirecensionen-
theorie vor dem ziele umzukehren, nicht stichhaltig sind. Sie
sind jedenfalls viel zu leichtwiegend, um die gewichtigen be-
weise zu erschüttern, welche in der Stellung der gruppen d*
und J* dafür liegen, dass C* direct aus der ersten hauptrecen-
sion entstanden ist
B. Die gruppe Jd* im besonderen.
Wir gehen nun dazu über, die gruppe Jd* deren allgemeine
Stellung für uns feststeht, im einzelnen in das handschriften-
verhältnis einzuordnen. Da ist zunächst hervorzuheben, dass
von einer gesammtgruppe Jd* allerdings insofern die rede sein
kann, als die zusatzstrophen, sowie eine anzahl von auf dem
wege von C* liegenden abweichenden lesarten beiden gemeinsam
sind. Aber im übrigen vertritt sowol d* wie J* eine gruppe
für sich, von denen d* dem Originaltext in ihren lesarten sehr
nahe liegt, so dass für die textkritik d* eine weit grössere
bedeutung besitzt als J*. Leider ist die hs. d sehr jung; auch
hs. J gehört dem 14. jh. an und zeigt viele jüngere änderungen.
Aber sowol d als J werden gestützt durch mehrere zum teil
ältere fragmente, so dass wir befugt sind, die texte d* und J*
in die ersten Zeiten unseres liedes zurückzuversetzen.
Von den fragmenten gehören H und 0 zum texte d*
K, Q und 1 zum texte J*. Nicht sicher zu bestimmen sind die
spärlichen fragmente i und c.*) Zweifelhaft ist die zugehörig-
>) Diese fragmente werden freilich gewöhnlich zu B gesetzt So
Zamcke, Bartsch und y. Muth. Aber mit voller Sicherheit lässt sich nnr
sagen, dass sie nicht zu C* gehören, sondern zur originalrecension. Von
dieser ist nnr die hs. A bestimmt auszuschliessen. Aber sehr wol könnte
man sie zn J* oder d* stellen. Das brachstück i umfa,sst str. 223, 1 — 238, 1,
eine partie, in welcher Db* noch zn C* gehört nnd keine plosstrophen von
Jd* vorkommen, Wir sind also allein anf die lesarten angewiesen. Von
diesen wäre nnr anzuführen 231, 1 in den stürmen AB.C = in dem stürme
Jdi.Db; 231, 3 hahent AB.b = die habent Jdi.CD; 232, 2 so UUe ABd = vil
lüte JiCDb. Es sind diese lesarten freilich sehr gering wiegend. Aber
wenn wir überhaupt aus dem zusammentreffen der lesarten von i mit
andern hss. etwas schliessen woUten, so könnte es nur das sein, dass i cum
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HANDSCHRIFTENVEBHALTNISSE DBS NIBELUNHENLIEDES. IV.B. 133
keit derjenigen teile der Umarbeitung k (k*), welche nicht aus
C* geflossen sind. Also die Strophen k 1—458 und 850 — 911
(=Lachm. 1—432 und 798—859). Wir haben schon oben s. 19 ff.
die bedeutung von k^ für die textkritik von C* erörtert. Die
der Originalfassung angehörigen Strophen von k setzten Zamcke
und Bartsch in ihren ausgaben auf grund der mitteilungen
über k, welche Holtzmann, Germ. 4, 315 ff. gegeben hatte, in
nähere beziehung zur hs. d. Dagegen ist Lunzer, Beitr. 20,
481 ff. zu dem resultat gekommen, dass vielmehr die hs. B
die nächste verwante dieses teils von k^ sei. Die Zuteilung
zu d* gründete sich darauf, dass k* mit d die drei Strophen
329a— c teilt, welche auffälligerweise in J nicht stehen und
von denen nur die ersten beiden auch von C* geboten werden,
so dass die dritte nur in dk überliefert ist. Das ist nun in
der tat eine Übereinstimmung, welche sehr schlagend zu sein
scheint. Demgegenüber betont aber nun Lunzer das Ver-
hältnis der lesarten. Er hat in seiner arbeit gezeigt, dass
bei aller freiheit der Übersetzung doch auch die lesarten von
k noch in ziemlichem grade für das original zu verwerten
sind. Und da ergibt sich ihm, dass, von jener einen strophen-
gemeinschaft abgesehen, absolut kein greifbarer anhält für
die ansetzung einer nähern verwantschaft zwischen k^ und d
vorhanden sei. Den nachweis für die verwantschaft mit B
führt er auf die weise, dass er durch vergleichung der les-
arten von k^ mit denen von A, D und J zeigt, dass die ab-
weichungen dieser hss. von k* nicht geteilt werden, welche
dagegen zu B stimme. Eine einzelvergleichung mit d hat
Lunzer nicht vorgelegt. Die nachprüfung bestätigt jedoch
im ganzen Lunzers behauptung. Die lesarten von d zerfallen
in mehrere kategorien. Einmal sind es solche, mit welchen d
texte J* gehöre. — Von den trümmerhaften bei Lazius überlieferten
stücken c läset sich feststellen, dass c die ändemngen der hs. J nicht teilt.
Vgl. 1894,3. 1898,3. 2072,1. 2074,4. 2155,8. Dabei könnte c immer noch
ans einer älteren form der gruppe J***, oder aber aus der gmppe d* geflossen
sein. SpecieU znr hs. B gehört jedenfalls c nicht. Vgl. 1897, 4. 1898, 3.
Die Jd* eigentümlichen Strophen werden von keinem der fragmente c be-
troffen. Eine ganz sichere znteilnng ist also doch nicht möglich. Und es
wird demnach das ratsamste sein, die Zugehörigkeit der fragmente c und i
zu einer engeren gruppe unentschieden zu lassen.
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134 BRAUNE
allein steht Diese sind zum grösseren teile wol jüngere ab-
weichungen. Doch werden manche solcher sonderabweichiiiigeB
von d auch von den bruchstttcken H und 0 getdlt, so dass
anch für die mit k^ zu vergleichende partie wol anzunehmen
ist, dass ein teil der sonderlesarten von d doch der alten vor-
läge (0) angehört hat. Nun zeigt aber k*, wo die art der
Übersetzung einen vergleich zulässt, niemals eine sonderlesart
von d. Zweitens teilt d in den meisten fällen die lesart
von B, wobei k* natürlich auf dieser seite steht^ Drittens
trifft d mit J zusammen in den fällen, wo Jd* zu C* stimmt
Diese stellen sind gesammelt von Paul, Beitr. 3, 467 ff. In
den teil k^ fallen 20 solcher fälle. Davon lassen zehn w^gen
der freiheit der bearbeitung keine entscheidung zu. In sedis
fällen tritt k* auf die seite von B, gegen JdC (136, 3. 253, L
301,4. 365,2. 405,3. 323,2), während in vier fäUen k« die
lesart JdC vorauszusetzen scheint (239, 1. 148, 1. 246, 2. 282, 2).
Doch ist keine dieser Varianten schwerwiegender art Im
ganzen ist der lesartenbefund der auffassung von Lnnxer
günstig, der auch noch mehr hätte hervorheben können, das
die plusstrophen Jd 848a und 858a beide in k nicht stdieiL
Und specieU in d steht 858 a noch ein zweites mal hinter
848 a, so dass hier im Strophenbestand sich k^ durchaus zu B
stellt Andererseits steht aber k^ nicht in enger und direct»-
abhängigkeit von der hs. B: denn es fehlen die in B ans C^
entlehnten Strophen 102 a. b, vgl. oben s. 64 f. — Auch Lunzer
S.488 spricht sich dahin aus, dass k^ nur am nächsten m B
stehe, aber ohne von ihr abzustammen. Es vertritt also k^
für uns eine weitere alte hs. der gruppe B, von der wir sonst
nichts haben. Wie nun freilich in diese vorläge die drei
d-strophen 329a— c geraten sind, das. entzieht sich unserer
beurteilung. Ueberhaupt ist k^ zu kurz, um bei der so sehr
freien behandlung des textes uns über seine vorläge genaueres
zu lehren. Immerhin sind die berührungen mit J in der An-
leitung (s. darüber unten cap. v) bemerkenswert^ und im zu-
sammenhange damit verdient es doch auch wenigstens ang»i»b
^) Der Vollständigkeit wegen sei aber angemerkt, dass in i
baren falle k^ den allein stehenden Bd entgegen tritt: 248,2 (idk han nm
iuwem schulden) schaden vil genomen AJC = vü grözen sdkaden gen. Bd
= ich han von ewren schulden auch $(^Md€ns vü gencmm k.
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HAKDSCHBIFTEir^EBHÄIiTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES. lY.B. 135
ZU werden, dass Lnnzer ausser den vielen stellen, an denen
k* gegen J steht, andrerseits doch auch s. 486 f. weit mehr zu
J stimmende stellen aufeuzählen hat, als er analoges bei den
ebenfalls stark ändernden hss. A und D beibringen kann. —
Jedenfalls aber kann behauptet werden, dass zu unseren gruppen
d* und J* das stftck k> nicht zu rechnen ist.
1) Die Untergruppe d*.
Die durch d vertretene gruppe ist sonach nur durch die
^wei alten fragmente 0 und H gestützt. Von diesen ist .0
kurz, es bietet zehn volle Strophen (1052a— 1058. 1135. 1136)
und von 42 anderen meist nur sehr spärliche trümmer; hg.
von V. d. Hagen, Monatsberichte der Berl. akad. 1852, s. 445 ff.
vgL V. Muth, Zs. f dph. 8, 436. Schon v. d. Hagen hat erkannt,
dass wir in 0 die directe quelle von d zu sehen haben. Be-
weisend dafür ist der fehler 1052 a, 4, wo für im giht in 0 in
kit, in d tn Met steht, femer 1058, 4 falsches in Od statt sin,
auch 1058,1 fehlt die Od. 1152,3 hat 0 das ^i der übrigen
hss. in sich geändert, d macht daraus sis. In einigen fällen
hat 0 noch die echte lesart, während d ändert, besonders
interessant ist das zuttllige zusammentreffen von d mit anderen
hss.: 1057,2 hat 0 noch richtig achzech, d dagegen die con-
structiou ändernd mit achtzigk und dieselbe allerdings sehr
nahe liegende änderung haben auch D und J, beide widerum
natürlich unabhängig, vorgenommen. 1140, 2 hat 0 noch mit
AB stimmend si hceret, dagegen d mit J und C'*' stimmend so
hostet Hier ist also die scheinbare Übereinstimmung von Jd*
mit C* erst durch die junge änderung von d herbeigeführt,
und es ist sehr wol möglich, dass auch J und G unabhängig
auf diese sehr nahe liegende constructionsänderung verfallen
sind (vgl. Paul s. 471). In 1154^3 hat nur B die richtige lesart
ze jungest reiten daz, welche auch Lachmann gegen A in seinen
text setzt. Für reiten lag aber dem zusammenhange nach
rieten sehr nahe, welches unabhängig von ADb und von Ca
{gerieten) eingeführt ist. J hat lobten und d hat ebenfalls
rieten, aber die vorläge 0 hatte noch die durch B gebotene
echte lesart: es steht rm ..., was reiten ergibt (öw in 0
ständige Schreibung für et). Schliesslich sei noch hervorgehoben,
dass der langvers 1233, 3, statt dessen in d nur steht von Eüedi-
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136 BKAUKB
geres man, in 0 schon genau so gelautet hat. Es ist zwar
davon nur geres man erhalten, aber der räum der weggeschnit-
tenen zeile fasst nur 16 — 21 buchstaben. Der schluss der vor-
hergehenden zeile ist ch man (= sach man 1233, 2), es kann
also nur etwa an der stunt von Rüde weggeschnitten sein,
kein weiteres längeres wort, oder gar wie v. d. Hagen nach J
ergänzt an der stunt Die snellen Burgunde von Bued . . .
Es hat also d diesen verstümmelten vers aus der vorlege
genau abgeschrieben.
Umfangreicher ist das bruchstäck H (Hagens Germania 1,
322 ft), welches 108 Strophen meist vollständig bietet (1230—
1283, 1500—1549). Seine Zugehörigkeit zu Jd* wird durch
die plusstrophen 1511a und 1523 a — c deutlich. Auch die der
gruppe Jd* mit C* gemeinsamen lesarten werden von H geteilt,
z. b. 1237, 4 (vgl. oben s. 56). 1238, 4. 1239, 4. 1258, 2 etc. Dass
H aber nicht zu J, sondern zu d gehört, ergibt das fehlen der
vielen J eigentümlichen änderungen, welche zum teil auch die
Jd* mit C* gemeinsamen lesarten durchbrechen. So z. b.
1234, 2 von gemälet riehen pfellen ADbB = von genagelt riehen
Pfeilen Hd, von genageltere r. pf, C, wo J statt des genörgelt
seiner vorläge tiurere eingesetzt hat (vgl. Paul s. 473). In der
grossen lücke von J (1456 — 1568) vertritt H mit d zusammen
die gruppe Jd* sowol in den oben genannten plusstrophen, als
auch in den mit G* stimmenden lesarten, wie 1506,2. 1507,2.
1523, 4 u. a. Dabei steht aber H doch zu d ganz anders als O.
Während alle lesarten von d mit 0 gemeinsam oder aus 0
geändert sind, bietet H einige selbständige änderungen, wo-
durch erwiesen wird, dass H nur seitenverwant mit d ist. So
in der eben schon bei 0 erwähnten stelle 1233,3, wo H in
seiner vorläge allerdings auch nur fand, wie Od haben, näm-
lich den zweiten halbvers von Ruedegeres man. H ergänzte
hier selbständig von Ruedegeres ... die sah man churUchen
stan. Dass hier nur man weggeschnitten ist, und kein längeres
wort, ergibt sich daraus, dass auch die vorhergehende schnitt-
steile m(vnt) und die folgenden mei(t), vo(n ge)nagelt, (fra)we»
nur einen bis drei buchstaben weggenommen haben. Die er-
gänzung von H ist metrisch sehr ungeschickt, da sie einen
viertaktigen zweiten halbvers schafft, während von Ruedegeres
man als erster halbvers zu kurz ist. Paul s. 473 geht hier in
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HANDSCHBIFTBNVBRHÄLTNISSB DBS NIBBLUKOBNLIEDBS. IV. B. 137
der beurteilung von H fehl, welches doch nicht zn J, sondern
zu d gehört. Auch Fischer, Germ. 27, 149 verkennt die Über-
einstimmung von H mit d. Weitere selbständige änderungen
von H, denen gegenüber d mit den übrigen das echte hat,
sind 1234, 4 chom statt Mrte, 1237, 1 in dem lande statt von
dem lande, 1526, 1 (s. oben s. 99). Auch mit anderen hss. ist
H ändernd zufällig zusammengetroffen, während d die echte
lesart weiter führt, so 1509, 4 (oben s. 54), 1266, 4 (oben s. 56),
1232,3 (du zugesetzt HJB); ebenso d, während H das echte
bewahrt, so 1243,4. 1239,4 (oben s.56). Für die enge Zu-
sammengehörigkeit von Hd zeugen femer änderungen, die nur
ihnen eigen sind; so sehr auffällig 1235, 4 fleijse Hd (d. i. ßjsfe)
statt fluBjge der übrigen, weiteres 1255, 2. 1256, 4. 1519, 4 und
(mit A zusammentreffend) 1512, 4 zieren statt Helfen. — Im
ganzen betrachtet sind die differenzen zwischen d und H nur
geringfügiger art.
Die fragmente H und 0 sind wichtig, insofern sie uns
zeigen, dass die hs. d eine gesonderte alte textversion repräsen-
tiert und daiis d, abgesehen von den sprachlichen Umformungen
der jungen hs., im ganzen den alten text treu widergibt. Es
ist also d für die textkritik des liedes sehr von nutzen, zumal
ihre grundha vom Originaltexte noch wenig abgewichen war.
Sie muss neben B stets in erster linie zur herstellung des
Originals herangezogen werden.
2) Die Untergruppe J*.
Während die gruppe d* ausser in den plusstrophen nur
in einer nicht allzu grossen zahl von lesarten sich vom haupt-
texte B* entfernt und in der richtung nach C* bewegt, so ist
die gruppe J* auf diesem wege schon weiter vorgeschritten.
Die plusstrophen sind hier dieselben wie in d*, abgesehen von
den drei oben besprochenen d- Strophen 329 a— c. Denn die
in die grosse lücke von J fallenden Hd-strophen 1511a und
1523a. b. c. darf man für J ebenso in anspruch nehmen, wie
für d die in dessen lücke fallende J-strophe 1775 a. Aber die
lesarten, welche in J* mit C* stimmen, sind viel mehr und
auch der qualität nach viel bedeutender als in d*. Auch diese
J*C*-lesarten hat Paul s. 477 ff. zusammengestellt. Die über-
gangsstellung, welche J* zwischen d* und C* einnimmt, wird am
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138 BBACNE
schlagendsten erwiesen durch die berühmte atrophe 1849. In
dieser Strophe tritt d* vollständig auf die seite von ADbB,
während unmittelbar vorher eine J* und d* mit C* gemein-
same plusstrophe steht. Die stelle ist schon viel behandelt^
vgl. v.Muth s. 160; die Sachlage erklärt sich nur, wenn man
annimmt, dass ADbB + d das ursprüngliche haben, J* einen
ersten ansatz der sachlichen ändeiimg bietet, welche dann in
C* weiter geführt wird. Von keiner anderen handschriften-
auffassung aus lässt sich die merkwürdige Strophe begreifen.
Wenn Bartsch hier die assonanzenhypothese anwendet (Unterss.
s. 320), so ist die Verkehrtheit davon auch von Paul (s. 483)
hervorgehoben, der aber seinerseits dieser stelle ratlos gegen-
über steht, da er die ursprünglichkeit von B* hier zugeben
möchte. Vgl. auch Fischer, Germ. 27, 251, der von Bartschens
mischungshypothese aus sich ebenfalls vergeblich um die stelle
bemüht. Dass die änderungen der in ihrer ursprünglichen
fassung fi'eilich widerspruchsvollen stelle von J* zu C* hin in
der tendenz der hebung Eriemhilds gemacht worden sind (vgL
hierüber oben s. 120 anm.) ist zu evident, um die noch von
Fischer auch als ^möglich' hingestellte priorität der fassung C*
ernstlicher Widerlegung bedürftig zu erachten.
Wenn wir sonach die äussere läge der gruppe mit Sicher-
heit dahin bestimmen können, dass J* einen Übergang von der
gruppe d* zu C* bildet, so haben wir jetzt noch die inneren
Verhältnisse von J* zu untersuchen.
Von den zu dieser gruppe gehörigen hss. JEQl ist keine
sehr alt, am ältesten wol K, die nach dem urteile Eönneckes
und E. Schröders in der ausgäbe des neuen fragments, Ta. f da.
38,290, um 1300 oder wenig früher entstanden sein wird.
J, Q und 1 gehören sicher erst ins 14. jh. Doch kann deshalb
natürlich die grundhs. dieser gruppe sehr wol in die a^te zeit
des gedichtes hinaufreichen. Die vollständige hs. der gruppe,
J (deren abschrift h lasse ich stets aus dem spiel), hat nun
neben den elementen, die auf die grundhs. J* zurückgehen
müssen, also insbesondere den mit G* stimmenden und von B"^
abweichenden lesarten, noch eine sehr grosse anzahl von ände-
rungen, die sich in keiner andern gruppe finden, die also
selbständiges eigentum von J sind. Es fragt sich nun, wie
die andern hss. der gruppe hierzu stehen. Denn die grundhs.
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HANDSCHBIFTENVERHIlTNISSE des NIBELUNGENLIEDES. lY.B. 139
musste natfirlich, wenn der text C* ans ihr entstanden ist, im
wesentlichen mit B* nnd d* übereinstimmen und nur in den-
jenigen lesarten davon abweichen, die C* übernahm oder
weiterbildete. Die vielen anderen abweichungen müssen in
der gruppe bez. der hs. J später entstanden sein, nachdem C*
bereits ans der grnndhs. der gruppe geflossen war.
Sehen wir nun die verschiedenen hss. der gruppe J* auf
ihr Verhältnis zur grnndhs. der gruppe hin an, so ergibt sich,
dass die einen der grnndhs. und damit dem echten näher
stehen als die andern. Wir können das Verhältnis durch einen
Stammbaum, in welchem J* die grundhs., Ji* J2* J3* weitere
zu erschliessende zwischenhss. bedeuten, so darstellen:
d*
Ji*
1 J?
J.*
J il
Von den fragmenten steht Q der hs. J am nächsten. Das
bruchstttck enthält 47 Strophen, von denen allerdings manche
unvollständig sind, aus der partie 910—933 und 976—998. Alle
für die hs. J so charakteristischen grösseren änderungen, die
oft ganze verse umfassen, werden von Q geteilt. Es sind in
dem von Q gebotenen kurzen stücke 46 lesarten, die Q nur
mit J allein teilt. Ich führe an: 915, 3 tu nider vor den füezm
ai für iuch üf dass gms JQ = für die iuwern füeze nider an
dae gras; 914,4 vor dem hünege Günther JQ = e daa der
künec getrunke; 928,3 an stnem herzen truoc JQ = in liehter
vanve truoc; 932, 2 vrölicher JQ (sinnlos) = vreudelöser; 932, 4
der helt küene und unvermgt (: geklagt) JQ = der ritter küene
und gemeü (jgeMeit); 988, 3 Gernöt und Qiselhir ir bruoder diu
kint JQ = Gernöt ir bruoder und Giselher daz kint. Der
gemeinsame fehler wiziu JQ statt wildiu 917, 3 ist schon oben
s. 43 erwähnt. In manchen stellen hat Q eine weitere ände-
rung, der jedoch die geänderte lesart J zu gründe liegt. So
922, 4 ein helt nü nimmer mer begät B*C* = warn immer helt
mir begät J, warn nie recke mSr begät Q; 990, 4 dö ne künde
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140 BBAUKE
ir trost deheinen zer werlde niemen gegeben B*C* = da künde
ze dirre werlde ir niemen Jcein trost geben J, ir hunde in dirre
werlde trost keinen gegeben Q; 994, 1 Kriemhilt diu arme B*C5*
= Diu vil arme Kriemhilt J, Diu vil edel Kr. Q. — Da^ Q
aber nicht direct aus J geflossen ist, zeigen einige stellen, in
denen Q mit den übrigen hss. das echte hat, während J selb-
ständig ändert. Von einigem belang ist nur 995, 4 wart dö QB*
= huop sich J; ein leichtsinnsfehler in J ist 997, 3 mich auch
nimt Q = auch mich mint J, alles andere geringfügige kleinig-
keiten: 911, 3 euo dem Q = jseinem J, 916, 2 mir fehlt J,
924, 2 gerstange Q = stange J, 997, 2 mtnes Q = des mtnen J.
Bemerkenswert ist noch 996, 2. 3. Vers 3 hatte die quelle von
JQ das Mnte mich von B* in helfet mir geändert, den v. 2 ir
sult niht eine län aber beibehalten; dessen dadurch gestörten
sinn bessert J durch zusatz von mich: ir sult mich nicht eine
län, während Q ir sult niht enlän schreibt.
Alle sonstigen abweichungen vom grundtexte teilt Q mit J.
Ausserdem hat aber Q noch selbständige änderungen, wo J das
echte bietet, die wesentlich zahlreicher und auch zum t^il be-
deutender sind als die selbständigen abweichungen, die J gegen-
über Q hat. Ich zähle deren 14, darunter fälle wie 914, 3. 4
so duz danne ist getan, dem sol man jehen prises Q = so daz
ist getan, dem sol man jehen danne JB* 932, 2 ie was ez swme-
liehen Q = e^ was ir genuogen; 933, 1 Der ungetriuwe GunO^er Q
:= Der künic von Burgonden\ 986, 2 die clagten Q = des wart
nü; 992, 3 Uote daz schoene wtp Q = CT. ein edel trfp; 994, 3
und die mir disen solt Q = und (die J) mir wesen hoU. In
solcher selbständiger änderung trifft Q zufällig mit A zusammen
994, 2 ir sult AQ = si suln JB*C*. Die Umsetzung der dritten
in die zweite person war hier durch den Zusammenhang sehr
nahe gelegt, die lesart von J beweist stricte, dass auch Q in
seiner quelle noch si suln fand, denn die einheit von JQ ist
so eng, dass ein zusammentreffen von Q oder J mit anderen
hss. sonst nur in ganz geringfügigen kleinigkeiten, orthogra-
phischem u. dgl. vorkommt.^) Bei dieser engen verwantschaft
^) Auch wo JQ znaammen mit einer andern ha. (ausser dC*) in ände-
TVLnsr zusammentreffen, muss das znfall sein. So 989,3, wo JQ und Db
man auslassen (s. oben s. 70) und 988, 2, wo in nu habt mit mir die not das
habt AB ersetzt ist durch geläufigeres tragt in JQ.d.Db, doü C (d* und J*
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HANDSCHEIPTBNVERHiLTNISSB DES NIBELUNGENLIEDES. IV. B. 141
ist es sehr auffällig, dass die Jd*-stroplie 910a, welche in C*
weniger gut schon auf 905 folgt, wol in d und J steht, in Q
aber fehlt Hier ist einzig der schluss möglich, dass J'^*, die
quelle von J und Q, die Strophe gehabt haben muss, während
sie in Q ausgefallen ist. Der zufall wird begreiflich dadurch,
dass Q (und ebenso wol ihre vorläge) die Strophen — nicht
die verse — absetzt und dass sowol 910 als auch 910 a mit
Do anfangen. So konnte der Schreiber Q, nachdem er 910
geschrieben, zurückblickend auf das Do von 910a stossen und
dadurch gleich zu 911 weiter rücken.
Sonach stellt sich uns Q dar als eine mit J aus gleicher
quelle geflossene hs., die alle wesentlichen änderungen von J
teilt, selbst aber noch weiter ändert, so dass sie von der
grundhs. J* am weitesten absteht.
Das fragment E ist umfänglicher, es enthält einschliess-
lich des von E. Schröder in der Zs. fda. 38 veröffentlichten neuen
Stücks ca. 160 Strophen im Zusammenhang und dazu noch ca.
80 durch wegschneiden sehr verstümmelte Strophen aus den
Partien 1354—1474, 1712—1773, 2254—2313. Dass K mit J
auf eine gemeinsame quelle zurückgeht, beweist einmal eine
Strophenauslassung: 1771 fehlt in K und J, sodann aber eine
grosse anzahl gemeinsamer lesarten sowol geringfügiger art,
wie sie allenfalls auch durch zufall entstehen könnten, als
auch tiefer gehende abweichungen, wie sie für die gruppe J*
charakteristisch sind. Während aber Q alle wesentlichen
abweichungen der hs. J teilte und selbst noch weiter stärkere
änderangen hinzufügte, so liegt dies bei K insofern anders,
als hier zwar in der mehrzahl der abweichungen JK überein-
stimmen, dagegen J allein noch eine beträchtliche zahl weiterer
änderungen zeigt, denen gegenüber K die Originallesart oder
wenigstens eine JK gemeinschaftliche leichtere änderung zeigt,
auf deren grund sich dann J noch weiter entfernt. Wir haben
also eine vorausliegende quelle JK anzunehmen, die ich oben
durch J2* bezeichnet habe, aus welcher einerseits direct K,
andererseits J3* die quelle von J und Q, abgeleitet ist K ist
von dieser seiner quelle J2* verhältnismässig selten abgewichen.
können hier allerdings zusammen gefasst werden, wenn man annimmt, dass
doU C* ans tragt entstanden ist).
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142 BRAUNE
Es folgen hier nun die wichtigsten belegstellen fOr diese
darstellung:
a) Weitere ändernngen von J gegenüber Jt* (JK): 1^5, 1 Dm hünegin
sprach leider, des mag mht gesin J = Do «pracA diu künegitme des mae
[leider K] niht gesin (das leider von J,* euigesetzt) B*^; 1369,4 Der hei ge-
waU vil grözen und was von add höchgebom J = Der herre iros gewaUie,
der hunic also höcligebom K, ja was vil gewaUic der edde künic wol-
gebom B*; 1415,2 Ahzec stner degen J = Jr beider recken ahzec K.B*;
1428, 4 b forsten niht gefueren dan J = niht getorsien enphan E.B*; 1429, 3
der kunec uns dae gebot J = min herre ez uns verbot K; 1433,2 Von
frouwen und von Jierren J = Von wiben und von mannen K (jgL oben
8. 42); 1725, 4 wcert ir rehter witze J = hetet ir guoie sinne £; 1727, 4 dojt
ir so grozUchen verdientet minen hajs J = dae ir doji habet verdienet (daz
verdiente K), daz ich iu bin gehaz K.B*; 1758,4 WeU irz niht vemUden J
= WeU ir iuch sin niht miden K, Und weit irs iuch niht miden B*; 1767, 4
Der küene hett Hagene sich dö wäfen began J = Hagen der bkene der
hdt sich wafen began B* (in K ist nnr der heU ausgelaasen, was in Js*
noch stand); 1772,4 Die stolzen eddn degen J = die stoLsen dlemden;
2257, 2 Daz oMerslagen wceren die recken lobes rieh J = daz si aüe sint
erstorben die recken lobelich\ 2299, L2 der fuort in bi derhant Gebunden
da er Kriemhilt die küneginne vant J = der nam in bi der Jutnt: Do
fuort er in gebunden da er KriemhUde vant K.B*. — Weitere steUen
1358,4. 1359,1. 1720,4. 1732,3. 1742,1. 1766,4. 1770,1. 2256,1.
b) Diesen zahlreichen ändernngen von J stehen weit weniger fiUle
gegenüber, in denen £ bemerkenswerte ändernngen hat, die J nicht teilt:
1363,4 des wart da gähen getan IL = des man dö gahen began J==B*;
1405, 4 ich woen niht her Hagene, daz ir iuch noch vergiselet hat K «s tdi
woBfie niht dnz Hagene iuch noch vergiselet hat B*; 1748.4 manigen boten
K (falsche caesnr) = boten manigen; 2259, 4 min danne hüeten K = mir
dannehelfefu — Weitere stellen 1395,3.4. 1398,2. 1405,2.3. 1715,4.
1744,3. 2267,3.4. 2305,3.4.
c) Von den sehr zahlreichen belegen für die einheitliche qnelle Ton J
nnd K schreibe ich nnr einige ans: 1362, 1 hete nu gesant K, nu het ge-
sant J = sine boten sande B*; 1388,2 und dunkt in ein grdziu not JK =
iu aUen daz enböt B*; 1423,3. 4i ze der höchzite 8«a; ich und owh die
bruoder min JK = zuo stner höchgeztt: dojs ir des äne zwwd sit B*C*;
2258, 1 Sit min ungeUcke des {sin K) wht woUe enbem: genem JK =
Sit daz es min unscdde niht langer wolde entwesen: genesen B*C*; 2270,2
ez yiengen iuwer helde zu disem gademe JK = ez giengen zuo disem hOse
die iutcer degene B*(C*), vgl. oben s. 123. — Weitere steUen (unter ans-
lassnng der nnbedentendem) 1359,3. 1366,4. 1369,2. 1387,3. 1394,4.
1407,1. 1411,4. 1416,2. 1716,2. 1720,4. 1723,4. 1725,3. 1731,4.1745,1.
1753.3. 1760,4. 1762,2. 1762,4. 1763,2. 1765,3. 2262,4. 2268,4.2295,3.
2296.4. 2297,2. 2297,4. 2298,2. 2298,3. 2309,3. 2312,3. 2313,2. - Für
die qnelle von JK wird man auch in anspmch nehmen dürfen die wegen der
lücke von J nnr in K überlieferte stelle 1466, 4 zeiner Imden asU bant K
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HANDSGHRIFTENVERHALTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES. IV. B. HS
= guo einem bäume gehant B*C*, die in ihrer specialisiernng einer all-
Sfemeineren wendnng des Originals eine grosse ähnlichkeit besitzt mit vielen
&nderangen in A (oben s. 106 ff.)-
Zur erkläitmg der so tiel^eifenden ttbereinstimmung in
ändenmgen zwischen J nnd E ist also die annähme einer ge-
meinsamen quelle durchaus nötig. Diese quelle, die wir J^*
nennen, müssen wir als diejenige Instanz betrachten, welche
aus dem texte der grundhs. J|, der ausser den plusstrophen
und den auch von C* geteilten lesarten noch nicht wesentlich
von B*d* abwich, durch stärkere Umformungen zahlreicher les-
arten dem texte J* denjenigen Charakter gegeben hat, welcher
uns in der für den grössten teil allein vorliegenden hs. J ent-
gegen tritt. Diese Umarbeitung gehört sicher noch dem 13. jh.
an und trägt in einigen fällen einen höfisch-lyrischen Charakter,
vgl. hierzu auch Bartsch, ausg. 1, s. xxii und die eben bespro-
chene stelle 1466,4 (K). Die dazu getretenen weiteren ab-
weichungen von hs. J sehen teilweise jünger aus; man wird in
dem grösseren teile der Überlieferung, wo J allein die gruppe
vertritt, in manchen fällen wol eine Vermutung darüber wagen
können, ob eine abweichung von J erst dieser jungen hs., oder
der wol hundert jähre älteren J2* zuzuschreiben sei.
Die einheitliche quelle von J und E bringt es mit sich,
dass ein zusammentreffen von J oder E mit anderen hss. zu-
fällig sein muss. Die fälle sind selten und meist leichtester
art; als etwas bemerkenswerter sind nur zu nennen: a) für J:
1404. 3 J trifft in der Versetzung von mit tu mit Db zusammen
gegen ÄBdE (G* ist daraus selbständig abzuleiten); 1764,3
släf^ Jb = schaffen E (B*C*), 2266,4 äne Jb = eine E.B*
das zusammentreffen von J mit b in diesen stellen ist durch
den Zusammenhang sehr nahe gelegt; am auffälligsten ist
1365. 4 Äer Jl = mir EJB*, was aber doch auch als zufällig
betrachtet werden kann, b) für E: 1354,4 eierltch Ed =
hirlich JB* und ausserdem zwei fälle, in denen E mit B
zusammentrifft Der eine 1720, 1 könnte zweifelhaft scheinen:
Ja simet ee uns beiden zewäre lazen haz. Hier steht statt
hos ADJC in BdEa daz\ doch ist wahrscheinlicher B mit d,
E und a in der änderung dae zusammen getroffen: auch b,
dessen vorläge notwendig mit AD hae hatte, ändert Da inmet
uns beiden ewäre bae Uzen daz, ein sicher zufälliges zusammen-
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144 BRAUNE
treffen mit BdK im versausgange daa: bemerkenswert ist, dass
auch a sich von C trennt, zum beweise, dass hier darchans
Zufall waltet. Die andere stelle ist 1716, 4 so entwich ich tu
durch vorhte üb helfe nimmer einen fuoz ADd J.Ca (in A und J
nur leichte Umstellungen), wogegen Bb so entwich ich iu durtA
vorhte nimmsr einen fuoz und K so entwichet iu durch vorhte
nimmer min fuoz: in B, b und K ist unabhängig üz helfe aus-
gefallen, was durchaus noch in der Zufallsmöglichkeit liegt —
Es ist natürlich ebenso zufall, wenn J. oder K allein mit C*
zusammen treffen. In solchem falle hat die andere zu B*
stimmende hs. die echte lesart von J2*. Die ebenfalls nur sehr
vereinzelten beispiele hiervon sind: 1718, 2 Idn KC* = lai
JB*. Hier ist lat das echte, K hat selbständig — wie C* —
län von dem vorhergehenden sU wir sich anziehen lassen.
2270,4 stimmt J gegen KB* in einer Versetzung von vers-
gliedern zu C*. Zweifelhafter ist 1721, 2 schein B*K = er-
schein dJC*; hier könnte wol erschein die lesart von Jj* sein
und K zufällig schein dafür gesetzt haben. 1)
Die einheit des textes JK hat aber auch zur folge, dass
man das zusammentreffen einer in J und K stehenden, also
der quelle J2* angehörigen änderung mit einer nicht näher
verwanten hs. für zufällig erklären muss. Dem stehen aber
auch bedenken nicht entgegen, da dieses zusammentreffen nur
vereinzelt, nicht mit derselben hs. und nur in leichteren fällen
stattfindet. Es sind folgende: Mit D treffen JK zusammen
1728, 3 den lielt üe {von J) Niderlanden JK.D = den helt se
sinen handen (vgl. oben s. 69), 2304, 4 under D.JK = lebende
(vgl. geben wider v. 3); mit Db* 1410, 4 vam DNb.JK = gerne
(varn konnte hier dem zusammenhange nach sehr leicht von
zweien eingesetzt werden); 1423,2 im Db.JK = uns; 1424,3
sulen Db.JK = solden (komen sulen Db, sulen kernen mit
falscher caesur JK = komen solden ABd). Mit B zusammen
haben JK 1446, 1 gefuoren statt gebären, ein durch das ge-
fuoren des folgenden veraes leicht erklärlicher fehler. Mit
A treffen JK zusammen 1420,3 in nahten für tagen (vgl.
^) Von den bei Panl s. 485 angeführten fällen sind zu streichen 1765, 3
nnd 1767, 4, da hier (entgegen Bartsch varr.) K zu J stimmt, und 2291, 4,
da hier K weggeschnitten ist.
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HAKDSCHRIFTENVERHIlTKISSB des NIBELUNGENLIEDES. IV. B. 145
hierüber oben s. 99 ff.), 2271, 4 mtnen heläen {mtnen recken A)
AJK statt Icüenen Jielden, veranlasst durch mine recken 2271, 2.
Höchst auffällig erscheint dagegen das allerdings nur par-
tielle zusammentreffen von JK mit A in der bekannten stelle
2299, 3. 4. Ich stelle zunächst das material übersichtlich voran:
Ca(k«): dö was mit sinem leide ir sorge ein teil benomen.
si sprach ^künec Gunther, slt mir groze willekomen'.
BDb: d5 was mit sinem leide ir sorgen yil erwant
si sprach ^willekomen Günther üzer Barganden lant\
A: si sprach 'willekomen Ganther ein helt üz Bargande lant\
'nü lone in got Eriemhilt, ob mich iawer triawe des ermant\
K: si sprach 'wiUekomen Gonther von Barganden lant,
ich hän iach hie zen Hinnen vil gerne bekant'.
J: si sprach vrolichen *willekomen Ganther,
ein künec von Bnrganden, ich gesach dich nie so gern m^r\
Hier ist klärlich der text von C* aus dem von BDb hervor-
gegangen, andererseits bietet ebenso sicher K den text von
Jj*, neben dem die lesart von J als jüngere Umformung nicht
w^eiter in betracht kommen kann. Dieser text Jj* stimmt
nun mit A darin überein, dass vers 3 in AJj* dem verse 4
von B*C* entspricht, während vers 4 in A und in J^* nach
form und inlialt absolut nichts mit einander zu tun haben. —
Die anhänger von A halten nun die lesart von A für die
echteste: der Inhalt von vers 4 wird gerühmt (vgl. Lachmann
z. stelle und Rieger s. 79), dagegen ist vers 3 b in A über-
laden, weshalb Lachmann den vers schreiben will ^willekomen
Günther ein helt üeerTcanV, Die fehlerhafte form, von v. 3 soll
dann für die übrigen hss. anlass zu besserungsversuchen ge-
wesen sein (vgl. v. Muth s. 159 f.). Aber auf diese weise ist
die genesis des überlieferten unerklärlich. Auch für die an-
hänger von A soll ja C* aus B über J entstanden sein, so
dass unmöglich JK hier näher zu A stehen könnten. Wenn
nun aber feststeht, dass A aus ADb* hervorgegangen ist, so
folgt für uns daraus, dass die lesart von A aus derjenigen
von BDb dadurch entstanden sein muss, dass in einer vorläge
V. 3 ausgefallen war, wodurch v. 4 an dritte stelle rückte. Von
A wurde sodann ein neuer v. 4 componiert. Ebenso muss in
der vorläge von Jj* der v. 3 ausgefallen sein, worauf Jj* eben-
falls einen ersatzvers machte, der an die vierte stelle gesetzt
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXV. 10
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146 BKAÜNE
wurde. Es rednciert sich also das ganze darauf, dass sowol
in der vorläge von A, als auch in der von Jj* derselbe v. 3
ausgefallen ist. Ein solches zusammentreffen wäre an sich wol
auffällig. Aber es ist dafür doch eine äussere Veranlassung
zu erblicken. Die Strophe 2299 hat nämlich im original vier
gleiche reime {hant : vant, erwant : lant). Dadurch wird das
überspringen einer zeile leichter gemacht, und es bleibt nur
die tatsache, dass sich durch den gleichen anlass zwei ver-
schiedene Personen in dieser weise versehen haben, und das
liegt durchaus im bereiche des begreiflichen, i) Uebrigens hat
der vierfache reim offenbar sowol für C* als auch für J
(gegenüber der ergänzung in J^*) den anstoss zur Umformung
des zweiten reimpaares gegeben, vgl. Paul s. 408 f. — Dass
der V. 4 in A einfach ein flickvers ist und nicht das lob ver-
dient, welches ihm Lachmann und andere zollen, hat schon
Wislicenus, Germ. stud. 2, 54 mit recht betont. Es lässt sich
aber seine unursprünglichkeit anderweit erweisen. Das er
sprach, mit welchem 2300 Günthers rede eingeleitet wird, be-
weist nämlich stricte, dass Günther nicht schon wie in A den
vers 2299, 4 gesprochen haben kann, sondern setzt vorausj dass
zuletzt Kriemhilt gesprochen hat, wie dies in B*C* sowol als
in JK der fall ist.
Im Nibelungenliede wird ganz ausserordentlich häufig die
form der directen rede zur anwendung gebracht. Es liegt im
wesen der strophischen form, dass in den allermeisten fällen
eine rede den rahmen einer Strophe ausfüllt, längere reden
füllen mehrere Strophen aus. Bei ganz kurzen äusserungen
bilden nicht selten rede und gegenrede zusammen eine Strophe
(z.b. 159. 379. 685 etc.). Dagegen widerstreitet es eigentlich
der strophischen form, wenn die ersten drei langzeilen mit
anderem Inhalt gefüllt sind, die vierte zeile aber den anfang
einer rede bildet, die in ihrem hauptteile den Inhalt der
nächsten strophe hergibt. Das der form entsprechende wäre
es, wenn die übrige vierte zeile mit irgend welchem flickstoff
ausgefüllt würde und erst mit dem anfange der nächsten
>) Es kann somit diese stelle als parallele dienen für die anffassnng
von 491,4 — 491a, 3 als unabhängige auslassnng von A und B, heryor-
gerufen durch denselben äusseren anlass Qant — lant\ Tgl. oben s.65.
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HANDSCHBIFTENVERHÄLTKISSE DE8 NIBELUNGENLIEDES. lY. B. 147
Strophe die rede begänne, wie dies auch oft genug der fall
ist. Da aber unser Nibelungenlied eine lesedichtung ist, in
der die strophische form nicht mehr ihrem eigentlichen zwecke
dient, so ist das strophische formgesetz in dieser hinsieht
schon nicht ganz selten durchbrochen, ähnlich wie auch satz-
ubergänge von einer Strophe zur andern zulässig sind, die
nicht mit Lachmann als kriterium des unechten betrachtet
werden dürfen. In folgenden Strophen beginnt eine person in
der vierten langzeile eine in der nächsten Strophe weiter ge-
führte rede: 49. 225. 313. (329a). 350. 379. 590. 982. 1087.
1108. 1201. 1398. 1565. 1598. 1619. 1627. 1644. 1683. 1688.
1790. 1795. 1832. 2084. 2191. 2198. Niemals aber wird der
auf die anfangszeile der rede folgende Strophenanfang mit er
sprach (si sprach) eingeleitet. Diese formel, welche recht
eigentlich den sinn hat, anzuzeigen, dass eine andere person
zu reden anfängt,^) würde den Zusammenhang zerreissen, wel-
cher umsomehr des festen Zusammenschlusses bedarf, als der
strophenschluss nach der ersten zeile der rede schon ein tren-
nendes Clement bildet. Es kann deshalb an unserer stelle
er sprach am anfange von 2300 nur so erklärt werden, dass
damit Günther zu sprechen beginnt. Die von A eingeflickte
zeile, die Günther in den mund gelegt wird, stimmt ihrem
Inhalte nach sehr wol zu andern änderungen von A, welche
dem original gegenüber eine wendung zum lyrischen, gefühl-
volleren zeigen, ohne deshalb grössere ursprünglichkeit be-
anspruchen zu können. Vgl. oben s. 112 f.
>) Aach in der rein strophisch gebauten rede hat ein die strophe beginnen-
des er sprach oder dö sprach + sabj. regelmässig die fanction, den Wechsel
des redenden zu bezeichnen. Ich finde im ganzen liede nnr drei ausnahmen.
Die Str. 935. 36 hat der sterbende Siegfried gesprochen, worauf er 937 mit
dö sprach eingeleitet nochmals zwei Strophen spricht. Hier ist die neue
einführung stilistisch sehr wirksam, da sie die beiden inhaltlich verschie-
denen reden des sterbenden abhebt und gewissermassen eine längere
pause zwischen beiden markiert. Dagegen sind 1162 St sprach ^ nachdem
schon str. 1161 von Kriemhild gesprochen und 602 Er sprach nach 601 b
als zweite rede Siegfrieds nicht so deutlich durch den Inhalt von der vor-
hergehenden Strophe getrennt. Nur die hs. A betrifft der fall 499. 500
(zwei reden Günthers), zwischen denen str. 499 a ausgefaUen ist, welche die
beiden reden auch äusserlich trennt.
10*
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148 BRAUWB
Während bei K und J die enge Zusammengehörigkeit
durch zahlreiche und bedeutende gemeinsame änderungen ganz
augenfällig ist, so liegt dies weniger klar mit dem fragmente I,
welches von seinem herausgeber Wackeraagel (Sechs bruch-
stücke einer Nibelungenhs., Basel 1866, s. 30) als bald mit D,
bald mit J stimmend bezeichnet wii-d. Während dann Zamcke
1 nur zweifelnd zur gnippe J* setzt, ordnet es Bartsch der-
selben ohne weiteres zu, und Paul schliesst sich dem an.
Erhalten sind von dem fragment im ganzen ca. 164 Strophen,
ziemlich vollständig, aus den partien 1296—1310. 1341 — 1404.
1434—1450. 1484—1501. 1548—1584. 1627—1643. Ein teU
dieser Strophen kann ausser mit J auch mit dem fragment E
verglichen werden, nämlich 1354,2 — 1374,1 und 1394,3 —
1404,2, femer sind noch 1374,2—1394,3 und 1434,2 — 1450
in K trümmerhaft überliefert. Dagegen fällt die grosse lücke
in J teilweise in die 1-strophen, nämlich 1484 — 1501 und 1548
— 1567, so dass hier 1 allein steht.
Zunächst ist nun festzustellen, dass 1 die der hs. J eigenen
und auch die JE gemeinsamen grösseren abweichungen vom
original durchaus nicht teilt: in diesen fällen geht 1 immer
mit B*. Ich führe die wichtigeren stellen an: 1309 fehlt J.
1345,4. 1346,2.3. 1347,4. 1359, 3 (JE). 1369, 4 (JE). 1387,3
(JE). 1388, 2 (JE). 1392,2. 1394, 4 (JE). 1395,1 (JE). 1447,3.
1578, 4. Es gehört also 1 zu einer Überlieferung, die der
Originalfassung noch näher stand, als J^*, die von uns an-
genommene grundlage der liss. J und E. Deshalb ist aber
doch der text 1 kein sehr guter. Hat er auch nicht die für
J charakteristischen änderungen, so zeigt er andrerseits eine
grosse menge grösserer und kleinerer abweichungen vom
echten, die einen jüngeren Charakter tragen und — von zu-
fälligem zusammentreffen in kleinigkeiten abgesehen — von
keiner andern hs. geteilt werden. Es war also nur die directe
oder indirecte vorläge von 1 ein guter alter text, 1 dagegen
oder seine nächste vorläge ist eine stark ändernde hs. Einige
beispiele stärkerer änderungen von 1 mögen angeführt werden:
1360, 4 Wan in vrou Kriemhilt diu rehten nuBre nie geseit 1 =
Mit im tvas manigem degene zem grimmen tode widerseit 1391,2
E dcL/s wir schieden hinnen, dcus wir möhten sehen 1 = Ikus
wir mine vrouwen möhten e gesehen. 1437, 4 Dem hunige d6
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HANDSCHBIFTENVERHAliTKISSB DES KIBELüNaBKLIEDES. IV.B. 149
von freuden wart sin antliUe röt 1 = Sageten si dem känige,
vor liebe wart er freuden röt 1449, 1. 2 Do sprach diu vrouwe
Uoie ssuo iren kind^n: ir soltent helde guote noch erwinden 1 ==
Dö sprach euo ir Tdnden diu edele TJote: ir soltet hie beliben
helde guote. 1634, 1. 2 wäfen hbeltch: truoc vil herlich 1 =
wäfen guot genuoc: vil herltchen truoc. Weitere umfänglichere
änderungens. 1386,4. 1443,2. 1640,1. 1641,3 und ausserordent-
lich viele nur einzelne worte betreffende. Dazu finden sich
öfter auslassungen von ganzen Strophen (1621 — 23) und ein-
zelnen Zeilen, hingegen auch mehrere flickzeilen zur ausbesse-
nmg früherer auslassungen (1570, 5. 6. 1575, 5. 6). Diese
selbständigen änderungen des textes 1 gehen uns aber für die
kritik des alten textes ebensowenig an, wie die änderungen
von JK. Uns interessiert nur die textform der alten quelle
des textes 1 und ihr Verhältnis zum texte J*. Und in dieser
hinsieht ist 1 sogar ein sehr wichtiger zeuge. Denn was 1
mit J* gemeinsam hat, sind im wesentlichen doch nur die-
jenigen lesarten von J* welche auf dem wege von B* zu C*
liegen und welche zum grossen teile auch von d geteilt werden.
Ich führe nun diejenigen stellen auf, in welcher 1 mit Jd*
zu C* stimmt gegenüber ADb + B. Die stelle 1303, 4 ist schon
oben s. 41 behandelt. ADb + B haben da eine deutlich fehler-
hafte Überlieferung, wogegen 1 mit JdC* das richtige bietet.
1304, 4 Büedeger ADb.B = der känec dlJC* vgl. Paul s. 474,
welcher letztere lesart als die echtere in anspruch nimmt.
1306, 4 manic wunder ADbB = michel wunder dlJCa (J stellt
hier weiter um, teilweise mit C* zusammentreffend). 1308, 3
doch dlJCa = fehlt ADbB. 1309, 1 ir (er 1) nie dlC* (in J fehlt
die str.) = nie B*. 1354, 2 vil güetlichen ADbB = vil tugent-
liehen d, tougenlichen IJKCa, hier ist tugentlichen d statt güet-
Itdien die Vorstufe, aus welcher in J*C* tougenlichen entstanden
ist. 1357,3 mir fehlt dlJKC*; mit im dlJKC* = her AMb,
vil schir D, fehlt B. 1358, 1 daz er wol gedenke dran B* =
er denke wol daran dlC* (JK ändern daraus ich gedenke w. d.).
1368, 2 und ADB = fehlt dlJKCa (ist unabhängig auch in b
ausgefallen). 1368, 4 vil selten ADb.ß = leider selten dlJKCa.
1371,4 Das ajto xoivov unjse dag si sach Hagen von Tronege
dö ze Gunthere sprach ADbB ist geändert zu unze daz si sach
Hagen von Tronege: der helt ze Gunthere sprach. So dJK:
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150 BRAUNE
in Ca ebenso, nur der hüene statt von Tronege. Stärker ändert
1: unis si Hagen sach: Der schnelle recke boMe do euo Gunfheren
sprach, wobei als grundlage die lesart von dJK gedient hat
{recJce 1 aus helt dJKCa). 1373,2 herlicher nie dlJKCa = nie
herlicher ADB (b stellt, natürlich unabhängig, nie um). 1495, 1
fuor ADb, Ute B = /söch dla ( J und C in lücke). 1549, 1
mähten ADNbgB = künden Hd.LCa (J lücke). 1569, 2 gepfkgen
ADNbB = gelegen dlJa (C lücke), vgl. Paul s. 476, der gelegen
für das echte hält. 1630, 2 Rüedger der kiiene künde \ vil wenic
iht gespam B*. Der etwas überladene erste halbvere steht so
noch in Ab; D und B bessern: Rüedger der kiiene tcenic ihl
künde gespam D, Rüedger der küene vil wenic iht gespam ||
kund B = Rüedger der künde vil ucenic iht gespam (vil fehlt 1)
dlJ.C durch tilgung von küene den vers erleichternd. — Hierher
gehören auch noch die beiden stellen 1360, 2 niht solden län
MDb.B (A weiter ändernd) = da niht solden län (solden da
niht län 1) dlJK und 1444,3 iemcr ADbB = mir dlJK; in
beiden ändert C* stärker; man darf annehmen, dass seine vor-
läge = dlJK gehabt hat.
Es ist hervorzuheben, dass in sämmtlichen stellen, die
Paul s. 467—77 als übereinstimmend zwischen Jd* und C*
aufzählt, auch 1 in den vorhandenen Strophen sich zu Jd*
stellt mit ausnähme zweier unbedeutender fälle.*) Wir können
also aus diesem lesartenverhältnis zunächst mit Sicherheit
schliessen, dass 1 zum texte Jd* gehört, dessen plusstrophen
zufällig nicht in die erhaltenen teile von 1 fallen. Da wir
nun schon festgestellt haben, dass 1 die für unsere hs. J be-
sonders charakteristischen änderungen (JK) nicht teilt, 8o
könnte man auch an nähere verwantschaft mit d denken.
Dem stellt sich aber die tatsache entgegen, dass 1 doch eine
anzahl von lesarten mit J gegen d teilt. Das. sind im wejient-
lichen solche, in denen J sich über d hinaus zu C* stellt,
deren gesammtheit Paul s. 477 ff. aufgezählt hat Diese fälle,
») 1361, 4 vü wol dJKC = wol ADbB und 1. Das ist offenWer m-
fall, da 1 oft ein wörtchen wie vü aoslässt. 1640, 2 hezzem schilt deheinen
ADb.B = hezzer schilt deheinen dJC, worüber man Panl 8.475 vergleiche.
Hier hat 1 hezzern, aber da 1 unter weglassung von schilt nur bessern de-
hainen schreibt, so wird auch hezzem statt des hezzer seiner vorläge nur
correctur sein. Auch a ändert selbständig hein heszem schilt
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HAin>8CHRIFTEli¥VEBHXl.TKISSE DES NTBELüNGENLIEDES. IT. B. 151
die allerdings in der durch 1 gebotenen partie nicht gar viele
und starke sind, werden hier aufgezählt: 1296,4 darunder
tnanic schcßniu meit ADbBd = (da J) manic hSrltchiu meit Jl,
vtl manic Mrlidiiu (wcetliclUu C) nieit Ca. 1368, 1 den boten
ADbBd = in IJKCa. 1877, 2 Etjgel gehabte B* = gehabte
Etjsel IJCa. 1385,4 vil B* = fehlt IJKCa. 1388,1 doch B*
= fehlt IJCa. 1395, 4 ir und ADbBd = si und IJ (K ändert)
a (C fehlt), dazu auch N si und selbständig ändernd gegen Db.
1436. 3 und B* = und ouch Ua. 1446, 1 Uze wir DbBd =
läsen Ua und (selbständig) A. 1568, 2. 3 dö die neven sin mit
also vil der recken Jcomen ADN.Bd = dö er die [lieben 1] neven
sin mit also vil der reden sach Jcomen IJ, dö er die neven sin
sach mit so vil der recken komen a.*) 1640,4 was er B* =
er was (er wcere 1) IJCa. 1642, 3 bot B* = erbot lJCa.2) —
Hierzu sind auch mit Wahrscheinlichkeit folgende stellen zu
rechnen, in denen IJ von B* abweichen, während C* weiter
geändert hat: 1300, 1 Der tac der hete nü ende B* = Der tac
nu het ein ende IJ. 1352, 2 disen landen B* = disem lande Jl.
1852. 4 zen ncehsten sunnewendetagen B* = ze disen [ncehsten 1]
sunnewendetagen IJ. 1584, 2 von B* = uz IJ. — Ferner sind
hierher zu stellen Übereinstimmungen zwischen 1 und C* in der
liicke von J, während d zu B* stimmt: 1485, 2 ja ist iu gar
ze gach ADb.Bd = lat iu niht sin ze gäch la. 1485, 3 noch B*
= fehlt la. 1498, 4 so B* = als la. 1500, 2 wart B* = was la.
1548, 4 vil B* = fehlt la. 1557, 4 iOi rate \iu DNb] wosrlichen
daz ADNb.Bd = mit triuwen rat ich [iu 1] daz la.
Ueber die zu C* stimmenden lesarten hinaus teilt 1 mit J
nun aber doch auch noch eine anzahl lesarten, die zwar nicht
viel und nicht sehr einschneidend sind, die aber doch hinreichen
dürften, um zwischen J* und 1 noch die annähme einer Zwischen-
stufe Jl* zu erfordern (s. den Stammbaum oben s. 139), also eine
hs., die den ursprünglichen text J*, welcher die grundlage von
>) Nach Bartsch varr. liest wie U auch b. Wenn das richtig ist, so
miiss, nach ausweis von DN, die vorläge von b noch wie diese gehabt haben
Es hätt« dann b selbständig dö — körnen in dö er — sack komen geändert.
VieUeicht ist aber bei Bartsch b nnr drackfehler für d: dann würde unsere
steUe zn der kategorie dlJC* gehören.
*) Auch 1 hat erbot. Die Variantenangabe von Bartsch ist mangelhaft,
darnach die stelle von Paul falsch s. 485 aufgeführt.
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152 BBAUKE
C* wurde, schon um ein geringes veränderte, ehe die stärkten
Umänderungen hinzutraten, die ffir unsere hss. J, K und Q
charakteristisch sind. Es folgen die belegstellen, an denen der
text Jl von den übereinstimmenden texten B* und C* abweicht
1377,4 endecliche B*C* = wcerlichen IJK 1577,1 verrm
(herten B) B*C* = langen IJ. 1638, 4 des g&t mir armem
fvtbe not B*C* = des get mich wcerltchen not J, dojs tuot mir
woerltchen not 1 (hier bewahrt J die lesart J|* und 1 ändert
weiter). — Die änderungen von Ji* treffen in einigen fällen
auch mit änderungen anderer hss. zusammen. Mit ADb*:
1310, 3 daz gäben si bereit BdCa = des wären si bereit IJADb.
1379, 3 hat iuch her gesant BdCa = wer hat iuch her gesant
lJ.ADb.O Mit Db*: 1382, 3 gedigene {gedinge ad) ABd.Ca =
gesinde lJ.DNb. 1440, 4 genant ABd (C* ganz anders) = ge-
want lJ.Db, — an beiden stellen sehr nahe liegende änderungen
des gewählteren ausdruckes in den geläufigeren. 1583,4 den
wirt und sine vriunde AgBd (0* ganz anders) = dem wirt
und stnen vriunden lJ.DNb — die nahe liegende constmctions-
änderung ist von IJ und DNb selbständig gefunden, was schon
aus der verschiedenen weiterführung erhellt: ejs wart in (dem
wart in b) DNb (= AgBd) gegen wart ez Jl. Mit b: 1347,4
hiez er B*C* = bat er U.b. Mit D und d: 1636, 3 niwan jenes
Schildes dort an jener want. Das zweite jener (ADb'.Bd, an
der Ca) ist in IJ zu einer geändert, ebenso das erste jeties
(ABCa) zu eines; aber hier hat auch Dd eines, während in b
die Verderbnis meines eingetreten ist.
Wenn sonach feststeht, dass 1 zur sippe J* gehört, und
zwar zur ältesten form von J* die ausser den mit C* gemein-
samen änderungen noch wenig abweichungen vom texte B*
hatte, so ist doch unsere junge hs. 1, wie wir gesehen haben,
eine stark ändernde hs., die sowol grossere Umformungen vor-
nimmt, als auch häufig in einzelnen Wörtern abweichungen
zeigt. Es ist deshalb nicht zu verwundem, wenn 1 bisweilen
mit andern, ebenfalls mehr ändernden hss. in solchen ände-
rungen zusammentrifft. Dieses zusammentreffen ist also zufaJl:
>) Das zusammentreffen ist sehr begreiflich 1310, 3 in der ändening
der seltenen wendnng zum gewöhnlichen bereit toesen, aber auch die Tor-
setzung des fragenden wer 1379, 3 lag nahe genug.
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HAin>B0HBIFTENVERHll.Tm8SB DBS NIBELUNGEKLIEÜES. lY.B. 153
es sind im vergleich mit der anzahl der Übereinstimmungen
mit J(dC*) bei jeder hs. nur wenige fälle leichter art, auf die
sehr wol zwei Schreiber selbständig kommen konnten. Dahin
gehört vor allem auch der fall, dass 1 mit C* stimmt, während
J die lesart von B* bietet. Die stellen sind schon von Paul
s. 485 aufgezählt, allerdings 11, aber so geringfügig, dass die
leichte Umstellung 1361, 1 boteschafl und brieve ICa = hrieve
unde hoteschaft B* schon das stärkste sein dürfte.») — Mit
Db stimmt 1 in folgenden fällen: 1342, 4 freude Dbl = friunde.
1390,1 dise fehlt Dbl. 1402,4 vil DNb.L 1445,4 freude DhX
= weinen AB, wünne Jda (C fehlt). Hiervon sind die aus-
lassungen von dise und vil nichtssagend; auffälliger sind die
beiden andern stellen, deren zufälliges übereintreffen jedoch
auch begreiflich ist. 1445,4 ist schon mehrfach besprochen
(vgl. Rieger s. 106. Hofmann s. 93. Bartsch, Unterss. s. 70 f.).
Das echte ist, wie auch Rieger und Hofmann zugeben, vil
michel wünne benomen Jda. Die gemeinschaftliche quelle von
ADb + B hat hier fehlerhaft weinen für wünne geschrieben,
welchen unsinn B noch bietet, ebenso hatte die quelle ADb.
Während nun A sehr ungeschickt durch änderung von benomen
in vemomen zu bessern sucht, hat Db sinngemäss vreude con-
jiciert In 1 liegt eine selbständige einsetzung von vreude für
wünne seiner vorläge vor, ohne äusseren anlass, wie ja oft in
1 Synonyma vertauscht sind. Die stelle 1342, 4 ist ebenfalls
leicht zu erklären. Für den oberflächlichen leser ist hier
nämlich freude statt friunde sehr nahe liegend. In 1 ist dazu
noch ein äusserer anlass vorhanden: insofern in der vorher-
gehenden zeile grade darüber auch freude steht (1 setzt die
verse ab), so konnte leicht diese dittographie entstehen. Db
dagegen konnte nur des Inhalts wegen die worte vertauscht
^) Ebenso sind natürlich auch die übereinstinuniuigen zwischen J
und C*j während 1 zu B* Btimmt, zufall. Von den bei Paul s. 4Si f. auf-
gezählten zw51f fdUen ist 1642,3 zu streichen (s.oben s.l51anm.2), und auch
von den übrigen ist die Übereinstimmung zwischen J und C* teilweise nicht
vollkommen, so 1396,3 und 1306,4: an letzterer stelle ist die wichtigere Über-
einstimmung mit C* (michd statt manic, s. oben s. 149) auch in d und 1 vor-
handen. Ebenso ist 1357| 3 der zusatz von in auch in 1; Ca und J fügen
noch weiter und hinzu. Zu Pauls aufz&hlung kommt noch 1381, 2, wo J,
Ca und Db das sehr nahe liegende kmic einsetzen statt degen A.Bd,L
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154 BBAUmB
haben, da dort in v. 3 ere steht (vgl. oben s. 44).0 — Das zu-
sammentreffen von 1 mit nur 6iner hs. der gruppe Db muss
natürlich erst recht zufall sein, wo die andere hs. zn den übrigen
steht. So 1347, 1 gemeU bl = gevalle, 1388, 1 Uten NbJ =
hcdten. Auch 1568, 1 Der küneginne Dl = Der edeln Juinege
B*C* ist für zwei oft ändernde hss. durch den Zusammenhang
nahe gelegt. — Mit A trifft 1 in änderungen zusammen: 1359, 3
wisen solde AI = solde wtsef%, 1572,4 die Büedegeres marke
AI = die marke Büedegeres, beides zwei leichte Umstellungen.
In 1630, 1 liegt ebenfalls Umstellung vor, aber in A und 1
verschieden: es kund niht lenger tveren 1, ejs künde ganger niht
gewem A = ejg enkunde niht wem lenger: überein stimmt A
mit 1 nur darin, dass durch diese änderungen t€em in die
caesur tritt. Endlich 1634,4 ist sowol in A als in 1 die Um-
schreibung muose Vliesen durch das verbum finitum verlos er-
setzt, aber in beiden so abweichend, dass die Selbständigkeit
beider texte einleuchtend ist. Ausser mit A stimmt 1 noch
mit d 1361, 2 fuorten Adl = fuoren B*C*. Auch Lachmann
schreibt hier fuoren, wie denn A allein bald darauf nochmals
fuorten für fUeren eingesetzt hat. Und 1433,3 setzt D, 681,1
Db, d und J fuorten statt fuhren ein.^) In 1 ist allerdings an
unserer stelle weiter geändert, woraus allein schon die Selb-
ständigkeit von 1 erhellt, si fuorten vil guotejs (statt si fuorten
guotes rtche Ad), so dass der sinn transitiv ist. Vgl oben s. 68.
— Auch mit der quelle ADb ist 1 vereinzelt ändernd zusammen-
getroffen: 1488, 4 erkant A, bekant Db, erkant 1 = genant B*C*
0 Aach sonst sind vertanschimgen zwischen vreude und friunde in
hss. nicht selten, vgl. z. h. ohen s. 68 zu 1655, 1 und 1394, 4.
') Der intransitive gebrauch von füeren (= varen) scheint doch spat-
mhd. local verbreitet gewesen zn sein, da er den Schreibern von A, Db, d
und J eigen gewesen ist, obwol heutige hochdeutsche mundarten ihn, so viel
ich sehe, nicht kennen. Dem nenniederdeutschen ist er dagegen sehr ge-
läufig. Tgl. z. b. Danneil, Wb. d. altm. ma. s. 55. Schambach, Wb. y. Gdttingen
s. 276. Bremisch-nieders. wb. 1, 440. In Grimms Wb. 4, 457 stehen zwei bei-
spiele aus der Thucydidesübersetzung von Heilmann (Lemgo 1760), welcher
ein Niederdeutscher aus Osnabrück war. Aus Oberdeutschland wird bei
Grimm a. a. o nur aus den Dialogen von Hans Sachs zwei mal das praes.
fürt (= fährt) belegt, während unsere belege aus den Nibelungenhss. sämmt-
lich die 3. pers. pl. des praeteritums betreffen. Es wäre wol wert, auf 4ie
erscheinung weiter jsu achten,
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HANDSCHBIFTENVEBHÄLTNISSE DES NIBELÜNOENLIEDES. Y. 155
Die lesart ADb* kann hier entweder erkant A oder beJcant Db
sein, jedenfalls ist 1 selbständig auf die durch den Zusammen-
hang nahe gelegte änderung gekommen. 1628,2 gibe ADb.l
= gaebe B*C*. 1630, 4 wol gezemm ADkl = gezemen B*C*.
Klar liegender zufall ist auch 1351, 4 chunen mögen Db.l, Mne
mögen A statt 'konemagen BMd (= frouwen mögen Ca, wo
jedoch hmemägen in v. 2 genommen ist). Das veraltende wort
Tconemägen wurde in jungen hss. vielfach ersetzt. Es begegnet
im Nl. noch an vier stellen: 694, 2 Tcunen mögen Db.d, 706, 3
lieben mögen D, 1851, 2 kunen mögen N, lieben mögen b und
nur in C* 640, 1 (Jconemogen C) ckchuenn reichen a. Wahr-
scheinlich hat 1351,4 sogar noch in ADb* Jconemogen ge-
standen und ist erst selbständig in Db und A der ersatz vor-
genommen, worauf auch die abweichende form in A hindeutet.
— Ein zufälliges zusammentreffen von 1 mit J haben wir
schon oben s. 143 angeführt: 1365 her Jl = mer K etc.
Wenn man sich entschliessen könnte, dem zufalle auch die
fälle zuzuweisen, in denen 1 mit J und teilweise andern hss.
zusammentrifft, aber von C* abweicht (s. 151 f.), so würde man
1 direct aus der grundhs. J* herleiten dürfen, welche die quelle
der bearbeitung C* geworden ist: es würde dann die Zwischen-
stufe Jl* entfallen. Wir haben zehn solcher fälle aufgezählt.
Und da wir in sieben derselben doch zusammentreffen mit ein-
zelnen hss. annehmen mussten, so könnte auch die Übereinstim-
mung von J mit 1 secundär sein. Doch ist die entscheidung der
frage, ob 1 direct oder durch eine nur geringfügig ändernde
Zwischenstufe aus J* abzuleiten sei, für den gesammttext
wenig bedeutsam gegenüber der wichtigen tatsache, dass das
fragment uns noch einen grundtext von J* erkennen lässt, der
— frei von den speciellen abweichungen der hs. J — quelle
der bearbeitung C* gewesen sein kann.
Cap. V.
Die einleitung.
Die einleitungsstrophen 1 — 21 lassen sich mit der von uns
gewonnenen handschriftengruppierung in keiner weise ver-
einigen. Freilich ist das auch bei keiner anderen ansieht
möglich, da lesarten und Strophenverhältnisse sich hier bunt
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156 BBAXTKE
kreuzen. In den lesarten haben wir besonders einige sehr
wichtige Übereinstimmungen zwischen A und J, denen meist
k beitritt, während doch im übrigen keine engere yerwantsehaft
von A und J besteht (s. oben s. 66 ff.): es sind dies die stellen
13, 1. 2 und 18, 1, sowie die eigentümlichen Verhältnisse von
Str. 20. 21. Hier stimmt C* zu B und d, es bildet also nicht
wie sonst J den Übergang von Bd zu C*. Andrerseits fehlen
in Jd die str. 7—12 und 16. 17, während A und hier andi k
mit B und C* zusammengehen: es können also hier Jd nidt
den Übergang von AB zu C* vermitteln. Die str. 1 fehlt in
B und J, steht aber in A, d, k und in C*, str. 3 fehlt in B
und C, steht aber in der zweiten hs. der recension C* (D) imd
ebenso in AJdk. Endlich fehlt in J die str. 19, welche in A
und k in fehlerhafter weise vor 18 steht.
Die lösung dieser Schwierigkeiten lässt sich meines er-
achtens nur durch annähme einer reihe von directen ent-
lehnungen finden. Im weiteren texte des liedes kommt man
im wesentlichen ohne solche annähme aus: unsere ganze er-
örterung hat gezeigt, dass es möglich ist, die genealogischen
Verhältnisse der einzelnen handschriftengruppen consequent
festzuhalten. Nur in zwei fällen haben wir für einzelne hss.
Strophenentlehnung annehmen müssen. 102 a. b. sind von der
hs.B aus dem C*-texte entlehnt (oben s.64f.). Und die d-str.
329 a — c, welche von k, aber nicht von J geteilt werden and
von denen nur die zwei ersten in C* stehen (s. oben s. 133 1).
müssen wol aus C* entnommen und um die dritte Strophe
erweitert worden sein.^
Für den anfang des gedichts aber müssen wir maimig-
fache entlehnungen aus verschiedenen hss. herüber und hinüber
annehmen. Das ist insofern nicht unwahrscheinlich, als dem
Schreiber einer hs., wenn er ausser seiner vorläge noch dne
andere hs. kannte, grade der anfang für eine oberflächliche
vergleichung besonders nahe lag, so dass er aus der andan
0 Auch die in AB ansgefaUenen Zeilen 491,4 — 491a, 3 müssten toi
Db'" aus einer hs. der ersten hanptrecension nachträglich ergftnxt seiii, wen
der aasfall schon in der quelle von ADb* + B stattgefunden hätte; in)ba
mir doch die andere erklärung wahrscheinlicher ist, dass A und B vba^
hängig in einem durch erkennbaren äusseren anlass heryoigemfenen ans&ll
zusammengetroffe^ sind, Y^l. oben 8,63 ff, und s, 146 annt 1.
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HANDSCHBIFTENVEBHX.T.TNI8AE DES NIBELUNGENLIEDES. V. 157
hs. seiner vorläge fehlende Strophen ohne mühe entnehmen
konnte. Es war nicht einmal notwendig, dass ein solcher
Schreiber alle Strophen eines solchen zweiten exemplars seiner
abschrift einverleibte, sondern er konnte da eklektisch ver-
fahren und nui* Strophen aufnehmen, die ihm besonders nötig
zu sein schienen. Oder er konnte vielleicht auch durch vor-
lesenhören eine solche Strophe zusetzen. Das dürfte besonders
für die erste Strophe als möglich gelten. Diese Strophe ist
entschieden eigentum der recension C*: die originalrecension
fleug, wie noch jetzt die hss. B und J, mit str. 2 an. Aber
in A, d und k ist str. 1 aus C* übernommen, sicher wol unab-
hängig von den drei hss. oder in einer ihrer vorlagen: denn
das Stadium der entlehnung lässt sich natürlich nicht be-
stimmen. So wird in A z. b. die str. 1 schon aus der quelle
ADb*, die bis str. 268 ja durch A allein vertreten wird, her-
stammen. Und femer brauchen nicht die quellen von A, d
und k jede die str. 1 direct aus einer C*-hs. entnommen haben,
sondern A kann die Strophe ebensogut aus einer d-hs., oder
umgekehrt die vorläge von d aus einer A-hs. geschöpft haben.
Da gibt es viele möglichkeiten, deren bedeutung aber ganz
verschwindet vor der Wichtigkeit der erkenntnis, dass str. 1
dichtung des Verfassers der recension C* ist.0
Eine solche beeinflussung des eingangs der ersten recension
durch C* ist schon richtig von Laistner erkannt worden (Nibe-
lungenlied s. 2 und s. 6 ff.). Er hat jedoch den gedanken nicht
genügend durchgeführt und zur erklärung in sehr künstlicher
weise mit lagenvertauschungen operiert. Wir müssen deshalb
die Untersuchung neu beginnen von dem gesichtspunkte aus,
dass im eingang die einzelnen hss. am leichtesten Strophen
von anderen entlehnen konnten. Damit würde schon an sich
als das wahrscheinlichste erscheinen, dass die kürzeste Über-
lieferung hier das älteste sei. Es lässt sich das aber auch
durch beweisgründe erhärten.
>) Dass in der tat die Überlieferungen A und d unsere Strophe nicht
beide direct aus C*, sondern eine aus der andern entlehnt haben, dafür
spricht die lesart freuden höchgeztten Ad, die doch wol als Verderbnis von
freude unt höchgesiten CD aufzufassen ist. Vgl. über die erklärungsversuche
der lesart Ad besonders y. Muth, Beiträge zur deutschen philologie (Halle
1880) 8. 269 f.
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158 BKAUNE
Wir gehen aus von der tatsax^he, dass str. 1, die in B und
J fehlt, durchgehenden caesurreim hat. Diese erscheinung teilt
sie nur mit 17, welche in Jd fehlt. Ausser diesen beiden
Strophen der einleitung findet sich ganz durchgereimte caesur
in der recension B* absolut nichts Dagegen hat C* diese er-
scheinung noch mehrmals: 44a (zusatzstrophe von C*) schelten :
selten, striten : etten, 102 a (C*-strophe, die von hs. B entlehnt
ist, vgl. oben s. 64) Hche : degenliche, degene : engegene. 327a
(zusatzstr.) scben : mäeen, möhte : töhte. 938 a (zusatzstr.) bitter-
liche : joBmerliche, geriuwen : triuioen, 1848 b (zusatzstr.) gesten :
besten, heiden : beiden. Bei C* ist überhaupt der sinn für den
schmuck des caesurreims gegenüber B* sehr gestiegen. Nun
ist ja freilich die Verwendbarkeit des caesurreims zu derartigen
argumentationen principiell bestritten worden. Insbesondere
Zamcke (ausgäbe, einl. s. 134 f.) behauptet geradezu, dass diese
reime sich ganz ungewollt und zufällig eingefunden hätten und
vom dichter wie von den hörem überhört worden seien. Das
ist nun für C* entschieden zu viel behauptet. Aber auch för
B* lässt sich objectiv dartun, dass die meisten vorhandenen
caesurreime nicht dem zufalle ihr dasein verdanken. Einige
werden vielleicht als zufällig betrachtet werden können (vgl.
Paul s. 441 anm.). Aber deren zahl lässt sich ungefähr be-
stimmen nach einer methode, die Paul a. a. o. schon angedeutet
hat. Um zu erfahren, wie oft durch blossen zufall zwei auf-
einander folgende caesuren reimen würden, braucht man nur
die reimfälle derjenigen zwei verspaare zu zählen, die nicht
durch den endreim gebunden sind, nämlich die zweite und
dritte zeile, sowie die vierte zeile mit der darauf folgenden
anf angszeile der nächsten Strophe. Nach meiner Zählung liegt
hier folgendes material vor.^) a) 2:3. zeile: 175 lande : brande,
*) Denn str. 784 smfie : minnen, Kriemhilt : JPrufüM gehört nicht hier-
her, da das erste paar kein genauer reim ist, das zweite aber für die caesnr
als reim überhaupt nicht gilt, weil hier zweisilbiger reim erfordert würde:
nur die flectierten formen PrufiJiilde : Krtemhild^ würden caesnrreime
bilden.
^) Ich berücksichtige principiell nnr völlig genaue reime, da der Ver-
fasser unseres Originals doch auf dem boden des reinen reims steht. Dass
die assonanzen der caesuren, die Bartsch für seine theorie so stark aus-
genutzt hat, nicht verwertet werden dürfen, hat Paul s. 436 ff. schlagend
nachgewiesen.
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HANDSCHBIFTENVEBHALTNISSE DBS NIBELÜNGENIiIEDES. Y, 159
253 hunden : wunden, 650 wcere : mcere, 864 leide : heide, 1474
versunnen : entrunnen, 1793 tmlleclichen : rtcÄ^n, 2301 mere :
here; dazu rührende 282 lüterliche : geliche, 1031 geliclie ijcemer-
liche, 608 Frünhüde : Kriemhüde, 2194 recie» : rechen, b) 4. : 1.
zeile: 232 schänden : handen, 744 rtche : vriuntUche, 971 güet-
liche : riche, 1289 vroeliche : HcAe, 1342 minne : hüneginne, 1709
finme^e : videlcere, 1749 cdeie : sedele, 1919 angestUche : WcÄe,
2044 mnc : küneginne, 2309 ^eiVfc : scheide. Dazu rührende
reime: 756 hochgeeite : vesperzite, 84. 1153. 1452 fliajfne : Hagne,
427 iS</W< : iS»/h7, 986 schächcere : scJiächcere, 1040 Kriemhilt :
Kriemhilt, 1234 (Pannen : dannen, 1737 videlcere : videlcere, 2034
rcüten : rccien, 2170 jawer : jawer. Das Zahlenverhältnis ist
also, dass in 2. und 3. zeile sich 11 reime finden, darunter vier
ruhrende, von denen aber nur einer (recien : recken) gröbster
art ist. Zwischen 4. und 1. zeile haben wir 21 reime, darunter
11 rührende, von denen 10 identische, die widerholung des-
selben Wortes in derselben bedeutung zeigen, also gröbster art
sind. Diese reime sind also sicher ganz zufällig. Insbesondere
zwischen der schlusszeile und der anfangszeile empfand der
originaldichter so wenig berührung, dass er auch die gröbsten
rührenden reime nicht vermied, so dass die hälfte der reime
solche sind. Dagegen scheint es doch, dass er bei den inner-
halb derselben Strophe neben einander stehenden versen 2. 3
die aufeinanderfolge desselben Wortes tunlichst vermieden hat,
so dass hier auf 11 reime nur 1 rührender reim der schlimmsten
art kommt. ^) — Um das Vergleichsmaterial zu vergrössern,
nehme ich die zahlen hinzu für die weiteren möglichkeiten
von caesurreim innerhalb derselben Strophe, nämlich 1 : 3,
2 : 4 und 1 : 4. Diese haben nun die volle Sicherheit des zufalls
>) Der nmsichtige bearbeiter C* hat sein femgefühl anch dadurch be-
tätigt, dass er diese rührenden reime tilgt. Von den zehn identischen
rührenden reimen 4 : 1 hat er nnr 427 Sivrit : Sivrit stehen lassen. Alle
andern hat er offenbar mit absieht beseitigt. So schreibt er 987, 1 statt
des zweiten schächasre das sonst im Nl. nicht vorkommende scMchman,
Ebenso hat C* den identischen reim 2 : 3 recken : recken 21d4 dnrch degene :
nurnnen ersetzt, während er von den leichteren 282. 660 stehen lässt, 1031
aber statt gelidie (: jcemeriiche) gemeine einsetzt, was unabhängig auch Db
nnd d getan haben, während A, B und J das echte geliche bewahren. Man
sieht, wie die empfindlichkeit gegen rührende reime dem originale gegenüber
bei den späteren zunimmt Vgl. oben s. 42. 48. 73 ff. und 130 mit anm. 2.
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160
BEAUMB
für sich. Die caesur 1 : 3 reimt in folgenden fällen: 38 geste :
beste, 1377 mcere : videlatre, 1870 nußre : wcere, 1881 sere : gere,
2271 mere : Büedegere; dazu rtthrende reime: 539 Islande:
lande, 600 angestltdien : friuntlichen, 1613 offenltchen : gencedec-
liehen, und identische: 259 willen : mlkn, 493a Sifrit : Sifrit,
515 mcere : mcere, 703 recken : recken, 1431 Uoten : Uoten. Die
caesur 2 : 4 reimt: 520 minnediche : rtche, 947. 2105 waere ;
fwflprc, 1289 riche : vrcelkhe, 1660 Dietriche : minnediche, 2161
t<?ärera : Bechelären, 2181 ^ere : Rüedegere\ dazu rfihrende: 655
junevrouwen : vrouwen, 675 besenden : senden, 1793 wiUedicken :
sicherlichen, 1980 nn^^cn : Iringen, und identische: 272 cr«i :
er^ 696 wkBre : ma?rc, 743 gesinde : gesinde, 775 gelieret : ge-
eieret, 838 t?röüu?6 : tröMwe, 1119 kleider : kleider, 1426 ^cAmi-
t«?e» : scliouwcn, 1690 trcBrc : trcBre, 1876 rccien : recX;en, 1902
hüse : 7m5c. Die caesur 1 : 4 reimt: 83 riche : herlidie, 1379
gezogenliche : riche\ und rührende: 264 tegelichen : ^mellc^^n,
2115 geläeen : erläzen, identische: 34 ^en : ^w 79 t;md»t
vmde», 295 recke : rce*6, 848 Hagene : Hagene, 1212 Eriemhili
Kriemhilt, 1245 schcene : schcene, 1301 eren : ere», 1306 joJe
jra6<j, 1887 eHen : eilen. Auch hier bilden also die ruhrenden
reime einen starken procentsatz.*) Ich stelle zunächst die
sämmtlichen zahlen tabellarisch zusammen:
2:3
4:1
1:3
2:4
1:4
Durchflchnitt
Beime insgesammt:
11
21
13
21
14
16
davon rührende:
4
11
8
14
12
9V5
davon identische:
1
10
5
9
10
7
0 Hier, wo die rührenden reime nicht direct auf einander folgen, ist
anch C* weniger empfindlich. Aher eine anzahl davon hat er doch bemerkt
nnd entfernt Von den 14 rührenden reimen 2 : 4 beseitigte er 7, nfimlich
675 nnd die identischen 696. 775. 838. 1426. 1876. 1965. Von den 8 rühren-
den reimen 1 : 3 wird nnr einer 1431 getilgt nnd von den 12 reimen 1 : 4
beseitigt er 3, nämlich 1206. 1301. 1306, im ganzen also 11 nnter 34. Wie
man sich durch nachschlagen überzeugen kann, liegen hier nirgends grossere
sachliche ändemngen in C'^ vor, sondern nur kleine Verbesserungen, die er-
sichtlich nur die anstössigen reime fortschaffen toUen, so z. b. wenn er 1965
gademe statt des zweiten hCae einsetzt, oder 1431 muQter statt des zweiten
Uotetif oder 1306 durch leichte Umstellung das zweite gäbe in den zweiten
halbvers bringt.
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HANDSCHBIFTENVEBHÄL.TNISSB DBS NIBELUNGENLIEDES. V. 161
Wenn wir den hier gewonnenen durchschnitt als grund-
lage benutzen wollen, um zu beurteilen, ob nun auch die
caesurreime 1 : 2 und 3 : 4 bloss auf zufall beruhen, so müssen
wir diese durchschnittszahlen mit 2 multiplicieren. Wir würden
dann für die beiden yerspaare zusammen im ganzen Nibe-
lungenliede erwarten 32 caesurreime überhaupt, darunter I22/5
gewöhnliche reime und 19^/5 rührende, unter denen 14 identische
sein müssten. — Sehen wir nun die wirklichen zahlen an, die
ich aus den Zusammenstellungen von Bartsch, Unterss. s. 59 f.
entnehme. Danach finden sich in B* (unter weglassung der
einleitung und der nicht ganz genauen reime) im ganzen 42
caesurreime beider reimpaare. Das würde nun zwar die zu
erwartende durchschnittszahl 32 nicht sehr übersteigen. Wol
aber ist das Verhältnis der rührenden reime ganz anders.
Deren sind es im ganzen 9, darunter nur 2 identische, statt
zu erwartender 20 und 14. Das ist ein ganz tiefgreifender
unterschied. Der dichter des Originals liess bei den combina-
tionen 4 : 1, 1 : 3, 2 : 4, 1 : 4 offenbar ganz den zufall walten
und hatte gar keine reimempfindung, so dass er an diesen
stellen auch dasselbe wort unbefangen widerholte. Erst der
bearbeiter C* hatte hier die empfindung des rührenden reims
und schaffte viele, bei den unmittelbar zusammenstehenden
4:1, (2:3) sogar fast alle fort. Dagegen hatte bei den
innerhalb der Strophe an einander stossenden combinationen
1 : 2, 3 : 4 und — müssen wir hinzufügen — 2:3 auch schon
der dichter des Originals die empfindung rührenden reims, so
dass er diesen meist fem hielt. Das Verhältnis der rührenden
reime zu den identischen ist bei 2:3 nicht viel anders als
bei 1 : 2 + 3 : 4, nämlich 22 : 8 : 2 (zur vergleichung mit 2 mul-
tipliciert) gegen 42 : 9 : 2. Nur ist die gesammtzahl der reime
bei 1:2 + 3:4 etwa doppelt so gross und dabei sind die
rührenden reime im Verhältnis weniger.*) Das scheint doch zu
beweisen, dass diese caesurreime nicht bloss dem zufall ver-
dankt werden und dass der rührende reim mit noch grösserer
Sorgfalt vermieden wurde, wie bei 2 : 3. Wie ist das zu
deuten? Zunächst dürfen wir für 2 : 3 annehmen, dass der
') In procenten ausgedrückt hat 2 : 3 rührende reime 36 %, identische
9 7o, 1 : 2 + 3 : 4 dagegen 21 % : 4^8 %-
Beiträge zur geschtchte der deutschen spräche. XXV. ^^
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162 BRAUVE
dichter ein eigentliches reimgeffihl hier nicht hatte, dass also
die 11 vorhandenen reime lediglich dem zufall verdankt werden.
Dagegen empfand er identischen rührenden reim doch als
unangenehm, so dass er diesen möglichst vermied nnd nur
einen stehen liess. Wir werden also annehmen, dass er in
manchen ihm vom zufall gebotenen fällen identischen reimes
gestutzt und ein anderes wort gewählt hat So erklärt sich
auch, dass die gesammtzahl der zufälligen reime bei 2 : 3
wesentlich geringer ist, als bei den anderen combinationen,
bei denen er identische reime nicht eliminierte. Wenn wir
den durchschnitt 16 zu gründe legen, so ist es also wahrsdiein-
lich, dass bei 2 : 3 mit 11 reimen ca. 5 durch den zn&U dar-
gebotene identische reime bewusst umgangen sind. Anderer-
seits haben wir nun zum Verständnis der zahlen bei 1 : 2 -h
3 : 4 hervorzuheben, dass die von uns bis jetzt angewante
Zusammenfassung der beiden reimpaare zwar der bisherigen
Übung entspricht, wonach beide unterschiedslos als 'caesnrreime'
gewertet werden. Dem entgegen ist aber erst bei getrennter
betrachtung klarheit zu gewinnen. Wenn wir die 42 'caesur-
reime' in B* auf die beiden reimpaare verteilen, so ergibt
sich, dass bei weitem die mehrzahl, nämlich 30, dem verspaare
1 : 2 zufallen.^ Von diesen 30 sind rührende reime nur 3,
und zwar sind dies solche leichterer art, welche überall ge-
duldet werden: 454 berge iherberge und zwei auf liehe: 70 trürec-
liehe : minneeliche, 963 jcemerlielie : sumeliche. Dagegen finden
sich im verspaar 3 : 4 nur 12 caesurreime,^) unter denen sich
6 rührende befinden, nämlich 1435 Eine : Pilgerine, und 3 auf
'liehe: 1376 zühteeliehe : minneeliche, 1495 emestUchen : grimmee-
liehen, 2275 werliche : ledeeliche; dazu 2 identische: 1347 vide-
leere : videlcere, 1358 gerne : geme:^) Hieraus ergibt sich: der
^) Mit hinweis auf die anfdhnm^ bei Bartsch a. a. o. gebe ich hier fOr
die (27) gewöhnUchen reime nur die strophenziffem: 114. 128. 147. 176.
189. 197. 221. 230. 238. 324. 341a. 648. 656. 662 a. 807. 837. 880. 1054.
1372. 1400. 1537. 1634. 1846. 1893. 2070. 2137. 2143.
*) Die Strophenzahlen der (6) gewöhnlichen reime sind 802. 1105. Uli.
1470. 1793. 1796.
') Der in Lachmanns ausgäbe befindliche weitere identische reim 1261
recken : recken steht nur in ADa statt recken : degene der übrigen. Er ist
sicher nicht dem originale zuzuschreiben, vieUeicht nicht einmal dem ori-
ginale ADb*, sondern ist in A und D zufällig durch dittographie entstanden,
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nAKDSCHRTFTENVERHiLTNISSE DBS NIBELUNGENLIEDES. V. 163
dichter von B* hatte bei 3 : 4 keinerlei reimgefuhl, sondern
die reime sind alle zufällig entstanden: die gesammtzahl 12
bleibt unter dem durchschnitt obiger tabelle und steht zwischen
den 11 von 2 : 3 und den 18 von 1 : 3, die auch jeder nur für
zufällig halten wird. Die empfindlichkeit gegen rührende reime
war hier sogar viel geringer als bei 2 : 3.0 Immerhin dürfte
aber auch hier noch der dichter einige ihm durch den zuf all
nahe gelegte identische reime vermieden haben, wodurch sich
die unter dem durchschnitt stehende gesammtzahl der reime
erklären wird: denn die obige tabelle ergibt, dass grösseren
gesammtzahlen ein noch grösserer procentsatz rührender reime
entspricht. Die richtige einschätzung der caesurreime 3 : 4
als allein dem zufall angehörig ist von Wichtigkeit für die
höhere kritik: es ergibt sich, dass Lachmann unrichtig handelte,
wenn er die Strophen mit caesurreim im zweiten reimpaare
deswegen für unecht erklärte. Dann hätte er mit noch grösserm
rechte die caesurreime 2 : 3 zu athetesen benutzen müssen.
Ganz anders liegt es aber nun beim ersten reimpaare.
Einmal erhebt sich die gesammtzahl dieser reime nicht nur
weit über den durchschnitt, sondern auch über die höchste
gesammtzahl (21 bei 4 : 1 und 2 : 4) rein zufällig entstandener
caesurreime. Und vor allem ist die art der reime total ver-
schieden. Die 30 reime des ersten verspaares sind correcte
reime: denn selbst die drei rührenden sind nicht falsch und
es fehlen völlig die verpönten identischen reime, die bei allen
rein zufälligen kategorien eine so grosse rolle spielen, dass sie
oft die hälfte der gesammtzahl bilden. Hieraus ergibt sich
als notwendiger schluss: der Verfasser der originalrecension B'*'
liess im ersten reimpaare der Strophe den caesurreim bewusst
zu. Wenn er ihn auch nicht grade sehr suchte, so hatte er
doch das gefühl, dass hier eine ordentliche reimstelle sei, wes-
halb er auch fehlerhafte rührende reime ganz vermied. Inwie-
weit nun dieses ergebnis für die höhere kritik etwas besagt,
steht hier nicht zur erörterung: für uns genügt es zu wissen,
dass die recension B* den caesurreim des ersten reimpaares in
wofür a gegenüber C spricht. — Aehnlich ist 4 : 1 verge : verge Ba statt
verge : schifman der ftbrigen in str. 1493f. eingetreten.
>) In procenten hat 3 : 4 rührende reime 50^0? identische 16% gegen
selbes. 9»/obei2:8.
11*
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164 BRAUNE
einer über blossen znfall hinausgebenden weise anwendet.
Wenn man sonach eine absichtliche anwendung dieses caesnr-
reims anerkennen muss, so ist immer noch nicht ausgeschlossen,
dass von den 30 fällen nicht einige doch dem zufalle verdankt
werden. Wie viele hierfür in anspruch zu nehmen sein könnten,
lässt sich erschliessen, wenn man aus den zahlen der sicher
zufälligen correcten reime (incl. erlaubte rührende) den durch-
schnitt zieht. Die zahlen sind: 10 (2:3). 11 (4:1). 8 (1:3).
12 (2 : 4). 4 (1 : 4). Als durchschnitt ergibt sich 9. Also sind
ungefähr 9, oder wenigstens 4, höchstens 12 etwa von den 30
reimen des ersten reimpaares durch blossen zufall entstanden.
Wie viele genau ist ja gleichgiltig: die tatsache aber, dass
einige zufällig sind, ist anzuerkennen. Und das macht wider
die Verwendung des einzelnen reimes für die höhere kritik
unsicher.
Wir gehen nun zur betrachtung der Verhältnisse in C*
über. Für C* ist weniger charakteristisch, was man bisher
allein angeführt hat, dass die zahl der caesurreime vermehrt
ist, als vielmehr, dass in C* nun auch das zweite verspaar
als ordentliche reimstelle hinzugekommen ist. Die gesammt-
zahlen für C* sind (ebenfalls unter weglassung der Strophen
1 — 21): für das erste verspaar 48 caesurreime, darunter 4
leichte rührende (gegen 30 bez. 3 in B*), für das zweite vers-
paar 28 reime, darunter 2 rührende, von denen einer identisch
ist. Die zahlen des zweiten verspaares von C* steUen fast
ganz genau den stand des ersten verspaares von B* dar: es
lassen sich auf dieselben also die gleichen argumentationen
anwenden, mit denen wir für B* erhärteten, dass diese reime
zum grössten teile nicht zufällig, sondern mit absieht oder zum
mindesten nicht unbewusst entstanden seien. — Die zahlen
von C* sind aber auch bei näherer betrachtung noch weiter
interessant. Bei Bartsch a.a.O. wird angeführt, dass B* eine
anzahl caesurreime hat, die C* nicht besitzt. Von seinem
Standpunkte aus gehörten die gemeinsamen dem originale an,
während die B* oder C* allein eigenen von diesen bearbeitungen
selbständig hinzugefügt sein mussten. Diese erklärung können
wir nun nicht mehr anwenden: für uns ergibt sich, dass C*
im ganzen 13 caesurreime seiner vorläge beseitigt hat Das
scheint ja bei der grösseren Vorliebe für caesurreime in C*
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HANDSCHRIFTET9TEB.BÄI.TNISSE DES NIBELÜNHENLIEDES. V. 165
auffällig, erklärt sicli aber bei näherem zusehen aufs glatteste«
Von den 13 beseitigten caesurreimen fallen 7 auf das erste,
6 auf das zweite verspaar. Wir haben gesehen, dass B* für
das zweite verspaar keinerlei reimgefühl hatte, weshalb von
den 12 zufällig entstandenen reimen die hälfte in rührenden
reimen bestand. Diese 6 rührenden reime des zweiten vers-
paars, die er vorfand, beseitigte C* nun alle, da für ihn die
caesur des zweiten verspaars eine ordentliche reimstelle ist,
in der ihn rührende reime störten. Dass die rührenden reime
der grund seiner änderungen waren, geht daraus hervor, dass
es keinerlei sachliche änderungen sind, in einigen fällen ände-
rungen der leichtesten art.^ Dem entgegen sind die 7 von
C* beseitigten caesurreime des ersten verspaars correcte reime,
sie sind aber nicht um ihrer selbst willen entfernt, sondern
aus anderen meist klar ersichtlichen gründen. Durch Strei-
chung der ganzen Strophe in C* ist 2137 mcere : swcere beseitigt,
sachlichen änderungen sind 324 mcere : wcere, 1054 wolde : solde,
1846 hUneginne : inne zum opfer gefallen, 656 eren : geren ist
in Wegfall gekommen, weil in v. 1 das enjambement'entfemt
werden sollte, 189 dannen : mannen ist wahrscheinlich das
streben, die parataxe in hypotaxe umzusetzen, grund zur ände-
rung gewesen, endlich 147 riehen : tougenlichen ist auch wol
dem glatteren ausdruck zu liebe in mcere : tougenlichm^gehniert,
trotzdem dadurch mit der schlusszeile der vorhergehenden
Strophe die combination 4 : 1 mcerej mcere entstand, welche C*
sonst aus seiner vorläge mit ziemlicher consequenz beseitigte
(vgl. oben s. 159 anm.).
Nach Wegfall dieser 7 bleiben" aus B* in C* erhalten 23
caesurreime des ersten paares. Unter diesen befinden sich die
3 leichten rührenden 454 berge : herberge, 70 trüreeliehe : minnee-
>) So wenn 1435 Bme : Pilgerine dadurch entfernt wird,^das8 3 a statt
koRmen her[^v(m[Rine in C*^lautet ze talvonlBine fueren. ^ Von den übrigen
1376. 1495^ 2275. 1358. 1347 hebe ich noch die letztgenannte stelle vide-
tere : tndelasreJäeTroTj welche C* dadurch bessert,' dass^er^videkere aus der
dritten durch leichte umordnung in die caesur der zweiten halbzeile bringt,
so dass nun die beiden mdelasre sich in der Stellung 2 : 4 gegenüber treten.
Wenngleich C* auch hier^vgl. oben s. 160 anm.) 7 yon den 14 vorgefundenen
rührenden reimen beseitigt hat, so hielt ihn dies doch nicht ab, diese com-
bination hier selbst herzustellen als das kleinere übel gegenüber der Stellung
3 : 4, die für ihn wirkliche reimqualitftt besass.
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166
BBAÜinS
liehe und 96S joemerltche : sumeliclie, denen C* duldung vergönnt
hat, obwol er anderwärts auch solche fortschafft, C* hat zu
diesen ererbten 23 im ersten verspaare hinzugefflgt; a) in alten
Strophen 9 (47. 290. 568. 937. 1285. 1776. 1849. 2014. 2316),
b) in Zusatzstrophen 16 (44a. 102a, 327a. 334a. 475b. 622c.
938a. 1229a. 1459a. 1511a. 1755a. 1755c. 1848b. 1963a.
2023 a. 2057 a), unter diesen ist 938 a ein rührender reim auf
•Uche (MUerUche : jamerltche) von C* neu eingeführt, so dass
also unter den 58 caesurreimen des ersten paares in C* sich
4 leichte rührende reime befinden. — Im zweiten verspaar hat
C* aus B*, nach beseitigung der 6 rührenden, die 6 correcten
reime beibehalten. Er hat hinzugefügt: a) in alten Strophen
13 neue reime 3 : 4 (363. 369. 429. 461. 497. 669. 757. 914.
1126. 1204. 1658. 1647. 2170): unter diesen befindet sich
ebenfalls ein rührender auf -ItcJie (1674 vollecliche : wiUeclicke);
b) in Zusatzstrophen von C* treten 9 reime 3 : 4 auf (44a.
102a. 102b. 327a. 936a. 938a. 1082b. 1848b. 2159a). Unter
diesen befindet sich nun aber ein identischer rührender reim
2159 a wcere : wo&re. Es sind also unter der gesammtzahl 28
der reime 3 : 4 in C* 2 rührende reime, einer auf -liehe und
ein identischer, während C* in seiner vorläge 6 rührende reime,
worunter 2 identische, beseitigt hatte.*)
Schliesslich führe ich die caesurreimverhältnisse in B* und
C* nochmals übersichtlich in tabellenform vor:
B*
C
*
1
Jsnmmft.
be-
seitigt :
über-
nimmt:
setzt zn:
alte Str. neue str.
V*
[ Reime 30
7
23
9
16
48
1:2
davon r&hrend 3
—
3
1
4
[ „ identisch —
—
—
—
—
—
i Reime 12
6
6
13
9
28
8:4J
davon rtthrend 6
6
—
1
1
2
„ identisch 2
2
—
—
1
1
0 Diese tatsache ist sehr lehrreich znr widerlegong des von Paul
beibehaltenen beweises der nnreinen reime in B* nnd G* für ezistenz eines
gemeinschaftlichen Originals (vgl. oben s. 123 ff.). Wir haben jetet sdioa
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HANDSCHSIFTEKTEBHALTNISSB DES NIBELUNGENLIEDES. Y. 167
Nachdem die tatsache erwiesen worden ist, dass in B'^
wol im ersten verspaare beabsichtigte caesnrreime stehen, im
zweiten aber nur einige zufällige, deren Zufälligkeit durch
das vorhersehen des rührenden reims erhärtet wird, dass da-
gegen erst C* bewusst den reim des zweiten verspaars an-
wendet, so haben wir jetzt erst ein sicheres fundament, um
die auf der caesur ganz durchgereünten Strophen zu beurteilen.
Wir erkennen nun, dass nur der dichter C* solche Strophen
gebaut haben kann. Und zwar sind es nur von ihm selbst
neu zugesetzte Strophen (s. oben s. 158) 0 denen er den modernen
schmuck der durchgereimten caesur verlieh. Folglich, dürfen
wir schliessen, sind auch die ganz durchgereimten Strophen
der einleitung 1 und 17 zusatzstrophen von C* Für 1 hat der
äussere umstand, dass die Strophe in B und J fehlt (vgl oben
8. 157), selbst anhänger von A schon zu dem Schlüsse geführt,
dass sie in A nachgetragen worden sei.'^) Weniger ist dagegen
Str. 17 beanstandet worden. Zwar hat Lachmann sie der caesnr-
reime wegen nebst 18 und 19 cursiv gedruckt, deshalb aber
doch nicht ihre Zugehörigkeit zum archetypus bestritten. Wenn
wir nun wissen, dass str. 17 neudichtung von C* ist, so wird
die tatsache erhöhte bedeutung erhalten, dass J und d die
Strophe nicht haben. Diese haben aber auch str. 16 nicht,
mehrfach gesehen, wie C* combinationen selbst neu einführte^ die er sonst
in seiner yorlage zu beseitigen pflegte, ein Vorgang den wir auch zur er-
klärong der in C* vorhandenen einzelnen reimnngenanigkeiten angenommen
haben. Besonders schlagend ist jetzt nnser fall. Wenn in B* im zweiten
reimpaare 6 rtlhrende reime, worunter zwei identische, stehen, in C* da^
gegen diese 6 nicht, wol aber zwei ganz andere, so wäre nach Bartsch-Paul
anzunehmen, dass alle 8 im original sich befunden hätten, und dass B'^ hier-
von nur 2, C* dagegen 6 beseitigt hätte. Nun steht aber der identische
reim in C* in einer zusatzstrophe (2159 a), die doch auch Bartsch-Paul nicht
dem originale, sondern der bearbeitung C* zuweisen. Damit ist dargetan,
dass C* selbst einen solchen reim sich zu schulden kommen Hess, wie er
ihn sonst aus seiner vorläge nicht übernahm.
^) Die G*-strophen 102 a. b, welche in AkJd fehlen und nur aUein von
der hs. B ans C* entlehnt sind (oben s. 641), werden als zusatzstrophen von
C* also auch dadurch erwiesen, dass die erste davon ganz durchgereimt ist
und auch die zweite den für C* charakteristischen caesurreim des zweiten
verspaares trägt.
*) Vgl V.Math, Beiträge zur deutschen philologie (1880) s.269f.
Kettner s. 151
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168 BRAUNE
welche Lachmann zum alten bestände rechnet Ist aber 17
zudichtung von C*, so beweist uns das zengnis von J und d,
dass auch 16 eine C*-strophe ist, so dass also diese in CD be-
legten C*-strophen von AB(k) entlehnt und nachgetragen sind.
Der Zusammenhang ist dem durchaus gunstig. Das original
der recension B* welches also nur die Strophen 13. 14. 15. 18
enthielt, genügt völlig und bietet alle durch die sage gefor-
. derten momente: Kriemhildes träum und Utes deutung desselben
auf einen edeln mann (13. 14), worauf Kr. in str. 15 den ge-
danken an minne von sich weist. In der folgenden str. 18
wird dann berichtet, dass sie^ diesem vorsatze gemäss lebte.
Die C*-strophen 16. 17 bringen inhaltlich nichts neues, beide
Personen widerholen nur in weiterer ausführung nochmals ihre
meinung: die Strophe der Ute empfiehlt die edele ritterliche
minne, die Strophe der Kriemhild weist das zurück, und zwar
mit einem motive, das vom Schlüsse des gedichts entlehnt ist:
wie liebe mit leiä,^ ee jungest Ionen Jean, nach 2315, 4 als ie diu
liehe leide ze aller jungiste git (AB): C* hat den ausdruck ze
jungest 17, 3 aus seiner B*-vorlage der Schlussstrophe entlehnt,
ihn aber dann in dieser selbst vertauscht mit an deni ende
gerne git, wodurch die letzte halbzeile rhythmisch modernisiert
wurde. In dieser schlussstrophe haben wir also für C* den
anlass gefunden, weshalb er die beiden dialogstrophen 16. 17
zudichtete: es entsprach seiner auch andei-wärts genugsam be-
kundeten harmonistischen tendenz, das was er am Schlüsse als
lehre des ganzen hingestellt fand, nun auch vordeutend am
anfange zu proclamieren. Auch der technik von C* entsprechen
diese Strophen: dass deren letzte halbzeilen rhythmisch modern
sind, sei nur beiläufig erwähnt. Wichtiger aber ist, dass C*
überhaupt gern dialoge durch einfttgung von Strophen behufe
intimerer motivierung erweitert. Und speciell unsere form,
dass durch zwei eingeschobene Strophen der dialog um eine
rede und gegenrede erweitert wird, begegnet in C* öft^r. So
wird die antwort Hildebrands an Kriemhild 1837 durch eine
erläuternde gegenrede derselben 1837 a aufgenommen, worauf
1837 b noch eine antwortstrophe Hildebrands folgt. Auch die
schon mehrfach erwähnten C*- Strophen 102 a. b tragen den
gleichen Charakter, vgl. ferner 329 a. b. 1052 a. b. 1410 a. b und
die Strophen 324. 324 a in der C*-fassung.
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HAND8CHBIFTENVERHÄLTNIS8E DES NIBELUNGENLIEDES. Y. 169
Sind aber die in Jd fehlenden Strophen 16. 17 der recen-
sion B* ursprünglich fremd, so ergibt sich schon aus der hand-
schriftlichen Überlieferung dieselbe Vermutung für die ebenfalls
in Jd fehlenden Strophen 7 — 12. Auch diese Strophen sind
dichtung von C* und in die Überlieferung AB(k) erst secundär
übertragen worden. Das zeugnis der Überlieferung lässt sich
weiter durch mannigfache gründe erhärten. Auch hier will
ich nur nebenher berühren, dass alle sechs Strophen die jüngere
form der letzten halbzeile besitzen, was in sechs aufeinander
folgenden Strophen der originalrecension zum mindesten selten
sein dürfte. Gewichtiger ist schon ein beweis, der sich bei
aufechlagen von Bartschs grosser ausgäbe durch den ersten
augenschein ergibt. Auf s. 2 derselben sind als abweichungen
der recension C* unter dem texte nur zwei kleinigkeiten aus
9 und 11 angegeben. Man kann die ganze ausgäbe von Bartsch
durchblättern und wird nie nur annähernd so wenige ab-
weichungen beider recensionen verzeichnet finden, als auf
dieser seite 2!*) Die tiejfeehenden differenzen in Strophe 13
kommen in Bartschens texte seinem principe nach freilich
nicht zur erscheinung. Aber in den uns hier zunächst an-
gehenden Strophen 7—12 ist in der tat die Übereinstimmung
zwischen dem hier nur durch AB vertretenen texte B* und
dem texte C* eine absolute. Denn selbst die beiden von
Bartsch notierten differenzen kann man ruhig streichen.
Str. 9, 2 hat CD Dancwart der melk. Wenn hier in AB
durch eingeschobenes vil zweisilbiger takt hergestellt wird
(Dancwart der vil snelle AB), so ist zufügung eines vil eine
in den verschiedensten gar nicht näher verwanten hss. des
Nibelungenliedes eine so häufige erscheinung, dass man daraus
eine recensionsabweichung nicht machen kann.^) Die zweite
von Bartsch notierte differenz ist 11, 3 ein üaerwelter degen
AB, dem gegenüber aber die beiden Vertreter von C* nic^t
^) Dass solch ein beweis des ersten angenscheins nicht zn verachten
ist, lehrt der vergleich der ags. Genesis. Sievers s. 7 seiner bekannten
Schrift hat für seine entdecknng mit geltend gemacht, dass schon durch
ihre änssere erscheinung im dmck der ags. GrenesLr die längeren verse der
as. Genesis sich auf den ersten blick von den echt ags. stücken abheben.
*) Vgl. z. b. 2, 1 ein edd (sehcene A) magedtn A Jd + D, wo B und C
ein vü einschieben.
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170 BRAUNE
Übereinstimmen, da C ein tacßüicher degen, D eiH tvadcerlicher
degen liest. Das wackerlicher ist gewis ändenmg der jung^
lis. D, es lässt sich aber doch nicht behaupten, dass die quelle
von D wcetlicher gehabt haben müsse. Bartsch scheint dies
wegen des anklangs anzunehmen, aber D kann durch sein
wackerlicher ebensogut ein üzerwelter der quelle C* verdrängt
haben. Der anlass kann für beide hss. C und D unabhftngig
gewesen sein, dass sie nach ein ÜJsenoeUer degen der yorigen
Strophe 10, 1 ^) den ausdruck variieren wollten. Es wäre sonach
wcdüicher eine sonderschöpfung der hs. C, nicht der recension C*.
Für diese ansieht spricht, dass auch in str. 4, 3 nur die hs. C
ein wcetUdier degen hat, während D mit ABd J üzerwelier bei-
behalten hat, so dass hier Bartsch keine abweichung der
recension C* notiert. Er hätte das also auch str. 11 nicht tun
sollen. Denn wceütch scheint ein bei dem Schreiber unserer
hs. C beliebtes wort zu sein. Auch 1296, 4 hat allein die h& G
wcBtUchiu meit gesetzt statt herltdnu tneit, welches a mit Jl
teilt (oben s. 151) und dadurch als ursprüngliche lesart der
recension C* erweist. Wir werden um so mehr 11, 3 üaerweiUer
als Originallesart C* in anspruch nehmen können, als das wort
auch sonst dem dichter C* recht geläufig war. Nach Bartachs
Wb. kommt das epitheton (von den drei fällen der einleitung
abgesehen) im texte B* noch 10 mal 2) vor. An keiner dieser
stellen hat es C'*' beseitigt, wol aber selbst noch weitere 6 falle
hinzugefügt, da das wort sehr geeignet war, um einsilbige
takte zu vermeiden. In C* steht üzerweU 189,4. 2174,4.
2286,4 statt sierlich B% 79,4 statt herlich, 831,4 statt Si-
vrid(es\ 1459 a, 4 in einer zusatzstrophe von C*. Fünf von
diesen sechs stellen stehen in der letzten halbzeile, während
in B* nur 1207 und 1421 die letzte halbzeile durch ÜMertodi
in jüngerer rhythmischer form erscheint Wir können dem-
nach auch in den einleitungsstrophen 10 und 11 das den rhyth-
mischen neigungen von C* so sehr gemässe ueerwelt als vom
dichter C* herrührend in anspruch nehmen und somit für 11, 3
die Variante f4;<Btltcher als nur der hs. C angehörig ausscheiden.
1) Hier hat B ein Uutcerlicher degen eingesetst.
>) 231,2. 846,4. 448,4. 969,1. 996,3. 1207,4. 1421,4. 1698,4. 1745,1.
2902,4.
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HANDSCHRIFTENyEBHlLTKISBE DBS NIBELUNGENIiIEDES. V. 171
Sonach besteht im texte der sechs Strophen 7 — 12 ein
nnterschied der beiden recensionen fiberhanpt nicht. Und das
kann nnr so befriedigend erklärt werden, dass C* hier nicht
überarbeiter, sondern dichter ist: es sind znsatzstrophen von G^
Das lässt sich nun aber auch aus sachlichen gründen wahr-
scheinlich machen. In diesen Strophen marschiert der ganze
bestand der bnrgundischen hofgesellschaft wolgeordnet auf.
Das original hatte in 2—6 nur Kriemhild und ihre drei brüder
eingeführt als notwendige unterläge für die hier allein inter-
essierende erzählung des traums der Kriemhilde, wobei dann
ganz von selbst 14, 1 auch deren mutter Uote auftritt. Die
übrigen personen des Burgnndenhofes werden erst später, als
die haupterzählung dort spielt, eingeführt. Hagen wird seiner
bedeutung gemäss schon yon Siegfried im voraus angekündigt
(55, 1), seine eigentliche einführung erfolgt 82 ff. zugleich mit
seinem neffen Ortwin yon Metz. Volker, der küene man, er-
scheint zuerst 161 (vgl. über seine rolle im ersten teil beson-
ders Wilmanns, rec. von Kettner, GGA. 1898, s. 82 ff.). Von
den beiden markgrafen ist Gere der unbedeutendere, der nur
bei der gesantschaft nach den Niederlanden in einige action
tritt (684 ff.) und vordeutend schon in zwei jungem Strophen
526b und 540 a (vgl. oben s. 78) genannt wird, Eckewart wird
zuerst 645 eingeführt. Der küchenmeister Rumolt wird in
seiner würde zuerst 720 vorgeführt, vorher ist er in offenbar
nachgedichteten Strophen 234 und 526 a bereits genannt.^
Das heldenpaar Sindolt und Hunolt ist eine vom dichter des
ersten teils erfundene Staffage, die er in dem der sage neu
hinzugefügten Sachsenkriege verwante: sie werden zuerst 161.
172 ff. eingeführt und kommen nach dem Sachsenkriege nie
wider vor, ausser in den später nachgedichteten Strophen
526 a und 719. — In dieser gelegentlichen einführung der
Burgondenhelden haben wir das ursprüngliche vor uns: erst
der ordnungliebende dichter C* schob ganz unpassend in die
^) An ersterer steUe (234, 2) hat zwar Lachmann gegen alle has. Volker
für ^moU coigiciert; Scherer hat dies verteidigt (Kl. sehr. 1, 654 f.) und
Zamcke (ansg., yarr. zn 36,1) ist damit einverstanden. Es ist aher bemerkens-
wert, dass hier BumoU mit Sindolt nnd HünoU in einem atem genannt
ist, ebenso wie 526a nnd 719. 20. Ich ziehe daher vor, hier statt eines
lehlers 4es archetjpns die arbeit eines interpolators zu sehen. .
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172 BRAUNE
das gedieht eröffnende traumerzählang den vollständigen
theaterzettel ein. Dass wir hier arbeit von C* vor uns haben,
lässt sich zur evidenz bringen dadurch, dass man sein ver-
fahren im anfang der Klage vergleicht. Auch hier hat C*
sich bemüht, gleich im anfang möglichste Systematik in der
einführung der personen durchzuführen gegenüber der viel
sprunghafteren manier der Originalfassung. In dieser werden
V.22— 39 (ed. Bartsch) 'die von Burgundenland' als söhne Dank-
rats und der Ute erwähnt: sie hatten eine Schwester, die
einen mann nahm, der schliesslich durch seinen Übermut umkam.
Der name der Kriemhild wird beiläufig erst v. 69, der Sieg-
frieds V. 101 genannt. Statt der partie 22—39 bringt nun C*
in 45 versen einen geordneten bericht, worin erzählt wird, dass
Dankrat drei söhne hatte und eine tochter ^diu was Kriem-
Mit genant\ Es wird femer nicht nur Siegfrieds name ein-
geführt, sondern auch seine abstammung und heimat gewissen-
haft dargelegt. In B"^ kommen die namen Sigmunt und
Sigelinde erst 120. 123 als selbstverständlich vor, die heimat
ze Sauden wird in der Klage B* überhaupt nicht erwähnt
Auch wie C* v. 40 ff. den Etzel und seinen vater Botelunc
einführt, ist viel ordnungsgemässer als in B"". Man vergleiche
ferner 190 f., wo in C* auch Hagen und Dankwart in begleitung
der drei könige auf dem wege nach Hunnenland genannt
werden, während in B* Dankwart erst 427 als kämpfend er-
wähnt wird. Wenn man das erwägt, so wird man auch in
den Strophen 7 — 12 des Nibelungenliedes die Ordnungsliebe des
systematikers C* nicht verkennen.
Die Strophen bringen aber nun auch inhaltlich manches
neue. Der gewiegt« kenner höfischen ceremoniells, als welcher
sich C* ja auch sonst auswies, suchte in den hofhalt der Bur-
gunden Ordnung zu bringen, indem er die obersten ho&mter
regelrecht besetzte. Im original fanden sich dazu nur ausätze.
Daselbst wird Dankwart als marschalk öfter genannt, zuerst
743, ferner stand Eumolt in seiner küchenmeisterwürde (zuerst
720 genannt) schon fest, noch ehe er in den Sachsenkrieg als
Rümolt d^r Jcüene (234) eingefügt wurde. Alles andere aber
fehlt in B*. Dass Ortwin truchsess und Sindolt schenke ge-
wesen sei, davon ist im original keine rede. Aber wir können
noch sehen, wie C* zu dieser Schöpfung kam. Die Strophe 719
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HAKDSCHRIFTENVEBHIlTNISI^ des NIBBLUNGENLIEDES. V. 173
gab ihm den anlass. Zu dem feste, wird 718 erzählt, trafen
die leute der drei könige die nötigen Vorbereitungen: 719 Hü-
noU der küene und SindoU der degen, die heten vil unmuoj^e.
Die eit si muosen pflegen, truhsaszen undc schenken, ee rihten
manige banc. Des half in ouch Orttvin: des sagete in Günther
danc. Der dichter dieser Strophen kennt offenbar weder Sin-
doU als schenken, noch Ortwin als tmchsess: er will nur diese
helden namentlich anbringen und lässt sie in tätigkeit treten
zugleich mit den nur als füllsei hinzugefügten pluralischen
Hruchsessen und schenken', die er also als untergeordnete
mannen versteht Dass ein vornehmer vasall als oberst-
truchsess oder schenk fungierte, war eine verhältnismässig
junge entwicklung.i) Hier tritt nun C* umgestaltend ein.
Hunolt, dem er das kämmereramt verliehen hatte, wird ganz
gestrichen und aus den pluralischen truchsessen und schenken
werden singulare, als welche nun Ortwin und Sindolt auftreten:
Ortwtn unt Sindolt, die zwene küene degen, die wären vil un-
müezic. Die zit si muosen pflegen, der truJisceze unt der schenke,
rihten manigen banc: des hülfen ir undertänen: des sagete in
Günther dö danc. Hier haben wir nun die obersten hofämter
mit ihren ausführenden organen, den undertänen, die denen
Eumolts in str. 720 nachgebildet sind. Aus dieser Strophe
entnahm C* also die anregung zu seiner einleitungsstrophe 11.
In 11 brachte er auch den 719 gestrichenen Hunolt als käm-
merer unter. Einen oberstkämmerer kennt das Nibelungenlied
noch durchaus nicht Am Burgundenhofe sind die kämmerer
(wie 719 die truchsessen und schenken) noch stets pluralisch,
(560. 590. 602. 606. 611), auch bei der Kiiemhild 994, ein käme-
rcere 946. Günthers kämmerer heissen zweimal schon Die
riehen kamera^re (283, 1 und 581, 2), aber es ist doch nur die
höhere dienerschaft, kein voniehmes hofamt, das erst C* in
Str. 11 für Hunolt erfand.
Neu ist femer die angäbe, dass Volkers heimat Alzeije sei
und dass der vater der Burgundenkönige Dancrät geheissen
habe. Die Nibelungendichtung, wie sie uns in der recension B*
vorliegt, kennt den namen von Günthers vater Gibich nicht
mehr. Während Sivrit gleichmässig als Sigemundes sun und
1) Vgl. Härtung, Altertümer s.45ff.
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174 BBAinfE
dojsf Sigelinde Joint etc. umschrieben wird, so heissen die Bur-
gunder zwar sehr häufig diu Uoten kint etc., nie aber wird ihr
vater genannt. Erst C* fährte in str. 7 den namen Dancräi
ein, welchen er dann auch noch zweimal in seinen zusatz-
strophen anbringt: Günther heisst 565a der Dancrätes sun
und 1082 a stiftete Ute nach Dancrätes töde das kloster LorscL
In anderen gedichten der heldensage lebte bekanntlich Gribichs
name fort, so dass aus kenntnis des heldenbuchs der Verfasser
der bearbeitung k wider Dankrat durch Gibich ersetzen konnte,
vgl. Beitr. 20, 457. Dass femer Volker erst von C* in str. 9
von Ahseije genannt wird, hängt mit der entwicklungsgeschichte
dieser figur zusammen. Eettner und weiterführend Wilmanns
(GGA, 1898, 33 ff.) haben gezeigt, dass Volker in der ursprfing-
lichen dichtung des zweiten teils zuerst nur ein armer ritter-
licher spielmann war, dass er aber von dem Verfasser unseres
Originals B* gehoben und zum freien herren und färstengenoss
gemacht worden sei. Mit dieser geringen herkunft Volkers
hängt es zusammen, dass er im Nibelungenliede noch keinen
heimats- und besitztitel hat. Erst G^ hilft diesem mangel in
Str. 9 ab. Müllenhoff hat Zs. fda. 12, 359. 416 das dienstmannen-
geschlecht der truchsessen von Alzei urkundlich nachgewiesen:
es ist seit dem anfang des 13. jh.'s bezeugt. Dieses dienst-
mannengeschlecht und ebenso die Stadt Alzei fähren nun eine
geige im wappen, dessen älteste bezeugung nach Mull^ihoff
aus dem jähre 1262 ist. Müllenhoff schliesst daraus, dass
Volker von rheinischen spielleuten des 11./12. jh.'s vielleicht
zu ehren der herren von Alzei erfunden sei, die erfindung
aber setze das wappen voraus. Und auch Wilmanns a. a. o.
folgt noch einigermassen, wenngleich zweifelnd, diesen aign-
mentationen. Dem entgegen ist es mir höchst wahrscheinlich,
dass die herren von Alzei sich ihr fidelwappen erst im an-
schluss an Volker von Alzei zugelegt haben. Das wappen-
wesen wurde erst im 13. jh, fest ausgebildet, im 12. jh. war
es noch sehr schwankend. Die Nibelungendichtung kennt
überhaupt noch keine wappen (vgl. Härtung s. 429 f.). Dazu
stimmt, dass der älteste beleg des Alzeier wappens 1262 fällt
Es bleibt freilich auch die möglichkeit, dass das Alzeier wappen
mit Volker in gai* keinem zusammenhange steht, dass ein zufall
vorliegt. Dagegen ist die von Müllenhoff gegebene deutong
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HANDSCHBIPTENVERHIlTNISSE des NIBELUNGENLIEDES. V. 175
absolut abzuweisen, dass Volker im 11./12. jh. den Alzeier
dienstmannen und ihrem fidel wappen zuliebe erfunden sei. Dem
widersprechen schon die allgemeinen erwägungen, dass im
11./12. jh. noch kein so fest ausgebildetes wappenwesen bestand,
sowie im besonderen die viel jfingere bezeugung des Alzeier
Wappens. Dem widerspricht aber vor allem, dass im Nibe-
lungenliede Volker äberhaupt noch nicht in Alzei localisiert
war, dass vielmehr erst der dichter C'*' in seinen einleitungs-
strophen diese notiz bringt. Woher aber nahm das C*? Ich
habe Beitr. 9, 553 ff . gezeigt, dass C* das dorf Otenheim als
ort der ermordung Siegfrieds aus eigener erflndung hinzugetan
hat und dass man dafür nicht nach rheinischer sage suchen
dttrfe. Ebenso könnte man ihm wol die combination Volkers
mit der Stadt Alzei zutrauen. Es liegt aber noch anders.
Alzei sowol wie Dankrat sind nämlich erflndung des Elage-
dichters.
Wir wissen zur genüge, wie C* die tendenz hatte, die
Klage und das Nibelungenlied harmonistisch auszugleichen.
Aus der Klage hatte C* die notizen über die gründung von
Lorsch entnommen, zu seinen acht Strophen benutzt und da-
nach wider die betreffenden partien in seiner Klage geändert
(Beitr. 9, 558 ff.). Aus der Klage entnahm er viele andere
einzelheiten und insbesondere noch den anstoss, die Charaktere
Kriemhilds und Hagens umzuzeichnen. Der gelehrte und
speculierende dichter der Klage, dem es seine geographischen
kenntnisse erlaubten, mit der Stadt Worms das nahe kloster
liOrsch zu combinieren, der kannte auch den namen der
unfern Worms gelegenen Stadt Alzei und benutzte sie, um
den heimatlosen Volker da zu localisieren. An der stelle der
Klage 1361 ist überdies die erflndung wol motiviert. Volker
wird von Etzel tot gefunden. Er fragt (1329): Hildebrantj
wer ist dae? Hierauf wird Volker ausfühilich gepriesen.
Darauf fragt Etzel tcannen er gebom wcere, Do sprach
meister Hildebrant, er hete bi Eine daz lant mit Gunthere he-
seeeen: der helt vil vermezzen was von Alzeye erbom. Aus
dieser stelle entnahm C* seine notiz für Strophe 9 des liedes.»)
^) Der Klagedichter nennt übrigens noch einmal gelegentlich 3825
von AJge^e Voffcir,
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176 BBAUNB
— Der gelehrte Klagedichter hat denn anch v. 25 den genea-
logisch vollständig in der luft schwebenden Dancrät erfunden:
Dancrät ein hünec hiez, der in diu witen lant Hess etc. Dass
sich das C* für das lied nicht entgehen liess, ist ebenso folge-
richtig, wie er umgekehrt nach tatsächlichen angaben des
liedes seine Klage corrigiert (vgl. das 402 und 419 beseitigte
Lutringen als heimat Irincs). Auch ganz neues namenmaterial
bringt er aus dem liede in die Klage, vgl. Banden und Nider-
lande Klage C* 39 ff., Nibelunge hört Klage C* 1253 ft Ebenso
übertrug nun C* Lorse, Dancrät und Äleeie aus der Klage ins
Nibelungenlied.
Ist sonach die autorschaft von C* für die Strophen 7 — 12
entschieden, so ist doch noch eine differenz in der Stellung
von Str. 7 zu besprechen. Diese Strophe, welche die eitern der
Burgunden meldet, steht in C und D zwischen 4 und 5, also
unmittelbar nach der nennung der Kriemhilt und der drei
könige. Erst darauf folgen in CD die Strophen 5. 6. 8 ff.,
welche weiter von den königen und in verfolg von deren
mannen handeln. Es sind hier zwei möglichkeiten vorhanden-
Entweder bieten C und D die ursprüngliche Ordnung, in welcher
C* die Strophen dichtete: dann schob er also die erste nach 4
ein und die fünf übrigen nach 6 des alten textes. In diesem
falle müsste also diejenige hs. des B*-texte8, welche diese sechs
Strophen zuerst entlehnte, entweder ein Vorgänger von hs, A
oder von B + k, die sechs zu entlehnenden Strophen hinter
einander abgeschrieben und alle nach str. 6 gesetzt haben.
Oder aber die Stellung in ABk ist diejenige, in welcher ur-
sprünglich C* die Strophen einschob. Dann müsste erst in
einem zweiten Stadium des textes C* die Versetzung von str. 7
stattgefunden haben, während die entlehnung in ABk aus
dem ersten Stadium schöpfte. Ich halte das letztere für das
wahrscheinlichere. Denn die Stellung von 7 nach 4 scheint
mir eine Umstellung sehr äusserlicher art, während die wider-
aufnahmeformel in 8, 1 als ick gesaget hän dadurch hervor-
gerufen sein wird, dass in der Strophe 7 nicht von den drei
königen die rede war: sie würde wenig motiviert sein, wenn
gleich 8 auf 6 gefolgt wäre.
Wir haben also gesehen, dass die in Jd fehlenden
Strophen 7 — 12 und 16. 17 aus inneren und äusseren gründen
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HANDSCiEIRIFTBNVEBHll.TKISSE DES NTBELÜWGENLIEDES. V. 177
nnursprfinglich und dichtnng von C* sein müssen. Wir wenden
uns nun zu str. 19, welche nur in J fehlt, dagegen in AB(k)d
+ CD steht. Hier sind zwar eigentliche beweise, dass sie von
C* gedichtet sein müsse, aus ihr selbst nicht zu gewinnen.
Aber das fehlen in J wird noch dadurch gestützt, dass die
Strophe sowol in A als in k vor 18 steht, eine Stellung, die
absolut widersinnig ist und die zusammengenommen mit dem
fehlen in J sich am besten dadurch erklärt, dass sie in einer
Vorstufe der hss. A und k an falscher stelle nachgetragen
war. Ihr Inhalt ist sehr nichtig: eine nochmalige ausdeutung
des falken, verbunden mit einem 2^2 Zeilen langen hinweis
auf die spätere katastrophe. Wenn man hinzunimmt, dass die
eingangsstrophen erst durch die starken hinzudichtungen von
C* zu einer *aventiure' aufgeschwellt worden sind,^) so haben
wir in 19 doch wol eine jener zusatzstrophen zu sehen, die C*
mit besonderer Vorliebe am Schlüsse seiner aventiuren hinzu-
zudichten pflegte.
Die hs. J hat also auch hier den echten Strophenbestand.
Und das bewährt sich ebenso gegenüber den beiden anfangs-
strophen der neuen aventiure in A: 20. 21. Diesen zwei Strophen
gegenüber haben alle übrigen hss. nur 6ine. Und zwar ist
diese eine Strophe in C*(CDb) und ABd die str. 20 (A), so dass
in diesen hss. str. 21 (A) ganz fehlt. Dagegen steht in J und
in k eine Strophe, welche aus der ersten hälfte von 20 und
aus der zweiten hälfte von 21 (A) zusammengesetzt ist. Diese
Strophe lautet:
Do wnobs in Niderlanden eins riehen küneges kint,
des yater der hiez Sigemnnt, sin mnoter Sigelint.
Stare nnde küene wart sit der selbe man:
hey waz er grözer §ren ze diser werlde gewan!
>) Von sftmmtlichen hss. der I. rec. hat yor str. 20 allein A eine Über-
schrift (von Sivride). Nnn fehlen freilieh die übersehriften ganz in B und
bis str. 324 anch in J. Aber in J (vgl. den abdmek des anfangs in Hagens
Germania 1, 252) steht bei str. 20 nieht einmal ein grosser anfangsbuchstabe
nnd vor allem fehlt in d, welehe sonst alle ayentiarenüberschriften hat,
grade aUein hier die Überschrift. Diese tatsache ist wichtig zum beweise,
dass der erste abschnitt in B* ursprünglich bis str. 44 gieng. Ich hebe
hervor, dass das fehlen des aventiurenanfangs in d vor str. 20 auch durch
y. d. Hagens ausgäbe bestätigt wird, gegenüber der anzweifelung Laistners
8.6, der da meint, Bartschens angäbe ^ keine Überschrift BJd' werde wol
Beitrilge rar geschichte der deutschen iprache. XXV. i2-~> j
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178 BRAUNB
Dies ist die ursprüngliche fassung der recension ß* Der iiin-
arbeiter C* ersetzte nun die beiden letzten zeilen, die ja un-
wesentlichen Inhalt haben, lobeserhebungen, wie sie in den
nächsten Strophen noch mehr vorkommen, um etwas seiner
meinung nach sehr wichtiges anzubringen, nämlich den namen
der bürg Santen.
Siegfried war ja ursprünglich in der sage ein länderloser
recke. Für den dichter unseres ersten teils war er aber schon
in den Niederlanden localisiert. Diese auffassung durchzieht
mit ihren zahlreichen Umschreibungen wie der hell üz Nider-
landen u. dgl. für Siegfried die ganze dichtung. Eine engere
heimat aber hatte er für den dichter nicht. Nur ein einziges
mal 653, 4 sieht er sich veranlasst, den namen eines ortes zu
nennen, als es die erzählung so mit sich bringt. Bei den
empfangsfeierlichkeiten des neuvermählten paares Siegfried
und Kriemhild in den Niederlanden schien es ihm die anschau-
lichkeit der ausführlichen Schilderung zu erhöhen, wenn er
auch eine Stadt nennen konnte. Dass er dabei auf den namen
Santen verfiel, hat meines erachtens nur den grund, dass ihm
dieser name als der einer niederrheinischen Stadt grade be-
kannt war: ich halte also diese erwähnung für eine rein
occasionelle, die mit irgend welcher sagenüberlieferung nichts
zu tun hat.^) Während der dichter bei den Burgunden immer
ihre stadt Worms nennt, die durch die sagenüberlieferung ge-
geben war, so war ihm Siegfried nur ganz allgemein aus
Niederland. Und deshalb gibt er ganz correct in Strophe 20
nur an, dass er in Niderlanden erwuchs. Ganz anders la^
dies für den umsichtig combinierenden dichter C* Der spiesste
natürlich jenes gelegentlich erscheinende Santen auf, um das-
einen druck! ehler statt BJh enthalten, was schon deshalb übereilt war, weil
in h das erste blatt fehlt. — Weiteres über die ayentiorenüberschriften a.
nnten im Excurs s. 185 ff.
^) Wenn ein mittelalterlicher gelehrter Xantener chronist nach dner
notiz des 15. jh.'s den Hector von Troja, der nach der fränkischen Trojasage
die Troja Franconun Xanten gegründet haben soU, umdeutet in Hagen Ton
Troia (vgl. MüUenhoff, Zs. fda. 12, 427. Simons, Heldensage, Pauls Grundr.>
3, 670), so beweist das nicht im mindesten für eine beziehung der Nibe-
lungensage zu Xanten, sondern beruht auf kenntnis des Waltharius mit
seinem Hagen von Troia.
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HANDSCHÄTFTENVERHALTNISSE DES NIBELUNGENLIEDES. V. 179
selbe aucli ordnungsgemäss seinem theaterzettel am anfange
einzuverleiben. Deshalb baute er Strophe 20 in der erwähnten
weise um. Dass niemand anders als C* diese erwähnung von
Santen im eingange für nötig gehalten hat, dafür liegt ein
sicherer beweis auch darin, dass C* im anfang seiner Elage
die gleiche notiz anbrachte. Es heisst da in der nach v. 39
(Bartsch) eingeschobenen partie: sin vater der hiez Sigemunt
und scus da ze Banden, der hUnec von Niderlanden, — Ein
weiterer beweis für die autorschaft von C* liegt im Wortlaut
der stelle. Die erwähnung von Santen im original 653, 3. 4
lautet: (unze daz si körnen) zeiner bürge wU, diu was geheizen
Santen: da si crone truogen sit In der fassung C* wurden
diese verse umgearbeitet zu zer bürge wol bekant, riehe unde
mcere: diu was ze Santen genant Es ist dies einer jener
immerhin nicht ganz seltenen fälle, wo in der Umarbeitung C*
die alte rhythmische form der letzten halbzeile gegen B* her-
gestellt wird. Grund für die änderung C* wird gewesen sein,
statt des leeren hinweises auf das kronetragen, was bald darauf
(657 ff.) ausführlich erzählt wird, weitere verherrlichende epi-
theta der bürg anzubringen. Es ist aber sicher schlagend,
dass diese fassung C* nach ausdruck, reimworten und rhyth-
mischer formel auch in 20, 3. 4 erscheint: in einer riehen bürge,
witen wol bekant nidene bi dem Eine: diu wa>s ze Santen ge-
nant. Wir erkennen also darin die band desselben autors C*.
Diese umgearbeitete Strophe 20 in der fassung C* wurde
nun von B und d entlehnt, ^ in der quelle von A ebenfalls,
aber unter gleichzeitiger beibehaltung der echten Schlusszeilen
der Strophe aus der fassung B*. Dadurch entstand eine Strophe
zu sechs Zeilen, welche sodann durch hinzudichtung der ganz
leeren verse 21, 1. 2 (A): Ich sage iu von dem degene wie
schcene der wart, ^n lip vor allen schänden was vil wol bewart
zu zwei vollen Strophen aufgerundet wurde. Nur J und die
quelle von k behielten die Strophe 20 unverändert in der alten
fassung von B*.
Es bleibt nun nur noch eine Strophendifferenz der ein-
leitung zu besprechen: Strophe 3, die in A, k, J, d und in der
') Grand der enüehnimg war natürlich, ebenso wie bei 7--12, die da-
durch gebotene yerrollBt&ndignng der tatsächlichen angaben.
12*
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180 BSAUIIE
einen C*-h8. (D) steht, während sie in B und C fehlt ffier
könnte man nun angesichts der tatsache, dass C* auch so
manche Strophe seiner vorläge getilgt hat, annehmen, dass die
wegen ihrer mit nichtigem inhalte verbundenen, geschraubten
ausdrucksweise schon viel beanstandete Strophe von C* aus-
gelassen worden sei Dann müsste man annehmen, dass D
dieselbe wider aus einer B*-hs. ergänzt habe. Aber die tat-
sache, dass die strophe auch in hs. B fehlt, lässt doch als
noch wahrscheinlicher die annähme erscheinen, dass die Strophe
der originalform B* gefehlt hat und auch von C* in seiner
vorläge noch nicht vorgefunden ist Sie entstand dann zuerst
in einer hs. der recension B* und wurde von da aus in andere
hss. verschleppt, auch in die C*-hs. D. Was die lesart in vers
2 a betrifft: in muote Jcüener recken A, ir muotten (gerten J)
Jcüene recken JD, von muten küenen recken d, so ist doch wol
die form von A als das älteste zu betrachten mit hinblick auf
1608, 3 {ja trütes in den sinnen vil manic ritter guot): die sehr
mangelhafte Wendung rief dann die änderungen der übrigen
hss. hervor.
Nachdem wir die Strophendifferenzen der einleitung im
wesentlichen dahin erklärt haben, dass die fassung C* mit
ihren zudichtungen hierfür massgebend gewesen ist^ so werden
wir den gleichen einfluss auch nicht ablehnen dürifen für die
zwei wichtigen lesartenunterschiede in str. 13 und 18. Es sind
die hss. B und d, welche ja auch die gestaltung von str. 20
aus C* schlankweg übernommen hatten, die hier der fassung
von C* nachgegeben haben, während vor allem J, sodann die
vorläge von k und A dem ursprünglichen B*-texte der ein-
leitung näher blieben. Wir betrachten zuerst 13, 1. 2. Die
ursprüngliche lesart B* sehe ich hier in AJ:
Ez tronmde Eriemhilde in tagenden der si pflac,
wie si einen yalken wilde züge manigen tac
Die vorläge von k (Eines nahtes da Krenhilde an irem pette
lag, Ir troumt si züg ein falken auf erd vil manigen tag) hat
nach ausweis der reime ebenso gehabt. *) Die änderung von C*,
welche in B und d aufgenommen ist, lautet:
^) Man bemerke den caesnrreim 1:2, der nach unseren obigen nnte^
Buchnngen für die originalrecension durchaus in der Ordnung ist
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HANDSCHBIFTENVEBHIlTNISSE DBB NIBELUNGENLIEDES. V. 181
In disen höhen §ren tronmte Kriemhilde
wie Bi Züge einen yalken starc schcen und wilde.
Dass dies dichtung von C* ist, darauf weist besonders die ge-
staltung der zweiten halbzeilen mit ihren zweisilbigen reimen
hin, welche nach alter weise wol nicht anders als viertaktig
gelesen werden können, wahrscheinlich aber als jüngere drei-
taktige klingende reime mit Überschlagender unbetonter silbe
gemeint sind.^ Diese metrik darf man aber dem originale
nicht zutrauen. Denn in diesem reimt doch eigentlich nur das
e der letzten silbe als stumpfer reim. Und das ist entschieden
eine altertfimlichkeit. Die mehrzahl der fälle betrifft die drei-
silbigen reime auf Hagene, deren sich unter hinzurechnung
zweier reime degene : gegene (1784. 1811) im ganzen texte B*
nach Presseis Beimbuch 53 finden. Die reime auf Hagene sind
von C* im wesentlichen beibehalten worden: nur vier fielen weg,
einer (2137) durch Streichung der ganzen strophe, drei 2131.
2279. 2283 durch Umformung des Wortlauts. Hinzugekommen
ist nur einer Hagene : zesamene 1960. — Anders dagegen steht
es mit den zweisilbigen reimen. Deren stehen in B* 11 stück:
Uoten : guoten 14, m(eren : wceren 392 a, sande : lande 1362,
huoben : uoben 1462, verborgen : sorgen 1467, genämen : quämen
1571, mceren : wceren 1653, wasre : mcere 1803, slüege : trüege
1962, woUe : solde 2132, schüde : Krtemhilde 2133.2) In C* sind
alle diese beibehalten und noch dazu in zusatzstrophen von C*
8 neue gekommen: mcere : wcere 130a, kleine : steine 720a,
Uote : guote 1082 a. 1082f, solde : woMe 1082h, mcere : swcere
1653a, swcere : wcere 1939b, eben : läzen 1848c. Dazu noch in
Umarbeitung einer alten Strophe unsere in rede stehende stelle
Kriemhilde : tvilde 13. Es hat also C* der die dreisilbigen auf
Hagene wol als fremdartige altertümlichkeiten einfach weiter-
führte, zu den zweisilbigen eine andere Stellung eingenommen:
1) Zarncke, Nib. einl. s. 1^ anm. will troumde und starc als auftakt
fassen, was sehr unwahrscheinlich ist. Y^l. MüUenhoff, Z. gesch. s. 84.
*) Es ist hervorzuheben, dass alle diese reime, anch s&mmtliche mit
Hagene, das erste reimpaar bilden. Für das zweite reimpaar waren sie
deshalb nicht branchbari weil die zweisilbigen das rhythmische Schema da-
durch gestört hätten, dass sie einsilbigen takt an dritter stelle statt an
der zweiten mit sich gebracht hätten. Aber auch die reime auf Hagene
hätten den rhythmns des letzten halbverses insofern gestört, als er hanpt-
hebung an zweiter und vierter steUe erforderte.
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182 . BBAUKE
diese waren ihm insofern weniger fremd, als sie ihm als
klingende reime aus der gleichzeitigen höfischen dichtong ge-
läufig waren. Und deshalb wante er diese gattung in eigenen
Strophen mehrfach an, drei mal hinter einander in den acht
Strophen der Lorscher episode. Indem er diese reime als
moderne klingende betrachtete, konnte er denn auch in seiner
Strophe 13 dieselben als dreihebig klingende neben den drei-
hebig stumpfen anwenden, grade so wie im höfischen epos
auch schon bisweilen vierhebig klingende verse statt der vier-
hebig stumpfen gebraucht wurden.')
^) Dass in B* die reime auf -e als altertümlichkeit zu betrachten sind,
geht auch aus ihrer Verteilung hervor. Sie gehören nämlich im wesent-
lichen dem zweiten teile des Nibelungenliedes an, der von str. 1827 an
Eriemhilds räche erzählt. Dieser teil muss vor unserer Nibelungendichtnng
eine Sonderexistenz geführt haben. Die ansichten, die hierüber Wilmanns,
GGA. 1898, 31 ff. entwickelt hat, berühren sich nahe mit den meinigen, wie
ich sie seit langem in meinen Vorlesungen vorgetragen habe. £s ist der
teil, in welchem allein die piörekssage genauer zu unserem Nibelungen-
liede stimmt, der teil, in welchem allein ursprünglich Volker und Dankwart
vorkamen, während der im ersten teile vielgenannte Ortwin ihm völlig
fremd ist, was ja bekanntlich den umdichter C* zu seiner lahmen motivie-
rung 1410 b veranlasste. Nur dieser zweite teil kannte die Burgunden
unter ihrem alten namen Nibdunge (zuerst 1466). Unsere ausführliche
dichtung des ersten teils wurde nun von denjenigen, den wir als dichter
unseres Nibelungenliedes bezeichnen dürfen, mit dem zweiten teile ver-
schmolzen, welcher in seiner Originalfassung die ereignisse des ersten teils
wol nur kurz als einleitung vorausschickte. Der dichter unseres Nibelungen-
liedes baute nun — anstatt dieser kurzen einleitung — den ersten teil ans
auf gnind einer anderen queUendichtung, welche er seinerseits durch mannig-
fache zudichtungen erweiterte, in denen er die disparaten demente beider
complexe auszugleichen versuchte. Er suchte im ersten teile Dankwart
und Volker (den er auch im stände erhob, vgl. oben s. 174), zu beschäftigen,
den namen Nibdunge zu erklären und überhaupt eine einheit des ganzen
herzustellen, ohne dass ihm dies jedoch vollkommen gelungen wäre. Ym
die Sonderexistenz des zweiten teils von B*, ca. 1327 ab, erhalten wir nun
durch die reime auf -i auch einen philologischen beweis. Von den 11
zweisilbigen reimen in B*^ stehen 9 im zweiten teile (zuerst 1362): in dem
ersten teile findet sich nur üoien : guoten in str. 14 und mcsren : trorfN
392a. Letztere Strophe ist in A ausgelassen, gehört aber doch wol der
jüngsten schiebt an. Wegen des in str. 14 so isoliert stehenden zweisilbigen
reims wäre es verlockend anzunehmen, dass die 3 traumstrophen 13—15
aus der kurzen fassung des ersten teils herüber genommen wären, welche
die ursprüngliche einleitung des zweiten teils bildete. — Dem gegenüber
entfallen von den 9 durch C* neu eingeführten zweisilbigen reimen 6 auf
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HAKDBCHBIFTENYERHALTNISSE DES KIBELUNGENT^IEDES. V. 183
Enteprechend unserer beorteilung von 13, 1. 2 möchte
ich nun auch für 18, 1 annehmen, dass hier B und d den
Wortlaut von C* entlehnt haben, durch welchen caesurreim
hergestellt wird (Kriemhilt in ir muote sich minne gar hewac.
Sit Übte diu vil guote etc.). Der originalreim von v. 1 ist nach
übereinstimmendem zeugnis von A, J und k pflac. Im Wort-
laut gehen freilich die drei hss. sehr auseinander, doch wird
A das echte bieten: In ir vil hohen tugenden^ der si schöne
pflac. Dem gegenüber dürfte die lesart von J: Ir liebiu muoter
ir nach wünsche schone pfl>ac eine jener zahlreichen stärkeren
änderungen der hs. J (bez. des ebenfalls ändernden Stadiums
JK = J2* oben s. 139 ff.) bieten, da der freie Wortlaut von k:
Die ed^l maget schone vil hoher eren pflag sich doch inhaltlich
nahe mit A berührt, so dass die zur B-gruppe gehörige vor-
läge von k wol genau die lesart von A gehabt haben wird.
Wenn wir jetzt die resultate unserer behandlung der ein-
leitung zusammenfassen, so hat sich uns ergeben, dass die hss.
1—1326 und nur 3 auf den zweiten teil. C* hat also diese reime gleich-
mSfisiger verteilt. Auch die reime mit Hagene haben nrsprttnglich wol nnr
dem zweiten teile angehört. Von den 53 dieser art in B* stehen nämlich
44 Ton Str. 1327 ab und nur 9 im ersten teile (84. 330. 386. 810. 813. 1123.
1129. 1143). Der erste teil umfasst aber die grössere hälfte des gedichts.
Allerdings kommt der name Hagene von 1327 an häufiger vor. Eine Zäh-
lung des Vorkommens des namens in B* nach Bartschens Wörterbuch ergibt
für den ersten teil die ziffer 133, fiir den zweiten teil dagegen 257, also
noch einmal so viel. Käme Hagene im ersten teile gleich oft vor, so
würden wir die doppelte anzahl Hagene-ieime erwarten dürfen. Das wären
aber 18 gegenüber 44 des zweiten teils. Mir scheint dies Verhältnis so zu
deuten, dass der ursprünglichen dichtung des zweiten teils die altertüm-
lichen reime auf -6 eigen waren, besonders die auf Hagene, aber auch eine
anzahl zweisilbiger. Die dichtung aber, die unser dichter des Originals für
den ersten teil zu gründe legte, kannte diese reimart nicht mehr. Der
dichter B* lernte nun in der grundlage des zweiten teils die reime kennen,
von denen sich ihm besonders die häufigen auf den namen Hagene, der
sonst nicht zu reimen war, empfahlen, so dass er davon im ersten teile
sparsamen gebrauch machte. Vielleicht dass das mehrfache gruppenweise
zusammenstehen dieser Hagene-ieime im ersten teil auf vom dichter ganz
umgeformte oder zugedichtete partien hindeutet. Dagegen fielen ihm die
vereinzelten zweisilbigen ^- reime im zweiten teile weniger auf, weshalb
sie denn im ersten teile so gut wie ganz fehlen. Erst C* wirkte hier
ausgleichend.
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184 BBAUKE
der B'^'-recension hier in ausgedehntem masse von C'*' beeinflnsst
worden sind. Vollständig frei von entlehnnngen ans C^ hat
sich nur die hs. J erwiesen, welche Ton den 21 in A stehenden
einleitnngsstrophen nur 2. 8. 4. 5. 6. 13. 14 15. 18 nnd die
Strophe 20 in alter f assung besitzt. Die einzige dieser Strophen^
die wol secundär ist (3), stanunt wenigstens kaum aus C*.
Auch in den lesarten der str. 13 und 18 zeigt J den alten
text. — Die der hs. B am nächsten stehende vorläge von k,
hatte die alten lesarten in 13 und 18 bewahrt und ebenso
(wie J) die str. 20 in alter fassung, im übrigen aber hat kf
die neuen Strophen 1. 3. 7—12. 16. 17 und 19, nur letztere an
falscher stelle nachgetragen wie A.') — Die hs. d zeichnet
sich dadurch aus, dass sie wie J die C*- Strophen 7 — 12 und
16. 17 nicht hat, dagegen hat sie die neuen Strophen 1. 3
und 19, sowie Strophe 20 und die lesarten 13. 18 in der fassung
von C*. — Die hs. B hat wie d strophe 20 und die lesarten
13. 18 in C*-fassung, dazu die neuen C*-strophen 7 — 12. 16. 17.
19, während 1 und 3 fehlen. — Am reichsten ist hier A aus-
gestattet, welche alle neuen Strophen besitzt, auch 20 in der
CMassung, aber mit ergänzung der alten zweiten halbstrophe
20 zu einer neuen Strophe 21. Dagegen hat A die alten les-
arten in 13 und 18, sowie die nachgetragene str. 19 (= kj) an
falscher stelle.
Man sieht, die hss. gehen hier so durcheinander, dass nur
die annähme eines gegenseitigen austausches statthaben kann,
ohne dass es jedoch möglich wäre, im einzelnen den weg dieser
Vorgänge zu erschliessen. Insbesondere geht es nicht an, aus
dieser einleitung auf die verwantschaft der hss. Schlüsse zu
ziehen. Denn wenn J sich hier in den lesarten 13. 18 und in
21, 3. 4 mit A berührt, in dem fehlen von 7—12. 16. 17 mit d,
im fehlen von 1 mit B, und in der fassung von 13. 18. 20
mit kl, so begründet dies keine engeren beziehungen, da es
überall nur ursprüngliches ist, was J mit diesen hss. teilt So
wie man in der Sprachwissenschaft die nähere verwantschaft
zweier sprachen nicht dadurch beweisen kann, dass sie beide
etwas altes bewahren, so kann man auch eine in der übrigen
') Dass k statt str. 14 zwei atrophen hat, ist doch wol nur zerdehning
der jungen bearbeitnng, ygl. Lnnzer, Beitr. 20, 467.
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HAI!rD8CHBIFTENVERHÄL.TNI88E DES NTBBLUNGENLIEDES. V. 185
dichtung nicht erkennbare nähere verwantschaft von J z. b.
mit A oder mit kj nicht durch die in der einleitung vorhan-
denen gemeinsamen altertnmlichkeiten begründen. Insofern
waren wir berechtigt, bei unseren erörterungen des hand-
schriftenverhftltnisses die einleitnng ganz ans dem spiele zu
lassen.
Excnrs zu s. 177 anm. 1.
Die aventiarenübersohriften.i)
Die aventiurenüberschriften fehlen durchaus in B, wäh-
rend die abteilungen, durch grosse initialen bezeichnet, daselbst
vorhanden sind. Auch K hatte keine Überschriften, da man
doch wol das stete fehlen in den vorhandenen fragmenten,
av. 24. 25. 30. 39, für die ganze hs. verallgemeinern darf. Da-
gegen ist es nicht gestattet, aus dem einzigen in das fragment
M fallenden aventiurenanfang (av. 24) zu schliessen, dass M
keine Überschriften gehabt habe. M macht an dieser stelle
auch keinen abschnitt. Wenn man erwägt, dass hs. D, die
sonst Überschriften hat, bei av. 36 und 37 weder Überschrift
noch abschnitt zeigt, und dass femer B seiner sonstigen regel
zuwider bei av. 27 (1590) keinen abschnitt macht, so kann es
ebenso zufall sein, dass M grade an dieser einen stelle Über-
schrift und abschnitt hat wegfallen lassen. Aus einem falle
ist eben keine regel zu bilden.
Die von uns aufgestellte gruppierung der hss. spiegelt
sich auch in den Überschriften wider. Freilich sind durch die
des verszwanges entbehrende form änderungen und zusätze sehr
erleichtert worden. Dass der bear heiter C* in seinem originale
die Überschriften vorfand, geht daraus hervor, dass er mit
ihnen ähnlich verfuhr, wie mit dem übrigen texte. In einer
reihe von fällen ändert C* gar nicht oder nur in unwesent-
lichen kleinigkeiten: 3. 4. 5. 8. 16. 17. 19. 20. 31. 37. 38.^)
1) YgL Lachmann, anm. zn str. 20. Bartsch, ansg. 1, xvi. v. Muth, Einl.
8. 207. Laistner s. 8 ff. — Die ayentinrenzahlen citiere ich nach der ausgäbe
Ton Bartseh, in deren lesarten anch zuerst der variantenapparat zu den
üherschriften yoUBtändig verzeichnet ist.
«) Z. b. 17: Wie Criemhili ir man klageie und wie man in bepruop C
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186 BRAUKE
Eine grosse zahl von Überschriften sind in C* umgebaut
oder erweitert, doch so, dass man noch deutlich die fassung
der ersten recension als die grundlage erkennt: 6. 9. 11. 12.
13. 14. 18. 21. 22. 25. 28. 30. 39. Charakteristisch für die
sonst bekannte art von C* ist 13, wo er die in d erhaltene
grundform Wie Sifrit mit stnem wibe ze der höchsit fuor
(= Wie si ze der hochzit fuoren Ab) durch voranstellung der
dame verhöfischt: Wie Kriemhilt mit ir man ze der hochzit
fuor Ca.!) — Endlich sind 12 Überschriften in C* ganz neu
gebildet, ohne jede anknüpfung an das original: 7. 10. 15. 23.
24. 26. 27. 29. 32. 33. 35. 36, wobei in 7. 24. 27. 33 auch die
stelle des aventiurenanfangs geändert ist. Die av. 34 hat C*
gestrichen^ wol weniger deshalb, weil er zwei mal 19 abschnitte
bekommen wollte, als vielmehr, weil av. 34 sehr kurz ist (19,
bez. 22 Strophen) und damit den umgebenden aventiuren gegen-
über (33 mit 58 Str., 35 mit 53 str., 36 mit 54 Str., 37 mit 100
Str.) zu sehr abstach. Die einzelnen hss. von C* stimmen im
ganzen vollständig überein, nur bisweilen hat a etwas geändert
oder zugesetzt (z. b. 14. 15. 17), ein zusatz in C gegen a findet
sich 27.
Die Zusammengehörigkeit der gruppe ADb* bewährt sich
auch in den Überschriften. Die hs. D nimmt freilich insofern
eine ganz eigene Stellung ein, als in ihr die Überschriften meist
ganz neu geschaffen sind, ohne rücksicht auf die vorläge.
Dass die stammhs. der gruppe aber die alten Überschriften
hatte, beweist die zu A stimmende hs. b (N + b: 32. 38),
ebenso stimmt av. 16 S mit b zu A. In dem C*-teile von Db*
(Db|*) ist gleicherweise Übereinstimmung zwischen b und C
vorhanden (2. 3. 4. 5) und av. 1 stimmt fi^agment S zu C. Die
neuschöpfungen in D erstrecken sich gleichmässig über die
teile Dbi* und Db2*. Nur in wenigen aventiuren hat D die
vorläge ganz beibehalten (5. 38), in einer reihe von fällen ist
aber D doch nur eine leichte Umformung, so dass man deutlich
= Wie CriemhiU iren man claget wnd wie er begraben wart dL, Wie Sivrit
beclaget tmd begraben wart Ab (beclaget und in b auBgefaUen). Die 0* sn
gründe liegende fassnng d wird durch L (Wie CrymhiU yren man . . .) als
die lesart der ersten recension erwiesen, ans der erst Ab entstanden sind.
^) Ganz ebenso 22: KriemhiU und Eiede C* gegenüber Etzd mü
Kriemhüt gHd. — Vgl. oben s. 109.
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HÄKBSCHRIFTENVERHÄI.TNISSE DES NIBELUNGENLIEDES. V. 187
die originalform als grundlage erkennt (3. 14. 15. 18. 20. 22. 34),
in 24 hat schon Db* die Überschrift geändert und D zeigt noch
engste verwantschaft mit b (original nach Adl: Wie Swämmel
und Werbet ir herren hotschaft würben, dagegen b: Wie Etzel
nach den Bürgenden sant und D: Wie chunic Eteel sande gein
Bürgende nach den chunigen). Alle übrigen Überschriften sind
in D ganz neu geformt, so dass man meist nur aus A und b
.die Überschriften der stammhs. ADb* erschliessen muss.
Dass der Überarbeiter C* eine hs. benutzte, die die grund-
lage unserer gruppen d* und J* geworden ist, zeigt sich auch
in den Überschriften. Schlagend bewiesen wird dies durch
av. 6, wo ADb + B den abschnitt vor 324 haben, während er
in dJ und C vor 325 sich befindet. Die lesart der Überschrift
von ADb*: Wie Günther gen (ae b) Islande fuor ist in der
grundlage von d und J erweitert zu: Wie Günther gen Islande
nach Prünhilt fuor {Wie Günther von Würmbs gen Islande
na>cfi Braunhilde für d. Wie kunc Günther na^h Brunhilt
fuor J). Und darauf beruht C: Wie sich Günther gein Islande
hin ee Brunhilt bereite, Ueberhaupt ist es die fassung d,
mit welcher die C*- Überschriften sich am nächsten berühren.
Von den 24 fällen, in denen die C*-ttberschriften sich überhaupt
auf das original gründen, kann nur einer (av. 21) nicht an d
angeknüpft werden, da d hier selbständig geändert hat. In
den übrigen beruht der C*-text auf der fassung d, welche in
den meisten fällen (3. 4. 8. 9. 12. 14. 16. 19. 20. 25. 28. 31) auch
zu der durch A und b bezeugten fassung ADb* stimmt, in
7 fällen dagegen (5. 6. 11. 13. 17. 18. 22) ist d allein der nächste
verw^ante von C*. Die av. 30. 37, 38. 39 fehlen in d, so dass
hier Ab den text d mit vertreten muss. Von fragmenten der
d-gruppe ist nur H in zwei Überschriften vertreten (22. 26),
in beiden wird dadurch eine coiTectur von d erzielt. 0
Die gruppe J* ist für die Überschriften nur wenig zu ver-
werten, weil die hs. J, ähnlich wie D, die meisten sehr frei
neu gestaltet hat Wenn man erwägt, dass das nächstverwante
») In 22 hat H (+ g) Wie Etzd mit Kriemhilde brüte, woraus C (Ra):
Wie Kriemhtlt und Eteel (s. die vorige anm.) hrütm in der stat ze Wiene,
während d noch zusetzt tmd wie lieplichen er sie enphie, — In 26 (C* anders)
hat d (und unabhängig b) das Ton HLg gebotene und durch A unterstützte
y<m Bancwarie weggelassen,
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188 BRAUNS
fragment E keine Überschriften hat nnd dass in J die ersten
5 aventiuren ebenfalls ohne Überschriften sind^O so kannte
man meinen, dass deren stammhs. überhaupt noch keine Über-
schriften gehabt, dass also hs. J ganz neu geschaffen hätte.
Doch ist das irrig. Denn das auf den ältesten zweig der
gruppe J"*" zurück gehende fragment 1 hat an den in ihm vor-
handenen aventiurenanfängen 24 und 25 die Überschriften io
Übereinstimmung mit Ab und d, während J neu gestidtet
Auch stimmt immerhin J noch in einer so grossen anzahl
von Überschriften ganz oder doch in leichten nmformiragen
mit d bez. Ab überein (6. 7. 8. 10. 13. 15. 16. 18. 20. 21, 28.
32 = 12 fälle), dass jeder zufall ausgeschlossen ist. J mnss
somit in seiner vorläge noch diese Überschriften wie d (Ab)
gefunden haben.2) In fragment K sind also die überschrien
weggelassen worden. Vielleicht hatte die quelle von JK (J/,
vgl. s. 139) mit der auslassung bei den ersten aventinren be-
gonnen und K führte die beseitigung der Überschriften wdter
durch,») während J die vorgefundenen beibehielt oder um-
bildete. Es liesse sich auch vermuten, dass J2* nor diejenigen
Überschriften beibehalten hätte, in denen J noch zu den übrigen
stimmt, während auch im innern von J,* die meisten an;^
gefallen gewesen wären, bei denen dann J selbständig eif;inzt
hätte, nachdem der Schreiber erst durch 6. 7. 8. 10 aofmerksaBi
geworden war, dass zu den grossen initialen auch übeiscbiiflen
gehörten.^) Dann hätte E seinerseits nur noch die 12 über-
0 Einteilung nnd Überschriften von J gibt ▼. d. Hagen in seiner G«nL
1, 253 ff. an.
>) Dass J selbstfindig ändernd mit der ebenfedls frei gestmltoideB fas.
D zweimal (12. 22) genau nnd zwei mal (17. 27) anklingend znsaiiaHBtnft,
ist als ein durch den Inhalt nahe gelegter zufaU zn betrachten.
') Nach den Mher allein bekannten fragmenten tob K sdiie« cl
als ob K auch die abschnitte nicht gekannt hätte. Das ist aber falsdi: bei
30 zwar (= 1755 J) hat E keine grosse initiale, wol aber bei 39 (=S63
in J gegen 2261 der übrigen) vgl. Zs. fdph. 8, 462. Und auch das mtut
fragment hat bei 24 (1362) den aventiurenanfang ansgeseieluiet, wStaad
bei 25 (1446) der anfang der Strophe weggeschnitten ist. Es ist also mr
einmal in K der initial unterlassen (wie in H bei 24, in B bei 27, ^^
oben s. 185) gegen zwei bezeichnete fäUe. Man darf also auch fOr K n^
massige aventiurenteilung annehmen, so dass es keine eiiudge ks. okK
eine solche gibt.
*) So kam dann, yielleicht durch initiale seiner Todage
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HANDSGHBIFTENVBRHXLTlflSSE DBS NIBSLUNQENLIEDES. V. 189
Schriften ( J = d) in seiner vorläge gefunden und beseitigt. —
In J sind übrigens mehrmals die aventinrenanfänge um eine
oder zwei Strophen veiTückt, nämlich bei 17. 21. 30. 34. 39.
Dass dies nicht erst in J geschehen ist, sondern schon in J^*,
der quelle von J und K, wird dadurch bewiesen, dass K (bei 39,
s. vorige s. anm.3) diese Verschiebung teilt. Während also die
urhs. J*, auf welche C* sich gründet, in den aventiurenüber-
schriften noch mit d* übereingestimmt haben muss, so ist die
den text eingreifend umgestaltende instanz J^"*" auch hinsicht-
lich der aventiurenabteilung und der weglassung bez. Um-
formung von Überschriften selbständig vorgegangen.
Wie wir gesehen haben, dass in der gmppe J* in der
stufe Jj* eine tendenz zur beseitigung der Überschriften ein-
trat, die — nach den vier belegen zu schliessen — in K voll-
ständig durchgeführt wurde, so ist es nun auch notwendig
anzunehmen, dass in B die Überschriften beseitigt worden
sind. Eine durchgehende beseitigung der Überschriften hat
auch die Überarbeitung k vorgenommen, welche zum mindesten
doch in ihrem grössten teile, der C* folgt, dieselben vorgefunden
haben muss. Wir finden in k also das Reiche verfahren wie
in B: auch in k sind die aventinrenanfänge regelmässig als
solche bezeichnet,*) die Überschriften aber weggelassen. Dass
die quelle von B die Überschriften gehabt haben muss, ist mit
notwendigkeit daraus zu folgern, dass der Wortlaut derselben
in Ab (ADb*) mit dem von d am nächsten verwant ist. Da
nun B mit ADb* gegenüber d zu demselben Überlieferungs-
zweige gehört, so ist die Übereinstimmung zwischen Ab und d
nur so zu erklären, dass sowol die stammhs. ADb* + B, als
die von d die gleichen Überschriften besass. Und es ist somit
sicher, dass schon der-archetypus aller unserer hss. die Über-
schriften gehabt haben muss.^) Die ursprüngliche fassung der
der Schreiber J dazn, auch vor 1818 eine Überschrift zu setzen QVie die
BuTffunde btdhyrdierten).
>) S. Holtzmann, Germ. 4, 336. Nur fünf anfange sind in k unbezeichnet
geblieben.
') Die bezeichnnng der abschnitte als äventture ist dagegen wol jünger.
Daa iremdwort äventture ist allerdings schon seit Hartmanns Erec in der
mhd. poesie heimisch, aber dem originale des Nibelungenliedes ist es noch
unbekannt. Erst der Überarbeiter C* hat es in einer seiner zusatzstrophen
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190 BBAü'NE
überscliriften ist sonach wesentlich aus der vergleichung von
Ab und d zu gewinnen. Nur in sehr wenigen fällen sind D
und J zu verwerten. Dagegen leisten die fragmente H (22,
26), 1 (24. 25), S (16), N (32. 38), Lg (16. 17. 21. 22. 26. 27)
sämmtlich Zeugnis für die ursprünglichen fassungen. Auch C*
gibt manchmal den ausschlag. So bietet 39 jedenfalls b (Wie
her Dietrich mit Günther und mit Hagen streit) das ursprüng-
liche nach C* (Wie her Dietrich Günthern und Hagenen he-
twanc), während A (Wie Günther und Kriemhilt und Hagen
wurden erslagen) ebenso wie D und J verachieden geändert
haben. Auch 30 dürfte b (Wie si släfen giengen) nach aus-
weis von C* das echte haben, während A, D und J (jede in
ganz verschiedenem Wortlaut) das nahe liegende motiv der
schildwache Hagens und Volkers zum inhalt der Überschrift
gemacht haben. Ueberhaupt hat A (a), seiner sonstigen art ent-
sprechend, noch mehrmals frei geändert. So wird 23 (gegen
Wie Kr, ir leit gedäht ge rechen A) das echte nach bd un-
gefähr sein: Wie Kriemhilt erwarb, dae ir bruoder euo der
hochzit kömen, wozu D, J und C* wenigstens dem motive nach
stimmen. Aehnlich'28 und ganz evident 29, wo A nur ein
verstümmeltes Von Budigers bietet gegenüber bgd wie $i se
Becheläre körnen. — Bei einigen aventiuren dürfte die ent-
scheidung über den ursprünglichen Wortlaut zweifelhaft bleiben,
da die Überlieferung zu sehr auseinander geht. So kann 33
das echte motiv der Überschrift entweder in Ab oder in DJCa
vorliegen, da d hier nicht den ausschlag gibt. Auch 35 ist
Wie Irinc erslagen wart nur als Wortlaut von ADb* festzu-
stellen, da alle übrigen variieren. Und 36 kann entweder A
das echte haben, wo dann freilich erst Laclimanns vereiten
sinn geben würde, oder man kann A als jüngere änderung
betrachten und auf grund von b und d etwa herstellen Wie
diu künegin den sal oh in brennen hiez (wie der sal ob in pran b,
(nach 334 = Z. 52, 1) angebracht. Als bezeichnong für teile einer erzäh-
long (vgl. Wolfram, ed. Lachmann s. x) ist äventiure nicht froher als in
den liss. des Nibelungenliedes belegt. Aber da gerade die hss. von C*
sämmtlich diese bezeichnong haben (vgl. Bartsch, aosg. 1, xvii), wahrend
die hss. der ersten rec. sie nur teilweise zeigen, so könnte vielleicht der
Verfasser C* den ausdrock geprägt haben, welcher dann, als er üblicher
geworden war, auch von einzelnen Schreibern der ersten rec eingeführt
worden wäre.
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HAKDSCHSIFTENy£RHALTNlSSE DES NIBELUNGENLIEDES. V. 191
tvie der künig der sal ob in prennen hiesz d). Letzteres ist
doch wol vorzuziehen, zumal mhd. verdien überhaupt nur in
zwei conjecturen Lachmanns existiert i) und ob in prennen in
b und d doch wol aus der gemeinsamen quelle stammen wird.
Schon oben s. 177 anm. ist ausgeführt, dass in der ersten
recension ursprünglicher fassung, als noch nicht die umfäng-
lichen Strophenzusätze aus C* in einzelne hss. hineingekommen
waren, bei str. 20 kein aventiurenanf ang gewesen ist. In der
ursprünglichen fonn der einleitung, wie sie ihrem strophen-
bestande nach am treusten in J, sodann in d bewahrt ist,
wären die vor Strophe 20 befindlichen 8 Strophen (2. 4. 5.
6. 13. 14. 15. 18) für eine aventiure zu wenig gewesen. Die
erste aventiure des Originals gieng bis Strophe 44 und enthielt
die exposition über Kriemhild und Siegfried. Eine Überschrift
hatte dieselbe nicht. Die erste Überschrift des Originals stand
erst vor str. 45, dem beginn des ursprünglichen zweiten ab-
schnittst Wie Sivrit ze Wormze Jcom d (A) + Cb (D). Die vor
Str. 20 stehende Überschrift rührt von C* her und lautete
Aventiure von Sifride, wozu sowol C als b einen zusatz ge-
macht hat (av. von Sivride wie der erzogen wart C, av, von
Seyfrid dem starken b). Als str. 20 in der C*-fassung von
hss. der ersten recension entlehnt wurde, hat auch A die Über-
schrift von Sivride mit entlehnt, ebenso wol die quelle von B,
da unsere hs. B hier einen aventiurenanf ang durch grossen
initial bezeichnet.
Als gegenstück zu äv. von Sivride hat C* vor str. 1 ge-
setzt aventiure von den Nibelungen (CS), womit sicher die in
der von C* zum grossen teile neu geschaffenen 1. aventiure
gegebenen aufzählung der Burgunden und ihrer helden gemeint
ist.2) In der originalrecension fehlte am anfange des gedichts
jede Überschrift. Allein d hat Ditz puech heysset Chrimhilt,
was einen wol erst sehr jungen titel des ganzen vorstellen
soll Analog hat D statt der C*- Überschrift seiner vorläge
eingesetzt dctz ist das buch CJ^reimhilden. Möglicherweise liegt
>) Ausser unserer steUe noch Walther 124, 10, wo andere heransgeber
nach J. Grimm das bereitet der hs. beibehalten. Vgl. Wilmanns, V^alther '
js. steUe.
*) So y. Math s. 208 gegen Zamcke, der diese Überschrift auf das ganze
gedieht beziehen mCchte.
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192 BRAUNE
hier zufälliges zusammentreffen vor, doch ist auch entlehnung
am anfange des gedichts von einer von beiden selten möglich,
wie dies Laistner s. 9 annimmt und des weiteren zu erklären
versucht.
Cap. VI.
Abschlags.
Auf grund der vorstehenden erörterungen glaube ich die
Verzweigung der Überlieferung unseres Nibelungenliedes durch
folgenden Stammbaum darstellen zu können, bei dem aber nur
die hauptklassen zur anschauung kommen, während die weitere
Spaltung bis zu den einzelnen hss. und fragmenten hinab an
fi'üheren stellen nachgewiesen ist.
y
z
ADb*
B
d*
2l
A Db*
J*
i-
In diesem Stammbaume bezeichnet x den archetypus,
welcher mit dem originale nicht identisch gewesen sein kann,
schon um deswegen nicht, weil letzteres die Klage noch nicht
mit enthalten hat, während sie dem archetypus unserer hss.
schon angehängt gewesen sein muss. Dieser archetypus kann
und wird, wie jede abschrift, einige fehler enthalten haben.
Und in der tat müssen wir bei unserer beurteilung des hand-
schriftenverhältnisses eine anzahl fehler in x annehmen, welche
weiter unten zusammengestellt werden.
Auf den archetypus x gehen nun zwei grundhss. zurück,
von denen die eine y die quelle von ADb* sowol wie von B(ki)
geworden ist Dieselbe blieb in Strophenzahl und lesarten der
hs. X im wesentlichen getreu, nur dass wie zu erwarten eine
anzahl fehler oder geringfügige änderungen hinzutraten. Die
andere grundhs., welche mit z bezeichnet ist, hat den mann
zum ui'heber, welcher zuletzt die Umarbeitung C* verfasste.
In seiner ersten copie des Nibelungenliedes setzte er die plus-
strophen unseres textes Jd* zu, die lesarten änderte er hier
nur erst geringfügig. Aus dieser ist die gruppe d* geflossen.
Eine zweite copie desselben autors Zj wurde die grundlage
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HAKDSCHRITTENyERHALTNlSSE DBS KIBELüNQENLIEDES. VL 193
unserer gruppe J*. Sie wurde aber auch die basis, auf welche
er nach längerer beschäftigung mit dem gedichte seine voll-
ständige Umarbeitung, die recension C*, gründete. Die grund-
hs. Zi ist also die, welche wir in cap. IV (vgl. oben s. 139), als
J* bezeichnet haben, d.h. eine hs., welche zwar die unserer
gruppe J* mit C* gemeinschaftlichen lesarten hatte, im übrigen
aber nicht wesentlich von dem grundtexte abwich und ins^
besondere noch nichts von den vielen unserer hs. J und den
ihr näher stehenden fragmenten Q und E eigentümlichen ände-
rungen aufwies.
Aus dieser gruppierung der hss. ergibt sich für die kritische
herstellung des archetypus x die folge, dass die echte lesart
sowol in y als auch in z erhalten sein kann. Nur wird man
im z weif elsf alle dem texte y den vorrang zugestehen, da z
doch schon änderungen in der richtung nach C* hin aufweist
und durch die Strophenzusätze sich weiter von x entfernt. Ist
dagegen der text y schlechter als der von z oder gar direct
fehlerhaft, so wird in der regel z die lesart von x bewahrt
haben. Doch ist die möglichkeit dabei nicht ausgeschlossen,
dass der fehler schon in x lag und von z verbessert wurde.
— Wenn die beiden zweige von y auseinander gehen, so ist
der echte text y der, zu welchem z stimmt. Da nach cap.n
der text ADb"^ mannigfache änderungen hat, so stellt sich die
Sache meist so, dass B zusammen mit z gegen ADb* beweist.
Fehler in B werden andererseits durch Übereinstimmung von
ADb* mit z erwiesen. Vom texte z ist die gruppe d* dem
Urtexte am nächsten geblieben, und die aus einer guten alten
quelle stammende junge hs. d gewinnt dadurch erhöhte be-
deutung. Bisweilen wird allein durch B und d der alte text
bezeugt, wo C* umgearbeitet ist und unsere hs. J ihre jüngeren
Umformungen zeigt. Hätten wir von J* noch einen echteren
Vertreter, wie z. b. die hs., aus der die fragmente 1 abstammen,
so würde diese meist mit d zusammen stinmien. So müssen
wir uns in vielen fällen allein mit d als Vertreter von z be-
helfen, was wegen des jungen Charakters von d freilich oft
sein misliches hat.^) Die lesarten von Zi (J + C) können sonach
1) So hat z. b. in der bekannten stelle 1494, 1, die m B lautet: auch
was der sähe verge nnUich gehit, d in seiner vorläge noch das entsprechende
Beitrage lur geschichte der deutschen spräche. XXV. 13
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194 BBACKE
gegen eine ttbereinstimmmig von d* mit y niemals die lesart
von X bewahren. Es gibt nun aber einige wenige fälle, in
welchen y + d* etwas fehlerhaftes haben, während J + C eine
correctere lesart bieten. Das mflssen dann fehler von x sein,
die im Stadium Zi corrigiert worden sind. Ebensowenig kann
C* allein gegen y + d* + J* eine lesart von x bewahren: auch
hier gibt es einige fälle, in denen erst G* einen fehler von x
emendiert hat Andererseits kann auch die hs. A allein nie
den anspruch machen, das echte zu bewahren: ihr kritischer
wert besteht nur darin, dass sie die lesart der quelle ADb*
erschliessen hilft, welche dann der lesart B gleichgeordnet zur
Seite steht. Die von Zamcke (Nl. s. xxi) gehegte auffassong,
dass die vorläge von A wol alle hss. der gemeinen lesart an
wert übertroffen haben möge, lässt sich also nicht aufrecht
erhalten. Auch eine Übereinstimmung von A mit C*, die Bartsch
gefanden, aber das ttberlieferte ich wayss der selbe sdUfman newHdk ge-
schieht ist sehr corrampiert. Die übrigen hss. haben müdkh ge9ä statt
niidich gehit, welches Lachmann mit recht in seinen tezt gesetit hat Wir
müssen hier annehmen, dass sowol ADb"^ wie Zi (l^^ J und C fehlen) die
gleiche coigectnr gemacht haben. Sie hatten dazn alle yeranlassnng, denn
gehien in der bedentnng * heiraten* ist nur im 11. 12. jh. noch lebendig. Die
spätesten belege (in der participialform gehit) sind ans Iwein (zweimal) und
einmal ans Wigalois 6075 (A aasgekratzt! in B daraas gevrU gemacbt).
Das wort ist mit dem anfang des 13.jh.'s ans dem edeln gebrauche yer-
schwanden and hat obscöne bedeatang angenommen, vgl. Hildebrand, DWb.
4, 2341 ff. s. T. geheien. Schon in dem Ton Pfeiffer, Zs. fda. 7, 343 heraus-
gegebenen beispiele ist gehit in sinnlicher bedeatang gebraucht. Es ist
also klar, weshalb zwei verschiedene stellen hier zur ooigectur gegriffen
haben, obwol diese coi\jectar einen reim prodaderte (gesä : gU)^ wie er sonst
im Nibelungenliede nicht vorkommt, denn » auf % war für den wol schon
ei sprechenden dichter als reim unmöglich (die vorkommenden -rieh und
-rieh, 'lieh und -lieh, in and in sind sprachliche nebenformen). Auch d hat
das sachlich anmöglich gewordene gehit auf angeschickte weise fortgebracht,
aber doch newlieh stehen lassen, für das natürlich die von Simrock, Walther
s. 175 angenommene bedeatang 'habgierig' abzuweisen ist (vgl. auch Lexer
s. V.), da an der ursprünglichkeit von gehit nicht zu zweifeln ist: meht nur
wegen der piörekssaga — denn welcher Schreiber des 13. jh.'s h&tte mue-
lich gesit in das ganz anstössige niulich gehit ändern können? Das wort
gehit ist ein sprechender beweis für das hohe alter der lesart. — Dass
beide emendatoren durch niulich grade auf mMkh geführt wurden, kann
dadurch veranlasst sein, dass dieses wort kuiz vorher (1483,2 und 1486,2)
zweimal stand.
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HANDSCHRIFTENVBRHIlTNIBSE DBS NIBELUNQENLIBDE8. yi.A. 195
seinem princip nach ebenso wie die von D mit C* ffir die
herstellong seüies B*-textes massgebend sein lässt, kann nur
auf Zufall berohen nnd nie den text x gegenüber den übrigen
bieten«
Diesen allgemeinen ausfühmngen lassen wir nun eine be-
sprechnng einzelner stellen folgen, welche das gesagte ergänzen
und bellen sollen , soweit dies nicht schon duich das in den
früheren c^piteln enthaltene material geschehen ist. Zugleich
werden auch noch eioige fälle zu besprechen sein, welche sich
dem angenommenen handschrifteaverhältnisse nicht zu fügen
scheinen.
A) Zunächst überblicken wir diejenigen fälle, in denen ein
fehler in y yorzuliegen scheint, während z etwas richtiges
bietet, welches wir dann als lesart des Originals x betrachten
dürfen, so weit nicht etwa in einzelnen fällen hier ein fehler
von X durch z corrigieil; worden isiA)
1) Vgl. hierzu Paul, Beitr. 3, 469 ff., Ton dessen material aber manches
in Wegfall kommt , da nicht alles angefahrte als fehler in y betrachtet
werden kann. 323,2 ist nu AB ganz correct, das Panl besser gefallende
tm in z braucht deshalb nicht das echte zn sein. — 417, 3 ist toä nu j
(= wie nu z) nicht zu beanstanden, es heisst 'wie steht es nun', in freierer
Verwendung des localen wä. Im Nl. ist ein zweiter beleg nicht vorhanden,
1222, 1 ist in G* wd nu ans dem rein localen wä sint nu geändert, aber
21d4, 4 braucht Db das wä nu anch im übertragenen sinne (wä nu ffuoten
recken? Db == owe ir guoten helde). — 472, 4 ist vorhten z entschieden
verständlicher als werken y: aber ob letzteres geradezu ein fehler ist, fragt
sich. — Auch 1035, 1 \Bt se tat den Bin z besser als an den Bin y, doch
wird wol auch hier kein fehler von y, sondern ein weniger prftciser aus-
druck von x vorliegen, den z sachgemftss verbessert hat. Die meinung
von X wird gewesen sein, dass sie über den Bhein setzen und am rechten
ufer reiten. — 1048,3 ist die lesart von y am besten in B gewahrt: ob
Wim ir an gewinnen, das m geht auf Nibekmges hart. Obgleich derselbe
1047, 3 dem reimbedttr&iis zu liebe ausnahmsweise NibelungeB galt genannt
ist, hatte der dichter trotzdem den feststehenden namen im sinne und bezog
in auf hart. Die vermengung des Wunsches nach Versöhnung mit dem nach
dem schätze ist im munde Günthers gewis echt, das dcuf in allen hss. von
y weist darauf hin: z hat freilich den gedanken verbessert durch uns statt
dag, aber ursprünglicher ist das andere, dessen nicht einwandsfreie logik
auch von Db zu verwischen gesucht wird. — Auch 1304, 4 wird BSiedgSr y
= der künec z wol auf x zurückgehen (vgl. oben s. 149). — Weitere steUen,
an denen ich nicht mit Paul fehler in y annehme, sind 719, 4. 1140, 2 (vgl.
13*
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196 BBAUKB
177, 1 die AB fdiler = der z (i fehlerhaft den)j vgl. Paul
s. 482. — 194, 4c iu AB offenbarer fehler (auf tr v. 8 bezogen,
also ganz ähnlich wie ADb* 303, 1, s. oben s. 43) == w z. —
246, 2 von AB (sinnlos) = und z. In diesen drei stellen fehlt
noch Dbj*, so dass AB allein y vertreten. — 564, 1 si komm
y (AbB, von D in quam si gebessert) = si kam z. — 1234, 2
gemalet BADbg = genagelt z, vgl. Paul s. 473. — 1236, 2 berge
AbgB = herberge Hd J.Ca, auch D hat den fehler richtig ver-
bessert; vgl. 857,4 wo L den gleichen fehler wie hier y be-
gangen hat. — 1262,4 in dost lant y (AB: Dbg bessern ver-
schieden) = indasf Etzden lant z, vgl Paul s. 473.*) — 1288, 2
ich y, doch wol fehler statt iuch z, vgl. Paul a. a. o. — 1308, 4
dem y = vroun z (vgl hierttber oben s. 41). — 1319, 8 Eüxln y,
offenbarer fehler für Hekhen z. — 1323, 3 Statt der und
gruoetes z hat y falsch beziehend die und gruosftens (von Db
in gruosfte gebessert) eingesetzt — 1334, 2 Giselhire y = 6ri*ii-
there und 1356, 1 Büedeger j = der Jcünec z sind oben s. 62
besprochen. — 1445, 4 weinen y fehlerhaft für toünne z, s.
hierüber oben s. 153. — 1495, 2 dannen j = da nennen z,
s. oben s. 61 f. — 1537, 3 schar j = s6r Zy vgl. oben s. 53 1 —
1701, 3 ir muot y = ir höhen muot z, vgl. Paul s. 474,^) —
oben 8. 135). 1258, 2. 1313, 4. Ueber 282, 2 s. oben s. 60. — Schon tob
Lacbmann ist 1217, 1 das in ADbgB stehende den mit dJC* gestrichen.
Aber ich möchte doch ablehnen, hierin einen zusats yon y zn sehen. Denn
sachlich ist das den dnrchans nötig. Lachmann (anm.) fasst in der von
ihm gebilligten lesart z des küneges aHuzzd zusammen: aber es ist doch die
'kammer' der Eriemhild, um die sichs hier handelt, zn der diese den
Schlüssel hatte. Piper zieht richtig des huneges zn mit gewdU: 'im anftng
nnd kraft der macht Günthers* hat Gemot den schlfissel ergrüfen. Aber
dann darf der artikel nicht fehlen. Wir werden für x den überladenen
takt küneges den zugeben müssen.
^) 1269, 4 der riehen küneginne sider C. JHd. + g. Statt rid^en haben
edeln Db, sehcenen A, fehlt Ba. Hier könnte man für y anslassong veiv
mnten. Doch ist es weit wahrscheinlicher, dass g die lesart von y vertritt
nnd Db wie A die epitheta vertauscht haben. Die auslassung f&Ut dann
nur B zu, die hierin ebenso zufi&llig mit a zusammentrifft wie A 2144,2
(s. unten s. 204).
*) Nicht mit Sicherheit ISsst sich hierher setzen 1713, 3 ich weme »
die liehUn brünne drunder tragen y = ich warne si under siden die Udtten
brünne treten z (vesten Ca, aber k 1803 beweist auch für C* Uekten als
das ursprüngliche). Vgl. hierzu Paul s.474f. Dass d die zeile nmindert
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HAND8CHRIFTENVERHÄLTNI88E DES NIBELUNQBNLIEDES. VI. B. 197
1994; 3 üf Häwartes z, ausgelassen in y, vgl. oben s. 48. —
2087, 4 6a< y (ABb), offenbarer auch von Lachmann und Bartsch
beseitigter fehler statt hräht z (vgl. 2117, 3). Dass D hier
richtig hräht gegen bat b (= Db*) hergestellt hat, ist bei dem
fiberlegsamen Schreiber dieser hs. nicht auffällig. — 2203,3
stark y = starken z, vgl. oben s. 62.
Die hier angezählten 20 stellen, in denen wir wol fehler
von y annehmen dürfen, gehen weder an zahl noch an qualität
über dasjenige hinaus, was in einer guten alten hs. an fehlem
mit notwendigkeit zu erwarten ist Es sind sämmtlich nur
auslassungen oder vertauschungen und verschreibungen ein-
zelner Wörter.^ Wir dürfen also in der stammhs. eine getreue
widergabe des Originals x sehen, welche grossere änderungen
nicht aufzuweisen hat. Der umstand, dass 11' von diesen 20
fehlem auf str. 1200 — 1500 fallen, ist wol zu beachten: der
Schreiber von y ist in dieser partie am wenigsten sorgfältig
gewesen.
B) Wir stellen nun diejenigen fälle zusammen, in welchen
wir fehler der urhs. x erschliessen müssen, a) Fehler von x,
die in y und in d* vorliegen, in J* und C* dagegen nicht: sie
sind also von Zi verbessert worden« 37, 1 aöch man ABd =
goch man dan JC* (Lachmann, Bartsch), vgl. Paul s. 482. —
216,4 betwungen ABd = ertwungen JC*, vgl. Paul s. 482. —
1124, 1 die giengen da man sack ADbB + d. In x ist ^' nach
man ausgefallen, vgl. Bartsch, Unterss. s. 68. Die Verbesserung
von Zi ist am richtigsten in Ca erhalten k&men da man si
sack, während J daraus geändert hat man gen in kamen sack,'^)
Lachmanns conjectur dringen dar man sack ist zu gewaltsam,
abgesehen von der auffälligen Stellung des man (Holtzmann,
(ich ioasne wa für 8% den Jiechten prünne tragen) kann möglicherweise darauf
hindeuten, dass schon in z die unklare ausdrucksweise von y vorgelegen
habe, die auch in z beibehalten und erst in Zi gebessert worden sei. Doch
kann die Snderung Ton d auch zuföllig und fehler von y anzunehmen sein.
Ertlich hat y sonst nie so starke änderungen des ursprünglichen, wie dies
hier der faU sein würde.
1) Nicht mitgerechnet ist die nur möglicherweise schon y zuzuweisende
auslassung von 491, 4— 491a, 3 Tgl. oben s. 156 anm.
*) Doch ist TieUeicht die Änderung von J unabhängig vom Wortlaute
C* und die queUe J* hat noch wie d* den fehler von x bewahrt. Dann
wfirde unsere steUe unter b) gehören.
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198 BRAUNE
Germ. 7, 212). — 1150, 1 Bae ich dag wol hekmne. Das asweite
dass steht in y (D hat es ausgelassen) nnd in d. Lachmann
liest mit JG statt dessen d&, — 1233, 3. In x war der erste
halbvers ausgefallen, welchen Z] im wesentlichen gewis richtig
als die snellen Bürgenden ergänzt hat. Ygl. hierftber oben s. 135
n. 136 f. und Paul s. 473. Die hs. y hat die in d* am correc-
testen erhaltene zweite halbzeile von RüedegSres man erweitert
durch hinzufttgung von des nuxrcgräven (ADbgB). Die so ent-
standene immer noch ungenügende zeile von Büedegeres des
marcgräven man ist in B erhalten: auch die quelle von ADbg*
hatte sie noch: in den einzelnen hss. werden dann ungenflgende
versuche, yers und sinn zu bessern, unternommen. — 14142
allen geben y + d (falsche caesur), vgl. oben s. 103 1 — 1713, 2,
s. oben s. 196 anm. 2, ist wahrscheinlich hierher zu setzen.^)
b) Einige fehler von x sind erst in C* verbessert worden.
Vom Standpunkte Holtzmann-Zamckes waren diese stellen
beweis der ursprünglichkeit von C*, und auch Bartsch könnt«
die correcten lesarten in C* seinem originale zuweisen. Wir
können darin nur besserungen von C* erkennen, die nicht in
allen fällen das eigentlich ursprüngliche getrotten haben
müssen. Natürlich kommen hier bei weitem nicht alle stellen
in betracht, welche seiner zeit die Verteidiger von C* in ihrem
sinne ausbeuteten. Es ist von vornherein zuzugeben, dass C*
in so manchen fällen eine nicht ganz klare oder in iliren be-
ziehungen mehrdeutige ausdrucksweise seines Originals mehr
oder weniger geschickt zum besseren gewendet hat, ohne dass
deshalb das original als fehlerhaft bezeichnet werden darf.
Als fehler des Originals können nur etwa folgende angesehen
werden: 854,3 Waskenwälde = OtenwaUe C*. Es kommt
hier nicht in frage, wie man die genesis dieses fehlers in x
erklären will, ob als versehen des Schreibers des archetypus,
oder aus der Vorgeschichte des textes. Jedenfalls ist die stelle
vom Standpunkte unseres liedes in seiner vorliegenden fassung
fehlerhaft, da die läge von Worms auf dem linken Rheinufer
überall vorausgesetzt wird. — 1272, 3 Zei^enmüre AgBHdJ =
Treisenmüre C* und 1276, 1 Zdzenmüre ADbgBHdJ = Treisen-
^) Dagegen liegt 1452, 2 (Paul s. 482) kein fehler in x yor, ygl. oben
s. 98 anm. 1.
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HAl!a>8CHBIFTENyERHiLTNI8SEI>ESKIBELX7NQENLIEDES. VLB. 199
fUMT^ C*. In der ersten stelle hat D durch corrector Treisen-
mure wider hergestellt, das hrisem mure in b ist eine entstel-
longy die an sich aus beiden entstanden sein kann. Deshalb
ist die möglichkeit da, dass nicht D, sondern Db*^ die correctur
angebracht hat Dass nur die erste stelle von D (Db*) corri-
giert wnrde, begreift sich, da nur hier wegen des daneben
stehenden Treisem für einen halbwegs ortskundigen der fehler
auf den ersten blick in die äugen sprang. Die zweite stelle,
am anfang der folgenden aventiure, musste sich nur einem
den Zusammenhang genauer erwägenden als falsch ergeben.
Ein solcher war D (Db*) nicht, wol aber C*, welcher beide
correct besserte. Auf welchem wege an beiden stellen der
fehler in x entstanden ist, entzieht sich jeder plausiblen Ver-
mutung. — 1918, 1 ist Mine ADbB.J (d fehlt) evident von C*
in Beme verbessert worden. — Dagegen haben wir es 32, 4
da er die Jiöckeit wolde hän C* mit einer änderung zu tun, die
sicher nicht das ursprungliche herstellt. Als lesart von x
(und yz) ist da sin sun Sivrit [tvol\ ritters namen gewan Bd
zu betrachten, welche in A zu d£ Sivrit ritters namen gewan,
in J zu da sin sun ritters namen getoan vereinfacht wurde.
Der (nach ausweis von d) in z beibehaltene überladene halb-
vers von x gab wol auch C* den anlass zur Umänderung. —
Auch 1549,4 hat C* mit vollen gegenüber dem striten ADbBdJK
wol nur eine hübsche conjectur gemacht. Lachmann conjicierte
strüchen, dem Bartsch gefolgt ist. Dass striten falsch sei, ist
allgemeine annähme. Ich mochte dem gegenüber zur ei*wägung
stellen, ob nicht striten in prägnanter anwendung hier doch
haltbar wäre, so gut wie 1551, 4 daß in wart striten kunt getan,
welche ganz analoge wendung von C auch — aber auf andere
weise — beseitigt worden ist. — 677, 1 hat x wol das den
vers fiberladende Günther zugesetzt, welches in ADbB.d J steht.
Die zufugung des namens nach der hünic konnte leicht ein-
treten (vgl. zu 613, 4 oben s. 59, zu 1111, 1 oben s. 43, femer vgl.
820, 4 B, 1099, 1 D). Bartsch streicht Günther mit recht, wäh-
rend C* anders bessert. Vgl. Germ. 7, 204. Konr. Hofmann s. 88.
c) Endlich sind noch fünf fehler von x aufzuführen, welche
auch dem scharfeinne von C* entgangen sind. 857, 1 Welt ir
niht nemen einen? ADbLBJd == Bedürfet ir niht eines? C*. Der
fehler des Originals ist hier von keinem der alten Schreiber
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200 BRAUNE
erkannt. Lachmann conjicierte Welt ir niht niwan eineti^ ein-
facher wol im anschlüss an Zamcke Welt ir niht tcan einen?
wie auch Bartsch in seinen text setzt — 1461, 4 haben alle
hss. daz herze nieman sanfte tuot Das original hatte niemer^
wie schon Lachmann herstellte, in x wnrde dafür nieman ge-
schrieben, indem statt des datiy heree fälschlich daz herze als
snbject zusammengefasst und als 'diese gernfttsyerfassang' ver-
standen wurde. Diese ungewöhnliche übertragene anwendung
von herze muss aber doch keinem der Schreiber, und auch nicht
dem umdichter C* auffällig erschienen sein. — Auch 208, 3
ist sicher mit Zamcke (vgl. Germ. 13, 452) niht statt des u>ol
aller hss. zu setzen. So auch Wilmanns, GGA. 1898, 28, der
aber fälschlich meint, dass niht in C* stehe. — 277,3 ist
ebenso mit Zamcke muoter für mäge aller hss. (nur in Db
richtig gebessert, vgl oben s. 6) zu conjicieren; vgl Germ.
13, 454 ff.
Ein weiterer fehler von i ist aber wol auch 973, 1 mit
üf erbunden Schilden in was ze strite not. Diese sachlich un-
klare stelle steht so in AB und in d: sie wird dadurch dem
archetypus vindiciert. Die übrigen hss. Db.JCa ändern (selb-
ständig Db* und Zi) das ihnen unverständliche erbunden in
erbilrten. Und dieser lesart geben die neueren meist den
Vorzug. ») Aber mit üf erhärten schUden ist ebenfalls sachlich
unpassend. Denn das emporheben der Schilde konnte wol im
kämpfe selbst vorkommen,^) nicht aber war es ein zeichen der
Vorbereitung zum kämpfe. Da nahm man zunächst nur den
Schild an die hant, vgl. die bel^e bei Härtung s.435. Und
nur um kampfvorbereitung handelt es sich an unserer stelle.
Siegmunds mannen wollen kämpfen. Sie 'waffnen sich', d. h.
1) Vgl. Bartsch, Unterss. s. 196. Lexer s. y. erbinden. Härtung, Alt
8.434.
*) Aber auch da war dafür nicht erbüm das gewöhnliche verborn (ygL
Nl. 1875, 3 den schilt er rüde höher). Sondern erbürn wurde recht eigent-
lich gebraucht von der angriffswaffe: man erbürte das schwert oder den
Speer, vgl. Mhd. wb. 1, 153 (auch die Stangen erbüm, den kolben erbum)
und ebenso das simplex büm Mhd.wb. und Lexer. Im NL selbst haben
wir 1866, 8 mit üf erbürten »werten und 1974, 1 statt höhe truoc den gir in
C"* hölie erburt den ger. So hat denn auch an unserer stelle der Schreiber
von D statt der durch b bezeugten lesart Db* mit üferbürten schaden dem
Sprachgebrauch entsprechender mit üferbwrten »werten geschrieben.
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HANDSCHBIPTENVERHÄLTNI88E DES NIBELUNGENLIEDES. VI. B. 201
sie legen panzer an und ergreifen die Schwerter (968, 4). Dass
sie auch die Schilde schon genommen haben, ist 969, 1 gesagt
{mit Schilden körnen dar). Es bleibt ihnen, nachdem Kriem-
hilds abmahnungen zunächst nichts helfen, nur noch übrig, die
helme aufzubinden. Dies war das letzte Stadium der kampf-
bereitschaft: erst nachdem man die Schilde an der hand hatte,
band man den heim auf.i) Und deshalb meine ich, dass die
4>riginallesart nur gewesen sein kann mit üf erbunden keimen.
Im Nibelungenliede selbst haben wir dieselbe reihenfolge 1472:
Hr tccts tool getoäfent den schilt er dannen truoc, sinen heim
üfgebunden. Vgl. femer 1535, 1 den heim er üfgebant, 1541, 4
nü binden üfdie helme, 1969, 4 si truogen uf gebunden manegen
hehn guot, 2108,2 mit üfgebundem helme, 2110,3 mit üf ge-
bunden hehnen — überall als bezeichnung unmittelbarer kampf-
bereitschaft, die letzte stelle in gleichem Wortlaut wie 973, 1,
nur dass erbunden statt gebunden steht. In diesem seltenen
erbunden ist zugleich der Schlüssel dafür zu finden, dass Db'^
und Zi falsch conjiciert haben. Hätten ihre vorlagen mit üf
gebunden Schilden gehabt, so hätte gewis einer von ihnen das
nahe liegende helmen für Schilden gesetzt, ebenso wie D aus
dem erbürten seiner vorläge auf swerten verfiel. Das compo-
situm erbinden bedeutet ^vollständig festbinden', also ein verbum
perfectivum wie gebinden, nur etwas stärker. Es ist selten:
von Lexer nur noch einmal aus Jeroschin in der zur grund-
bedeutung gut stimmenden übertragenen bedeutung ^verpflichten'
belegt.^) Sachlich ist also mit üf erbunden helmen genau das-
selbe wie mit üfgebunden helmen. Demgemäss müssen wii* also
973, 1 gegen alle hss. Schilden in helmen ändern.^)
') Vgl. Hartmig 8.435. 449.
^ Der dritte beleg Lexers ist falsch, für den er die bedeutuug
*\&6eB, befreien' erschüesst. Denn bei Rud. von Rotenburg (MSH. 1, 74a =
Benecke, Beitr. s. 80) der mir der scelde erbunde ist erbunde natürlich *mi8-
g9nnte\
') Die lesart ABd sucht Piper (z. stelle) zu halten durch die erklärung
'die schildflberzüge, mit urelchen gewöhnlich die schilde bedeckt waren,
waren aufgebunden und entfernt, alles bereit, als gienge es zum kämpf*.
Aber Schildüberzüge waren im 12.ld.jh. überhaupt nichts gewöhnliches
-und wie es scheint nur bei besonders prächtigen Schilden Üblich (vgl.
Schultz, H(Sf. leben 2, 81). Sie begegnen in der literatur sehr selten. Aller-
dings grade einmal im Nl. 1640, 1, wo Nudungs kpstbarer schild an der wand
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202 BRAUNE
Wir wfirden damit fOr den archetypns x 18 fehler an-
nehmen, welche zahl durchaus dem zu erwartenden entspricht^
C) Im folgenden bespreche ich nun noch eine reihe von
stellen, welche mit unserer handschriftengruppierung nicht ohne
weiteres vereinbar erscheinen, soweit sie nicht schon in den
früheren capiteln zur erörterun^ gekommen sind.
a) Dass die hs. A gegen die Übereinstimmung der ftbrigen
eine originale lesart bewahrt habe, ist durchaus unwahrschein-
lich. Denn das würde ein zufälliges zusammentreffen so vieler
hss. in derselben änderung erfordern, wie es kaum anzunehmen
hUngty bedeckt mit einem hulft von liehtem pfeUe, Wenn man daraus ge-
schlossen hat, hulft bedeute specieli ^schildhtdle* (Schultz), so ist das un-
richtig. Htdft oder hülst heisst ganz allgemein ^ decke', ygl. Zs. fdph. 12, 81
(opertorinm sellae, quod thentonicae dicitor hulft) nnd besonders 'Sattel-
decke*. So Bit. 2309, s. auch Lexer s. y. hülst und das aus hülst entlehnte
frz. housse * Satteldecke'. Es ist deshalb Haupts von ihm selbst als unsicher
bezeichnete conjectur zu Erec 5540 (die Schultz als zweiten beleg yerwertet)
sicher falsch, auch deshalb, weil im kämpfe die schntzdecke doch beseitigt
gewesen wäre. Die von Haupt z. stelle Terglichenen mawicen der dra
Schilde Erec 2284 ff. sind doch keine decken: beim dritten befindet sich die
bnckel über der mouwe (richtig Bech z. st.). — Es ist Pipers erklftrung
für unsere stelle deshalb unhaltbar, weil einmal nicht bei s&mmtlichen
mannen Siegmunds so kostbare mit hüllen bedeckte schilde yorauszusetasen
wären und zweitens, weil eyentuell yorhanden gewesene httUen schon zu
hause gelassen worden wären, als sie die schilde (969, 1) zur kampfbereit-
Schaft ergriffen hatten.
Doch ist anzumerken, dass Nl. 1548, 1 statt der originallesart. $i
neigten über scfnlde ze Stichen nü diu sper in der hs. d steht si pannden
auf die schilde, zestachen nu diu sper, eine lesart, die schon durch ihre
form auf die junge hs. d hinweist. Was der Schreiber damit gemeint hat,
ist unsicher. Abziehen yon Schutzhüllen ist durch die Situation jeden&Us
ausgeschlossen: es könnte nur etwa ein anhängen des Schildes an den hals
gemeint sein. Das müsste aber eine ausdrucksweise sein, die auf sitten des
15. 16.jh.*8 gienge. In der älteren zeit kommt derartiges nicht yor: denn
der sdiiüvezzd brauchte doch nicht jedesmal erst unmittelbar yor dem
kämpfe geknüpft zu werden. So sucht Härtung s. 484 die lesart yon ABd
973, 1 zu deuten, zieht aber dann erburten yor.
0 Scherer (Zs. fög. 1870 = EL sehr. 1, 653 ff.) will nadi Laehnuum fehler
des archetypus auch annehmen 118,3. 284,2. 1405,4. 1737)4. 1908^2. Ich
kann mich dem nicht anschliessen. Vgl zu 284, 2 oben s. 171, zu 1405, 4
und 1737, 4 Paul, Beitr. 3, 380. Noch einige weitere steUen woUte Laoln
mann (ygl. Müllenhoff, Z. gesch. s. 98) gegen aUe hss. ändern, ohne dass dam
zwingende gründe yorlfl^^.
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HANDSCHBXFTEKVEBHIlTNISSE DESKIBELUNGENLIEDES. yi.G. 208
wftre. Es sind deshalb selbst die wenigen fälle, in denen noch
Bartsch A allein folgt, zu eliminieren. 955, 1 haben B.DbLd
dai fiberladenen zweiten halbvers ir Tcamerasre ir suU hin gän.
Bartsch schreibt hier nach A ir sult hine gän. In J ist ge-
bessert ir kamerasr sult gän, in C* man sol hin gän. Die
stelle hat in der überladenen f assnng entschieden schon in x
gestanden und ist in A — vielleicht richtig — gebessert
worden. Sie ist also wol noch unter die in B) aufgezählten
fehler von x aufzunehmen. — Dagegen beruht die von Bartsch
gebilligte lesart A 924, 2 von den herten statt von dem herzen
aller übrigen hss. sicher auf einem fehler. Sonderbarerweise
hat dieser fehler von A die kritiker irre geführt Selbst
Zamcke führt in seinen Varianten s. 895 die lesart von A auf
mit der bemerkung *vieDeicht ursprünglich'. Rieger s. 85 sagt
*das misverständnis des seltenen wertes im gem. t. ist offenbar,
seine lesart ist zwar nicht sinnlos, aber gegen die anschaulich-
keit und gegen 845, 8'. Hiervon ist richtig, dass herte (pl.)
^Schulterblätter' im mhd. ein seltenes wort ist Lexer belegt
es ausser Nl. noch aus Kaiserchron. {inemsken dinen herten)
und Biterolf 225 (ir traget . . . palme Ober hertey) Das wort
war also wol im aussterben: jedenfalls aber war es 845, 8 (dö
viel im stoischen die herte BdJ.b, do gehafte im zwischen herten C,
do viel im zwischen der herte A) den meisten unanstössig, die
originale lesaii; ist natürlich die von BdJ.b, der dativ in A ist
jedenfalls incorrect und auch von Lachmann beanstandet Nur
die jungen hss. D und a setzen hertze bez. hertzenn für herte
bez. herten (C) ein. Es wäre daher gar nicht abzusehen, wes-
halb 924, 2 statt im ragete von dem herzen Db.BdJQ.Ca nur A
mit von den herten das ursprüngliche hätte beibehalten sollen.
Es ist dies vielmehr sicher eine fehlerhafte correctur von A,
in erinnerung an die stelle 845,8, Denn der ausdruck im
ragete von den herten ist falsch: nicht 4n den Schulter-
blättern' steckte der ger (an diesen war ja S. unverwundbar):
sondern nur die stelle zwischen denselben war es, wo er ge-
troffen werden konnte.^) Diese stelle zwischen den herten hatte
>) Reichlich belegt ist an. heröar (fem. pl. der o-decl.) 'schnltern^ und
ahd. in gloasen harU scspnla Graff 4, lOS^, vgl. bes. gl. Cass. tmtar Jiartimin
=r inter scapnlas (Gl. 8, 9, 28).
*) Vgl. PiOrekss. c.847: oc lasggr milli hcaröa Siguröi wann.
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204 BRAUNE
ja Eriemhild bezeichnet, und dahin (durch dcuf hriuMe 922,2)
hatte ihn Ha^en geschossen, so dass das herz vom gere t5tlidi
getroffen wurde {dcus von der wunden spranc dae bluot im von
dem herzen 922). Deshalb kann es also 924,2 auch nur heissen
im ragete von dem herzen ein gerstange lanc. Der schiefe aus-
druck in A ist nur erklärlich, wenn ihm das richtige von dem
herzen zur grundlage gedient hat.
b) Schon oben s. 194 f. ist hervorgehoben, dass ubereinstiia-
mung von A allein mit C zuf all sein muss und auch leicht sein
kann, da beide teile stark ändern und in änderungen zusammen-
treffen können. Das ist von vornherein klar bei einem falle
wie 217, 4, wo statt des einzig richtigen von der Burgonden
hant in BJd und Db von A und C l^nt statt hant eingesetzt
ist. Dieses offenbare versehen ist so nahe liegend, dass zwei
hss. unabhängig diese nachlässigkeit begehen konnten. Es
handelt sich hier nur um die hs. C, denn der bearbeiter C*
machte solch dumme fehler nicht: er hatte noch das richtige,
wie die hier zu C* gehörigen Db erweisen. Ja auch der um-
arbeiter k hat hier Purgunder lant: man sieht, wie nahe dear
fehler liegt. — Ebenso hat 382, 1 hs. C mit A zusammen fahr-
lässig einen ruhrenden reim hergestellt, indem sie statt gän
Db.BdJ + a fälsclilich siän einsetzen, welches Lachmann be-
seitigt, Bartsch aber aufnimmt: auch hier beweist a fflr die
recension G^ Granz ähnlich ist 383 a, 2 von b fahrlässig ein
rflhrender reim eingeführt durch einsetzung des nahe liegenden
üf daz lant für uf den sant Vgl. noch 597, 4, wo C* und D
stan für gän Ab.BdJ einsetzen, hier ohne rährenden reim her-
vorzubringen. — Lehrreich ist auch 2144,2, wo A und a die
zwine degene lesen statt die hüenen degene BDNb J (d in luckeX
hs. C bietet mit die snellen degene die auf hüenen basierende
echte lesart der recension G*, während die einsetzung von
zwene für hüenen in A, für mellen in a ein durch das in der
vorhergehenden zeile stehende die zwine leicht begreiflidier
Zufall ist.^
War in diesen beispielen des Zusammentreffens von A mit
^) Ganz fthnlich treffen A und d sufäUig cnsammen, wenn de 1401, 4
statt tofjp der übrigen lip einsetzen: offenbarer auch von Lachmann ernen-
dierter fehler, zu welchem ebenfalls das Up der vorhergehenden seile den
anlasB gab.
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HANBSCHBIFTENYBRHILTNISSE DBS NIBBLUNaBNLIBDES. VI.C. 205
C (bez. a) dies schon durch die zweite hs. von C* als secundär
erwiesen, so lässt sich aber auch, wo die hss. von C* zusammen-
stimmen, das zusammentreffen mit A als jüngere änderung
entweder nachweisen, oder doch bei der durchgehenden gering-
ffigigkeit dieser yarianten leicht begreifen. Ich führe nur
einige bemerkenswertere fälle yor.^) 1431, 4 ist die auffälligere
Wortstellung hirschaft diu Etzelen yon A und C* in die ge-
wöhnliche dttt jE^^^reZen %^r^c%a/i( verändert. 1021,1 haben sowol
A als C* in Do e;fir tV der junge Giselher zur erleichterung des
Verses Giselkir gestrichen. — Ebenso ist 681, 4 Der känic hiez
mit geleite \ die boten vUzecUche bewarn BdJ.Db wol für das
etwas schwere vUeediche unter Versetzung des hiez eingetreten:
Der künic mit geleite \ hiejs die boten wol bewam AC (a fehlt
hier). — 867, 4 Daz tuot mir an dem herzen {in dem herzen
SDb.d, mfnem herzen J) we SDb.Bd.J ist innedichen von A
und Ca statt an dem herzen eingesetzt: innedichen ist ein zur
Steigerung von holt, leit, we sehr geläufiges adverbium (Bartsch,
Wb. s. 166), welches statt des specielleren ausdrucks des Ori-
ginals leicht unabhängig zwei leuten in den sinn kommen
konnte. — 855, 3 die aber hie bestän BdJ.Db: hier ist von A
und Ca unabhängig weUen eingeschoben unter Streichung von
aber: die wellen hie bestän A, die hie wellen bestän Ca: der
yers ist damit in A und C^ an die construction des vorher-
gehenden angeglichen worden. — Bemerkenswert ist auch
das annähernde zusammentreffen von A und C* in der ände-
rung 398, 2, s. oben s. 108. — Nur in ganz besonderen und
seltenen filUen wird man annehmen können, dass A und G^
das echte bewahren. Ein solcher ist 2184,2. Statt senecUcJie
ACa steht sinnedtche b, snellediche BD, sneUiche J: hier ist
leicht zu verstehen, wie D, B und J in der änderung zusammen-
treffen konnten: b mit sinnediche beweist, dass Db"*" noch
senecUche las. Den Schreibern war das wort senediche im
minnetechnischen sinne geläufig^) und schien ihnen auf die
vorliegende Situation nicht zu passen: snelledtdie war für sie
die nahe liegende änderung. — Auch 1902, 2 könnte man an-
^) Auf die oben s. 102 besprochene steUe 2016,8 a, in der A mit JC*
snfftllig snsämmentrifft, sei nochmals hingewiesen.
*) Das Nibelungenlied kennt diesen noch nicht: nur in A ist einmal
senen eingeführt, s. oben s. 107.
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200^ BRAUNE
führen (diu verchgrimmen ser). Für verdammen, welches im
NL ojrag Zsy- ist und von Lexer nnr noch ans Salman und
Morolf belegt wird (ed. Vogt 378. 756 verchgrimmen döt), steht
in Ca werchgrimmen, in A werchgrimme, in Db verdiwunden
{verwunden b), in B mortgrimmen, in J grösUchen, Aber hier
gehen die hss. so auseinander, dass die Übereinstimmung von
AG* nichts beweist, zumal von Db* verch und yon B grim
bewahrt ist.
c) Auffälliger ist es, wenn bei einem zusammentreffen von
A mit C* noch eine zweite hs. der gruppe ADb mit A geht
Die fälle sind sehr vereinzelt und wären, insofern sie eine
trennung des einheitlichen textes Db* zeigen, schon ob^
cap. n, E, 4 (s. 69 ff.) mit anzuführen gewesen. Schwieriger zu
beurteilen ist von ihnen eigentlich nur 1685, 4 er müese kiesen
den tot D.BdJ = ich riet im (ja riet ich a) immer sinen tot
ACa, ich wolt im raten den tot b. Hier ist b zwar in der form
des ausdrucks von ACa verschieden, trifft aber materiell mit
ihnen zusammen gegenüber D.BdJ. Es fragt sich nun, welche
von beiden teilen hat das originale? Haben AbCa das ur-
sprüngliche bewahrt, so müssen in der änderung kiesen den tot
nach unserer auffassung der hss. vier leute selbständig und
zufällig zusammengetroffen sein. Denn wenn C* das echte
hat, so muss dies auch noch in der quelle von d und ebenso
in der von J gestanden haben, da ja C* auf die oben s. 192
als z bezeichnete gemeinschaftliche stammhs. zurückgeht Es
muss ferner die quelle ADb* noch wie A gelesen haben und
ebenso die quelle Db* noch wie b, also ist D selbständig auf
die änderung gekommen. Und ebenso B, da ja nach ausweis
von ADb* auch die stammhs. y noch raten den tot gehabt
haben müsste. Liegt dagegen das ursprüngliche in DBdJ vor,
so muss C* mit A zufällig zusammengetroffen sein, es muss
aber auch b selbständig in gleicher richtung geändert haben,
da dann ja Db* nach ausweis von D noch kiesen gehabt hat
Es sind also in diesem falle nur drei stellen zufällig zusammen-
getroffen. Liegt somit schon zaUenmässig der letztere fall
näher, so lässt sich nun aber auch aus inneren gründen wahr-
scheinlich machen, dass C*, A und b geändert haben. Die
Verbindung den tot kiesen zeigt eine poetische übertragene
anwendung der ursprünglichen concreten grundbedeutung von
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HANDSGHBIFTENVEBHXLTNISSB DESlOBELÜNGElfLIEDES. VI.C. 207
Jtiesen = ^kosten, schmecken', welche in der mhd. poesie be-
sonders der früheren zeit nicht selten begegnet, nhd. aber
ausgestorben ist, vgl Mhd. wb. 1, 824b und DWb. 5, 694. Der
Nibelnngendichtnng gehört der ansdruck an, er steht ausser
unserer stelle noch 170,4. 2005,4 und 2066,4, stets in der letzten
halbzeile angewant in der rhythmischen form Jdesen den tot
Dem bearbeiter C* ist diese gewis uralte poetische wendung*)
fremdartig: nur 170, 4 lässt er sie stehen, an den drei andern
stellen ersetzt er sie durch abstracteres. So 2005, 4 ir mUeeet
Uden den tot Ca, 2066, 4 des körnen aber die degene in vil
angestliche not Ca (statt des muose maneger schiere von in
kiesen den tot). Wir werden also auch fflr 1685, 4 annehmen
dfirfen, dass es C* ist, der durch ich riete im immer stnen tot
das ursprfingliche kiesen den tot ersetzt hat. Nun haben wir
oben in cap.m an vielen beispielen gesehen, dass A in der
tendenz seiner modernisierenden änderungen sich mit C* be-
rührt, nur sind der fälle selbst in A weniger, da A überhaupt
weniger ändert als C* So werden wir denn auch schliessen
können, dass A an unserer stelle sich zufällig mit C* ändernd
berührt hat: dass A auf den gleichen Wortlaut yerflel, wird
man begreifen: wenn man den Vordersatz erwägt, so ist der
von A und G^ gewählte nachsatz wirklich das nächstliegende.
Ebenso wie C'*' und A stand aber auch der Schreiber von b
dem alten bilde fremd gegenüber^): er hat schon 170, 4 statt
{da/rumbe muosen degene) sider kiesen den tot geändert in
von vrem streite ligen tot So hat er denn auch an unserer
steUe den ausdruck beseitigt, unabhängig von A und in anderem
Wortlaut, aber in dem nahe liegenden gedanken mit A und G*
zusammentreffend.
An einer zweiten stelle 299, 4 si was ee ougenweide ma-
negem recken gehom AbC müssen wir dagegen dieser lesart
die echtheit zuerkennen und annehmen, dass BdJ geändert
>) Vgl. aus der ags. dichtong für ^sterben': neöbed ciosan Ph(Bn.553,
wcdrcesU e. Qen. 1643. Byrhtn. 113, Idölic kgerbed c. Seel. 158.
*) Alfi paraUele ist die stelle 1784, 3 interessant, wo b ans der gleichen
geistesrichtnng heraus unabhängig gleichlautend mit C'*' statt des kernigeren
ausdmcks schächen das farblose schaden einsetzt. Vgl. dazu Zamcke in
den anm. seiner ausgäbe s. 398 f., der jedoch in seinen text schächen auf-
genommen hat.
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208 BRAÜNB
haben, welche erkom statt gebom einsetzen, wozu noch D mit
ü£ erkom tritt, so dass hier in der tat vier stellen in der-
selben weise ändern. Aber hier ist gebom der eigenartigere
ausdruck, in welchem kaum drei leute hätten zusammentreffen
können, während dem zusammenhange nach jeder leser erkom
im reime auf verlorn erwarten musste. Hier vertritt also b
die lesart Db* und erst D ist mit seinem Ü0 erkom auf die-
selbe fährte geraten, die schon vorher B, d und J gegang^i
waren. — Aenderung in vier stellen liegt auch vor 934,1
Jane weia ich wass ir Meit AbJa, wo D, B, d und C er statt *r
eingesetzt haben, widersinnig, aber fär fahrlässige Schreiber
im anschluss an die vorhergehenden worte Siegfrieds leicht
möglich. Der bearbeiter G* war natürlich dazu nicht fähig,
dessen fassung bewahrt hier a, nur die hs. C hat hier die
fahrlässigkeit begangen, ebenso wie D gegenüber der durch
Ab vertretenen gruppe ADb*. — Kaum zu entscheiden ist
dagegen 2107,2, wo ebenfalls nicht nur Db, sondern auch Ca
auseinander gehen, indem die (fehlt a) Büedegeres man DB Ja
und des marcgräven man Ab.C sich gegenüberstehen. Die zu-
falle stehen hier wider im Verhältnis 4 : 3 und danach könnte
man sich für DBJa zu entscheiden geneigt sein, zumal der
zweimal hintereinander stehende name Büdiger für A, b, C
anlass gewesen sein könnte, das appellativum dafür einzusetzen.
d) Einfacher liegt es, wenn alle drei hss. der gruppe ADb*
zusammen stimmen und zu diesen noch eine weitere unverwante
hs. tritt. Einzelne von solchen stellen sind schon früher be-
sprochen und durch zufälliges zusammentreffen erklärt worden.
So die fälle der Übereinstimmung von ADb mit Jl 1310, 3.
1379, 3. 1488, 4 (vgl. oben s. 152. 154), mit d 1243, 4 (oben s. 56),
mit C* 1147,3 (oben s. 104).
Einige bisher unbesprochene stellen sollen hier noch auf-
gezählt werden. Wenn ADb allein mit d, mit J oder mit C*
stimmt, während B mit JC* bez. dC* oder dJ dieselbe lesart
hat, so ist die läge die, dass auf einer von beiden Seiten zu-
sammentreffen angenommen werden muss. Und zwar wären
das auf selten von ADb* zwei stellen, auf selten von B aber
nach unserem Stammbaume drei, die sich zufällig begegnet
sein müssten. Kann man durch innere gründe wahrscheinlich
machen, dass die änderung so nahe liegend war, dass sie
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HANDSCHRIFTENVEBHALTNISSB DES NIBELUNGENLIEDES. VI.C. 209
mehreren kommen konnte, so ist es möglich, dass auf Seiten
von ADb das echte bewahrt ist. Wo keine derartigen gründe
ersichtlich sind, da wird man der zahl die entscheidung aber-
lassen und der Übereinstimmung dreier selbständigen zeugen
den Vorzug geben. So 1016, 3 bi ir starken vinden was in jse
wesen leit BdCa: hier hat ADb (mit dem zugehörigen frag-
mente L) und J da^ kben statt /se wesen. Wenn D dajg wesen
liest, so muss hier wesen secundär für leben von Db* eingetreten
sein. An dieser stelle ist ein anlass zur änderung auf keiner
Seite ersichtlich, beide lesarten sind gleich gut: man wird also
zufälliges zusammentreffen der zwei zeugen ADb* und J in
der änderung annehmen, da das zusammentreffen der drei B,
d und Ca weniger wahrscheinlich wäre. — Ebenso ist 1983, 2
wolden tccenen (maynen d) BdCa = wänden ADb + J zu be-
urteilen, da beide lesarten gleichwertig sind und ein anstoss
?ur änderung nicht zu erkennen ist. — Auch für 645,4 wird
man sich schon nach diesem princip für Sivride BdJ statt
Kriemhüde ADb + Ca entscheiden müssen. Beide lesungen
sind möglich: Siegfried und Kriemhüde wollen nach den Nieder-
landen ziehen, Hagen hat abgelehnt ihnen zu folgen: nun wird
Eckewart Eriemhilds gefolgsmann und zieht mit ihnen in ihre
heimat. Das kann sehr gut so ausgedrückt werden, dass er
Siegfried folgt, obwol er speciell der person Kriemhilds atta-
chiert ist: drei zeugen sprechen für Sivride, zwei für Kriem-
hüde. Und hier kann man doch wol auch geltend machen,
dass nach dem ganzen zusammenhange eine änderung in Kriem-
hilde so nahe lag, dass sich zwei darin begegnen konnten,
während die umgekehrte änderung auffälliger wäre.
Und für die meisten in betracht kommenden stellen lässt
sich das psychologische moment aufzeigen, welches die ände-
rung auf Seiten von ADb begreiflich erscheinen lässt. Die
abweichungen sind alle nicht bedeutender art und lassen sich
ohne weiteres auf diese weise begreifen, ohne dass die annähme
directer beziehungen zwischen den betr. hss. nötig fiele. 1987,4a
haben ADb + Ca und sluoc im siege swinde. Statt siege
swinde hat B siege grimme und diese lesart lag auch der gruppe
d (und sluoc im grimme d) und J (und sluoc in grimmeclichen J)
vor. Statt grimme konnte sehr leicht von ADb* und C*
Bdtrige xur geschichte der deutschen spräche. XXV. j^4
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210 BRAUNK
stvinde geschrieben werden, da stoinde zu siege das bei weitem
geläufigere epitheton ist. — Ganz klar ist dies bei 2083,4
unstäteltchen BCa (d fehlt hier) = js:e unstaten ADbJ. Der
ausdruck unstäteltchen honten ist mhd. überhaupt nur an dieser
stelle belegt: sehr geläufig ist dagegen das gleichbedeutende
jue unstaten körnen, welches jedem Schreiber hier einfallen
konnte. Wir haben also in unstäteltchen komen eine indivi-
duelle Wendung des Nibelungendichters, der nur an dieser
stelle den ausdruck gebraucht. — 356, 2 härmtne vederen \
dühten si unwert Bd.Ca. Statt untcert setzt J wert, ADb vil
wert, eine für oberflächliche leser begreifliche änderung, wäh-
rend die im sinne sehr gute lesart BdC^ nicht nahe lag und
unabhängig von mehreren kaum gefunden worden wäre. —
974, 4 wird ich des bewiset, ich sol im scheddtchen komen Bd.Ca.
In ADb + J ist statt des persönlichen subjects ich das un-
persönliche ejs eingesetzt, da komen in der übertragenen be-
deutung 'ausschlagen zu, bekommen' meist unpersönlich ge-
braucht wird, vgl. 2083, 4 dajg ist.,, unstäteliche komen, 1060, 1
Nu ist ez Sivrtde leider iibele komen, 2159, 1 er ist uns äbeie
komen, vgl. auch Mhd. wb. 1, 900. Persönlich dagegen auch an
der zweiten derartigen stelle des Nl. 509, 4 s6 wcere ir hohiu
minne uns ee grdisen schaden komen, wo C* schreibt s6 ist uns
ir hohiu minne harte schedeliche komen, — 1052, 1 sinen Up
Bd.Ca = stnen schoenen Itp ADbJ. In ADb und J war in
dem verse Bae ich niht vermeldst \ hete sinen Up das hete
fälschlich zum ersten halbvers gezogen, wodurch der dann zu
kurze zweite halbvers der aufbesserung bedurfte. — 1242, 2
solden si BHdCa = solden ADb.J. Die auslassung des si ent-
springt einer nahe liegenden verkennung der construction.
Zwei stellen sind diesen noch anzuschliessen, die in die
lücke von d fallen und eine Übereinstimmung von B und C
gegen ADb + J zeigen, aber so, dass auch a zu letzteren sich
stellt. Nach der äusseren läge spräche hier die Wahrschein-
lichkeit für ADb + J + &) wenn man zufälliges zusammen-
treffen der zwei hss. B und C annehmen könnte. Doch ist
hier aus inneren gründen das gegenteil richtig. B und C
bewahren das echte. 1957, 4 die houwent durch die helme, nach
swerten vliueet daz bluot BC. Hier ist das consecutive Ver-
hältnis durch zwei hauptsätze gegeben. Es lag nahe, dasselbe
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HAKDSCHSIFTENVERHALTNISSR DES NIBELUNGENLIEDES. VLC. 211
durch Unterordnung klar zu stellen und so hat ausser ADb + J
auch a hier einen dcus-^tz daraus gemacht, dessen echteste
form lautet: daz nach swertcn vliusset daz bluot DJ: in A, b
und a finden sich abweichungen im einzelnen, die entweder
(Aa) den durch zufügung des daz entstandenen zweisilbigen
auftakt wegschaffen, oder (b) die nebensatzstellung des verbs
durchführen wollen. Den umgekehrten Vorgang (weglassung
des dnz) wird man nicht annehmen wollen. — 2074,2 ob siz
noch hunden tuenden \ an den Jcünegen her BC. Statt des
plurals steht der sing. Jcünic ADb.J.a (an den künic DJ, an
dem hünic Aba). Die zeile bezieht sich aber auf die Bur-
gunden: Rüdiger will mit Dietrich versuchen, ob sie das
Schicksal der könige noch zum guten wenden können. Dietrich
aber sagt wer möht ez understän, mit derselben beziehung.
Nun ist aber unmittelbar vorher und nachher von Etzel die
rede. 2073, 3 Stcie gerne ichz nide^i wolde, der Jcünic entuot
ez niht und 2074,4 ez enwil der Jcünec Etzel nieman scheiden
lan. Da lag das misverständnis nahe, auch 2074,2 auf Etzel
zu beziehen, so dass unabhängig drei Schreiber darauf ver-
fallen konnten. Die umgekehrte änderung wäre unwahrschein-
lich, ganz abgesehen davon, dass der sinn für den plural
spricht.
Drei Instanzen treffen sich in einem fehler auch 580, 1 Ir
ritterschaft die geste bat man dbe lan BCa. Hier haben ADb,
J und d den offenbaren fehler der geste {Die riterschaft der geste
DbJ, Riterschaft der geste A), welchen auch Lachmann beseitigt
hat. Hier haben also die betreffenden Schreiber das wort ritter-
schaft misverständlich als collectivum = 'die ritter' gefasst.
— Ebenso haben wir 2046, 2 in B, d und J den sicheren
fehler si hiez statt so heiz ich ADbN.Ca. Hier entgeht mir
der anknupf ungspunkt, durch welchen drei leute auf denselben
fehler kommen konnten. Sollte hier vieDeicht fehler in x an-
zunehmen sein, der von C* und ADb* selbständig corrigiert
wurde? — Dagegen ist 1847, 1 alle mine man B.Ca = alle
die ich hän ADNb.dJ der fehler wol auf selten der minderheit
B + C*. Diese beiden haben statt der ungewöhnlichen wendung
aUe die ich hän (: gän) die zu erwartende gewöhnliche gesetzt. i)
*) Vgl. 2058, 4 in N «n streit etdiche man statt in strite ir etdtchen
14*
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212 BRAUNE
D) Nach unseren ergebnissen und den ausführungen zu dem
oben gegebenen Stammbaume s. 192 ff. ist die durch d vertretene
gruppe mit B nicht näher verwant, so dass eine Überein-
stimmung der hs. d mit B stets den wert zweier selbständigen
zeugen hat, die den zweigen y und z angehören. Nun hat
zwar Bartsch, ausg. 1, xxn engere verwantschaft zwischen B
und d behauptet. Das konnte er bei seiner mischungshypo-
these bezüglich Jd* tun. Diese hypothese ist aber unhaltbar.
Wenn man das zugibt, so ist eine nähere verwantschaft
zwischen B und d unmöglich, vielmehr sind die mehrfach
hervortretenden berührungen zwischen d* und B dadurch zu
erklären, dass d* von dem zweige z dem originale am nächsten
steht: es stimmt oft zu dem texte y, wo J* und C* weiter
abgewichen sind. Ist nun auch ADb* der eine zweig des
textes y abgewichen, so tritt bisweilen der fall ein, dass nur
in B und d das ursprüngliche bewahrt ist. Diese annähme
ist ganz ohne anstand, wenn ADb* und J*C* nicht zusammen
stimmen: hier bewahren B und d die Originallesart Solche
fälle sind uns im laufe unserer Untersuchung schon entgegen-
getreten, vgl. 1730, 4 (oben s. 28), 1725, 4 (s. 35 f.), 317, 4 (s. 47).
Es gibt nun aber auch stellen, in welchen der Übereinstimmung
von Bd eine ebenso übereinstimmende lesart ADb.JC* gegen-
übersteht. Das numerische gewicht ist nach unserem Stamm-
baume gleich. Da C* und J* auf eine gemeinsame queUe Zi
zurückgehen, stehen auf jeder seite zwei zeugen und es ist
entweder ADb* mit Zi in einer änderung zufällig zusammen-
getroffen, oder aber B und d. Das material ist kein grosses,
wenn wir von kleinigkeiten absehen, wie fehlen oder zusetzung
von wörtchen, wie vil, die etc., worin die entlegensten hss.
oft zufällig stimmen. Von den bemerkenswerteren fällen sind
es nur sehr wenige, in denen ein secundäres zusammentreffen
von B und d anzunehmen ist. Ein solches zusammentreffen,
wie wir es auch bei entfernten hss. finden, ist dann immer
durch einen äusseren anlass motiviert 28, 4 gab er ross und
gewant AJ + Db. Hier schiebt B und d guot ein zur aus-
gän (: getan) der übrigen. Und 2156, 1 schreiben D nnd h, also zwei sicher
unabhängige stellen, das geläufige eg enhmide niht gewesen statt nM ge-
wegen (: degen).
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HANDSCHBIFTENVEBHÄLTNISSE DBS NIBELUNGENLIEDES. VI.D. 213
follimg der Senkung, die hs. C ebenso auch (G* hatte nach
ausweis von Db noch das echte). — 786, 1 Brünhilt dö weinde
(praet). Hier haben B und d weinde fälschlich als contrahiertes
participium gefasst und weinende geschrieben. — 913, 3 dem
Kriemhilde man: aus durch den Zusammenhang leicht begreif-
lichem versehen haben B und d der statt dem geschrieben.
Dass dies nicht auf nähere verwantschaft gedeutet werden
braucht, beweist der hier auch von D begangene gleiche fehler.
— Ebenso ist 1272, 4 das in Bd stehende wosrltch entschieden
secundär gegenüber wcetUch der übrigen, aber hier hat auch
a wcerlich, während C das richtige bietet. — Und so werden
wir auch die stelle 2021,2 Dancwart, Hagenen bruoder, der
dl snelU man, in welcher B und d das dCer ausgelassen haben,
als Zufall deuten, der durch das vorhergehende -d^r von hruoder
begünstigt wurde. Für B zeigt Bartsch a. a. o., wie die aus-
lassung durch den zeilenschluss noch näher gelegt wurde.
Ffii- d, wo die Zeileneinteilung anders ist, genügt das vorher-
gehende 'der ebenfalls, um die fahrlässigkeit zu motivieren.
Eine engere verwantschaft ist aber daraus mit Bartsch keines-
wegs zu folgern. Nur wenn diese sonst genügend feststände,
würde man die auslassung des der einer gemeinsamen vorläge
zuweisen dürfen: beweisen kann ein solcher durch den Zu-
sammenhang begünstigter kleiner fehler nichts, i)
In der mehrzahl der fälle, in denen Bd gegen die übrigen
0 Ein ganz ähnlicher znf all hat 1556, 4 gespielt. Die lesart von y
war die sm ntht enkeUen wanden \ den was aUen ze gack B, von der sich
z nur dnrch es (dlCa) statt »m unterscheidet In A ist nach wänden das
den ausgelassen (als wanden, nicht als wan den ist die lesart von A anzu-
geben, da nach n vor d oft eine kleine lücke ist; vgl. in Laistners facsi-
miledmck auf derselben spalte unmden 1546, 2, Tiende 1547, 4, gesinde 1554, 4
gegen gemide 1547, 2, wenden 1554, 4). Die gemeinsame vorläge von N
und b schrieb die sin niht engviten: wan {wan fehlt b) den was aMen ee
gach Nb. Man kann vermuten, dass die ftndemng des Infinitivs engdten
in enguUen veranlasst sei durch auslassung des zweiten den, so dass wänden
dann als wan den gefasst wurde. Doch kann freilich die Umsetzung der
infinitiwerbindung in das verbum finitum auch der ausgangspunkt fUr Nb*
gewesen sein. Jedenfalls aber ist Nb* hierin A gegenüber selbständig, da
die vorläge von D, welche mit der von N und b nicht identisch war (oben
B. 10) noch wie y las. Die hs. D hat nur engetten ausgelassen, mit leerem
platz fttr das wort, das also in der vorläge noch — vielleicht unleserlich
— stand.
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214 BRAUNE
zusammen stehen, bewahren sie das echte, und das zufällige
zusammentreffen liegt auf seite der übrigen, denen dann
freilich Bartsch überall folgt. Voran steht die schon oben
s. 193 f. besprochene stelle 1494, 1 (niulich gehtt), in der Bd
gegen die übrigen zusammen gehen. — Weitere bemerkens-
wertere stellen sind: 1109, 2 SU daa ist verdorben der schoßnen
Heichen Itp Bd. Statt verdorben haben ADb* und JC* erstorben
eingesetzt. Das ist allerdings sehr nahe liegend. Aber im
mhd. ist verderben für einfaches sterben nicht unerhört Lexer
3, 93 belegt sogar aus einer Klostemeuburger Urkunde von 1813
mit gesehaft verderben 'mit hinterlassung eines testamentes
sterben'. Und im Nl. 145, 4. 1786, 4 steht ebenfalls verderben,
wo auch ersterben hätte stehen können. Allerdings ist in
beiden stellen von rittem die rede, die durch kampfestod um-
kommen. Aber auch in diesem sinne wird meist ersterben ge-
braucht (vgl. Bartsch, Wb.). Dem Nibelungendichter galt jeden-
falls verderben als ein synonymum von ersterben. In der an-
wendung auf Helche, die keines gewaltsamen todes starb,
scheint es dem sprachgebrauche mancher leute zuwider ge-
wesen zu sein, deshalb die änderungen. — 1006,3 vergöz Bd
= begöisf ADbJC*. Die seltenere anwendung von vergojs
(= begiessen) ist nicht zu beanstanden. Dafür spricht .schon
die parallele stelle der Klage 1058 (= 2116 Bartsch), wo eben-
falls vergö/s steht. Daselbst hat nur Db Ijegöz dafür eingesetzt^
während an der stelle des liedes mehrere den gewöhnlichen
ausdruck hergestellt haben. Der umgekehrte Vorgang wäre
unwahrscheinlich. — 1027, 2 haben Bd das im mhd. nicht sehr
häufige adj. weise, welches von ADbJCa durch das geläufige
verweiset ersetzt worden ist. Vgl. zu weise Mhd. wb. 3, 560,
wozu Lexer 3, 745 noch einige weitere belege nachträgt^ unter
andern aus der Millstäter Genesis. — 493,2 ir vfiunt die
nähen {nahend d) Bd. Das geläufigere na^hstefi ist von den
übrigen für nähen eingesetzt. — 1282, 3 wol vier und eweimec
fürsten tiuwer unde her BHd. Statt tiuwer steht riche in
ADb.C*, edel in J. Die grundhs. J* kann hier noch tiuwer
gehabt haben, die lesart von ADb* und C* ist eine änderung,
in der leicht zwei Instanzen zufällig sich treffen können.
Die letzterwähnte stelle kann an sich auch umgekehrt
heui-teilt werden: B und d könnten tiuwer eingesetzt haben.
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HANDSCHBIFTENVEBHALTKI88E PE8 NIBELUN6ENLIBDES. YLP. 215
Aber da im allgemeinen B und d dem ursprünglichen texte
näher stehen, als besonders J und C* und da auch ADb* oft
in einzelheiten geändert hat, so wird man doch lieber Bd
folgen, wo nicht innere gründe dagegen sprechen.
Dagegen wird die hs. B, wo sie allein steht, gegenüber der
Übereinstimmung der übrigen der regel nach unrecht haben.
Denn B zeigt doch nicht ganz selten änderungen, wenn sie
auch nie sehr bedeutend sind.^ Nun hat ja zwar von den
anhängem der recension B niemand bisher der handschrift B
eine ähnliche Stellung anweisen wollen, wie es die anhänger
Lachmanns und besonders dieser selbst mit A tun.^) Aber
selbst in dem geringen umfange, wie Bartsch bisweilen die
hs. B den übrigen gegenüber bevorzugt, 3) halte ich dies für
methodisch unrichtig. Freilich ist dabei die möglichkeit nicht
ganz ausgeschlossen, dass einmal doch B das echte bewahrt
haben könnte und alle übrigen übereinstimmend geändert
hätten. Lehrreich ist in dieser hinsieht die oben s. 135 an-
geführte stelle 1154,3, in welcher B reiten liest, d aber mit
den andern rieten eingeführt hat, während das hier grade
noch mit den drei buchstaben rcei- . . vorhandene 0 beweist,
dass die vorläge von d noch wie B hatte, also erst unsere
hs. d in dem nahe liegenden fehler rieten mit den andern zu-
sammentrat Ohne das fragment 0 würde man hier rieten in
den text setzen müssen. — Anders steht es natürlich, wenn
eine^ lesart sich nur in B findet, aber auch alle andern hand-
schriftenstämme auseinander gehen. Dann wird man in der
regel B folgen müssen, sofern keine inneren gründe dagegen
sprechen. Fälle der art sind uns in den vorstehenden Unter-
suchungen mehrfach entgegen getreten.
0 Bisweilen stehen sie ziemlich dicht, z. b. 505,1. 541,1. 566,3.
568,3.4. 569,1. 573,1.2. 578,2.
*) Vgl. hierzu die zutreffenden bemerkungen Pauls gegen Henning,
Beitr.5,434.
•) Vgl. z.b. 462,4. 1155,4.
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216
BRAUNE
Nachtrag.
Zu 8. 109. Ein weiteres beispiel höfischer voransteliuiig der dame in G^
ist 1238, 1 (Diu vrouwe mit ir ceheim C* = Der bisckof mit smer
mftdn B*). — Vgl. auch 2075, 4.
Zu 8. 140 anm. 1. Yersehentlich ist 988, 1 Jiaht als lesart von AB angesehen:
es steht nur in B, da A hier stärker ändert. Somit muss tragt alB
das echte gelten.
Zu s. 194 und 198 mOchte ich noch betonen, daas C* allein ebensowenig wie
in den lesarten, so auch im strophenbestande etwas ursprüngliches
erhalten haben kann. Für eklektische benutzung yon C* hat sich
mehrfach Wilmanns ausgesprochen, der GGA. 1883. st. 48 (s. 1362 ff.)
die ansieht verficht, dass das fehlen der str. 1504 in C* und die ab-
weichende fassung von 1505,1.2 einen älteren stand darstelle, weil
er sich nicht erklären kann, weshalb ein bearbeiter str. 1504 ge-
strichen und 1505 so umgeformt haben sollte. Die erklämng ist
aber einfach die, dass G* in seiner Jd'*'-Yorlage nach 1511 schon die
Zusatzstrophe vorfand, wonach das schiff so gross war, dass es 500
mann sammt gepäck f asste. Ein solches schiff konnte natürlich nicht
durch ein rüder bedient werden und 1511a, 4 heisst es ausdrücklich:
an riemen muose ziehen des tages manic ritter guot C* setzte die
Strophe nach 1518 und reducierte die 500 auf 400. Er zog aber auch
die weitere sehr nötige consequenz, die in Jd* noch stehengebliebene
Strophe 1504, in welcher die einrudrigkeit des Schiffes ausdrücklich
hervorgehoben und zu einer episode verwertet wurde, zu streichen
und auch 1505, 1. 2 dementsprechend umzuformen. Die tätigkeit von
C* ist also wol motiviert, wenngleich man Wilmanns folgend wünschen
könnte, C* hätte auch noch 1508 mit gestrichen. Denn dann würde
seine umgeformte Strophe 1505 einen besseren Übergang von 1502 zu
1506 vermittelt haben.
Register fiber die besprodienen stellen.
Strophe
Seite
Strophe
Seite
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Seite
l(av.l)
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3
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HANDSCHBIFTENVEBHALTinSSE DES NIBELUNGENLIEDES.
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Strophe
Seit«
Strophe
Seite
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47
589 a
86
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71
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199,4
m
368,1
129
604,3
109
208,3
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382,1
204
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27
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59
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392,1
66
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227,4
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105
625,2
33
234,4
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634,4
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636,3
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277,3
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27
645,4
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218
BRAUNE
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8
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955,1
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HANDSCHBIFTENVEBHALTNISSB DES mSELUNOENLIEDES.
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1941,3
102
1556,2
15
1701,3
196
1942,1
123
1556,4
213
1713,2
50
1942,2
61
1567,4
8
1713,3
49.196
1957,4
210
1568,2.3
151
1713,4
70
1965 (av. 35)
190
1569,2
150
1716,4
144
1965,4
51
1576.77
8
1718,2
144
1971.72
19
1588,4
152
1720,1
143
1983,2
209
1586,1
13
1721,2
144
1987,4
209
1594,4
1091
1725,4
35
1988,3
42
1596,2.4
56
1728,3
69.144
1993,3
29
1615,4
108
1730,4
28
1994,3
43.197
1628,2
155
1734,4
28
1999,3
6
1630,1
154
1737,4
202
2016,3
102
1630,2
150
1751,2
36
2018 (av. 36)
190
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HAKDSCHBIFTENVEBHALTNISSE DES KIBBLUNaENLIEDES. 221
Strophe
Seite
Strophe
Seite
Strophe
Seite
2021,2
213
2089,2
59
2214,1
42
2029,3 .
. .66 .
. 2094,3 .
59
2223,4
37
2035,4
40
2097,2
40
2226,2
71
2036,3
61
2107,2
208
2227,2
98
2040,3.4
8
2118, 1
123
2229,3
51
2043,4
49.94
2135,1
29
2232,4
37
2046,2
211
2144,2
204
2251,2
105
2048,2
67
2144,3
102
2258
19
2048,4
8
2161,1
70
2261 (av. 39)
190
2050,4
70
2163,3
59
2270,1
123
2051,2
8.98
2163,4
93
2271,4
145
2074,2
211
2164,1
8
2299,3.4
145
2060,1
60
2184,2
205
2304,4
144
2082,4
71
2191,4
6
2305,1
51
2083,4
210
2201,3
43
2087,4
197
2203,3
62
Inlialt.
Seite
Einleitung ; . . . 1
Cap. L Die gruppe Db* 4
A) Der text Db* als ganzes (s. 5). — B) Die einzelnen hss.
der gmppe Db* (s. 7). — C) Kritischer wert des textes Db*
(s. 12). — Dbj* und die handschriftenverhältnisse des textes
C* (s. 15).
Cap. n. Die grnppe ADb* 24
Vorbemerkungen (s. 24). — A) Begründung der au&tellung
der gmppe durch belegstellen, die für engere Zusammen-
gehörigkeit von A und Db* sprechen (s. 25). — B) Nachweis
der Übereinstimmung yon A und Db* in fehlem, denen gegen-
über die anderen hss. das ursprüngliche bewahren (s. 29).
Darin: Excurs über den inf. perf. im mhd. (s.31ff.). —
C) Aufzählung weiterer belege für die einheit der gmppe
ADb* (s. 45). — D) Zugehörigkeit der fragmente Lg (s. 51)
und M (s. 57) zur gmppe ADb* ~ E) Erörterung scheinbar
widenfjHPechender stellen. 1) Zusammentreffen von A und B
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222 BRAUKE, HANDSCHRIFTENVERHÄLTN. DES NIBELUNGENLIEDES.
Sau
(8.58). 2) A und J (8.66). 3) Db und J (s.68). 4) Nor
eine hs. der grappe Db* tritt zu A (s. 69): a) A und D (s. 69).
b) A und b (8.71).
Cap. in. Die handschrift A 75
A) Die atrophendifferencen (s. 75). — B) Die lesarten von A
(s. 90). — Metrische abweichungen: Beseitigung des ein-
silbigen zweiten takts der letzten halbzeile (s. 90). Ver-
kürzung der letzten halbzeile um einen takt (s. 91). Aus-
gang der ersten halbzeilen (s.95). — Sonstige abweichungen
in den lesarten von A (s. 106).
Cap. IV. Die Stellung der gruppe Jd* 115
A) Das Verhältnis von Jd* zu C* (s. 115). — B) Die gruppe
Jd*^ im besonderen. Zugehörigkeit der fragmente, insbeson-
dere c, i und kl (s. 132). 1) Die Untergruppe d*. Fragment 0
(s. 135). Fragment H (s. 136). 2) Die Untergruppe J* (s.l37).
Fragment Q (s. 139). Fragment K (s. 141). Fragment 1 (s. 148).
Cap. V. Die einleitung (str. 1—21) 155
Die frage der caesurreime (s. 158). Anwendung auf str. 1
und 16. 17 (s. 167). üeber str. 7—12 (s. 169). Str. 19 (s. 177).
Str. 20. 21 (s. 177). Str. 3 (s. 179). Die lesarten von str. 13
und 18 (s. 180). Zusammenfassung (s. 183).
Excurs zu 8. 177 anm. 1. Die aventiurenfiberschriften . . 1%
Cap. VI. Abschluss 192
Begründung des aufzustellenden stammbaiuns (s. 192). —
Erläuterungen und besprechung von resten: A. Fehler in y
(s. 195). — B. Fehler des archetypns x: a) in y und d*
erhalten (8.197), b) in. y.uiid dJ erhalten (s. 198), c) in
allen hss. erhalten (s. 199). — C. Beste: a) hs. A allein-
stehend (8^202), b) Ä mit C(C*) stimmend (s.204), c) Ab
oder AD mit C* stimmend (s. 206), d) ADb mit anderen hss.
stimmend (s. 208). — D. B nur mit d stimmend (s. 212).
B alleinstehend (8.215).
Nachtrag . . . . , 216
Register über'di'e besprochenen stellen 216
HEIDELBERG. WILHELM BRAUNE.
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ZUM ALTER DES NAMENS DER FRANKEN.
Es bleibt immer misKch, von der etymologie eines wortes
auf geschichtliche Verhältnisse zu schliessen. Das sprachliche
argument bedarf einer anderweitigen stütze. Die historische
deutung des Frankennamens = 'die freien, im gegensatz zu
den römisch gewordenen istraiwischen stammesgenossen', welche
ich in meiner Ethnographie der germ. stamme § 160 (Pau]s
Grundr.2 3^ 878 f.) gegeben habe, und die datierung des auf-
kommens des Frankennamens auf das jähr 55 v. Chr. habe ich
geglaubt durch ein zeugnis des Cicero aus dem jähre 44 stützen
zu können: redeo ad Tebassos, Suevos, Frangones (Ep. ad Atti-
cum 14, 10). Ich folgte mit der herbeiziehung dieser stelle
J. Wormstall, Ueber die Chamaver, Brukterer und Angrivarier,
progr., Münster 1888, s. 17 f.
Jener brief des Cicero ist nicht leicht zu verstehen, er
setzt die genauesten kenntnisse der ereignisse des jahres 44
voraus. Wormstall sagt a.a.O.: 'offenbar haben wir hier drei
germanische Völkernamen vor uns; der sinn der stelle ist etwas
dunkel; entweder bezieht sich das redeo oä... auf das ge-
bahren deutscher Völker, wovon er im vorhergehenden briefe
spricht, oder aber auf die haltung der [vorher genannten]
servi immissi, die bei der leichenfeier das testament und von
den für sie ausgesetzten summen gehört haben, und nun gegen
die republikaner drohende haltung einnehmen, wessen man sich
von den leibcohorten germanischer herkunft nicht versehen,
denen man mehr bravheit zugetraut, als man nun erfährt.
Sie werden sich nicht femer beschwichtigen lassen; sie glauben
nicht, dass sie, so lange wir am regiment (stantibus nobis) die
Vermächtnisse und das sonst versprochene (illa) erhalten
werden. Nach Ciceros meinung werden sie, gegen erwarten
der neuen regierung, nicht frieden halten, sondern zu raub
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224 BBEMER, ZUM ALTER DES NAMENS DER FRANKEN.
und plttndeiniDg übergehen. Ich halte letztere auf&ssiing far
die allein entsprechende.' Von den drei genannten namen bUt
Wormstall Tebassos für verderbt aus Betasos und gewinnt
damit einen kleinen stamm der (keltischen) Germani Cisrhenani
in der nachbarschaft der Tungri; die Suevos identiflciert er
mit den von Caesar besiegten Nemetes, Triboci und Vangiones;
die Frangones sind die Franken, sei es dass 'die griechische
ausspräche ^Qayyoi die Vermittlung bildet', sei es 'dass Fran-
gones für Francones verschrieben ist'.
Diese deutung, der ich mich angeschlossen habe, lasst sich
nicht aufrecht erhalten. Mein College Max Ihm belehrt mich,
dass der Zusammenhang der stelle keine völkemamen, sondern
notwendig personennamen erfordere: leute wie Tebassus, Scaeva,
Frango. Er weist mich femer darauf hin, dass die lesart
Scevas (cod. M^) unbedingt den Vorzug verdiene vor der lesart
Suevos (M^). Somit würde auch in den Frangones ein Personen-
name zu suchen sein, und Ihm vermutet eine Verderbnis für
Fa/ngones.
Diese Frangones bei Cicero müssen also für das germanische
altertum gestrichen werden und folglich auch die von mir a.a. o.
erschlossenen ^QayyovBi; bei Poseidonios, auf welche hin ich
das buch des letzteren auf die jähre 54 oder 53 datiert habe.
Es bleibt dabei, dass der Frankenname erst seit der mitte des
3. jh.'s bekannt und vielleicht nicht viel früher aufgekommen
ist. Und hiermit fällt auch meiner deutung des Frankennamens
die stütze. Mag er nun 'die freien' bedeuten oder 'die wurf-
spiesse', auf eine historische deutung des namens müssen wir
verzichten.
HALLE a. S., den 2. februar 1900. OTTO BREMER.
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Max Niemejrer, Yerlagabnchhandlang, Halle a. S.
Forschungen
zur
Alten Geschichte
von
Eduard Meyer.
Erster Band:
Zur älteren griechischen Geschichte.
1892. ^r, 80. (VIII. u. 328 8.) Jt 8,—
Zweiter Band:
Zur Geschichte des fünften Jahrhunderts vor Chr.
1899. 80. (VIII n. 554 8.) Jt. 15,—
Geschichte
der
Deutschen Polenlltteratur
von
Dr. Robert F. Arnold.
Erster Band.
1900. 80. (XII u. 298 8.) Ji. 8,—
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Max Niemeyer, Verla^bachhandlnng, Halle a. S.
Vor kurzem erschien:
Stilistische üntei-suchuiigeii
zum
Deutsehen Rolandsliede
von
Dr. Brano Baumgarten.
1899. ^•. 80. (VI u. 102 8.) Jt 2,40.
Heinrich von Veldeke
nnd die
mittelhochdeutsehe Dichtei*sprache
von
Karl Kraus.
1899. «TV. 8«. (XVI u. 192 8.) .S 5,—
SoebcD erschien und steht gratis und franco zu Dieaat«B:
Antiquaiischer Katalog Nr. 37. Deutsche Littermtnr
und Sprache. 2468 Nummern. N. 6. El wert 'seht'
Universitäts-Buehhandlung in Marburg i. H.
Druck von Efarhardt Kvrrai, Halle a. S.
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Ausgegeben den 14-. November 1900.
1
<^'''^'^^.
BEITRÄGE
iztm
OhC "O 1900
GESCSSßl»||jpMEÜTSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR
UNTER MITWIRKUNG VON
HERMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HERAUSGEGEBEN
VON
EDUARD SIEYERS.
XXY* BAND. 2. u. 3. HEFT.
HALLE A. S.
MAX NIEMBYER
77 '78 GR. STEINSTRASSE
1900
Die Zeitschrift erscheint in
-iaitizedby Google
Bänden (von 3 Heften) zu 15 Marl^.
INHALT.
Zu den Malbergischen glossen und den salfränkisch«»
fomieln und lehnwörtem in der Lex SaUok Von
W. van Hellen 225
unechte negation bei Otfrid und im Heliand. Von
E. Lörcher 543
Saxonica. 1. Das Taufgelöbnis und der Indiculus super-
stitionum. Von A. Leitzmann 567
Noch einmal gotiacb nahtam. (Zu Beitr. 24, 534 ff.) Von
G. Burchardi 591
Zur nachricht!
Es vnri gebeten, alle auf die redaction der 'Beiträge' bezüg-
lichen Zuschriften und Sendungen an Professor Dr. E. Sievers
in Leipzig-Gohlis (Pölitzstrasse 26) zu richten.
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zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN
UND DEN SALFRÄNKISCHEN FORMELN UND
LEHNWÖRTERN IN DER LEX SALICA.
Einleitung.
§ lo. Im HL titel der Lex Salica erscheint in allen
daselbst glossierte paragraphen aufweisenden hss. als zu
^animar stehend eine mit p anfangende glossenlesart: podero,
potero cod. 1, protero cod. 2, pondero(s) cod. 6, podor \}ez.pordor
cod. 7. 8. 9, pedero bei Herold. Indem hier von 'animal', d. h.
*rind', die rede ist und die (n)d und -r(-) der lesarten airf eine
salfrk. form mit nd und -r hinweisen, kann es nicht fraglich
sein, dass hier altes *hrundir (= ags. hryder) zu gründe liegt
(vgl. auch Kern, Die glossen in der L. Salica s. 50), dessen hr
frühzeitig zu p verderbt wurde, indem ein copist die bekannt-
lich in der angelsächsischen Schrift sich sehr ähnlichen schrift-
zeichen für j) und r (vgl. unten § 3 p) verwechselte und das vor
dem buchstaben stehende h ausliess (wegen ebenfalls frühzeitig
durch substituierung für u und i entstandener Schreibung o
und e und wegen anderer in den überlieferten lesarten zu
beobachtender entstellungen s. § 26). Hieraus ergibt sich für
die in cod. 1. 2. 6. 7. 8. 9 und den Heroldschen hss. (vgl. über
die letzteren unten ß) überlieferten glossen mitsammt ihren
Paragraphen, insofern sie der älteren kategorie angehören
(vgl. unten ß\ ausser der ehemaligen existenz einer gemein-
samen vorläge (entstehung der nämlichen entstellung pon-
dero oder pander in von einander unabhängigen hss. wäre kaum
denkbar),
erstens dass besagte vorläge von der band eines
des salfränkischen unkundigen Schreibers herrührte
(ein dieses dialektes kundiger hätte sich schwerlich die er-
wähnte Verlesung zu schulden kommen lassen),
Beiträge rar geichichte der deutscben spracht. XXV. 15
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226 tTAK HfiLTEK
zweitens dass die ans dieser gemeinsamen vorläge
stammenden glossen und paragraphen in der folge
nicht durch die hand eines des salfränkischen kun-
digen Schreibers gegangen sind (ein solcher wäre ja
durch das 'animal' des textes wol dazu veranlasst worden, die
verderbte lesart wider herzustellen).
In cod. 3. 4. 5 fehlt diese glosse; doch ist für die geschicht-
liche entwickelung der Überlieferung dieser hss. die besagte
folgerung geltend zu machen mit rücksicht auf den engen
Zusammenhang von cod. 3. 4 mit 1. 2 und von cod. 5 mit 6
(s. unten ß). Wegen anderer Zeugnisse für die oben gemeinte
gemeinschaftliche vorläge und die nichtbeeinflussung der Über-
lieferung durch salfränkische hand s. unten § 188 im eingang.
Ein gleicher entwickelungsgang ist auch für die glossen
ZU ermitteln, die zu den nur in cod. 6 (5). 7. 8. 9 und den
Heroldschen hss. überlieferten, auf eine gemeinschaftliche
quelle zurückgehenden paragraphen stehen (vgl unten ß): man
beachte z.b. die sämmtlich keine salfränk. hand verratenden
cannas uuido, (c)annas uiuido, chanasuuido, baofaUa, (h)aefalh,
hacfala und chereotasino, chrotarsino, dire ottar sino in cod. 6.
7. 8. 9 und bei Herold für salfrk. *chanasuutndun, *ai faUu,
"^chreotarsin (s. unten § 46. 47. 158) und vgl. das in § 188 zu
vorläge X^ und X^ bemerkte. Dass aber die überUefenmg
der vereinzelt in den nachtragen von cod. 1. 7. 8. 9 und von
drei hss. der Emendata stehenden glossen (s. unten ß) von sal-
fränkischer hand beeinflusst sei, dürfte angesichts des erörterten
tatbestands nicht gerade plausibel erscheinen.
Den hervorgehobenen consequenzen ist m. e. bei der be-
urteilung der Malbergischen glossen und sonst in der Salica
erscheinenden salfrk. worte (formein, vgl. § 152. 162) absolat
und unbedingt rechnung zu tragen. Nie und nirgendwo
hat man für die Verschiedenheit der überlieferten les-
arten beeinflussung von selten eines salfränkischen
Schreibers anzunehmen, der irgendwelche dialek-
tische oder jüngere oder synonyme form für die von
ihm in seiner vorläge vorgefundene substituierte;^
0 Wegen des demnach nicht anf die rechnung eines salfrk. textrevisors
SU stellenden e von cherecheto und chengÜsto s. § 32 und 126.
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zu DEH MALBEROtSCHEN GLOSSEN. 1 a. ^2?
immer und fiberall mnss hingegen die ändernng,
welche das überlieferte material aufweist, auf die
rechnnng von des salfränkischen unkundigen schrei«
bern gestellt werden, die
einesteils in folge dieser (übrigens mit Unachtsamkeit ver-
bundenen) Unkenntnis mangelhaft copierten, indem sie einen
oder mehrere buchstaben oder einen teil eines schriftzeichens
ausfallen Hessen (vgl. unten §2a.ß)j oder buchstaben ver-
setzten, oder einen bez. mehrere buchstaben oder einen teil
eines schriftzeichens zweimal nachschrieben (vgl. § 2/), oder
in folge eines Versehens einen an anderer stelle der glosse
oder formel stehenden buchstaben einschalteten bez. statt des
richtigen buchstaben schrieben (vgl. § 2d. e), oder durch be-
einflussung von Seiten einer folgenden bez. vorangehenden
glossenlesart oder von selten eines textwortes die lesart der
vorläge contaminierten (vgl. § 2 £. jy), oder die in der schrift
der vorläge sich mehr oder weniger ähnlichen schriftzeichen
verwechselten (vgl. § 3),
andemteils auch durch anlass des ihnen geläufigen Vulgär-
lateins der Schreibung dieser spräche eigentümliche ortho-
graphische eigenheiten in die Schreibung des nichtlateinischen
Wortes einführten (vgl. § 4), oder demselben in der einen oder
der andern weise ein vulgärlateinisches gepräge verliehen (vgl.
§ 5 und 6),
oder in der meinung, dass sie es hier mit griechischen
Wörtern zu tun hätten, die glosse oder formel gleichsam graeci-
sierten (vgl. § 7).
Auf diesem princip fussend und, behufs fixierung der aus
der f eder der glossatoren und textredactoren geflossenen salfrk.
Prototypen, der entstehungs- oder besser der entstellungs-
geschichte der betreffenden überlieferten lesarten geflissentlich
nachforschend, bin ich bei einer nachprüf ung von Grimms,
Kerns und anderer deutungen dieser demente des salfrk.
Sprachschatzes vielfach zu von den bisher vorgeschlagenen
fassnngen mehr oder weniger abweichenden resultaten gelangt,
die ich hier nebst einer erörterung der in der Salica über-
lieferten salfrk. lehnwörter dem sich für die forschung dieses
germanischen dialektes interessierenden gelehrten publicum
unterbreiten möchte. Bevor ich aber zu dieser ausgäbe
15*
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228 TAN HELTEN
schreite, drängt es mich, einer sdinldigen und angenelmien
pflicht genügend, meine volle und aufrichtige anerken-
nnng von Grimms bahnbrechender arbeit und Kerns
glänzenden und durchans fördernden leistnngen auf
diesem forschungsgebiete auszusprechen: wer sich
jetzt dem Studium der in rede stehenden glossen, formein
und lehnwOrter unterziehen will, kann dies nur tun, indein
er sich auf die schultern des deutschen altmeisters imd des
genialen, durch die fttlle und Vielseitigkeit seiner gelehrsam-
keit staunen erregenden niederländischen Sprachforschers stellt;
auf jeder seite der vorrede zu Merkels ausgäbe der Salica
begegnet er wertvollen deutungen und dankenswerten finger-
zeigen; jeder paragraph der Notes in Hesseis' ausgäbe dieser
Lex bringt ihm erfreuliche belehrung, scharMnnige ond an-
regende bemerkungen, die ihm die mittel, sich dem erstrebten
ziele zu nähern, gewähren, sowie einen gelehrten apparat, der
ihn zum dank verpflichtet und mit bewundemng für die er-
kleckliche arbeit des commentators erfüllt.
ß. Die glossiert überlieferten hss. der Salica sind:
die sogenannten Codices 1. 2. 3. 4 (erste familie), die der
alten textrecension am nächsten stehen (wegen der entwicke-
lung der in diesen und den gleich zu erwähnenden Codices
enthaltenen texte vgl. Behrend, Zs. für deutsche rechtsgesch.
13, 15 ff. und Brunner in seiner Deutsch, rechtsgesch. 1, 293 ft);
die sich eng an einander anschliessenden Codices 5 und 6
(zweite familie), die auf eine nähere vorläge zurückgehen^
welche als compilierender text eine anzahl von in cod. 1—4
fehlenden Zusätzen aufweist;
die sich ebenfalls eng an einander anschliessenden Codices
7. 8. 9 (dritte familie), deren nähere vorläge einen durch (zum
grösseren teil auch in cod. 5 und 6 und bei Herold begeg-
nende) Zusätze vermehrten, jedoch hinwider durch gefliss^it-
liehe Omissionen verkürzten text darbot (diese vorläge be-
ruht wahrscheinlicherweise wider auf einer quelle, woraus auch
die sogenannte unglossierte Emendata hervorgieng; auf die ent-
stehungsweise gedachter vorläge weist die tatsache hin, dass
manchmal ein in cod. 5. 6 und bei Herold überlieferter pari-
graph in cod. 7. 8. 9 fehlt);
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zu DEN MALBBBOISGHEN GLOSSEN, la-^ß, 229
die sog. nicht glossierten hss. der dritten familie, die ausser
den gleich unten zu erwähnenden glossenüberschriften zweimal
(Hesseis 276, Ib. 303) eine glosse überliefern (s. § 141, 146);
die Heroldina (cod. 10 bei Merkel und Hesseis), die von
Herold als text abgedruckte, jetzt verschollene hs., deren text
eine weiterentwickelung des in cod. 5 und 6 überlieferten re-
präsentiert;
die zweite von Herold benutzte glossierte hs., deren glossen*
Varianten der herausgeber am rande der Paragraphen mitteilt
(diesen ziemlich seltenen Varianten zufolge müssen die glossen
der zweiten hs. im grossen und ganzen mit denen der ersten
übereingestimmt haben, sodass für die beiden glossierten Codices
eine nähere vorläge anzunehmen ist);
die Emendata-hss., die ausser einigen glossenüberschriften
(s. unten) noch zwei glossen überliefern (s. § 146. 156);
der Emendata- codex Vossianus (cod. 11 oder auch Emen-
dataQ), der ausserdem noch zwei (Hesseis 410, sp. 1.411, sp.l,
vgl unten § 55. 177), sowie die Pariser (4632) und die Wolfen-
bütteler (Aug. 8) Emendata-hs. (vgl w^en derselben Hesseis
s. xvm), die ausserdem noch eine glosse (Hesseis 420, sp. 3,
vgl unten § 183) überliefern.
Einen reichtum von glossen haben cod. 2. 6. 7* 8. 9 und
Herolds hss. Eine geringere zahl derselben findet sich in
cod. 1. Nur vereinzdt begegnen solche reste salfränkischer
Wörter in cod. 3 und 5 (wegen letzterer hs. vgl. ausser den
glossenüberschriften und der unten § 146 besprochenen glosse
bei Hesseis 14, 10. 11. 18. 19. 23, 13. 14. 32, 4. 50, 4. 3b. 59, 1.
2. 4. 6b. 68, 2. 257, 3. 266, 4. 6). Noch seltener erscheint eine
^malb' in cod. 4 (ausser den glossenüberschriften und der § 146
behandelten glosse nur 58, 4. 103, 2. 5. 7. 112, 2). In allen hss.
(auch in den sogenannten nichtglossierten der dritten familie
und in den Emendata-codices) begegnen ausserdem einige als
Überschrift erhalten gebliebene glossen (vgl. § 71 am
schluss und die daselbst erwähnten §§, spec. die anm. zu
§ 189).
Die glossierten Paragraphen verteilen sich in zwei kate-
gorien: zur einen, der älteren, zählen die paragraphen, die
in allen hss. überliefert sind oder doch nur gelegentlich in
folge von durch nachlässigkeit veranlasster oder geflissentlicher
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230 VAN HELTEN
Omission fehlen; i) ssur anderen, der jfingeren, gehören die
Zusätze, die sich nur in cod. 5. 6, 7. 8. 9 und den zwei Herold-
schen hss. als dem text einverleibte Paragraphen finden, sowie
die als nachtrage überlieferten Paragraphen in cod. 1 (nebst
den damit in Zusammenhang stehenden in cod. 2. 6 etc, &
Hesseis s. 406, sp. 1 und beachte unten die anm. zu § 89). 7. 8. 9
(Hesseis s. 420, sp. 1), der Heroldina (Hesseis s. 420, sp. 2) und
den drei oben erwähnten Emendatä-hss.
Wegen einiger zusätze mit unurspruglicher, aus dem
vorangehenden älteren Paragraphen entlehnter glosse
vgl. § 28 zu anteotho, chamutheu4> (zu 'taurum regis*), § 40 zu
trimutdouibano tuene chunne, § 68 anm. zu murdo, § 71 zu aiäd-
fathio und leodecdl, § 87 zu leodosanü, § 132 zu moanihmäkL
Die Paragraphen der älteren kategorie gehen zurück auf
eine gemeinsame vorläge X^, woraus durch vermittelung einer
vorläge X^ die in cod. 1. 2. 3. 4 ftberlieferten, durch vermitte-
lung einer vorläge X^ die in cod. 5. 6. 7. 8. 9 und den beiden
Heroldschen hss. überlieferten hervorgiengen; zwischen X^ und
der näheren vorläge von cod. 5. 6 lag aber als Zwischenglied
noch eine vorläge X^, die auch als bindeglied zwischen X>
und der näheren vorläge der Heroldschen hss. zu gelten hat;
zwischen X^ und der näheren vorläge von cod. 7. 8. 9 ist wahr-
scheinlich die oben gedachte gemeinsame quelle letztgenannter
vorläge und der Emendata als vorläge X^ anzunehmen. Für
die nur in cod. 5. 6. 7. 8. 9 und den Heroldschen hss. über-
lieferten Paragraphen sind die nämlichen vorlagen X', X« und
X^ geltend zu machen. Der begrttndung der annähme dieser
vorlagen muss die erläuterung der glossen und formein voran-
gehen; ich verweise dafür auf § 188. Dass aber ausser
diesen vorlagen noch andere zwischen denselben bez.
zwischen X^ und cod.l. 2. 3. 4 liegenden der überlief e-
^) In mehreren der in cod. 1 fehlenden, doch in cod. 2. 3. 4 varhandenen
Paragraphen erblickt Behrend (Zs. t deutsche rechtsgesch. 13, 22 ff.) spfttere,
erst nach der ersten redaction hinzugefügte snsätae; doch ist eq beachten,
dass die von ihm fttr diese annähme vorgebrachten gründe keineswegs
zwingend sind und die annähme demnach nicht unberechtigt erscheineii
dürfte, dass das fehlen dieser Paragraphen ebenso gut wie das fehlen einiger
Paragraphen in cod. 2. 3. 4 (vgl. Behrend a. a. o. s.24 f.) auf omissioneD lurück-
zuf Uhren sei*
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zu DEN MAliBEROlSCHEN GLOSSEN. 1/9 — 2 a. 231
rang zugrunde gelegen haben, ist nicht nur für mög-
lich, sondern für mehr als wahrscheinlich zu halten
mit rucksicht auf die vielen und vielerlei entstel-
lungen, welche manche lesart direct oder indirect
aufweist und deren entstehung kaum anders als durch
die annähme einer noch grösseren anzahl etappen
als die erwähnten begreiflich wird. Wegen eines solchen
zwischen X^ und der näheren vorläge von cod. 7. 8. 9 liegenden
bindegliedes, das die oben erwähnte vorläge X**^ gewesen sein
kann, vgl. § 22 zu reodemia^ reo dimia, § 33 zu chegme-, § 61
zu andrateo etc., § 63 zu modi, mohsot, § 81 zu couirgo etc.,
§ 132 zu matdalio, mafhdaleo,
y. In bezug auf die folgenden ausführungen sei femer
noch bemerkt:
es ist der behandlung des Stoffes die ausgäbe von Hesseis
zu gründe gelegt, aus der die Paragraphen und glossen nach
den spalten bez. selten dieses buches citiert werden; die erste
zahl bezeichnet die spalte oder seite, die zweite den Para-
graphen; wenn mehrere Paragraphen mit derselben nummer
in einer spalte stehen, wird die zweite nummer durch Ib bez.
2b U.S.W., die dritte durch Ic bez. 2c u.s.w. bezeichnet; wo
der titel nicht in paragraphen eingeteilt ist^ tritt an die stelle
der Paragraphen- die titelbezeichnung (durch römische ziffer);
behu& Unterscheidung der paragraphen der Lex und der
Paragraphen dieser abhandlung wird für erstere das wort 'para-
graph', für letztere das zeichen § verwant;
die sigel 'etc' bedeutet nach einer glosse: 'und die Va-
rianten der anderen hss.'; nach einer ziffer: 'und die anders
numerierten, correspondierenden paragraphen bez. titel der
anderen hss.';
Grimms Vorrede wird durch die sigel M, Kerns Notes
durch E bezeichnet
§ 2 a. Ausfall oder Umstellung von buchstaben begegnet
in unseren glossen oder formein auf schritt und tritt Die
verschiedenen fUle werden je bei der besprechung der be-
treffenden lesarten ihre erörterung finden. Hier sei nur schon
im voraus auf den ziemlich häufigen ausf all eines s vor cA
hingewiesen (durch die ähnlichkeit der halbuncialen zeichen
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232 VAN HELTEK
ffii' 8 and c, s. nnten § 3 9;, las der copist das seh seiner vor-
läge als cch and liess eines der beiden ce aus): charcluiro fOr
*charHcbaro^) (§ 86), nachus für naschus (§ 100), theo hichada
aus *theoisc]iada (§ 90); man beachte auch im texte dkreananam
(s. § 2 7) für schreofMm (§ 101) und s, noch § 27. 54. 56. 126. 157.
ß. Mitunter wurde der in der vorläge stehende buchstabe
nur zum teil nachgeschrieben; die zweite hälfte desselben blieb
in der feder und es entstand :
i aus u bez. ui aus uu in injnmis 15, 3 (cod. 9) für insimus
(§ 16), childeclina für chnldedina (§ 109), chisio aus *schxito
oder ^cJinsto (§ 150), uieri- aus umri- (§ 130); s. noch § 37. 40.
54. 57. 64. 73. 110. 159 (?);
n aus m in Ainm- aus ^himnis- (§ 12), ont- und an- aus
duimi' (§ 23), -nosdo für -mosdo und nurdo für mtirdo (§ 63),
nasco aus *mflwcÄMn (§ 100); s. noch § 9. 33. 58. 84. 107. 125. 131;
m durch ui (vgl. § 3§) aus uu in melachano für ^uuelodkano
(§ 108), menedino aus '''uuen^cMtno (§ 108); s. noch § 134 am
schluss;
l aus h oder b (vgl. K § 5) in fluuui' für /liutwt- (§ 40),
-clamina aus ^chouina (§ 110), sundeXa aus ^^oltMfeba (§ 71);
vgl auch im text alundiuü für ahundiuit (§ 64) und s. nodi
§ 71 (andadil). 96. 99. 109. 161 (?);
d aus cA (vgl. d für c2, § 3^) oder th (wegen der ähnlich-
keit der schriftzeichen für c und t vgl. § 3<() in freoäo für
friocho (§ 27), -phaldeo aus -/*a;thto (§ 66), JiaefaAo aus cu^oftho
(§ 81), iaphanu aus thopAano (§ 108X -du>5 aus -chtttö (§ 152);
s. noch § 23. 40. 42. 68. 71. 99. 119. 123. 146 (?). 155;
c ans d in foci- aus *fodi' (§ 15), anciaca aus *a«ctda
(§128); s. noch §44. 163. 171;
>) Da es bei den vielen und vielerlei enteteUnngen der uisprüng-
lichen gloese oder formel nicht möglich ist, die chronologische reihenfol^e
der lesartlichen Verderbnisse zu fixieren, verzeichne ich hier und im folgen-
den neben der überlieferten form in der regel di^enige, welche auf gnmd
verschiedener erwägnngen entweder als die in einer gemeinschaftlichen
vorläge vorhandene oder als die ursprünglich aus der feder des glossatora
bez. des Verfassers (der die dem text angehörende formel niederschrieb) ge-
flossene zu gelten hat. Nur wo sich mit einiger Sicherheit die unmittelbar
vorangehende Vorstufe vermuten Iftsst, wird der überlieferten lesart dieae
mittelstuf e nebeugesteUt
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zu DEN MALBEBOISCHBN GLOSSEN. 2a-'ö. 233
c aus jjf (die Schreibung des unterschaftes von halbun*
cialem g unterblieb; vgl. wegen des gemeinten schriftzeichens
in Arndts Schrifttafeln taf.5a) in eduhus aus idulgus (§ 157),
uertiGO, uuirtico aus *uuertigo (? § 93), -picii aus -*jpfega oder
^^pUga oder -un (? § 161), nexH can, nesti can etc. aus nestigan
(§ 152); beachte auch lat. necantem 47,4 b für negantem, se-
cus({)ufn 30,1b. 33,1b var. für segusium.
y. Umgekehrt wirkte dittographie in der copie manchmal
beeinträchtigend auf die lesart des salfrk. wortes ein, und zwar
doppelschreibung sowol eines teils eines schriftzeichens als eines
oder mehrerer buchstaben. Man beachte:
te für i in hamnis für *Mmnis (§ 12), chcmM- für chami-
(§ 23); s. noch § 38. 81. 97. 107. 113. 120. 123. 159 (?);
n» für n in chramne- für diranne- (§ 10), cham jsy- aus
cJiangi- (§ 84); s. noch § 31. 58. 82. 92. 129. 134. 140. 186 und
Tgl. auch in und ni f ür n in -ina statt -na (§ 121), ani- statt
an. (§55);
nn für m in chrannis für chrami (§ 82), knnici für limici
(§ 138);
uUfVuVir m (vgl. § 3 jr) in unaderido aus *mfAcherido (§ 155),
\mth' aus math- (§ 132); s. noch § 88;
sowie leodardn 96,2 b für leodardi (§ 39), ueelentemo für
uelentemo (§ 70), mmmada für '''sciscimoda oder *scicifnada (ß für
€ nach § 3 17) statt scimada (§ 38), -ha hs^uma aus *hamna (§ 110),
worcherter für *wortherther aus wörther (§ 132); vgl. auch im
text chreoTOLnam 161, 35 var. für schreons^m 161, 33 var. (beachte
oben a), Mdes 321, 3b für ^des, und s. noch 9. 17. 19. 20. 23,
24. 30. 32. 33. 40. 42. 46. 51. 53. 54. 55, 58. 64. 73. 74. 75,
78. 80. 81. 84. 89. 92. 96. 100. 102. 108. 110. 115. 123. 126,
131. 141. 152 (nesH canthe chigio etc.). 156. 183. 184. 186.
Wegen doppelschreibung eines ganzen wortes s. § 37. 67,
71. 74. 88. 118. 127. 129.
6. Als eine andere art von dittographie begegnet wider-
holt die einschaltung eines nicht unmittelbar vorangehenden
oder folgenden schriftzeichens.
Vor oder nach einem oder mehreren consonantzeichen
stehendes vocalzeichen wird auch nach bez. vor dem oder den
consonantzeichen geschrieben: bara^r aus *b9^rch (§ 23), fiti-
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234 VAN HELTEN
fri- (§ 55), lasinia für lasina (§ 55), abilim aus "^äbJid (§ 75^
chulsd^china für chulds^ina (§ 109), hBÜxhaäo für aichado
(§ 113), andere&ttö aus andrepu^ (§ 118), stalexkaia ffir ^to2ac^'a
(§ 126), *cÄana^a5cAo aus *(*aim5CÄo (§ 126); s. noch § 9. 22,
24. 27. 28 (?). 31. 33. 40. 44. 55 (*eualasina?). 56. 64. 65. 71.
96. 101 (streonas), 110. 119. 123. 124. 128. 129. 130 (?). 132 (?).
137 (?). 158. 159. 186. Vgl noch im text sansLchdllum für ma-
chalum (§ 72). Eine gleichartige doppelschreibung ist auch
für das t von *alaihtafn aus *alaiham geltend zu machen (§ 107)
sowie für das n in aruuemon aus *aruiierüo (§ 121), chamnin
aus chamni (§ 82).
Vor oder nach einem yocalzeichen stehendes consonant-
zeichen (auch zweifaches) wird vor oder nach dem nämlichen
an andrer stelle der glosse oder formel stehende yocalzeichen
eingeschaltet: protero für potero und pordor für jpoiJor (§ 26),
uitsldphalt aus *uuBdfa.\t (§ 78), adnou^iddo für "'adnouado für
*anoMado (§ 88), can<hichiuÄ für *canM€ius (§ 152); vgl. auch
im fremdwort ghelmalta aus cAantalto (§ 179) und s. noch § 24.
40 (zu cus hos). 119 (mittinio). 126 (cJiannas eascho). 151. Man
beachte auch durch vorangehendes 'ma}' hervorgerufenes l bez.
m in uudXderido für (u)u9deredo (§ 127), \s\2Jach faltio aus *a2ac-
/aZ^AiO (§ 66) und vgl. § 42 zu marthocla.
Ebenso das vocalzeichen in *an</ieodeo für an^A)e{7eo
(§ 44) und aspeZfo'as für aspeKts (§ 170). Und das consonant-
zeichen vor oder nach consonantzeichen in: Zeosdosdt für leo-
dosdt (§ 39), thaZtht für *thaiti (§ 9), ostrosta für *osrasta
(§ 119), fnstrairito für *fristratito mit unursprünglichem fra
(vgl unten) aus fcistatito (§ 119), stoZa stAta für staZat&ta
(§ 126), wtiStÄest für ♦mwstÄcs (§ 135), aeUretus für *actöcti«
aus *acto ttts (§ 186), muict« ^n'cto für inuitu stricto (§ 183;
hier wäre jedoch die entstellung auch in die kategoriejpordor
einzureihen).
Aber auch sonst findet sich gelegentlich durch voran-
gehendes oder folgendes consonantzeichen hervorgerufene ein-
Schaltung: brarecho aus barcho (§ 24), tantedio ffir antedio
(§ 44), trauuer aus touuer (§ 81), -floda für -foda (§ 42); vgl
auch im texte scruria 93, 4 für scuria, saeerborane 344, 3 für
saceboTone (§ 153) und s. noch § 16 {ingimius von cod. 8). 18.
38. 41. 75 (chicsio). 81 (trouerpo). 89 (utdri darcÄt). 100 (?).
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zu DEN MALBEBGISCHEN GLOSSEN. 2 d— c. 285
103. 107 (chramire etc.). 119 (fristratrito). 122 (fistirbiero).
141 (nicolensinus). 143 (?). 152 (?). 155. 177.
Wegen dittographie einer ans dem voranstehenden oder
folgenden teil der glosse entnommener silbe beachte § 43 zu
uuale iumae, § 74 zu seolande fadisco, § 75 zu inanbina SbiUccB,
s. Häufig begegnet durch das yocalzeichen einer voran-
gehenden oder folgenden silbe hervorgerufene assimilierende
Schreibung: uara für *uare oder nare (§ 14), elecharde für
olecharde (§ 48), podor für *poder (§ 26), pedero für *poder(p)
(§ 26), i(h)eol08ifM für t(h)eohsina (§ 55), -lisina für -hsina
(§ 55), uuidifalt für *uuadifalt (§ 78), miö- für maö- (§ 82),
•^co für -a^co (§ 84), candechapBOfius aus *cAandecto/lnti$
(§ 76)? uueruaais,the aus ^ueru^^nithe oder -e^Aß (§ 92), a^Aa
«iteo für 9^i(h)ofneo (§ 96); vgl. auch im text annxiculum 33, 2, agsr
tsirio 33,2 b var. für affniario, und s. noch § 11. 22. 24. 32. 33.
38. 40. 41. 43. 45. 48 (zu ab chratis etc.). 49. 54. 55. 60. 61.
64. 66. 70. 74. 75. 80 (harauuano, cruene). 84. 86. 87. 89. 90.
92 (siuaerohen). 102. 103. 108. 109. 112 (?). 114. 120 (am
schluss). 121. 126. 132. 137 Qnstolio). 141. 142. 143. 146 {the-
ada?). 153. 154. 156 (mandoado). 159 (?). 163. 171. 177. 186 (?).
Das n&mliche schreibversehen begegnet in uipida für das fremd-
wort uopida (§ 135). Vgl. auch durch vorangehendes 'mal'
hervorgerufenes a in bBMtalio für be- oder *bisitalio (§ 137).
Etwas seltener findet sich die nämliche erscheinung bei
einem consonantzeichen: toätaie aus *tocical(t)e oder -cha2(0e
(§ 9), alfalchio für *atfa\chio (§ 59), chan^icha^ für *gangi'
chaldo (§ 62), gaugie dUho (nach § 3jr und 6) für *gangichalc3io
aus *gangicliäläo (§62); vgl. im text zonzintis 276,1b für
t(h)onzinfis (§ 145), und s. noch § 44 (?). 71 (*l€odeda und creu
beba). 81 (affechi). 108 (meledeno). 132 (moantheuthi). 134. 135
(ehaidis). 141 (heealisinus). 143 (antoctimetho?). 146 (deuda?).
156 {mandoado). 177. Vgl. auch durch vorangehendes 'mai'
hervorgerufenes Z in al- für '*'an- (§ 71 zu alfathio)^ unal- für
uuaäiey (§ 78), molcherter für morcherter (§ 132); wegen durch
'mal^' veranlasstes ^ für 2 s. § 134. Eintritt von consonant-
zeichen für vocalzeichen gewährt anestet aus *anasteo (§ 61).
In ähnlicher weise begegnet auch assimilierende Schreibung
in der endung eines glossenteils: antedio hokcardo aus antedio
glecharde (§ 48), ßeuc9, texgr9. aus *theu€ho texac^ (§ 55), oZ^eo
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236 TAN HELTEN
faltheo f üi- *aUhB, faltheo oder *afc7*a falcheo etc. (? § 59),
uadofdlto f flr *(u)ua^e- oder '''(ti)ua(2i^aZto (§ 78), uuidrositelo ffir
wMt'dri (oder -e) sitelo (§ 142), <tia septunchunn». für *^tie 5€5p-
tunchunm (§ 186); s. noch § 96. 98. 112 (?). 120 (zu cod. 6).
123. 151. 163 (zu chera cruda und ehren eeude). 177. 186
(zu apta?).
g. Nicht selten steht eine glosse in einem Paragraphen,
wo dieselbe nicht hineingehört und wohin sie sich offenbar
von vorangehendem oder folgendem Paragraphen her verirrt
hat, ein Vorgang, der dann eventuell die Verdrängung der
alten glosse veranlasste. Siehe § 12. 17. 19. 22. 37. 43. 44.
46. 48. 51. 55. 62. 65. 66. 71. 73. 75. 76. 78. 84. 90. 101. 106.
107. 108. 112. 120. 124. 127. 129. 155. Solche verirrung war
selbstverständlich nur da möglich, wo die glosse nicht^ wie in
den überlieferten hss., in den text des Paragraphen eingeschaltet
war, sondern als randglosse verzeichnet stand. Die so für eine
ältere periode zu erschliessende aufzeichnungsweise aber macht
uns die öfters zu beobachtende tatsache begreiflich, dass eine
glossenlesart das resultat einer entstellenden beeinflussung auf-
weist, die von der zum vorangehenden oder folgenden Para-
graphen gehörenden glosse ausgegangen war; vgl. § 22. 29.
32. 33. 36. 37. 38. 40. 41. 42. 45. 48. 51 (theostaxaca etc.). 54
(teodocco). 64 (alacfacis). 66. 67. 71. 73. 75. 77. 81. 82. 84. 86.
88. 92. 96. 107. 109. 120. 124. 131. 132 (moantheumi). 155.
186 (tiia eymis).
Eine gleichartige contamination findet sich auch mitunter
als die folge einer gegenseitigen berührung zweier zum selben
Paragraphen stehenden glossen oder zweier glossenteile; vgL
§ 12. 33. 71. 74. 75. 123. 159, Wegen in der 'CÄunno^'-tabeUe
zu beobachtender contamination s. § 186.
1}. Nach einschaltung der glossen in den text drohte der
lesart derselben aufs neue gefahr, und zwar von selten des
unmittelbar nach oder vor der glosse stehenden textwortes.
Es wui^de der glosse ein grösseres oder kleineres fragment des
lat Wortes angehängt (z. t. mit Schwund, z. t. mit erhaltang
jenes wertes): thertesun *in' 7,5 aus *tiierteca oder *Üiertega
*sunt' (§ 13; wegen 4n' für *t' vgl. § 38 ^)); pordorsü aospordar
0 Pas 80 in dem text entstandene, vor dem bnsssat« stehende 'in* gab
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zu BEN MALBEBGISGHEN GLOSSEN. 2s — Sa. 237
*snnt' (§ 26); mitho fosa stadiuo 196, 5 zu vergleichen mit
miühoforasta 'de uita' 194,5 (wegen t fttr e beachte § 4 a,
wegen an ^deu oder *diu angetretenes -o vgl. § 5 a; das 196,5
im text folgende 'nitam' steht offenbar für älteres 'de uita');
ponderos =pondero + dem anfangszeichen von folgendem 'sunt'
(§ 26); 'est' strogau 56,5 b zu vergleichen mit 'est' horogauo
57,4 (ausfall von ho bei oder nach der aufnähme von st)\ s.
noch § 38. 44 87. 101. 177. Wegen durch folgendes 'sunt'
veranlasster einschaltung bez. auslassung s. § 45. 63.
Ciontamination der glosse durch unmittelbar folgendes text-
wort liegt vor in uuälfoth (§ 78); beachte auch § 156 zu bardio.
Einige male ist contamination durch nicht unmittelbar
vorangehendes oder folgendes textwort zu beobachten (s. § 82.
84. 86. 92. 154): hier wäre solche beeinflussung für die in den
text eingeschaltete glosse kaum denkbar, wol aber für die in
der vorläge zufälligerweise neben dem betreffenden textwort
stehende randglosse (vgl. oben g). Wegen der entstehung von
fMSco(n)dinar und badiani s. § 100 und 24.
§ S. In den Schriftarten, deren Verwendung wir für
die mittelbaren und unmittelbaren vorlagen der aus
dem 8. und 9. jh. überlieferten hss. unserer Lex voraus-
zusetzen haben, ist vielfach zwischen zwei zur widergabe
von verschiedenen lauten dienenden zeichen eine ähnlichkeit
zu beobachten, die den des fränkischen unkundigen copisten
zur Verwechslung solcher buchstaben veranlassen konnte. Dass
dieses in der tat des öftem geschehen, darüber belehren uns
die folgenden in den glossen und formein, sowie auch in nicht
verstandenen fremdwörtem begegnenden Verlesungen:
a. Ein a für u und umgekehrt (vgl. das offene a-zeichen
der ags. schrift u. a. in Arndts Schrifttafeln, taf. 9 a) z. b. in
chsil de China für chnl de china (§ 109), brsicti aus *bruste
(§ 83), mardo für mnrdo (§ 63), chnltis für cÄaZtf (§ 9); vgl.
sogar lat. Wörter des textes umsi,nt 302 für uiunnt, dhstrias
398,1 für uW strias anderer Codices, /tew 159,1b für fl\m
(d. h. flumen, vgl. § 82 im eingang), cuptare 376, 1 für cB,ptare,
sanätem aus ^cnmitem für caniitem (§ 154) und s. noch § 11.
das mnflter ab für die einschaltung ^es absurden 4n^ vor 'OCLX den/ und
'DCC den.' der beiden folgenden Paragraphen der Heroldina 7, 6. 7.
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238 VAN HELTEN
21. 22. 31. 37. 38. 40. 47. 48. 51. 54. 55 (?). 58. 60. 64. 71.
75. 87. 88. 89. 99. 102: 112. 114. 116. 120. 123. 124. 126. 132.
142. 146 (?). 151. 152. 155. 157. 159. 161 (?). 184. 186;
hierzu gehört auch i für aus a verlesenes oder für o sub-
stituiertes u (§ 2/} und 4 a) in chfinne aus chr^nne (§ 10), äbi-
tania aus *äb9xhtunia (§ 54), stronis für stron^^ (§ 101), uvrgo
aus u»,rgo (§ 130), •^- aus "^-^a- (§ 182), faldno ans fäleomo
(§ 57); a fttr u aus i (§ 2/) in ^ ^ 2o aus -sitelo (§ 142);
a f ttr t« aus 0 (§ 4a) in ate- neben ote- (§ 48); o für u (§ 4a)
aus a in andechobina aus *andechabina (vgl. andesbina § 76),
ntcAofe^nu^ aus *nic%a2mf»u^ (§ 141); s. noch § 23. 54. 119.
126 (?). 156. 173;
ß. Ein a für ti (vgl. nach taL 5b von Arndts Schrifttafeln
das a- zeichen und die ligatur für ti in der ags. halbundal-
schrift) z. b. in chah. für chalü (§ 9), ochsdAora neben ocsteorä
aus *öcA^or(?t (§ 28); s. noch § 55. 74. 97. 177; hiemach be-
greift sich auch ai für tu (§ 11. 37);
/. Ein h für h und umgekehrt (s. auch E § 5 und vgl
bei Arndt taf . 5 a) z. b. in \i(mimo für ^hontmo (vgl. hanema,
honamo § 60), haofaUa für hacfatta (§ 47), hancJiäl für *hanefca2
(§ 134); vgl. sogar im text hoste 141, 1 var. für hoste und s.
noch § 28. 31. 32. 42. 67. 85. 94. 102. 107. 134. 168. 176;
d. Ein c für ^ und umgekehrt (s. auch E § 5) z. b. in orc-
für ort' (§ 42), cÄt für Ihi (§ 96), morcherter für *fnar\heriih)er
(§ 132), iscrabo für ^istrdbo (§ 117), -latina für -factna (§ 65X
thalthi aus cÄaKc (§ 9), -tAard« aus ^-chardes (§ 48), fnartÜ
aus *marc}ie (§ 128), £>artib für barcho (§ 24); vgl sogar im
texte certussum 11, 7 für ter^u^^w der anderen hss., porUna
139, lbfüri)orcina,jportano 59,6 b. 60, 2 var. fürporcarto, net
21, 4 für nee, tniciatu 406, sp. 1 für crtudatu und s. noch § 9.
12. 16. 22. 31. 33. 37. 40. 47. 54. 57. 59. 61. 62. 64. 66. 68.
70. 81. 84. 100. 101. 159 u.s.w.;
[in calcium, calcio aus chulti (§ 9) und dergl. kann vulgar-
lat. Schreibung vorliegen; man beachte im texte stmadonem
60, 8 var., paciatur 73, 9, seruicio 137, 3, praecio 164, 2, soUa-
uerit 77,10, malefitio 116,2 var. u.s.w. und vgl. Schuchardt^
Der vocalismus des vulgärlat 1, 154];
s. Ein c für 6 und umgekehrt (vgl die e der ags. halbun-
cialschrift in Arndts taf. 5 b) z.b. in scolandefa für seolandefa
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Zu BEN MALBEKOISCHEK GLOSSEN. 3 a-//. 239
(§ 74), aicheio für alckacio (§ 113), erami aus chrami i§ 82);
s, noch § 9. 24. 30. 38. 56. 62. 68. 84. 103. 116. 138. 139. 141.
184. 186;
£. Ein c für r und umgekehrt, (vgl. Arndts taf. 5 a) z. b.
in hoGÜ- für orii- (§ 42), acunema für *anitiema (vgl. aruueman
§ 121), texara für ^earaca (§ 20); s. noch § 23. 70. 179. 186;
97. Ein (; für 5 und umgekehrt (vgl. die halbuncialen zeichen
für c und s in Arndts taf. 5 a) z. b. in bracte aus *bruBte (§ 83),
cZidio aus *s^/dio (§ 140), anestet aus *an€Ctio (§ 61); ß. noch
§ 61. 127. 152. 154. 186;
^. Ein d für c? und umgekehrt (s. auch K § 5 und vgl.
bei Arndt tat 5b zeile 12 und 13) z. b. in -fuda für -fucla (§ 42),
^eora für -cleora (§ 112), meleäeno für m^lecleno (§ 108), ?eö-
cJecaZ durch Versetzung von Hn aus ä verlesenem cl für *leod€Aa
(§ 71); s. noch § 125;
I. Ein di für cä und umgekehrt (s. auch K § 5) z. b. in
diräni für chranm (§ 10), äiälti für chaZtt (§ 9), uidri darcihi
für *tif(d)Wdardi (§ 89); s. noch § 36. 49. 63. 100. 163;
X. Ein f fär 8 und umgekehrt (s.^auch K § 5 und vgl. bei
Arndt taf. 5 b) z. b. in tledio aus *slidio (§ 140), frilatina für
früa&ina (§ 55), thodlasti aus *tualetti (§ 11), -sofern aus *fMKn
(§ 129), cuuaerso aus *achuuefio (§ 103); vgl. sogar im text
praetermllierit 106, 1 für -tdllierit der parallelstellen und s. noch
§ 12. 36. 37. 51. 60. 66. 81. 84. 86. 92. 111. 115. 119. 135. 138;
X. Ein /* für c (der verticalstrich des voranstehenden l-,
n- oder u- Zeichens wurde, nachdem dieser buchstabe schon
nachgeschrieben war, mit einem hart daran geschriebenen ev.
daran angelehnten c für das /'-zeichen angesehen; wegen des
hier in betracht kommenden schriftzeichens für f vgl. bei Arndt
taf. 9a) in 'mal' tunne- für 'mal' ^cunne- (oder *ca«n6- oder
*cunni' oder *canm-) (§ 112), 'malb' treo- für 'mal' *creo-
(§ 155), then frio für *then cm (oder creo) (§ 124);
hingegen ein p für /* z. b. in pWo für trio (§ 67), haper
für *hater (§ 38); s. noch 8. 11. 71. 76. 81. 102. 117. 129. 135.
148 (?). 156. 183 (zum fremdwort *fiUus) und beachte das § 38
zu pecti(s) bemerkte;
fi. Ein t für l und umgekehrt (vgl. bei Arndt taf. 9 b und 12)
z. b. in fugia aus -focla (§ 42), maltholaiu für *fnalthoiatu (§ 96),
ladäbina aus inclauina (§ 114); s. noch § 38. 43. 74. 110;
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240 VAH TIELTEN
V. Ein tm für un oder umgekehrt und nu for im oder mt
in reodimia ffir ^reodania (§ 22), sithabahwn ffir ^lAoioAim
(§ 126), mkchala für *imc%a{a oder *ima2cto ans *i8malcha
(§ 91), *annin^ ans ^arnntio (§ 23);
g. Ein 9» ffir m oder in nnd nmgekehrt oder ein m for
ui nnd nmgekehrt z. b. in an^&onio für anihamo (§ 95), -Aoiima
ffir *haidxia (§ 110), ineZecftano ffir melediano (§ 108), inolo ffir
malo (§ 130), moZ^ooina ans maiacina (§ 65), jroniaJto neben
gamalta (§ 179); s. noch § 36. 88. 96. 110. 119. 123. 149. 166
nnd beachte anch uiuiso ans *misio ffir *misio (§ 75), sowie
das m im fremd wort abmundiuit (§ 64);
o. Ein m für ch oder ^A (vgl die ähnlichkeit zwischen
ch nnd f& nnd beachte Holders bemerknngen im Lit-bL t germ.
nnd rom. phiL 2, 54 ^ch der vorläge ward ffir nnciales m an-
gesehen') z. b. in chämitum ffir '*'c^mcht7tim (§ 33), ferimbera
ans /crthcftero (§ 122); s. noch § 23. 53. 60. 75. 126 nnd vgl
das umgekehrte in cbariti 407, lxxii des textes (corrigiert in
manfe); wegen n ffir m aus cA oder th beachte § 9 (natariw).
33 {-neteo). 67 (noreb'r). 129 {na pon);
X. Ein n ffir tt und umgekehit (s. auch E § 5) z. b. in
then ffir theu (§ 124), thenca ffir iheuca (§ 54), unt^torto ans
*umrdario (§ 130), tina5&u(/o aus unasbuco (§ 134), gauge-, g<mgi'
aus *(/an^'- (§ 62), fdltovio aus /aZcono (§ 57); s. noch § 14. 17.
21. 36. 40. 44. 54. 55. 56. 57. 58. 62. 70. 71. 74. 75. 76. 78.
92. 95. 98. 103 U.S.W.; wegen uu ffir im und im ffir im s.
§ 40. 120;
Q. Ein jp ffir r (vgl die ags. schrift in Arndts tat 9a nnd b)
z. b. in fondero aus *hrundir (§ 1 a und 26), ouep- ffir ouer-
(§ 102); s. noch § 43;
0. Ein r ffir n nnd umgekehrt (s. auch Kern, Die glossen
in der Lex Salica s. 44 und 67 nnd vgl. die ags. schrift in
Arndts taf.9a) z.b. in chramire aus chamin (§ 107), -muBdo
für -murdo (§ 63); vgl. auch das r im fremdwort tungire für
tungine (§ 145) und tesiatorem ffir arestatonem (§ 156) und s. noch
§ 8. 17. 36. 40. 43. 92. 107 (ctiramine). 111. 132. 163 (?). 172;
T. Ein r für s und umgekehrt (vgl. bei Arndt tal 12) z. b.
in murdo aus mosido (§ 63), navctis ffir nasdius (§ 100), leodasdi
für leodardi (§ 39), uuadseto ffir uuadreto (§ 127), (Aot?t«tö- ans
/0Mt<6r- (§ 81), o/bs- aus o/br- (§ 119), fistirbief'o aus ferthebero
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zu DEN MALBEBOISCHEN GLOSSEN. 3 V— x* 241
(§ 122); s, noch § 8. 36. 38. 54. 75. 86. 89. 90. 106. 121. 130.
132. 134. 138. 155. 167. 169. 177. 178 und vgl. neben dem
fremdwort asco-, um- 109, 4. 110, 3b etc. (§ 84) arcum 114, xxvn
var., arca 113, 4c (dessen endung auf Verwechslung des Wortes
mit lat. arca hinweist);
V. Ein r für f und umgekehrt (die halbuncialen zeichen
für t und r glichen sich genug, um gelegentlich bei flüchtiger
lesung unter sich verwechselt zu werden, vgl. bei Arndt taf. 5 a)
z. b. in dlachr-, dtagr- für aladit- (§ 64), marchat aus *morth€T
(§ 132); s. noch § 89. 108. 156;
q>. Ein £r für ^ (d. h. ^) der angelsächsischen schrif t (vgl.
auch E § 5, s. 438) z. b. in der glosse chanzisto und azisto für
^changisto (§ 126) und den fremdwörtem -lazina für *-tegtwa
(§ 65), UJi)unzinus etc. für t{h)unginus (§ 145); s. noch § 91.
1600; wegen g für e beachte § 16;
hierzu gehört auch zy für gi (der obere teil des s wurde
für e, der untere teil mit folgendem hart daran geschriebenen
ev. daran angelehnten i für y angesehen) z. b. in chanzy^ aus
changir (§ 84), inzjmis, -us, aus *inpmis, -as (§ 16) und im
fremdwort -lazyna für *-lagina (§ 65); s. noch § 31 und beachte
gy für gi (der halbbogen von ^ wurde, als der buchstabe schon
nachgeschrieben war, mit folgendem t für y angesehen) in der
formel nexiicantigjtis für *nexticantigiüs (§ 152) und den fremd-
wörtem tungyne für tunglne (§ 145), sagybaronetn, -es für sa-
gibaronem, -es (§ 153);
X. Ein ^ f ür d (das d der ags. schrift konnte, wenn der
nach links hinüberliegende oberschaft desselben, vgl. Arndts
tat 9 a und b, sich bedeutend gesenkt hatte, mit t verwechselt
werden) z. b. in protero für po(n)dero (§ 26), smata für sdmada
(§ 38), leote für leoie (§ 87); s. noch § 4a am schluss (zu beoto).
44 am schluss (?). 48. 71. 75. 90. 127. 143 (?). 163. 178. Wegen
einer Verlesung von d aus ^ s. § 134 und vgl. auch § 4/.
1) Der umstand, dass dieses e fast immer vor i erscheint (vgl. aber
malsaTUania § 91), könnte etwa auf den gedanken bringen, dass hier der
yersuch romanischer Schreiber vorläge, eine ihrem dialekt eigentümliche
assibilierte ausspräche vor hellem yocal darzustellen. Doch widerspräche
solcher fassung die tatsache, dass sich in unseren hss. yon solchen sn, ze
f&r gi, ge \XL lat. Wörtern keine spur findet. Uebrigens weist auch das
^ f^ gi auf Verlesung hin.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXV. 16
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242 VAN HELTEN
Veber einige andere Verlesungen wird bei der dentnng der
glossen an betreffender stelle gehandelt.
§ 4 a. Bekanntlich findet sich in den vulgärlat quellen
widerholt i für e (^ und e), e für t (i^ und f), u für o (tf und ö)
und 0 für u (u und ü). Siehe das belegmaterial bei Schuchardt,
Der vocalismus des Vulgärlateins 1, 226 ff. 374 ff. 2, 1 fL 69 ff.
91 ff. 180 ff. 149 ff. 180 ff. und beachte auch in den Mon.
GeruL, Scriptores rerum Merovingicarum die Orthographica
(s. 913 ff.) passim. Aus ^en hss. der Salica seien von den hun-
derten von belegen hier einige verzeichnet:
uinerit 2,2, tnuin€rit254t,7, debit2,3. 294,lxxx, iKi (für tOe)
15, 6, tris 69, 1 c var., sipem 96, 2b, uindiderü, uindederü 59,3. 6b,
duodice 20, 7, quindice 65, 4, dibilem 47, 1, frigerit, e(f)frigerü
64,5. 69,4. 87,2b var., valit 6i,lh. 3. 65,2b, omtwl« 92,3,
donit 307, 1, iactit 294, lxxx, iuraioris (pl.) 92, 3, hominis (pL)
69, Ic, testis (pl.) 303, fistucam 289, xlvi, contumiUa 411, sp. 2,
minsis 294, lxxx, pristo 235,6, pristita 334, lii. 335, lhi, ad-
criscant 317, 2b, innotiscat 51, 3b, hahiat, maniai 285, 1. 8, dibiai
317, LI, abtat 119, 4, (Ä)mww, -eo 83, 2. 92, 3. 361, dictus 83,8,
/flwrfre 236,5. 317,2 b, tradire 2m,&, admoniai 2^, intrania
101,5 U.S. w.;
man(n)ire (pass.) 1, 4. 5. 2, 4. 5. 4, 4. 5, 5, 4. 5. 8, 4, o&^er*
uare (pass.) 10,6. 11,5. 13,5. 28,3. 29,4. 33,3, perdedit 15,6,
uetellum 19, 1. 3. 20, 1, pertega 28, 2d, 5c 'wenn' 3, 1. 83, 2.
285, 1, annecolatum 11, 8, semenauerii 168, 2b, aurefice56, 5, <2o-
iwwi^ 5t*^ (gen.sg.) 58,2, accepitrem 29,1c. 2c. 38,3, furaueret 33,3,
mcocMrreraw^ 51, 5 var., exegcUur 77, 6 var., ingenuetatem 74, 5,
sepebus 191, xxxui, Zape(7e 411, sp. 1, e(7oncum 348, 4, ij)f6 (dat.)
208,xxxviL 209,xxxvi, salecum 88,2, crimene 137,4^ treginta
285,3, perario 152, 8 var., tentinnum 141,1b, /emena 119, 2. 3,
fuerent 317, 2, vocaret 187, 1, potueret 186, 4, ocdderet 191, 2,
legauerit 192, 1 u. s. w.;
l^wrceZZuw 6,2 b var., cuncida 97,11, ^un^orau^ro^ 132, 1,
refurmetur 141, 1 var., dt^pwn^ato 78, 6, Ä^ptcn^ato 132, 10, /«r-
^tina 289, xlvi. 285, 3, cunuiua 258, 6, nuscantur 83, 6, agnus-
cere 213, 2, rop^wr 74, 2. 78, 1 var., (h)ustia 87, 2b, scruua 2, 3b.
4, 3,b. 13,10, neguciat 60,4, humicidiis 123,1c var., humidda
200,1, exfudierit 83,1b, wwZmti^, -inario 121, xxn var. 122,1
var. U..S.W.;
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zu DEN MAIiBBBOISCHEK GLOSSEN. 4 a— /9. 243
doeana(m) 11,10. 14. 14,15, sote(fn) 92,2b. 93,4, tansorato
132, 1 var., tonsorauerit 132, 2 yar., docenUnus 65, Ic. 74, 2,
sobaUit 5, 6, anm-, ann^colotom 11, 8. 12, 9. 14, 13 yar. 16, 14,
32, 2 yar., uitohm 20, 3, cobitum 114, 3b yar. 317, 2b, cocurrit
104, 7 yar., ampotauerit 164,1b, copolauerit 74,6, poteo, -mm
253,2. 352,4, namerare 321, 2 b yar., costodiatur 312 oben, tn-
potauerii 312, 2 o. & w.
Diese schwankende Orthographie hat die schreibang der
glossen in ausgedehntem masse beeinflusst; für ein e bez. o
seiner yorlage schreibt der copist manchmal i bez. u und um-
gekehrt, sodass sich für ein e des glossators in der Über-
lieferung auf schritt und tritt neben e auch i, für i
auch e, für o auch u, für u auch o findet. Belegen für
die erscheinung begegnet man unten bei der erläuterung der
glossen in fast jedem §.
In gleicher weise sind zu beurteilen: das häufige eu für
des glossators eo (= diphtL, ygl. § 190a am schluss, oder = eo
bez. &> aus e-u bez. ai-u; s. § 23. 28? 51. 52. 55. 63. 67. 74.
123. 146) und eu für eo aus -e + o- (§ 112); ein eo für des
glossators eu (vgl. § 39 zu leud- sowie § 87. 88), für durch
einschaltung von u nach e entstandenes eu (§ 22. 64) oder für
ein statt iu (= i + silbisches u oder w) des glossators geschrie-
benes eu (§ 54. 55. 90); eo für io, das durch einschaltung yon
0 nach i oder durch antritt von lat. -o an i oder aus i und
für u eingetretenem o entstanden war oder auf t (=i) + o (= ö)
zurückgeht (§ 27. 67. 77. 96); io für eo (§ 97); tu für des glos-
sators eu (ygL § 39 zu leud- und s. § 119 am schluss); eu für
des glossators tu (=i + u oder w, s. § 54. 55. 90); io für des
glossators eu (= e + u als die eine hälfte yon uu, s. § 120)
oder durch Verlesung entstandenes iu (§ 120). Dem roma-
nischen Schreiber repräsentierten ja eu, eo u. s. w.
heterosyllabische laute. Wegen disyllabisches eo für eu
und ev. eu für eo sowie tu für eu im lehnwort vgl. § 87. 101.
120 und beudo 299. 304. 305 neben beodo, -um 298. 303. 305
var. (beoto 300 mit ^ für d nach § 3x) 'tisch' aus *beod (K § 226).
ß. Für die spräche unserer glossen und formein ist die
contraction von e aus ai im auslaut sowie vor h, w und vor
muta sicher bezeugt: i{h)ue acc. ntr. des cardinale (§ 186),
uu^jpe und uueiano aus *uuäiiari, *uuehiarun (§ 43), fectho
16*
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244 VAK HELTEN
aus ""fechö (§ 84), chreo-, d. h. *&r^o- (§ 63. 67. 71. 124. 156. 158),
cKk-, cheol-, cheo- aus *cÄfeö- (§ 69), seoland- aus *seolanda- (§ 74^
reph-, repp-, -repus etc. aus *rQ}- 'seil' und in andrq^us etc.
steckendes *-r^- (§ 41. 118), -ebero = ahd. eiuero (§ 122), -eheto
aus *-chetun ducem (§ 82), -red(? etc. aus ^-redun admissarium
(§ 127), -hUto aus *-blet oder *-6tefen oder = *6fefo) (zu ahd.jp2ei2^-
0on, § 77), aZa o/^^c- aus *dladiesto violenter (zu ahd. haistem,
§ 105), choUsinus etc. aus ^chalestin *das leisten' (§ 141), diane
cre, ane cren aus "^chauBcsin Tbesitzers einer Schenkung' (zu 9^&iso,
§ 178); vgl. noch § 20. 86. 88. 141. 144. 152. 171 [den ö(c)Ä und eo
gemäss ist natürlich er anzusetzen, das indirect durch das er aus
*air eines lehnwortes bezeugt ist, vgl. § 156; für die behand-
lung von ai vor l fehlt ein directer beleg, doch vgl. man § 123].
Für altes ai vor m begegnet a, nämlich in den glossen*
lesarten, die auf composita mit bez. derivata zu salfrk. reflex
von got. haims zurückgehen, amitheoto, chami theuto etc. (§ 23),
ameställa etc. (§ 120), anfhamo etc. (§ 95), lampicü (§ 161), und
in franchamo etc. (§ 131), cham 'haus' oder *zu haus' (§ 137).
Dass in diesem a der repräsentant von salfrk. ä aus ai vorläge,
ist schwerlich denkbar. Es ist hier vielmehr die folgende an-
nähme geboten: salfrk. vor m nicht contrahierter, sondern als
aH gesprochener laut wurde vom glossator durch ai dargestellt
(vgl. die unten zu erwähnende Schreibung au für o'u); die gallo-
roman. Schreiber, die in lat. wni und an ihrem dialekt gemäss
das a palatalisiert (und nasaliert) sprachen (vgl. Meyer-Lfibke,
Roman, gramm. § 246) und denen also das a in der alten lat
Schreibung am als die darstellung von solchem laut galt,
schrieben nach diesem muster für das aim der vorläge am.
Die nämliche behandlung ist selbstverständlich zu vermuten
für ain, den repräsentanten von salfrk. aHn. Und in der tat
findet sich neben suuachine mit achi für ai (§ 18) und bitia mit
?■ aus ai (§ 75) ein suane mit a für ai (§ 18); vgl. auch § 9 zu
nataricB etc. Daneben aber erscheint auch als gallorom. Sub-
stitut für ain die Schreibung agn (vgl. die gallorom. palatali-
sierung von g in der Verbindung agn) in soagni (§ 17) und
soagne (§ 18).
Nach dem muster dieses agn entstand wol agm für aim
in *chagnie- für *chatmi' (§ 38) und SaUchagniey Saiicagme,
Bodochagme, Bodecagme, Uuidochagmi im Prolog der Salica
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Zu DEN MALBEBGI8CHEK GLOSSEN, ^ß—y. 245
(Hesseis 422, sp. 2 varr.) neben Salchamce, Bodochamce, TJuido-
chamoB bez. Salicaime, Hodocaime, Uuiducaime (Hesseis 422, text
und sp.2 der varr.).i)
Für die spräche der glossen ist contraction von altem au
zu ö vor dental, l und r und im auslaut, erhaltung von diphthong
vor labial bezeugt: choroch-, ora, honema etc., -odum u. s.w.
(§ 55; vgl. auch das lehnwort ahdis § 165), -no (§ 134) und
harauiuino (§ 80), -clauina etc. (§ 114), touer- etc. (§ 81), orto»
bäum (§ 98; vgl. auch das lehnwort lauue § 156; aus touer-
etc. ergibt sich für au ein lautwert a^u). Wahrscheinlich ist
auch die erhaltung von diphthong vor guttural (§ 128). Nach
dem muster von vulgärlat. Schreibung o füi' au (vgl. Corssen,
Ueber ausspräche u.s.w. der lat. spräche 1,163 ff. und Schu-
chardt. Der vocalismus des vulgärlat. 2, 302 f.) wurde von den
roman. Schreibern in den glossen gelegentlich o für au (salfrk.
diphth. oder a-w) bez. ou (d. h. o-u) substituiert: charoenna etc.
(§ 80)> *s€olandouefa (aus *S€olandauuefa) und seolando efa (aus
*seolandouefa) (§ 74), ago epha (aus *agauefa § 136); vgl. auch
moalum als entstellung des nicht mehr verstandenen fremd-
Wortes *mauailam (§ 72).
y. Die romanische erweichung von intervocalischer bez.
zwischen vocal und liquida stehender tenuis zu media tritt in
den vulgärlat. quellen manchmal zu tage durch die phonetische
Schreibung 6, d, g für |>, t, c. Vgl. die bei Schuchardt, Der
vocalismus des viügärlat. 1, 124 ff. citierten belege und beachte
auch in den hss. der Salica:
cabrarum, cabras 33, Ib var. 2 b var. (für cqprarum, -as),
abro 195,3 (für apro), abium 42, Ib var. (für apium), lelore(in)
181, 5. 186, 6 var. (für kporem), nebus 276, 3b var. (für nepos\
Sectios 375, 2 var. u. s. w.;
sude{fn) 8, 3b. 94, 3. 98, 3b (für sute, -em), uodiuo 13, 11,
emancada 175,2, aneda(m) 41,8. 42,5 (neben anatam 43,6),
staduam 158, 27 var., mederit 149, 6. 151, 5 var. (für meterit),
deladore 184, 5, trihudarium 258, 8, rq^etendi, repedente 249, 7
und var. u.s.w.;
sagriutis, -o, -um 15, 6. 7 var., concagato 182, 2, toxigata,
^) Vgl. auch von Grinun in M xvu citierte Aigmo^ -agmi, -stagnij
'ftcLgwM für AimOf "aimif -staini, -staim^ß.
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246 VAN HELTEK
toxegata 100, 2. 101, 2, elogare, -atum, -atio 164, 1. 2. 3. 166, 1. 3.
uulpiga 184, 4, uulpigolam 188, 3 var^ noguerit 51, 4, pertega
28, 2 d, perfiya 35, 2d, fistugam 294, lxxx var^ «lÄ^o 83, 2,
scäega 244, 1, caballigauerit 119, xxm, trigauerit 204, Lvn, •»-
cro^a/ttö 406, sp. 3, excortigaueret 398, Lxvn, carruga 221, 1.
222,1 var. iLsw.
Nach dem muster dieser b, d, g wurde von den roman.
Bchreibern in den glossen und formein mitunter b, d, g Ür
p, t, c der vorläge substituiert (vgl E § 5, s. 438):
obrebus fflr *obr€pus (§ 102), -rebus fftr -refus (§ 118),
-duhlio ffii' 'du^Uo (§ 135);
'friAo für *-/rato (§ 75), -reio aus *-ntö (§ 77), mattftocWßdo
meo für *fnaZ^%o fhi atomeo und Zedo fflr *leto (§96); s. noch
§ 26. 51. 61. 90. 108. 127. 150 (vieUeicht li^ aber in einigen
dieser d die folge von Verlesung aus t vor, vgl. § 83^);
-fugia, ium für -focla (§ 42), laeina fflr ^-lagina aus -la-
cina (§ 65), -bugo fflr *.6wcö (§ 134; vgl. auch § 24. 77. 152).
Beachte auch die lehnwörter reüms (§ 141), durbüo (§ 164),
andrusdo 263, 1. 414, sp. 3, andrusHo, -one, -onem, -ones 413,
sp. 3, 414, sp. 3 (s. anm. 2 zu § 175), Udus, -a, ledus, -a (s. Hes-
seis' index).
Zur kategorie -ft^a gehören auch die lesarten mit g fflr
aus ch (nach %6ß) hervorgegangenes c in drauge neben draee^
drache aus *drachi- (§ 19), älagra neben dta/chra (§ 64), maie-
gatw neben m^Jachano (§ 108); s. noch § 13. 23. 42. 49. 70
und beachte lat. neben moechcUus, mechcUtis, mkhatus, moeeaius,
mecatus etc. (s. Hesseis' index) begegnendes migatus, -» 78, 6
var. 132, 10 var.
ö. Auch das vulgärlat im anlaut vor vocal geschriebene h
(vgl. in den hss. der Salica z. b. hubi 13, 13. 49, 2, hunus, -uü^ -o
22,7. 49,2. 103,6, hidus, -o 71, Ib var. 103,6, hostia, hustia
'tflren' 87, 2b und var., hacceptorem 31,1c, haccipiat 67, Ib.
139,5, hoccidere, -erü 121,1. 130,8.11. 193,2b. 166,2, koe-
cultum 130,3 b, hoccupatus 4, i, hordifMÜonem 85,4 u.&w. und
vgl. auch die Mon. Genn., Scriptores rerum Merov., Orthograph.
S.925, sp.2 citierten belege) veranlasste die roman. Schreiber
manchmal zur einfuhrung dieser Schreibung in die glossen:
hacfaXla aus *at faUu (§ 47), holeeardo, höh chartis neben de-
charde etc. (§ 48), hoc fado neben ac faUho (§ 81^ haJaehaeio
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zu DEN MALBXBOI8CHEN GLOSSEN. ^Y—t 247
neben alchaäo (§ 113), huutchardo neben autchardo (§ 88); s.
noch § 38. 42. 50. 71. 90. 91. 96. 98. 102. 117. 121. 127. 137.
ISO. 157 und § 64. 144. 171 zur Schreibung der lehnwörter
hahundiuet etc., hac famirem, hachramire, hacesium.
Desgleichen findet sich nach dem vorbild von hiatusandeu-
tendem vulgärlat ä (vgl. Schuchardt, Der vocal. des vulgärlat.
2, 524 1) solches h in den glossenlesarten ahe (§ 11), carohen
(§ 80), uerouhano, siuaerohen (§ 92), dahus (§ 125); vgl auch
6 ffir Ä (§ 3/) in atribute, atributaria (§ 176).
Umgekehrt ist öfters in den glossen nach dem muster von
vulgärlat. orto, erbos, ospites u. s. w. Sal. 41, 12. 42, 2. 114, 1 var.
145, 6. 146, 6. 147, 6. 148, 6. 150, xll 292, xlvl 294, lxxx var.
296, XLVin var., asta, (mrienSy erundines, emeneos (s. Mon. Gterm.,
Script, rer. Merov., Orthogr. 925, sp. 2) erfolgter Schwund von
des glossators h oder von aus ch des glossators hervor-
gegangenem h zu beobachten (s. § 6/} und beachte auch ac für
hoc § 47), während das im wortanfang oder im anfang des
zweiten compositionsgliedes vor consonant geschriebene h des
glossators als den romanischen Schreibern gänzlich fremdes in
der Überlieferung ausnahmslos fehlt: pondero etc. (§ 26), orbis,
urbis (§ 65), leodeba etc. (§ 71), -rit etc. (§ 75), rosidio (§ 85),
uuadrido etc. (§ 127). Wegen Hian, uueiano etc. s. § 6/9.
e. Ueber nach vulgärlat. muster in der glosse stehendes
xt für st wird in der anm. zu § 91 gehandelt.
^ In den vulgärlat quellen wird bekanntlich widerholt
doppelconsonanz für einfachen conson. und umgekehrt einfacher
conson. für doppelconsonanz geschrieben. So in den hss. der
Salica z. b. in cappo-, cappulauerit 42, 1. 2. 93, 3, percuUere
104, 2, excwttere 59, 6, coccinant 397, 1. 402, 1, peccora 50, 3b.
5b. 53, 8 var. 59,6.7, peccoribus 140,2b, caussam 106,2, ac-
cussatlObyXLm, hoccassum 29,2 c, commisserit 132, xxxm, di-
misserit 141, 2 var., misserit 60, 8 var., prisserit 73, 9, ocässerit
128,1c var. 204,1 var. 267,1, tullerit 74,6. 77,12. 78,5. 236,6,
j>eBasrö 258, xcvn. 263,3. 266,10, adsallierit 78,6, 79,10. 80,10,
salUre 370. 371. 372. 374. 377, rammis 253, 2. 254, 4 u. s. w.
und apeUit 1, 3. 2, 3, apellauerit 184, 2, apareat 100, 3, suhaterit
1, 3b, sobattit 5, 6, irabaierit 119, 3, sagita 104, 2, uaca{m)
28,4.5. 24, 3 var., acusat 102,xviii, oculte 129,2 b, aceptorem
33; Ic 2d, anguüas 169, 1\>, uilarum 231,2h, cabaUcauerit
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248 VAK HELTEK
123,1, falierit 100,1, police(m), -is, -m 175,3. 176,5. 177,3.
104, 10, recoligat 47, 3b, gcdinam 41, 6. 42, 6 var., conwnes 24, 4
yar., fmmülam, -ellam 113,4b. 114,4. 116,4b, anona 92, 2b.
93,2. 94,2. 96,1b var., carucam, -uga 219,1 222,1 var., coro
204, LHi (für carro) u. s. w. Vgl. auch Mon. Germ., Script rer.
MeroY., Orthogr. s. 925, sp. 1 coUidianum, vissicis (für W9icis\
cAstullerunt, retulUt, renntto, serra 'riegel', acommodis, difunr-
duntur, ager (für agger), colegendum, coniventia, torens. Als
durch diese schwankende Schreibung beeinflusste lesarten sind
zu beurteilen:
reppo' (§ 41), uueippe (§ 43), -rappo (§ 97), andreppus
(§ 118), obtubbo (§ 99), effa (§ 74), iUo (§ 49*), -UiMo (§ 77),
-sitto (§ 85), frasitto (§ 111), sacce nrnfher (§ 154), nicholessinus
(§ 141), haroassina (§ 121), maUacina (§ 65), canna- etc. (§ 46),
charoenna, carro enno (§ 80), turrip- (§ 66), sonnista etc. (§ 25);
andrepa (§ 102), hacfala (§ 47), (da (§ 115), staiachaia
etc. (§ 126), 6e5to?i(F etc. (§ 137), duminus etc. (§ 107) und ofa^
^Aamo etc. (§ 107), c%(r)amm etc. (§ 82), chrane (§ 10), c&ana
(§ 40), -ncmw etc. (§ 125);
s. noch § 41. 51. 68. 84. 88. 112. 119. 121. 122. 126. 131.
135. 142. 158. 163. 184 und 36. 46. 88. 112. 117. 120. 130. 135.
137. 169 und beachte auch die Schreibung der lehnwörter reippus
(§ 141), noffo, graffio (§ 157), gassachio, -acionem etc. (§ 178),
affactumire (mit c für ^, § 144), duropullo, -pelh (§ 164), ama-
chaUum, moffolum (§ 72), -harronem, -borronem etc. (§ 153),
anrnallm (§ 179), alis (§ 10), abundiuit (§ 64), abonnis (§ 173),
afatumiri (§ 144).
Zu dieser kategorie gehört auch das ^^ für < aus ^ (nach
§6/9) in üto (§96), miUinio (§119), matte' (§132), fUter
(§ 186).
§ 5 a. Seit Grimm ist die fassung der Malberg, glossen
als belege für noch nicht durch das vocalische auslautggesetz
gekürzte formen gewissermassen zum dogma geworden. Man
beruft sich dafür auf -focla 'vogeP, auf chunna, das 'hund'
bezeichnen sollte, auf lammt, das auf lambi 'lamm^ zuruck-
gienge, auf iualepü, das als sg. = an. tylpt, urwgerm. tualißi
zu fassen wäre, auf steord, das auf urwgerm. steur-Jd beruhen
dürfte, auf chanjsisto, das urwgerm. {c)hangisto sem sollte.
Doch steUt sich bei einer gesanmitprüfung des überlieferten
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zu DEK HALUEBGI8GHEN aLOSSEN. 4 g — 5 a. 249
materials das unhaltbare besagter annähme mit voller Sicher-
heit herans. Von den beweisen für diesen satz, die sich bei
der erläuternng der glossen in hülle und fülle er-
geben werden, hebe ich hier nur einige der wichtigsten
heraus:
es begegnen widerholt (s. § 41) glossen auf -o, die als
schwache accusative sg. masc. gedeutet werden müssen und
deren überlieferte endung als latinisierung von des glossators
^-un begreiflich ist, keineswegs aber mit -unu- oder -imo zu
vereinbaren wäre, das nach besagtem dogma für die spräche
des glossators postuliert werden müsste;
es finden sich in stattlicher zahl (wegen der belege s.
unten) glossen auf -io bez. -ina, -tnus, -ino, -inis, die als zu
einem ^'an -verbum gehörende verbalia zu gelten haben und
deren überlieferte endung als latinisierung von des glossators
-» (d. h. -* aus -I») bez. -in (d. h. -in) begreiflich ist, doch schwer-
lich mit -mi in einklang zu bringen wäre, das nach besagtem
dogma für des glossators spräche in anspruch genommen
werden müsste (wegen -is für -i = -t im fremdwort vgl. § 87
und 144);
es erscheint auf altem *hrundir beruhendes pondero etc.
(§ la und 26), dessen -o keine urwgerm. endung sein kann;
dasselbe gilt für das als schwachen gen. sg. masc. zu
fassende chrogino aus *charogino (§ 89).
Hieraus folgt also, dass die endung der oben citierten
'focla U.S.W. eine andere deutung als die bis jetzt geltende
erfordert (s. unten § 42. 40. 36. 11. 28. 126) und dass überhaupt
die '0 und -a, welche in den glossen und formein dem salfrk.
wort angehängt erscheinen, als lat. endungen zu gelten haben,
die der neigung der Schreiber, den glossen ein lat. gepräge zu
verleihen, ihre existenz verdanken.
Am häufigsten wird so -o verwant als endung für den acc.
sg. masc., wie in chdlteo = 'porcellum' (§ 9), barcho = 'maiale'
(§ 24), ocxino = *bouem' (§ 28), socelino 'sparuarium', sondolino
= ^anserem' (§ 45), melachano = 'quarto (digito)' (§ 108),
hriorodero = *secundum digitum' (§ 108), u.s.w., oder als endung
für den nom. oder acc. sg. ntr., wie in mosido 'diebstahl' oder
^ diebstahlsstrafe' (§ 68 und 89), *'Slito 'abschneidung' oder 'strafe
wegen abscbneidung' (§ 111 und 39) u.s«w. Beachte speciell
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250 VAN HELTEir
die 'io für -i, d. h. -%, der verbalia ant(h)edio etc. (§ 44), -faUkeo
(? § 59), alac fcdthio etc. und turpqohaldeo etc. (§ 66), ^Hirbio
(§ 69), obduplio etc. (§ 135), stadio etc. (§ 139), -didio etc.
(§ 140), woneben auch ohne angetretenes -o leodardi etc. (§ 39),
leodi etc. (§ 87), uirdade etc. (§ 89), tomechdle etc. (§ 68),
liUiändarcAt (§ 150), sowie das nominalabstractum uueruanaä^e
etc. (§ 92; vgl. noch malichardi etc. § 82); wegen eines seltenen
-ia für -i s. § 60. Nach dem mnster dieser -io bez. -eo für -t,
-e entstanden dann necihanteo etc. ans *nestanthi gen. sg.
(§ 152), *editio aus *€chti dat. sg. (§ 61), anOU fcO&io ans
*anthifdlthi dat. sg. (§ 63), ^Aao tidio aus '^'cAßtundt dat sg.
(§ 159), *touirio aus *touueruurti acc. pl. (§ 81), Äe»w ans
suiani (§ 17), nestigantio aus durch ausfall entstandenem ne;^
gante (§ 152), ^6r fA^o bez. aptheo aus durch ausfall entstan-
denem therte bez. *ap^ (§ 186), *amio für durch dittographie
entstandenes *aim (§ 23), dlfathio für durch Versetzung ent-
standenes *alfathi (§ 71). Vgl. auch -diuo nach dem muster
der häufigen lesarten auf -o für aus dem text entnommenes
'deu (§ 2 9;), theackro = aus dem gen. "*" Ami^c^ hervor-
gegangener entstellung + o (§ 54), chrogino aus ^dkoragm
(s. oben), -dredo = aus *'darde hervorgegangener entstellung
•dred + o (§ 54), thalasciasco für durch dittographie entstan-
denes Vta- oder '*'^%a2a^(»a^c (§ 151), seolando für durch tren-
nung von seolandeua in ^eoland 6 tm entstandenes scheinbar»
Simplex (§ 71).
Mitunter tritt die historische Schreibung -um oder -n für
solches '0 ein: calcium neben caldo (§9), -murdum neben
mtirdo (§ 63), -/rediJ neben -/Wdo (§ 75), -dariü neben -d^mo
(§ 130), 'Odum neben -ucfe (§ 178). Beachte auch charohUum
(§ 32), chamitum (§ 33), aus überlieferten lexm und 2ecitm zu
erschliessendes "^ktum (§ 96. 124), ortopodun (§ 98; -u» ver-
schrieben für -um) sowie -tigium (§ 152), deren -um als Sub-
stitut eintrat für -o, das irrtümlich für die lat. nominalendiing
angesehen wurde.
Desgleichen begegnet statt -o einige male durch die im
vulgärlat. beliebte Verwechslung von casus rectus und obliquus
hervorgerufenes -us {-os) und zwar mit ausnähme von ueganms
(neben uueiano, § 43) zufälligerweise immer statt eines -o, das
irrtümlich für accusativendung angesehen wurde: anffumim
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Zu DEN MAL.BERGISCHEK GLOSSEN, ha ß, 251
neben antonio (§ 58), ohäMbus, ob dopus neben ohduph aus der
3. sg. praes. opt *€fOieofo (§ 99), nasdhus für *nascho aus *na-
Ä<*ti» (§ 100); s. noch § 70. 81. 96. 102. 118. 124. So auch
'US für -u (§ 125. 157) und umgekehrt -o statt eines irrtfimlich
für lat. nominalendung angesehenen -us (§ 64).
Mit ausnähme von theriega, -focla, anfamia, für deren -a
je ein besonderer factor geltend zu machen ist (s. § 13. 42. 60),
erscheint diese endung nur in den verbalia mit -ina (-end) aus
-in (d. h. -In) -lasina etc. (§ 55), carina (§ 68), charom(n)a etc.
(§ 80), chamina (§ 107), cMudachina etc. (§ 109), inchdbina etc.
(§ 110), indauina etc. (§ 114), theladina etc. (§ 123), phimarina
etc. (§ 135), antesalina (§ 152), frifastina etc. (§ 182); vgl.
auch § 166 (in -lacina § 65 liegt, wie in sübsadina § 179% die
form eines lehnwortes vor). Die latinisierung entstand nach
dem muster von rapina, ruina, saisina, gesina (vgl. wegen der
beiden letzteren Wörter Ducange i. v.) u. dgl. Daneben seltenes
-ino (-c»o), 'intis, -inis: {c)harouueno etc. (und charoena etc.
§ 80), chamino (§ 82), chaminus, -is (und chamina § 107), cha-
minis (§ 157), ehre ottar sino etc. (§ 158), nii^oUsiniis etc.
(§ 141) und ohne lat endung chamin, -en (§ 82). Vgl. auch
faleano, -ü etc. (§ 57).
Ausnahmsweise wird auch -e (für -em) oder -is zur latini-
sierung verwant: trasle (neben trasilo § 35), -hagine etc. (§ 24),
chaminis (s. oben).
/}. Eine parallele zu den oben unter a besprochenen
endungen bildet das nach dem muster der vulgärlat. composita
lignifdber, linifex, hinig&r, aquilifer, homiddium, mortilegium,
mmßcus, ruricola, virgipotens u. s. w. als compositionsfuge in
die glosse eingeschaltete -i- bez. dafür (nach § 4 a) stehendes
'€' (der roman. Schreiber empfand das wort, wenn er es gleich
nicht verstand, in folge seiner länge als compositum und teilte
es ungefähr in der mitte ab): suane calte, soagne ehalte etc.
aus *suainchalte (§ 18), ehami iheutö etc. aus "^chaimfheoth (§ 23)
und amestalla aus "^chaimstaUa (§ 120 am schluss), ortifucla
etc. aus ortfoda (§ 42), olecha/rdis etc. aus "^ulchardes (§ 48),
iurpqphaldeo etc. aus Hhurpfalihi (§ 66), uuadefdKho etc. aus
^üModfalt (§ 78); s. noch § 76. 89. 127. 130 (?). 132 (?) und
beachte chuA de china für *chuldachina (eig. ^d^uld-achUna, § 109).
Pas oändiche lat muster rief auch das wirklich gesprochene
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252 VAN HELTEN
-«- bez. -e- hervor in den fremdwörtern toeri-, weregeldum (§ 87),
lesiuuerpisse etc. (§ 144), «oci-, sacebaro (§ 153), hereburgio etc.
(§ 168), rachini'y rdcini-, rackine-, racineburgitis (§ 174), «Noßt-y
fnalleberg(t)is, -go 348, 4. 349, 4. 367, 1. 413, lxxvi (malebergo^
'bargo 413, cvi. xcvin; daneben auch nuübergis 345, 4b. 346, 4,
das häufige mo? oder mdlb sowie maUobergo 298, xlvi. 361, lvl
363, Lvi. 365, Lvi. 361, 1. 365, 1. 413, lxxvi. 414, sp. 1. 3, mäOu'
bergo 299, xlii, mallobergis, -es 347,4. 344,4, maüobargo 413»
xGviii. 414, sp. 4 mit maUo- durch einwirkung des häufigen m
mallo).
Mitunter auch wurde dem ersten compositionsglied ein -o
angehängt, indem der Schreiber dasselbe für simplex ansah
und nach a behandelte: chario für chari- (§ 32), ortQi)o für
ort' (§ 42. 98), frio für /W- (§ 55), uuiro für uuir- (§ 89). Man
beachte hiermit zu vergleichende chisio^ borgio, alio statt durch
unrichtige trennung für simplex angesehener *clnsi oder *€hasi
(§ 75), borgi (§ 85), alt (§ 135) und *chamio statt chami- für
cÄam- (s. oben).
§ 6 a. Nach dem muster der bekannten romanischen isc-,
ist; ism- bez. esc-, est-, esm- für sc-, st-, sm- entstanden die
lesarten e streonas (§ 101), escrippas (§ 102), iSc(h)rabo etc.
(§ 117), estalathia (§ 126), esthadio (§ 139), esUgante, istigante
(§ 152) und Ä4>cAo^o (§ 50), {h)ismala, *esfnala (§ 91), hischrabo
(§ 117) mit Ä nach § 4(J (vgl. K § 5, s. 438).
ß. Aus in den glossen und formein normalerweise er-
scheinenden ch = salfrk. h bez. spir. g ergibt sich, dass die
salfrk. Schreiber in der regel dieses ch zur darstellung eben-
genannter laute verwanten (vgl. K § 5, s.436): direo- 'leicben-'
(§ 63. 67. 71. 124. 155. 156. 158), cherecheto (das erste e für a,
das zweite für i) ' heerführer' (§ 32), chrani{m)en ^das mit den
bänden angreifen* (vgl. an. hremma, § 82), -chardi (= ahd.
hartin scapula, § 82), chansisto caballum (§ 126), ckroso 'ro^'
(§ 169), chuuarso aus salfrk. *ahuuerf (§ 103), -fecho *vieh'
(§ 37), tumichalis = salfrk. Humihall (§ 68), ochs für ""achsm
bovem (§ 28), druchte für "^druchti gen. sg. zu salfrk. *drvht
^bande' (§ 140); ehalte = salfrk. "^galte (§ 9), charoenna kos
salfrk. *garaubln (§ 80), chalip s aus *chdlifes = salfrk. ^(/al^es
(§ 135), drachi- = salfrk. *dragi- (§ 19), -faldiio = salfrk.
/a?^ (§ 59), tracM für *<^ra<*t? = salfrk, *ihraga (§ 49),
7|e
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zu DEN HAIiBRROISCHBN GLOSSEN. 5/? — 6/. 258
barcho für *barck = salfrk, *barg (§ 23); s. noch § 10. 40. 41.
46. 54. 61. 62. 64. 70. 71. 73. 82. 84. 88. 103. 105. 107. 108.
120 U.S.W. und 13. 21. 38. 40. 42. 48. 54. 63. 64. 70. 73. 75.
86. 108. 109. 112. 113. 126. 131. 133. 134. 138. 141. 143 u.s.w.
[Wegen eines vom glossator ausnahmsweise verwanten h s.
unten y. Eine seltene Schreibung g = salfrk. spir. g ergibt
sich aus in der Überlieferung durchstehendem oder überwiegen-
dem g: thorogao etc. (§ 54), gaugie etc. (§ 62), burgo sitto etc.
(§ 85), chrogino (§ 89), gasferit (§ 115), ago epha (§ 136), agsoniis
(§ 148), d^reo burgio etc. (§ 156), idulgus etc. (§ 157), granderba
(§ 168); vgl auch inzymis etc. (§ 16), malsaniania (§ 91) und
s. noch § 93. 152 und 161. Für die media g findet sich g oder
daraus hervorgegangenes e (§ 3x): biggeo (§ 73), chanzyn (§ 31),
changi- etc. (§ 62), chanzyso etc. (§ 84), chanaisto (§ 126); vgl.
auch § 134. Wegen g zur darstellung von palataler spirans
s. § 79.]
Für dieses den romanischen Schreibern ungeläufige ch und
für th, das der Salfranke zur darstellung von Ji und d verwante,
beg^net in der Überlieferung nahezu jeder betreffenden glosse
einmal oder mehrere male c bez. t\ vgl. z. b. § 9. 13. 19. 21.
23. 28. 32. 37. 40. 42. 46. 48. 54. 61. 62. 64. 68. 70 u.s.w. und
12. 13. 23. 35. 40. 49, 49*. 51. 52. 55. 58. 59. 61. 66. 70 U.S.W.
/. Ein anderes mittel, das ihnen fremde ch zu beseitigen,
erblickten die romanischen Schreiber in der ersetzung dieses
doppelzeichens durch h, das dann weiterhin nach § 4d schwinden
konnte. So finden sich in der Überlieferung neben einander
chdlteo, ehalte (calte) etc. und alteo (§ 9), chami- und ami- (§ 23),
chunne (cunni) und hunni (§ 40), chun- und hun- (§ 41), chana
(canna-) und anna- (§ 46), cha- (ca-), ha- und a- (§ 80), chan
msto, chanzascho {canaeasco) etc., hanziam und azisto (§ 126)
s. noch § 31. 32. 54. 63. 67. 70. 76. 77. 97. 110. 120. 126 {sita-
bahim etc.). 134. 135. 137. 141. 152. 178. 186. [In ohseno (§ 28),
anhunerbo, auuerphe (§ 103) und äbotanea etc. (§ 54), ismäla
etc. (§ 54. 91), uuala (§ 133), ma/rfolen (§ 129) liegt die folge
vor von einfachem ausfall von c bez. ch,]
Wo in der Überlieferung der lesart mit bez. ohne h (= sal-
frk. Ä) keine lesart mit ch zur seite steht, wäre allenfalls ur-
sprüngliche Schreibung ch denkbar. Doch ist hier auch, zumal
wenn die glosse in mehreren hss. überliefert ist, die wahr-
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254 TAN HBLTEN
scheinlichkeit, hei den glossen mit altem h vor consonant sogar
die höchste Wahrscheinlichkeit eines ans der saUränkischen feder
geflossenen h ins ange zn fassen. So bei haper, aper, -hebrus,
-OS (§ 38), honamo, anemo (§ 60), andeäbina etc. (§ 76), (mderebus
etc. (§ 118), lampicii (mit Ump fär ampl oder Z f&r A, § 161)
nnd den §4d verzeichneten pondero, leodeba n.s.w. [Das
nämliche h ist auch wol anzusetzen für anthamo eta (§ 95)
und den prototypus von Hian (§ 11), redania etc. (§ 22), uueümo
und uueiape (§ 43).]
d. Für salfrk. inlautendes S (wegen des fehlens von in-
lautendem f im fiberlieferten salfrk. vgl. § 110) begegnet in
den glossen der regel nach f oder daraus verlesenes s bez. p
(§ 3x und X) oder dafür substituiertes ph: afrce, afres und (h}aper
(§ 38), althifaihio aus "^anthdefa (§ 71), seolancl(o)efa etc. (§ 74),
atkZß afenus etc. (§ 76), urtifugia(m) (§ 79), /%o rae^/b, tto
vttespho (§ 81), oft ({o|m^^ obduplo (mit j>/ für |>A, § 99), auuerphe,
chuuarso etc. (§ 103), «ÄopÄano etc. (§ 108), strapo (§ 117),
o/br> etc. (§ 119), nopocfero etc. (§ 129), duMeßcho etc. (§ 131),
cAa!tp ^ etc. (§ 135), ago epha (§ 136). Dies weist auf ein /*
als Schreibung des glossators hin: substituierung von f durch
romanische band für eventuelles b oder u des glossators w&re
ja mit rücksicht auf den romanischen Schreibern im innem des
Wortes nicht geläufiges f kaum denkbar. In den hiemeben
mit b oder u überlieferten lesarten sind diese schiiftzeichen
demnach als aus romanischer feder herrührende Substitute für
f zu fassen: -hebrus, -os (§ 38), (-)dfe6a und (r)deua aus *(r)defa
(§ 71), seulandeba und seolandeua etc. (§ 74), andechabmus
(§ 76), touerbus (§ 81), obdubus etc. (§ 99), anhunerbo (§ 103X
istrabo etc. (§ 117), naboO^na etc. (§ 129). Vgl. auch das 6
für f (= salfrk. f) in fribasüna neben frifasHna (§ 183), flkco-
iar(2o neben theophardo (§52) und beachte im text die Varianten
zu aus salfrk. *gräßo, -un (mit altem noch nicht zu b erweichtem
consonanten, vgl. § 191) entlehntem grafio (graphio, graffio\
-onem etc. (wegen der belege s. Hesseis' index), näml. grauio,
'One(m), -oni 196, 5. 197, 5 var. 286, 1. 296 oben var. 330, 4 var.
331 oben. 332 oben var. u. s. w. sowe scroba(m) 1, 3b. 3, 8. 8, 6
var. 10,11. 12,11, scrouam 5, 7 var. 7,6. 7. 8,6 und var. 7.
11,10. 14, 15 var. 15,5. 16,17. 17,13, «crMfia(m) 2,3b. 4,3h.
5, 6 var. 13, 10 neben (t>cro/am, -as 5, 6. 8, 6 var. 15, 5 var.
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zu DEM HAL.BBRGISCHEN GLOSSEN. 6y — 7 a. 255
und süropham 5, 7. 14, 15. In den seltenen fällen, wo die glosse
nur mit h oder mit h und vereinzelt dafür stehendem u, nicht
auch mit f oder dafür eingetretenem jpÄ, p, s überliefert ist
(s, § 65. 102. 122. 168. 177), ist demnach altes f anzunehmen.
Gel^entlich für af-y of- und suf- eingetretenes ah-, oh-,
sub- (s. § 8. 30. 70. 99. 101. 104. 135) sind als durch latini-
sierung in die glosse eingeführte lat. präpositionsformen zu
fassen.
Ausser f verwanten die glossatoren mitunter auch u zur
darstellung von salfrk. S (meist nach «); vgl. (c)harouueno etc.
(§ 80), *touuer- etc. (§ 81), uuer-, uuir- (§ 92. 93), -dauina etc.
(§ 114) mit in der Überlieferung durchstehendem (nur aus-
nahmsweise durch b ersetztem) u sowie tiel enthemo etc. (§ 70),
'Cauina etc. (§ 110) und mit n für u anorlenet etc. (§ 56), chane
creudo etc. (§ 178).
§ 7a. Im gegensatz zu den t und c für th und ch (§ 6ß)
begegnet in den glossen und formein öfters ein th für t oder
ein ch für c: sonisiha für sonista (§ 25), orth- für ort- und
oriho für orto (§ 42. 98), thoouer- für iouer- (§ 81), suhtho
für subto (§ 104), fakhino für faläno (§ 57), churda für ♦cwrda
(§ 38), 'buche für *-6uco (§ 134), renchus für rewcw5 (§ 124);
s. noch § 11. 20. 58. 64. 68. 70. 75. 85. 96. 98. 116. 120. 126.
127. 137. 138. 139. 142. 143. 152 (?). 159. 186 und 20. 21. 24.
65. 66. 114. 131. Die einschaltung des h begreift sich als die
folge eines bestrebens, die glosse gewissermassen zu corrigieren:
durch die häufigkeit der in den glossen und formein begeg-
nenden th und ch waren diese schriftzeichen den romanischen
Schreibern charakteristica der glossen geworden; dies aber
veranlasste mitunter den copisten dazu, in dem t oder c seiner
vorläge einen Schreibfehler seines Vorgängers zu erblicken.
In gleicher weise entstand auch ein paar male seh aus sc,
wie hervorgeht aus auf *straffo, *chanffist, *'Sclot zurückgehen-
den (h)ischrabo (§ 117), chamocho, chanzascho (§ 126), -chlot
(§ 56), deren sch bez. ch (für seh nach § 2 a) sich nur bei an-
nähme einer mittelstuf e sc (§ %6) begreift. Wegen vom glos-
sator verwanter Schreibung sch für germ. sc vgl. fetv^ ch etc.
(§ 37), schodo (§ 58), schoto etc. (§ 50), schuisara (§ 89), tuschada
etc. (§ 90), naschus eta (§ 100) und mit aus sch hervorgegan-
genem ch friocho etc. (§ 27), iheachro etc. (§ 54), chaminis (§ 157),
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256 VAN HBLTBN
sowie auf älteres *schelo hinweisendes selcho (§ 127). Neben
diesem seh aber schrieben die glossatoren auch sc, wie ans in
der Überlieferung durchstehendem sc anderer glossen zu er-
schliessen: scolo etc., scult etc. (§ 80), sdmada etc. (§ 38), tha-
lasdasco (§ 151); vgl. auch auf älteres *5coZ- hinweisendes seol-
(§ 138. 139) und auf *screonas zurückgehendes streonas etc.
(§ 101). In vereinzelt neben -asco (-osco) der anderen hss.
stehendem -ascho (§ 84) hat demnach seh als unursprüngliclie
Schreibung zu gelten, während umgekehrt die neben schoto etc.
tuschada etc. und nascht^s etc. begegnenden lesarten mit sc
(§ 50. 90. 100) eine beurteilung nach § 6/J verlangen.
ß. Durch anlass von ch und ih entstand auch die § 41.
52. 66. 78. 81. 99. 103. 108. 135. 136 hervorgehobene substi-
tuierung eines den Schreibern aus der Orthographie griechischer
Wörter bekannten ph für /*; die ersteren schriftzeichen konnten
ja den copisten gelegentlich auf den gedanken bringen , dass
auch ein ph zu den eigentümlichkeiten der glossen gehörte. 9
Dem nämlichen factor aber verdanken die seltneren ph füi" p
(s. § 41. 46. 66. 118. 141) ihre existenz. Wegen fh als com-
promissschreibung aus f und ph s. § 40 und 67.
Erläuterung der glossen, formein nnd lehnworter.
§ 8. Der I. titel enthält eine sti*afbestimmung für das
nichterscheinen vor gericht sowol desjenigen der 'man(n)itus
fuerit' als desjenigen ^qui alium man(n)it'. Die nur in cod. 1
und 2 stehende glosse ist überliefert als reapten bez. re ahtena
(zu erschliessen aus ^mallare' ahtena als aus 'malb* re abteua
verderbter lesart). Kern deutet dieselbe (K § 7) als *the fine
imposed on him who has disregarded the aftena or summons
of the judge', urspr. Hhe act of re-banning^ und zwar auf grund
von Zusammensetzung des Wortes aus in der bedeutung 'wider*
('again*) verwanter fränkischer Variation von er- und einem
^) Keimzeichnend für die neig^ung jüngerer Schreiber, in den glossen
griechische Wörter zu erblicken, ist die in cod. 3 (9. jh.) am schlnss der
rubriktafel stehende notiz (s. Hesseis s.xiv, sp. 2): no8 propter prolixitatem
volumints vitandam seu fastidio legentium vel propter utüituUm intdUgendi
absUdimus hinc verba Graecorum ... quod in ipso Ubro crebro con-
scribta invenimus (vgl. wegen der glossen in diesem cod. § 1^).
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zu DEN MALBEBGISCHEN GLOSSEN. 7 a ~8. 257
altfriesischem acktene 'gerichtliche Verfolgung' entsprechenden
afien(a). Die durch solche fassung bedingte möglichkeit von
salfrk. ft f&r ht möchte man allenfalls nicht von vom herein
bestreiten (vgl. auch Tijdschrift voor Nederl. taal- en letterk.
15y 168 f.), doch ist in bezug auf das sonst in E § 7 erörterte
zu erwägen: erstens dass eine bedeutung 'contra' sich nicht
für re- oder er- aus got usgiban axoöovvai mit ahd. irtoentan
reyocare erschliessen lässt; zweitens dass zwar aekie und bann
sich in der bedeutung 'proscriptio' berühren (Grimma Bechts-
alt. s. 732), aus diesem umstand jedoch noch kein aflen(a) 'Vor-
ladung* = ban(n) 'Vorladung' gefolgert werden kann; ^ drittens
dass in unserem titel überhaupt nicht von bannitio, d.h.
richterlicher ladung, sondern von durch den kläger vor-
zunehmender mannitio die rede ist (vgl. Brunner, Deutsche
rechtsgesch. 2, 332 fi).
Grimm (Mlvi) erblickt, indem er die glosse mit 'non uenerit'
des textes in Zusammenhang bringt, in apten, abtena den reflex
der got. Partikel aftana retro, in re den rest eines verbums
uuäre oder uu&re (ahd. wäri)^ das in Verbindung mit dem adv.
'remanserit' ausgedrückt hätte. Das unhaltbare dieser Vermutung
geht hervor aus dem umstände, dass in den glossen dem perf .
conj. des textes sonst ausnahmslos ein praes. opt. entspricht;
vgl. § 37. 50. 51. 59. 66. 70. 79. 81. 84 95. 96. 99. 101. 105.
107. 112. 113. 117. 118. 125. 130 (?). 131. 134. 137. 143. 149.
150. 151. 159. 169 und beachte Kerns sich auf diese Verwen-
dung des tempus beziehende wertvolle bemerkung in Die glossen
in der Lex Salica s.6. Ausserdem aber möchte man im con-
ditionalsatz dem zeitwort vorangehendes adverb erwarten.
Vielleicht könnte hier berficksichtigung von mnL ocAfer-
^oai 'unterlassen, versäumen' (Mnl.wb.1,27) zum ziele führen:
reapten und re cibtena weisen auf eine ältere lesart mit ft hin
(vgl. § 3;i. öd), die durch Verlesung von r aus ^ (§ 3t) und n
aus r (§ 3<j) sowie Umstellung {re für er oder se für es) und
ausf all von g verderbt sein kann aus "^es aflerga (d. h. -^ei),
das in der bedeutung 'die (aus der mannitio hervorgehende)
') Dass Übrigens das in t. Bichthofens wb. durch 'gerichtliche yerfol-
gong' übersetzte achtena 'bezahlung in wertobjecten' bedeutet, hoffe ich
jpftter an anderer steUe darzntnn. Einstweilen beachte man die note 12
auf s. 354 Ton Hecks Altfriesischer gerichtsrerfiusung.
Beiträge lur geschichte der deutschen spräche. XXV. 17
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258 VAN HELTElf
Obliegenheit (vor gericht zn erscheinen) etwa versäume' einen
passenden sinn gewähren und als entsprechong von ^on uenerif
(in ^si qnis ad mallnm legibus dominicis mannitns faerit et non
oenerit' und 'ille uero qui alinm manit et ipse non mnerif)
gelten dürfte. Für die vorläge X^ (vgl § 1/9 und 188) wäre
demnach eine lesart *re aftena anzusetzen. Das fehlen der
für die vorläge X^ anzusetzenden glosse in cod. 6. 7. 8. 9 und
der Heroldina weist auf das fehlen derselben in vorläge X>
hin. Wegen des in den glossen constanten anorganischen e
vor r vgl. {h)aper etc. (§ 38), touerhus etc. (§ 81), briorodero
etc. (§ 108), musiJiest (§ 135), motlier (§ 167).
§ 9. Die in tit. n 'de furtis porcoioun' stehenden, sich
auf 'porcellum' bez. 'porcum (anniculum, bimum)' oder 'scrofam'
beziehenden glossen c{h)alti, -e etc. gehören zu der durch ahd.
gaUa, gelza sucula, mengl. ^elie scrofa tt. s. w. repräsentierten
Sippe (M XVII. K § 8). Man erkennt in dem überlieferten ma-
terial auf den acc. sg. eines io-stammes "^gcdte (vgl. das e von
gelea\ nach des glossators Schreibung (§ 6^) cJuiUe, zurück-
gehende lesarten: -ehalte 16,4, -calte 11,6. 12,6 mit c für cft
(§6/3), clialti 6,1b (cod. 7. 9), cdlü 2,3b. 5,1b mit -i für -e
(nach § 4a), dialti 6, Ib (cod. 7) mit di für ch (§ 30, cliuUis
(mit einem strich über dem s) ^ 6, Ib (cod. 8) mit w für a (§ 3a;
wegen des s s. § 36), chala 7, Ib mit -a für -ti (§ 3b), {halihi
1,3 b mit Mür c (§ 3(J) und eingeschaltetem A (nach § 2<)),
-fale in focifale 5, 7 durch assimilierende Schreibung (§ 2e)
und ausfall von t, alteo 5,1b (wegen a- aus cha- s. §67),
chalieo 5,2 b. 7,2 b, calcium 1,1b. 2 b, calcio 2,1b (wegen c
für t vgl. § 3(5) mit angetretenem lat. -o bez. dafür substi-
tuiertem -um (§ 5 a). Wegen salfrk. -e vgl. die § 14. 36. 82.
107. 115. 128. 156. 186 aufgeführten formen mit -e (oder dafür
substituiertem -i) aus -ia; wegen des nicht umgelauteten a
beachte § 36.
Als Schreibfehler für ehalte oder -i begegnet (')chalt in
3, 3 (cod. 3). 14, 4 (cod. 6) und 7, 6. Die letzte, in der Herol-
dina stehende verschreibung wurde aber in dieser hs. ver-
hängnisvoll: sie gab das muster ab für das in zwei folgenden
>) Nach einer frenndlichen mitteilong Ton herni G. Huet (TgL die
ea § 32). Merkel hat chuUis, Hesseis <^iM.
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zu DEN MALBEBaiSCHEN GLOSSEN. 8—10. 259
Paragraphen dem drace der vorläge angehängte ehält 16, 14. 15
(vgl § 19) und veranlasste die entstehimg von ebenfalls in den
folgenden paragraphen des ü. titeis in tit m und IV begeg-
nenden, für texaca (§20) und sonista (§25) eingetretenen
monströsen lesarten exachalt 16, 10 (ausfall von t), texachaM
16, 12, sonüchalt 16, 11. 13 (tit. II). 25, 12. 13 (tit. IE). 34, 4
(tit lY) (zunächst in tit. n sonischcHt für sonista, dessen t nach
§ 3d ffir c angesehen wurde; dann, indem sich das monstrum
dem gedächtnis des copisten einprägte, auch in tit m und IV).
Nach dem erörterten ist -ehdlta 7, 7 (Her.) wol auf eine durch
voranstehendes ehalt 7, 6 hervorgerufene lesart *-cÄaZf zurück-
zufahren, woran -a nach § 2d angetreten war.
Ein acc. sg. des in rede stehenden nomens und zwar ver-
mutlich mit der endung -ia ist aus den lesarten natariiB 5, 8
(cod. 6) und ethatia 7,8 (Her.) = ^porcum anniculum' heraus-
zuschälen. Neben phonetisch aus -ia entwickeltem -e war
den glossatoren auch die neubildung -ia für -e nicht ungeläuflg
(vgl. die § 22. 29. 46. 54. 88. 126. 138. 167 aufeeftthrten formen
mit -ia, -ca). Demnach wäre als entsprechung von 'porcum
anniculum' ursprüngliches *chaUia ainiaria denkbar; daraus
oder aus *chaltia aniaria (mit an für ain nach § 4/}) durch
ausfall von l, von a(i)nia (das äuge des Schreibers sprang vom
ersten ia auf das zweite über) und späterhin von i in vorläge
X* (vgl §1/9 und 188) vorhandenes *chataria, das späterhin
einerseits durch Verlesung von m aus cA (§ 3o) und darauf
erfolgte verschreibung von n für m (§ 2/9; vgl. auch -neteo
§ 33, noreV r § 67, na pon § 129) sowie durch änderung von
-a in -CB (das wort wurde als von vorangehendem inzymis
abhängiger lat genit gefasst) natarim, andrerseits durch Ver-
lesung von e aus dittographischem c (§ 3e) und von ^ aus o
(§ 3(f) sowie durch ausfall von ar die lesart ethatia ergab.
§ 10. Der erste und zweite paragraph des n. titeis han-
deln nach cod. 6 und der Heroldina vom diebstahl eines saug-
ferkels ('si quis porcellum lactantem furauerit') ^de ehrannae
(cJhranne, rhanne) prima aut de mediana* bez. 'tertia' ('si uero
in tertia ehranne bez. chro/nn^ oder rhanne fuerit' oder *fura-
uerit').^ Die das tier bezeichnende glosse ist in diesen quellen
1) Was mit den attributen Uprima' n.8.w. gemeint ist, ist mir dunkel
17*
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260 • VAN HELTEV
sowie in cod. 1. 2 (wo der passus ^de dirannae iLS.w.' fehlt)
und 7. 8. 9 (wo sich im text nur *de franne' bez. 'de cranne'
findet) überliefert als: €hran(ch)älteo cod. 6, rhannechala, rhanne
chcdteo Her., chrane calcium cod. 1, charcaJcio cod. 2, chramne-^
chranne chalti cod. 7. 9, chrinne chultis (mit einem strich über
dem s, Tgl. § 9) cod. 8. Dass in chranne etc. nicht^ wie Grimm
glaubte (M xvii), ein ausdruck für *wurf ', *partus', sondern für
'stall' steckt, hat Kern (E § 9) durch hervorhebung des sttgu in
den fragmenten der ahd. Übersetzung unserer Lex (vgl Hesseis
XLiv, 3) erwiesen. Die annähme einer verwantschaft des Wortes
mit nl. Icraam 'bude' (E a.a.O.) unterliegt lautlichen bedenken.
Es ist vielmehr anzuknüpfen an aslov. krq^tü tortus, kratiH s^
torqueri (Miklosichs Lex. 320), wonach sich ein agerm. durch
-ni gebildetes verbale ^Jirann {nn aus n + dent + n) ansetzen
lässt, zunächst = 'flechten', dann = 'flechtwerk' spec. 'aus
flechtwerk bestehendes gehege'. Auf hierzu gehörenden gen.
sg. *hranni, nach des glossators Schreibung (§ 6ß) *chranni
(also *chranni ehalte 'in den stall hineingehörendes ferkel*)
weist die mehrzahl der belege mit -e (nach § 4 a) für -» hin,
sodass die vereinzelten chran und char als aus in der gemein-
schaftlichen vorläge X* (vgl. §1/3 und 188) vorhandenem *ehranne
hervorgegangene entstellungen zu gelten haben. Wegen chrane
und chramne vgl. § 4g und 2/; die Schreibung rh f&r ehr in
rhanne 7, Ib. 2b entstand durch beeinflussung von selten des
in eben diesem (Heroldschen) cod. im text stehenden vulgSrlat
lehnwortes rhanne (worüber unten weiteres). In cod. 3 hat
sich mit ausfall des 'porcellum' bezeichnenden wortes nur der
gen. erhalten und zwar als diräni mit (nach § 3i) aus ch ver-
lesenem di\ das überlieferte -i der lesart ist mit rücksicht auf
das normale -e der anderen belege nicht als rest des alten -i,
sondern als für -e der vorläge X* eingetretenes -t zu fassen.
Wegen des i in chrinne 6, Ib s. § 3 a. Ueber die neben chran-
alteo etc. stehende glosse lescalti etc. wird in § 36 gehandelt
Aus den oben verzeichneten lat. citaten sowie aus 'si
quis porcellum lactantem furauerit de hranne (chranea, ranne,
chranne) prima aut de mediana' und 'si uero in tertia hramne
(chramne) furauerit' der Lex emend. und aus 'si quis porceUom
lactantem de rane furauerit' lxxxi, 4 (Hesseis s. 410) geht her-
vor, dass das subst. in das galloromanische au^nommen war.
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Zu DEN MALBEBGISGHEN GLOSSEN. 10. 261
WO es mit -is fär ans den flectierten casns entnommenem -i
nnd mit durch lautsubstitution hervorgerufenem f oder ch oder
h vor r oder auch mit einfachem ♦• gesprochen wurde (chranea
Schreibfehler für chranae-, hramne und chramne mit aus n ver-
schriebenem m). Wegen solches /* beachte Mackel, Die german.
elemente in der franz. spräche s. 135 und Meyer-Lflbke, Roman,
gr. s. 38 und vgl. maflo etc. (§ 72) sowie das ebenfalls ent-
lehnte, auf fränk. *athrain(fn)ian zurückgehende adframire,
af(f)ramire Lex Sal. 213, 1 varr. und 215, xxxix varr. Lex Cham.
16 und die in merovingischen texten erscheinenden eigennamen
Flotharius Mon. Genn., Script, rer. Merov. 1, 140,40, Flodumeris
ib. 107, 30, Fhdericus ib. 103, 46, Flodovechus ib. 103, 33. 43.
104,34. 105,35. 37. 48, Flodoveus ib. 99,31, Mon. Germ., SS. 1,38,
FloÜiüdis ib. 3,387, u.s.w.0 Das ch von chrannae etc. und
der damit zu vergleichenden machalum (§ 72), a(d)chramtre,
Juiehramire Sal. 212, 1. 2. 213, 1 var. 2 und varr. 215, xxxix var.
und 302, 1 sowie in zwei von Ducange 1, 90, sp. 3 angeführten
Merovingerurkunden, adiramnire (n verschrieben für m) Sal.
210,1, charamire Sal. 213, 1 (wegen des anorgan. a vgl. das unten
citierte adharcmire sowie garafionem 194,5 var. 293 oben var. 296
oben var. neben grafionem passim (s. Hesseis' index), uuaranio-
nem § 127 und beachte Meyer- Lübke s. 38) repräsentiert den
versuch, germ. h durch aspirierten stimmlosen guttural widerzu-
geben. Dem c von cranne vergleicht sich das c von adcramire
Sal. 209, 1 und von in merovingischen texten begegnenden Clo-
dovehus Mon. Genn., Script, rer. Merov. 1, 506, 38, Clodomeris ib.
506, 10, Chdosinda ib. 372, 35. 378, 40, Clodericus ib. 103, 47,
Qrodechildis 112,46: nicht aspirierter guttural aus aspiriertem
oder als directes Substitut für germ. /* (vgl. auch für c ein-
getretenes vulgärlat. g in agramire Sal. 208, xxxvii. 298, xlvit.
299, xLin und an einer bei Duc. 1, 90, sp. 2 aus einem karo-
lingischen placitum citierten stelle). Mit hr und rh (aspiriert
gesprochenem r?) von hranne etc. und rhanne steht in einer
linie das hr von a(ß)hrafnnire (n verschreibung für m) Sal. 210,1,
a€0^am(m)ire 215, xxxix. 302, 1 var. 305, xlix und var.. Lex
Cham. 16 und var., adrhamire Sal. 214, xl und var. 304, l (vgl.
1) Auch in den sogenannten Beichenauer glossen begegnen formen
ipit solchem f: fruncetura, (rata (b. King« im Gnmdr. f. genn. phil. 1', 332 f.).
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262 VAN HELTEir
auch adharamire Sal. 212, 1 yar. 2 yar. mit anorganischem a).
Dem r yon ranne, rane (mit n für nn, ygl. § 4 g) yeigleicht
sich das r yon (idramire Sal. 211, 1. 2. 215, xxxix yar. 305, xux
yar. und yielfach bei Duc. 1, 90 belegtem arranUre. >)
Dieser yerschiedenheit der lantsobstitution vergleichen sich
die CO-, ha- nnd o- yon caUis 256, 3. 5 (ddlis 254, 4 fehl^ für
calUs), hallis 255, 4. 7. 257, 5. 259, 5. 260, 3. 5, (dlis 257, 5 var.
258,3. 5 (alis 258,3 yar. 5 yar. mit l für U nach § 4g; alüs
260, 3 yar. Schreibfehler für alis oder aJJt^; a2&i5 258, 3 yar.
5 yar. tölpelhafte latinisierung des nicht verstandenen wertes;
alesum 253, 4 = dies mit -es fär -is des abl. pl. nach § 4a
und durch im text folgendes eum heryorgeruf ene verschreibong
-um), die in Verbindung mit dem abl. pl. ram(m)is die aof den
leichnam eines erschlagenen behufe Verheimlichung desselben
geschütteten gegenstände bezeichnen. Ausser geäst konnte
für den zweck auch gestein verwant werden; man möchte
hier demnach an entlehnung aus einer 'felsgestein' bezeich-
nenden entsprechung yon got haüus, ags. heaU 'fels' denken
und wegen der begrifflichen entwickelung Otfrids felisa 'grab-
stein' vergleichen.
Beachte noch cheristaduna etc. § 156, chenecruäa etc. § 163,
cherehurgiumy hereburgio etc. § 168, achcLsium etc. § 171 sowie
mdhalo etc. (neben oben citierten maflo etc., machdlum\ fcddum
0 Wegen der bedentangen des Terbnins 'rechtsfönnlich yersprechen,
dass man einen beweis fttbren werde* oder 'rechtsfSrmlich versprechen, dmss
man selbst oder dass ein dritter vor gericht erscheinen werde' s. Bronner,
Dentsche rechtsgeschichte 2, 366 f. In letzterem sinne verwendet unsere
Lex den ansdruck im XLVn. (bez. XLIQ. etc.) titel. In ersterem in tit.
XXXVn (bez. XXXVI etc.^: findet der bestohlene bei der spnrfolge die ver-
misste sache innerhalb einer frist von drei tagen im besits eines utden,
dann ist er, wenn der besitzer behauptet, die sache durch kauf oder tauadi
erworben zn haben, berechtigt, sein eigentnmsrecht dnrdi einen dritten
(d. h. früheren) besitzer = per tertiam manum zn beweisen; wird die ver-
misste sache erst nach dieser frist von ihm angetroffen, dann steht dem
besitzer dieses beweisrecht zu; man verbinde in dem in rede stehenden
text res mit per uestigio sequitur nnd fasse das debet in iUe qmper uesügia
sequitur res mos, per tertiam tnanum adrhamire dehet als 'ist berediti^*
(vgl. bei Dncange debere = 'jns, potestatem habere'; wegen anderer er-
klämngen dieses satzes s. Branner, Bechtsgesch. 2, 497, note 16). Beachte
noch unten § 144.
Wegen einer möglichen etymologie von *'hram(fn)ian s. Beitr.20^57t
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Zu DEN MALBEBQISGHEN GLOSSEN. 10—11. 263
etc. und die in raehin-f racin- (§ 174) und druckte, dructe etc.,
*feltorctuin (§ 147) als lautsubstitute von inlautendem h begeg-
nenden ch und c'y vgl. ausserdem die in den hss. der Scriptores
renun Merovingarum überlieferten eigennamen Cklotha(c)harius,
CMoiharius, Gkramnus, Childebert{h)us, Chüpericus, Charibertus,
Brunichildis, CModovechas u.s. w., Hhfharius, Hramntis, Hü-
debert(h)us, Hilpericus, Haribertus, Brunihildis, Hludouuickus
U.S.W. (wegen der belegsteilen s. die indices der Mon. Germ.
in tom. 1 und 2).^
§ 11. In dem die Überschrift 'Incipiunt chunnas^ führenden
Verzeichnis (s. Hesseis s. 424), das offenbar aus (z. t. erhaltenen
z. t. verloren gegangenen) sich auf die eine oder die andere
zahl beziehenden glossen zusammengestellt wurde (vgl. § 186)
begegnet *hoc est unum thocAasti, solidos III' (cod. 8) bez. *hoc
est unum thoa lasthi, sol. ITC' (bei Her.). Aus im ersten Para-
graphen des n. titeis stehendem 'hoc est unum tualepü, sunt
den. CXX qui fac. soL HI' (cod. 6) bez. *hoc est unum ähe lepte
CXX den. qui fac. sol. HI' (Her.) ergibt sich, dass besagtes
element der cAtitma^-tabelle zu der glosse dieses Paragraphen
in beziehnng steht. Als die aus diesem überlieferten material
zu erschliessende lesart hat *unum tualefti zu gelten: thoälasU,
'lasthi (mit th für t nach § 7 a) aus für die vorläge der beiden
tabellenüberlieferungen anzusetzenden thoalasti mit th für t,
0 für tt (§ 4«), a durch assimilierende Schreibung für 6 (§ 2 c),
s für /* (§ 3x); tuaUpti und dhe lepte aus durch Verlesung von
p ans /* (§ 3A) entstandenem tualepti von vorläge X^ (vgl. § 1/9
und 188; ahe durch einschaltung von h nach § 4d und Schrei-
bung von e für t aus *ai, das durch Verlesung nach § 3/9 und
ausfall von a aus tua entstanden war; zunächst etwa *ai, dann
ahe). Die entstellung unum (s. unten) ist für die vorläge der
tabellen und für X* vorauszusetzen; sie weist somit auf her-
kunft jener vorläge aus X^ hin.
Grimm und Kern (M. xv. K § 11. 301) ziehen ags. Jmnd-
^) Die n&mliche yersohiedenheit in der widergabe Ton germ. h ist zu
beobaditen in den durch lat. yermittelnng in den ersten jahrhnnderten n. C.
überlieferten Tölker-, eigen- und geographischen namen: Chantavt, Cherusd,
Chaud, Chasuarii, ChaUi, Chariovaida, VachdUs — CatU, Cauci, Suva
Caesia (MüUenhoff, Nordalb. stnd. 1, 209), Catwnerus, Catualda, Vaeälu9 ~«
BermundiHrif Hariobaudea — 4^wani,
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264 TAN HBLTEK
twelfti^ heran und fassen unum als von einem Schreiber her-
rührende latinisierang von hund-. Eögel (Gesch. der deutschen
lit. 2y 424) nimmt hundtualifti = 'zehn zwOlfheiten' an. Be-
denken erregt jedoch die ansetzung von salfrL hund-, dieweil
die fränk. dialekte keine spnr von hund- zeigen, vielmehr mnL
tachtich, tach{{)enüch (s. Francks MnL gramm. § 240 nnd meine
Mnl. gramm. s. 490), mittelostnfrk. tachtenUg (Beitr. 1, 7 anm.)
entschieden für altes *a{n)tahtotig mit a(n)t- = as. a(n)i- der
zehnerzahlen 1) zeugnis ablegt. An hund (das Eögel trotz
seiner Schreibung hundtudlifli als simplex gelten lässt) = 'zehn'
ist noch viel weniger zn glauben. Sehr ansprechend dürfte
hingegen Eögels Hualifii 'zwölfheiten* (also pl. zu einem fem.
t-stamm Hualift) erscheinen (woraus *tualefti mit e für t nadi
§ 4a), zumal sich die existenz eines dem an. tylpt 'zwölflieit'
entsprechenden ^'-derivatums indirect für das salfränkische er-
weisen lässt durch in der L.SaL überlieferte thoalapus, ihalaptas
(s. Hesseis s.413, sp.3.4), entstellungen (mit durch assimilierende
Schreibung für e oder i eingetretenem a und ^ für f, vgl. § 2€
und 7a; wegen -as für -us vgl. § 3a) aus einem der galloroma-
nischen gerichtlichen terminologie angehörenden fremdwort
*timliptus oder ^tuäleptt^s (mit e für i, vgl. § 4 a), das durch
substituierung von pt für die romanischem munde ungeläuflge
lautverbindung ft (vgl. ähnliches et füi' ht, § 147) und antritt
von lat. endung aus salfrk. *tualifi hervorgegangen war und
durch specialisieining der ursprünglichen bedeutung 'zwölfzahl'
als bezeichnung galt für 'die zwölf zahl der eideshelfer', 'die
den zwölf ereid leistende eideshelferschaft.^)
1) Bezüglich der entstehnng von fränk. nnd sächB. *aniahtotig (nnd
*awt8eh8itg n. s. w., vgl. mnl. isestich, tsevenUdij tnegenüch, mittelostnfifc.
tsesiig, tseventig, tnegentig, mnd. isestich, Ueventich, iachtentich) sei bemerkt:
ans antahtoda Hei. M 508. Freckenh. heber. 117 geht ant- 'sehner* hervor;
antsibunta Hei. M 146, atsibunta 0 146 fflr *aj(n)tsü>unda gew&hren das
resnltat einer contamination von ant + ordinale mit ans dem cardinale
gebildeter form anf -Hg; *antahtoiig n. s.w. können nnr andere resnltate
einer gleichen contaminiemng repräsentieren.
>) Anch ffir das friesische ISsst sich die einstmalige existenz dieses
nomens dartnn durch tolfta (t. B.476,9) 'mitgUed des ans zwSlf personen
bestehenden amtszengencoUeginms' (vgl. Heck, Die altfriesische gerichts-
yerfassnng s. 845), das sich kaum als eig. » 'zwölfter' denten liesse, hin-
gegen ahi an-deriyatnm zn besagter tt-bildnng leicht Terst&ndlich ist
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zu DEN MAI^BBRGISCHEN GLOSSEN. 11—12. 265
Was aber das unum angeht, so möchte ich vorschlagen,
folgendes zu erwägen: in (nach § 4« nnd 6/9) fftr *t€han *zehn'
des glossators eingetretenem *tian seiner vorläge konnte ein
copist, indem er den horizontalstrich des ^-Zeichens für das
nasalcompendinm ansah, das H als u lesen (vgl. § 38), was im
verein mit der (nach 3 a) begreiflichen Verlesung von -um aus
'ä die Schreibung von unum zur folge hatte (die annähme von
altem tihun = got. taihun empfiehlt sich nicht mit rücksicht
auf aonfrk. ten, mnl. auf altes *tehan hinweisendes tien, as.
tehan, tian, ahd. xreAon).
§ 12. Des n. titeis 2. (bez. 5.) paragraph, der vom dieb-
stabl eines ferkeis handelt, das 'sine matre uiuere possit',
enthält in cod. 3 die glosse imnis fit^) (t für th nach § 6/3), in
cod. 6 hinnifiht (n für m nach § 2ß; ausfall von s), in cod. 7.
8 hynmis, in cod. 9 himnes (wegen e für i vgl. § 4 a), bei Herold
ymnisfith. Nach Grimm (M xix) ist imnis fit etc. nicht zu
trennen von hymnis sith 28, 2d und humnisfith 397, 1 (u für i
nach § 2/), wo die rede ist vom diebstahl eines habichts bez.
(vgl. § 168) von der beschimpfung einer person als 'hexen-
gönners' (wegen des von Grimm hier irrtümlich angezogenen
famiis fith s. § 86). Der ausdruck muss demnach eine all-
gemeine bezeichnung sein entweder für 'Schädigung an habe
oder ehre' oder für 'geldbusse' (vgl. wegen der glossen letzter
kategorie § 39). Ich erinnere an got. ibnassus, ags. emnes,
SS. efnissi, an derivata mit doppelsuffix wie ahd. firhranissida,
firstantnissida u.s. w., an die aofries. formen ivin, -en, ifna
u. s. w. (s. Aofries. gr. § 10a), die auf alten wurzelvocal i hin-
weisen, an den in merovingischen geschichtsquellen häufig
b^egnenden salfrk. eigennamen Chramnus, Hramnus (s. Mon.
Genn., indices zu Script, renim Meroving. 1 und 2 = ahd.
hrahan), der für das salfr. entstehung von w aus 8 vor n er-
weisty^) an mnd. sik evenen, mhd. sich ebenen 'sich versöhnen';
^) Merkel las hier ficit Hessek und Holder stiinmen ttberein in der
lessrt ß.
^ Nach Johansson (Beitr. 15| 290) soU das m vom ags. emn ursprüng-
lich sein nnd got. ibns etc. anf imno- zurückgehen; doch dürfte die ein-
zige bis jetzt für die annähme von gemeingerm. bn ans mn hervor-
gehobene stütze, got. sHbna, ags. stefn, aofiries. stefne = oro/jia etc., nach
Schmidts bemerknng in seiner Kritik der sonantentheorie s. 132 f. hinf&Uig
werden«
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266 VAN HELTEN
und möchte, unter berücksichti^img dieser tatsachen sowie der
ans *gafeurith (§ 115) zu folgemden existenz von salfrk. ana-
logiebildungen auf -ith (statt -ithu; wegen -issithu als prodnct
regelrechter entwickelung vgl. Beitr. 17,288 f.), altes Smmssüh
= 'composition, sühnegeld' ansetzen. Zwar düi^n hier etwa
bei beachtung des überlieferten materials zweierlei umstände
stutzig machen: die häufigkeit von vorgetretenem h (während
dieses sonst nur ausnahmsweise erscheint, vgl. § 4d) und die
majorität der fiberlieferten lesarten mit f. Doch ist betreffe
ei*steres zu bedenken, dass imnis- durch seine form den des
fränk. nicht kundigen Schreiber an lat (h)imnis, (hyymnis er-
innern (wegen der mlat. Schreibungen von Hymnus mit t bez.
ohne h vgl. Ducange) und zur änderung von imnis- seiner
vorläge veranlassen konnte (wegen ähnlicher, dem Inhalt des
textes keine rechnung tragender latinisierung vgl K § 116 zu
quo uirgo für das unten § 81 zu besprechende couirgo und
beachte auch sui anni § 17, item, ibidem § 83, gestabo § 85,
ex mala § 91, iubeo § 120). Bezüglich des anderen omstandes
aber sei bemerkt, dass für die lesarten vom 2. (5.) paragraphen
des IL titeis, die auf eine schon in der vorläge X* (vgl. %lß
und 188) vorhandene lesart mit f hinweisen (in cod. 7. 8. 9
fehlt das fith durch ausfall), nur einmalige verscbreibung von
f geltend zu machen ist und dieses in X^ stehende -fith nichts
wie in humnis fith 397, 1, notwendig das resultat von einfaclier
Verlesung von /* aus ^ (nach § 3x) sein muss, sondern durch
anlass von *fith', das dem § 12 erörterten gemäss einstmals
dem *imnissith nachfolgte, entstanden sein kann (vgl. § 2f).
Mit rücksicht auf die bedeutung von "^imnissiih ist die
glosse als acc. sg. zu fassen (vgl. § 39), woraus sich also ein
salfrk. aus dem nom. entnommener casussufflzloser acc sg. fem.
ergibt (vgl. auch § 52. 115).
Nach cod. 1 sollte zu dem hier angezogenen paragraphen
die glosse chrane calcium 1, 2 b, nach cod. 2 die glosse tiuymtcf
2,2 b gehören. Offenbar hat sich erstere (vgl über das wort
§ 10) von dem voranstehenden, letztere (in § 16 zu besprechende)
von dem zweitfolgenden paragraphen her hierhin verirrt, beidfö
mit Verdrängung der ursprünglichen glosse = imnis fit eta
der anderen hss.
% 13, Zu den § 12 besprochenen hymnis, hinnifiht etc.
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zu DEN MM.BERGTSCHEN GLOSSEN. 12—14. 267
gesellt sich in cod. 7. 8. 9 noch th€(t{)ca, in cod. 6 und bei Her.
durch 'sine* verbundenes tertega bez. fhertesun, Grimm und
Kern (M ix. E § 16) identiflcieren dies thertesun mit in einem
der folgenden Paragraphen des ü. titeis, näml. 10,9. 11, 7 etc.,
im text stehendem terttis(s)u(m) (wegen dieses Wortes s. unten
§ 19) und trennen dasselbe von tertega, (he{ti)ca, die Kern mit
ahd. eart u. s. w. in Verbindung bringt. Bezäglich dieses
deutungsvorschlags ist zu erwägen: dass letztere gleichung in
lautlicher hinsieht nicht unbedenklich ist (salfrk. th gegenüber
ahd. s)\ dass es sich mit rücksicht auf t(h)erte' empfiehlt, ther-
tesun und tertega etc., wenn irgend möglich, auf ein und die-
selbe ältere lesart zurückzuführen; dass thertesun + 'in' des
textes (nach § 2iy) aus *thertega (oder *iherteca) + *sunt' des
textes hervorgegangen sein kann, doch tertega, the(ti)ca als
aus ursprünglicherem thertesun verderbte lesarten unbegreiflich
wären. Die in unserem Paragraphen für den diebstahl eines
ferkeis festgesetzte geldstraf e beträgt 'XL den.'; diese zahl aber
führt auf den gedanken, dass in aus dem fiberlieferten materiaj
zu erschliessendem und für die vorläge X» (vgl §lß naÄ i88)
anzusetzendem *thertica (wegen t für ^ä und e i*cir i vgl. § öjS
und 4a; wegen ^ für c s. § 4y) eine les^fial; vorliegt, die durch
ausfall von /5 und * (§ 6^) aus "^fithexVtcha entstand, d. h. */itter-
tich 'vierzig' (vgl. auch die §^86 zu besprechenden ßter und
th&rte- aus ^filker, *ßker^^- und beachte wegen der Schreibung
cÄ für jF § 6/9), dem/nach dem muster von quadraginta ein
romanischer schre^in^r die endung -a anhängte. In cod. 3 fehlt
*ihertica o. ähnOurch ausfall. Wegen eines irrtümlich zwischen
Wörter versq|5iedener bedeutung eingefügten lat. disjunctivs vgl
noch § 24/27. 41. 43. 49*. 54. 70. 85. 131.
§ Jtl. Der 3. (bez. 6.) paragraph des ü. titeis handelt vom
^^^yat{t)ere einer 'scrofa'. Welche art von Verletzung hier
g6™emt ist, ergibt sich aus der Verwendung anderer mit
^^f)ere componierten verba in tit. XXIV: si quis femina
^^enua et grauida trabaterit 118,3; st quis femina graue
^ehatterit 123,2b. Also ein durch 'battere' herbeigeführter
/kbortus (vgl. auch Ducange i. v. subbattere). Demnach kann
der glossator im erwähnten paragraphen des II. titeis nur an
i ein trächtiges schwein gedacht haben, und es liegt die ver-
/ mutung nahe, dass in dem ersten teil der zum paragraphen
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268 VAN HELTEN
stehenden glosse narethalthi cod. 1, nari calti cod. 2, narc dwÜ
cod. 3, narechalte cod. 6, uarachalt Her. (wegen des zweiten tdls
s. § 9) nicht ein mit ner- im bair. nersau, nerschtvein 'n&hrende
sau' zu vergleichendes compositionselement steckt (Hxvii),
sondern ein adjectiv, dessen prototypns als *8tMire (d. h. suare)
mit -e für -ia des acc. sg. fem. (vgl. § 9) anzusetzen wire;
wegen n für u und 4 für -e vgl. § 3^ und 4a; wegen des -a
von fmra s. § 26; das in der Überlieferung mit einer ausnähme
durchstehende n weist auf schon in der vorläge X^ (vgl. § 1^
und 188) vorhandenes n hin und nötigt dazu, das u von uara
als Verlesung aus n zu fassen.
§ 15. Nur in cod. 6 und der Heroldina findet sich ein vom
diebstahl einer 'scropha cum porcellis' handelnder paragraph
(7 von tit. n) mit der glosse focifale, focichalia (wegen -/ofe,
'Chalta s. oben § 9). Grimm denkt hier an die möglichkeit
von foci- für fotu aus fodi-, d.h. fudi- zu födian nutrire (Mxvn).
Kern zieht ndl. foMen 'erzeugen' heran (K § 17). Letztere
fa^nng würde die annähme eines textverderbnisses unnötig
machen, doch wäre dagegen einzuwenden, dass ein für das
mnL nicht belegtes, erst im nnl. auftretendes und etymologisch
völlig dunkles fokkett^cht dazu berechtigt, die existenz eines
zu diesem verb. gehörenden componierten Substantivs voraus-
zusetzen. Man möchte darum~ Orimms deutung insofern vor-
ziehen, dass man födi- als in der composition verwanten verbal-
stamm gelten Hesse. Was Grimms c für / und ^ für d betrifftw
so wäre auf § 3d und 4/ hinzuweisen; einfacher wäre jedodi die
annähme von schon in der vorläge der beiden hs& vorhandenem,
durch nachlässigkeit (nach § 2/}) für d geschriebi^nem c.
§ 16. In des IL titeis 4. (bez. 8.) paragrapheBU wo die
rede ist vom diebstahl eines einjährigen Schweines (^ quis
porculum anniculum furauerit'), steht nach cod. 2. 3. 6 ui^ der
Heroldina inaymus,^) ingisfnus, {in)zyfms. Dasselbe wor^ be-
gegnet noch als ineymis, ineimus, ingismus in 14,9. 15,3. jk&|9
(in tit. n) bei erwähnung des diebstahls eines 'bimus porca$^\
als {in)jBymi8, thimimus in 23,3. 25,3. 24,2 (in tit DJ) bei
erwähnung des diebstahls eines 'bimum animal' oder 'anniculanf.
0 So nach Merkel und Holder. HesselB las hier wie 2, 2b und 11, 14
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zu DEN MALBBBOISCHEN GLOSSEN* 14—16. 269
nsque ad bimatnm^ als inzymis, inzimus, -is, ingzimus in 32, 2.
34,2. 33,2 (tit. IV) bei erwähnung des diebstahls eines ^anni-
cnlus uel bimns ueruex', als ingismus, inzymis in 12, 7. 14, 10.
16, 10 (tit. n) bei erwähnung des diebstahls yon 'tres porci
attt amplins', als inzymus in 11, 14 (tit II) und als inzymis
in 23, 13 (tit HS) bei erwähnung des diebstahls eines teils
einer Schweine- bez. rinderherde.
Grimm legt (M xviu f.) seiner deutung des wertes ingismus
als die ursprfingUche lesart zu gründe und betrachtet das y
von inzymus, -is als durch Verlesung aus i mit langem s ent-
standene Schreibung; z soll nach ihm die assibilierung von g
repräsentieren. Doch ist aus den zum paragr. 4 (bez. 8) des
n. titeis überlieferten lesarten inzymus, -is cod. 2. 6 und bei
Her., ingismus cod. 3, den zum paragr. 9 (bez. 3) stehenden
inzymis cod. 6 und bei Her., inzimus, -is cod. 7. 9, ingismus
cod. 8 (also in der speciellen yorlage dieser drei hss. inzimus)
und den zum paragr. 7 (bez. 10) stehenden ingismus cod. 3,
inzymis cod. 6 und bei Her. auf ein inzymus bez. -is der yor-
lage X> (ygl. § 1/3 und 188) zu schliessen, sodass ingismus yon
cod. 3 als unursprfingliche, aus inzymt^s entstandene, ingismus
yon cod. 8 als aus inzimus heryorgegangene lesart zu gelten
hat: das g in beiden hss. (beachte auch die unten zu bespre-
chende entstellung ingzimus yon cod. 8) durch yerlesung aus z
(ygL die yerlesung yon z aus ags. ^, § 3^); das i^ in cod. 3
durch yerlesung aus y, wie in dem als mittelstufe yon ^apy-
und sagS" (§ 153) anzusetzenden '^'^a^is- (ygl. umgekehrt y
aus is in theojcata aus *theoischada, § 90); das is in cod. 8 fflr i
in folge yon durch das s yon -mus heryorgerufener einschaltung
(ygL§2rf).
Kern geht (K § 13) yon einer form *ingimis oder -us aus,
die er = *anniculus* fasst und in in- *ein'- und ein zu x^^l^^^t
Bsloy.zima 'winter' u.s.w. gehörendes nomen zerlegt; in cod.
7. 8. 9 zu 'anniculum usque ad bimatum (animal)' stehendes
fhinzimus 24, 2 soll nach ihm (E § 33) fehler sein für tuizimus
= ^bimus'; wo inzymis zu 'bimum' steht, läge falsche Über-
setzung yor (K § 20). Dass den inzymus, -is yon yorlage X^
alte *ingimus bez. -is zu gründe liegen, unterliegt keinem
zweifei: zy kann nur yerlesung sein aus gi (§ 3^); inzimus der
speciellen yorlage yon cod. 7. 8. 9 mit i als Substitut für y\ ing-
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270 TAN HELTEN
Mmus SS, 2 von cod. 8 mit g, wie in ingismus, und s, das der
copist der substitnierung angeachtet ans seiner vorläge nach-
schrieb; wegen thinjrimus s. § 29 am schluss); nach dem moster
des ersten insfymus oder -is wurden die folgenden inegmus
oder -i$ von vorläge X^ geschrieben, woraus itufffmus, -is, w-
gismtis eta zu paragr. 9 (bez. 3) und den folgenden Paragraphen
von tit. n sowie in tit. in und lY. Bedenken erregt jedoch
die fassung von Sngimus bez. -is als 'einjährig', auch wenn
man mit Kern und Eögel (Gesch. der deutschen liter. 2, 423)
salfrk. in- = 'ein'- annehmen wollte: es bliebe so ja die Zu-
gehörigkeit der glosse zu den vom diebstahl mehrerer (nicht
ein- oder zweijähriger) Schweine oder rinder handelnden Para-
graphen rätselhaft. Eben dieser umstand sowie das zweimalige
erscheinen von inzymis etc. in einem vom diebstahl eines
zweijährigen tieres handelnden Paragraphen nötigt m. e. zu
der annähme, dass wir es hier mit einem ausdruck zu tun haben,
der sich auf das, wovon in jedem der bezflglichen paragraphen
die rede ist, bezieht^ d. h. mit einer bezeichnung für 'diebstahl'
oder 'diebstahlsbusse'.
Dürfte man hier vielleicht lat inhia/re (z. b. auro, ffiesauris)
vergleichen und danach ein salfrk. durch ^-ma oder -nU ab-
geleitetes adjectiv *ingim oder *ing%m ansetzen, das seine ur-
sprüngliche bedeutung 'habgierig' durch Übertragung von der
causa auf den effectus zu 'diebisch' entwickelt und der bildung
eines abstractums durch 'is{s) bez. -u^^) zu gründe gelogen
hätte? Wegen dieser endungen, die den nom. sg. eines in die
i-, t(7-klasse übergetretenen nomens, nach dem § 76 zu -duAinus
etc. bemerkten aber auch einen acc. sg. repräsentieren können,
vgl. Beitr. 17, 297 ff. In cod. 6 und der Heroldina beg^;net
das subst immer mit -is, in cod. 2. 3. 7. 8. 9 mit -us (in den
zwei ausnahmen injsimis 15, 3. 33, 2 von cod. 9 hat -is dem-
nach als Schreibfehler zu gelten). Da diese Verteilung dem oben
§ la erörterten gemäss schwerlich mit einer Vorliebe der
Schreiber für die eine bez. die andere salfrk. endung in Zu-
sammenhang stehen kann, ist hier die annähme geltend zu
machen, dass zunächst der glossator das wort abwechselnd mit
'is und -iis niederschrieb und von den hierdurch in der vor-
läge X^ stehenden ineymis und ineymus in der folge in den
abschriften entweder die eine oder die andere normalisiert
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Zu DBN MALBBROISCHEK GLOSSEN. 16—17. 271
wurde. Die vereinzelten ffymis gehen natürlich auf imymis
zurück.
Wegen ineymus 2, 2b s. § 12 am schluss; wegen tua zymis
16, 11 § 186.
In zwei paragraphen (vgl. 12, 7. U, 10. 16, 10 und 23, 13)
steht neben ingismus^ ineymis noch taxaga bez. texaca oder
exachdlt (für texaca^ s. § 9), worüber unten § 20. Texaca und
texeca 14, 19 in cod. 6. 5 und texachcM 16, 12 (für texacay s. § 9)
der Heroldina lassen im verein mit inzymus 11, 14 des corre-
spondierenden paragraphen in cod. 2 auf das Vorhandensein
der beiden glossen in vorläge X^ schliessen. Ob hier die eine
den frevel, die andere die strafe zu bezeichnen hatte oder
etwa beide ausdrücke als gleichwertige für 'diebstahl' oder
'diebstahlsstrafe' neben einander standen (indem ja Sngimus,
ris auch acc. sein könnte, s. oben, wäre für das wort auch
eine Verwendung in letzterem sinne möglich zu erachten, vgl.
§ 39), mag ich nicht entscheiden, weil sich eben in unserer
Lex gelegentlich unzweideutige spuren von doppelglossierung
finden (s. § 38. 54. 58. 68. 124. 128. 132 und vgl. noch § 109).
§ 17. Der vom diebstahl eines zweijährigen Schweines
handelnde 9. (bez. 3.) paragraph des II. titeis hat neben in-
zymis etc. (s. § 16) noch die glosse senio 14, 9 (cod. 6), sinani,
sui anni, suiani 15, 3 (cod. 7. 8. 9; also suiani in der speciellen
vorläge dieser drei mss.; wegen in für ui vgl. § 3jr; sui anni
durch gedankenlose latinisierung, vgl. § 12), soagni 16, 9 (Her.).
Nach dem für den voranstehenden paragraphen erschlossenen
"^chaltia avniaria = ^porcum anniculum' (s. § 9 am schluss)
dürfte man hier einen sich auf ^bimum porcum' beziehenden
ausdrack erwarten. Die anf angsbuchstaben von suiani weisen
auf *5wtn (d. h. sum) hin, dem ein *bimum' widergebendes ad-
jectiv *tuiari (d.h. tui-iän) beigegeben sein konnte. Als aus
^suUutari verderbte lesart aber begreift sich solches suiani:
das äuge des Schreibers verirrte sich vom ersten ui auf das
zweite, uü fiel aus, n wurde verlesen aus r (§ 3ö). Aus für
die vorläge X^ (vgl. § Iß und 188) vorauszusetzendem und
daraus in X^ übergegangenem suiani aber entstand einerseits
die lesart von cod. 6 senio durch Schreibung von en für aus
ui verlesenes in (§ 4a und 3jr), ausfall von an (das äuge des
copisten sprang in *sinani (oder *senani) vom ersten n auf
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272 VAN HBIiTBK
das zweite ttber) und antritt von lat. -o (§ 5«), andrerseits
das soagni der Heroldina durch Schreibung von 0 fär u (§ 4a)
und von ctgni für durch buchstabenversetzung aus tiani ent-
standenes *aini (§ 4:ß).
Auf injsymis suiani geht auch bei Herold als var. zu f ft
jgymis ethatia (vgl § 9 am schluss) stehendes zymisengano 7, 8
var. zurück, das offenbar nicht hierhin gehört, sondern sieh
vom folgenden Paragraphen 16, 9 (mit 'bimum porcum') nadi
7, 8 (mit 'porcum anniculum') verirrt hat: eyims für msyms
(§ 16) und engano aus nach soagni von Herolds texths. fBr
die nähere vorläge der beiden Heroldschen hss. (vgL %lß)
anzusetzendem *stuigni durch ausfall von s, Schreibung von
en für in, das ein copist aus durch dittographie (§2/) ffir «
eingetreterem ui verlas (vgl. oben zu senio), Versetzung von
ag und substituierung von -0 für -i (wie in Uodardo IL8.W.
§ 39 am schluss).
§ 18. Zu 'porcellum (de)inter porcos' begegnen suane
calte 11,6 (cod. 2), suttachine calte 12,6 (cod. 3), soagne duM
14,4 (cod. 6), soagne ehalte 16,4 (Her.). Grimm erklärt den
ersten teil des compositums (wegen des zweiten s. oben § 9)
unter berufung des in cod. 6, bei Herold und in der L. emen-
data angetroffenen 4pso porcario adtendente' bez. 'custodiente'
und mit hinweisung auf die anderswo für ain, aim begegnenden
agn, aigm als = ahd. suein subulcus (M xvn; vgl. auch K § 20);
den ganzen ausdruck also als 'vom hirten getriebenes junges
Schwein'. Mit räcksicht auf in cod. 2 und 3 fehlendes 4pso
porcario adtendente' (es steht daselbst, wie in cod. 1 und 4,
nur 'porcellum de inter porcus' bez. 'inter porcos' etc.) wäre
dem Worte aber wol die abgeleitete bedeutung 'in der herde
ausgetriebenes junges schwein' beizumessen. Das in allen
hss. stehende -c weist auf in der vorläge X> (vgl. § IjJ und 188)
vorhandenes -e-, die lat. compositionsfuge (§ 5/3), hin. Aus den
lesarten von cod. 6 und der Heroldina ist auf in vorläge X«
stehendes soagne zu schliessen mit 0 für u (§ 4 a) und gn für
in (nach § 4/3). Aus suane und suuachine von cod. 2 und 3
ergibt sich für die vorläge X^ eine lesart *swiine, deren ai
einerseits (nach § 4/3) zu a, andrerseits durch einschaltung
von aus dem folgenden '^•ehalte (woraus überliefertes -caUe
nach § 6/3) entnommenem eh zu acht (nach §26) wurde.
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zu DEN MALBBRGISCHEN GLOSSEN. 17—19. 273
§ 19. Nach erwähnung des diebstahls eines in der herde
ausgetriebenen jungen Schweines (s. § 18) wird in dem bez.
den zwei zunächst folgenden paragraphen des ü. titeis, näml.
10,9.10. 11,7. 8 etc., des f alles gedacht *si quis porcellum
tertus(s)u(nx) usque ad anniculatum' bez. ^post anniculatum
furauerit'. Was mit diesem (übrigens etymologisch dunklen)
'porcellum teriu${s)u{my und der zugehörigen, in cod. 2. 3. 6
und bei Her. stehenden glosse drace, dränge, drache, dracechalt
gemeint ist, geht aus dem im fragment der ahd. Übersetzung
begegnenden hanteugiling (s. Hesseis xliv, 4) hervor, in dem
Kern (K § 18) den correspondenten von d/race etc. erkannt hat
und dem die bedeutung 'mastschwein' beizumessen ist auf
grund der ahd. glossen 'Altilia, hant/mchilinga, hantzukilingd*
Ahd. gl. 2, 264, 38. 39.0 Dies aber führt auf den gedanken,
für drace etc. an. dregg 'hefe' heranzuziehen, dessen salfrk.
reflex *dragg sich indirect durch franz. drague Hräber' er-
weisen lässt, und ein salfrk. compositum *dragigalte (wegen
der accusativendung -e vgl. § 9), nach des glossators Schreibung
(§ 6j3) *drachichälte (wegen des nicht umgelauteten a s. § 36,
wegen des nicht geminierten g vgl. as. beniwunda, hunUmrd)
anzusetzen = 'hefeschwein, mit hefe gemästetes schwein'.
Wegen c für eh und des (bereits in vorläge X*, vgl § 1/9 und
188, stehenden) -c- für -i- vgl. § 6/J und 4a; in drauge begreift
sich das u als Verlesung von dittographischem a (§2/. 3 a),
das g als Substitut für c aus eh (§ 4/). Das in der Über-
lieferung mit einer ausnähme fehlende -ehalte berechtigt zu der
annähme, dass dieses compositionselement bereits in vorläge
X^ fehlte und das -ehalt von Herolds dracechalt 16, 14. 15 erst
später nach dem muster voranstehender glossen mit -ehalt ein-
geführt wurde (vgl § 9).
In 1, 4b (cod. 1) zu *si quis porcum anniculum furauerit'
stehendes d/rache (die anderen hss. haben imsymus etc., vgl.
§ 16) hat natürlich als hierhin von einem der folgenden Para-
graphen her verirrte glosse zu gelten; sie gehörte eigentlich
^) AHB dieser bedeutung ergibt sich auch das unzulässige von Kögels
gleichnng (Z8.fda.33, 17): draclie (mit ä aus au wie im Heliand bOg 'ring',
&dm 'bäum' u.s.w.) = draugi Brocken, unfruchtbar, noch nicht zeugnngs-
reif'. Vgl. ausserdem wegen der behandlung von germ. au im salfrk. § 4^
Beiträge zur feschichte der deutschen spräche. XXV. 18
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274 VAN HELTEN
und ursprfinglich zu 10, 9 und 10 (zu welch letzterem aas dem
folgenden paragraphen verirrtes redonia steht, vgl § 22).
§ 20. Eine sehr häufig begegnende glosse ist texaga ete.
Die erwähnte form steht im 1. coi 46, 3. 82, 5; cod 2 hat
ta{c)xaga 47, 2b. 56, 5b, texxaga 65, 2 (vgl. § 2y); cod. 3 taxaga
12, 7; cod. 5 {•')texeca 14, 10. 19. 23, 13. 50, 4. 3 b. 59, 1. 4. 6b.
68,2; cod. 6 {-^iexaca 14,10. 19. 50,4. 59,6b. 68,2, fea» 50,3b
(durch ausfall von ca oder o«), •ihexaca 59, 4 (s. unten), -((hy-
xacha 59,6b (mit th und c% fflr f und c nach § 7a), teoxaca
59,1 (fftr *iheotexaca, vgl. §51); cod. 7. 8. 9 (-)ter«k» 15,8,
51, 2. 3b. 60, 1. 2 {thaxaca cod. 9 mit <A für 0- 69, 1. 2. 159, 2c;
die Heroldina texaca 52, 3b. 61, 1. 8b. 70, 2, texaeha 160, 14
(mit ch für c), fearara 52, 3. 61, 6b (mit r für c, vgl § 3$;
wegen erra-^ texachaU s. § 9). Das wort gehörte zu den in die
lat. gerichtliche terminologie aufgenommenen ausdrücken: es
erscheint auch im text der Salica als texeca 59, 5 (ood. 5)^
texaca 59, 5. 61, 4 (cod. 6 und in der Heroldina), taouxca 60, 3
(cod. 7. 8. 9). 4 (cod. 7. 9), taxaga 60, 4 (cod. B. G. H), texaca
und taxaca 62, 4 und var. (L. Emend.). Und ebenfalls in der
Lex Bibuaria in den codd. A als texaca{fn), texaga(m)j texega,
taxaga 18,1. 33,2.3. 42,2. 45 n. 63,2. 72,2.3.8. 82,1 und
varr.; sowie in der L. Alemann, als texaga^ texeca 88,6, das
natürlich auf fränk. beeinflussung zurückzuführen ist Es ent-
spricht demselben in den codd. B und einigen codd. A der L.
Ribuaria lat. furtum, und hieraus sowie aus der häufigen Ver-
bindung des nomens in codd. A mit ^capitale' und 'dilatura'
(vgl. § 187) bez. mit dem verb. 'exigere' geht (wie auch für
furtum) eine bedeutung 'durch diebstahl verwirkte strafe'
hervor (wegen der begrifflichen entwickelung vgl. § 36); nur
in 18,1. 63,2, wo das wort nicht in selbiger Verbindung steht
{sicut in omne texacam constituemus und de texaga simüüer\
könnte man zur not an eine bedeutung 'diebstahl' denken,
wenngleich die erstere hier ebenso am platze wäre. Auch
für die stelle in der L. Alem. hat eine fassung als 'compositio
furti' zu gelten (si quis ferro mulinario involaverit, älium cum
ipso reddat et solvcU solidos 6 in texaga cuius fuerit). Ffir
die stellen im text der Salica steht de bedeutung 'diebstahl'
fest (ßi quis seruus ... de (se) res domini sui aUgpM depor-
tauerit in taxaca und si hämo ingenuus seruum aUenum in
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ZD DEN IfALBERGISCHEN GLOSSEN. 19—20. 275
texaca secum ducat)] für die glossen hingegen fehlt meistens
das kriterium zur fixiening der bedeutung (vgl. jedoch § 48).
Die znrttckführong des x yon texctga etc. auf sc (M vni.
E § 21) verbietet der umstand, dass sich sonst in den Malb.
glossen (wie überhaupt auf fränk. Sprachgebiet) kein x aus sc
findet (vgl. friocho etc., *fertascho, chanssasco etc., tuschada
etc., naschus etc., ihalasciasco § 27. 37. 84. 90. 100. 151). Somit
ist für die deutung unseres Wortes ahd. zascön rapere nicht
heranzuziehen. Doch gibt uns eben dieses (von Grimm und
Kern hervorgehobene) verb. einen wichtigen fingerzeig: isascGn
gehört als 5Ä:o-bildung zu einer wurzel, die sich in öoyri für
*Ä>xiJ (vgl. ion. dor. lesb. öixofiai neben att. öixofiai) zurück-
findet; mit demselben dox, öbx nun lassen sich durch suffix -s
(die in fahs^ sahs, lefs, meox^) vorliegende Schwundstufe von
-es, -os) gebildete derivata '^tahs, *tehs *fortnahme, diebstähr
in Verbindung bringen, die als erstes compositionsglied im
salfrk. *tahs', *tehs' (wegen erhaltung der spirans vor s in
der spräche der glossen vgl. § 28), im lehnwort tax-, tex- (vgl.
Mackel, Die germ. elemente in der franz. spräche s. 137) zu
lauten hatten. Aus dem erscheinen des x in den glossen er-
folgt, dass die Schreiber, denen der in die galloroman. gericht-
lidie terminologie aufgenommene ausdruck geläufig war, die
form des lehnwortes für die salfrk. substituiert haben (vgl.
wegen eines gleichen Verfahrens § 65. 141), somit bei erläute-
rung des wortes von ersterer form auszugehen ist. So dürfte
man berechtigt sein, mit rücksicht auf die substituierung von
gallorom. a für ai (vgl. § 127 zu uuaranione{fn)j § 156 zu
a/ristatonem, § 171 zu achasius und beachte auch die von
Mackel in der oben citierten Schrift s. 114 ff. angeführten
afranz. lehnwörter mit a = germ. at) dem -aga salfrk. *'aiga
(= ags. dge, an. eiga 'besitz') zu gründe zu legen, was zur
ansetzung führt von salfrk. (der periode, die noch keine con-
traction von ai kannte, angehörenden) *tahsaiga bez. *tehsaiga,
die ursprünglich 'durch diebstahl entstandener besitz' bezeich-
neten, dann aber auch durch Übertragung für 'besitznahme
durch diebstahl' in schwang konmien konnten. Das -aca für
-aga begreift sich als die folge von fortgesetzter latinisierung:
0 Vgl. IP.4,110.
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276 VAN HELTEN
das gallorom. kannte keine Wörter mit suffix -(iga, wol aber
mit -aca (wie z.b. barcuxt, caraca, casacay limaca, trabacd). In
taxaia L. ßib. 33, 2 yar. 42, 2 yar. (i als roman. Schreibung ffir
?9, ygl. Schuchardt, Der yocalismus des yulgärlat 1, 129) und
taxaica L. Sal. 60, 4 (cod. 8), L. Eib. 33, 2 yar. erkennt man
gallorom. disyllabisches ai {= germ. at), das sich dem ai von
laisum etc. (§ 144), uaidaris (§ 176) nnd dem ai franzosischer
lehnwörter Udt, guaide, hau n. s. w. (s. Mackel s. 117) vergleicht
{-aica durch compromiss ans -aiga nnd -aca^ in taxiagam Sib.
18, 1 yar. nnd texiaca ib. 72, 3 yar. 8 yar. liegt wol ia als
Schreibfehler für ai vor). In texega, texeca der L. Rib^ der
L. Alem. nnd des cod. 5 der SaL beruht das e von -ega anf
anlehnnng an jüngeres salfrk. aus -aiga entstandenes -^ga
(ygl. wegen solches ^ § 4/}; wegen ähnlicher anlehnung be-
achte die § 156 zu cheristaduna erwähnten formen).
Aus den im eingang unseres § zusammengestellten belegen
ergibt sich, dass von den älteren Schreibern dem einen diese,
dem andern jene form des lehnwort«s geläufig war. Dass
aber die jüngeren copisten wenigstens zum teil das wort
nicht mehr kannten, geht hervor aus den entstellungen -the-
xaca, 4{h)€xacha, texaduiU u.s.w.
Aus dem t der ribuarischen belege ist auf enüehnnng des
nomens vor der Verschiebung von ^ zu £r zu schliessen.
§ 21. Als glosse zu 'uerrem' steht im 11. tit (11, 9. 14^ 14
etc.) cristiau, cristau, christiao cod. 2. 6 und bei Her., cristiimo
cod. 7. 8. 9.9 Grrimms Vermutung eines Zusammenhanges mit
ahd. grisgramön, ags. ^risibitian frendere (M xvm) kann nn*
beachtet bleiben. Kern vergleicht aind. ghrsfi verres (K § 23).
Der acc. sg. eines mit ablaut re dem aind. nomen entsprechen-
den i-stanmies müsste als Christ oder mit angehängtem -o
(§ 5 a) als Christo erscheinen (wegen ch als Schreibung für g
s. § 6j9). Für den acc. sg. von ans dem t-stanmi moviertem
schwachen Substantiv wäre ^chrisUun zu erwarten (oder etwa
mit aus dem dativ entnommenem endungsvocal "^christiin bez.
-tin, vgl. § 24): salfrk. -un geht für diesen casus aus dafür
eingetretenem -0 der glossen hervor (s. § 41 zu -uano)] schon
*) Nach Merkel soUte in cod. 9 christiano stehen; einer freundlichen
mitteilung von prof. Jung in St. Gallen zufolge hat die h& cristiano.
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zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 20—21. 277
an sich kaum denkbares -an lässt sich nicht wahrscheinlich
machen. Demnach ist für unsere glosse frühzeitige Verlesung
von a aus ti (§ 3a) anzunehmen; daher bereits in der gemein-
schaftlichen vorläge X* (vgl. § 1/J und 188) *cristian (mit nach
§ 6^ für cÄ eingetretenem, auf grund der lesarten von cod. 2.
6. 7. 8. 9 anzusetzendem c), woraus die fiberlieferten lesarten
durch Verlesung von w aus n (§ 3jr) bez. darauf erfolgte sub-
stituierung von '0 für -u oder durch antritt von -o (§ 5 a); das
ch von christiao Her. ist nach § 7a zu beurteilen.
§ 32. Zu 'scrouam ducariam' gehört in tit. 11 (11, 10.
14, 15 etc.) redonii cod. 2, radonia cod. 6, reo dimiu cod. 7. 9,
reodemia cod. 8 (also in der speciellen vorläge von 7. 8. 9
reodimia, woraus reodemia mit e für i nach § 4 a), ckredunia
bei Her. Grimms deutung *die im ried, ahd^Ärio^, ags. hreod
hausende' (M xviii) ist nichts weniger als ansprechend. Mit
nach ags. wrdsd, aschwed. wrdth 'herde' construiertem *M;m-
thunia (E § 22) liessen sich die überlieferten lesarten, was das
r- für uur- und das d für <Ä betrifft, zur not durch die an-
nähme von frühzeitiger entstellung vereinbaren (wegen ver-
schreibung von d für ^ä vgl. § 2/3; dass aber der salfrk. form
uur- und th zukäme, ist nach § 110 und 142 für mehr als
wahrscheinlich zu halten); doch widersetzt sich dieser an-
nähme: erstens das aus den überlieferten lesarten für die zu
gründe liegende lesart zu folgernde e (wegen salfrk. a =
anfrk. as. ahd. a vgl. § 44); zweitens die tatsache, dass die
feminina mit suffix -unt (und -ml) als movierte bildungen auf
masc. Personennamen zurückgehen. Das (von Grimm und Kern
in dem nomen erkannte) ableitungssufflx -uni nötigt mithin
dazu, sich nach einem solchen personennamen umzusehen. Und
so denkt man unwillkürlich an "^hirdi (= as. Airdt u.s.w.).
Zwar wäre zunächst als dazu gehöriges, ^eitsau' (eigentlich
'leiterin') bezeichnendes derivatum eine form mit -in- zu er-
warten; doch wird überliefertes -un-, -on- leicht begreiflich
als die folge von entlehnung aus anderen bildungen mit -un-
(vgL "^choroffunia, *amba€htunia § 54). Aus *hirdunia aber
(mit einfachem n durch anlehnung an das -n des nominativs,
wie in den eben genannten derivaten und in leodinia § 88,
solampina § 46, und mit -ia als endung für den acc. sg. fem.,
vgl. § 9) konnte durch frühzeitige entstellung, d. h. Versetzung
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278 VAN HELTEN
von r, ausfall von h und Schreibung von e für * (§ 4 a) in der
vorläge X^ (vgl. §lß und 188) vorhandene lesart *redunia
hervorgehen; daraus für vorläge X^ anzusetzendes redonia
(mit 0 für ü nach § 4 a), das sich in cod. 1 intact (doch an
unrichtiger stelle, s. unten) widerfindet und in redonii von
cod. 2 mit durch assimilierende Schreibung (vgL § 2^) oder
verschreibung von i für a (§ 3 a) entstandenem -tt erscheint;
aus *redunia aber, das der Überlieferung von cod. 6. 7. 8. 9
und der Heroldina zufolge aus vorläge X« in vorläge X»
übergieng, entstand einerseits für eine zwischen X' und der
näheren vorläge von cod. 7, 8. 9 liegende vorläge (X*?) an-
zunehmendes *r€udunia (mit eingeschaltetem u nach § 2d),
das durch substituierung von o für u (§ 4 a) und Verlesung
von im aus un (§ 8^) die in der spedellen vorläge. von cod. 7.
8. 9 stehende lesart reodimia ergab, andrerseits radoma von
cod. 6, das durch Verlesung von a aus u (§ 3 a) und Schreibung
von 0 für u aus einer mittelstufe *rudunia (mit t* dnrch
assimilierende Schreibung für e nach § 2^) hervorgieng, und
chredunia bei Her., dessen ehr nach dem muster von zum
voranstehenden Paragraphen gehörendem christiao für r eintrat
(vgl. § 2g; die annähme von nach %6ß h repräsentierendem A
verbietet das in allen anderen lesarten fehlende h).
Paragraph 11 von cod. 1 erwähnt sowol den 'uerrem'
(vgl. § 21) als die ^scrobam ducariam'; statt der hiemach zu
erwartenden glossen = cristiau etc. und redonii etc. der
anderen Codices steht daselbst sunnista (vgL § 25) als dahin
von einem der folgenden Paragraphen her verirrte gloese.
Andrerseits begegnet im 10. paragr. von cod. 1 ('post annicu-
latum uero', vgl. oben § 19) eigentlich dem paragr. 11 zukom-
mendes redonia. S. auch E § 22.
§ S3. Auf ^maialem sacriuum' bezieht sich in titll (14,16.
15, 6 etc.) baragameo amitheoto cod. 6, bartcho cdhimo, hradio ca-
himo, barteho caimo cod. 7. 8. 9 (woraus für die spedeUe vor-
läge dieser drei mss. *barcho cdhimo zu folgern, vgl. § 188 am
schluss), barcoanomeo anitheotha bei Her. W^en des ersten
teils der glosse = ags. bearh, 8hä,parc, barug, barch s. M xvin
und K § 25. Aus für die vorläge X» (vgl. § Iß und 188) an-
zusetzendem *barcho (mit -o nach § 5a und eh als Schreibung
für g nach § 6ß) entstand durch Schreibung von c für c* (§ 6^)
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Zu DEN HALBEBGISCHEN GLOSSEN. 22—23. 279
harco, durch einschaltnng von a (nach § 2d\ substituierung
von jf für c aus cÄ (nach § 4y) und Schwund von -o barag,
durch Verlesung von t aus dittographischem c (§ 2/. 3d) bartdio.
An amitheoto, anitheofha von cod. 6 und Her. erinnern die
im in. tit. begegnenden, auf ^taurum ... qui de tres uUlas
communes tenuerit uaccas' sich beziehenden bez. zu Haurum
regis' stehenden glossen amitheoto 23, 10 (cod. 6), chami theuto
25,9 (Her.), anteotho 23.11 (cod. 6), dumutheuo 25,10 (Her.).
Die verschiedenen lesarten stützen sich gegenseitig. Ihre
gegenseitige Unabhängigkeit verbietet es, die glossen von
tit. n. auf antcheeta oder -o (E § 26), die von tit m auf harn-
iheoto oder chamitheuto (E § 39) zurückzufahren. Es ist viel-
mehr als die allen überlieferten lesarten zu gründe liegende
ältere lesart *chamitheo(ho anzusetzen (wegen n für m^ u für i,
eu Vir eoy t für th vgl. § 2^. 7. 4a. 6j3; wegen or und chor
beachte § 67), das sich in chami-, d. h. cham (= "^Amm; wegen
des ch vgl § 6j}, wegen a § 4/3) + lat -t- der compositions-
fuge (§5ß), und theotho (= f^otpiup 'gut' subst.) + lat. -0
(§ 5 a; das -a von -theotha durch verschreibung) zerlegen und
als 'besitztum des dorfes' fassen lässt, also in einer bedeutung,
die in zwei der drei paragraphen am platze wäre: in dem
von titn, indem hier der 'maiaUs sacriuus' als der dorf-
schaft gehörend begreiflich ist; in dem 'taurum ... qui ...
tenuerit uaccas' enthaltenden, indem der für die begattung
der kühe dreier dörfer dienende stier (wegen tenere 'begatten'
vgl. Ducange 8, 61, sp. 1) nur gemeingut gewesen sein kann.
Zu 'taurum regis' i) passt eine bedeutung 'gemeingut' aller-
dings nicht; doch konnte es angesichts der widerholt (vgl.
§ 71 zu aithifathio) zu beobachtenden entlehnung voranstehen-
der glosse in einen jüngeren zusatz (einen solchen repräsen-
tieren offenbar 23, 11. 25, 10) gar wenig auffallend erscheinen,
wenn sich auch hier die eigentlich nur zu 23, 10. 25, 9 ge-
hörende glosse in der vorläge X^ dem paragr. 23, 11. 25, 10
zugesellt hätte. S. noch unten § 33. 34.
In bartcho (bracho) ca{h)imo von cod. 7. 8. 9 und in den
^) Wegen 'tanrom regis' (die Unrichtigkeit der lesart 'taunun regem*
23,11 ergibt sich ans der vergleichung mit 'nnaran(n)ionem legis^ 221,4.
223, 4) vgl. Geffcken, Lex Salica s. 111.
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280 VAN HBLTEN
zum correspondierenden pai*agraphen stehenden rhammodo 10, 12
von cod. 1, chuc cham 11, 11 von cod. 2 sind unschwer die ent-
stellten reste von (für vorläge X» anzusetzenden) *barcho
chamitheotho widerzufinden: cahimo für *chafnio, d«h. chanU
mit an die für simplex angesehene form angetretenem lat -o
(§ bß) und ausfall von theotho; so ähnl. rhammodo mit r ffir c
(§ 3£), m für ^A (§ So) und d fiir th (§ 2^), ausserdem ausfall
von i, e und barcho; chtic cham mit u für o (§ 4a) und doppelt-
geschriebenem c (§2/) aus durch Schwund von bar- und -ükc-
otho entstandenem *cho cham.
Grimms zurfickführung von ameo amiffieoto, anameo om-
theotha auf ^änomeo ana theoda, susceptus coram populo' scheitert
an dem t bez. th. Kerns deutung (K § 26) von ameo bez. atwmeo
als = anämian eximium, igaiQsrov (ä- *er-' und -fiäfm) könnte
beim ei*sten anblick befriedigend erscheinen; bei näherer prOfung
aber regen sich bedenken gegen die durch solche fossnng be-
dingte annähme, dass dieses adjectiv, das doch eventuell als
dement der ursprünglichen glosse zu gelten hätte, sowol in
der Überlieferung von cod. 1. 2, mithin in der lesart von vor-
läge X2, als in einer auf vorläge X» zurückgehenden, der Über-
lieferung von cod. 7. 8. 9 zu gründe liegenden lesart fehlte, hin-
gegen in den ebenfalls auf vorläge X^ zurückgehenden lesarten
von cod. 6 und der Heroldina erhalten geblieben wäre. Ich
möchte demnach nicht anstehen, in ameo, anomeo lesarten zu
erblicken, die auf in vorläge X* stehendes, durch dittographie
und antritt von -o (§ ha) entstandenes ^amio zurückgehen:
ameo mit 6 für i (§ 4 a), anomeo durch eine mittelstuf e ^amtfMto
(für "^amio in folge abermaliger dittographie) hindurch mit no
für aus mi verlesenes nu (§ 4 a und 3y) und e für *.
§ 24. Für die deutung von hracho hogbagine 14, 17 (cod. 6),
bartho siue badiani, bratho siue babane, bartho siue babani 15,7
(cod. 7. 8. 9), brarecho ... in alia mente babene 16, 19 (bei Her.)
= 'maiale qui sacriuus non fuit' (dessen fleisch also zur nah-
rung dienen soll) hat Kern (K § 29) ahd. bacho pema, mnL baie
pema, porcus herangezogen. Angesichts des überlieferten mate-
rials ist als aus des glossators feder geflossene form *baün
vorauszusetzen, d. h. ein acc. sg. mit aus dem dat. entnommenem
Suffix (vgl. ocxino etc., socelino etc., sundelino etc., *thro€kuuisino
§ 28. 45. 120 und beachte auch den acc. sg. hetrin der Altost-
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Zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 23—25. 281
nfrk. psalmen 54,23). Diesem *badn war der Überlieferung
zufolge frühzeitig die lat. endung -e (d. h. -em, § 5 a) angehängt.
Aus solchem "^bacine aber lassen sich die überlieferten lesarten
nicht direct ableiten. Es ist mit rücksicht auf dieselben für
die vorläge X^ (vgl. §1/3 und 188) durch dittographie entstan-
denes *bahacine oder wol *bahagine (mit g fm c nach § 4/)
anzusetzen: daraus durch einschaltung von g (*bagbagine für
*bäbagine nach § 2d) und (später erfolgte) assimilierende Schrei-
bung von 0 (durch anlass von bracho) für das erste a das
bogbagine von cod. 6; durch ausfall von ac oder ag und Schrei-
bung von c für i (§ 4 a) Herolds bdbene\ durch ausfall von ci
oder gt und Schreibung von -i für -e das aus der Überlieferung
von cod. 7. 8. 9 für die specielle vorläge dieser hss. zu folgernde
babani, das in cod. 9 intact erhalten blieb, in cod. 8 zu bäbane
wurde {-e für -«") und in cod. 7 badiani ergab in folge von
assimilierender, durch folgendes *din.' (woraus überliefertes
'den.') hervorgerufener substituierung von di für b (vgl. § 2e
und beachte die § 100 zu nasco dinar hervorgehobene Verzeich-
nung der den frevel oder die strafe bezeichnenden randglosse
mit folgendem 'dinar' oder 'din.').
Die lesarten bracho, bartho, bratho (§ Sd) verstehen sich
ohne weiteres; in brarecho steht dittographisches r (nach §2 d)
und aus doppelgeschriebenem c verlesenes e (§ 3f. 2y). An
der parallelsteDe in cod. 2 hat sich barcho 11, 12 ungeändert
erhalten, ist aber das appositum ausgefallen. Wegen des ur-
sprünglich der glosse nicht angehörenden disjunctivs vgl. § 13.
27. 41. 43. 49.* 54. 70. 85. 131.
§ 25. Für die widerholt begegnende, zur bezeichnung
einer *herde' verwante glosse sonista, sunesta, -nista, sonnista,
sunnesta, -ista (wegen der belege s. Hesseis' ind.; wegen sonistha
und der monstra sonischalt, huicthe vgl. § 7 a. 9. 127) ist von
Kern (K § 28) und Sievers (Beitr. 16, 542) Zusammenhang mit
ags. sunor, -er, langob. sonor- (in sonorpair) und an. sotuir-
(in sonarggltr) hervorgehoben (sonar- als den genitiven sg. an.
liöar, solar, fridar zu vergleichende und nach lidr, sälr, friOr
auf einen nom.*sowr, ursprünglichen te-er-stamm, zurückzuführende
bildung). Der erklärung bedürftig ist noch das -to. In der
Lex Angl. et Thur. (Mon. Germ. LL. V) 37 findet sich sorgest
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282 VAN HELTEN
(scrofas sex cum verre, qtwd dicunt sonest^)), in der Lex Bi-
boaria 18, 1 (Mon. Germ. LL. V) ein acc. sanestefin) bez. -•
(die angetretene endnng durch latinisienmg nach dem mnster
von gregem, -e); für das -st dieses Wortes liegt berafang von
-st der altes "^-sta- enthaltenden composita an. naust 'schiffs-
station', ahd. auuist, euuist ovile anf der hand; die semantische
entwickelung begreift sich als die folge einer bekannten me-
tapher (vgl lat. stabulwn 'stall' nnd 'viehherde'). Dem -a der
glosse zufolge, die mit einer ausnähme (sonista etc. = ^quinqua-
ginta porci' 10, 16. 11, 15 etc.) als acc. steht {sonista etc. =
^XXV porcos' 10, 14. 11, 13 etc. u. dgl.), ist für das salfrk.
nomen composition mit "^-stö anzunehmen (vgl. ahd. auista Eb
73, 27), das übrigens auch in sonest, soneste(m) der L. AngL
und Rib. vorliegen könnte; daher sonista etc. 10, 16. 11, 15
etc. mit nach dem muster von voranstehendem acc sonista
für regelrechtes sufflzloses -st des nominativs (vgl. § 192) ein-
getretenem 'Sta. Unter den überlieferten lesarten nberwic^n-
des sonista weist auf salfrk. *sonist hin, dessen i wol auf
anlehnung an zu vermutendes *af€ist beruht; wegen der u
und e und nn der lesarten vgl. § 4a und g.
§ 26. Von den auf salfrk. *hrundir zurückgehenden
glossenlesarten (s. oben § la) gewährt pondero 23, 1. 3. 4
(cod. 6) die für die gemeinschaftliche vorläge anzusetzend»
p, 0 und e (für u und i nach § 4a; w^en ponderos 23, 6,
cod. 6, s. § 2rj)\ podero 19,1 (cod. 1), potero 19,3 (cod. 1),
protero 20, 1. 3 (cod. 2) zeigen ausfall von n oder nasal-
compendium, die zweite lesart ausserdem Schreibung von t
für d (nach § 3^), die dritte letzteres sowie einschaltung
von r (nach § 2(J); in pedero 25, 1. 3. 4. 6 (bei Her.) begegnet
assimilierende Schreibung von 6 für 0 aus on oder 0 (nach
§ 2f); podor 24, 1. 2. 3 (cod. 8. 9) und 24, 3 (cod. 7) hat o für
on oder 0 und (nach § 2£) durch assimilierende schreibnng
entstandenes 0 für a; in pordor 24^ 1 (cod. 7) und pordarsu
24, 2 (cod. 7) wurde ausserdem r eingeschaltet (nach § 2d;
wegen -su s. § 2iy). Für |)o(r)dör in cod. 7. 8. 9 w&re angeddits
des in den anderen hss. durchstehenden lat. -o (§ 5 a) ausfall
von frühzeitig angetretener endung denkbar; doch wäre es
*) Varr. son est und son (durch ausfall Yon est),
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zu DEN MALBBBOISCHEN GLOSSEN. 25—28. 283
auch möglich, dass hier ein rest der alten lesart ohne -o vor-
läge und die fiberlieferten -o aus vorläge X^ und vorläge X*
(vgl §1/9 und 188) stammten. Aus dem t der lesarten von
cod. 2 und aus potero von cod. 1 ist mit rflcksicht auf den
engeren Zusammenhang zwischen den glossenlesarten dieser
beiden hss. für das ä von podero in cod. 1 entstehung aus t
(§ iy) zu erschliessen.
§ 27. Zum Paragraphen des in. titeis ^si quis uitulum
lactantem furauerit' steht in cod. 7. 8. 9 und bei Herold ausser
pordor etc. noch damit durch *aut' verbundenes friocho 24, 1
(cod. 7. 9), frieho 24, 1 (cod. 8), freodo 25, 1 (Her.). Aus der
Überlieferung ist auf in der gemeinschaftlichen vorläge X^
(vgl § lj9 und 188) vorhandene lesart mit ch (wegen d durch
verschreibung für cä s. § 2i9) und io oder eo (§ 4 a) zu schliessen«
Aus * friocho aber lässt sich durch die annähme von frühzeitigem
ausfall von s (§ 2 a) und ebenso frühzeitiger einschaltung von
schon vorher angetretenem lat. -o (vgl. § 5 a. 26) ein acc. sg.
ntr. "^frisch 'junges' des glossators ableiten (wegen des seh
vgl. § 7 a). Wegen hieraus sich ergebender Unrichtigkeit von
*aut' der glosse vgl. § 13. 24. 41, 43. 49.* 54. 70. 85. 131.
Mit rücksicht auf das io von cod. 7. 9 und das eo der Herol-
dina ist das i von frieho cod. 8 nicht als repräsentant des
alten i, sondern als durch ausfall von o entstandenes zu fassen.
Gegen identificierung der glosse mit an. hreffi taurus (E § 31)
spricht die bedeutung des nomens sowie die Unmöglichkeit,
das f graphisch aus h oder ch herzuleiten (von eventueller
Verlesung von f aus nach §6ß f&r ch eingetretenem c könnte
keine rede sein, weil hier keine der § 3Ä erwähnten bedingungen
für solche Verlesung vorliegt).
Das adjectiv fehlt durch ausfall in cod. 6 und 1. 2 (fehlte
demnach schon in vorläge X^).
§ 28. Kern zieht (K § 33) ags. sUrc, styrc juvencus (mit
-c aus -ic) heran behufs erläuterung von sich auf *annicul(at)um
(animal)' beziehendem ocsieord 23, 2 (cod. 6), dessen -ä dem-
nach als verschreibung für -ic zu gelten hat: eo = salfrk.
durch anlehnung an *steor für regelrechtes eu eingetretenem eo
(beachte § 39 zu leud- und vgl. bei Kiliaen verzeichnetes stierick
iunix) oder = salfrk. eu (wegen eo der glosse für eu vgl. § 4 a).
In der lesart bei Her. ochsaiora 25, 2 steht das erste a durch
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284 VAN HBLTBN-
Verlesung für ti (nach § 3/3; die ligatur ti wurde zunächst als
a copiert, dann aber das i noch einmal als i nachgeschrieben; 0
wegen io für eo vgl. § 97 und 4 a), das zweite durch verlesnng
für ci (wegen der möglichkeit eines solchen Versehens vgl. in
Arndts Schrifttaf. taf. 5b, spec. zeile 16 und 17). Im ersten teil
der glosse steckt natürlich eine form des nomens *ochso (w^n
der Schreibung ch vgl. § 6ß). Doch ist hier an composition
nicht zu denken, weil man dann dem Charakter der apposi-
tioneilen zusanmiensetzung gemäss (das vordere glied bezeichnet
die species, das hintere das genus) ein nach art von ags. ^steor-
oxa anniculus vel trio' Wr.-Wfilck. Voc. 23,41 gebildetes com-
positum zu erwarten hätte. Begreiflich wäre hingegen ein
Simplex *ochsin(o) acc. sg. (vgl. unten), dem behufe näherer
bestimmung der gattung appositionelles *steoric oder *steurie
beigegeben war. Aus solchem *ochsin(o) steoric bez. siewrie
konnte aber, indem das äuge des copisten sich von dem ersten
s nach dem zweiten verirrte, *ochsteoric bez. -steuric hervor-
gehen. Dass statt -ci des aus den lesarten der hs. 6 and der
Heroldina für die vorläge X* (vgl. %\ß und 188) zu folgerndem
*ochsteorci in vorläge X^ noch -ic stand, dürfte aus dem tk
von thinzimus 24, 2 der hss. 7. 8. 9 hervorgehen (s. § 29 am
schluss).
Als glosse zu ^bouem' findet sich ohseno 25, 11 (Her.),
öbosino 20,4 (cod. 2; h aus h nach § 3y und o entweder nach
§ 47 durch Verlesung aus versetztem c oder durch einsdialtung
nach § 2d, in welchem fall das h nach § 6/ für cA stände),
ocxino 23, 7 (cod. 6) mit -in als accusativendung (s. § 24) bez,
-en für -in (§ 4 a) und lat. -o (§ 5 a). Das h bez. hc (?) dieser
lesarten sowie das ch in oclisaiora weisen für die überlieferte
Periode des salfrk. auf spirantische ausspräche des mit s ver-
bundenen gutturals hin: in einem cod. (6) begegnendes, für cA
(nach § 6j9) geschriebenes c (ocsteord, ocxino) ist ebenso be-
greiflich als in zwei genetisch verschiedenen hss. (cod. 2 und
bei Her.) stehendes, aus es hervorgegangenes chs bez. hs auf-
fallen müsste.
0 Vgl. wegen eines ähnlichen Verfahrens § 55 zu fribfuinOf § 66 ra
älafälmo, § 83 zu brücke, § 89 zu uidridarcM, § 126 zu südbcUm etc., § 137
zu chami habia.
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Zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 28—29. 285
§ 29. Zar erläatemng von mala 23, 3 (cod. 6) und malia
25, 3 (bei Her.) == ^binum animar, maia 23, 5 (cod. 6), malia
25, 4 (Her.), mala 25, 5 (Her.) = 'uaccam' hat Kern (K § 34)
das in den niedersächsischen dialekten der niederländischen
Provinzen Grelderland und Overijsel noch jetzt gangbare mö»fe
(mit ö» aus altem a) *rind von anderthalb bis zwei jähren' her-
vorgehoben. Aus dem überlieferten material ist für das salfrk.
auf h (iö-) stamm, auf *mälia mit -ia für den acc. sg. fem. (§ 9)
zu schliessen.
Das wort galt, wie aus seiner zweifachen Verwendung
hervorgeht, in zweierlei bedeutung, grade wie das fem. (^Üe
= 'porcellum' und *scrofam' (§ 9). Es begegnet 23, 3 und
25, 3 in Verbindung mit pondero bez. pedero (§ 26) und ver-
gleicht sich in dieser appositioneilen Stellung mit zu *ochsin
stehendem *steoric oder *steuric (§ 28).
Auch der folgende paragraph 25, 4 (mit 'uaccam') hat bei
Her. pedero malia, während sich im correspondierenden Para-
graphen von cod. 6 nur pondero findet, sei es in folge von aus-
fall eines in der vorläge X^ (vgl. § IjS und 188) stehenden
media oder in folge von enüehnung von malia der Heroldina
aus dem voranstehenden Paragraphen (mit ^bimum animal');
für die Wahrscheinlichkeit des letzteren Vorganges spricht der
umstand, dass in dem Paragraphen (mit 'uaccam') in cod. 2
ebenfalls nur protero (§ 26) steht und bei Her. vor pedero
malia auch (in den anderen hss. fehlendes) jsfymis (§ 16) über-
liefert ist, das als entlehnung aus dem voranstehenden para*
graphen zu gelten hat angesichts der daselbst stehenden
inzymis pondero mala cod. 6, Mymis pedero malia Her., thin-
gimus podor (pordorsü) cod. 8. 9. 7.
Aus der Zusammenstellung letzterer auf in vorläge X^
vorhandenes *inzymti$ (oder -is) ponder(o) malia hinweisenden
lesarten ergibt sich für die specielle vorläge von cod. 7. 8. 9
durch ausfall von malia verstümmelte lesart Ausserdem ist
betreffs dieses thinzimus po(r)dor(sa) noch folgendes zu be-
merken: der betreffende paragraph mit 'anniculum usque ad
bimatum (animal)' repräsentiert die verquickung zweier in
cod. 6 und der Heroldina überlieferten paragraphen mit ^anni-
cal(at)um (animal)' = ocsteord bez. ochsaiora (§ 28) und 'bi-
mom animal' = pondero mala bez. pedero media sowie davor
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286 VAN HELTEN
stehender frevel- oder Strafbezeichnung {inysynUs (vgL § 16);
einen rest aber des ausgefallenen *ochsteoric oder einer Vor-
stufe desselben (§ 28) dürfte man erkennen in dem ik von
thineinvas: mit in- verbundenes -c wurde durch veriesong
(§ 3<J) und einschaltung von A (§ 7 a) zu ^
§ 80. Statt imymis pondero mala etc. von coi 6. 7. 8. 9
und der Heroldina (§ 29) steht in dem correspondierend^
Paragraphen von cod. 1 und 2 scolo 19, 2, scedo 20, 2. Man
könnte der mitunter begegnenden doppelglossierung eingedenk
(vgl. § 16 am schluss) versucht sein, hier eine mit dem proto-
typus von pondero mala etc. gleichwertige bezeichnung zu
vermuten und, erhaltung der einen synonymen glosse in der
vorläge X* (vgl. %lß und 188), der anderen in vorläge X^
annehmend, mit Kern (E§32) an dialektisch -holländisches
sd^t ^zwei- oder dreijährige kuh' anzuknüpfen. Doch stiesse
man dabei auf eine graphische Schwierigkeit: Verlesung von l
aus t oder d ist nicht bezeugt. Besser stimmt zur Überliefe-
rung eine fassung von scolo als entsprechung von got skula^
ahd. scolo und sich auf das 'et ei (cui) fuerit adprobatnm'
des textes beziehendem ausdruck (mit elliptischer oder aus-
gefallener conditionalpartikel), zumal auch scedo als aus scolo
verderbte lesart begreiflich ist: e für dittographisches c (§ 3fX
d für ol (wie in fredo-, s. § 55 am schluss).
Ein gleichartiger ausdruck begegnet im 1. Paragraphen
des XXXVnil. ütels, wo zu 'si quis mancipia aliena solicitare
uoluerit et ei fuerit adprobatum' nach cod. 6. 7. 8. 9 und der
Heroldina thelaeina bez. theolasina oder theu la sina 'Verfüh-
rung eines unfreien' oder 'dafür zu entrichtende strafe' (§ 55)
steht, nach cod. 1 und 2 aber obscult 226, 1 bez. obsadte 227, 1
erscheint, d.h. ob (nach § 6(() für o/*'wenn' und scuU{e) als
Verstümmelung von *sculthe€h oder -ich (altes -ich, d. h. -idi,
vgl § 190/?: wegen erhaltung von salfrk. f nach { vgl. § 142),
zu 'ei fuerit adprobatum'.
Auch hier also, wie im vorhin besprochenen fall, erhaltung
der einen sich auf das 'fuerit adprobatum' beziehenden glosse
in vorläge X^, der anderen zu einem andern teil des textes
stehenden in X^.
§ 31. Ob mit dem pari prt von 'uacca(m) domita(m)*,
wozu chani^yn ponderos 23, 6 (cod. 6), abagym pedero 2S, 6 (Her.)
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Zu DEN BULBERGISCHEN GLOSSEN. 29—32. 287
'snbdned by the bull' (K § 35) oder etwa 'zum dienst als Zug-
tier gezwungen' gemeint ist, lasse ich unentschieden. Sicher
ist es, dass in chanayn, abaeym der correspondent von 'domi-
ta(m)' steckt und das ey der lesarten auf gi zurückgeht (§ 89)).
Berücksichtigung von öfters aus th und u verlesenen ch und a
(§ 3<^ und a) führt zur Vermutung von älterem *thungin, das
entweder den aus der feder des glossators geflossenen proto-
typus repräsentiert (= ahd. dungan, vgl. Braunes Ahd. gr. § 336,
anm. 5) oder durch ausfall von u für *ihuungin steht (= ahd.
-duungan, as. ihuungan); wegen des fehlenden präfixe« vgl.
§ 88. Auf in der vorläge X* (vgL § 1^ und 188) vorhandenes
changyn lässt sich ahazym zurückführen: a durch doppel-
sehreibung (nach § 26) und 6 für ä aus cä (§ 3/. 67), a für ä
oder an, m für n (§ 2/).
§ 82. Zu 'taurum qui gregem regit' steht die glosse cha-
rohitum 19, 4 (cod. 1), aJuiriociio 20, 5 (cod. 2), cherecheto 25, 7
(bei Her.), onfteocto^) 23,8 (cod. 6). Kerns ansprechende Ver-
mutung (K § 38), die glosse repräsentiere einen aus *hari
agmen und *heto dux gebildeten, durch Übertragung aus dem
heerwesen für *leitstier' verwanten ausdruck, ermöglicht das
Verständnis der drei ersteren lesarten: als aus des glossators
feder geflossene form der acc. sg. *charichetun mit ch als
Schreibung für ä (§ 6j9) und e (= salfrk. e aus ai vor muta,
§ 4i?), woraus durch frühzeitige substituierung von lat. -0 für
*-t«n (wie in -uano u.s.w. § 41) für die vorläge X* (vgl. § IjS
und 188) anzusetzendes *(^artcheto\ cherecheto mit e der zweiten
Silbe für i (§ 4 a), der ersten silbe durch später erfolgte assi-
milierende Schreibung (§ 2e) für a (die annähme von umlaut
ist ausgeschlossen, vgl. § la und 36); chariodto und charohitum
dm'ch Schreibung von c für ch (§ 6ß) bez. ausfall von i, Schrei-
bung von h für ch (§ 67) und -um für -o (§ 5 a) aus älterem
für die vorläge X^ anzusetzendem *€hariochito mit an chari-,
das der Schreiber für selbständiges wort ansah, angetretenem
lat. -0 (§ bß) und ♦ für c (§ 4a).
Für das überliefertem (mtbeocto (b für h nach § 3y, c f ür
>) So bei Merkel. Nach Hesseis wäre hier nicht b, sondern h zn lesen.
Herr G. Bnsken Hnet, sons-biblioth^caire an der Bibliothöqne nationale, der
auf meine bitte die lesart der Pariser hs. bereitwilligst prüfte, bestätigt mir
die lichtigkeit yon Merkels b.
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288 VAN HELTEN
dittographisches t nach § 2/. Sd) zn gründe liegende *ariiheoio
ist beeinflussung von älterem *charicheto dorch zun zweit-
folgenden Paragraphen stehendes (oben § 23 besprochenes) am*-
theoto in ansprach zu nehmen (§ 20.
§ 33. Statt in cod. 6 und der Heroldina zu ^tanrum qni
de tres uillas commones tenuerit naccas' stehendes amiiheoto
23, 10 bez. chami theuto 25, 9 (s. § 23) hat der correspondierende
Paragraph in cod« 1 und 2 cMmitum 19, 5 (ansfall der compo-
sitionsfage -i- und m für ch nach § 3o) bez. chamackUo 20, 6
(mit a der zweiten silbe für i nach § 2 s). Beide lesarten
weisen auf in der vorläge X^ (vgl. %lß und 188) stehendes
*chamichito hin {-um in cod. 1 für -o, wie in charohüum § 32^
durch beeinflussung von selten des voranstehenden *chariochüo
(§ 32) für *chamitheoiho eintrat (§ 2C).
Der 4. paragraph von cod. 7. 8. 9 verbindet die in den
anderen hss. den 'taurum qui gregem regit' (§ 32) und den
'taurum qui de tres uillas communes tenuerit uaccas' erwäh-
nenden Paragraphen. Er enthält die glosse ehegmeneteo bez.
chegmeneceo (mit c für ^^ § 3d), deren chegme- die älteren les-
arten *chagme' (e für a durch assimilierende Schreibung nach
nach § 26) und ^chaimi- {ag für ai nach § 4/3, -e für » nadi
§ 4 a) voraussetzt und so zur annähme folgender voi^gänge
nötigt: aus *chaifni' (vgl. § 23) von vorläge X^ entstand (nach
chä' und chamor von cod. 1 und 2, s. oben) für X^ anzusetzendes
* chami' (§4/3); in X» erhalten gebliebenes ^chaimi- ergab einer-
seits (nach ami'^ chami- von cod. 6 und der Heroldina^ s. oben)
für X^ anzusetzendes chami-, andrerseits für eine zwischen
X3 und der näheren vorläge von cod. 7. 8. 9 liegende vorläge
(X^?) anzusetzendes *chagme-, woraus chegme-. Der zweite
teil -neteo lässt sich nicht auf -theotho zurückführen; wol aber
auf -cheto (n durch m aus cA wie in natariae u. & w., & § 9,
und e vor o durch einschaltung nach § 26). Demnach wäre
der überlieferten lesart *chagmecheto als aus dem ersten teil
der einen und dem zweiten teil der andern zum paragraphen
gehörenden glosse gebildete compromissschreibung zu gründe
zu legen.
§ 34. Zu Haurum qui de tres uillas communes tenuerit
uaccas* (§ 23) steht 19,5 etc. und 24,4 nicht als glosse, son-
dern als dem lat. text einverleibter, durch *hoc est' eingeführter
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Zu DEN HALBEBGISOHEN GLOSSEN. 92—36. 289
commentar (s. auch die L. emend. 26, 7) in das galloromanische
anfgeüommenes trespelUus, trispeUium, tres piUius etc. Kern
macht (E § 40) auf das noch jetzt in nl. dialekten auf der
Veluwe und in der provinz Drente gangbare spüle *dorfatier'
aufmerksam, das sich unschwer als^'an-derivatum (\irspT*spilUo)
zu *spil (= mnd. mhd. ^7, mnL spei coitus), demnach als 'be-
gatter' deuten lässt. TrespeÜius etc. (mit zu tre-, tri- latini-
siertem thri') ist mithin als 'dreifacher begatter', 'stier, der
ein ans drei d5rfem bestehendes revier bedient' zu fassen
(wegen des wechseis von e und i der lesarten vgl. § 4 a, wegen
-ius des lehnwortes = salfrk. -w die anm. zu § 179). Dass
unser lehnwort den jüngeren copisten, wenigstens zum teil,
nicht mehr geläufig war, ergibt sich aus den Schreibungen tres
piUius 19, 5, ires pellius 20, 6, tres peUios 23, 10 und der ver-
schreibung tres bellio 25,9.
§ 85. Für trasile 23, 9 (cod. 6), trash 25, 8 (Her.) =
*bimum taurum' ziehen Grimm und Kern (M xxi. K § 37) an.
drasiU, drgsull 'pferd' zu drasla succursorie ferri heran. Die
gleichung hat ihren haken wegen der incongruenz der an-
lautenden dentale. Eher dürfte es sich empfehlen, an an.
grasa 'streiten' anzuknüpfen und trtmle, trash (mit -U für
*-ito) auf Hhrasü^ durch -ü abgeleitetes Substantiv (vgl. Kluge,
Nomin. stammbild. § 18) zurückzuführen (wegen des nicht um-
gelauteten a vgl. § 36; wegen t für Üi und der lat. accusativ-
endungen -e bez. -o s. § 6i3 und 5 a).
§ 36. Zu 'agnum (lactantem)' gehört die im 1. paragraphen
des IV. titeis stehende glosse lammi cod. 1, lap cod. 2, leui cod. 6,
leue cod. 7. 8. 9, lern Her. Kern erblickt (K § 42) in lammi
ein diminutiv aus hmmih (mit assimiliertem m aus h\ in lap
eine aus lamp entstellte lesart, in Um eine form mit dialek-
tischem e für a, in hui, -a eine durch contamination aus lammi
und euui hervorgegangene lesart. Das oben § la erörterte
verbietet die annähme von schon an sich nicht wahrschein-
lichem dialektischem hm. Gegen heranziehung von euui spricht
der in unseren glossen fehlende umlaut von a (in der Stamm-
silbe und in nicht betonter silbe); vgl. duüH etc. § 9, drache-
etc. § 19, chariocito etc. § 32, trasih etc. § 35, hodardi etc. § 39,
solampina etc. § 46, trachlagia etc. § 49, -lasina etc. § 55, a^
falchio etc. § 59, affälthecha § 70 und ahham § 166, anfamia
Beiträge zur geachichte der dtutschcn sprach«. XXV. 19
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290 VAN HBLTSN
§ 60, changichoMo eto. § 62, anthi- § 63 (und 152), alchaiheocus
etc. (§ 64), 'fäUhio etc. § 66 (und 63), tumicale etc. und odo-
carina § 68, -barbio § 69, andechabinus etc. § 76, chramen etc.
und malichardi etc. § 82, chamciosco etc. § 84, cftafittn etc. § 107,
chudachina etc. § 109, achaltea etc. § 113, dlacharde etc. § 115,
-naricB etc. § 125, chanzisto etc. § 126, sUüackia eta § 126,
mor^A« § 128, uuiridariü etc. § 130, ^cAoIande § 131, sabtme
heo etc. § 134, phimarina etc. § 135, ambistaüe etCw § 137,
-astasia etc. § 138, ^adto und seolantkis etc. § 139, uuidridarchi
§ 150, fhaiasciasco und %ue cftram mtYo § 151, aniesalina § 152,
mandoalfe etc. § 156, chaminis § 157, dire ottar sino etc. § 158,
frifasUna etc. § 182.
Das mit pordor etc. verbundene friocho etc. = 'nitiüiim
lactantem' (§ 27) bringt auf die Vermutung, dass andi mit
*2amp = 'agnum' in ähnlicher weise ein adjectiv verbond^i
war. Und solches lässt sich in der tat als zu an. Unr 'schwach,
weich' im ablautsverh<nis stehender i-stamm mit e aus ai
(vgl. § 4/3) zurückfinden in letii, leue, lern, die bez. mit u tBr «
(§ 3jr), -e für -i, w für ni (§ 3g) auf in der vorläge K» (vgL
§ lj3 und 188) stehendes *lmi hinweisen, vor dem *lamp aus-
gefallen war. Aus lammi aber und lap von cod. 1 und 2 ist
auf in der vorläge X< stehendes *lamp Uni (mit i für e nadi
§ 4 a) zu schliessen, woraus durch ausfall des adjectivs und d^
nasalcompendiums die eine, durch ausfall von p l und Verlesung
von m aus in (§ 3|) die andere überlieferte lesart
Die erschliessung von *leni ermöglicht die deutung von
im 1. Paragraphen des II. titeis zu ^porcellum lactantem' ge-
hörenden, neben chranalteo etc. (aus *€hranni ehalte 'in den
stall hineingehörendes ferkel', s. § 10) stehenden lescdUicoL^
redialti (di für ch, § 3i), rechalti cod. 7. 9 (in cod. 8 findet sich
als rest von für die spedelle vorläge von cod. 7. 8. 9 voranzu-
setzendem chranne chcUti rechalti nur chrinne chuUis mit fiber-
stiichenem s, vgl. § 10; das ^ steht nach § 3r für r, den an-
fangsbuchstaben von rechalti; der zweck des Striches ist mir
unklar), lerechala Her.: €(h)aUi etc. aus ehalte (§ 9); altes *lene
(mit -e des acc. sg. fem. aus -ta), woraus durch Verlesung von
r aus n (§ 3<j) in vorläge X^ stehendes lere, das durch Ver-
lesung von 5 aus r und ausfall von -e die lesart les, durch
ausfall von le das re der speciellen vorläge von cod, 7. 8. 9
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Zu DEN MALBBRG18CHBN GLOSSEN. 36—37. 291
ergab. Die (in cod. 1. 2. 8, mithin bereits in vorläge X^ durch
ansfall fehlende) glosse stand als apposition zu *chranni ehalte.
Als entsprechung von ^annicolnm uel (aut) bimum berbicem'
hat der 2. paragraph des lY. titeis in cod. 1 die glosse lamilam
28, 2, in cod. 2 lampse 29, 2 (in den anderen hss., d. h. in cod. 6.
7. 8. 9 und der Heroldina, fehlt eine correspondierende lesart;
wegen der daselbst zu dem paragraphen stehenden inzymis etc.
s. § 16). Kern vergleicht (E § 43) das -se von lampse mit dem
an. diminntivsoffix -si in unghryssi und glaubt, die glosse stehe
hier, wie in 29, 3 (s. § 37), an unrichtiger stelle. Einfacher
wäre es, die aberlieferte lesart auf ein compositum "^lampfech
bez. -/ecÄo zurückzuführen (wegen s für /" s. § 3x, wegen -fech
oder 'fecho vgl. § 37) und an die gotischem lamb zukommende
bedeutung ngoßatov zu denken. Nach solchem ^lampfecMp)
aber ist mit rücksicht auf den engeren Zusammenhang der in
cod. 1 und 2 überlieferten glossen in lamilam eine entstellung
ans ^^lampfecMp) zu erblicken: durch ausfall von pfech(o) ent-
standenes km, dem die in cod. 1 voranstehende glosseiüesart
lammi (vgl. oben) als lami (wegen m für mm vgl. § 4g) vor-
geffigt wurde (vgl. § 2 g). Die vorläge X< enthielt also der
Überlieferung gemäss zwei glossen, von denen die eine sich
auf das tier, die andere sich auf den diebstahl oder die dieb-
stahlsstrafe (§ 16) bezog, die eine aber nicht in X^, die andere
nicht in X^ aufgenommen wurde.
% 87. Der 3. paragraph des IV. titeis behandelt den fall,
dass jemand *tres aut amplius uerueces furauerit'; einem
(übrigens nicht in allen hss. begegnenden) zusatz zufolge soll
der ^numerus usque ad quadraginta ueruices obseruare' (d. h.
obsemari). Die dazu gehörende glosse ist überliefert in cod. 6
als faissethy in cod. 7. 8. 9 als fetus cJ^eto, fretus chaeto, retus
cetho, bei Her. als feisfecho et fetischefo (welch letzteres offenbar
durch Umstellung entstellte dittograpUe ist von voranstehen-
dem feisfecho zu gründe liegendem *fetisfecho).
In dem zweiten teil der lesarten erkennt man sofort mit
Kern (K§44) *fech bez. fecho, d.h. fech und lat. -o (§5a;
wegen der Schreibung ch vgl. § 6/3; dass für das saUrk. eine
mit ags. feoh zu vergleichende apokopierte form anzusetzen,
ist aus § 38 zu ersehen): seth mit « für /* (§ 3x) und ^ für c
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292 VAN HELTEK
(§ 3(f); eto, aeto (ae lat. schreibang für e^)), etho (cäho
von cod. 9 ist den lesarten von 7. 8 zufolge aus cheto ver-
schrieben) durch ausfall von f und Verlesung von t vais e tir
ch (§ 3rf. 6ß).
Für den ersten teil der lesarten ist folgendes zu beachten:
zu tu8 von cod. 7. 8. 9 steht Herolds ^ mit t für u (nach § 2ß)
und ais von cod. 6 mit ai als Verlesung aus tu (§ 3^); ans fe^
fre, re von cod. 7. 8. 9 ergibt sich für die specielle vorläge
dieser hss. älteres fre; das f von faisseth und das fe von feis-
fecho und fetischefo kann auf fre oder fer zurückgehen; nach
tu8 stand in der speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9 (A, das in
7. 8 erhalten blieb, in 9 zu c wurde (s. oben); in vorläge X*
(vgl. § 1/9 und 188) war der Überlieferung von cod. 6 und der
Heroldina zufolge das ch ausgefallen {fetischefo ist jfing^^n
datums, s. oben). So gewonnenes ^fretusch bez. "^fertusch iSsst
sich nicht für die reconstruction eines dem ahd. fioraug ent-
sprechenden Zahlwortes (E § 44) verwenden (man möchte
ausserdem für diese zahl nach § 186 eine aus *ß(her gebildete
form gewärtigen, vgl. auch § 13); hingegen bringt es ausdrück-
lich ahd. firaascän rapere in erinnerung, dessen salfrk. r^ex
(mit fer-) als correspondent von 'furauerit' des textes ^ferUtsdUf
zu lauten hatte (wegen des opt praes. vgL § 8; wegen seh
beachte § 7 a); aus *fertascho aber konnten durch Verlesung
von 14 aus a und ausfall von -o in vorläge X^ stehendes ^fer-
tusch oder event, auch durch Versetzung von r *fretusdi her-
vorgehen.
In cod. 1 fehlt die glosse; in cod. 2 findet sich aus dem
voranstehenden Paragraphen (vgl. §36 am schluss) entnommenes
lampse 29,3.
Zu 'si quis xl (bez. l) ueruices aut amplius forauerit'
stehen in cod. 1. 6 und der Heroldina sunnista 28, 4, sonista
') Und zwar filr knnses mid langes. Vgl. im text nnserer Lex s. b.
damarios 67,1, sübbataerä 4,3b, iraea 24,4yar., foecä 68,2b, laetus, -«m
137, 1. 208, 5, mediaetaU 213, LVin, oequas 221, 5, cdocare 167, 1, dtrannae
5, Ib, irustae 388, 2c, iüae 266, 2, idüMm 96, 8, palic(B 104, 10; und beachte
noch in den glossen afrce (§ 38), leodardae (§ 39), uuäle uanae (§ 43X oto*
chra et hn (§ 64), äbiltcoB (§ 75), chaeroeno (§ 80), siuaerohen (§ 92), cmtaeno
(§ 103), aictae (§ 107), daudinarias (§125), chamhestalia (§ 137), haee dta
la 8in%M (§ 141), i(h)eorgiae bez. -ce (§ 160).
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zu DEN MALBEBGI8GHEN GLOSSEN. 37—38. 293
82,4, sonischalt 34,4 (s. § 25 und 9), in cod. 2 feto 29,5, in
cod. 7. 9 f§to (mit lat. § = ce f&v e^)\ feto 33, 4, in cod. 8 freto
33, 4 (mit fr fär f nach dem mnster von in diesem codex voran-
stehender glosse fretus chaeto, vgl § 2f). Hieraus ist auf altes
*/ecÄo sonista 'herde von kleinvieh' mit fecho im gen. sg. und
auf schon in der vorläge X^ vorhandene entstellung feto (wegen
t fvT c und c f&r ch vgl. § 36 und 6ß) zu schliessen.
§ 38. In den glossen von cod. 1. 2 lauxnmda 28, 1 (mit x
für durch Versetzung entstandenes sc und durch ausfall von i),
2at<^mafo 29, 1 (ausfall von d und Schreibung von ^ für d nach
%Sx) = Hres capras' und musdsimada 28,2 (fflr -scitnada,
§ 2/), roscimaäa 29, 2 = 'super tres (capras)' hat Kern (K § 45)
ein zu an. "^skimuör caper gehprendes nomen mit -a als plural-
suffix erkannt (Grimms 'allii sodalis', M xxir, kann unbeachtet
bleiben). Ffir lau vermutet er entstehung aus fem parum;
doch lässt sich eine (übrigens in graphischer hinsieht eben
nicht wahrscheinliche) Verlesung von Z aus /* nicht aus unserer
glossenüberlieferung belegen. Lieber möchte man angesichts
des Hres' des textes und mit rucksicht auf die anderswo in
der glossenüberlieferung zu beobachtende Verlesung von l aus %
und a aus u (§ 3^ und a) in la entstellung aus dem römischen
Zahlzeichen fjlr 'drei' erblicken und das u als dittographische
Schreibung (§ 2/) von nach § 6a zu beurteilendem i- vor sc
gelten lassen (dieses lau sowie das m statt im bereits in vor-
läge X^, vgl. %\ß und 188). Für mu und ro nimmt Kern Ver-
derbnis aus thrio oder thriu an, was graphisch denkbar wäre:
m für ^/^ (§ 3o), ausfaU von ri bez. von th und i (wegen o für
u und umgekehrt vgl. § 4 a). Rätselhaft wäre hier jedoch eine
dem gen. oder dem acc. fem. bez. dem acc. ntr. zukommende
form des Zahlwortes neben dem acc. pl. masc. sciniada. Be-
friedigender dürfte darum etwa die annähme sein von *mero,
d.h. mer + lat. o (§ 5a), woraus durch ausfall einerseits mu
für *mo, andrerseits ro, und altem *scimado gen. pl., woraus
scimada durch einwirkung voranstehender glosse *sümada
(vgl. § 2g).
In cod. 6. 7. 8. 9 und bei Her. fehlt lauxmada, lausmata
0 Wie in leodardf (§ 39), sambach^o (§ 134). Vgl. noch im text n. a.
prfUiim 169, 1, rachenöurgif 365, 3 var., ingenu^ 111, Ib, terr^ 375, 2 var.,
chrmm^ 5, 2b yar.
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294 VAN HSLTEN
oder ähnliches: es findet sich statt dessen afr(B sine läphebrus
mala uel pecti in cod. 6, afres sine laphebros nel pecUs bei Her.
als Variante, lamp bei Her. in der textaosgabe, haper in cod. 7
und aper in cod. 8. 9. Ffir afriB etc. und den zweiten teil von
laphebros, -os wird von Grimm nnd Eem (M xxii. E § 46) ags.
hasfr, an. hafr herangezogen (wegen des schwnnds von h s.
§ 6/, wegen f, h undj) § 6d und 3;i); das mit lamp componierte
nomen vergleicht Eem treffend mit as. hösuin 'saa' und fasst
es als 'junge geiss'. Erläuterung erfordern noch die endungen
des Überlieferten materials und das e von läphd^rus, -as. Als
von dem glossator herrührender prototypns ist ein acc. pL
hafra oder mit anorganischem e vor r (vgl. § 8 am schloss)
*hafera (vgl scimadd) zu postulieren; aus letzterer form konnte
durch ausfall von h und -a schon in der vorläge X' stehendes
*afer hervorgehen, das einerseits zu {h)aper wurde (das h von
haper cod. 7 ist mit räcksicht auf das in cod. 6. 8. 9 nnd bei
Her. fehlende, mithin bereits in X' nicht mehr vorhandene h
zu beurteilen nach § 4(5), andrerseits durch Versetzung *afre
von X^ ergab, welch letzteres mit lat. <b tnr e (vgL anm. 1 acn
§ 37) und als afre + aus folgendem 'sine' entnommenen s (vgL
§ 2 ff) überliefert ist. Nach *hafera ist "^läphafera 'junge zi^en'
als prototypus anzusetzen; daraus durch frühzeitige entstellung,
nämlich assimilierende Schreibung von e für a (§ 2£), ausfoJl
von e, substituierung von b f&c f und Verlesung von u aus a
(§ 3 a), *laphebru, das sich mit vom folgenden element der glosse
*smala (s. unten) hierhin verirrtem s als läpheiMrus in cod. 6
widerfindet; laphebros der Variante bei Her., nach welchem
mala ausgefallen ist, hat -os für -us (nach § 4 a); in Henüds
tezths. hat sich von der ganzen glosse nur noch lamp gerettet
Für pecti{s) mit Eem (E § 46) geeti oder geiii zu lesai,
verbietet das sonstige fehlen von p als Verlesung aus g. Wenn
die ähnlichkeit zwischen den halbuncialen zeichen für fmnip
(vgl. in Arndts Schrifttafeln taf. 5 a) gelegentlich sogar die
entstellung von lat. fetus zu pecus hervorrief (s. Hessds' tezt
s. 408 sp. 1. 2. 4, paragr. 4. 5 und s. 409, sp. 1. 2. 4, paragr. 10),
ist solche Verlesung im salfrk. wort desto begreiflicher. Eine
Verlesung aber von cti aus ch^) weisen auf: iheociidia aus
0 Die Terlesnng wird Terständlich bei berttcksichtiguiig von gelegent-
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Zu BEN MALBEBGISCHEN GLOSSEN. 38. 295
*theosc\iiata (§ 90), antoctimetho neben anthofnito mit th für
eh (§ 143); vgl. noch -/fectu für *-/ecU (§ 81) und cä für c«
aufweisendes &rt(<;%6 (§ 83). So hätte man die berechtigung,
in pecH und j)6c^ (mit angehängtem -s nach dem muster des
für lat. pluralendung angesehenen -os von läphebros) altes
*/ecÄ (= ags. feoh) zu begrfissen (vgl. auch § 37), das mit
voranstehendem, in unserer Überlieferung (cod. 6) mit laphebru
verbundenem s und mala sofort an ahd. smälejs feho pecus (s.
Graft 3, 429) und, was die composition betrifft, an ahd. smalo'
firhi, smalauirihi vulgus (Graff 3, 683) erinnert; für smala und
'uel' ist demnach Umstellung anzunehmen.
Aus dem erörterten ergibt sich, dass ursprünglich *tres
capras' glossiert war durch *iii scimada, hafera siue lampha-
fera, smdlafech. Hiervon ist der erste teil durch vermittelung
von vorläge X* in cod. 1 und 2 überliefert. Der andere fand
sich der Überlieferung von cod. 6 und der zweiten Heroldschen
hs. zufolge in vorläge X^ vor als "^afre siue laphebrus mala
jyecti] von dem nämlichen für die vorläge X^, jedoch was wenig-
stens das erste wort betrifft in nicht so verderbter gestalt
vorauszusetzenden zweiten teil hat sich in der speciellen vor-
läge von cod. 7. 8. 9 nur ein fragment als aper gerettet
Auch das muscisimada, roscimada = * super tres (capras)'
von ms. 1. 2 (s. oben) fehlt in den anderen Codices, die chene
crudo 6, chanchurda 7. 9, chanchus 8 (mutilierte lesart mit s
fflr ^* vgl § 3r), chrenecruda Her. aufweisen. Die gleichung
chrene- = ags. hrdn und -crudo = ags. crod (K § 48) empfiehlt
sich nicht wegen der bedeutung der ags. Wörter: 'remitier'
l>ez. 'gedränge'. Man denkt unwillkürlich an Willirams geijs-
cortar grex caprarum. Aus dem ^ zeichen bez. aus ti oder it
entstand gelegentlich, indem der horizontalstrich dieses Zeichens
fflr das nasalcompendium angesehen wurde, in bez. ü oder un:
ihertesun + 'in' 7, 5 (aus dem Zusammenhang des textes und
aus den anderen hss. ergibt sich 'in' als unrichtige lesart)
aus Hhertega oder "^therteca 'sunt' (vgl. noch § 13 und 2^), *sanin
oder *sunm aus *sunt (§ 87), unwm aus *ti(A)an (§ 11), uero
manXL aus *u€roiwn\i (§ 92); beachte auch das umgekehrte in
lieber, atiB xincialem m für di (§ So) zn folgernder schreibnng des h von ch
mit kurzem, nach lüüos hinüber liegendem oberscbaft
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296 VAN HELTEN
tua auß *lua (§ 74) und imi aus *Im (§ 186). So konnte aach
^chet- (wegen ch als Schreibung für g und e aus o» vor mnU
s. § 6i}. 4/3) zu in vorläge X^ stehendem *chein' werden, woraus
sich einerseits in vorläge X^ ckene- (-e- nach § 4a für -i- von
aus *chein' verlesenem chent-), das chene- von cod. 6 und chrener
der Heroldina ergab (r eingeschaltet durch einwirkung von
'CfVrda nach § 26)^ andrerseits in der näheren vorläge von cod.
7. 8. 9 dum- durch Verlesung von a aus ei (vgL w^en der in
der ags. halbuncialschrift zu beobachtenden ähnlichkeit von e
und c sowie von a und ci § 36 und 28 und beachte nodi ei
für a in geisofredo § 75). Für den zweiten teil des composi-
tums ist durch Schreibung von u für o (§ 4 a) und aus&ll von
r entstandenes, in X^ stehendes *-curda anzusetzen, das durch
Schreibung von cä für c (§ 7 a) die für die nähere vorläge von
cod. 7. 8. 9 vorauszusetzende lesart ergab und der überliefeiung
von cod. 6 und der Heroldina gemäss in X^ durch Versetzung
von r zu 'Cruda wurde, woraus -crudo von cod. 6 mit -o als
nach dem muster des häufigeren lat -o für -a eingesetzter
endung (vgl. § 51 zu teoducco, § 121 zu aruuemon).
Aus dem ausgeführten folgt also, dass 'super tres (ca-
pras)' ursprünglich durch "^mer sdmado, dietcordar glossiert
war und der erste teil der doppelglosse sich in vorläge X^,
der andere sich in vorläge X* erhalten hat.
§ 89. Die zuerst in VI, widerholt in den folgenden titeln
erscheinende glosse leodardi, leudardi steht zu Paragraphen, in
denen die rede ist von Schädigung eines menschen an leib (durch
Verwundung) oder ehre (durch beschimpfung oder unzüchtige
berührung, vgl. § 82) oder gut (durch beschädigung von dessen
feldgewächs oder hag, durch diebstahl, durch unberechtigtes
bereiten seines pferdes); s. wegen der belege HesseLs' index
und vgl. noch unten § 48 und 87. Kern identificiert (E § 49)
das wort mit aofries. liödwerdene, awfries. Uüd-, lioedwerdene,
das für 'die wegen mishandlung einer person zu zahlende
compositio' oder auch für 'eine geldstrafe bestimmter höhe'
galt (s. wegen der belege v. Richthofens wb., wo aber die
zweite bedeutung nicht hervorgehoben ist), ursprünglich aber
'Schädigung, Verletzung einer person' bedeutet haben mnss;
vgl. afries. werdene 'Verletzung' (aus *M?ardlm, Aofries. gr. § 176)
und beachte wegen der bedeutungsentwickelung texaga etc.
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zu DEN MALBEROISGHEN GLOSSEN. 38—89. 297
(§ 20) und feiUm etc. (§ 182*) sowie aofries. dad(d)el 'totschlag'
nnd ^strafe fär veräbten totschlagt, dede ^mishandlong' and
'strafe wegen mishandlung', lemethe 'Verletzung' und 'strafe
wegen einem beigebrachter Verletzung' (s. Beitr. 14, 235), mlat.
homdäium auch = 'mulcta pecuniaria propter homiddium'
(s. Ducange i. v.) und die von Brunner, Deutsche rechtsgesch.
2, 621 wegen der n&mlichen semasiologischen eigentümlichkeit
hervorgehobenen ags. burhbryce, niundbryce, an. landndm, dfang,
handsaktsUt Afiiesischem werdene entspricht formell salfrk.
*wardi (vgl. § 36 und wegen der endung -I aus -in § 5 a), das
als schwach betontes compositionsglied einer bekannten gemt
erscheinung gemäss sein w einbfissen konnte (vgl. auch E § 49
und beachte noch unten § 52). Als bedeutung des compositums
hat auch für die glosse wol 'strafe wegen Schädigung u.s.w.'
zu gelten; vgl. die als glosse verwanten termini ffir busse
*imnissith (§ 12), leudi (§ 87), *uu€rdardi (§ 89), *scolaifaria
(§ 138), *anthisaUn (§ 152) und beachte auch § 20 sowie 16.
44. 51. 52. 55. 57. 59 (?). 60. 62. 63. 65. 66. 68. 69. 71. 74. 76.
77. 78. 80. 90. 92. 102. 103. 109. 110. 111. 113. 114. 124. 135.
136. 140. 142. 157. 161. 166. 182. 183, wo eine glosse zur
Sprache kommt, die formell sowol acc. als nom. sg. sein könnte,
3odass es sich schwerlich entscheiden lässt, ob der glossator
das wort als den 'frevel', d. h. das thema des Paragraphen, be-
zeichnenden nominativ niederschrieb (= 'si quis...') oder aber
als strafbezeicfanung, die als prädicat zu von 'culp. iud.' (d.h.
'culpabilis iudicetur') abhängigen 'den.' (d. h. 'denarios') . . . '
gehörte (so und so viel den. hat er bei Verurteilung als strafe
wegen des erwähnten freveis zu zahlen).
Für den ersten teil des compositums ist as. liud- in liud-
folc, liudskepi, liudsTcathon u.s.w. heranzuziehen. Aus den
überlieferten lesarten Imd-, leod- (kein Und- oder liod-l) ergibt
sich für die spräche unserer glossen ein diphthong eu (noch
nicht iul vgl. auch § 87 zu kudi etc., § 88 zu leodinia etc.).
Wegen des eo von leodardi s. § 4a; wegen leodarde, -§ -ae (s.
Hesseis' index) sind §4a und die anmerkungen zu §37 zu
vergleichen; das -o von leo-, leudardo (s. index) bildet ein
gegenstück zum -o für -a in -crudo u.s.w. (s. § 38): die dem
Schreiber durchaus geläufige endung wurde für ein seltneres
'i eingesetzt (vgl. auch § 17 zu zymisengano, § 89 zu autchardo
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298 YAJSf HSLTBN
etc.). Wegen ko dasdi und leosdasdi vgl. § 3r und 2d. Wegen
der für leodardi etc. in den glossen yerwanten sigeln leaä, leud,
leoöo 8. Hesseis' index.
§ 40. Zu 'canem se(g)usium magistrum' steht im 1. pan-
graphen des VI. titeis nach cod. 6 traüohen hunni 32^ Ib, nach
cod. 7 fhuuuichufis cumutu neahana 33,1b, nach 8 fiumuieus
htts corntUu nechanna 33, Ib, nach 9 phuuuiAuus camuüSL ne-
chana 33,1b, nach der Variante bei Her. trod uuUkier cunm
34,1b.
Im ersten teil von ßuuuichuus etc. erkenne ich ein zu
an. fimr 'geschickt, behend', finüigr 'geschickt' gehörendes^
dem 'magistrum' (= 'gelernten, abgerichteten') entsprech^i-
des, im acc. sg. masc. stehendes adjectiv *fimu^n (d.h. -tchtm;
wegen der Schreibung cA fttr ^ vgl. § 6i9): das fh von cod. 7
und das fl (mit l fär h nach § 2ß) von cod. 8 weisen aof in
der speciellen vorläge von cod. 7. 8, 9 stehende compromiss-
schreibnng (aus f und jpÄ) hin (vgl auch fhrio § 67); ph von
cod. 9 repräsentiert eine correctur dieses fh; uuu kann durch
dittographie aus für im eingetretenem uu entstanden sein (§ 2/.
Sx). Im zweiten teil -uus möchte man den rest eines im
gen. sg. ntr. stehenden, von *fimichan abhängenden, mit ags.
hunta 'Jäger' verwanten, durch suffix -na (nach art von ahd.
feQihan, got. liugn) gebildeten abstractums erblicken, also von
^akunnes oder -as (vgl. § 119) venationis {nn ans h + dent.
+ n; wegen der Schreibung cA & § 6/3). Die ursprOngUde
lesart ^fimichan chunnes oder -as wurde, indem sich das äuge
des copisten vom ersten ch nach dem zweiten verirrte, zunächst
zu *fimichunnes oder -as] aus *chunnes oder -as entwickelte
sich dann durch ausfall von ne oder na und verweehsliing
von » mit t* (§ 3^) in der speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9
vorhandenes d^uas, das durch buchstabenversetzung und dn-
Schaltung von ^ (§ 2d) das eu^ hus von cod. 8 ergab.
Fttr iroitohen und trod uuithier setzt Kern (E § 52) aus
thraeh compes, pedica (= ahd. drüh) und *uui(hffia ^band'
(= ags. unö^e, aofries. tcUthe, mnl. tcisse mit ss aus pp) durch
suffix 'ia gebildetes bahuvrihi- adjectiv an. Dass wir es hi^
mit einem aus *uuiththa gebildetem wort zu tun haben, unter-
liegt keinem zweifei: man beachte das uuUh von trod umiUer,
das ü h von troitohen sowie das nut (n für u nach § 3jr) von
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Zu DEN MALBBBOISCHEN GLOBSEN. 89—40. 299
comutu etc. und das uuid in trouuidouuano tuene chunne, einer
glosse, die bei Herold im folgenden Paragraphen 34,2 c steht,
der dringend der entlehnung seiner glosse aus yoranstehendem
Paragraphen verdächtig ist (vgl unten). Weniger plausibel
erscheint hingegen die berufung von *thradi: die herkunft des
glossenwortes aus *uuiththa lässt darauf schliessen, dass der
glossator einen am seil geführten, die spur des wildes auf-
suchenden hund gemeint hat = leitihunt der Lex Bajuv. 1, 20, 1,
mhd. leiOiunt, mnd. Iddehunt, mnl. leit(s)JMnt] die möglichkeit
eines ^ihmch = 'pedica' enthaltenden ausdruckes ist hier
demnach ausgeschlossen. Eher wäre an ein zu mnd. mnl.
mittelostnfrk. trecken 'ziehen' (s. für den letztgenannten dia-
lekt Teuthonista Lv.) gehörendes verbale *troc zu denken.
Was femer die endung des wortes betrifft, die bei der an-
nähme einer ia-bildung als -en oder -ian f ttr den acc. sg. masc.
zu postulieren ist (vgl. § 9 zu salfrk. -e und -ta), so sei folgendes
bemerkt. Aus -o en von cod. 6, -ier von Herolds zweiter hs.
und -uene von bei Her. zum zweiten paragraphen überliefertem
tuene ist auf in vorläge X^ (vgl. § 1^ und 188) stehendes *'Uen
zu schliessen (-o en mt o t&v u nach § 4a, -ier mit • für u
nach § 2ß und r für n nach § 3o, -uene mit e»6 für en nach
§ 2<r), das, für X^ vorausgesetzt, die entstehung von für die
spedelle vorläge von cod. 7. 8. 9 anzusetzendem -u ne begreife
lieh macht Solches "^^-uen aber könnte durch frühzeitige ent-
Stellung, durch Verlesung von u aus a (§ 3 a) und Versetzung
von für i geschriebenem e, statt altes "^-ian stehen. Also urspr.
*trocuuiihian {{k als Schreibung für geminiertes P) 'einen zug-
riemen, ein leitseil tragenden', woraus in vorläge X^ stehendes
*tro€uuithuen; daraus troitohen durch ausfall von cwu, Ver-
setzung von h u. s. w., troci uuithier durch einschaltung von •
entweder als lat compositionsfuge (§ 5ß) oder durch ditto-
graphie (§ 2/) u.s.w., cornutu ne (etmtutu von cod. 7 mit u
für 0 nach § 4 a) durch ausfall von t, Umstellung von r und c,
ausfall von i, Schreibung von t f&r th (§ 6ß) u.s.w.
Der oben erwähnte zweite paragraph der Heroldina, der
mit ausnähme der Emendata in allen anderen hss. fehlte reprä-
sentiert offenbar eine jüngere recension des ersten. Man ver-
gleiche Paragraph 1: 'si quis canem segusium magistro suo
(letzteres durch misverständnis eingefügt; die anderen hss*
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300 TAN HBLTBN
haben 'magistnim' oder 'magistro' als apposition za ^canem',
vgl. oben und s. auch E § 50) furauerit — dc den. qni f aciant
sol. XV culp. iud.', und paragr. 2: 'si quis s^^iom magistnim
canem furauerit ... mdccc den. qni fac. sol. xlv culp. lad.'
Demnach muss die in* diesem zweiten paragr. fiberlieferte
glosse auf entlehnung ans dem ersten beruhen (vgL § 71 zu
aUhifathio). Sie begreift sich in ihrer entstellten gestalt als
das ergebnis folgender Vorgänge: die glosse wurde zunächst
zum neuen Paragraphen mit dittogi*aphie eines teils derselben
(vgl. § 2y\ etwa als Hrocuuifhuen fhuen chunni eingetragen;
dann wurde in der folge c ausgelassen, d verschrieben fBr tk
(§ 2ß), -ouano (woraus später -ounano) durch contamini^ende
einwirkung (vgl. § 2 g) von Seiten des zum nächstfolgenden
Paragraphen stehenden chuft{n)auano (wegen hier in der flerol-
dina in unursprfinglicher reihenf olge überlieferter Paragraphen
s. § 41 zu (keophano) substituiert für -uen, das zweite ihuen
entstellt zu tuene {t für th nach § ßß; wegen ene für et» s. oben).
In cfmnne des zweiten paragr. und hunni, chan(n)a, amut
kann schwerlich altes chunn aus hund stecken: auch wenn man
sich etwa über das auffallende nn hinwegsetzen möchte (man
beachte indessen sundeUno etc. § 45, andechabina etc. § 76,
babmundo § 94, anderebus etc. § 118, horto pondo etc. § 98,
mandualem etc. § 155, granderba § 168, thHs{cK)wnde § 186
mit d in haupt- oder nebentoniger silbe gc^nüber *inm aus
schwachtonigem Hndiy vgL § 186 zu fiimCy fUtni), mfisste das
4 bez. -e und -a bedenken erregen: eine dativ- oder locativ-
form wäre hier gar wenig am platz und an lat 4 oder -a ist
ebensowenig zu denken. Anknüpfung an das obra erkannte
*chun(n) 'jagd' macht uns aber das wort im nu verständlich:
*€hunni als hierzu gehörendes ta-derivatum = 'Jäger' bez.
'Jagdhund'. Wegen des h und c von hunni, cunni vgL § Qy
und ß] wegen des -e von diunne s. § 4a; wegen cAait(n)a mit
a für tt und mit -a für 4 oder -e beachte § 3a und 2a; vregea
des n von chana s. § 4^.
In cod. 1. 2. 3 und der Heroldina steht im betreffenden
Paragraphen die glosse leudardi, leodardi 28, Ib. 29, Ib. 30, Ib,
leo dasdi 34, Ib (vgl. § 39); in den drei ersteren hss., indem
von den in vorläge X^ stehenden glossen, von denen sich die
eine auf die composition, die andere auf das gestohlene tier
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zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 40—41. 301
bezog, nur erstere in vorläge X^ äbergieng; in der Heroldina
in folge des nämlichen Vorganges. Vorlage X* und X* ent-
hielten dem ho dasdi der Heroldina zufolge noch beide
glossen; in X^ war der auf *fmichan chunnes oder -as des
glossators zurfickgehende erste teil der bezeichnung des tieres
geschwunden.
Dass in tohen hunni,tu n€chan{n)a etc., wie Grimm (M zxni)
annahm, eine bezeichnung der zahl bidccg, nämlich tue neune-
chunne (L tue neunchunna nach § 186) stecke, durfte nach dem
ausgeführten nicht fttr wahrscheinlich gelten, üebrigens wiirde
solche Zahlbezeichnung nur für den zweiten Paragraphen der
Heroldina passen, wo eine strafe dieses betrages erwähnt wird
(s. oben), nicht aber für die filtere recension von cod. 6. 7. 8. 9,
wo eine busse von *dc den.' angedroht wird. Kern vermutet
(E § 51) in bezug auf die Verschiedenheit der in den beiden
Paragraphen der Heroldina verzeichneten busstaxen, dass ein
revisor des textes das tuene chunne der glosse für tue neun
chunna angesehen und demzufolge 'dg' und 'xv' in 'mdgcg'
und 'xLv' geändert hätte. Die möglichkeit eines solchen Ver-
fahrens wäre nach dem oben § la erörterten zu bezweifeln;
eher könnte man dazu neigen, die zahl 'xlv' als durch schreib-
versehen füi* 'xv' eingetretene lesart zu fassen, die ihrerseits
änderung von *dg' veranlasst hätte.
§ 41. In den folgenden Paragraphen des VI. titeis stehen
die glossen:
hunuane 32, 2b (cod. 6), ehuno uano (cod. 7. 9), chunabana
(cod. 8) 33, 2b, chunnauano 34, 4b (Her.) zu '(canem) acutarium'
Cagutario'etc.)'»);
rephuo uano 32, 2 b (cod. 6), theophano 34, 3 b (Her. texths.),
rq^popJhano 34, 3b (Her. var.) zu *canem qui ligamen nouerit';
theofoano 32,4b (cod. 6), theoprano Si^b (Her. texths.) zu
'pastoralem canem'.
Kerns deutung von hunuane, chuno uano etc. als chuiu
ouano d.h. 'wie oben' (K § 53) dürfte ansprechend erscheinen,
^) Wol als zn acutus 'fein spürend' gehörendes deriyatum = *spür-
hnnd'. Der nmstand, dass dieser paragraph den 'acntarinm' etc. erwähnt,
während der vorangehende von einem am seile geführten spttrhnnd handelt
(s. § 40), führt ZOT annähme, dass im zweiten paragr. ein nicht am seile
geführtes tier gemeint ist.
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302 VAN SELTEN
wenn sich dieser annähme nicht die anderen glossen wider-
setzten. Besser kommt man m. e. durch, wenn man mit Orimm,
(M xxiii) für das -{uyuano sämmtlicher glossen an an. vamr
assuetns anknüpft nnd dem fiberlieferten material im schwachen
acc sg. masc stehende, substantivisch yerwante adjectirische
composita *chunuuanun (mit *chun 'jagd', s. § 40) 'auf die jagd
abgerichteten' ('acutarium'), *r€puuanun funi assnetnm ('qui
ligamen nouerit'; vgl. das von Grimm hervorgehobene an.
guübiüi vanr capistro assuetus und beachte w^^n e = e ans
ai § 4tß)j *theofuuanun 'auf den schütz gegen diebe (menschen
oder raubtiere) abgerichteten' ('pastoralem') zu gründe 1^:
-0 fflr *'un (*'ü) durch Substitution lateinischer endnng, wie
auch sonst in den auf einen prototypus mit -un fflr den schwach»
acc. oder gen. bez. dat. sg. masc. (vgL § 67. 70) zurückgehen-
den glossenlesarten cherecheto etc. (§ 32), uueiano (§ 43), sumdo
(§ 46), frio (§ 134), annouuado etc. (§ 88), ihaphano etc. (§ 106X
treuuidio etc. (§ 120), uuadredo etc. (§ 127), uieridario etc. (§ 130^
uuasbugo etc. (§ 134), -banc heo (§ 134), ^sitelo etc. (? § 142X
sMcto etc. (? § 183)0 und frio etc. (§ 57. 67), hacto etc. (§ 70);
vgl. auch noBco (§ 100) mit -o für ^-un oder *-u (= -Um des
schwachen gen. sg. fem.), anoano etc. (§ 88) mit -o für -un
oder "U des dat pL und uerouhano (§ 92) mit -o für durch
Verlesung entstandenes -ü.
Auf grund der Überlieferung für vorläge X' (vgL %lß
und 188) vorauszusetzendes chunouano (o für « nach § 4a bei
trennung der glosse in chunu und uano) ergab: hunuane durch
ausfall von e (§ 67) und 0 und verschreibung von -e für -0;
chuno uano] chuntÄana mit a der paenultima und der ultima
fflr 0 (nach § 2e) und lat & für « (wie in cheobarbio etc. § 69,
'Chabina § 110, lacläbina § 114; vgl. sacribOy -us 11, 11, manibit,
-ehit 1, 2. 2, 2. 361, alin. 2 für fnaniuü, fno€c(h)aberit 132, 10 var.
für moec(h)aueritj uertebolum 160, 14, exsolbat 83, 2. 92, 3 u.s. w.);
chunnouano mit nn für n (§ 4g).
Für die vorläge X^ ist *repouano (mit 0 für 1«) anzu-
nehmen, woraus: rephuo uano durch Schreibung von ph fBor p
>) Also altes *-un, wie im alem. und bair., nicht dareh einwiikimg
des nominativs entstandenes -an, wie im oberfirftak. und as.: für *'Om des
glossators erscheint in der überlief erang -ono, -ofi» (§57).
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Zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 41—42. 303
(§7j}) imd einschaltong von u (nach §26)\ reppophano mit
doppelgeschriebenem p (§ 4 g) und durch anlass von zum fol-
genden Paragraphen stehendem "^{heophano für -uano ein-
getretenem 'phano (§ 2 g); theaphano in folge von durch folgen-
des "^theophano (woraus überliefertes *theoprano, s. unten) ver-
anlasster Umgestaltung der älteren lesart (man beachte, dass
die bei Herold überlieferte reihenfolge der paragraphen nicht
die ursprüngliche ist: die yergleichung der anderen hss. lehrt,
dass paragr. 3 und 4 bei Her. ihren platz gewechselt haben,
also die ursprüngliche reihenfolge der randglossen war chunoano
zu paragr. 3, *repouano zu paragr. 4, *theophano zu paragr. 5).
Aus für die vorläge X^ anzusetzendem theofoano (mit o
für u) entstand durch Schreibung von ph für f (§7ß) und
ausfall von o ^iheophano, das durch ausfall von h und Ver-
lesung von r ans A (mit kurzem oberschaft geschriebenes h
konnte mit dem angelsachsischem r-zeichen verwechselt werden,
vgl. Arndts Schrifttaf. 9 a) in der Heroldina überliefertes theo-
prano ergab; auch für die zweite Heroldsche hs. (mithin auch
für die nähere vorläge der beiden Heroldschen codd.) ist wegien
der voranstehenden glossenlesart rqppophano (s. oben) *{heO'
phano anzusetzen.
Auf gi^nnd von zu 'si quis pastoralem canem furauerit
aut occiderit' in cod. 2 und 7. 8. 9 und als var. bei Her. über-
lieferten leodardi 29, 3b. 33, 3b. 34, 5 var., leudardo 33, 3b var.
und von in der Heroldina stehendem leosdasdi sine theoprano
34, 5 ist für die vorläge X^ das Vorhandensein zweier glossen
anzunehmen (wegen leodardi etc. vgl. § 39). Aus vorläge X^
giengen die beiden über in vorläge X^ und hieraus in vorläge
X^; in der speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9 oder schon in
einer älteren vorläge (X^?) fiel die sich auf das tier beziehende
ans; dasselbe geschah in der zweiten Heroldschen hs. und in
cod. 2 oder dessen vorläge X^; umgekehrt schwand leodardi
oder ähnliches in cod. 6. Wegen des unrichtig verwanten dis-
junctivs der Heroldina vgl. § 13. 24. 27. 43. 49.* 54. 70. 85. 131.
§ 42. Die drei ersteren paragraphen des YIL ütels han-
deln vom diebstahl eines falken; 'si quis acceptrem (accepitrem,
acceptorem etc.) furauerit' entweder *de arbore' oder 'de per-
tica' oder 'deintro claue(m) repositum'. Die hierzu gehörenden
glossen erscheinen in cod. 6 als orfloda 32,1c, ortfoda 32, 2 d.
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304 VAN HELTEN
41, 3, in cod. 7. 8. 9 als hocticla 33, Ic, art{h)o fugia 42, 3 (im
2. paragr. fehlt hier die gl), bei Her. als ortfada 34,1c. 2d.
43,3 und bei Her. als var. urthefoda 34, 2 d. Hierron nicht
zu trennen ist in einem der folgenden Paragraphen desselben
titeis stehendes, zu 'gmgem ant ciceno domesticos' gehörendes
oHfoelc^ ,41, 7 (cod. 6), artifuda 42, 7 (cod. 7. 9), horH fuda 42, 7
(cod. %i wegen d für c2 s. § 3^), orifocla 43, 7 (Her.), arimms
berafnng von ahd. ort cnspis nnd seine dentnng des wortes
als 'auf der spitze sitzender vogel^ wie man abgerichtete falk^
zu sitzen gewöhnte' (M xxiv), scheitert an der beziehnng des
nomens auf 'grugem aut ciceno'. Dasselbe gilt fär Eögeb
deutung (Gesch. d. deutschen lit 2, 420) des nomens als 'stoss-
YOgel'. Kern (E § 55) schwankt zwischen arir = ags. wyrt
und artr = ags. (aus lat. hortus entlehntem) ort- in ortgearcL
Ich möchte letzterer fassung entschieden den voizug geben
und das compositum fibersetzen durch 'im garten, im hofe sidi
aufhaltenden vogel' (es kann ja bei erwähnung des falken
nur der gezähmte vogel gemeint sein*)); so lässt sich die
glosse zu 'grugem aut ciceno domesticus' mit der zn 'accep-
torem' gehörenden vereinigen. Als norm erscheinendes ort-
weist auf das Vorhandensein dieser form in der vorläge X^
(vgl. §lß und 188) hin; die ort(h)o und {h)orti' (auch in hoe-
ticla aus *hortifocla) von cod. 7. 8. 9 und das urlhe- von Her.
var. erklären sich nach § 5/3. Das -a des zweiten composiUons-
gliedes ist wol durch frühzeitige Versetzung in den aoslaut
getretenes und von den Schreibern mit lat -a gleichgestellte
endung. Auf grund des nahezu durchstehenden <j ist ffir X^
eine lesart mit -da fOr ^-chla (§ 6ß) aus älterem ^-€Ao2 (wegen
ch als Schreibung fär g vgl. § 6ß) anzusetzen und das g von
fugia in cod. 7. 8. 9 (woneben auch -da in denselben hss.) als
ftLr c eingetretene Schreibung (§ 4/) zu fassen. Wegen son-
stiger entstellungen, fi ttr f, ho im anlaut fSar o, ih tta t,
u f&r 0 (das überwiegen der lesarten mit o lässt aof salfrk.
♦/bflföi schliessen), c für r, i für l, vgL§2A 46. 7a.4a3£./f.
Die in cod. 1 und 2 erscheinenden lesarten weisen alle das
^) Der dem Wortlaut der drei enteren Paragraphen gem&n {rgi. oben
im eingang dea §) entweder frei anf einem baom oder angebunden anf einer
Stange sitzt oder sich in einem yerschlnss befindet
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Zu DEN MALBEBGISCHEN GLOSSEN. 42—43. 305
resultat auf von weitgehender entstellung eines für die vorläge
X'^ vorauszusetzenden *orthfocla (mit thfärt nach § 7 a): uerthi
fugium 87, 3 (cod. 1, wo die glosse nur einmal erscheint) mit
tt für 0 (§ 4«), c für durch dittographie (nach § 2/) entstan-
denes i, 5f für c (§ 4y) und i für Z (§ 3^) sowie mit durch
substituierung von Singularendung für das fär pluralsuf fix an-
gesehene 'ia entstandenem -ium aus *orthifocla (mit lat. -i-
nach § 5/9); horhut 29, Ic (cod. 2) und marthoda 29, 2d (cod. 2)
aus durch ausfall von f entstandenem "^orfhocla und zwar
ersteres als entstellung von ortho (%o für o nach § 4cy, hut
durch Umstellung und durch Schreibung von u für ö), letzteres
in folge von durch *mai' veranlasster Schreibung von ma für o
(§ 2<J); naobfocla 38,3 (cod. 2) mit na als rest von ehemals
vor unserer glosse stehendem uueiano (vgl. § 43) und oh als
rest von orih (ausfall von rt und Verlesung von 6 aus ä
nach § Sy).
Dem erörterten zufolge ist für die vorläge X*, wie für X^
(s. oben), ortfocla anzusetzen.
% 43. Behufs näherer bezeichnung von 'acceptorem' ge-
sellen sich im 2. und 3. paragraphen des YII. titeis zu ortfocla
etc. (§ 42) nach cod. 6 uueippe 32, 2d, uuäle uanae 41, 3, nach
cod. 7. 8. 9 ueganus 33, 2d (nur im 2. paragr.), nach Herolds
text uueiano 34, 2d. 43, 3 (in beiden paragraphen steht zwischen
uueiano und ortfocla die conjunction *siue'), nach Herolds
zweiter hs. uueiape und uueiano 34, 2 d (beides im 2. paragr.).
Die p und n, die beide öfters durch Verlesung für r stehen
(§ 3 p und ö), sowie berücksichtigung von agerm. -ari und -aro
in composita, die zur bezeichnung von durch jagd oder fisch-
fang sich nährenden vögeln dienen (ahd, muscm, musaro, ags.
müsere muriceps, ahd. sparwari 'sperber', ahd. chranohari acci-
piter, stocharo halietus, tsaro, ags. isere porphjnio), führen auf
die Vermutung, dass hier ähnlich gebildete composita vorliegen.
Für das erste glied derselben ist wegen des ei der lesarten nicht
an identität mit ahd. wt(w)o milvus (M xxiv, K § 58) zu denken.
Ich möchte vorschlagen, got. waihjö 'streit' heranzuziehen und
den überlieferten lesarten salfrk. im acc. sg. stehende *wehiari
bez. ^wehiarun zu gründe zu legen (man beachte die von
Kern hervorgehobenen ahd. waneweho loaficus, wihil, wigil alcion
in zusanunenhang mit got. weihan, ags. wi^an u. s. w. und ver-
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXV. 20
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306 VAN HBLTBN
gleiche ausser socelino, s. unten § 45, noch anL bei Eiliaen
verzeichnetes sper-, sporwaen 'sperber' aus ^sparuwanoy dessen
zweites glied zur sippe aind. vanu 'nachsteller\ a& winnan
'kämpfen' u.s. w. gehört): durch frühzeitigen ausfall von A
(§ 6/) und frühzeitige Verlesung von p bez. n aus r sowie
Schreibung von -a für -i (§ 4 a) bez. -o für -«n (wie in -uano
U.S. w. § 41) standen in der vorläge X^ (vgl § lj9 und 188)
uueiape und uaeiano; aus ersterem gieng durch ausfall von a
und doppelschreibung (§ 4 g) uueippe hervor; für die entstehung
von ueganus {-us Substitut für -o, vgl. § 5 a) ist wol eine
mittelstufe mit romanischer Schreibung gi für i (d. h. /) oder
directe roman. Schreibung von ^ für ^' (vgl. Schuchardt, Der
vocalismus des vulgärlat 1, 71 f. und 8, 25) anzunehmen; uudU
uanae begreift sich als die folge der Versetzung von e und a
in uueiano, der Verlesung von l aus i (§ S/tt), der (nach § 2e
zu beurteilenden) assimilierenden Schreibung von -e für -o,
der darstellung von -e durch -ae (s. anm. 1 zu § 37) und der
doppelschreibung von u(u)a' (§ 2d am schluss; zunächst etwa
*uiuiiene, dann utmle uanae).
Als die alte Verteilung der beiden synonymen glossen
repräsentierend hat wahrscheinlich die überüeferung von cod. 6
zu gelten: uueiape zum 2., uueiano zum 3. Paragraphen. Dem-
nach wäre für tieganus, uueiano (bei Her. zum 2. paragr.) und
uueiano (Ber. var.) einschleppung von dem folgenden Para-
graphen her anzunehmen. Aus dem fehlen der glosse im
2. Paragraphen von cod. 1 und 2 geht hervor, dass dieselbe
nicht aus vorläge X* in vorläge X* übergegangen war. Wegen
einer spur von uueiano im 3. Paragraphen von cod. 2 s. § 42
am schluss; wegen des unrichtigen 'siue' der Heroldina vgl.
§ 13. 24. 27. 41. 49.* 54. 70. 85. 131.
Im 2. paragr. fehlt in cod. 1 eine auf *orikfoda zurück-
gehende glosse = martkoda von cod. 2 (s. § 42); es steht da-
selbst aber sich auf die composition beziehendes, in den anderen
hss. fehlendes hymnis süh 28, 2d (§ 12). Hieraus ergibt sich,
dass die letztere, für vorläge X^ anzusetzende glosse nicht in
vorläge X' übergieng und dass von den in vorläge X^ voraus-
zusetzenden hymnis süh und *orthfocla nur die eine in cod. 1
und nur die andere in cod. 2 erhalten blieb.
§ 44. Ausser den § 42. 43 behandelten vogelbezeichnongen
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Zu DEN MALBEBOISGHBN aLOSSEN. 43—45. 307
enthalten die Paragraphen von tit. VII 'si qnis acceptorem de
perteca furauerit' nnd ^si quis acceptorem de intro clanem
furauerit repositnm' (vgl. § 42) nach cod. 6. 7. 8. 9, der Herol-
dina nnd Herolds zweiter hs. noch die glosse antedio 41, 3
(cod. 6, wo das wort im erstgenannten paragraphen fehlt),
erntete 33, 2d (cod. 7. 8. 9, wo das wort im zweitgenannten
Paragraphen fehlt), pandete 43, 3 (Her. tezt, wo das wort znm
zweitgenannten paragraphen überliefert ist), anthedio 34, 2d
(Her. yar. znm erstgenannten paragr.). Die glosse begegnet
auch sonst als antedi 38, 1, anthedi 160, 15, antedio 42, Ib nnd
var. 50,4. 65,3.4.5. 119, xxn. 123,1, antedeo 42,lbvar., an-
thedio Q4,S. 69,3. 118, xxn. 122,1.2. 123,1 var. 158,28.159,1c
var., authedio 124, 1. 3 (tt fttrn nach § 3jr), antidio 43, Ib. 52, 3.
70, 3. 5. 159, Ic, anthidio 159, Ic var., tantedio 68, 4 (wegen des
/ vgl. § 26)j anüieodio 68, 5 (mit eo für e durch folgendes ge-
legentlich statt -io geschriebenes -eo, vgl. §26 nnd 4a), anfheoco
69, 3 (mit eingeschaltetem o nach %2d nnd c für ä nach § 2/9;
sonst noch ansfall von «), an thi so 155, 20 (durch ausfaÜ für
anthidioso mit so für aus folgendem 'sunt' des textes ent-
lehntem *su, vgl. %2fj und 4 a), und zwar immer in paragraphen,
worin die rede ist von entwendung aus einem verschlossenen
räum, also vom diebstahl, der mit erbrechung eines verschlusses
verbunden ist (Es sind darum die zu dem oben citierten paragr.
^si quis acceptorem de perteca furauerit' stehenden antete
von cod. 7. 8. 9 und anthedio von Her. var. als hierhin vom
folgenden paragraphen her verirrte glossen zu fassen; wegen
eines anderen antedio, entstellung aus *an echtio, s. § 61).
Angesichts besagter Verwendung des wortes setzt Grimm
(M Li) als die salfrk. form zu anddön (= as. andm, ahd. ant-
tuon) gehörendes andedi effregerit an, während Kern (E § 63)
ein zu dem verb. gehöriges derivatum antedi effractio postu-
liert mit t(t) aus t (von ant) + d und ^ für a durch umlaut
oder = altem a^. Erstere fassung scheitert an der tatsache,
dass in den glossen ein praes. opt. dem prt. opt. des textes
entspricht (s. § 8). G^en beide erklärungsversuche spricht
der umstand, dass sich in den glossen sonst constantes a =
anfrk. ahd« as. a findet: ncMre § 14, mdlia § 29, chrascaro etc.
und chascaro § 86 und 89, anuano etc. und anouuado etc. § 88,
uueruanathe etc. § 92, *dadio aus datMU § 125, naboth etc. und
20*
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308 VAN HELTEN
nare § 129, sacce muther § 154 und chane creudo etc. § 178.
Ausserdem aber dürfte es nicht für wahrscheinlich gelten, dass
aus im auslaut des ersten und im anlaut des zweiten com-
positionsgliedes zusammenstossenden d ein tt hervorgegangen
wäre.O
Der hauptsilbenvocal unseres Wortes kann nur salfrk. e
aus ai (vgl. § 4ß) sein: das in der Überlieferung bedeutend
überwiegende e (die seltneren t für e nach § 4 a) weist auf ein
e des glossators hin, und an durch umlaut entstandenes e ist
nach § 36 gar nicht zu denken. Die endung -io (die seltenen
'i und -e sind spuren der alten endung oder die folgen yon
ausfall) steht offenbar in gleicher linie mit den öfters in den
glossen begegnenden -io = salfrk. -f (aus -in) + lat. o (§ 5ö).
Die weitere deutung des 'erbrechung, einbruch' bez. 'diebstahl
mit einbruch' oder 'dafür zu entrichtende busse' (§ 39) be-
deutenden nomens muss ich anderen überlassen, denn sowol
bei Zerlegung desselben in ant- oder anth- (wegen dieses salfrk.
präfixes vgl. § 63) und -hedi oder anth- und -ßii (das t der
lesarten für th nach § 6/3) als bei ansetzung von ant-edi oder
ani'tedt (th der lesarten für t nach § 7 a) fehlt es mir an genn.
oder aussergerm. anknüpfung. S. noch § 48.
In betreff der oben aus tit. YII citierten lesai*ten sei noch
bemerkt: dass antete durch assimilierende Schreibung (§ 2e)
oder Verlesung (§ 3^) aus d entstandenes t hat und pandeie
durch anlehnung an \a,t pandere 'öffnen' für antede oder ähn-
liches eingetreten ist; dass die für vorläge X^ und folglich
auch für vorläge X^ vorauszusetzende glosse der überli^erung
von cod. 1 und 2 gemäss (vgl. 37, 3. 38, 3, wo antedio od. ähnl.
fehlt) nicht in vorläge X* übergegangen war.
§ 45. Zu 'sparuarium' steht im YU. tit. socelino 41, 4
>) Mnl. ontoen neben ondoen (ans ond-doen) kann nicht als beweis
für solche lautentwickelung gelten. Eben die doppelfonnen ontoen, otUroffen
und ofidoen, ondragen weisen darauf hin, dass nur eine der beiden kate-
gorien das resultat lautlicher entwickelung repräsentiert. Und wenn nun
nach niederfrUnkischem lautgesets den ersten compositionsteil auslautendes
d vor d erhalten bleibt, vor th (wie überhaupt vor stimmlosem conson.) zu
t wird (s. Taal en letteren 5, 234 ff.), so liegt es auf der hand, dass wir es
in ontoen, ontragen mit analogiebildungen zu tun haben nach onietien,
ontreigen u.s. w. aus *unt'thekktan, *unt'threigian (vgl. as. tkregian) u.s.w.
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zu DEN MALBEBGISGHEN GLOSSEN. 44—46. 809
(cod. 6), sondolino, sundelino, sundulino 42,4 (cod. 7. 8. 9; für
die specielle vorläge dieser hss. ist also sundelino vorauszu-
setzen; wegen des o von sond- und des o, u von -ol-, -^l- vgl.
§ 4a und 2c), sucelin 43, 4 (Her.); zu 'anserem aut anedam
(anatam)' sundoUno 37, 4 (cod. 1), sundoleno 38, 4 (cod. 2), sunt
dilino 41,8 (cod. 6; sunt für sun durch anlass von im text
folgendem 'sunt', vgl. § 2^), sondolino (cod. 7), sundelino (cod. 8)
42, 5, sundleno 43, 6 (Her.; ausfall von zwischen d und l stehen-
dem vocalzeichen).
Beide glossen sind durch Substantivierung eines adjectivs
entstandene nomina mit -in als endung für den schwachen
acc. sg. masc. (vgl. § 24) + bereits in vorläge X^ (vgl. § 1^
nnd 188) angetretenem lat. -o (§ 5«; das einmalige -in steht
wol durch ausfall für -ino; zweimaliges -eno mit c für i
nach § 4a).
Für socelino ist an got. sahuls 'streitsüchtig' und ags.
sScan hostiliter aggredi anzuknüpfen und was die begriffliche
entwickelung angeht an uueiano etc. (§43) zu erinnern; i)
sucelin mit u für o (§ 4 a). Als vocal des derivationssuffixes
hat nach der Überlieferung e oder event. i (woraus e nach
§ 4 a) zu gelten.
Für sundelino etc. haben schon Grimm (M xxv) und Kern
(K § 59) auf ags. sund natatio hingewiesen. Als vocal der
ableitungsendung ist nach der Überlieferung von cod. 1. 2 o
oder event. u (woraus o nach § 4a) anzunehmen; zu 'sparua-
rium' stehendes sundelino der speciellen vorläge von cod. 7.
8. 9 entstand durch compromiss von socelino und zum folgen-
den Paragraphen gehörendem *sundolino (vgl. § 2C); nach
voranstehenden sundelino von cod. 8 und sondolino von cod. 7
wurden die zu 'anserem aut anedam' stehenden älteren les-
arten umgebildet; das i für o von sunt dilino ist nach § 26
zu beurteilen.
§ 46. Dem 'gallum' ('coccum') bez. 'gallina(m)' des textes
entsprechen nach cod. 6 cannas uuido 41, 5, soläpinä 41, 6,
nach cod. 7 annas uiuido et soläpinä 42, 6, nach cod. 9 ccmnas
^) Ans mit sakuls übereinstimmendem agenn. ^sakulo bez. *8akalo
als benennnng eines ranbyogels erklären sich die entlehnnngen asloy. sokolü,
lit säkdlaa 'falke'.
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310 TAN HBLTEN
uiuido et solam phinam 42, 6 (uiuido darch dittograpMe eines
verticalstriclies nach § 2/; ph f&r p nach § 7/3), i^&<^ Her.
^^no^ttwdo 43, 5, solcmpinam 43, 7.
Im anschlnss an Grimms Vermutung (M xxnr) hat Kern
(K § 60) durch hin weis auf an. hvatr Jcgttr 'kater' die Verwen-
dung eines gotischen sunnps, as. sunäi u. s. w. entsprechenden
adjectivs für 'masculus' wahrscheinlich gemacht Hieraus l&sst
sich auf substantiviertes *suuindun (a-stanun, wie ags. swü/f
got. Swings) mit schwacher endung ffir den acc. sg. mascw =
'männchen' schliessen, dem behufs näherer bezeichnung als
erstes compositionselement *hana', nach des glossators schrd-
bung *chanar (vgl. § 6/9) vorgefttgt war. Aus dem fehlen von
n vor d in allen lesarten geht frühzeitiger ausfall des nasal-
Zeichens oder -compendiums hervor (der annähme von für das
salfränkisch ohnehin fraglicher synkope des nasals widersetzt
sich das überlieferte d). Also in vorläge X' (vgl. %lß und 188)
*channasuuido (mit -o für -un, wie in -uano u. s. w. § 41, und
nn für n nach § 4 g), woraus die überlieferten lesarten mit c
für ch (§ 6/9), a- ffir Aa- aus cha- (§ 67), n für nn (§ 4$; das
nn von cod. 6. 7. 9 weist auf in vorläge X^ stehendes nn hin
und verbietet, das n der Heroldina als rest des alten n zu
fassen).
Grimms solampinam = 'taube' oder 'blinde henne' (M xiv)
kann unberücksichtigt bleiben. Kerns conjectur (E § 61) so
(= ' Weibchen') haninnana ist schon in graphischer hinsidit
nicht recht plausibel. Ich vermute ein compositum ans *sol
(= ahd. as. sol volutabrum, sordes) und zu anL schampen scal-
pere (Kiliaen) gehörendem, aus einem nomen actoris *scanypo
mo viertem femininum *scampin = 'im dreck scharrende', wozu
ein acc. sg. auf -ia (§ 9) *solscampinia (wegen nicht geminiertes
n vgl § 22; wegen nicht umgelautetes a § 36); daraus durch
frühzeitigen ausfall von sc und i sowie durch substituierung
von 'ä für das für lat accusativendung angesehene -a (vgL
§ 79 zu urtifugiam) schon in der vorläge X^ vorhandenes
söläpinä.
§ 47. 'Si quis aucellum (turturem) de trapa furauerit*
41, 10. 42, 8. 43, 8 (cod. 6. 7. 8. 9 und Her.). Dazu als glosse
baofalla, acfalla, hac falla, hacfaia (mit I für B^ § 4g), aefaUa.
Gegenüber Grimms Übersetzung durch 'hochfalle' (M xxv) ver-
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2ü DEK MALBEBGI8GHEN GLOSSEN. 46—48. 311
dient Eems einfache nnd einleuchtende zur&ckffihrnng auf
*at faUa (K § 62) natürlich den vorzng. Wegen der Überliefe-
rung gemäss schon in yorlage X^ (vgl. § 1/3 und 188) vorhan-
denes hae Tgl. § 46 und S6; wegen 6 f Or A und des ausfalls
von Ä s. § 87 und 4d; wegen Verlesung von 0 aus c vgl. auch
amba othonia für '^'amba cthonia § 54, quintuo für *quintuc
§ 116 (sowie obosino ? § 28) und beachte die ähnlichkeit der
in taf. 9 a von Arndts Schrifttafeln für c und 0 verwanten
schriftzeichen (wegen c für 0 vgl. § 173. 177). Für dem subst.
zukommenden dativ ist als die ui'sprüngliche form *fäUu an-
zusetzen,)) dessen -u bereits in der vorläge X^ (nach § 3 a) zu
-ö geworden war.
§ 48« In dem vom diebstahl eines bienenkorbs oder
mehrerer körbe handelnden VIII. titel begegnen die glossen
olephardis 41, 1, olechardis 50, 4 (cod. 6), olecharde, elecharde,
holecardo 42, Ib (cod. 7. 8. 9; woraus für die specielle vorläge
dieser hss. olecharde zu erschliessen; wegen e für 0 vgl. § 2e;
wegen ho- und wegen c f ür cä § 4<J und 6/J), ab chratis 51, 2
(cod. 7. 8), ab grates 51, 2 (cod. 9; woraus für die specielle vor-
läge ab chratis anzusetzen; wegen des 9 für cA s. unten),
oUthardis 48, Ib, ale thardis 52, 3 (bei Her.; t für c nach § 3d)
und zwar in Verbindung mit antedio etc. (vgl. § 44 und beachte
das 'de intro clauem et tectum' des teztes) bez. taxaca (vgl.
§ 20 und beachte das 'foras tectu' des textes) oder auch (im
letzten paragr.) antedio texaca 50, 4 (cod. 6), texara (für texaca)
antidio 52,3 (Her.), d. h. in vorläge X^ (vgl. § 1/9 und 188)
stehendes texaca + von dem ersten paragr. des titeis her
hierhin veriiTtes antedio (der paragraph schliesst sich an den
'foras tectu' enthaltenden an, handelt also nicht vom ein-
l)ruchsdiebstahl; in cod. 5 ist auf die lesart von X^ zurück-
gehendes antedio texeca 50, 4 ohne olechardis überliefert); cod. 1
hat in 37, 1 statt *antedio olechardes oder ähnliches vom voran-
stehenden Paragraphen (des VII. titeis) her hierhin verirrtes
sundoKno (vgl. § 45 und s. auch E § 63), in 46, 3 zum paragr.
mit 'foris tinctum' (1. 'tectum') gehörendes texaga (ohne ole-
0 Ein zUTerlässiger gern, beleg fttr die starke flexion des nomens
fehlt sonst; vgl. ahd. faüa bei Graff; ohne belegsteUe bei Lye stehendes ags.
feäü geht wol anf Decipula hisuicfaUe Corp.-gi. zurück.
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312 VAN HELTEK
chardes o. ähnl.), in 46, 4 zum letzten paragr. hole chartis (ohne
teocaga o. ähnl.; wegen ho- für o- s. § 4d); in cod. 2 steht 38, 1
statt "^antedio olechardes o. ähnl. antedi leodardi, während da-
selbst der vom einfachen diebstahl handelnde paragr. sowie
der letzte paragr. des titeis leodardi 47,3.4 enthalten, das
anch als leodardae 50, 3 in cod. 6 zum paragr. mit 'foras tectn'
erscheint.
Dem von Grimm (M xxv) hervorgehobenen lit awilys
'bienenstock' müsste im salfrk. eine form mit awi- entsprechen
(vgl. wegen des fehlenden umlants § 36). Kerns vennutong
(K § 63), es stecke in leodardi und leodardae von cod. 2 und 6
aus beocJiardi^ entstellte lesart und es seien olephardis etc. ans
diesem, heochardis hervorgegangen, ist nicht recht annehmbar,
weil solcher Vorgang sich nicht mit der für unsere Überliefe-
rung zu beobachtenden entstehungsgeschichte vertrüge (vgL
oben § 1/3). Das 'uas(um) (cum apibus)' des textes soll ml e.
einen fingerzeig zur deutung der glosse gewähren und für
den ersten teil des Wortes zur aufstellung einer gleichung ole-
= ahd. altostnfrk. üla olla führen: salfit *«/- (woraus mit
frühzeitig für u substituiertem o und mit für lat. -t- der com-
positionsfuge stehendem -e- für die vorläge X' anzusetzendes
ole-, vgl. § 4a und 5ß) = 'bienenkorb' (durch restrictive Ver-
wendung der bedeutung 'behälter'). Für den zweiten teil des
compositums ist mit Kern got. gards, as. gard u. s. w. zu be-
rufen: 'Chardes (mit ch als Schreibung für g nach § 6^) als von
antedio, taa:aca abhängender gen. sg. Das ganze wort also =
'eines umfriedigten raums mit einem bienenkorb oder mehreren
körben, eines bienengartens'; antedio (oder eig. ^antecU oder
*anthedi) mit diesem genit. = 'erbrechung eines bienengartens',
taxaca etc. (oder eig. *tach$aiga bez. *techsaiga) mit diesem genit.
= 'beraubung eines bienengartens'. Der umstand, dass zum
zweiten paragraphen ausserdem Uudardi als bussebezeichnung
stand, vgl. unten, berechtigt zur folgerung, dass in den anderen
glossen kein ausdruck für *geldstrafe' steckt.
Betreffs der von ole- abweichenden lesarten beachte man
ale mit a für m statt o (§ 3a) und ab mit a für o, wie in ale,
oder mit a für o in folge von durch voranstehendes taxaca
veranlasster assimilierender Schreibung (§ 2€) und mit b als
Verlesung aus für le eingetretenem U (vgl. wegen dieser mög-
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zu DEN MALBEBGISCHEN GLOSSEN. 48-49. 313
lichkeit die schriftzeichen für b und U in Arndts Schrifttaf.
taf. 5a nnd beachte § 137 zu chame hahia; ein U ans b be-
gegnet in obclinis ans obbonis, § 173, nnd aliunde ierit ans
abundiuit, § 64).
In dem p von -phardis liegt wol einfaches schreibversehen
vor; chartü von cod. 1 hat t durch Verlesung aus d (§ 3^);
'Chratis von cod. 7. 8 gewährt die nämliche entstellung sowie
Versetzung; -grates für -chrates hat g durch anlehnung an ital.
für crates verwantes grata (wegen dieses Wortes vgl. Ducange
4, 103, sp. 3 und wegen der entstehung des grates enthaltenden
cod. 9 in Italien beachte Weidmann, Geschichte der biblioth.
in St. Gallen, anm. 24). Das -is repräsentiert natürlich die lat.
für salfrk. -es eingesetzte endung; das -e von olecharde etc. ist
vulgärlat. -c für -es (vgl. Schuchardt, Der vocalismus des vulgär-
lat. 2, 45); holecardo hat -o für -e durch assimilierende einwir-
kung von in der glosse voranstehendem antedio (§ 2 t),
In antedi leodardi 38, 1 (s. oben) erkennt man sofort durch
folgendes leodardi hervorgerufene entstellung.
Aus der glossenüberlieferung zu *si quis apem de intro
dauern furauerit et tectum' ist also auf in vorläge X* (vgl.
§1/9 und 188) stehendes *antedio olechardes zu schliessen. Als
Zeugnisse für in vorläge X* enthaltenes, zum paragr. 'si quis a
pluribus usque ad sex furauerit apes foras tectu' gehörendes
"^texaga (oder ähnliches) olechardes finden sich nur texaga
cod. 1 und taxaca ab chratis etc. cod. 7. 8. 9; zu demselben
Paragraphen stehende leodardi cod. 2 und leodardae cod. 6
weisen auf ebenfalls hierher gehörige, in vorläge X^ vor-
handene bussebezeichnung (vgl. § 39) hin; beiderlei glossen
standen der Überlieferung gemäss noch in vorläge X^ und X^
(in letzterer vielleicht mit vertust von ^olechardes o. ähnl.).
Für den letzten paragr. des titeis ist auf grund des erörterten
in vorläge X* stehendes Hexaga (o. ähnl.) olechardes anzu-
nehmen (leodardi von cod. 2 vom voranstehenden Paragraphen
hierhin verirrte lesart).
% 49. Zu 'animal (aut) caballum uel iumentum' steht
50,2 b (cod. 6) und 52,2 b (Her.) stallachia, stalacha, doch
51, 2 b (cod. 7. 8. 9) trachlagia, thradiligia (mit di für ch,
§ 3i). Die nicht auf graphische Variation zurückzuführende
Verschiedenheit der flössen lässt darauf schliessen, dass der
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814 VAS HELTJBH
urspr&nglichen lesart zwei nomina zukamen, yon denen sich
das eine auf 'caballom', das andere anf 4mnentnm' bezog.
Als letzteres hat stdllachia za gelten, das sich anch sonst in
unserer Lex in den entstellnngen stdl<xehaia, estalaihia eta =
4umentam, eqnam' findet (§ 126; wegen stalacha s. daselbst).
Für das andere möchte ich an got ßragjan ankn&pfen, nach
welchem sich für das salfränkische ein mit snffix -il gebildetes
nomen actoris Hhragil Käufer' vermuten lässt (wegen des a
vgl. § 36). Aus Hhrachil stdl(l)agia bez. stal(l)adiia (wegen g
bez. ch zur darstellung von gutturaler stimmhafter spirans s.
§ 6ß) konnte aber, indem das erste i ausfiel und sich das
äuge des copisten vom ersten l nach dem dritten bez. zweiten
verirrte (bez. ch durch c za g wurde, vgl § 4/), *ff^raMagia
hervorgehen, das die fiberlieferten traMagia (mit t fär ik
nach § 6^) und thradiligia (mit i ffir a durch assimilierende
Schreibung nach § 2c) ergab. In vorläge X^ (vgl. %lß und 188)
war der Überlieferung von cod. 6 und der Heroldina gemäss
Hhrachil durch ausfall geschwunden.
§ 49.* 'Si quis alicuiuslibet peccora aut porci ipsum custo-
dientem (ipso custodiente) in messem alienam cucurreiint et
illo negante si ei fuerit adprobatum ... sol. zv culp iud.' Dazu
andesito leodarde 50, 5 (cod. 6), andesito 51, 5 (cod. 7. 8. 9\ leo-
dardi sine ande sitto 52,5b (Her.), leodardi 47,4b (cod. 2).
Ändesit(t)o wird von Kern (K § 65) in ande (= got anda-)
und seta (= ahd. sessa in heriseeBa und an. seia} zerlegt und
als 'fine imposed on one who negando fuerit conuictus' ge-
deutet. In der tat wäre an sich die ansetzung von salfrk.
schwachem acc. sg. andisetun (woraus die fiberlieferten les-
arten mit e für t und i für 6 nach § 4a, « ffir i^ nach § 4g,
-0 für -un oder -ü nach § 41) zu rechtfertigen: in semantischer
hinsieht durch berufung von got. andstandan md-iaropai^
avxiXiyuv, aofries. hine undsetta 'sich widersetzen' (s. K a.a.O.),
in formeller durch hin weis auf das unten § 63 (am schluss)
erörterte, demzufolge andi- die regelrecht entwickelte form
des präfixes repräsentiere. Doch stiesse man bei solcher den-
tung von andesito auf die folgende Schwierigkeit In zwei
vorangehenden Paragraphen (46,1. 47,1 eta und 46,3. 47,3
etc.) des den oben citierten rechtssatz enthaltenden titeis IX
(X) ist die rede von unfreiwilliger Verwundung eines ans
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Zu DEN M/LLBERGISCHEN GLOSSEN. 49—50. 315
fremdem Saatfeld yerja^n tieres bez. von sonstiger unabsicht-
licher yerwondung eines tieres ^si qnis animalem ... per suam
neglegentiam nocnerit'); es werden daselbst zwei fälle unter-
schieden: der unfreiwillig schuldige gesteht die tat ein und hat
nur den beigebrachten schaden zu ersetzen, oder er leugnet
die tat und muss nach Überführung ausserdem eine geldstrafe
entrichten. Eine solche Unterscheidung kennt der andesiio
etc. enthaltende paragraph nicht; einer nicht mit geldstrafe
verbundenen Vergütung des zugefügten Schadens geschieht hier
keine erwähnung, und man kann demnach wol nicht umhin,
das ^illo negante' als einfachen zusatz zu dem in den hss.
der Salica den Strafbestimmungen häufig beigegebenen 'ei (cui)
fnerit adprobatum'O gelten zu lassen.
So wäre eine fassung der glosse als bezeichnung für
^leugnungsstrafe' ausgeschlossen und dürfte es sich vielleicht
empfehlen, an die möglichkeit einer glossierung der in unserem
Paragraphen wichtigen worte 4n messem alienam' zu denken,
deren 'alienam' ein der Überlieferung andes zu gründe liegen-
des '^'andres und deren 'messem' der dat. sg. eines dem ags.
tilä seges (s.Bosw.-Toller i. v.) und niederländischem teelt fructus
n. & w. entsprechenden fem. *tüith seges, messis, nämlich *tilithu,
widergeben konnte, woraus durch ausfall von til, ersetzung
von tk durch t (§ 6j9) und substituierung von -o für -u (vgl.
§ 60 zu lonimo) bereits in der vorläge X^ (vgl. §lß und 188)
stehendes ito. Als entsprechung von 'in' wäre dann noch
altes *an zu vermuten, das ebenfalls frühzeitig vor *andres
ausgefallen war.
Nach der Überlieferung von cod. 6 und der Heroldina
standen zum Paragraphen ursprünglich zwei glossen, die ent-
sprechung von 'in messem alienam' und die bezeichnung der
busse Uodarde bez. 4 (§39; wegen des unrichtigen 'sine' bei
Her. vgl § 13. 24. 27. 41. 43. 54. 70. 85. 131). In cod. 7. 8. 9
hat sich also nur die eine, in cod. 2 nur die andere erhalten.
§ 50. Ein bez. mehrere Paragraphen des IX. titeis be-
drohen denjenigen mit einer geldstrafe, der wegen emte-
^) S. z.b. 1,1b. 2b. 3b. 4b. 2,1b. 2b. 4b. 3,1b. 4,1b. 2b. 5,1b.
2b. 6, Ib. 2b. 7, Ib. 10, 14. 11, 6. 9. 10. 11. 14. 15. 19, 1. 2. Ib. 20, 1. 2. 3. 4.
5.6. Ib. 21,1b. 28,1.1c. 29,2. 3. 1. Ib. 3b. Ic. 2d. 55,6. 65,1b. 66,1b»
67,1b. 68,1b. 70,1b ii.8.w.
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316 VAN HELTEK
beschädigung eingesperrtes vieh 'expellere* oder *excatere
presumpserit'. Die dazu gehörende glosse erscheint als excutOy
scuto 56, 5. 6 (cod. 2), *) excoto 59, 6 (cod. 6), hisdioto, saUOy
chisto (für *schuto, § 2ß) 60, 7 (cod. 7. 8. 9), schoto 61, 6 (Her.).
Kern (K § 66) vergleicht ahd. scozm pellere und fasst das
wort als 3. sg. praes. opt. (wegen des tempus vgL § 8). Das
öfter belegte seh weist auf seh des glossators hin (§ 7 a), statt
dessen ein paar male sc (nach § 7 a). Wegen hi- vgl. § 6c,
wegen w f ttr o § 4a. Beeinflussung der glosse durch 'excutere'
des textes ist in excuto, excoto zu beobachten.
§ 51. Zu 'si quis seruum aut ancillam furauerit'O ^^^^
im X. (bez. XL) titel die glosse teoducco 56, 1 (cod. 2), teoxaai
59, 1 (cod. 6), texeca 59, 1 (cod. 5), theostaxaca, iheus tax(wa 60, 1
(cod. 7. 8. 9), theu tha texaca 61, 1 (Her.). Nach theolasina etc.
(§ 55), theomosido etc. (§ 124), theodilinia etc. und theolede etc.
(§ 123) müsste man hier ein compositum theo- oder (mit eu
nach § 4 a) theufaxaca, -texaca (vgl. wegen des zweiten gliedes
§ 20) = '(strafe wegen) entfiihrung eines bez. einer unfreien'
erwarten (das sich in der tat mit nur geringer entstellung
als teothexaca in einem Paragraphen 59,4 findet, der als *si
quis ancillam alienam furauerit' nur in cod. 6 (und 5) überliefert
ist und offenbar als teilweise widerholung des oben citierten
zu gelten hat). Als hieraus hervorgegangene verderbte les-
arten begreifen sich aber (wegen ^ für ^A vgl. § 6ß): teoducco
durch substituierung von d für ^ (§ 4/), Verlesung von u aus a
(§ 3 a), ausfall von xa, dittographie von c (§ 4?) und substi-
tuierung von -0 für -a (wie in -crudo u. s. w. § 38); teoxaca
durch ausfall von te (vgl. § 20) ; texeca durch ausfall von iheo
(sowie auch texeca 59, 4 nach cod. 5 = teothexaca von cod- 6,
s. oben); theos-, theus taxaca mit s statt f (§ 3x) für iheof-,
^) Das zweimalige erscheinen der glosse hängt mit dem umstand xn-
sammen, dass die in den anderen hss. in einem paragraphen enthaltene
bestimmung (s. 55, 5. 59, 6 etc.) sich in cod. 2 in zwei paragraphen, rar einen
hallte im ersten, zur andern im zweiten, vorfindet. Bei der trennung des
alten paragraphen wnrde die glosse auch dem neuen zweiten beigegeben
(ygl. auch § 71 zu älthifathio).
3) In den hss. der ersten familie (cod. 1. 2. 4) und bei Her. wird dem
'seruum aut ancillam' noch 'cauaUum uel iumentum' hinzugef>. Dass
'dieser zusatz unursprünglich ist, geht aus der Überschrift des tit€ls 'de
seruis uel mancipüs furatis' hervor.
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zu DEN MALBEBaiSCHEN OL0S8EN. 50—53. 317
das für theo- eingetreten war durch einwirkung von einstmals
zum zweitfolgenden Paragraphen stehendem, dem überlieferten
theobardo zu gründe liegendem *theof-ardo (s. § 52 und vgl.
§ 2£); theu tJuz iexaca mit durch ausfall von e und Verlesung
von a aus ti (§3«) für dittographisches *theu (§ 2/) ein-
getretenem tJia.
In dem correspondierenden paragraphen von cod. 1, wo
die eben besprochene glosse fehlt, ist alfalchio 55, 1 überliefert^
das (nach § 59) auf *affalchia = *furauerit' zurückgeht. Aus
der Überlieferung erfolgt also, dass in vorläge Xi (vgl. § 1/?
und 188) zwei hierher gehörige glossen standen, von denen nur
eine in vorläge X» übergieng, während von den beiden noch
in vorläge X'^ vorhandenen glossen (vgl. teoducco cod. 2 neben
alfalchio) die eine in cod. 1, die andere in cod. 2 erhalten blieb.
% 62. Die glosse theuhardi 55, 2 (cod. 1), t{h)eophardo 59,2
(cod. 6 und 5), t(h)eobardo 60, 3 (cod. 7. 8. 9) gehört zu einem
Paragraphen, worin die rede ist von einem 'seruus' oder einer
'ancilla', der bez. die *cum (im einvernehmen mit) ingenuo de
rebus domini sui aliquid portauerit'; der frevel besteht darin,
dass der *ingenuus' (in cod. 1. 5. 6 'für' genannt) dem bez. der
mit der gestohlenen saclie entlaufenen unfreien schütz gewährt.
Dies aber könnte ein aus *theof und *ward nom. sg. (= ahd.
warta; wegen der suffixlosen form, die einen nom. oder auch
einen acc. sg. repräsentieren könnte, vgl. § 12) componiertes
nomen, d. h. Hheofard (synkope von w, wie in leudardi § 39),
bezeichnen. (Vgl. auch wegen der synkope des halbvocals K
§ 68; Eems fassung von theofardi als compositum, das, aus
theof und in leodardi enthaltenem ^-wardi gebildet, semantisch
angelsächsischem Öeofsüd entspräche, dürfte sich nicht mit der
nach § 39 dem verbale *-w?ardf beizumessenden bedeutung ver-
tragen.) Möglicherweise aber galt das nomen an unserer
stelle für *die wegen des gedachten freveis zu zahlende geld-
busse' (vgl. § 39). Wegen t für th s. § 6^; wegen h und ph
für /* § 6(J und Iß, Die endung -o ist nach § 5a zu beurteilen;
theuhardi (mit eu i&r eo nach § 4«) verdankt sein 4 der an-
lehnung an dem copisten geläufiges leodardi, das in Herolds
ausgäbe (61, 3) als leud ardi ganz an die stelle von theuhardi
0. ähnl. getreten ist.
§ 33. Als Zusatz zum paragraphen 'si quis seruum aut
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318 VAN HEIiTEN
ancillam alienam foranerit' (s. § 51) haben cod. 6 (sowie 5)
und die Heroldina ^si quis seruum alienam occiderit nel uindi-
derit aut ingennum dimiserit' 59,3. 61,2 (in der Her. siebt
vor ^occiderit' noch falsches, aus dem vorangehenden Para-
graphen entnommenes ^foranerit auf). Die dazu stehenden,
auf *theot€xaca zurückgehenden glossenlesarten meotheo (durch
Verlesung von m aus th, § 3o, für durch dittographie entstan-
denes theo, nach dem texaca ausgefallen war) und theu texaca
lehren, dass der betreffende ausdruck als bezeichnung des
freveis oder der busse (vgl. § 39) auch in bezug auf entwendung
eines oder einer unfreien durch totung, verkauf oder unberech-
tigte freilassung verwant wurde (vgl. noch § 54).
§ 54. In einem bez. in mehreren paragraphen des X.
(be^ XL) titeis wird der fall erwähnt, dass einer eine ^anciUam
ualenttTiiQ sol. xv aut xxv' oder einen bestimmte dienste leisten-
den unfreieis^ einen *porcario, uenatore, fabro, carpentario u.s.w.',
durch diebstafi^. tStung oder verkauf ihrem bez. seinem herm
entwendet (*si ..\, perdiderit' oder 'furauerit aut uindiderit*
oder 'furauerit aut pcciderit uel uendiderit'). Dazu steht in
cod. 6 theocho thexacha-dsmala texacha chrochro texaca äbotanea
59, 6, in cod. 7. 8 (heackrö^Jdjxaca 60, 2, in cod. 9 ihro ihaxaca
60, 2 (thro mit t twc c nach ^sB cf statt chro aus ffieadtro der
speciellen vorläge von cod. 7. s)^ in der Heroldina iheuca
texara 61, 6b und thenca texaca i^"\maia teocaca amba texaca
aniba oihonia 61,8 b. \
Für äbotanea und aniba othonia ist uut Kern (K § 70) die
existenz von salfrk. aus "^ambaht (= and. ambaM minister)
moviertem femininum geltend zu machen: "^cMnichtunia als von
texaca oder eig. dessen prototypus (§ 20) abhlingender gen. sg.
(wegen ch als Schreibung für h und wegen "^er endung Aa
vgl. § 6^ und 9; wegen des einfachen n und db«, u im snffix
beachte § 22), woraus für die vorläge X* (vgl. § ^nnd 188)
anzusetzendes *amhachtonia (mit o für u nach § 4 a), dät einer-
seits durch Versetzung von o und a, ausfall von ch unu^s^b-
stituierung von 6 für i die lesart von cod. 6, andrerseits diT-h
Verlesung von o aus c (wie in haofdUa U.S.W., s. § 47) nA
Umstellung von ht die lesart der Heroldina ergab.
In ismala {is mala) erkennt man (nach §*91) auf *smaieha
'mädchens' zurückgehende lesart; in dhrochro eine entstellang
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Zu DEN MALBEBaiSGHEN GLOSSEN. 58—54. 819
aus *choroehera (ausfall von o nnd e, -o dnrcli assimilierende
Schreibung nach § 2e), zu "^hörog *hörig' gehörendem gen. sg.
fem. (wegen ch als Schreibung für h und g vgl. § 6ß\ der in
Verbindung mit *smälcha * einer dierferin' bezeichnete. Statt
ehrochro oder einer Vorstufe desselben hat die Heroldina durch
anticipierung entstandenes amba. Die unrichtige, in cod. 6
und der Heroldina überlieferte Stellung von t€xac(h)a zwischen
ismala und ehrochro bez. amba rührt offenbar aus der vorläge
X* her. Wegen der in ^smälcha chorochera t. und *t ambach"
tunia vorliegenden doppelglossierung vgl § 16 am schluss.
Dem erörterten zufolge muss in theocho, theachro, theuca,
ihenca ein ausdruck stecken, der sich auf den unfreien bezog,
also als zum prototypus von texaca stehender genitiv 'eines
dienste leistenden, dieners' bezeichnete. Eem (E § 71) denkt
hier an einen gen. pL zu theoeh, theach 'an adjective derived
from theo and consequently identical with A. S. ffeotv, servilis'.
Doch w&re ein gen. pl. hier kaum am platze, und es läge, was
die bildung des adjectivs betrifft, vielleicht näher, salfrk.
*ffiiuisch oder (mit e durch anlehnung an theo servus § 91)
*iheuisch 'dienstbar' anzusetzen (wegen seh vgl. § 7a)y wozu
als gen. sg. masc. des substantivisch verwanten nomens Hki-
oder *iheuisches bez. -as (vgl. § 193«), das frühzeitig event
durch substituierung von 6 für i (§4«) sowie durch ausfall
von i und s (§ 2a) und e oder a, Verlesung von r aus 5 (§ Sr)
und antritt von -o (§ 5 a) in vorläge X^ vorhandenes *theuehro er-
gab, woraus einerseits durch Verlesung von a aus ti (§ 3 a) für die
nähere vorläge von cod. 7. 8. 9 anzunehmendes fheachro, andrer-
seits durch ausfall von r für die vorläge X^ anzusetzendes *theueho,
das dem iheodio von cod. 6 (vgl. § 4 a) und den theuea, thenea
(cfArch nach § 6ß, -a für -o durch assimilierende einwirkung von
folgendem texaca nach § 2e, n für u nach § Sx) zu gründe lag
Der Überlieferung gemäss hat sich von den drei glossen
in der spedeUen vorläge von cod. 7. 8. 9 nur eine erhalten; in
der Heroldina steht dieselbe zweimal.
Im correspondierenden Paragraphen von cod. 2 steht teo-
docco 56,3 (mit o für u), das durch einwirkung von zum
vorangehenden Paragraphen stehendem teodueeo (vgl. § 51) für
die durch vorläge X^ wahrscheinlich fragmentarisch über-
mittelte glosse eintrat (vgl. § 2 g).
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320 VAN HELTEN
Einen zum oben erwähnten "^h^og gehörenden starken aoc.
sg. masc. *hörogan, nach des glossators schreibang *chorogan
(vgl. § 6j3), erkennt Kern (K § 69) in zu *uas(s)um' oder ^puerom
ad miuisteriom' stehenden strogau 56, 5b (cod.2), fhorogao 57,6b
(cod. 3), horogauo 58,4 (cod. 4). Die lesarten beruhen auf für
die vorläge X* vorauszusetzendem "^chorogan^ wegen stro- für
*chor- s. § 2fi\ wegen fh für ch und A ffir di s. § 3d und 67;
wegen -aw, -ao aus *-on und -auo für *-ano aus *-an s. § 8x,
4«. 5a und vgl. § 21.
Auf zwei andere, ebenfalls in vorläge X^ vorhandene
glossen weisen taxaga aut äbitania 56,5 b (cod. 2) hin. Die
letztere bezieht sich auf 'puella (acc) ad ministerium^ des t«xtes
und ist mit Kern (K § 70) auf *ambachtunia (vgl. oben) acc. sg.
zurückzuführen: i (nach § 2j}) für aus a verlesenes u (§ 3a),
ausfall von ch, Verlesung von a aus w. Vgl. noch § 58.^ Wegen
des unrichtig verwanten disjunctivs vgl. § 13. 24. 27. 41. 43.
49.* 70. 85. 131. •
Das oben herausgeschälte *chorogan sowie ein aus substan-
tiviertem *hörog moviertes femininum *chorogunia acc sg.
(wegen -n und -ia vgl. oben zu abotanea) erkennt man fem^
in zu ^puerum aut puellam de ministeri(o)' stehendem horogaut
orogania 59,7b (cod. 6) mit h für ch (§ 67), v für n (§ Sx),
zum folgenden wort gehörendem ^ für c (§ Sd) aus cft (§ 6^)
und a für w (§ 3a). 2)
Zu der mit diesem Paragraphen cori^espondierenden stelle
der Heroldina 61,5 (^si quis seruum puledrum furauerit' mit
'seruum' = 'puerum' von cod. 6. 5, der zweiten Heroldschen
hs. und der Emendata und mit * puledrum' als verderbter les-
art für 'auf bez. 'uel puellam de ministerio' besagter quellen)
findet sich an stelle der in cod. 6 überlieferten glosse usu
dredo, das Kern (bei Hesseis s. 494, note 2) vermutungsweise
1) Das femininnm begegnet auch im text unserer Lex in si abantonia
(occiderü) tit. LXXXTTT , also als in das galloroman. aufgenommenes wart.
Es ist hier wol zu bessern in *ambactonia mit bei der entlehnong f&r fu
substituiertem et (vgl. § 147) und im roman. munde aus 1« entwickeltem o.
>) Auf grund dieses -ania und der oben aufführten äboianea, äbüama
ein sonst im agenu. nicht begegnendes suffix -anl für das salfränkische an-
zunehmen, dürfte sich kaum empfehlen; die häufige Verlesung begreift sich
ja leicht bei berücksichtigung des nmstandes, dass den lat Schreibern wol
formen mit -ama, -anea, nicht aber solche mit -unia geläufig waren.
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zu DEN MALBRBGISCHEN GLOSSEN. 54-^. 321
auf älteres uuirdardi zurückführt. In der tat wäre hier die
unten im § 89 zu erläuternde glosse *utierdardi * wegen Schä-
digung einer person zu entrichtende strafe' am platze und
liesse sich die überlieferte lesart anstandslos aus älterem ^uuer-
darde herleiten: usu für uuer- durch Verlesung von s aus r
(§ 3 t), ausfall von e und Umstellung, dredo für -darde durch
ausfall von a, Umstellung von de und antritt von -o (§ 5 a).
Die horogaut orogania und usu dredo weisen also auf zwei in
vorläge X^ stehende glossen hin.
§ 55. Im X. (bez. XL) titel wird der frevel 'si homo in-
genuus seruum alienum in texaca secum ducat aut aliquid cum
ipso negotiat' durch t(h)eolasina, theu lasina 59,5. 60,4. 61,4
bezeichnet. Dasselbe wort begegnet als theolasina 164, 23.
167, 30 zu ^si quis cum seruum alienum aliquid neguciauerit
nesciens domino suo', in 248, 16 zu ^si quis cum seruo alieno
aliquid negociauerit', sowie als theladna 230, 1 (das einzige
in den glossen vorkommende beispiel einer Verwechslung von
e und s^)), theolasina 231, Lxini, theu la sina 232,1 zu 'si
quis mancipium alienum solicitauerit'. Eine nicht davon zu
trennende glosse t{h)eolosina 127, 4 (cod. 1). 128, 1. 2 (cod. 2),
theolasina 131, 1 (cod. 6), eualisina 132, Ic (cod. 7. 9), -lesina
132,1c (cod. 8), eualisina 132,2 c (cod. 9), -lesina 132,2 c (cod.
7. 8), anilasina, tlheulasina 133, 1. 2 c (Her.), theolasina 133, 1
var. (Her.) steht im XXV. (bez. XXXV. XXIX.) titel bei er-
wähnung des freveis ^si quis cum ancilla(m) aliena(m)' oder
*cum regi(s) ancilla mechatus fuerit'. An den zweiten teil
der glosse erinnert femer zu ^si quis cum ingenua puella
spontania uoluntate(m) mechatus fuerit' gehörendes firilayso
128,4b (cod. 2), fredolasio 131,3b (cod. 6), frio lasia 133,3b
(Her.), fribasina, frilafina 132, 10 (ersteres in cod. 7. 9, letzteres
in cod. 8; als die lesart der speciellen vorläge von 7. 8. 9 hat
also frilasina zu gelten, vgl. § 188 am schluss; wegen f für s
s. § Sx).
Das nahezu constante -2a- und der umstand, dass aus au
contrahierter vocal im salfrk, ö lautete (vgl. *choroch- etc. § 54,
1) Mit rttcksicht auf diese tatsache ist die von Grimm (H xxziv) vor-
geschlagene fassnng von -lasina = *-l(mna abzuweisen.
Ein xr für 8 findet sich sonst noch in zaUca 3, 1.
BeitrsSffe zur geacbichte der deutschen spräche. XXV. 21
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322 VAN HELTEN
honema etc. § 60, mosido etc. § 63, ora § 112, solis träbo etc.
§ 117, ane crenodum etc. § 178), verbieten die annähme von
Zusammenhang mit ags. lectsun^, aonfrk. losunga (K § 133). Hin-
gegen berechtigt ags. *lesu pravus (= got l€isiws 'schwach^
zur ansetzung von ursalfrk. aus diesem adjectiv abgeleiteten
verbum *lastu\ian und dazu gehörigem verbale ^lasiunn depra-
vatio, während die für das as. und (mittelniederländischem itf
novus zufolge) auch für das ndfrk. erkannte synkope von
zwischen zwei t stehendem tv (s. EF, 5, 190 und Beitr. 16, 304 1)
auf aus "^lasimn hervorgegangenes, im salfrk. des glossators
herschendes ^lasln schliessen lässt, woraus durch antritt latdni-
scher endung (§ 5«) -lastna. Daneben vereinzeltes theolosina
(in cod. 1. 2, also bereits in vorläge X^, vgl. §1/9 und 188) mit
0 für a durch assimilierende Schreibung (§ 26) sowie fiir die
nähere vorläge von cod. 7. 8. 9 anzusetzendes -lisina mit i für o
ebenfalls durch assimilierende Schreibung imd daraus hervor-
gegangenes -lesina mit e für i (nach § 4a). In fribasina der
speciellen vorläge von cod. 7. 9 stand h (wie in sitahdhim etc.,
vgl. § 126 am schluss) durch Verlesung: der copist las zunächst
& aus Z + dem ersten teil des geschlossenen a-zeichens, schrieb
dann aber das ganze a nach (vgl. wegen eines ähnlichen Ver-
fahrens die anm. zu § 28).
Das -lasia der Heroldina und -lasio von cod. 6 weisen auf
in vorläge X^ stehendes, durch ausfall von n oder nasalcom-
pendium entstandenes -lasia hin {-lasio mit -io für -ia wie in
antonio § 58, dlfalchio § 59, alchacio § 113); -layso in cod. 2,
das mit rücksicht auf das Verhältnis der glossenlesarten von
cod. 2 zu den in cod. 6 überlieferten in seiner entstehung von
-hisio der hs. 6 zu trennen ist, begreift sich als entstellung
aus durch ausfall von -a entstandenem *-lasin: substituiemng
von -0 für aus -n verlesenes -u (§ 4a. 3tf), Umstellung und
Schreibung von y für i (wie in rachym- § 174).
Theo- als erstes compositionselement der sich auf 'seruum'
oder 'maucipium' beziehenden glossen repräsentiert das eo des
glossators; dafür gelegentlich theu- mit u statt o (§ 4a). Für
die glossen des titeis XXV (XXXV etc.) wäre mit rücksicht
auf das ^ancilla' des textes ihiui- oder durch anlehnung an
ein Simplex (= ahd. diu, as. thiu, vgl Beitr. 16, 302) entstandenes
*thiu- vorauszusetzen; auf letzteres weist das überlieferte ma-
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Zu DEN MALBERQISCHEN GLOSSEN. 55—56. 323
terial hin: in vorläge X* stehendes, durch frühzeitige Schreibung
von eu für tu (§ 4a) entstandenes theu-, woraus (nach § 4a)
theo- in der vorläge X^ (vgl. die lesarten von cod. 1. 2); in
vorläge X^ übergegangenes theu-, woraus einerseits durch aus-
fall von th und Verlesung von a aus durch dittographie ent-
standenem u (§ 3 a. 2y) oder durch einschaltung von a (nach
§ 26) in cod. 7. 8. 9 überliefertes eua-, andrerseits in vorläge
X* theu", das in cod. 6 und Herolds zweiter hs. stehendes theo-
ergab, in der Heroldina z. t. erhalten blieb, z. t. durch eine
Zwischenstufe *tiu' (mit ti für the nach § 6ß und 4a) hindurch
zu ani' wurde (a durch Verlesung für ü nach §3^9, n durch
Verlesung aus u nach § 3:^, i durch doppelschreibung des zweiten
verticalstriches von u nach § 2/).
In der im cod. Yossianus nach dem ^Hilperici edictum'
stehenden Sammlung einiger Strafbestimmungen findet sich (s.
bei Hesseis s. 410, sp. 1, in Holders ausgäbe s. 47) zu *si quis
pedicam embolauerit ant retem aut nassam de naue tulerit'
then hisinia. Die glosse gehörte eigentlich als th€ulasin{{)a
(wegen des eingeschalteten i s. § 2(J) zu einem folgenden, bei
Hesseis als lxxxvi abgedruckten paragraphen 'si quis in-
genuns alieno nestiente domino negotiauerit u.s.w.' Siehe
noch § 106.
Als sich auf 'ingenua puella' beziehendes compositionsglied
ist das fri' von fribasina, -Uxfina zu identificieren mit as. frt
*frau' (vgl. auch frifastina etc. § 182); firilayso hat (nach § 2 c)
eingeschaltetes r, in frio lasia (Her.) ist die für /n- eingetretene
lesart nach § 5^3 zu beurteilen; fredolasio (cod. 6) geht mit aus
ol verlesenem d (vgl. § 30 scedo für *sc€olo) zurück auf *fr€0'
lolasio (oder -a), das wider mit dittographischem ol (§ 2y) und
e für t (§ 4 a) auf für vorläge X^ anzusetzendem frio lasia
beruht. Wegen -lasina als 'strafe wegen Verführung' be-
achte § 39.
§ 66, Zu *si uero (ingenuus) clauem (verschluss) effregerit
ant adnlterauit' (durch nachschlüssel eröffnet hat) steht in
cod. 6 anorlenet antheodio 68, 5, in cod. 9 norcMot 69, 3, in
cod. 2 antedio 65, 5, bei Her. antidio 70, 5, in cod. 7 anthedio
69, 3, in cod. 8 antheoco 69, 3 (entstellung aus anthedio, s. § 44).
Zu dem folgenden paragraphen 'si quis clauem efrigerit et
nihil ex inde deportauerit' ist in cod. 7 norchot 69,4, in cod. 8
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ä24 VAN HELTEN
norchlot 69, 4 fiberliefert. Die deutung von anorlenet, n(>rch(T)ot
hat Kern (K § 75) ermöglicht durch hinweis auf ahd, after-
sluzel adulterina clavis: norch(l)oi erklärt sich als durch schwand
von a, Verlesung von n aus u (§ Sji), das der glossator zur
dai-stellung von B verwante (§ 6(J), und ausfall von ^ in für
sc eingetretenem seh (§ 7«) aus *auorsdot entstellte lesart
(wegen der von Kern hervorgehobenen, bekanntlich auch im
ahd. as. aonfrk. amfrk. aisl. aschw. ags. und aofrtes. beg^nen-
den lautentwickelung scV) vgl. noch die im text der Salica
vorkommende, auf salfi*k. *sclüpan ^gleiten' = ag& slupan
zurückgehende euüehmmg praetcrsclupauerit 100, 2;^) anorlenet
entstand durch Verlesung der beiden n aus u, ausfall von $,
Umstellung von aus c verlesenem e (§ Sc), das weiterhin ein-
schaltung von e nach n (§ 2d) veranlasste. Ob dem salfrk.
'sclut oder -sclot zukam, also das o von 'Ch(l)ot oder das aus
n erschlossene u von der band eines Schreibers herrührt (§ 4a),
ist nicht zu entscheiden.
Indessen wäre selbständiges *(morsclot oder -sdut = *nach-
schlüssel' hier nicht am platz; das wort begreift sich nur als
mit '^ant(h)edi (§ 44) verbundenes compositionsglied, sodass
anomelet antheodio als repräsentant der alten vollständigen
lesart "^auorsclut- oder auorsclotani(h)edi = * erbrechung durch
nachschlüsser oder ^geldbusse wegen solcher erbrechung' (vgl.
§ 39) zu gelten hat, für norchlot von cod. 9 und antedio, antidio
von cod. 2 und der Heroldina ausfall eines compositionsgliedes
anzunehmen ist und in den über zwei Paragraphen verteilten
anthcdio, norchot von cod. 7, aniheoco, norchlot von cod. 8 die
disjecta membra der eigentlich zum ersten paragraphen ge-
hörenden glosse zu erblicken sind.
§ 57. Zu 'si quis seruus ... quod ualit (duos) dinarios
furauerit' steht im XII. titel fälcono 65.1b. Zu *si quis uero
0 Vgl. Braune, AM. gr. § 169, anm. 3. Gall^e, As. gr. § 154. Gloss,
Lips. 808 sclot (aonfrk.). Altmfrk. pealm. 3, 5 scHp, Beitr. 14, 290, anm.
Sieyers, Ags. gr. § 210, 1. van Helten, Aofries. gr. § 126. Man beachte auch
die roman. fremdwörter mit sd, sch^ wie afranz. esdo, esdencke ii.8.w.,
nfranz. esdave, ital. schiavo, schiaUa n. s. w. (s. Meyer-Lübke, Roman, gr,
B. 40), deren 8c- ausspräche das unhaltbare von Scherers Z6DS. 127 Tor-
geschlagener fassung der sc-schreibung dartnt.
•) Si quis (üterum de sagitta toxigata percutere uoluerü et praeter-
sclupauerit, d. h. 'gefehlt hat' eig. 'mit dem geschoss yorbeigegUlten ist\
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Zu DEN MALBERGI8CHEK GLOSSEN. 56--n57. 325
hominem ingenuum plagiauerit et uendiderit' im XXXVim.
(bez. LXVI. etc.) titel falconü 227, 5 (cod. 2), frio fdlcino 231,
Lxvi (cod. 8. 9), frio falchino 231, lxvi (cod. 7; also in der
speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9 eine lesart mit c und das ch
von 7 f ür c nach § 7«), frio faltouo 232,4 (Her.; das t fftr c
nach § 3(J, das tt für n nach § 3jr). Als bedeutung ist für
die glosse von tit. Xu 'diebstahl' oder 'diebstahlsstrafe' (vgl.
§ 39), für die andere *raub eines freien' oder 'dafür zu ent-
richtende strafe' anzusetzen (wegen frio 'eines freien', das in
cod. 2 durch ausfall fehlt, vgl. § 67). Kern vergleicht (K § 203)
ahd. feigen (tmkta), das durch 'uindicare, cognoscere (conjugem)'
sowie durch 'privare, subtrahere' übersetzt wird und dessen
salfrk. existenz (in der form * folgen und in der bedeutung
'rapere, tollere') indirect durch die glossenlesarten alfalchio
(§ 59) und affaltliecha (§ 70) bezeugt wird. Indessen Hessen
sich die obigen glossen mit rücksicht auf das -o- der lesarten,
gegen deren autorität das vereinzelte */aZc(A)mo nicht auf-
kommen kann, nicht ohne weiteres mit solchem "^folgen ver-
einigen. Man müsste ein neben dem ja-verbum stehendes
ö*-verbum annehmen (nach art von ahd. manön neben men-
{n)an *), as. niuson neben niusian, mhd. roüben neben reuben\
wozu ein verbale fälgon, nach des glossators Schreibung (§ 6^)
falchon, woraus mit lat. -o (§ 5«) falchono, das zufälligerweise
sowol in tit. XII als in tit. XXXVim (LXVI etc.) durch aus-
fall von 7* (§ 6ß) falcono ergeben hätte (falconü mit -ü für -o
nach § 5a; fakino mit i statt des für o substituierten u nach
§ 2j3 und 4 a). Das eine und das andere wäre natürlich denkbar.
Doch dürfte auch die berechtigung einer anderen fassung nicht
zu leugnen sein, die uns der annähme besagter Zufälligkeit
überheben würde: salfrk. zu lat. plagiare stehendes *falcun
'rauben', das sich indirect aus unseren glossen durch falto für
*falco 'beraube' belegen lässt (§ 134) und dessen für das germ.
0 ^gl* ausser den bei Graff citierten belegen noch (gt)menen inf.,
gimemt 3. sg. praes. ind. in der ahd. Übersetzung der Salica (Hesseis s.xliv).
Der salfrk. refiex desselben (mit nicht nmgelantetem a, vgl. § 36) liegt
natürlich dem bekannten lehn wort man(n>'re ^vorladen' (wegen der belege
s. Hessels^ index) zu gründe; dass aber die gallorom. lesarten mit n und nn
nicht mit den zweierlei regelrecht entwickelteUi n und nn enthaltenden
sal&k. flexionsformen in Zusammenhang stehen, ergibt sich aus §4^.
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VAN HELTEN
anzunehmende existenz in ahd. falcho 'falke' eig. 'räuber' eine
stutze fände.
Aus in tit. XII nur in cod. 2 überliefertem faleono ergibt
sich die folgerung, dass die glosse aus vorläge X^ (vgl. § 1^
und 188) nicht in vorläge X^ übergegangen und in vorläge X^
vorhandenes falcatw in cod. 1 durch ausfall fehlt
§ 58. Im 1. Paragraphen von titel Xm (bez. XHU) stdit
zu 'si tres homines ingenna(m) puella(m) de casa (aut de
screonaO) rapuerint' mabantania cod. 2, antomia cod. 6, an-
tonio cod. 7. 8, anthonius cod. 9, authumia Her. Nach Kerns
Vermutung (E § 78) wäre hier anUania, amtonia, amtonio als
acc. sg. zu amtani, amtoni zu lesen und dem subst, dem
eigentlich eine bedeutung 'ancilla' zukäme, die bedentung
'girl or woman skilled in handiwork' beizumessen. IL e.
könnte man aus des glossators feder geflossenes *anUMcktunia
(§ 54), unter berufung von ahd. dioma 'dienerin' und 'mädchen,
Jungfrau', as. thiornä 'Jungfrau' und salfrk. *thiu 'mädchen'
(§ 89), einfach als die entsprechung von 4ngenua(m) padla(m)'
des textes fassen. Wegen der entstellungen beachte: durch
ausfall von back und verschreibung von n für m oder falsche
auflösung von a entstandenes, für die vorläge X> (vgl. %lß
und 188) vorauszusetzendes ^antunia, woraus durch Verlesung
von a aus u (§ 3 a) die dui*ch vorläge X^ vermittelte lesart
von cod. 2, durch Schreibung vdn o statt u (§ 4 a) für die vor-
läge X^ anzunehmendes *anionia, das einerseits durch sub-
stituierung von -0 für -a (nach dem muster der in den glossen
überaus häufigen endung -io\ beachte § 5a und vgl. -lasio § 55,
alfalchio § 59, aUhacio § 113) für die specielle vorläge von
cod. 7. 8. 9 anzusetzendes antonio ergab (woraus anthonius von
cod. 9 mit ^A für ^ nach § 7a und -us für -o nach § 5a), andrer-
seits in vorläge X* durch Schreibung von m für n (§ 2/) zu
antomia wurde (woraus authumia der Heroldina mit u für »
nach § 3jr und th für l nach § 7 a).
In mal0 von malsiantania steckt altes *smaigia oder -e =
'puella(m)' (§ 91). Es stand demnach in der vorläge X' eine
doppelglosse (vgl. § 16 am schluss), die der Überlieferung zu-
folge in vorläge X^, nicht aber in X» übergieng.
0 Vgl. § 101.
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Zu DEN BIALBEBQISCHEN GLOSSEN. 57-^9. 827
Im correspoudierenden Paragraphen von cod. 1 fehlt die
entsprechung der erläuterten glosse; es findet sich daselbst
den anderen hss. abgehendes schodo 64, 1 c, das auch noch an
anderer stelle, nämlich 361, 1, begegnet. Der umstand, dass in
den beiden betreffenden paragraphen von einer strafe die
rede ist, die jeder einzelne von einer mehrzahl schuldiger zu
entrichten hat (vgl. 'si tres homines ingenuam puellam rapue-
rint ... tricinus sol. cogantur exsoluere' tit. XIII. — *Quod si
ille dic^re noluerint, septem de illos rachineburgios . . . sol. III
. . . (sinffult) culpabiles iudicentur' 361, 1), lässt auf ein ^Sonder-
busse' bezeichnendes, als prädicat zu 'sol.' stehendes schodo
schliessen, dessen etymologie mir dunkel ist: sdiod oder scJ^d
(mit altem o) oder sdiöd (mit altem au, vgl. § 4f?) + lat. -o?
[Die Übereinstimmung der gegenseitig unabhängigen lesarten
verbietet die annähme von entstellung bez. aus scJiolo (K § 77)
und sdioto (K § 255).] Aus schodo von cod. 1 neben malzan-
tania von cod. 2 geht das Vorhandensein der beiden glossen
in vorläge X^ und X^ hervor; aus dem fehlen von schodo in
cod. 6. 7. 8. 9 und der Heroldina ergibt sich, dass die glosse
nicht in vorläge X^ übergegangen war.
§ 59. In einem anderen paragraphen des XIII. titeis,
worin ebenfalls von mädchenraub ('si uero puella ipsa de intro
claue aut de screona rapuerit') die rede ist, findet sich statt
der § 58 besprochenen glosse alteofaltheo 77, 5. Der zweite
teil derselben erinnert an den in affalthecha steckenden opt.
*affalcfiie oder -a == 'tollere uoluerit' (§ 70) und an das 55, 1
erscheinende, sich auf 'furauerit' beziehende alfalchio (vgl. § 51),
für welches Kern (K § 67) das oben (§ 57) erwähnte ahd,
feigen subtrahere, privare heranzieht und das mit <dr für af-
durch assimilierende Schreibung (nach § 2e) und -io für -ia
(wie in "^anthonio u.s,w., s. § 58) auf altes *affakhm = 'fu-
rauerit' zurückgeht (wegen des -a vgl. § 79, wegen des tempus
§ 8). Diesem -falchio könnte faltheo (mit t für c und e für i
nach § 3d und 4a und mit -o für -a) = 'rapuerit' des textes
entsprechen. Doch wäre, indem hier nicht, wie bei alfalchio,
eine fassung der glosse als verbum absolut geboten ist, auch
eine andere möglichkeit ins äuge zu fassen: die Verwendung
von altem *falchi (d.h. *falgt)j woraus faltheo (mit -o nach
§ 5 a), als verbale, das entweder den frevel oder die dafür zu
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328 VAN HELTEN
zahlende busse (vgl. § 39) bezeichnete. Siehe noch § 166. Für
alteo möchte man die annähme von aus ^smaldia 'mädchen(s)*
(acc. sg. oder gen. sg.) hervorgegangener entstellung geltend
machen: ausfall von sm (indem das äuge des copisten sich bei
'mal' smakha seiner vorläge vom ersten cd nach dem zweiten
verirrte), Verlesung von t aus c (§ 3(J) und substituierung von
-eo fär -a nach dem muster von falikeo (§ 2e; oder etwa schon
alcheo oder dlthio oder cUchio dui*ch fal6heo etc.?); dann aus-
fall von A (§ 6i9).
Das alteo faltheo ist nur in cod. 6, der betreffende paragraph
nur in cod. 6. 5 und 1. 4 überliefert: also Übergang der glosse
aus vorläge X^ (vgl. § 1/3 und 188) in vorläge X' und aus di^er
in vorläge X^; ausfall des Paragraphen nicht nur in der spe-
ciellen vorläge von cod. 7. 8. 9, sondern auch in der Heroldina.
§ 60. Der freie, der eines anderen 'ancillam' zur frau
nimmt, begibt sich dadurch seiner Stellung eines freien mannes.
Zu dem pai*agraphen dieses Inhalts steht die glosse honema
77,9 (cod. 6), bonimo 78,7 (cod. 7. 8. 9), Jwnomo, onemo 79,11
(Her. text und var.), die Kern (K § 80) reconstruiert als äiV
(aus hiwa- conjux) -nemo 'a taker'. So erhielte man zwar ein
wort, das dem *in conjugium praeserit (priserit etc.)' des textes
in etwa entspräche, würde jedoch einen den eigentlichen Cha-
rakter der besagten tat bezeichnenden ausdruck vermisssen.
Die tat ist eine solche, die schände über den ehemann bringt,
und dies dürfte ein salfrk. *honithu (d. h. *könithu = ahd. hö-
nida] wegen des regelrechten -u vgl. Beitr. 17, 288 f.) pai^end
widergeben; daraus durch Verlesung von m aus th (§ 3ö) für
vorläge X^ (vgl. § 1/9 und 188) anzusetzendes *honimu, das einer-
seits durch Verlesung von 6 aus h (§3/) und substituiemng
von '0 für -u (vgl. § 89. 93. 119 zu chascaro, uertico eto, iido
etc. sowie § 49.* 81. 134 zu ii(t)o, thoouerpo etc., *ferÜio mit -o
für 'U als dativ- bez. instrumentalendung) in der speciellen
vorläge von cod. 7. 8. 9 vorhandenes bonimo, andrerseits für
vorläge X* anzusetzendes "^honemu (mit e für i nach § 4 c)
ergab, woraus honema von cod. 6 mit -a für -u (§ 3 a), onemo
in Herolds zweiter hs. mit o- für ho- (§ 67) und -o für -n,
honomo der Heroldina mit 0 f ür e durch assimilierende Schrei-
bung (§ 2e) und -o für -u.
'Si quis litam alienam ad conjugium sotiauerit . . . soL xn
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zu DEN MALBEBGI8CHEN GLOSSEN. 59—61. 329
culp. iud.' So 77, 10, wozu ein die tat oder die dafür zu zah-
lende busse (vgl. § 39) bezeichnender ausdruck, der als anfamia
tiberliefert ist. Indem a für w, /"für s stehen kann (§ 3a und x)
und mhd. scJietne ^ schäm' (aus *scamt) auf die möglichkeit eines
salfrk. abstractums *scaml hinweist (wegen des a vgl. § 36),
möchte man hier, ausser den erwähnten entstellungen noch
ausf all von c annehmend, einen prototypus *unscami erschliessen,
dem eine aus 'Schamlosigkeit' (vgl. mhd. mnd. unscheme 'scham-
losigkeit*) entwickelte bedeutung 'Verletzung der eigenen ehre'
bez. 'dafür zu entrichtende strafe' eigen war. Für den sonst
ungewöhnlichen antritt von lat. -a (vgl. die § 5a verzeichneten
belege mit -io) ist wol der gedanke an infamia verantwortlich
zu machen, das wahrscheinlich auch zum teil die entstellung
der ursprünglichen lesart beeinflusste. Die glosse steht nur in
cod. 6, der betreffende paragraph ausserdem nur noch in der
Heroldina, wo die aus vorläge X^ in X^ übermittelte glosse
durch ausfall fehlt.
§ 61. Ein anderer paragraph des XIII. (bez. XIV.) titeis
handelt von der entführ ung von und heirat mit einer 'sponsa
aliena'. Die dazu überlieferte glosse heisst aniedio 74, 6 (cod. 2),
anestet 77, 12 (cod. 6), andrateo, andratkeo, atidratho 78, 5 (cod.
7. 8. 9), ana stheo 79,8 (Her.). Kern führt (K § 82) die ver-
schiedenen lesarten auf verschiedene prototypen zurück: auf
antedio (= as. anthehtt), aneftet p. p. zu *aneftian (= anehtian),
denominativ zu anaßi (= as. anehti), andras theo (mit theo als
bezeichnung für 'puella'), anafteo, d. h. an afteo (= as. an ehti)
oder anafteo adj. (= as. an ehti). Doch wäre diese ausnähme
(andere Schwierigkeiten noch ungerechnet; vgl. u. a. betreffs
eines as. adjectivs anehti Germ. 11, 211 und Sievers' anmerkungen
zum Heliand s. 509) wegen des oben § la erschlossenen nicht
unbedenklich. Dass es aber möglich ist, auch ohne dieselbe
durchzukommen, lässt sich, wie ich glaube, bei anknüpfung an
eine von Kerns deutungen wahrscheinlich machen.
As. an ehti (mit ehti als dat. sg. zu eht = ahd. eht, ags.
ceht 'besitz') steht in Verbindung mit dem gen. des den bräu-
tigam oder gatten bezeichnenden Substantivs (sithor siu man-
nes uuarth erlas an ehti Hei. C 508; thiu err stnes bruother
uuas idis an ehti ib. 2707) = 'in (durch Verlobung oder heirat
erwirktem) besitz'. Mit rücksicht hierauf wäre salfrk. *andras
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330 VAN HELTEN
(wegen dieser genitivendung vgl. § 119) an ekti = *m (durch
Verlobung erwirktem) besitz eines anderen' = 'sponsa(m)
aliena(m)' des textes anzunehmen. Daraus ffir vorläge X^
(vgl. § 1/} und 188) anzusetzendes *andras an echtio (wegen
der Schreibung ch vgl. § 6ß; wegen des antritts von lat -o &
§ 5 a), das durch ausfall von andras in vorläge X^ stehendes
*anechtio ergab, welches ein copist, indem er sich des kurz
zuvor dreimal geschriebenen antedio 65, 3. 4. 5 entsann, in
antedio änderte. Durch assimilierende Schreibung (§ 2^) und
Umstellung von ht konnte aus "^andras an echtio ein *andras
an acthio hervorgehen, das als in vorläge X^ vorhandene les-
art die entstehung der in cod. 6, der Heroldina und cod. 7.
8. 9 überlieferten lesarten begreiflich machen dürfte: einerseits
durch ausfall von s ana (das äuge des Schreibers verirrte sich
vom zweiten a nach dem vierten) in einer zwischen X' und
der näheren vorläge von cod. 7. 8. 9 liegenden vorläge (X^?)
stehendes *andracthio, das durch ausfall von e und Schreibung
von ß für e (§ 4 a) andratJ^o der speciellen vorläge von cod.
7. 8. 9 ergab; andrerseits durch ausfall von andras (das äuge
des Schreibers sprang vom ersten an auf das zweite über),
Verlesung von s aus c (^Stj) und substituierung von e für i
für die vorläge X^ anzusetzendes anastheo, das in der Herol-
dina als ana stheo überliefert wurde, duixh assimilierende
Schreibung von e für a (durch anlass von e der folgesilbe nach
§ 2b\ ausfall von h (§ öjS) und assimilierende Schreibung von
^ für 0 (durch anlass von voranstehendem t) das anestei von
cod. 6 ergab.
§ 62. Zur bezeichnung des freveis 'si quis puella sponsata
dructe ducente in uia adsallierit' oder 'der deswegen zu ent^
richtenden strafe' (vgl. § 39) diente aus der Überlieferung
gaugie altho 77 j 14, gauge€{h)aldo 78, 6, changiduddo 79, 10
herauszuschälendes ^gangidwM + lat. o (§ 5 a; die erste lesart
mit u f ür n, 6 für c aus cA nach § 3;r. s und 6/3, die zweite
mit ti für n und 6 für i nach § 4a; wegen der anderen ent-
Stellungen s. § 2£), das Kern (E § 84) mit ahd. gang processio
und halda impedimentum in Verbindung bringt (wegen ck als
Schreibung für % s. § 6^). Näher ständen noch an. gengi ^ger
folge, begleitung' (wegen des nicht umgelauteten a vgl § 36)
und mhd. halt 'hinterhalt'. Grimms chaugichaidan 'zum hahnrei
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zu DEN MALBEBOISCHEK GLOSSEN. 61—63- 331
machen' (M xxxv) steht auf zu schwachen fassen, um beachtung
zu verdienen.
§ 63. Das zuerst im 1. Paragraphen des titeis XIV (bez.
XV etc.) erscheinende mosido mit Varianten begegnet in der
folge des öfteren und zwar in der composition sowie als simplex:
mosido 78, 1. 87, 2. 3. 388, 2, mosedo 79, 1. 88, 3, teo-, theu mo-
sido 203,2 b. 5 b. 205,6, cheo mosido 349,1b, frio, fhrio, prio
mosido 87, 5, freomosido 347, 1 b. 392, 2, teö-, then friomosido
203, 6. 7. 205, 5, mosdo 106, 11, chreo mosdo 88, 5. 10, theu nosdo
205, 2b (§ 2ß)j modi und mohsoi^) 204, 2, letus modi 204, lviiil
— musido 77, 1. 78, 1 var. 86, 3. 87, 2 var. 3 var., theomusido
203,3b, chreu musido 86,8, musdo 199,2b. 200,2b, kciim
musdo 200,3b. — murdo 74,1. 83,2.3.2) 101, 9, 3) friomurdum
83, 7, nurdo 104, 11 (§ 2ß\ cre{h)0', cJireomardo 348, Ib (§ 3 a),
freomundo 86, 10 (§ 3ö).
In allen den betreffenden paragi*aphen ist die rede von
der beraubung einer lebenden oder toten person (vgl. 'ex(s)po-
liauerit', 'expoliare tentauerit' im texte; wegen der ersten
compositionsglieder s. § 55. 67. 124. 155). Kern bestreitet
(K § 86) Grimms ansieht (M xliv), nach welcher die lesarten
mit s die salfrk. foim repräsentieren dürften, und beruft, indem
er die lesart mit r als die der ursprünglichen näher stehende
gelten lässt, ahd. mord, as. morth etc., deren salfrk. reflex er
nach der für das mnl. (und mhd.) mord bezeugten bedeutung
'missetat' als 'a heinous crime' fasst. Indessen: die lesarten
mit s erscheinen in fast erdrückender majorität; 'missetat'
entspricht nicht dem 'ex(s)poliauerit'; und den berufenen ahd.
as. und anderen formen müsste in unseren glossen eine lesart
mit th bez. t entsprechen (vgl. § 142). Ich möchte deshalb
der Grimmschen fassung das wort reden, d. h. an die von
^) So in der hs. nach einer freundlichen mitteilnng von prof. Jnng in
St. Oallen. Merkel las hier möhso, Hesseis moh,
*) So Hesseis und Merkel. Holder liest im 3. paragr. muBdo. Das
murdo Yon 83,3 begegnet in cod. 2 in einem Paragraphen, der in den
anderen Codices der ersten familie fehlt und als in eine vorläge von cod. 2
eingetragener znsatz zn gelten hat (vgl. Behrends bemerknngen zu diesem
paragr. nnd zum 2. d. h. Wolfenbütteler cod. in Zs. f. rechtsgesch. 13, 18 a
und 26); die glosse ist aus dem vorangehenden paragr. entnommen (vgl.
§ 71 m aitkifaOuo).
^ So Hesseis und Merkel. Holder liest musdo.
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332 VAN HELTEN
Kern erwähnte aind. wurzel mush 'stehlen' anknüpfend und die
majorität der lesarten mit o in der Wurzelsilbe berücksich-
tigend, salfränkisches, in betreff der endnng mit ags. hdmed
coitus zu vergleichendes *niösid ansetzen, woraus mit lat -o
(§ 5a) mosido = 'beraubung' oder 'strafe wegen beraubung'
(vgl. § 39); daneben die lesart musido mit u für o (§ 4 a);
mosdo, musdo durch ausfall von i; murdo mit r für « (§ 3r);
murdum mit -um für -o (§ oa); mardo, mundo (s. oben); modi
(cod. 7), mohsot (cod. 9) in 204, 2 und im zweitfolgenden Para-
graphen, 204, Lviiii, letus modi (cod. 7. 8. 9), deren entstehung
sich folgendermassen erklärt: beim nachschi^eiben von in einer
aus X3 (vgl. § IjS und 188) hervorgegangenen vorläge (X^?)
stehendem, für mosido eingetretenem *modiso + 'sunt' des
textes sprang das äuge des copisten vom ersten s auf das
zweite über, sodass in der speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9
modi 'sunt' entstand, das einerseits durch aus&Il von 'sunt'
das modi von cod. 7, andrerseits durch substituierung von k
(nach § 6y) für aus di verlesenes ch (§ 3«) und Verbindung
der glosse mit für 'sunt' verschriebenem sot (vgl. § 4a und 2jy)
mohsot ergab; nach modi dieses Paragraphen wnrde in der
näheren vorläge von cod. 7. 8. 9 das zum zweitfolgenden Para-
graphen stehende mosido in modi geändert.
Cod. 1 hat im 1. Paragraphen des XIV. titeis kein mwrdo
oder ähnliches, sondern anthi falthio, dessen letzter teil zu
dem unten § 66 zu besprechenden *- falthio '-angriff' gehört
und sich demnach auf im texte ('si quis hominem ingennum
in superuentum expoliauerit') stehendes 'in superuentum' be-
ziehen muss. Das wort ist mithin als dat-instrum. sg. auf -i
(d.h. -t) + lat. 0 (§ 5a) zu fassen. Kögel äussert (Geschichte
der deutschen lit. 2,421) den glücklichen gedanken, dass in
dem anthi' unserer glosse der reflex von in altbair. endiliu
frons und Isidorschem anthlutte überlieferter präposition vor-
läge. In der tat ist die existenz von sich (wie got impa-,
ags. üö-, oö' zu got. afries. und-) zu got. a& ags. and- ver-
haltendem anthi' y anth- auch sonst zu belegen, nämlich durch
antesalina (§ 152) und anüvmallus (§ 185); vgl. noch § 71 zu
althifathio etc. und § 95 zu anüiamo etc. Nur ist für cmihi-
falthio (wie für *anthisaUn und "^anlMefa § 152 und 71) zu
beachten, dass, indem im salfränkischen der durch die glosseu
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Zu DEN MALBER6ISGHEN GLOSSEN. 63—64. 333
Überlieferten Periode das th nach nebentonige silbe auslauten-
dem nasal erhalten blieb, nach yoUtonige silbe auslautendem
n zu d wurde (s. § 70 am schluss), hier statt anthi- ein andi-
zu gewärtigen wäre; dass also die Überlieferung auf entlehnung
der präpositionalform aus dem verbalcompositum in das nominal-
compositum hinweist. Wegen des a von anthi- vgl. § 36.
Der Überlieferung unseres Paragraphen zufolge enthielt
also vorläge X» zwei hierzu gehörige glossen, die auch in vor-
läge X^ nbergiengen, von denen aber nur die eine in cod. 1,
nur die andere in cod. 2 erhalten blieb; in vorläge X^ wurde
nur die den frevel oder die strafe bezeichnende aufgenommen.
§ 64. Der deutung der glosse alachtaco 83, 5 (cod. 2),
aUata älchatheocus 86, 4 (cod. 6), alachra et hii, alagrß et hü
(erstere lesart in cod. 7. 8, letztere in 9), alacfacis 88, 4 (Her.),
die ausser in 83,5 mit folgendem uia lacina verbunden steht,
ist eine erörterung des betreffenden paragraphen vorauszu-
schicken.
Si quis hominem qui alictibi migrare disponit et habet prae-
ceptum (de) rege et habundiuet se in mallo pMico, et aliquis
ei extra ordinationem regis restare aut adsdllire presummit . . .
sol CC culp. iud. So nach cod. 6, wo jedoch irrtümlich restare
steht an stelle des in cod. 1. 2. 3. 4. 5. 7. 8. 9 überlieferten tes-
tare, wegen dessen Verwendung (cum dat. personae) für * einem
unter Zuziehung von zeugen die anf orderung stellen, seiner
rechtspflicht nachzukommen' man tit. XLV der Salica nach-
sehe (in der Heroldina ist das aus der vorläge X*, vgl. § 1 /J
und 188, stammende ei restare geändert in eum restare facit,
das indessen auch keinen passenden sinn gewährt). Wegen
der bedeutung des 'praeceptum regis' für den betreflfenden fall
vgl. Schröder, Zs. der Savigny-stiftung 2, 62 ff. und im Lehrb.
der deutschen rechtsgesch. s. 206, anm. 39. Was ist hier mit
habundiuet se {abbundiuit cod. 1, äbundiuit cod. 2, sibi habun-
dauit cod. 3, se dbmundiuit cod. 4, habundiuet cod. 5, se dlun-
diuit cod. 7, se habundiuit cod. 8. 9, aliund^ ierit bei Her.; in
der L. emend. fehlt das wort) gemeint? Hesseis bemerkt dazu
im index; *the origin and the meaning of this word are alike
unknown'. Bei Ducange fehlt das wort überhaupt. MüUen-
hoff (bei Waitz, Das alte recht der sal. Franken s. 276) fasst
dasselbe als ein derivatum zu germ. bundi, dem er die bedeu-
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334 VAN HELTEK
tung 'praeceptum regis' beimisst, 'weil dieses auf einer fascia,
einem streifen, bundi, geschineben stand'; das yerbnm sollte
demnach 'das praeceptum regis vorzeigen' bedeuten. Die be-
rechtigung solcher fassung dürfte mit rficksicht auf das pro-
blematische bundi 'praeceptum regis' zweifelhaft erscheinen;
ihr widerspricht ganz entschieden das unser verbum in den
meisten h^. begleitende reflexiv. Ich möchte darum vor-
schlagen, hier an ein wirklich bezeugtes wort anzuknfipfen,
nämlich an got. gahundi (« d-stamm) ovvÖBOfiog und dessen dem
ahd. gebundilt, gibuntiUn f a&ciculus, ligatura zu gründe liegen-
den reflex: zu hiemach mit abstracter bedeutung 'bfindnis,
gemeindeverband' anzusetzendem salfrk. *bund (flect. -ia u.s.w.)
Hesse sich ein mit *at' componiertes, reflexives denonünativ
*a(bundian = 'sich dem gemeindeverband anschliessend ver-
muten (vgl. mhd. zu verbunt gebildetes sick verbunden 'sich
einem bündnis anschliessen'), das bei aufnähme in die gidlo-
roman. gerichtliche terminologie zunächst reflexives *adbundirt
(lat. ad- durch substituierung für *-aO ergab, woraus se ah
(b)undire (durch assimilierung, wie in abbibere, abbreviare aus
adbibere, adbreviare, s. Duc. i. voce.; wegen b für bb vgl. § 4C,
wegen ha- und wegen -et für -it obiger belege § 4<J und «).
Dass die jüngeren Schreiber, wenigstens zum teil, den ausdniek
nicht mehr kannten, ergibt sich aus der gelegentlichen aus-
lassung des reflexivs bez. der ersetzung von se durch sibi
sowie aus den entstellungen alundiuit mit l für b (nach § 2^),
aliunde ierit durch Verlesung von li aus b (vgl. § 48 zu a& in
dl) chratis etc.), abmundiuH mit durch dittographie und Ver-
lesung (nach § 3§) entstandenem m; das -auü von cod. 3 be-
ruht wol auf identiflcierung des verbums mit abundare.
Der in unserem paragraphen gemeinte frevel wäre dem-
nach zu fassen als das widerrechtlich oder gewaltsam an der
ansiedlung hindern einer person, die von des konigs wegen
die berechtigung zur ansiedlung erhalten und sich in öffent-
licher gerichtsversammlung dem gemeindeverband angeschlos-
sen hat.
Was nun die oben angezogene glosse betrifft, so lässt sidi
unschwer aus der Überlieferung von cod. 6. 7. 8. 9 und der
Heroldina auf in vorläge X^ (vgl. § 1^ und 188) stehendes
*alachtechus schliessen: cMiatheocus mit cha ffir adh, th für *
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zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 64—65. 335
(§ 7 a), eo ffir «* (§ 4 a), das sein u aus dem u der folgesilbe
erhielt (§ 2d), c für ch (§ 6/9); davor stehendes alcata \mit c
für ch und durch a der vorangehenden silbe hervorgerufenem
a für e (nach § 2^) aus dittographischem *alchate', dlaohra et
hü mit r für t (§ 3v), ac als lat Schreibung für e (s. § 37,
anm. 1), ^ für c (§ 3d) und -n aus -u, nach welchem ä weg-
gefallen war (wegen jf aus c ffir cä in alagra vgl. § 4/); alac-
facis mit e für cA, durch einwirkung des zum nächstfolgenden
Paragraphen stehenden alac falthio 88, 1 (vgl. § 66) für te ein-
getretenem fa (vgl. § 25) und verschreibung von t für w (§ 2^).
Für die Überlieferung von cod. 2 wäre als Vorstufe das näm-
liche "^alachtechus denkbar, das dann bereits in vorläge X^
gestanden hätte: a der dritten silbe von alachtaco durch assi-
milierende Schreibung für 6 (§ 2«), c für ch (§ 6/3), -o durch
substituierung der normalen endung (vgl. § 5 a) für -t«5; doch
wäre hier auch eintritt möglich von a für i, das dem e der
lesart von vorläge X^ zu gründe gelegen, sodass die lesart von
vorläge X« *alachtichtis gewesen wäre. Im einen aber wie im
andern fall dürfte, auch mit rücksicht auf die häufige Ver-
lesung von u aus a (§ 3 a), altes ^alamachtichas anzusetzen sein
(ausfall von ma, indem das äuge des copisten vom zweiten a
auf das dritte übersprang), d.h. ein zu ^alamachttch gehören-
der, substantivisch verwanter, zum prototypus von uialacina
'(strafe wegen) Verhinderung an der ansiedlung' (§ 65) stehen-
der gen. sg. masc. = * eines völlig (zur ansiedlung) berech-
tigten'; vgl. mnd. mechUch *die befugnis habend, berechtigt'
und wegen salfrk. composition mit aki' 'völlig' § 105 zu a2a
chescido etc., § 107 zu alathamo etc., § 113 zu *alachaUia\
wegen des nicht umgelauteten a vgl. § 36, wegen ch als Schrei-
bung für Ä und g beachte § 6/9, wegen -as als genitivendung
§ 119. In cod. 2 fehlt uialacina durch ausfall.
§ 65. Das § 64 erwähnte uialacina begegnet auch sonst
(zum teil in Verbindung mit voranstehendem orhis, urbis): urbis
(bez. urV) uia lacina 123, xxvim. 124, 2 und urbis uia laeyna
>) Aus dem erörterten ergibt sich, dass Eögels fasstuig: (Geschichte
der deutschen lit. 2,422) alchatheocus (ans aiaehtheodius) = 'eines ge-
schützten mannes' schon mit rücksicht auf den inhalt des paragraphen un-
zulässig ist; auch dürfte die annähme von alach 'schütz' = got. alhs
'tempel' bedenken erregen.
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336 VAN HELTEN
122, 3 (cod. 6) za ^si qais scliisam de farinario alieno raperit'
(sodass das wasser die Umgebung Überschwemmt); orbis uia
iagina 158, 23 (cod. 6) zu 'si quis uero clausuram alienam
deruperit'; uialacina 181,1b (cod.l). 182,1b (cod. 2). 186,1b
(cod. 7. 8. 9). 187,1b (Her.) und uidUunna 185,1b (cod. 6) zu
'si quis baronem (ingenuum) de uia sua ostauerit aut impin-
xerit' (zu diesem paragraphen steht die glosse auch als Über-
schrift; über dem keine glosse enthaltenden paragr. yon cod.
3. 4. 5 findet sich uia Ictcina bez. uia laidna mit ai ffir a nach
§ 26 und uia laaina mit e, wie in cod. 6), uia lacina 186,2b
(cod. 7. 9), urMs uia lacina 187,2 b (Her.), machina 181,2b
(cod. 1), mdllacina 182, 2 b (cod. 2) (woraus ffir vorläge X^, vgL
§ lj9 und 188, durch Verlesung von tn aus ui, vgl. § 3|, ent-
standenes *mdlaeina zu folgern ist, das einerseits durch ausfall
von la und Schreibung von ch für c, vgl. § 7 a, madiina, andrer-
seits durch doppelschreibung von l, vgl. § 4C, mallacina ergab)
und orbis uia kusina 185,2b (cod. 6) zu 'si quis mulierem (fe-
minam) ingenua(m) de uia sua ostauerit aut impinzerit'; urbis
uia lacina 185,3b (cod. 6) und 187,4b (Her.) zu 'si quis uiam
quse ad farinarium ducit clauserit'.
Dass der erste teil des Wortes aus *t€ega' latinisiertes via-
enthält, haben Grimm (M viu) und Kern (E § 88) erkannt
Das consequente auftreten von solchem uia- in den glossen
erklärt sich aus dem umstand, dass die Schreiber (wenigstens
die älteren) einen in die galloroman. gerichtliche tenninologie
aufgenommenen ausdruck uialacina mit im romanischen
munde entstandenem uia- kannten (vgl. unten) und denselben
für die salfrk. glosse substituierten (wegen eines gleichen ver*
fahrens vgl. § 20. 141). Als die ursprüngliche lesart des zweiten
compositionsgliedes nimmt Kern (§ 88. 122. 144. 173) eine form
mit t an, die er im hinblick auf afries. weimeringa Verkehrs-
hemmung', wcischeUinge 'wegessperrung' und weiwendene *ver-
kehrshinderung' zu got. latjan^ as. Uttian gehörend erklärt.
Indessen, das überlieferte material weist auf eine alte form
mit c hin, das sich ebenfalls, mit nur seltener ausnähme, in
den belegen für den galloroman. terminus widerfindet. Eben
mit rücksicht auf diese tatsache ist auch Grimms (schon von
Kern eines anderen grundes wegen abgewiesene) deutnng =
wigdlageins ^wegelagerung' nicht zulässig. M. e. ist hier an
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zu DEN HALBBBGISCHEK GLOSSEN. 65—66. 837
mnL mnd. lak, awfries. leck ' Vitium, mangel, fehler' (wozu mnl.
laken contumelia affleere, vituperare, mnd. laken vituperare,
awfries. leckia, lackia 'schelten', s. Beitr. 19, 348 f.) anzuknüpfen:
salfrk. *lah yitium, woraus '^ldl^)ian (in der überlieferten Pe-
riode mit -en, vgl. § 9 zu -6 aus -ia); dazu ein verbale *2a^fn
(wegen des a vgl. § 36), vom glossator geschriebenes ^-laän,
das durch antritt von lat. -a (§ 5 a) zu -laäna entstellt wurde.
Als die ursprüngliche bedeutung des compositums hätte dem-
nach 'Wegesbeschädigung' zu gelten, woraus 'verkehrsverhin-
derung' bez. 'Verhinderung von ansiedlung' (vgl. § 64) oder
'dafui* zu entrichtende strafe' (vgl. § 39).
Statt ci hat cod. 6 an fünf heimstellen ay bez. zi (ci nur
86,4. 185,3b); ebenso cod. 5 in der Überschrift von 185,1b;
vgl. auch das kusina der rubriktafel in cod. 6. 5 (Hesseis s. xxv);
die abweichende Schreibung begreift sich als die folge einer
Verlesung von g bez. gi (für c bez. d vgl. § 4/ und Sg)) im
nicht mehr verstandenen wort.
Als galloroman. terminus erscheint das wort mit -a und
-ta in folge von latinisierung der form des nom. acc. (auf -in)
und der form der flectierten casus (auf -tni): uioB laäna Emend.
188, Ib, uia latina Sept. causas 424, sp. 1 (mit t als Verlesung
aus c), uicB lacinia(m) Emend. 188, Ib var. 89, 4, cod. F. G. H der
S.fanülie 186,1b (als varr. die entstellungen uice laüniae, nie
lacinei); auch in der L. Ribuaria viae bez. via lacina, -ae, -iae
und laeina LXXXTT e codd. B.^
In orbis, urbis (s, oben) erblickt Kern (K § 122. 173) die
resultate latinisierender entstellung von toarbis, wurbis 'der
ho&telle' bez. wibis (d. h. lotbis). Durfte man hier etwa unter
berufung von mnd. i€erf 'geschäft' und gothairban, ahd. htcerban
ambulare salfrk. *huerde8 ' Verkehrs' vermuten, das pleonastisch
mit *uegaladn verbunden wäre? So würde die annähme von
zwei Prototypen und von anstoss erregender Verbindung eines
'der hofetelle' bezeichnenden genitivs mit 'verkehrsverhinde-
mng' ausdrückendem nomen vermieden.
§ 66. Die von der heimsuchung, d.h. dem übei*fall von
0 Als Simplex erscheint galloroman. lehnwort lacina fttr 'einsprach,
schelte' in de quacunque causa fisiuca tntercesserii, lacina interdicaiur,
sed cum sacramento st edoniare studeat in L. Biboaria LXXI e codd. A
LXXm e codd. B. Vgl. anch Bnmner, Deutsche rechtsgesch. 2, 356.
Baitrage cur geschichte der deutschen spräche. XXV. 22
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338 VAN HELTBN
haus and hof mit bewaffoetem gefolge, handelnden paragraphen
des XIV. (bez. XVI. XVIII.) titeis enthalten zweierlei glossen.
In cod. 6 steht zu 'si quis in uillam alienam adsallierit, qnanti
in eo contubernio fuissent probati ... sol. liXiii colp. lad.*
86,5 turphaldeo; zu ^si quis nillam alienam adsallierit, et ibi-
dem Ostia fregerit, canes occiderit uel homines plaganerit ant
in carro aliqoid exinde traxerit . . . sol. cc cnlp. ind.' 86, 6
turpq^haideo. In cod. 7. 8. 9 und bei Her. zu 'si quis uillam
adsallierit, . . . sol. xxx culp. iud.' 87, 1. 88, 1 <) alafaJeio (cod.
7. 9), alafalmo (cod. 8; m durch Verlesung statt des fär die
specielle vorläge von 7. 8. 9 anzusetzenden d: die ligatur ci
+ hart daran geschriebenes o der vorläge wurde für undales
m angesehen und dann das o noch einmal als o nachgeschrieben;
vgl. wegen eines ähnlichen Verfahrens die anm. zu § 28), alae
falihio (Her.) ; in denselben hss. und bei Her. zu ^si quis uillam
adsallierit et ibidem ostia fregerit u.s.w.' 87,2 b. 88,2 b Utrri-
phathio (cod. 7. 8. 9), turpha falchio (Her.). Ausserdem finden
sich an anderer stelle der Lex malach fdltio 264,5 (cod. 2),
alatfaltheo 266, 6 (cod. 5. 6), a latfaltheo 268, 4 (Her.) zu 'si
quis uillam alienam expoliauerit et res inuaserit ... sol. lxu
culp. iud.' 2)
Der zurückführung von aus der Überlieferung zu erscUies-
sendem älteren -faithio {-phdldeo mit ph tat f nach § 7^, dtäx
th nach § 2ß und e für i nach § 4a; -falcio mit o für < statt
ih nach § 3d und 6^?; -phathio durch ausfall von 2; -falchio mit
c für t; -faltio durch ausfall von h; -fdUheo mit e für t) auf
farthio unter berufung von afranz. aJberge (E § 89. 218) wider-
setzt sich das sonstige fehlen von l für r sowol in den glossen
als im texte (wegen ßtortis vgl. § 147). Der annähme von
^) Auffällig ist die in diesen hss. yeneichnete niedrige bnase, statt
deren sich in cod. 6. 5 sowie 1. 2. 4, in der yar. zn Her. und in der Emendata
<Lxni* oder 'lxii' oder 'lxu cum dimidio sol.' findet Die 'sol. xxx'
begreifen sich nur, wenn man annimmt, dass hier eine sich nur auf die
feindselige Umzingelung des hanses beschränkende heimsachung (ygl. wegen
solcher Branner, Deutsche rechtsgesch. 2, 652) gemeint ist
>) In cod. 6 und 5 sowie bei Her. begegnen die sinnwidrigen lesarten
tres uillas alienas enaserit' bez. 'contubernio facto uillas alienas com
«tribus effiregerit'; in cod. 4 die ebenfalls verderbte 'uillam alienam expolia-
uerit et ni inuaserit'. Aus letzterer ergibt sich, dass den 'tres uillaa' und
<cum tribus' eine Verlesung 'et trea' aus 'et res' zu gründe liegt
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Zu DEN MALBEBGISCHBN GLOSSEN. 66. 839
'faUhio als derivatum zu got fäipan n.s.w. 'welches aus der
eigentlichen bedeutung plicare, volvere in die des biegens,
umlegens, zerstorens übergegangen sein kann' (M xliy) fehlt
die stütze einer analogen begriffsentwickelung. Das -fal- führt
zur heranziehung von lat. pellere, pulstis; das -th- zur an-
Setzung von salfrk. durch suffix -fha, -thi oder -fhu gebildetem
*faUh 'angriff' (vgl. das § 81 erschlossene *atfalih 'attentat'
und beachte mhd. anstua 'angriff'; wegen des fh nach l s.
§ 142), woraus *fälthian, das die bildung eines in der periode
unserer glossen als *-faUh% geltenden verbale veranlasste (be-
achte § 5a und wegen des nicht umgelauteten a § 36); daraus
durch antritt von lat. -o ^-falthio (vgl. das § 63 besprochene
anthi falthio).
Für den ersten teil der composita ist zunächst zweierlei
denkbar; es entspricht derselbe entweder dem 'uillam' des
textes und zwar als bezeichnung von 'gehCfte' (die möglich-
keit einer Verwendung von uülam = 'dorf ' ist ausgeschlossen,
weil im Paragraphen schwerlich der Überfall eines dorfes ge-
meint sein kann) oder er bezieht sich auf die bände, welche
die heimsuchung voraussetzt (vgl. auch das im text mehrerer
hss. begegnende 'in contubemio', 'contubemio facto'). Zu
ersterer annähme neigten sich Grimm und Kern (M xliv 1
K § 87. 89. 218) bei der ansetzung von älach- 'ho^ farm' (= got.
alhs, as. alcA, ags. ealh 'tempel') und thurp 'hof, farm'. Für
thurp-, dem mhd. dor/''gehöfte' entspricht, lässt sich die richtig-
keit dieser fassung nicht bezweifeln. Doch fehlt die berech-
tigung, dem aladi die erwähnte bedeutung beizulegen, sodass
es sich empfehlen dürfte, hier eine die andere möglichkeit
berücksichtigende deutung zu versuchen: aus den überlieferten
ala-, alae-, malade- (wegen des m vgl § 26), alat- ist auf altes
alac- zu schliessen {ch für c nach § 7a, ^ für c nach § 34),
das an got. auf ein adjectiv *älaks (i-stamm) hinweisendes
ahd^ö 'zusammen' erinnert; hiemach für das salfrk. zu ver-
mutendes *älac' 'gemeinschaftlich' konnte mit dem oben er-
schlossenen verbale ein compositum *alacfaUh% 'in gemeinschaft
(in contubemio) ausgeführten Überfall' ergeben.
Wegen der überlieferten lesarten beachte das aus den
oben citierten und dem unten zu erwähnenden turpefaUi von
cod. 3 für die vorläge X^ (vgl. §lß und 188) anzusetzende turpe-
22*
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340 VAN HELTEN
mit t für fh (nach § 6^) und -e- für die lat. compositionsfiigte
-t- (§ SjS); turphor mit ph fnr p (§ 7ß) und -a- für -e- in folge
von durch das a von -falchio veranlasster assimilierender
Schreibung (§ 2t); turrip- durch doppelschreibung (§ 4CX Ver-
setzung und substituierung von i für 6 (§ 4a) ans turpe-; tur-
phäldeo für turpephaldeo, Angesichts der fiberliefenmg in
cod. 7. 8. 9 und bei Herold (alafalcio eta zum ersten, lurri-
phaihio etc. zum zweiten Paragraphen) hat das *turpe' des
ersten paragraphen in cod. 6 als nach dem muster der folgen-
den glosse für älac' oder ähnliches eingetretene lesart zu gelten
(vgl § 2 g). Wegen der möglichkeit einer bedeutung 'strafe
wegen des besagten Überfalls^ vgl § 39.
In cod. 3 steht turpefalti 84, 5 (das -i ist mit rucksicht
auf das in den anderen Codices durchstehende -io wol auf
älteres -io zurückzuführen) zu 'si quis hominem migrantem
asallierit ... quanti in eo contubemio uel supementi famnt
fuisse probantur Lxn sol. unusquisque ex Ulis culp. iadL', d. h.
zu einem paragraphen, der in cod. 1. 2. 4 unmittelbar dem 'si
quis uilla aliena adsalierit, quanti U.S.W.' enthaltenden (in
cod. 3 ausgefallenen) vorangeht Die glosse ist demnach als
eine nach dem voranstehenden paragraphen verirrte zn &sse&
(vgl. §20.0
Statt alafaläo 87, 1 etc. anderer Codices hat hs. 1 im eorre-
spondierenden paragraphen secihis 82, 6, das sich als zam verb.
'adsalierit' gehörend begreift: urspr. *fedUe 3. sg. praes. opt
(wegen des tempus vgl § 8, wegen der Schreibung c& § 6^),
woraus durch Verlesung von « aus /* (§ 3x), Umstellung von
cht zu eth und ersetzung von für accusativendung angesehenem
-e durch -is (vgl. -uä für -o, § 5 a) die überlieferte lesart (s.
auch § 68). Wegen der bedeutung 'adsalierit' vgl die bei
Schiller-Lübben citierte mnd. stelle dö dat Sauri hörde, dai de
horch wart ghevechtet
*) DaBs übrigens das in cod. 3 and 1 mit 'hominem migrantem asaUierit'
verbundene * quanti . . . Lxn (bez. lxiii) sol. (unusquisque ex iUis) colp. ind.*
ein aus dem folgenden paragraphen entnommener und für altes 'soL oc
culp. iud.' substituierter passus ist, geht aus der ttberliefenmg Yoa ood. 2
und 4 hervor: *si quis hominem migrantem adsailierit (et ei lueiit adpro-
batum) sol. co culp. iud.' Wegen su diesem nur in cod. 1. 2. 8. 4 über-
lieferten Paragraphen in cod. 1 stehender glosse iexaga vgl. § 20; dieselbe
geht auf vorläge X^ und X* zurttck.
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Zu DEN ICALBEBGISCHEN GLOSSEN. 66—67. 341
Ans secthis und aus alafalcio etc. von cod. 7. 8. 9 und der
Heroldina ergibt sich fär die vorläge X^ das Vorhandensein
zweier zum ersten Paragraphen ('si qnis nilla aliena adsalierit')
gehörenden glossen, von denen nur die eine in X', nur die
andere in X» fibergieng.
§ 67. Zu 'si quis (ingennum) hominem dormientem (in
furtum) expoliauerit' stehen friomurdum 83, 7 (cod. 2), freo-
mundo 86, 10 (cod. 6; wegen eo für io vgl. § 4a) und freamosido
392, 2 (cod. 6; dieser paragraph repräsentiert nur eine wider-
holung von 86, 10), frio, fhrio, prio mosido 87,5 (cod. 7. 9. 8;
wegen fh vgl fhuuuich' § 40; wegen jp f ur /* beachte § 3;i).
Zu ^si quis nero hominem ingennum plagiauerit' frio fak(h)ino
231, Lxvi (cod. 7. 8. 9), frio faltouo 232, 4 (Her.). Da in der
zweiten hälfte der ersten glosse ein ausdruck für 'beraubung'
oder ^beraubungsstrafe' (§ 63), in der zweiten hälfte der an-
deren ein ausdruck fOr ^raub' oder ^strafe wegen raubs' (§ 57)
steckt^ muss dem frio (das der Überlieferung gemäss bereits in
vorläge X^ vgl. § 1^ und 188, stand) ein gen. sg. = 'eines
freien' zu gründe liegen. Die häufige substituierung von -o
für salfrk. -un (§ 41) macht es wahrscheinlich, dass wir es
auch hier mit einer alten form auf -un zu tun haben. Solches
*friun (d.h. frtun) aber nötigt zur folgerung, dass im salfrk.
unserer glossen die aus dem schwachen acc. sg. masc. in den
dat sg. eingedrungene endung -un (vgl. § 70 zu hatto etc.) auch
für den gen. sg. verwant wurde: im gen. -un neben -in nach
dem muster von im dat. und acc. gangbarem -un neben -in
(vgl. wegen des accusativs § 24; für den dat. nicht belegtes
'in ist aus dem -in des acc. zu erschliessen).
Statt *freo mosdo hat der mit 83, 7 etc. correspondierende
Paragraph bei Her. chreo mosdo 88, 10 durch einwirkung von
zu dem einstmals vorangehenden Paragraphen gehörendem chreo
mosdo 88,5 (vgl. § 2g und beachte wegen der ehemaligen reihen-
folge der Paragraphen cod. 6 mit chreu musido zum 8. paragr.,
freomundo zum 10. paragr.).
Das erste glied der composition chreu musido 86, 8 (cod. 6),
chreo mosdo 88, 5 (Her.) zu *si quis hominem mortuum antequam
in terra mittatur expoliauerit* (tit. XIV bez. XV. XVII) erfor-
dert keine besprechung (eu für eo nach § 4 a). In noreb' r 83, 8
(für *noreber: der copist schrieb das compendium ' zur dar-
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342 VAN BELTEN
Stellung von er, dann das r noch einmal als bnchstaben), das
in cod. 2 statt chreu mtmdo etc. erscheint, ist yermntlic^ der
rest zu erblicken von durch ausfall des zweiten compodtions-
gliedes und durch dittographie entstandenem *chreohr€o: n fOr
m aus ^ (vgl. natarim § 9, -neteo § 33, na jpon § 129), ore fOr
reo, 6 für A (§ Sy), er für re, abfall von -o.
Ein anderer rest von *chreomosido erscheint in mosido
388, 2 (cod. 1) zu 'si quis uero hominem mortuum expolianerit
uiolenter ... sol. Lxin culp. iud. Similiter et super hominem
uiuo aliqua expolia tulerit uiolenter . . . soL Lxm culp. iad.\
einem in tit. LXI (nur in besagter hs.) überlieferten Para-
graphen, der waa seinen ersten teil betrifft offenbar ursprüng-
lich als correspondent des eben genannten ^si quis hominem
mortuum ... expolianerit'), in cod. 2 etc. überlieferten im tiLXIV
(^de superuentibus et expoliationibus') stand und den von da
aus ein Schreiber in den von der beraubung eines leben-
den handelnden titel LXI ^de charoena' (§ 80) übertrug (diese
Übertragung veranlasste dann die entstehung des zweiten teils
'similiter et u.s.w.', eines Zusatzes, von dem sich in den anderen
Codices keine spur findet). 0
§ 68. Auf die beraubung eines toten bezweckende ans-
grabung einer leiche, d. h. auf grabeszerstOrung oder die ffkr
0 Nach Behrend (in Zs. f. rechtBgesch. 13, 18) dürfte der erw&hnte ]
graph ein bestandteil des ursprünglichen textes sein: ihm erscheint es ein-
leuchtend, dass die bestimmnng, wenn sie ursprünglich im gesetz enthatten
war, später mit rücksicht auf tit. XIV paragr. 8 (nämlich *si quis hominem
mortuum u. s. w.' 83, 8 etc., s. oben) fortgeblieben sein kann, während unter
der entgegengesetzten yoraussetzung kein rechtes motiy für die einschal-
tung ersichtlich sein würde. Dass erstere bemerknng nicht stichhaltig,
ergibt sich aus dem oben hervorgehobenen; das motiv aber für die ein-
Schaltung war nichts anderes als ein irrtum des Schreibers, der den yct-
schiedenen Charakter der beiden titel verkannte.
In folge von durch den voranstehenden Paragraphen veranlasster ein-
schaltung von mortuum und substituierung von in terra manum für m
tertiam manum wurde in cod. 1 oder einer vorläge desselben der nicbat-
f olgende, vom raub einer an die dritte band getriebenen sache handelnde
Paragraph, der in cod. 2— 10 *si quis uero homo quislibet (acc sg. f eoL) rem
super hominem in tertia manu miserit et ei per uirtutem (gewaltsam) tu-
lerit* oder ähnlich lautet (8.389,3. 390,2 etc. sowie § 80 und vgl. wegen
des in tertiam manum mittere Brunner, Deutsche rechtsgesch. 2, 498 ff.X ver-
derbt zu: *si uero quicumque homo quemlibet rem desnper hominem moffmtm
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za DEN HALBEBGI8CHEN GLOSSEN. 67—68. 843
diesen frevel zu entrichtende strafe (vgl. § 89), bezieht sich eine
in zwei verschiedenen titeln begegnende glosse: iumicäle 83, 1
(cod. 2), tamechdllis 86, 9 (cod. 6), thumichalt 88, 6 (Her.) zu
'si quis hominem (mortuum) erfodierit', thomechdUs 347, 2b
(cod. 6), tumichalis 349,3b (Her.) zu ^si quis tumulum super
hominem mortuum expoliauerit' und tumecale 353,2 (cod. 2),
t(h)ome€hdle 356, 5 (cod. 6; die glosse steht hier zweimal), tur-
nichal 357, xvii (cod. 7. 8. 9), thumichale 358, 1 (Her.) zu 'si
quis hominem iam sepultum expoliauerit'.
Das ausnahmslos durchstehende n verbietet zurttckfuhrung
der lesarten auf thurvi cludis u.s.w. (E § 246). Der umstand,
dass in den betreffenden paragraphen von einer Zerstörung die
rede ist, ffihrt auf den gedanken an eine bildung mit *tor- =
ahd. mr-. Für den übrigen teil des Wortes sind ags. nihol
pronus der Epin. und £rf. gl. und damit identisches mnl. niel
*am boden liegend' (s. Cosijn, Tijdschrift voor Nederlandsche
taalk. 8, 243 ff.) zu berufen. Aus diesen nihol, niel entsprechen-
dem salfrk. *wiÄai (mit -dl für -ol oder -uT) konnte ein verb.
*nihdlJ(f)iu 'ich werfe nieder' (mit regelrechtem II oder analo-
gisch entwickeltem l, vgl. § 79) entstehen; daraus HumihaH])iu
'ich werfe auseinander, zerstöre', wozu ein verbale *tumihali
(mit -I aus -m, § 5 a), das als "^tumichäli (mit ch als Schreibung
für A, § 6ß) den überlieferten lesarten zu gründe liegen kann:
in der vorläge X» (vgl. Iß und 188) *turnichdle mit -e für -i
(§ 4 a); daraus turnicale, tornechallis etc. bez. mit c für cä (§ Qß),
-c- für -t-, -0- für -M- (§ 4a), II für l (§ 4$), th für t (§ 7a), -is,
-es statt des für die accusativendung angesehenen -c (vgl. sec-
this § 66 am schluss), t (in -ehalt) durch c aus e (§ 3d und e).
Wegen tur- vgl. noch § 190 jS am schluss.
Nach tornechallis 86,9 erscheint noch durch 'siue' ver-
bundenes, nur in cod. 6 überliefertes odocarina, dessen odo mit
Kern (K § 246) als disjunctiv = ahd. odo zu fassen ist (d. h.
überliefertes odo mit d als verschreibung für th, vgl. §2ß und
142). Demnach muss in carina ein synonymon zu Humichali
stecken, d. h. zu ahd. mhd. zerren 'zerspalten' gehörendes
m terra mannm mittere noluerit, sed si haec mannm niolenter tnlerit^ 388, 3.
Als anzeichen fttr die Tursprttnglichkeit des voranstehenden paragraphen
aber läset sich diese entstellnng nicht, wie Behrend (a. a. o.) meinte, geltend
machen.
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344 VAN HELTEN
verbale, salfrk. *tarfn + lat. a (vgl. § 3d und 5a). Wegen a
der Wurzelsilbe beachte § 36; wegen der doppelglossiemng § 16.
Aus der Überlieferung ergibt sich das Vorhandensein von aäo-
carina oder einer Vorstufe desselben in vorläge X' und X*.
§ 69. Die entblOssung eines grabhfigels durch Zerstörung
der darauf errichteten ehrensäule ('si quis arestatonem super
hominem mortuum capolauerit', vgl. § 156) oder die dadurch
verwirkte geldstrafe (vgL § 39) wird durch den prototypus
von cheol-, chle-, cheobarbio 96, 3 bezeichnet: das wort ist com-
positum aus "^chleo und *baruio (wegen b f&r u vgL chunabana
§ 41, 'cJiäbina § 110, laclabina § 114), einem zu *barwian ans
*baru 'bloss' (vgl mhd. bancer, nml. bare) gehörenden verbale
(wegen des a vgl § 36) mit latinisierter endung -io = f (aus
-tn) + 0 (§ 5a).
§ 70. Zu 'si quis uxorem alienam tullerit (tollere uolnerit)
uiuo marito' steht im XV. (bez. XIV. XVI.) titel affaUhecha
cod. 2, abtiga cod. 6, abteca in aliffltae äbhatto ueelentemo cod. 7
(ee statt e, § 2/), abteca in alia mte abhato uelentemo cod. 8,
abthega in alia mente abhacto uel enthemo cod. 9, abtica et in
alia mente arba fheus en lanthamo bei Her.
Im ersten teil von affaUhecha erblickt man sofort mit rfick-
sicht auf das § 59 besprochene salfrk. *affaichiu rapio, tollo die
entstellung einer dem * tullerit' des textes entsprechenden S.sg.
praes. opt. (vgl. § 8). In uelentemo etc. haben Grimm (M xxuii)
und Kern (K § 93) als entsprechung von 'uiuo' zu altem *leden
gehörendes p. praes. erkannt, das nach dem Beitr. 21, 477 ff.
erörterten lautgesetz*) *leiumthemo (vgl. auch § 152 zu necianfo
etc. mit 'Or aus -e- aus -ai-) oder -iemo oder etwa -(t)eiiiw
(wegen u als Schreibung für S s. § 6d) zu lauten hatte (-efito
für -iamo wie -e aus -ia, vgl. § 9, oder -temo, d. h. -t- des stamm-
Suffixes und -emo als endung; in letzterem fall war -i- schon
frühzeitig ausgefallen; -o entweder = salfrk. -o aus *-ö)f oder
= salfrk. -u wie in bonimo eto., s. § 60); daraus die lesart«n
mit -ent{hy und -amo für -anth- und -emo (§ 2e und 6^; wegen
n f ür ti vgl. § 3jr; die lesart mit umgestellten l und u war d^
^) Als bele^^ für die daselbst nicht hervorgehobene gleiche behandlnng
von -e- in der paenoltima and antepaennltima vgl. die as. bei Schlüter,
untersuch, s. 99 verzeichneten haianäiero, t4>hldnandi, sor^andn.
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zu DEN MALBEBGI8CHBN GLOSSEN. 68—70. 845
Überlieferung zufolge bereits in vorläge X^, vgl. §lß und 188,
vorhanden).!)
Wenn aber *affdlchie (oder -a, vgl. § 79) = ^tullerit' und
*leu€Mth(i)emo = 'uiuo' steht, dürfte der übrige teil der glosse
wol die entsprechungen von ^uxorem' und 'marito' enthalten.
Nach mhd. ehaftec legitimus, mnd. echt{e), afiies. äffe 'gesetz-
lich' oder 'ehelich' lässt sich für das salfrk. ein adjectiv *eo'
haftig 'ehelich' ansetzen, für dessen acc. sg. fem. bei substan-
tivischer Verwendung als die ursprüngliche lesart *eochafiicha
(-i- = -I-; wegen cä für ä und g s. § 6^) anzunehmen wäre.
Aus *affcdclUe (oder -a) eochaftiöha entstand zunächst, indem
das ange des copisten sich vom ersten ch nach dem zweiten
verirrte, schon in der vorläge X* vorhandenes "^affalch afticha;
ans letzterem in der folge einerseits durch ausfall von aft für
die vorläge X^ anzusetzendes ^a/falchidia oder -echa (§ 4 a),
woraus affMhecha von cod. 2 mit ^ für c (§3d), andrerseits
durch ausCall von a/fälch, latinisierung von af- zu ab- (§ Q6)
und substituierung von c für cä (§ 6ß) für die vorläge X^ an-
zunehmendes abtica, woraus dbtiga von cod. 6 mit ^ für c (§ 4/),
abteca der speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9 mit e für i, ab-
thega von cod. 9 mit th für t (§7a) und g für o.
Im ersten teil von abhatto etc. und arba theus erkennt
man die präposition af (wegen ab s. § 6<J). Für den rest der
lesarten ist an das § 61 für das salfränkische in anspruch ge-
nommene *eht 'ehelicher besitz' und die existenz germanischer
bildungen, wie got. gasinjjjay ahd. giselh, giferto, as. gibeddeo,
gibenkeo u.s.w. zu erinnern. Zu solchem *eht ein derivatum
*gaehtio 'gemahl' (eig. 'den ehelichen besitz teilender'), für
dessen dat. sg. eine form *chaechi(i)in oder (nach im altostnfrk.
begegnenden dativen sg. herron, namon, Mmon, tregon P5. 63, 11.
62, 5. 65, 2. 67, 5. Lips. gl. 184. 952) *chaechtiun = 'marito' an-
zusetzen wäre (wegen ch als Schreibung für g und A s. § 6ß).
Daraus durch ausfall von e und substituierung von -o für -un
(wie in -uano u.s.w. § 41) für die vorläge X' anzunehmendes
^chachtio, mit ab *aJ chachtio, woraus in der folge einerseits
^) Aus dieser participialform geht hervor, dass die salfrk. flexion des
betreffenden yerbs mit der ahd. ttbereinstimmte, nicht mit der as. (Tgl.
Beitr.8,90) und der altostnfrk. (Tgl. libbon, -un Ps.71,15. 68,33, Ubhend^
Fs. 57, 10, 'inda Ps, 54, 16 u.s. w.).
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346 VAN HIELTEN
mit Ä für ch (§ 67), c für cÄ (§ 6^) und durch ans£all von i
(oder dafür eingetretenem e) in der speciellen vorläge von cod.
7. 8. 9 stehendes dbhacto (abhaeto cod. 9; ahhatto mi t fär c
nach § 3d in cod. 7; ahhato cod. 8), andrerseits mit versetztem r
f fir c ans cÄ (§ 3g. 6/9), tt für cfc« (§ 3d), e «r t (§ 4a), -«
fär -0 (§ 5 a) ar&a ^Aeu^. Die fiberlief erung von cod. 6 weist
auf ansfall von in vorläge X' vorhandenem *äb ckacktio «e-
lanihemo hin. Auch in cod. 2 hat sich nur die ans den acwei
ersten Worten der glosse hervorgegangene lesart gerettet
Wegen des unrichtigen disjunctivs 4n alia mente' vgL 13.
24. 27. 41. 43. 49.* 54. 85. 131. Die ganze glosse wäre also
herzustellen als *affdlchie (oder -a) eochaflicha af chaedUiun
leuantkemo (oder -iemo bez. -emu oder -temu).
Wegen des im paragraphen erwähnten frauenraubs hat der
frevler *sol. cc', also das normale wergeld zu entrichten. Als
bezeichnung dieser busse wäre nach § 87 2eudf oder ähnliches
zu erwarten. Statt dessen findet sich in cod. 1 (wo affaUhecka
etc. fehlt) falsches (in den anderen hss. fehlendes) leudardi
91, XV (vgl. § 87 am schluss). Aus dieser glosse folgt femer,
dass in vorläge X^ ausser der glossierung von 'uxorem alienam
tulerit (a) uiuo marito' auch noch leudi oder ähnliches stand,
das nicht in vorläge X» fibergieng; von den beiden für vorläge
X^ vorauszusetzenden glossen blieb die eine in cod. 1, die an-
dere in cod. 2 erhalten. Unrichtige fassung des *leudi ver-
anlasste die in cod.1 äberlieferte einschaltung: 'si quis hominem
ingenuum occiderit aut uxorem alienam tulerit u.s.w.'
Hinsichtlich des ih in der participialendung weist Kern
(K § 93) auf in den Düsseldorfer Prudentiusglossen begegnende
wenimanthi, refhinanthemo, helpanthiun u.s. w. (s. Ahd. glL 2, 581,
22. 39. 40. 69. 582, 4. 32. 33. 60. 583, 12. 36. 585, 7. 30. 586, 47.
588, 10. 73. 589, 42. 52. 74. 590, 29) hin. S. noch § 139 zu seo-
lant(h)is, § 152 zu necthanteo etc. Dieses th dürfte nicht gar
zu befremdlich erscheinen bei berücksichtigung der im germ.
in anderen präsentialen flexionsbildungen zu beobax^htenden,
auf der Verschiedenheit alter betonung beruhenden Verschieden-
heit der suffixconsonanz: 2. sg. ind. got -s für -a (vgl wileieu
Joh. 9, 54), an. -r neben -s der anderen dialekte; 3. sg. ahd. -t,
as. 'd, 't, ags. -d, -t (Sievers, Ags. gr. § 357), afries. -d, -i (Aofries.
gr. § 276/?) neben as. ags. -Ö, afries, -th] 3. pL got. -nd, ahd. -«/,
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Zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 70—71. 347
as. 'd, 4, ags. 4 (Sievers § 360), afries. 4 (Aofries. gr. § 276 /.
290. 300) (die as. ags. afries. -d, -t durch Schwund von n nach
dem muster von -ff, -th) neben as. -ff, -th^ ags. -ö, afries. -fh.
Bemerkenswert ist hier die erhaltnng von fh nach nebentonige
Silbe auslautendem n gegenüber d (für ff) nach volltonige silbe
auslautendem nasal (vgl. für unsere glossen pondero etc. § 26,
-suuido § 46, andes § 49* andras, -es § 61. 102. 184, seolando-
etc. § 74, andatheoco etc. und ando meto etc. § 143).
§ 71. Der text des 1. (nach cod. 7. 8. 9 der 2 ersteren,
nach der Heroldina der 4 ersteren) Paragraphen des 'de in-
cendiis' handelnden XVI. (nach cod. 7. 8. 9 und Herolds aus-
gäbe XIX.) titeis ist normalerweise mehr oder weniger verderbt
überliefert. Doch lässt sich aus demselben durch gegenseitige
vei^leichung und mit hilfe des textes der Lex emendata als
der ursprüngliche Inhalt des bez. der paragraphen folgendes
herauslesen: wer ein haus über dem köpf schlafender leute
anzündet, hat dem eigentümer desselben ein Strafgeld von 62 V2
sol. 'excepto capitale et dilatura' zu zahlen; jedem derjenigen,
die sich in dem haus aufhielten und sich gerettet haben, steht
das recht zu, den brandstifter gerichtlich zu belangen und
von demselben eine busse von 62V2 sol. zu fordern; den ver-
wanten eines etwa bei der feuersbrunst umgekommenen hat
der brandstifter das wergeld von 200 sol. zu entrichten. Ueber
die sich respective auf die zwei letzteren bestimmungen be-
ziehenden glossen seolande fa etc. und leodi, -e etc. (die beide
in cod. 2. 6. 7. 8. 9 und der Heroldina überliefert sind, doch in
cod. 1 durch ausfall fehlen) wird unten § 74 und 87 gehandelt.
Auf die erste bestimmung bezieht sich der prototypus von
dlfathio cod. 1, anda dil cod. 2, anteba cod. 7, andeba cod. 8. 9
(also and^a in der speciellen vorläge dieser drei mss.; wegen
t von cod. 7 vgl. § 3^), andebau Her.
Für alfaO^io will Kern (K § 95) althifathio lesen nach in
derselben hs. zum nächstfolgenden paragraphen stehendem
althifathio. Dass zwischen diesen beiden glossen Zusammen-
hang besteht, geht hervor aus dem umstand, dass der althi-
fafhio enthaltende paragraph nur in cod. 1 steht und als ein
(in den anderen zur ersten familie gehörenden hss. fehlender)
in cod. 1 oder eine vorläge desselben eingeschalteter zusatz zu
gelten hat (v^l. Behrends b^merkun^ zu diesem para^. in der
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348 VAN HELTEN
Zs. für rechtsgesck 13, 17c). Das alüiifaihio beruht also, wie
die anderen in solchen Zusätzen stehenden glossen (ygL unten
zu leodecal, § 23 zu anteotho, chamutheuo = 'taumm regis\ § 40
zu trouuidouuano tuene chunne, § 63, anm. 2 zu murdo, § 87 zn
leodosanii, § 132 zu moantheutht) auf entlehnung aus dem voran-
gehenden Paragraphen«
Das al' von alfathio ist angesichts des an- der and^ien
lesarten als entstellung zu fassen; es entstand durch einwirkung
von voranstehendem 'mal' (vgl. § 26).0 Aus -fti/a- der ent-
lehnten glosse und {-)deba (-debau), das auch zu den folgende
Paragraphen des titeis steht (s. unten), ist auf altes (-y^defa
zu schliessen (wegen & f ür /* und wegen f nach des glossators
Orthographie für S s. § 66), das mit xiq>(fa 'asche* zu verbinden
ist (nicht nach Grimms Vorschlag, M XLvn, mit ahd. depandom^
aind. tapas, lat. tepidus u.s.w.) und entweder als im nom.
stehende cTn-bildung 'anzflndung, brandstiftung' oder als im acc.
stehende (7-bildung 'brandstiftungsbusse' (vgl. § 39) bezeichnete.
Aus dem ersten th aber von althifaihio ergibt sich als das erste
compositionsglied der alten glosse die § 63 erkannte (hier, wie
in anthmaüus u.s. w. formell auf analogischer beeinflussung be-
ruhende) Präposition anth-. Also altes *anthdefa, woraus in
vorläge X^ (vgl-§ Iß und 188) durch substituierung von i fwr e
(§ 4 a) *ani]idifa, das durch Schwund von d und Schreibung von l
für n (s. 0.) sowie später erfolgte Silbenversetzung und antritt
von lat. '0 (§ 5«) (wegen *aUhifa als Zwischenstufe s. u.) die les-
art von cod. 1, durch verschreibung von d für th (§ 2ß\ einschal-
tung von a (nach § 26), verschreibung von { für 6, das Sub-
stitut von f (§2ß. y), nebst ausfall von -a die lesart von cod. 2
ergab (zunächst etwa *anddiba, dann andadü); durch ao^dl
von th und eintritt von b für f aber entstand für die vorläge
X^ anzusetzendes andeba, woraus andeba, anteba und andebau,
dessen -u wol für dittographisches a eingetretenes schriftzeichen
ist (§ 2/. 3 a); älthifathio, das auf *äl(hifa als Vorstufe von
^) Kern schlägt vor (K § 95), das o^ von aWufaihio des 2. pangn^heii
mit rücksicht aaf das 'si quis casa cletem salina incenderit* desaeLben als
= hol' ans haUa- (vgl. 'salina, Jialhüs' Ahd. gU. 1, 418, 15) zu deuten, was
zur fassnng des cU- Ton cdfathio als durch einwirkung der folgenden gloeae
für an- eingetretener yerschreibung veranlassen mftsste. Doch verbietet
die oben hervorgehobene entstehung der glosse aWUfathio diese
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zu DEN MALBBRGISCHEN GLOSSEN. 71. 349
älfathio hinweist, enthält nach dem mnster von alfathio an
älteres *(dihifa angehängtes -thio (also in einer zwischen X^
und cod. 1 liegenden vorläge *dl(hifa zum ersten paragr. durch
entstellungy zum zweiten durch entlehnung; dann in daraus
hervorgegangener copie älfathio und althifathio). In cod. 6
fehlt die auf ^anthdefa zurfickgehende glosse; dieselbe wurde
verdrängt durch aus den folgenden zeilen des paragraphen ent-
nommene seolandeua und seolandefa (vgl. § 74, spec. am schluss),
woraus durch entstellung das Überlieferte seolando et uas halr
dempa: antritt von lat. -o an fUr selbständiges wort angesehenes
seoland (§ 5 a), einsetzung von et als lat. conjunction für e,
anfflgung von s des folgenden wortes an ua, ausfall von eo,
entstehung von aldem durch Versetzung aus lande (m für n
vor p), vortritt von h vor a (§ id) und Verlesung von p aus /
(§3i).
In den übrigen paragraphen des titeis stehen zu 'si quis
spicario aut machalum (mafio etc., s. § 72) cum annona incen-
derit' bez. ^si quis sutem cum porcis aut scuria cum animalibus
incenderit' die composita leo deba^ leodeba 92, 2b (cod. 2). 95, 3
(cod. 6), leosdeba 97,8 (Her.), leodeua 95,2 (cod. 6; wegen u
für 6 vgl. § 66) und saldeba 97, 8 (Her.), saideban 97, 7 (Her.),
sundela 91, 4 (cod. 1), mit ausfall des ersten compositionsgliedes
deba 96, Ib (cod. 7. 8. 9); vgl. auch das unten zu besprechende
chreodiba etc. Für Uo weist Kern (E § 102) auf ags. hUo
^Obdach' hin (wegen des ausfalls von der Überlieferung gemäss
bereits in vorläge X* fehlendem h vgl. § 67). Für sal- wird
von Grimm (M xLvn) und Kern (E § 100) ags. scel etc. heran-
gezogen; ich füge noch hinzu, dass im as. seli für 'zur auf-
bewahrung von feldfrüchten dienende scheuer' begegnet {endi
that hreneumi lesan sübro tesamne endi it an mlnon seli
duaian Hei. C 2569) und nach mnl. auf *salu beruhendem sale
ifir das salfrk. nicht nur eine form sali (vgl. wegen des a § 36),
sondern auch saJu denkbar wäre; das kriterium aber zur flxie-
mng der alten form dürfte uns die lesart von cod. 1 sundela
gewähren, die sich als auf *saludeba zurückgehend ganz gut
begreift: 1« für a (nach § 3a), ausfall von l, n für w (§ 3jr),
l f&r b (%2ß). Die lesart saideban hat n für nach dem muster
vorangehendem andebau (Her. s. oben) angetretenes u. Mit
rücksicht auf das leo- von cod. 2 und 6 möchte man etwa beim
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350 VAN HELTEK
ersten blick geneigt sein, auf in vorläge X< stehendes leo- (and
anf ein compositum Meodefa) zu schliessen, somit das leosdeba
der Heroldina als dem protot3rpus des glossators noch ferner
stehende lesart gelten zu lassen. Wie sich aber hier das s
hätte einschleichen können, ist mir nicht ersichtlich; and man
kann demnach m. e. schwerlich umhin, Jdeos mit Kern (E § 102)
auf einen genit. "^hleues oder -as (vgl. § 119) zurückzoffihren,
der durch ausfall von e oder a und substituierung von otaru
(§ 4 a) in XI und X^ stehendes hUos ergab, das zufälligerweise
zweimal (auf dem wege von X^ zu cod. 2 und von X^ za cod. 6)
sein s einbfisste. S. noch nachtrag.
Mit rficksicht auf das über *sälu' ^scheuer-' bemerkte ist
*salud€fa als die eigentlich zu 'si quis spicarium . . . incenderit'
gehörende, "^hleues (-was) defa (aus *hleo 'stall' urspr. 'obdach')
als die zu 'si quis sutem cum porcis aut scuria cum animalibos
incenderit' gehörende glosse zu fassen. An richtiger stelle stehen
also säldeban (paragr. 'spicarium' u.s.w.), leosdeba, leodeba 95,3
(paragr. 'sutem' u.s.w.), leo deba 92,2b (in diesem paragr. sind
die beiden von 'spicario' und 'sote' handelnden Paragraphen
mit einander verquickt und gehört die glosse demnach nur zu
einem teil desselben); an unrichtiger hingegen (in folge der
§ 2g beschriebenen voi^änge) sundela (paragr. 'sutem' a.&w.),
Uodeua (paragr. 'spicarum' u.&w.), saMeba (paragr. 'sadenn'
u. s. w.).
In cod. 2 begegnet leodecäl 92, 3 zu einem Paragraphen,
der sich über die procedur für den fall 'si romanos hoc roma-
num admiserit et certa probacio non fuerit' verbreitet^ in allen
anderen Codices fehlt und als in eine vorläge von cod. 2 ein-
getragener Zusatz zu gelten hat (vgl. Behrends bemerkungen za
diesem paragr. und zur zweiten, d. h. Wolf enbtttteler, hs. in der
Zs. f. rechtsgesch. 13, 20b und 26); die überlieferte lesart reprä-
sentiert die entstellung von aus dem voranstehenden paragr.
entnommenem leodeba (vgl oben zu älthifathio): durch assimi-
lierende Schreibung (§ 2 b) entstandenes *leodeda wurde, indem
ein copist das zweite d für cl ansah (§ 3^) und das a versetzte,
zu leodecäl
Die 413, Olli (bez. lxxiii etc.) als Überschrift zu 'si quis
hominem ingenuum . . . occiserit et eum ad celandam conbar-
serit' stehenden 'de creu beba' cod. 1, 'de creobebat^ cod. 2 (was
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Zu DEN MALBERGTSGHEN QLOSSEN. 71—72. 351
hier die schreibang des falschen t veranlasste, ist mir nicht
klar), 'de chreodiba^ Her. hat schon Grimm (M xlvii) als
*chreodeba 'leichenverbrennung' gedeutet: c für ch (§ 6ß) und
b für d durch assimilierende Schreibung (§ 2 s) in cod. 1 und 2
(vgl. § liJ und 188); i für e bei Her. (§ 4 a). Die Überschrift
repräsentiert die ursprüngliche glosse (vgl. § 80. 119. 143. 144
zu affatutnicB etc. 178. 183. 184 und die aum. zu § 189).
§ 72. Neben 'spicarium (-o)' erscheint im text eines der
oben (§ 71) angezogenen Paragraphen durch 'auf damit ver-
bundenes ^madidltm cum annona' 91,3. 97,7. 98,2 var., ^mahalo
cum annona' 93, 2, ^maholum cum annona' 98, 2 oder ^maf(o)lo
{-um) cum an(n)ona' 96,1b und var. Als die bedeutung des
Wortes stellt sich demnach 'getreidescheuer' heraus.
Müllenhoff (bei Waitz, Das alte recht d. sal. Franken s.289)
vergleicht hier mahal 'gerichtsstätte, Versammlungsort* und
meint: 'es (d. h. mahal) hiess ursprünglich wol jede abgeschlos-
sene Stätte so, die zu einem bestimmten gebrauche ausgezeichnet
war; nur wenn man eine so allgemeine bedeutung voraussetzt,
begreift sich auch das ahd. otmahäl gazophylacium, das genau
neben unserm machal horreum steht'. In bezug auf diese be-
hauptung sei bemerkt: erstens dass ahd. ^aotmaJuili, ödmahali,
aotmäli gazophilatium' Ahd. gll. 1, 163,18, ^aotmäleo opum' Ahd.
gU. 1, 103, 36 sowie diesem zu gründe liegendes ^ötmahalij ötmäli
dives' Ahd. gll. 1, 101, 35 schwerlich von /laxag zu trennen sind
(vgl. lat. beatus 'reich' und 'glückselig', as. dda^ 'reich', ags.
^^i^, got. audags 'selig'), demnach sicher nicht zur sippe ahd.
as. mahal, got. mapl u.s.w. gehören; zweitens dass man sich
wol nicht leicht dazu verstehen dürfte, mit Müllenhoff ein
'abgeschlossene statte' aus den für mahal u.s.w. überlieferten
bedeutongen abzuleiten. Demnach hätten wir uns nach einer
anderen erklärung von machalum etc. umzusehen.
Das -fl- neben -chal-, -hol- etc. der überlieferten formen
setzt germ. -hl- voraus (vgl. oben § 10). Im aslov. begegnet
moka faxina, dessen salfrk. reflex *mäh (d. h. mäx aus *mäxu)
lauten mfisste und als bezeichnung für 'mehl' oder auch für 'ge-
treide' (d.h. 'zu mahlendes') gelten könnte. Kluge hat in Pauls
Gnindr. 1^,393 (s. auch Beitr. 14,585 ff.) einige composita hervor-
gehoben, die ihr das zweite element anlautendes h einbüssten:
ahd. Uhhin-amo, aofries. liJcama, lickoma (Aofries. gr. § 145/?),
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852 VAN HELTEN
ahd. kataro (aus "^TcOd-haro^ ags. oretta (ans *arhdtta) iL s.w.
Demnach wäre f Ur das salfrk. ein ans *fnaha- nnd *-haU, flect
'hdUa, -u (= ahd. JuUla, ags. heall, an. hgll) gebildetes compo-
situm *inah'äU, flect. ^mäh-aUa, -u, ^getreideschnppen' denkbar,
dessen -all' in der folge nach dem muster der suffixalen -ot-
und -^ zu 'cU- bez. -^ wurde (vgl. ahd. Wimo ffir ZiUosim» nadi
dem muster der derivata auf -mo). Aus solchem ^mähal, flect
*mäh€Ua, -u, bez. *fn^2a, -t«, konnten bei zugrundel^nng der
suffixlosen form und derjenigen auf -u die für das galloroma-
nische belegten machaltmi und mahalo (mit ch bez. h for gern,
aspirata, vgl. § 10) sowie maflo hervorgehen, woneben weiterhin
durch substituierung von lat suffix -olum auch fHakoüm$ (bez.
maolum 95, 2 yar.) und mafolum, -o. Man beachte ausserdem
magalum 94, 2 (nach § 4/) für *fnacalum (mit c für germ. aspi-
rata, vgl. § 10).
Ausser den diese bildungen repräsentierenden lesarten be-
gegnet indessen noch eine reihe von Varianten, welche die
nämlichen copistenf ehler aufweisen, die sich auch in der glossen-
überlieferung vorfinden, und so den beweis liefern, dass iea
Schreibern der betreffenden hss. und zum teil auch ihren mittel-
oder unmittelbaren Vorgängern das fremdwort nicht mehr be-
kannt war: atnachallum 92, 2b (vgl. § 26 und 4g), ftumohm
98, 2 var. (mit u statt f, § 66), maufoluin 95, 2 (contaminations-
Schreibung aus mafolum und matiolum, vgl grafimanem 330, 1
var. aus grafionem und grauianem), maolum 98, 2 yar. (mit o
als Schreibung für das falsch gefasste au statt mauoJum, vgl
§4i}, oder verschrieben für maolum, &oben), moffoUtm 98,2
var. (für mafolum, § 2£ und 4g), mafla 96, Ib var. (für ma^,
§ 2£). Eine arge entstellung gewährt noch madrolum 98, 2 var.
An machalum etc. erinnert das in der bedeutung 'getreide-
oder heuschuppen' verwante, einige male im Chronicon Win-
deshemense belegte madmle (wegen der belege s. Dacange i. v.),
offenbar ein vom Verfasser des Chronicons Joh. Busch (erste
hälfte des 15. ]h.'8) einem (sächs.) dialekt seines heimatslaiides
Overijsel entnommenes *mad^, dessen endung doitdi sub-
stituierung von -ale latinisiert war und dessen c^ d.h. gemi-
nierte spirans, sich hieraus erklärt^ dass der erste compositions-
teil sich an den alten nom. des Simplex *mäh (mit spirant h)
anlehnte und so die entwickelung eines compositums mit hk,
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zu DEN HALBBBGISCHEN GLOSSEN. 72—78. 353
d. 1l jr -I- durch assimilienmg aus der aspirata entstandenem %>
hervorriet
§ 73* Zu ^si qnis sepem alienam aut concisam (concidem,
cundda) incenderit' bez. 'capulauerit' stehen die glossen bila
92, 4 (cod. 2). 95, 4 (cod. 6). 97, 10 (Her.), bica 97, 11 (Her.),
bieha higgeo 97, 11 (Her. var.),0 hiabigo 95, 5 (cod. 6). Grimm
betrachtet (M xlviu) hüa als aus hka verderbte form; dieser
annähme widersetzt sich nach Eems bemerkung (E § 179) der
umstand, dass die in dem (bez. den) angezogenen Paragraphen
dreimal belegte lesart mit l sich ausserdem noch an anderer
stelle 203, 2 (cod. 6). 205, 5 (Her.) = 'concisa' findet. Bica
etc. identificiert Grimm (a. a. o.) mit ahd. ]ßga acervus. Kern
(K § 104) befürwortet diese fassung. Doch erregt die Ver-
schiedenheit der bedeutungen 'häufen' und 'hag' (= 'sepem'),
'verhau' (= 'concisam' etc.) bedenken« Berücksichtigung einer-
seits von concisa, cancides, cundda und mhd. gehew 'verhau',
nhd. verhau, andrerseits von aslov. Uti 'schlagen' führt zu der
annähme eines im acc. sg. stehendem, nach art von got. heHa,
ahd. gfüa 'reihe' (vgl Kluge, Nomin. stammbild. § 157) gebildeten
nomens büa oder bila, dem durch Übertragung von abstract-
benennung auf ein concretum (vgl. auch aus caedes gebildetes
concides) die bedeutung 'verhau' eigen war. BicQi)a etc. er-
innert an mhd. gebucke, nhd. gebucke, gebücke 'hecke, hag', das,
zur Wurzel bug 'biegen' gehörig (vgl DWb. 4, la, sp. 1879 ff.),
ursprüngliche abstractbildung oder aus altem subst *bug ge-
bildetes collectiv sein kann (vgl. als verwantes derivatum mnd.
und bei Eiliaen stehendes nl. bucht, bocht septum). Diesem
gebucke mfisste eventuell im salfrk. *gäbuggi entsprechen, das
der glossator durch *chabuggi (vgl. § 6^) darstellte. Hieraus
durch vortritt von aus voranstehendem bila entnommenem bi
(vgL § 2£), verschreibung von i für w (§ 2^) und antritt von
lat -0 (§ 5a) entstandenes, für die vorläge X^ (vgl. § Iß und
188) anzusetzendes ^bichaibiggio erklärt uns die überlieferten
lesarten: buiha biggeo Her. var. mit c für i (§ 4a), bica der
Heroldina durch substituierung von c für cä (§ 6ß) und aus-
falle biabigo von cod. 6 durch Schwund von ch und gi.
Statt bila etc. steht uiua 96, 2 b (cod. 7. 8. 9) als eine lesart,
^) Merkel hat falsches biggeo. In Herolds ausgäbe steht e, nicht c.
Beitrage sur gescfaichte der deutschen spräche. XXV. 23
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354 VAN HELTEN
die sich in keiner weise ans den überlieferten herleiten lisst
ich möchte in derselben den rest einer hierhin verirrten, eigent-
lich zum vorangehenden Paragraphen gehörenden glosse *salu-
diua (für ^saludeua, vgl. § 71) erblicken.
§ 74. Die im eingang von § 71 erwähnte glosse seoUmde
fa und deren Varianten begegnen nicht nur in dem daselbst
zur spräche gebrachten paragraphen, sondern auch sonst wider-
holt in Paragraphen, worin die rede ist von mordversuch oder
auch von einer anklage vor des kOnigs gericht eines abwesen-
den unschuldigen (der so der gefahr einer Verurteilung aus-
gesetzt wird, vgl. Brunner, Deutsche rechtsgesch. 2, 677): *si
quis alterum uoluerit occidere et colepus preterfallierit' 100, 1.
101. 1 etc. — 'si quis alterum de sagitta tuscata percutere
uoluerit' 100,2. 101,2 etc. — ^si quis hominem innoceniem
absentem apud regem accusauerit' 100, xvin etc. — *8i quis
alterius dederit herbas bibere et euaserit' 110,2 etc. — *si
quis in furtum alique selocare uoluerit et non fecerit ut hominem
interficiat' 167, 1 etc. — 'si quis in furtum elocatur (I. -us)
hominem occidere uoluerit' 163,2 etc. Es findet sich: seu-,
8e{e)olando ueua 96, 1 (cod. 7. 8. 9). 103, 2. (cod. 4). 105, 1. 2 var.
(cod. 8. 9). 105,xxni var. (cod. 9), seolando uena 105, 1. 2 (cod. 7).
105, zxiu (cod. 7; n für u nach § 3 jr), seu landoueuas, seulädo-
ueuas 106, 1 (Her.). 106, xzi (Her.), seu landeueuas 97, 1 (Her.;
e für 0 durch assimilierende Schreibung nach § 2^), se%dando
uauas 112, 2 (cod. 4; a für e nach § 2^), seu-j seolando efa 100,
xvra (cod. 1). 104, 1 (cod. 6). 169, 2. 4 (Her.), sdando effa 101,
XVIII (cod. 2). 110, 2 (cod. 2; wegen ;f vgl § 4 g), sdane effa und
selane effefa 92, 1 (cod. 2; die glosse steht hier zweimal; 0 effefa
für effa durch dittographie von ef, vgl. § 2/), seu-, seolandefa
104.2 (cod. 6). 167,1.2 (cod. 6), seulandeba 104, xvm (cod,6),
seoUmdeua 95, 1 (cod. 6), seolande fadisco landefa 95, Ib (cod. 6;
aus doppelt geschriebenem seolandefa entstanden durch ein-
Schaltung von aus vorangehender silbe entnommenem de, woraus
überliefertes di nach § 4a, und durch Verlesung von c ans e
nach § 3£); sonst noch durch ausfall eines grosseren oder
kleineren teils der glosse se(o)lando 101,1. 2 (cod. 2); amiena
1) Vor sdane effa überliefertes leodi steht hier an unrichtiger stelle
(vgl. § 71 im eingang und § 87).
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zu DEN UALBBBGhlSGHBN GLOSBEN. 73—74. 355
169, 1 (Her.; ausfall von seol und von do in durch Verlesung
von u aus n bez. von n aus u entstandenem *aud(m€na); uito
ido efa 101, 1 (cod. 1; ausfall von se] *ulando wurde durch Ver-
lesung von i aus l nach § S/u, von «i aus n und durch Ver-
wechslung von a mit der Ugatur für ti, vgl. § Sßj zu *uitiudOj
das, für uituido angesehen, als uito ido nachgeschrieben wurde);
i%M 168, Ib (das ni von aus ueiui entstelltem *niim wurde zu-
nächst für in angesehen und als i nachgeschrieben, woraus in
der folge t nach § 38). Wegen selando efa 101, 3 (cod. 2) und
setdando ueua 273, 1 (cod. 3) s. s. 359, anm. 1 und § 139.
Grimms einfall 's^olando euua = regionum maritimarum,
insularum lex oder consuetudo' (M lviu) sowie Sohms daran
angeknüpfte deutung ^seelandsbusse' (s. Die fränk. reichs- und
gerichtsverfassung s. 563, anm. 24) erfordern keine Widerlegung.
Bei der annähme von Eems seolan do bez. defa, dofa, doefa
= 'der Seelen tötung* (K § 90. 107) stiesse man auf allerhand
phonetische Schwierigkeiten und gewänne ausserdem eine be-
deutung, die nicht zu dem oben hervorgehobenen Inhalt der
betreffenden Paragraphen stimmen würde. Eben dieser Inhalt
lässt einen sich auf mordversuch bez. die absieht zu gefährden
beziehenden ausdruck erwarten und nötigt also gleichsam dazu,
ahd. as. anfrk. ando 'eifer, zom', ags. anda 'eifer, zorn, bös-
willige gesinnung' zu berufen und, mit rücksicht auf ags. wefan
'anzetteln' und die bedeutungsentwickelung von anbetteln und
damit in semantischer hinsieht in eine linie zu stellendem nL
herokkenen 'anstiften', in {u)efa, {u)eba, ueua (wegen f zur
darstellung von S und wegen h und u statt /* s. § 6d) ein de-
rivatum zu erblicken, das entweder als im nom. stehende
i;n-bildung 'anstiftung' bez. 'anzettelung' oder als im acc.
stehende J-bildung 'busse wegen anstiftung oder anzettelung'
(vgl § 39) bezeichnete (vgl. auch ago epha § 136). So gewänne
man ein compositum seolandauuefa = '(strafe für) aus bös-
willigkeit der gesinnung hervorgegangene anstiftung, lebens-
gefährdung', das durch romanische substituierung von o für au
(§ 4/9) ein der Überlieferung zufolge für die vorläge X» (vgl.
§ 1^ und 188) vorauszusetzendes *seolandouefa ergab, woraus
die in cod. 3. 4. 7. 8. 9 und der Heroldina erscheinenden lesarten
mit -ueua etc. und durch nochmals erfolgte substituierung
monophthongischer Schreibung für diphthongische (die Ortho-
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356 VAN HELTEN
graphische identificiernng von au und o veranlasste die ideai-
tificiemng von ou und o, in folge deren o für ou eintrat^ vgl
auch § 80) die in cod. 1. 2. 6 und der Heroldina begegnenden
lesarten seolando efa etc.; sodann auch in cod. 6 fiberlieferte
seur, seolandefa, -deba, -deua mit e ffir oe (nach dem muster
von mechcm, femina, fenum, cenitus für moechari, foemina,
foenum, coenitus, vgl. Hesseis' index) und selane effa darch
ausfall von o und do und doppelschreibung des zweiten e
(§ 27). Das 8 von seulando (bez. -de) ueuas bez. uauas ent-
stand wol durch fassung der glosse als acc. plur. (prftdieat
zu *sol.' d. h. 'soMos'). Siehe noch weiteres in § 106.
In dem im eingang von § 71 besprochenen paragraphen
bezieht sich die glosse auf einen frevel, der, wenn gleich nicht
mit der absieht zu töten begangen, doch den tod einer person
oder mehrerer hätte zur folge haben können; die brandstiftnng
wird in dieser hinsieht dem attentate gleichgestellt In betreff
der Überlieferung der glosse in diesem paragraphen sei ausser-
dem noch folgendes bemerkt Die zweite bestimmung, das
recht der hausbewohner des angezündeten hauses, den brand-
stifter wegen der lebensgefährdung zu belangen (s. § 71), ist
in cod. 1. 2. 3. 4 durch 'quanti ingenui intus fuerint mallare
debent' (d.h. sind berechtigt) formuliert Statt dessen findet
sich in cod. 6 (95,1b) 'quam (l. quanti) intus fuerint mallare
debent de seohndeua^; in cod. 7. 8. 9 (96, 1) *ille uero qui ex-
inde euaserint unusquisque ex ipsis mallare eum debent per
mat seolando ueua^\ in der Heroldina (97,1b) 'illi uero qui
exinde euaserint unusquisque ex ipsis eum mallare debent per
Matterg seu landeuauas\^) Das de bez. per des Zusatzes weist
auf mit der präposition verbundenes textwort hin, das ein auf
*seolandauueua beruhender, in die galloromanische gerichts-
sprache übergegangener terminus gewesen sein muss, der wol
nach dem § 120 und 157 zu triuta und naufo bemerkten als
*seolandoua anzusetzen ist; die mit den überlieferten glossen-
lesarten übereinstimmenden seolandeua etc. und die nach per
^) Aus der übereinBtimmimg der fonnnlienmg in ood. 7. 8. 9 und der
Heroldina geht hervor, dass dieselbe ans einer vorläge stammt , die der
speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9 zu gründe gelegen hat (etwa Torlage X*)
und vom Verfasser der Heroldina neben der vorläge X* gelegentlich benutit
wnrde (vgl. auch die anm. zu § 86).
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Zu DEN MALBEBGISGHEN GLOSSEN. 74r— 75. 357
stehenden mai, MaJberg lassen auf beeinflussung des text-
Wortes durch die glosse schliessen. M. a. w. es waren in der
vorläge X^ sowol das textwort (in ^quanti intus fuerint mallare
debent de se6landoua\ d. L Von wegen lebensgefährdung) als
die betreffende, aus vorläge Xi stammende glosse vorhanden;
beide finden sich wider in cod. 6 (wegen der glosse vgl. das
oben citierte, auf seolandefa zurückgehende seolande fadisco
landefa,^) das textwort jedoch in nach dem muster der glosse
geänderter form; in cod. 7. 8. 9 und bei Her. hingegen be-
gegnet das resultat eines bei der einschaltung der randglossen
in den text (vgl. § 2$) stattgefundenen compromisses, wobei
die glosse an die stelle des textwortes rückte, issper (= 'von
wegen ')^) aber erhalten blieb. Wegen in cod. 6 in diesem
Paragraphen an der stelle von andeba überliefertes seolando
et uas holdem pa 95, Ib s. § 71.
§ 75. In den von kopfverwundungen handelnden Para-
graphen des titeis 'de uulneribus' werden zwei fälle unter-
schieden: 'si quis hominem ita plagauerit in caput et (ut)
sanguis ad terra cadit (cadat)' 104,3. 106,3. 102,4. 103,4
(strafe 'sol. xv') und 'si quis hominem ita plagauerit in capud
ut (et) exinde tres (tria) ossa exierint' 104,4. 106,4. 100,3.
101,4. 102,4. 103,4 (strafe 'soLxxx'). Die dazu gehörenden
glossen sind überliefert als uiuisio feth 100, 3 (cod. 1), chicsio
frit, ckisio frit 101, 4 (cod. 2), chesfrido 104, 3 (cod. 6), charfrido
106, 3. 4 (Her.), cusfredu, -fretü 105, 3 (cod. 7. 8 mit d, cod. 9
niit t) und inanbina äbiliccB 104, 4. Letztere, nur hier (cod. 6)
erscheinende gehört offenbar zu *ut exinde tres ossa exierint'.
Kern vergleicht (K § 109) im ags. bänes blice begegnendes
hlice (kurzsilb. i-stamm) = 'blosslegung' (wegen des zwischen
h und l eingeschalteten % vgl. § 2rf; wegen -(b für -e statt -i
§ 37, anm. 1 und § 4 a) und fasst bina als gen. pl. für bena mit
-a, das altsächsischem, im Mon. gelegentlich für -o eintreten-
den -a zu vergleichen wäre. Da aber für die spräche der
glossen erhaltung von durch die Schreibung a für ai repräsen-
tiertem diphthong aH vor n als tatsache erscheint (§ 4cß\ müsste
1) Das bieryor stehende leoäe gehört zum folgenden 'den. viii m qui
fac. sol. CO' (vgl. § 71 im eingang nnd § 87).
») Wegen dieser bedentung vgl. Sal. 100, 8 (101, 8 etc.): ita wt per
iinguios iectos {Mctos, ictoa) temos sol reddat
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358 VAN HBLTEN
man hier ban- oder eventuell mit ans der Schreibung des glos-
sators erhalten gebliebenem ai bain- gewärtigen, und ich mö<dite
es deswegen wagen, bina auf *baino zurückzuführen, statt
dessen -o durch einwirkung des -a von äbilioB oder einer Vor-
stufe desselben -a geschrieben wurde (vgl. §2b; die annähme
einer jüngeren entwickelung -a für -o liesse sich mit rücksicht
auf das alter unserer glossen kaum rechtfertigen). Die Ver-
bindung eines adverb. inan = as. innan (E § 109) mit *haino
äbUci wäre allerdings denkbar; doch würde man bei dieser
annähme eine bezeichnung der wichtigen zahl 'tres' vennissen.0
So aber drängt sich einem fast unwillkürlich die frage auf,
ob man nicht dazu berechtigt wäre, in in (nach § 3jr) eine
Verlesung aus den drei verticalstrichen des romischen Zahl-
zeichens und in an ein nach dem muster des folgenden äbiUciB
oder einer Vorstufe desselben vor dem b von bina (oder *baino bez.
*baina) eingeschaltetes buchstabenpaar (vgl §26) za erblicken.
Also ist für die deutung von uiuisio feth etc. mit *et (ut)
sanguis ad terra cadit (cadat)' zu rechnen, woraus sich zunächst
ergibt: dass zu 'sanguis ad terra(m) cadit (cadat)* stehendes
chesfrido von cod. 6 und charfrido (106, 8) bei Her. an richtiger
stelle überliefert sind; dass dies ebenfalls gilt für dncsio frit
von cod. 2 zu 'si quis alterum in caput plagauerit et ei fuerit
adprobatum . . . sol. xv culp. iud.', worin auf grund der Über-
lieferung von cod. 3 und 4 (wegen des engeren Zusammenhangs
der texte von cod. 2. 3. 4 vgl. Behrend, Zs. 1 deutsche rechts-
gesch. 13, 26) 'si quis hominem (ingenuum) in caput plagauerit
sie ut (et) sanguis ad terram cadat (cadit) . . , xv soL culp. iui*
der alte, sich auf das blut beziehende passus einzuschalten ist;
dass aber zu 'exinde tria ossa exierint' überlieferte uivisio
feth von cod. 1, chisio frit von cod. 2, charfrido (106,4) bei
Her. und cusfreda, -fretü von cod. 7. 8. 9 an unrichtiger stelle
stehen, indem sie als doppelschreibung der voranstehenden
glosse (in cod. 2 und bei Her.) oder als von dem vorangehen-
den (in cod. 1 und 7. 8. 9 ausgefallenen) Paragraphen her hierhin
verirrte glosse den correspondenten von in cod. 6 erhaltenem
^) Vgl. die bei Geffcken, Lex Sal. s. 129 zu 'tria oflsa' dtierte literatur
und beachte auch in den Fries, rechtsqu. in buBstaxenveizeichniflBen b^g«g^
nende thria (thrirä) bena ütgung H 82| 20. 340, 29, tria bena wtgong £*
83,20, ihrtra bena ütgong B« 119, la 586,6.
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zu DEN MALBEBGISCHEN GLOSSEN. 75. 859
inanbina äbüiccB (s. oben) yerdrängt haben.^) Sodann geht ans
dem oben bemerkten hervor^ dass die richtigkeit von Grimms
gleichnng cht(c)sio = an. Jyarsi ^kopf zn bezweifeln ist. Einen
fingerzeig aber zur anfflndnng des den überlieferten lesarten
zu gründe liegenden Wortes gewährt m. e. aofries. {ef)siv(e)ne,
wofür Sievers (Beitr. 17, 310, anm.) die bedeutung 'abtrieftmg'
nachgewiesen hat, das aber nicht auf siunn, sondern auf zu
ahd« sib, ags. sife 'sieb^ ags. siftan gehörendes *siSin zurückzu-
fahren ist (altes tv hätte hier nach afries. lautgesetz schwinden
müssen, vgl. Aofries. gr. § 86 a). Nach solchem *stRtn lässt sich
für das salfrk. ein durch präflx ga- gebildetes yerbalabstractum
"^gasif vermuten, das in Verbindung mit zu 'exarabant rittun
(I.nYun)', 'ungulis scribentibus hritanthion crampon^ der Düsseid.
PrudentiusgL (Ahd. glL 2, 582, 45 und 4) und mnl. Htm ^reissen'
(aus *hrftan, vgLTijdschrift vor Nederl. taal- en letterk. 14, 113)
gehörendem *hrit ^Verwundung' (vgl mhd. m 'wunde')*) ein
0 Im yorbeigehen sei hier bemerkt^ dass unserem titel in der älteren
abfassong noch ein paragraph angehörte, der von einer yerwnndnng im
allgemeinen, die blntverlnst znr folge hatte, handelte. Derselbe findet
sich in cod. 1 als 'si qois hominem plaganerit ita ut sangnis in terra cadat
... sol. XV cnlp. ind.' an richtiger stelle (als paragr. 5) unmittelbar vor
paragr. 6 'si quis ingennns ingennum de füste percnsserit nt sangnis non
exeat . . . sol. in cnlp. ind.' nnd paragr. 7 'si nero sangnis exierit, tale cnlpa
componat qnantnm si enm de ferro nnlneranerit', welch letzterer sich anf
den 5. paragr. bezieht. In cod. 2. 3. 4. aber ist besagter paragr. nach yom
gerückt nnd vor dem paragr. 'si qnis hominem in capnt plaganerit sie nt
sangnis ad terram cnrrat' (als paragr. 3) eingeschaltet.
In cod. 5. 6 nnd der zweiten Heroldschen hs. fehlt der betreffende pa-
ragr., offenbar in folge des nmstandes, dass ein copist das 'si qnis hominem
ita plaganerit nt sangnis in terra cadat ... sol. xv cnlp. ind.' nnd das 'si
qnis hominem ita plaganerit in capnt nt sangnis in terra cadat . . . sol. xv
cnlp. ind.' identifiderte nnd den ersteren paragr. ansliess. Umgekehrt ist
letzterer paragr. durch die nämliche identificiemng in cod. 1 nnd der He-
roldina geschwunden, in letzter hs. jedoch, indem die glosse charfrido (oder
eine yorstnfe dieser lesart), die der ttberliefemng zufolge znm paragr. mit
'in capnt' stand, zn dem erhaltenen paragr. geschrieben wurde. In cod. 7.
8. 9 fehlen die beiden paragraphen.
Die in cod. 2 znm paragr. ohne 'in capnt' stehende glosse sdando efa
101,8 bemht augenscheinlich anf entlehnnng ans dem Torangehenden paragr.
101,2 mit älterem seolcmdo efa, worans überliefertes seolando (vgl. § 74);
Yon einem yersnchsdelict ist ja in diesem 8. paragr. nicht die rede.
*) Der annähme eines Zusammenhangs des zweiten compositionsgliedes
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360 VAN HELTEN
compositam ergabt das 'blutwnnde' zu bezeichnen hatte. Aus
solchem *chasifhrit (mit ch nach des glossators schreibmig for g,
vgl § 6^), bez. ans durch frühzeitigem Schwund des zweiten h
dafür eingetretenem *chasifrit von vorläge X^ (vgl. %lß und
188) lassen sich die belegten lesarten anstandslos herleiten:
nach der Überlieferung in cod. 6. 7. 8. 9 und bei Her. für die
vorläge X' anzusetzendes, durch ausfall des ersten i, schreibnng
von d für ^ (§ 4/) und antritt von lat. -o (§ 5a) entstandenes
*ch€isfrido, woraus Herolds charfrido mit r für « (§ Sr), dhes-
frido von cod« 6 mit a für i (§ 4a), das durch assimflierende
Schreibung (§ 2 c) für a eingetreten war (also mittelstuf e ^dUs-
frido), cusfreda von cod. 7. 8 (und der speciellen vorläge von
cod. 7. 8. 9) mit c f ür cft (§ Qß), u für a (§ 3a), a für f und
•trni für -0 (§ 5a), cusfretu von cod. 9 mit ^ für ä (nach § Sx;
das d von cod. 7. 8 verbietet, in dem t von cod. 9 altes t za
erblicken); nach der Überlieferung in cod. 1. 2 für die vorläge
X^ anzusetzendes, durch assimilierende Schreibung von « für a
(§2£) und antritt von -o an für Simplex angesehenes cküi
(oder *chasi) entstandenes chmo frit, das in cod. 2 intact er-
halten blieb bez. durch einschaltung von c (nach § 24) zu
diicsio frit wurde, für cod. 1 aber uiuisiofefh ergab durch Ver-
lesung von m aus ch (§ 3o) und darauf erfolgte teilweise ditto-
graphie von (nach § 3 g) aus m verlesenem ui sowie durch aus-
fall von r und Schreibung von a für i und ^A für ^ (§ 7a).
In cod. 6 steht vor chesfrido noch leodarö (vgl. § 39) und
zu charfrido der Heroldina verzeichnete Herold als var. seiner
zweiten hs. Uodardi Daraus ergibt sich, dass zum betreffen-
den Paragraphen ursprünglich zwei glossen gehörten, die eine
als busse-, die andere als wundebezeichnung. Hiemach hat
auch wol das *baino äbliä nicht als strafe- (vgl § 39), sondern
als Wundebezeichnung zu gelten.
§ 76. In einem von Verletzung des rumpfes handelnden
Paragraphen (worüber unten § 77) wird ausser der composition
auch noch 'medicatura(s)' erwähnt, nach Kern (E § 112) =
Hhe expenses for the eure' (wegen der begrif&entwickdung
vgl. § 39). Dazu in cod. 2 andechabinus 101, 5, in cod. 4 cande-
mit ahd. fratön saaciarei aofries. frjftha in h9nfii>iha 'knochenwnnde^
(K § 108) widersetzen sich die überlieferten t nnd c von frü etc.
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zu DEN MALBEBGIBCHEN GLOSSEN. 75—76. 361
chapanus 103, 5. Hiervon nicht zn trennende andeafen 104, 5,
aade afenus 106, 5 (mit u ton n nach § 3jr) stehen in cod. 6
nnd bei Her. zn einem Paragraphen, der einen znsatz enthält
zn den im eingang yon § 75 erwähnten, eine kopfverwnndnng
betreffenden bestimmnngen: 'si qnis hominem ita plaganerit (in
capnt) nt cerebrnm exierit . . . sol. xlv cnlp. ind.'; indem hier
aber 'medicatnra(s)' fehlt, sind die glossen als hierhin von
einem folgenden, mit 101,5 (cod. 2) nnd 103,5 (cod. 4) corre-
spondierenden, 'medicatnra(s)' enthaltenden Paragraphen her,
nämlich 104, 7 (cod. 6) nnd 106, 6 (Her.) verirrte zu fassen
(ans dieser Übereinstimmung der beiden hss. folgt, dass die
glosse schon in vorläge X*, vgl. %lß und 188, an unrichtiger
stelle stand). Eeni vergleicht (E § 112) nl. handhavenen
'curieren' und fasst die glosse als ein nach art von got. skal-
hifMSSus U.S.W. zu skaücinCHi u.s.w. (vgl. Eluge, Nomin. stamm-
bild. § 137) zu *handha^nön (vgl. ahd. hebinm tractare) gebil-
detes derivatum. Dazu stimmt ganz schön das dreifach belegte,
mit der endung von *ingimus (§ 16) identische -us. Also sal-
frk. *handha^nus (wegen des nicht umgelauteten a vgl. § 36),
nach des glossators Schreibung *chandcJiafinus (§ 6^ und <}),
woraus zunächst durch frühzeitige einschaltung von lat. -e-
der compositionsfuge (§ 5^) *chandechafinas in vorläge X^;
dann cmde- und -afenius) durch ausfall von h aus ch (§ 6/),
cande- durch Schreibung von c ffir c% (§ Qß\ -chabinus mit b
für /* (§ 6rf), -chapanus mit j) für /* (§ SX) und a durch assi-
milierende Schreibung (§ 2£) für i, -afen{us) mit 6 für t (§ 4 a).
Aus dem umstand, dass die den ersatz des arztlohnes bezeich-
nende glosse wie die Strafebezeichnung (vgl. § 39) als prädicat
zu von 'culp. ind.' abhängigem 'sol.' (d. L solidos) zu fassen ist,
geht hervor, dass ^-chafinus als acc. sg. verwant wurde, was auf
salfrk. -US (aus *-t«55t«(n), vgl. Beitr. 17, 297 ff.) schliessen lässt.
Das oben erwähnte *haKnUn weist auf ein verbale nach
art yon altostnfrk. drugma 'betrug', lagina 'lüge', as. stulina
'diebstahl' hin, das salfrk. *habin^ in der composition (nach
Beitr. 17,288) *'ha^nu zu lauten hätte. Dasselbe findet sich
in der tat in unseren glossen in zu 'si quis amisarium alienum
extra consilium domini sui spadauerit' gehörenden andeaibina
221, 12 (cod. 6), andechoUna 223, 15 (Her., mit o aus u für a,
§ 3a) entweder als urspr. nomin. = 'das castrieren' aus
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362 VAN HELTEN
"^handchafinu (salfrk. *ha/ndholb%nUy vgl § 67) durch yerlesimg
von -a ans -u (§ 3a) oder als nrspr. acc. = 'die w^;eii an-
berechtigten castrierens zn entrichtende strafe' (vgL § 39) ans
*hand€hafina. Wegen der yerwendnng eines für 'wond&TtJich
behandeln' geltenden ansdrucks znr bezeichnung von 'castrieren'
vgl. ahd. luppun medicari nnd mnL mnd. Uibben 'verschneiden',
mnd. böten, hüten, helen, heilen mit den beiden ebengenanntea
bedeutungen, im Tenthonista aufgeführtes ^heylen, hiithen, v.
hueten* nnd ^boeten, uyttcerpen, lubben, uytsmfden, heylen, rujfnen
castrare, emascnlare, evirare'.
§ 77. Zu 'si nero inter costas ita niünns intrauerit nt
nsqne ad intrania perueniat ... sol. xxx cnlp. ind.' steht gasfrü
101, 5 (cod. 2), geisofredo 104, 6 (cod. 6). Die bernfung von an.
geisl costae (K § 110) empfiehlt sich nichts weil hier nicht von
rippenverletznng die rede ist, sondern von verwnndnng des
rompfes. Für den zweiten teil des Wortes denkt man an das
§ 75 eruierte *hrü nnd an den salfrk. reflez von got uf- 'herauf'
(vgl. § 101 sowie 99 und 135): *ofhrit 'anfreissnng', woraus einer-
seits -frit, andrerseits ofredo (vgL die § 75 besprochenen -rido,
-redü). Als erster teil wäre der genetiv einer benennnng for
^mmpf ' am platze; etwa *bacas (wegen der endnng vgL § 119),
woraus durch frühzeitige Schreibung von 9 für c (nach § 4/)
und ebenfalls frühzeitigen ausfall von bu schon in der vorläge
^^ (^?I- %^ß lu^d 188) vorhandenes gas, zu dem die lesart
geis gehört mit durch die ähnlichkeit der schriftzeichen für a
und ei (vgl. § 38 zu ckanchurda) hervorgerufener versdireibnng eL
In cod. 1 steht zu demselben Paragraphen hisifreih 100, 4,
in cod. 7.8 CU8 fredum 105, 4, in cod. 9 cus freta 105, 4. Der
umstand, dass sich in diesen hss. im vorangehenden Paragraphen
auf *chisio frefh zurückgehendes uiuisio fefh bez. cusfredM,
'freta findet (§ 75), führt zu der annähme, dass hier eine nach
dem muster der voranstehenden glosse umgeänderte lesart vor-
liegt: zunächst *chisiofreth (für *gasfreth)y woraus hisifreih
durch ausfall von c (§67) und 0; *cus fredum in der speciellen
vorläge von cod. 7. 8. 9 (für *gasofredum oder ähnliches), woraus
cus fretu von cod. 9 durch widerholte Umbildung nach voran-
stehender glosse. Bei Her. fehlt die glosse durch ausfalL
In cod. 6. 5 uhd der Heroldina begegnet als zusatz zum
eben angezogenen Paragraphen 'si u^x) plaga ipsa semper
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Zu DEN MALBBBGISCHEK GLOSSEN. 76—78. 363
cnrrit et ad sanitatem non peruenerit (bez. 'et semper corrat
et non sanat') sol. Lxn cum dimidio'. Dazu freobleto 104, 7
(cod. 6), friobUtto 106, 6 (Her.). (In cod. 7. 8. 9, wo der zusatz
mit dem gedachten Paragraphen verschmolzen ist, steht cus
fredum, fretu). Für die deutung des zweiten compositions-
gliedes haben Grimm (M xLni) und Kern (E § 111) den weg
geebnet durch hinweis auf ahd. pUiam = 'liyor (yulneris)'
und 'plaga' (vgl. ^flsLgis plevs^on^ Ahd. gll. 2, 36, 26 und beachte
wegen des Zusammengehens der beiden bedeutungen ahd. freti
liyor yulneris und fratöt sauciat); also -hleto (mit e aus ai yor
muta, ygl. § iß) entweder substantiviertes adjectiy (ygl. ags.
hldt liyidus) mit lat. -o (§ 5 a) oder durch -an gebildetes ab-
stractum mit salfrk. -o, wenn der glossator eine nominatiyform,
oder mit -o für -un (ygl. § 41 zu -uano), wenn derselbe eine
accusatiyform (zur bezeichnung der strafe, ygl. unten) yerwant
hat, 'hlitto mit i und tt (nach § 4 er. g). Für den ersten teil
des compositums yergleicht Grimm (a. a. o.) mhd. reumnt, in der
Lex Baj. stehendes hrewawunt, während Kern an ags. feorh-
bennun 'totwunden' erinnert; indessen, es ist in dem Para-
graphen nicht die rede yon einer tötlichen, sondern yon einer
unheilbaren wunde, und es wäre hier deswegen etwa mit mehr
recht an firin- in as. firinquala, fyren- in ags. fyrenearfeöe,
fyrenöearf anzuknüpfen und für freo-y frio- ursprungliches */?n»-
anzusetzen, das durch ausfall yon i und Schreibung yon o für
aus n yerlesenes u (§ 3:;r. 4 a) in yorlage X^ (ygl. § IjS und
188) stehendes frio- ergab, woraus freo- (§ 4a) yon cod. 6.
§ 78. Zu 'si quis ingenuus ingenuum de fuste percusserit'
und 'si quis de clauso pugno alio percusserit' stehen als glosse
die lesarten utudfach^) 100,6 (cod.l), uualfoth 100,8 (cod.l),
f4ad falto 101, 6 (cod. 2), uuadeflat 101, 8 (cod. 2), uueü adepdl-
<Ä€ö«)104,8(cod.6), uuaUphalt 104:, 10 (ooi.6), uuidifalt 105,1h
(cod. 7. 8. 9), uuadfaltho 106, 7 (Her.), uuadefaltho 106, 9 (Her.).
Die zweierlei bedeutungen yon ahd. ßlen flagellare und mnl.
Villen decoriare Hessen zwar für eyentuelles, zu an. fld, ags.
fUan 'schinden' gehörendes salfrk. fleucht (= aofries. flecht 'ent-
häutung', Aofries. gr. § 176) eine bedeutung 'schlag' yermuten
1) So nach Hessels und G. Bnsken Hnet (ygl. die anm. zn § 82). Merkel
hat uwüftUh,
*) Merkel hat hier ü an^elSst in um.
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364 VAN HBLTEN
(E § 113), doch weisen die lesarten des zweiten compositions-
gliedes unserer glosse schwerlich anf einen solchen prototypns
hin. Vielmehr ist ans -falt, -fiat, -falto (§ 5 a) altes -faU zu
folgern, das sich als bezeichnnng fär 'yerwnndmig durch einen
schlag' oder 'dafür zu zahlende busse' (vgL § 39) versteht bei
beachtung von ahd. anevala 'amboss'. In -falOM ist das ft
nach § 7a zu beurteilen; aus dieser lesart nnd ans -paUheo
(mit |) aus f&r /* geschriebenem ph und mit -eo, das der copist^
dem neben -o auch -eo, -io als glossendung geläufig war, vgl.
§ 5 a, fär -o substituierte) ist für die vorläge X^ (vgL § 1^ nnd
188) auf *-faltho zu schliessen, sodass -phalt von cod. 6 auf eine
Vorstufe *phaltho oder etwa -eo zurückzuführen wäre; -fadi
steht für *'fath aus *-falih; -foth für *'fath in folge von dnrdi
das im tezt unmittelbar folgende 'hoc' veranlasster assimilie-
render Schreibung (vgl. § 2?/ und e).
Für den ersten teil der glosse möchte man ein zur aini
Wurzel vadh icere, percutere gehöriges salfrk. *uuad oder *uuäd
ansetzen, das in Verbindung mit -fcdi ein compositum bildete,
welches sich den in meiner abhandlung Zur lezicologie des
altwestfriesischen s. 13 f. besprochenen dü$(t)sWß, -stet u.s.w.
'schlag, stoss u. s. w., der quetschung zur folge hat' (mit zu ags.
dynt ictus gehörendem düst-) vergleicht. Aus uuade- von cod. 2
und der Heroldina, ade- von cod. 6 und uuidü von 7. 8. 9 ^-
gibt sich für vorläge X^ anzusetzendes ^uuadi- mit lat com-
positionsfuge (§ 5^3), also gelegentliches {ujuad- für utMufes
uuidi' mit i für a durch assimilierende Schreibung (§ 2«); msv,
ade durch ausf all von ad und verschreibung von ü ans tfu
(vgl. § 3jr) aus dittographischem *uuade uuade\ uuaUir för
uuade- durch einschaltung von l (nach § 2tf); uiAo^ in folge
von durch 'mal' (vgl. § 2^) hervorgerufener verschreibung von
l für die).
Die zu 'si uero (in folge eines Stockschlages) sanguis exiret
. . . talem culpam conponat quantum si eum de ferro uuhierassit*
stehenden uuadfodo 101,7 (cod. 2) und uadofdlto 103,7 (cod. 4)
sind mit rücksicht auf die bedeutung der glosse als aas der
voranstehenden glosse entnommen zu fassen; w^;en der über-
lieferten lesart beachte: -fodo durch Verlesung aus durch ans-
fall von t entstandenem -falo, indem der zweite halbbogen des
a-zeichens der ags. halbuncialschi-ift (vgl. in Arndts Schrifttat
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Zu DEN HALBEBGISCHEN GLOSSEN. 78—80. 365
taf. 5b) mit hart daran geschriebenem Z für d angesehen
wnrde; uadofdUo für *(u)tuid€' oder \u)uadifdUo (nach § 28).
§ 79. In cod. 1 finden sich die glossen urtifugia 100, 9,
urtifugiam 109, 2. Der betreffende paragraph hat beide male
'et . . . euas(s)erit', was zu der folgerung berechtigt, dass wir es
hier mit sich gegenseitig deckenden ausdrücken zu tun haben.
In ur- erkennt man sofort dem e- von *euas(s)erit' entsprechen-
des adyerb. Fflr -tifugia ist an an. Ufa {-ada) 'schnell laufen'
anzuknüpfen und mit rücksicht auf die in der as. flexion der
schwachen verba 2. klasse neben -o- begegnenden -ogi-, -oge-,
'Oi' (s. Beitr. 9, 506, anm.) die möglichkeit ins äuge zu fassen,
dass auch im salfrk. solche doppelformen in schwang waren:
*urHfogia mit -a für -e in der 3. sg. praes. opt (vgl. § 113) und
f als Schreibung für S (§ 6d); daraus durch Schreibung von u
für 0 (nach § 4 a) urtifugia. Das -am wurde vom copisten sub-
stituiert für -a, worin er die lat. accusatiyendung erblickte
(vgl. § 46 zu solam phinam etc.).
Statt urtifugia hat der correspondierende paragraph in
cod. 2. 6 und der Heroldina murdo, nurdo, mosdo (§ 63), woraus
für vorläge X^ und X^ (vgl. §1/3 und 188) das Vorhandensein
zweier glossen zu erschliessen; in vorläge X^ fehlte die eine
durch ausfall; aus vorläge X^ gieng die eine in cod. 1, die
andere in cod. 2 über. Wegen urtifugiam s. noch § 81.
§ 80« Zu 'si quis alterum (eum) ... raubauerit' in tit.
XVn (XX) steht harauuano 104, 12 (cod. 6), cha&roeno 106, 10
(Her.); zu dem nämlichen, in der Heroldina nochmals und zwar
in tit. XXXIV erscheinenden Paragraphen chereno 106, 3 b. Als
Überschrift zu dem die Paragraphen 'si quis alteri de manu
per uirtntem (gewaltsamerweise) aliquid tulerit' und 'si uero
quicumque desuper hominem in tertia manu miserit et ei per
uirtntem tulerit' enthaltenden tit. LXI (LXTTTT. XCIV etc.) er-
scheint ein offenbar ursprünglich als glosse zum ersten Para-
graphen stehendes (vgl § 71 am schluss) 'de charoena' 388
(cod. 1), *de carumna' 389 (cod. 2), 'de charoenm' 390 (cod. 3),
*de caroen' 391 (cod. 4), 'de carouueno' 392 (cod. 5), 'de cairro
enno' 392 (cod. 6), 'de aroena' 393 (cod. 7. 8. 9), 'de harauueno'
394 (Her.), 'de charoena' 395 (Emend.); der zweite der citierten
Paragraphen hat als glosse caroen 389, 3 (cod. 2), charoenna 390, 2
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366 YAK HBLTEN
(cod« 3), cruene 392, 3 (cod. 6), aroena 393, 2 (cod. 7. 8. 9^ dbo-
rottweno 394, 2 (Her.).
Der berufong von ags. hertcan vexare, ahd. hertaen exa-
sperare (E § 258) widersetzt sich die für unsere glosse zq
postulierende bedeutung 'beraubung, raub' bez. 'beraubungs-
strafe' (vgl § 39). Müllenhoffs fassung (bei Waitz, Das alte
recht der sal. Franken s. 280) charivenna, d. h. hart turba +
winna dolor, befriedigt lautlicher und semantischer gründe
wegen keineswegs. Grimm trifft (M xlyi) m. e. das richtige,
insofern er an ahd. giraubi spolia erinnert, wozu ahd. ^rauben^
mhd. (he)reuben (= an. reyfa). Auf hierzu gehöriges salfrk.
abstractum *g€' bez. *garautin, nach des glossators Schreibung
(ch und u zur darstellung von g und d, vgl. § 6ß. ö) ^che-, cha-
rauuin (wegen au vgl. § iß) lassen sich ja die überlieferten
lesarten anstandslos zurückführen:
der Überlieferung in tit XVII (XX) und XXXIV zufolge
für die vorläge X^ (vgl. %lß und 188) anzusetzendes, durch
substituierung von 6 für i und antritt von -o (§ 5 a) entstan-
denes *cherauueno, woraus einerseits harouuano von cod. 6 mit
A für c% (§ 67) und durch assimilierende Schreibung entstan-
denem a f ür e (§ 2^), andrerseits chaeroeno mit oe für e (vgL
anm. 1 zu § 37), 0 aus für auu eingetretenem ou (vgL § 74 zu
seolando efa etc.) und für ^cheroetw stehendes chereno;
der Überlieferung in tit LXI etc. zufolge für die vorläge
X^ anzusetzendes, durch Schreibung von 0 für au, sübstituierang
von 6 für i und antritt von -a (§ 5 a) entstandenes *charouena;
daraus für vorläge X^ anzunehmendes, durch substituierung von
0 für ou entstandenes eharoena, das charoena von cod. 1, ear-
uenna von cod. 2 mit c für cft (§ 6^) und u für 0 (§ 4a), caroen
von cod. 2 mit e für cA und ohne -a (durch ausfall), diaroenna
von cod. 3 mit nn (§ 4g) und caroen von cod. 4 ergab; für vor-
läge X^ vorauszusetzendes *ckarouena, das einerseits dem aroma
von cod. 7. 8. 9 mit a- für cAo- (§ 67) und 0 für ou zu gründe
lag, andrerseits durch substituierung von mitunter der endung
-en (-in) angehängtem -o (§ 5 a) für -a und dittographie von u
(§ 2/) diarouueno ergab, das in der glosse der Heroldina er-
halten blieb, sonst aber entstellt wurde zu harouueno in der
Überschrift der Heroldina mit A für c& (§ 6/), earouueno von
cod. 5 mit e für eh, carro enno von cod. 6 mit e fSr ch, rr und
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zu DEN MA|.BERai8CHBN GLOSSEK. 80—81. 867
nn (§ 4 g) und ohne uu (durch ausfall), cruene ohne a und ou
(durch ausfall) und mit c für cA und -e durch assimilierende
Schreibung (§ 2 c) für -o. Das charoena der Emend. ist mit
rficksicht auf den engeren Zusammenhang dieser recension und
der in cod. 7. 8. 9 vorliegenden (vgl. Behrend, Zs. f. rechts-
gesch. 13, 33 ff.) wol auf ein nach aroefM von cod. 7. 8. 9 für
vorläge X^^ anzusetzendes *charoena zurückzuführen.
§ 81. Zum 1. Paragraphen von titXVIin (XXini. XXII)
'si quis alteri herbas dederit ut moriatur' steht tauerbus 110, 1
(cod. 2), uuirio 112,1 (cod. 4), trouuerpo 113, 1 (cod. 6), quo uirgo
114, 1 (cod. 7), cauirgo 114, 1 (cod. 9), affeciu leudi 115, 1 (Her.).
Zu dem folgenden 'si quis alten maleficium fecerit et qui
eum praesit (eingenommen hat) euaserit' ^ouu^r 113,2 (cod. 6X
ihoauerpota sado 114, 2 (cod. 7), thoouerpo hoc fado 114, 2 (cod. 9),
tho vue^ho ac fcdtho 115, 1 (Her.); ausserdem bei Her. zu einer
im nämlichen titel überlieferten (nur etwas anders formulierten)
widerholung des Paragraphen tho vuesfo ac fältho 115, 3.
Den touer- etc. liegt (vgl. K § 116) der salfrk. reflex von
ahd. eoubar veneficium zu gründe, d. h. aus des glossators f eder
geflossenes *tauuer' (wegen des au vgl. § 4/9, wegen u zur dar-
stellung von S § 6d, wegen des e vor r § 8): aus altem auu
entstand nach § 4j3 ou, das der lesarten von cod. 6 und bei
Her. zufolge durch dittographie (§ 2/) zu für die vorläge X^
(vgL § lj3 und 188) anzusetzendem ouu wurde; oou von cod. 7. 9
hat dittographisches o; trouuer(') von cod. 6 hat nach §26 ein-
geschaltetes r.
In 'bu8, -io, 'po, -go erblickt Kern (a. a. o.) Verstümmelungen
aus -gifo. Doch dürfte es nicht für wahrscheinlich gelten, dass
die Schreiber jeder in seiner weise den zweiten teil des com-
positums zum tummelplatz ihrer verstümmelungswut ausersehen
hätten. Denkbar wäre es allenfalls angesichts des im zweiten
Paragraphen überlieferten materials, dass dieses auf eine durch
frühzeitigen ausfall von ge oder che (vgl. § 6/9) event von gi
odei' Chi entstandene lesart zurückgehe, dass also in diesen
lesarten ein casus von mit ahd. eittargheba veneficium (E § 116)
zu vergleichendem *tauuergefu (oder -ehefu etc.; wegen f als
Schreibung für S s. § 6d) vene-, maleficium stecke. In diesem
zweiten Paragraphen aber ist die rede von giftmischung, die
keine tötung zur folge hat; man möchte hier demnach an ein
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368 YAN HELTEN
'attentat' bezeichnendes nomen denken, dem ein instmmentalo'
datiy = 'durch Verabreichung von gift' beig^eben wäre. Vgl
das § 66 erschlossene salfrk. verbale *fälih, woraus ^atfaUk
'angriff' bez. 'attentat', das durch antritt von -o (§ 5a) zu
*atfaliko wurde; daraus fär vorläge X^ anzusetzendes aefdUho
(c fär ^ nach § 3 <f), das in der Heroldina intact erhalten bliebe
in cod. 6 durch ausf all fehlt und durch aus&ll von l und ver-
schreibung von d fflr ^ (§ 2^3) fär die nähere vorläge von cod.
7. 9 vorauszusetzendes *acfado ergab, woraus hoc fado durch
vortritt von h (§ 4d) und ta sado durch Umstellung von ans c
verlesenem t und Verlesung von ^ aus /* (§ 3x).
Betreffe der entstellungen von altem *tauuergefu etc. sei
ausser der schon oben betonten behandlung von tauuer- noch
folgendes bemerkt Ffir trauuer von cod. 6 ist älteres ^tnmuerpo
anzusetzen, ffir cod. 2 einstmals zum zweiten Paragraphen stehen-
des *touerbus oder *totAerbo anzunehmen (s. unten). Aus *trü-
utterpo von cod. 6 und Üio vuespho bez. tiu> tmesfo der Herol-
dina ergibt sich (auch mit rficksicht auf das Üi von cod. 7. 9)
für vorläge X^ vorauszusetzendes *ihouuerpho: in cod. 6 ^ ffir Ä
(§ 6^) und p fäi ph (durch ausfall von A); in der Heroldina
f ffir ph. Aus der lesart von X'^ und aus ihoouerpo von ood.
7. 9 ist auf *ihouerfo in X^ zu schliessen: p in der speciellen
vorläge von cod. 7. 9 oder bereits in einer zwischen dieser vor-
läge und X^ liegenden (X^?) durch Verlesung aus f (nach § 31;
die ansetzung von ph ffir X^ empfiehlt sich nidit, indem es
unwahrscheinlich ist, dass der sonst seltene ausfall des h von
ph grade in der entstellungsgeschichte dieser glosse zweimal
stattgefunden hätte). Aus Hhauerfo von X^ (mit ti^ für ^ nach
§ 7 a) und aus durch vorläge X^ vermitteltem Steuerbus von
cod. 2 (mit b für f nach § 66 und -ustSr-o nach § 5a) eigibt
sich ffir vorläge X^ eine lesart *touerfOy die durch substituie-
rung von o ffir ou, ausfall von ge oder che eta und substituie-
rung von -0 ffir -u (vgl § 60) entstand.
Ausser der besprochenen glosse finden sich zu dem zweiten
Paragraphen noch: urtifugiam in cod. 1 (aus *urHfogia = 'eua-
serit', vgl. § 79) und selando effa in cod. 2, setdando uauas in
cod. 4 aus *seol€mdauuefay das hier vielleicht als ausdruck ffir
'lebensgefährdungsstrafe' (§ 74) zu gelten hat, neben Aem *at-
fcdth zur bezeichnung des freveis diente. Von den drei ffir die
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Zu PEN MALBBBGISOHEK GLOSSEN. 81. 869
vorläge X^ yoraoszusetzenden glossen gieng also nur eine in
X' über; die drei standen ebenfalls der ttberKefenmg zufolge
noch in X^, sind aber nur teilweise in cod. 1. 2. 4 überliefert.
Zum ersten Paragraphen stehendes affedu begreift sich als
entstellung der entsprechung yon 'dederit': -fectu durch Ver-
lesung von ctu aus chi (vgl. wegen cti aus o% § 38 zu pecHs)
ffir "^-fechiy das durch Umstellung und Schreibung yon « für e
(§ 4a) aus *'Chefe heryorgegangen war; af- mit f durch assi-
milierende Schreibung (§ 2e) für t\ die alte lesart *atchefe mit
ch und f zur darstellung yon g und S als praes. opt. (ygl. wegen
dieses tempus § 8).
Das *atehefe = 'dederit' weist auf einstmals in der glosse
damit yerbundene entsprechung von 'herbas' hin. Als solche
wäre ein compositum *UHmeruurti (mit uurti als acc. pL zu
"^uurt = ags. fvyrt) denkbar, das frühzeitig durch substituierung
TOB 0 für ou, ausfall yon uu (das äuge des copisten sprang
vom ersten r auf das zweite über) und t, Schreibung von i
für e (§ 4 a) und antritt von -o (§ 5 a) *touirio ergab, das mit
affedu oder einer Vorstufe desselben in vorläge X^ stand und
in vorläge X^ übergieng; daraus: einerseits durch vermittelung
von zwischen X^ und der speciellen vorläge von cod. 7. 9 liegen-
der vorläge (X*?) für besagte specielle vorläge anzusetzendes
couirgo mit c für ^ (§ Sd) und g, das durch Verlesung aus für
i eingetretenem ^ entstand (wegen f für 6 vgl. anm. 2 zu § 37;
wegen der möglichkeit einer Verlesung von g aus § der halb-
uncialschrift beachte in Arndts Schrifttafeln tat 5 a; wegen
aus couirgo entstelltes quo uirgo s. X § 116; ausfall von affedu
oder einer Vorstufe desselben in der speciellen vorläge von cod.
7. 9 oder einer älteren vorläge); andrerseits durch vermittelung
von vorläge X^, die noch die beiden teile der glosse enthielt,
das affedu der Heroldina und das durch beeinflussung von
Seiten des *trouuerpo des folgenden Paragraphen (woraus über-
liefertes irouuer, s. oben) entstandene trout^erpo von cod. 6 (vgl.
§ 2g); aus vorläge X^ aber gieng durch ausfall des zweiten
glossenteils für X* vorauszusetzendes *toutrio hervor, das durch
ausfall von t und substituierung von ü für o das uuirio von
cod. 4 ergab und durch einwirkung von einstmals zum zweiten
Paragraphen stehender glosse zu in cod. 2 überliefertem touerlms
wurde (für "^touirio entweder direct touerbus oder zunächst
Beitrüire fur geachichu der deatschen spräche. XXV. 24
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370 VAN HBLTEXr
*touerbo, das erst später sein -o mit -us vertauschte). — In
der Heroldina stehendes l^udi ist wahrscheinlich nicht ans
der vorläge X^ stammende^ sondern von dem Verfasser dieser
recension herrührende glosse, die derselbe am rande seiner hs.
als ihm bekannten terminos für 'wergeld' (vgl. § 87) zn den
'sol. cc' des textes schrieb; vgl. das ^leudi . . . soL oc' des Para-
graphen 97, 9, der nur in der Heroldina steht und offenbar als
jüngerer zusatz dieser recension zu gelten hat
§ 82. Auf das anfassen eines fingers, einer hand, eines
armes oder Oberarmes ('super cubitum') einer freien fran (vct-
suchsdeKcte rechtswidrigen beischlafe, vgl Brunner, Deutsche
rechtsgesch. 2, 563 und G^ffcken, Lex Salica s. 131) bezieht sich
eine glosse, die sich in tit XX (bez. XXV etc.) in den folgenden
lesarten vorfindet: cod. 7. 9 chram (d. h. chramen, vgL in aUmta
96,8, fkm für fhmen § 3a), cJiramen 114,1b, chrami^ erami
114, 2b (mit e fär c statt ck, § 3^. 6^9), chrannis, chrannes
114, 3b (mit nn für m, § 2/); cod. 6 chamno 113, Ib, ckamn»
113,2b; cod. 1. 2 chamin 109,3, min 110,1b (ans €Aamin\
chcmim^) 110,2b, chamino 110,3; bei Her. chamni 115,1b,
cJumnum 115, 2b, chamnin 115, 3b. Die lesartlichen endungen
lassen sich allesammt auf altes -in zurückführen, das zum teil
intact erhalten blieb, zum teil zu -en wurde (§ 4a) oder zu
'im (§ 2/) oder -i (durch ausfall von n oder über i stehendem
nasalcompendium; wegen -is für 4 s. unten) oder zu -tno (mit
lat '0, § 5 a) bez. -no (durch ausfall von i oder e) oder zu -m
(durch Umstellung), bez. zu -num (für zunächst nach dem muster
des vorangehenden -ni geschriebenes -ni wurde von dnem
copisten -num substituiert, indem er das -i für genitiv^idung
ansah) oder -nin (durch dittographie nach § 2d für -nt , das
nach dem muster der vorangehenden Paragraphen für ^ ge-
schrieben war). Aus dieser endung geht hervor, dass wir es
hier mit einem verbale auf -fn zu tun haben, das, wie Keam
(E § 118) erkannt hat, zu einem zeitwort *hrammiu gdiSrt^
dem nach an. hremma ^mit den klauen ergreifen' eine durch
metapher entstandene bedeutung 4ch fasse mit der band an'
beizumessen wäre. Das durchstehende m für mm (§ 4^) von
chramen, chamin etc. (wegen cft als Schreibung für h und wegmi
0 So nach Merkel und Holder. Heftsels hat ehamim.
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zu DEN MALBBBGISCHEN GLOSSEN. 81—82. 371
des nicht umgelanteten a s. § 6/? und § 36) weist anf das Vor-
handensein einer lesart mit m in der vorläge X^ (vgl. § 1^
und 188) hin. Auffällig ist es zwar, dass, da die fiberUefe-
mng von cod. 1. 2 anf eine lesart ohne r in der vorläge X^,
die überliefemng von cod. 6. 7. 9 und der Heroldschen texths.
auf eine lesart mit r in vorläge X^^ doch ohne r in vorläge
X^ hinweist, das r der nachlässigkeit zweier unabhängig von
einander arbeitender Schreiber zum opf er gefallen wäre. Doch
zwingt uns die notwendigkeit, bei der deutung der glossen
von altem *dirafnin auszugehen, diese coincidenz als tatsache
gelten zu lassen. W^en duimmno 109, Ic s. § 84.
Statt chamin hat der erste paragraph des titeis in cod. 1
die bezeichnung der busse leudardi 109,1b (§39). Hieraus
erfolgt: erstens dass in vorläge X^ und X^ als zu diesem
Paragraphen gehörig zwei glossen standen, von denen die eine
in cod. 1, die andere in cod. 2 (in der Verstümmelung min) er-
halten blieb, während nur eine von X^ in X' äbergieng;
zweitens dass neben leudardi als bussebezeichnung *chrafnimin
als für den frevel (nicht für die strafe, vgl. § 39) verwanter
terminus zu gelten hat.
Der vom anfassen des Oberarmes (^super cubitum') handelnde
Paragraph hat in cod. 7. 9 ausser dirannis, -es noch malic(h)ardi,
bei Her. ausser chamnin auch mane charde; in cod. 6 steht nur
miUcharde (wegen des ersten ifär a vgl. § 2^), vor dem chaimin
oder ähnliches ausgefallen war. Das in diesen lesarten steckende
wort (das der Überlieferung von cod.'l und 2 zufolge in vorläge
X^ durch ausfall fehlte) kann selbstverständlich nur ein vom
verbale abhängender, den 'oberarm' bezeichnender genitiv sein.
Kern zerlegt dasselbe (E § 118) in aramis oder (zu ahd. elina,
eiin u.s.w. cubitus zu haltendes) älne, eUi, alin und mit ahd.
hartm bez. -f scapula, an. herffar 'schultern' zu vergleichendes
(^rdi, -e und meint^ ersteres (aramis oder aJne u.s.w.) gehöre
als compositionsglied + chamSn eigentlich zum voranstehenden
Paragraphen ('si brachium strinzerif) und chardi, -e sei ent-
weder compositionsglied oder gen. sg. zu ehamln. Aber aramis,
das sich auf 'brachium' beziehen könnte, liesse sich schwerlich
aus der Überlieferung mali etc. herausschälen und aiin(a) würde
sich nicht mit 'brachium', chardi nicht mit 'super cubitum'
des teztes vertragen. Vielleicht dürfte uns hier beachtung des
24*
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372 TAN HELTEN
s von chrannis, -es in cod. 7. 9 hilfe gewähren. Gehörte dieses
am ende eigentlich zu mcUi, sodass die ursprüngliche lesart
*chramin smali charde war? Dann läge ja in unserer glosse
eine Verbindung vor von *smaU gen. sg. eines adjectiyabstrac-
tums = 'des schmalen teils' (mit -i für -in, wie das -f der
yerbalia^ vgl. § 5 a) und zum an. iö-, l-stamm herffar stimmen-
dem '^harde (nach des glossators Schreibung charde) gen. sg.
mit -6 aus -ia (s. § 9; wegen des 4 von chardi vgl § 4a),
hätten wir es also zu tun mit einem ausdruck, der den ^ober-
arm' durch die Umschreibung 'der schmale teil der schulter'
bezeichnete. Das in cod. 6 und der Heroldina fehlende s weist
auf in vorläge X^ stehendes *mali hin; tnane bei Her. hat ii
für l durch einwirkung von im text ('certe si super cubitiun
manum strinxerif) einstmals neben der randglosse stehendem
'manum' (§ 2fi am schluss) und -e für -t (nach § 4a).
§ 83. In zu 'si quis ad mulierem (mulieri) mamellam
(mammillam) strinxerit (capulauerit)' gehörendem ite bez. üem
bracti 114, 4 (cod. 7. 8. 9) und ibidem brücke 115, 4b (Her.) ist
altes *brusUfn dat. pl. nach der i-flexion nicht zu verkennen
(plur. tant. wie got. bn/tsts, ags. breost, as. briosf): a für u (§ 3aX
c für ^ (§ Sfj); -che (nach § 4a) für ^-chi, das aus -cH entstanden
war, indem der copist dieses für ch ansah (wegen der yer-
wechslung von cü und c% s. § 38) und dann das -{ noch einmal
und zwar als -i nachschrieb (vgl. wegen eines ähnlichen yer*
fahrens die anm. zu § 28); das -i für altes -I durch ausfall des
nasalcompendiums oder indem der Schreiber das für accusaÜT-
endung angesehene -im (= -em) nach vulgärlat Orthographie
durch -i ersetzte. Das item und ibidem deutet Kern (E § 119)
als latinisierungen von altem *bi Üiem. In 'si quis mamillam
mulierem strinxerit aut sciderit quod sanguis egressus fuerit
de bructe^ von cod. 6 und 5 hat die glosse aufnähme in den
text gefunden, d. h. in dem mit rücksicht auf den engeren Zu-
sammenhang der glossenlesarten von cod. 6 und der Heroldsdien
texths. (vgl. %lß und 188) nach ibidem brücke der Heroldina
für die vorläge X^ anzusetzenden 'malb' ibidem *brticH übersah
der Schreiber das 'malb' ibi und fasste das dem als Schreib-
fehler für lat. de, brucH als mit dieser präposition verbundenes
fremdwort = 'mamilla'; so aber empfand er in seiner vorläge
eine lücke, die er durch einschaltung von (in den anderen codd.
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Zu DEN MALBBBaiSGHBN GLOSSEN. 82—84. 373
nicht überUefertem) ^aut sciderit . . . faerit' ausfüllte (dass hier
ursprünglich nicht von einer mishandlung, . sondern von einer
unzüchtigen berflhrung die rede war, geht aus der Zusammen-
gehörigkeit dieses Paragraphen mit den oben § 82 behandelten
hervor; vgl. übrigens das für ^strinxerit' eingetretene ^capu-
lauerit' der Heroldina und von hs. 5, das auf eine gleichartige
falsche fassung der bestimmung hinweist).
Aus der überKeferung ergibt sich ^bmcti als schon in der
vorläge X' vorhandene entetellung.
§ 84, In dem titel XXI (bez. XXVI etc.) 'de nauibus fu-
ratis' werden vier fälle. unterschieden: das fortschaffen bez.
das stehlen eines (nicht im schiffehause) Kegenden fahrzeuges,
das stehlen eines im schif&hause liegenden und das stehlen
eines daselbst aufgehängten schiffes (vgl. 4n suspenso pro
studio positum'). Zu den von den beiden ersteren fällen han-
delnden Paragraphen stehen als glosse in cod. 6 femire 113,1c,
flemere 113, 2c und bei Her. flemere 115, Ic. 2c; in den anderen
hss. fimire 109, 2 c (cod. 1), fimere, fernere 110, Ic. 2 c (cod. 2),
femire 114, Ic. 2c (cod. 7), fimire 114,1c. 2c (cod. 9). Zu *si
quis asco intra claue reposito in suspensum pro studio positum
furauerit' findet sich in cod. 6 chamciosco 113, 4c und bei Her.
Cham gy asco 115, 4c, in hs. 1 fectho 109, 4, in hs. 2 chanzyso
110,3b. Zu *si quis asco de intro clauem furauerit' begegnet
in cod. 6 cantiasco^) 113, 3 c und bei Her. dham zy asco 115, 3 c,
in cod. 7. 9 chanzasco bez. -ascho 114, xxvu.
Das in der Überlieferung überwiegende ey und das z von
chanzasco, -ascho weisen auf in der vorläge X^ (vgl. %\ß und
188) stehende lesart hin mit zy als Verlesung aus gi (§89));
aus *changiasco aber mit ch als Schreibung für A (§ 6^) und
'0 als lat. endung (§ 5 a; wegen des nicht umgelauteten a vgl.
§ 36) ist mit Kern (K § 121) zu schliessen auf salfrk. *hangiasc,
ein compositum aus *h(mgi' (vgl. ahd. hengilachan, an. hengi-
Jclettr u. s. w.) und *asc (= an. asJcr, ags. cesc navis), = 'asco
in suq)ensum positum'. Die lesart cantiasco (mit c für ch nach
§ 6ß) entstand, indem der copist t verlas aus z (was begreif-
lich wird bei beachtung der öfters in den hss. begegnenden
0 So nach Hesseis nnd G. Bnsken Hnet (ygl. die anm. zn § 32). Merkel
lat constasco*
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374 VA» HELTEN
Schreibung von t mit sclir&gem unterschaft; vgl. w^en der
umgekehrten Verlesung uuzchardo § 89) und itlay substituierte;
chamdosco derselben hs. (cod. 6) steht mit c statt t (§ 3d) und
0 für a (nach § 2^) für nach dem muster des vorangehenden
cantiasco für die lesart mit zy eingetretenes *ckamtiasco. Aus
den lesarten mit m für n (§ 2/) in cod. 6 und der Heroldina
ergibt sich das Vorhandensein dieser verschreibung in vorläge
X^ (in cantiasco hat demnach das n nicht als altes, sondern
als nach § 2i9 für m geschriebenes n zu gelten). Wegen Histko
von cod. 9 vgl. § 7 a. Aus der semantischen geltung unserer
glosse geht hervor, dass dieselbe eigentlich nicht zu 'si quis
asco de intro clauem fnrauerit' gehörte, sondern sich dahin
von dem folgenden Paragraphen her (der übrigens in cod. 7.
8. 9 durch ausfall fehlt) verirrt hat.
Die Verwendung von *hanffiasc zur bezeichnung eines in
bestimmter läge befindlichen schiffes legt die Vermutung nahe,
dass auch in femire etc. ein derartiger ausdruok steckt und
zwar für ein (im wasser liegendes) angebundenes fahrzeog.
Auf grund dieser erwägung und angesichts des überlieferten
materials möchte man, unter berufung von as. smo 'strick'
und mhd. mertoen, mnl. meren 'anbinden' (synkope von u? im
praet. *fnerwde und p. p. *g€mertvd)j ein nach art von *hangi-
gebildetes, zu (in der Überlieferung ausgefallenem) -ose oder
'Osco gehörendes compositionsglied '^'^mamarui- vermuten, woraus
frühzeitig durch Verlesung von /* aus 5 (§ 3x), ausfall von ma
(das äuge des copisten sprang vom ersten ma auf das zweite
über), assimilierende Schreibung von i für a (§ 2^), anafall
von u und Schreibung von -e für -t (§ ia) für die vorläge X*
vorauszusetzendes fimire (zunächst etwa *fimari, dann fimire)^
woraus fimere, femire, fernere sowie in cod. 6 und der Heroldina
überliefertes (mithin bereits in vorläge X^ vorhandenes) ftemere
mit fl, das zunächst durch einwirkung von im text des ersten
Paragraphen ('si quis extra consilium domini sui nauem alienam
mouere praesumpserit aut cum ea flumen transierit') einstmals
neben der randglosse stehendem 'flumen' entstand (§ 2fi lyn
schluss), dann aber nach dem muster dieser entstellung auch
in der zum folgenden Paragraphen stehenden glosse geschrieben
wurde; in dem in cod. 6 zum ersten Paragraphen überlieferten
femire hat also das f nicht als rest der alten lesart^ sondern
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Zu DEN MALBEBGISCHEN GL08SEN. 84—85. 375
als durch jüngeren aasfall ffir fl eingetretenes zu gelten. Eine
fassung von flemere = zu an. ^6^ stehendem flewere (K § 120)
wäre aus phonetischen gründen (ygl. § 36 zum nicht um-
gelauteten a) nicht unbedenklich. Grimms femire *das schäu-
mende tier' bez. flemere 'das flüchtige' (M l) erfordert keine
Widerlegung.
In cod. 1 steht zum ersten paragr. hierhin vom voran-
stehenden paragr. des vorigen titeis verirrtes chammino 109, Ic
(dessen mm natürlich nicht einen rest des alten mm, s. § 82,
aufweist, sondern mit rücksicht auf das sonst durchstehende m
nach § 4g zu beurteilen ist).
Das oben angeführte fectho von cod. 1 lässt sich graphisch
nicht mit chanzyso etc. der correspondierenden Paragraphen
vereinigen. Es ist unter berufung von got. W-, gafaihön 'über-
vorteilen' zu deuten als ursprüngliches *fecho (Mür ditto-
graphisches c nach § 2/. 3d), d. h. fehö (wegen di als Schreibung
für A s. § 6ß), 3. sg. praes. opt. (= 'furauerit' des textes) zu
einem verbum mit aus 'übervorteilen' entwickelter bedeutung
'stehlen' (wegen des tempus vgl. § 8). Aus der Überlieferung
ergibt sich also für die vorläge X^ das Vorhandensein zweier
zu diesem (vierten) Paragraphen gehörender glossen, von denen
nur eine in X' übergieng, während von den beiden noch in X^
stehenden die eine in cod. 1, die andere in cod. 2 erhalten blieb.
§ 85. Zu 'si quis caballum alienum extra consilium
domini sui ascenserit aut caballicauerit' stehen gestäbo 119,
xxui (cod. 2), rosidio 122, xxiii (cod. 6), leodardo (bez. leuöo,
leodardi) in alia mente bario sito (bez. briosito, borio sitho)
123, Ib (cod. 7. 8. 9), Uudardi et in alia mente burgo sitto 124,1b
(Her.).
Unter berufung von an. hrosreid 'unerlaubtes reiten eines
pferdes' setzt Kern (E § 123) salfrk. *hrosridi (ridi kurzsilb.
t-stamm) an (vgl. 'caballicauerit'), woraus durch ausfall von h
(§ 4rf) und r und antritt von lat. -o (§ 5 a) rosidio.
In bezug auf 'ascenserit' ist altes, aus '^hros und zu *siUiu
ascendo (vgl. mnd. sitten, mnl. gesitten 'ein pferd besteigen')
gehörendem verbale *gi$it gebildetes *hrosgisit zu vermuten,
das durch Verlesung von 6 aus A (§ 3/), ausfall von s und
Umstellung von ro (oder etwa ausfall von r und Verlesung von
r aus 8 nach § Sr) sowie antritt von -o (§ 5 a) schon in der
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876 VAN HELTEN
vorläge X^ (vgl §lß und 188) vorhandenes *borgisUo ergsb.
Daraus durch fassung von borgt als simpIex (§ hß) ffir vorläge
X^ vorauszusetzendes *bargio sito, woraus burgo sitto bei Her.
mit u für 0 (§ 4a) und tt f&r t (§ 4g) und fär die spedelle
vorläge von cod. 7. 8. 9 anzusetzendes borio sito (w^en des
th von sitho vgl § 7 a). Latinisierung von durch Umstellung,
ausfall von i und substituierung von e ffir i aus *bargisito
entstandenem *gestobor ergab das gestdbo von cod. 2 (vgL § 12
zu hymnis etc.).
Aus der Überlieferung ist also auf '^leudardi als busse-
bezeichnung, auf *hrosgisit und -ridi als bezeichnung des freveis
zu schliessen. Beide glossen giengen von X^ über in X' und
X^; aus letzterer vorläge retteten sich die erste glosse und
der erste teil der zweiten in der Heroldina, der zweite teil
der zweiten in cod. 6; rosidio oder ähnliches gieng auch aof
dem wege zur speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9 verloren; in
cod. 2 blieb nur die entstellung des ersten teils der zweiten
glosse erhalten. Wegen des unrichtigen ^et) in alia ment«' vgl
§ 13. 24. 27. 41. 48. 49.* 54. 70. 181.
§ 86. ^Si quis puerum (ingenuum) infra (intra) x (xn)
annos usque ad decimum (xn) plenum occiderit . . . xxnn m din.
qui fac. so1.dc culp. iud.' So im ersten Paragraphen des XXTTTT.
titeis nach cod. 1. 2. 3. 4. Dazu in cod. 1 famüs fifh (oder famus
fith, s. Merkel titXXIV) 118,1, in cod. 2 leode 119,1. D&r
umstand, dass im salfrk. ^morthes leudi als ausdruck galt fnr
'erhöhtes wergeld' (§ 182), legt es nahe, mit rücksicht auf das
für die tOtung des wehrlosen kindes festgesetzte di*eifache wer-
geld (vgl. wegen des normalen wergeldes = 'soL cc' § 87,
wegen der erhöhung der strafe Brunner, Deutsche rechtsgesdL
1, 78, 55) aus den überlieferten lesarten altes ^morthes feudi
zu reconstruieren: m für o (§ 4a), ^ für r (§ 3r), filh für *-Ätff
aus "^'thes durch Umstellung und Verlesung von f aus s (§ 3x),
fa durch einfluss von im text (s. oben) stehendem 'fac', neb^
dem mus fith oder eine Vorstufe desselben als randglosse ge-
schrieben stand (vgl. § 2); am schluss); von den für vorläge X^
(vgl. § Ij} und 188) vorauszusetzenden beiden glossenteilen blieb
die eine in cod.1, die andere in cod. 2 erhalten.
Zum correspondierenden paragraphen in cod. 6 'si quis
puerum infra xn annos (usque ad duodecimum plenum) occiserit
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Zu DEN MALBEBOISCHEN GLOSSEN. 85—86. 377
• . soL DC colp. iud.' ist chrascaro 122, Ib überliefert Zu der
abweicbenden recension in cod. 7. 8. 9 und der Heroldina *) 'si
qnis pnerum infra dnodecem annomm non tonsnrato (non
tonsoratam) occiserit ... soL dc cnlp. ind.' charcaro leodardi,
chacharo leudardi, eharcharo leodardi 123, Ic (cod. 7. 8. 9; woraus
ffir die specielle vorläge dieser bss. zu scbliessen auf diarcharo
leodardi] wegen c f&r eh vgl § 6/9), aschara leudardi 124,1c
(Her.). In Uo-, leudardi erkennt man sofort einen durcb die
yerwecbslung von leode oder -i nnd der sigel leoä (vgl § 87)
entstandenen, der Überlieferung zufolge für vorläge X^ anzu-
setzenden fehler für leodi oder -e bez. leudi oder -e (in cod. 6
fehlt also der glossenteil durch ausfall). Wie aber ist das
chrascofro etc. zu beurteilen?
Kern denkt (E § 125) an altes chärechano acc. sg. masc.
eines aus har crinis gebildeten, substantivisch verwanten ad-
jectivs (= 'non tonsnrato'), woraus als *an Innovation of the
revisers', als 'a Substitute for an older reading the meaning
of which they failed to understand' charscharo 'haarschur'
entstanden wäre. Doch widerspricht dieser fassung: erstens
die in § la erörterte entwickelungsgeschichte der überlieferten
glossen; zweitens die tatsache, dass 'non tonsnrato' etc. in cod.
7. 8. 9 und der Heroldina, nicht aber in cod. 6 steht; drittens
der umstand, dass dies fehlen von 'non tonsnrato' in cod. 6
nicht als die folge von ausfall zu gelten hat, weil die recen-
sion des Paragraphen in besagter hs. mit der in cod. 1. 2 (3
und 4) überlieferten übereinstimmt und der cod. 6, wie cod. 1. 2
(3 und 4), einen anderen (in 7. 8. 9 und bei Her. fehlenden)
Paragraphen (den vierten bez. zweiten oder siebenten des titeis)
'si quis puero crinito occideritj soL dc culp. ind.' enthält, der
durch verquickung mit dem ersten die entstehung der recension
von cod. 7. 8. 9 und der Heroldina veranlasste; viertens dass
mithin für die vorläge X' ein paragraph ohne 'non tonsnrato'
und mit *€harscharo Uu- bez. leodardi anzusetzen ist (eharcharo
der spec. vorläge von cod. 7. 8. 9 durch ausfall von s, vgl. § 2a;
für vorläge X* anzunehmendes, durch Versetzung entstandenes
*chrascharo, woraus durch ausfall von h, vgl. § 6i3, die lesart
') Wegen einer ttbereinstimmQng der textrecension in cod. 7. 8. 9 und
der Heroldina gegenüber der in cod. 6 überlieferten ygl die anm. s. 366.
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378 TAH HELTEN
von cod. 6, durch aasfall von ehr und assimilierende schmbang
von -a für -o, vgl § 2bj die lesart der Heroldina).
M. e. liegt hier die folge vor eines schrei1)erversehen&
Unserem Paragraphen folgte im tit XXniT einstmals eine
noch nicht in X^ enthaltene, jedoch der uberliefenmg von
cod. 3. 4. 5. 6. 10 (s. 129, 2. 130, 2 etc.) gemäss bereits frOh-
zeitig, noch vor entstehong von vorläge X^, and zwar un-
mittelbar nach dem ersten Paragraphen eingeschaltete novdle
'si qnis pueram crinitum sine consilio parentnm totonderit',
za der eine glosse "^charscharo (oder -m) charogin(o) stand
(s. § 89). Als nan ein copist zum ersten Paragraphen stehen-
des *morth€S leudi oder eine daraas hervorgegangene entstel-
lung nachzuschreiben hatte, verirrte sich sein aoge zon&chst
nach der folgenden randglosse (vgl. § 2 g), sodass statt morOnes
oder ähnliches charscharo aus seiner feder floss.
§ 87. Die bereits in § 71. 81. 86 im vorübergehen er-
wähnte glosse für 'wergeld' (= *soL cc') leodi, -c, UmU be-
gegnet ausser an den daselbst citierten belegsteilen >) noch als
leodi 245, 1. 254, 3. 257, 4, leodem 253, 3 (mit lat -em fflr das
für accusativendung angesehene -e), leode 119,7,^) leudi 250,1.
259,4. 6, leude 255,5. 388, Ic, leoti, leuti 258,6 (mit i für d
nach § 3;^) und in den composita oder Verbindungen (?) ex mala
leudi etc. (§ 91), iheu leude etc. (§ 123), maihleote, maiie leodi
etc. (§ 132), uucda leodi (§ 133).
Grimm f asst das wort (Bechtsalt s. 652) als derivatum zu
leud 'mann'; aber sowol der ableitung mit suffix -i (aus -ia)
als solcher mit -I (aus -in) käme keine andere bedeutung zu
als 'mannheit' (vgl got andbahtijJntM und magaPei, weiiwödei).
Dass hier in der tat nur das sonst für 'mann' geltende nomen
vorliegt, ist zu ersehen aus dem ags. masc leod 'wergeld' (&
>) Die § 7t im eingang gemeinte glosse zu 'soL cc' steht bei Her. ab
leudi 97| 3, in cod. 6 als leode 9b, Ib (hier jedoch an falscher stelle vor seo-
lande fadisco landefa, s. anm. 1 s. 357)i in cod. 7. 8. 9 als UodardKj^ bes.
UuJb 96, 2 (für leodi oder leudi, s. § 87 weiter nnten); in ood. 2. 3. 4 ist die
glosse als textwort angenommen ('de (eoci« sol. cc' 92,1. 93, Ib und ia
falscher lesart 'de laude sol. cc' 94, Ib), in cod. 2 aber findet sich ausserdem
noch Uodi an nnrichtiger stelle vor seUme effa (s. s. 354, anm.).
') Der nmstand, dass die glosse hier nur in einem cod. (hs. 2) aber-
liefert ist, macht es wahrscheinlich, dass dieselbe wie das § Sl besprochene
leudi JEU beurteilen ist.
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zu DEN MALBEROISCHEN GLOSSEN. 86—87. 379
Schmids glossar zu den Gesetzen der Angelsachsen) und den
in semantischer hinsieht damit in eine linie zu stellenden masc.
ags. wer und were (s. Schmid), in welch letzterem wir nach
Napiers ausführung über ags. were{-) 'mann'(-) (Beitr. 23, 580 ff.)
eine analogische neubildung nach liere zu erblicken haben (in
fcerigeldufn, iceregeldum der LL. Alem. Bajov. Fris. Sax. Cham,
und Rib., vgl. die indices zu diesen LL. in Mon. Germ. LL. 3 und 5,
repräsentiert das -i- bez. -e- natürlich die lat. compositions-
fuge, vgl. oben § 5ß). Die entstehung der bedeutung ^wergeld'
aus 'mann' begreift sich unschwer: durch die Verbindung des
verbums geldan mit einem object = 'hominem' entwickelte
sich die ursprüngliche fassung ^für den (erschlagenen) mann
zahlen' zu 'wergeld zahlen'. Nun müsste man zwar hiemach
in den glossen statt feudi etc. als die regelrechte form kud
erwarten; doch wird das -i bez. -e (§ 4o) verständlich bei be-
achtung der häufig begegnenden benennung einer geldstrafe
leudardi (§ 39): nach dem muster von -i (d.h. -l) des letzteren
wurde altes *leud im salfrk. zu *l€udt (vgl. auch *uuerdardi
§ 89 und beachte wegen salfrk. eu, nicht iu, § 39 am schluss;
wegen der Schreibungen eo und -e in leodi, -e leude s. § 4 a).
Auf solchem *leudi aber beruht auch das der gallorom. gericht-
lichen terminologie einverleibte und daraus in die LL. Burg.
Fris. und Cham, aufgenommene ktidis, leodis (s. Hesseis' index
und die indices zu den LL. Burg. u.s.w. in Mon. Germ. LL.
3 und 5; roman. disyllabisches eo für eti nach § 4 a).
Einige male begegnet statt leudi etc. leodardi (-dii, vgl.
§ 27) 96, 2. 123, Ic. 249, 1. 389, xlvi, leudardi 91, xv (vgl.
§70 s. 346). 123,1c. 124,1c. 394,3.4 und zwar durch Ver-
wechslung von leodi etc. mit für leodardi etc. verwanter sigel
leoö etc. (§ 39) und daraus erfolgter auflösung der sigel. Durch
die nämliche Verwechslung steht auch leöe 248,1 (aus leofe
oder Uüfe) statt leode oder leude, S. noch § 88 und 154.
Die glosse leodosanii 119, 2 begegnet in cod. 2 in einem
Paragraphen, der in allen anderen Codices fehlt und als in
eine vorläge von cod. 2 eingetragener zusatz zu gelten hat
(vgl Behrends bemerkungen zu diesem paragr. und zum zweiten,
d.h. Wolfenbütteler, cod. in der Zs. f. rechtsgesch. 13,20c und 26);
die glosse repräsentiert die entstellung von aus dem voran-
j;ehenden paragr. entnommenem leode + 'sunt' des textes (vgl.
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380 VAN HBLTEN
§ 71 ZU aifhifathio und 2fj): leodo mit o durch assimilierende
Schreibung für e (nach § 26), sanii mit a durch yeriesimg
ans u (§ 3a) und mit ii oder u durch ausfall eines yertical-
Striches (vgl § 2j3 und 3jr) für in, das aus t entstanden war,
wie *-w» in' aus 'sunt' (§ 38).
§ 88. Dem von der tötung einer schwangeren fran haa-
dehiden paragraphen ('si quis femina graue debatterit et ipsa
exinde mortua fuerit') folgt in tit. XXTTTT (bez. XXX oder
XXVlll) ein paragraph, in dem die rede ist von der t5tmig
eines kindes 'in utero (uentre) matris (aut) ante qnod nomen
habeat'. Die je zu dem ersteren und dem folgenden stehenden
glossen führe ich durch einen yerticalstrich getrennt und nach
den hss. geordnet auf: cod. 2 adnouaddo, anouaddo leode | on-
neando; cod. 6 annoutMno \ annouuado; cod. 7 leodinim \ annana;
cod. 8 anoano Uodinia \ anno uano; cod. 9 anno ano leodtnia |
anno ano\ bei Her. anuano leudinia \ anouuado.
Gegen die von Kern (K § 127) unter bemfnng von a&
öcan, ags. eacen gravida^ eacniende praegnans, ^eeacnod gravi-
data für die glosse des ersteren paragraphen angesetzten alt^
lesarten annöcano, anUcano, andöcnandio, andöcnado = 'graue,
grauidam' sind folgende bedenken zu erheben: die Verbindung
von an-, and- mit öcan u.s.w. erscheint befremdlich und die
annähme von ann- aus nebentonigem and- Hesse sieh zwar
rechtfertigen (vgl. § 40 zu hunni etc.), doch ist die ezistenz
von salfrk. and- keineswegs gesichert (vgl § 63 zu anthi-, anäh)]
salfrk. ö aus au ist nur für die Stellung vor r und dental be-
zeugt (s. § 55), hingegen dürfte nichtdiphthongierung vor h
nach § 128 für sehr wahrscheinlich gelten; statt des a von
-andio und -ado wäre nach ags. -iende, -od salfrk. o (d. h. 9)
zu erwarten; ausserdem aber ist nach § la die annähme ger-
manischer Varianten für unsere Überlieferung ausgeschlossen.
Einleuchtend ist hingegen die von Eem in seiner schrift Die
glossen in der Lex Salica s. 182 vorgeschlagene bemfung von
ahd. as. wän 'hoffnung, erwartung'; nur h&tte man hier nicht
an altes an uuanu mit -u als instrumentalendung zu denken
(weil an solchen casus nicht regiert), sondern an *an uwxmm
(zu einem masc. = ahd. wan, mnd. wan, mnl. fvaen masa;
wegen der Verwendung des plurals vgl. ags. on wentm) = 'in
erwartung' (als entsprechung von 'graue', 'grauidam' des textes),
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zu DEN MALBEBGI8CHEN GLOSSEN. 87—88. 881
für dessen -um oder -u frühzeitig lat. -o substituiert wurde
(vgl -uano U.S.W. § 41); wegen der entstellungen von älterem
"^an uuano gleich unten.
Für die glosse des anderen Paragraphen ist dem inhalt
desselben gemäss ein ausdruck zu postulieren, der sowol zu
dem ungebomen als zu dem noch nicht benamseten kinde
passt, also = ^(noch) nicht benamset'. Als solcher wäre ein
negatives, substantiviertes, im schwachen acc. sg. masc. stehen-
des *unnafnodun (mit o = ö) = 'infantem in utero etc.' (s. oben)
denkbar (vgl. ahd. namdn, as. fwmon und beachte wegen des
fehlens von präfix ga- oder gi- im p. prt. *{hungin § 31, *cha-
fanun § 108, *aucida § 128), für dessen -un ein romanischer
Schreiber -o substituierte (vgl- -uano u.s. w. § 41) und das durch
frühzeitige Umstellung und Verlesung von a aus t< (§Sa) zu
^annotnado werden konnte.
Die formelle ähnlichkeit der beiden glossenlesarten rief
compromissschreibung (§ 2 g) hervor. Aus *(muuano \ annomado
von vorläge X> (vgl. § 1/9 und 188) wurde bei eintragung der
glossen in vorläge X^ *anuwmo \ *annouuado (uu für m nach
§ 2/); beide lesarten giengen über in vorläge X^ und ergaben
so einerseits in cod. 6 überliefertes annouuano (anno für an
durch compromiss) | annouuado, andrerseits in der Heroldina
stehendes anuano (u für uu) \ anouuado (n für nn nach § 4£).
Aus den lesarten von X^ entstanden für die specielle vorläge
von cod. 7. 8. 9 anzusetzendes, in cod. 8 intact überliefertes ano-
ano (p f&r u statt uu) \ anno uano (u für uu und n durch
compromiss für cl), woraus annona von cod. 7 (Verlesung von n
aus u nach § Sjt und ausfall von -no), anno ano \ anno ano
von cod. 9 (durch fortgesetzte compromissschi*eibung). Für die
lesart von vorläge X^ trat bei eintragung der glossen in X>
*anuuado (d durch compromiss für n) | *annofnado ein, woraus
adnouaddo (durch einschaltung von d nach § 2<f, substituierung
von 0 für das erste u und doppelschreibung von d nach § 4 g)
und dittographisches anouaddo \ anneando (durch ausfall von o,
entstehung von ean aus für ina angesehenem ma, vgl § 4a
und S§).
Leo-, leudinia von cod. 8. 9 und der Heroldina (das -as von
leodmiai cod. 7 rührt von einem copisten her, der das wort
für einen von *anoano abhängigen genitiv ansah) bezieht sich.
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382 YAN HELTBN
wie auch leodinia 128, 9. 10. 131, 10. 132. xm. mii. 133, 7. 8
auf den acc. sg. ^feiiiina(m)' (in 128,10. 131,10 fehlt der offenbar
durch kürzung der textredaction ausgefallene lat. correspondent).
Das eo ist trotz seines überwi^ens in der aberliefemng als ent-
stellung aus eu (vgl. § 4 a) zu fassen (wegen des eu von salfrk.
leudinia vgl. § 39 am schluss); wegen n des Suffixes und -ia der
endung vgl. § 22 und 9. Aus der fiberlieferung ei^bt sich
ausfall des in X^ mit *an uuano verbundenen, in vorläge X^
und X^ vorhandenen Wortes in cod. 6 oder einer zwischen X^
und cod. 6 liegenden vorläge. In cod. 2 steht leode als ent-
stellter rest von leodinia.
% 89. Zu ^si quis puerum crinitum sine consilio parentom
suorum totunderit ... soL Lxn et dimidium (bez. xlv) cnlp. iod.',
dem ursprfinglich zweiten Paragraphen von tit XXilii (vgl
§ 86 am schluss), finden sich die glossen uirdade 128, 5 (cod. 2),
chascaro 131, 2 (cod. 6), atUchardo, uiMchardo, huwtchardo 132^ 1
(cod. 7. 8. 9), schuisara chrogino 133, 2 (Her.). In betreff des
inhalts dieses und des folgenden, in § 90 zur spräche gebrachten
Paragraphen ('si uero puella sine uoluntatem par^tum tonso-
rauerit') sei erinnert an Sohms bemerkung (Die frftnk. reichs-
und gerichtsverfassung s. 548): ^eine form der freilassong ist
bei Franken und Langobarden das . abschneiden des haats.
Der puer crinitus ist daher, ohne rücksicht auf die Volljährig-
keit, der in der väterlichen gewalt befindliche knabe. Das
abschneiden des haars ohne den willen des vaters (vormunds)
ist eine Verletzung der väterlichen gewalt und zieht die munt-
brfiche nach sich, wie die entfuhrung einer tochter ohne traditio
puellae'.
Zur bezeichnung solcher (unberechtigten) ^aarschur' diente
nach Kern (E § 128) der lesart chascaro zu gründe liegendes
^härsduiru (vgl. ags. scearu tonsura), nach des glossators
Schreibung *€Jiarscharu (wegen ch fär h und w^;en seh vgl
§ Qß und 7a), woraus durch substituierung von -o t&r -u
(beachte § 60 zu bonimo etc.) und ausfall von r und h (§ 6ß)
chascaro; für chrogino setzt er altes *€harogin (mit a = ü)
als schwachen gen. sg. masc. eines substantivierten adjectivs
an, woraus durch ausfall und antritt von lat -o (§ 5a) t^ro-
gino. Aus für vorläge X« (vgl § 1/9 und 188) vorauszusetzen-
dem *charscharo oder ^chaseharo + chrogino oder einer Vorstufe
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zu DEN MALBEBOISCHEN GLOSSEN. 88—89. 883
desselben entstand einerseits die lesart von cod. 6 dnrch aus-
fall des zweiten glossenteils, andrerseits die bei Her. über-
lieferte durch ausfall von cha(r), dittographie yon durch
assimilierende Schreibung (§ 2 s) entstandenem -ra, doppel-
schreibung des zweiten Striches von aus a verlesenem u
(§ 3a. 2/) und Verlesung von ^ aus r (§ Sr; also etwa zunächst
*scharara, dann schuisara).
Für uirdade von cod. 2 steht identitit mit uidri darchi
406,LXvim, das in cod. 1 zum nämlichen, jedoch an anderer
stelle (in Capitulare I c.4) erscheinenden Paragraphen gehört, i)
ansser frage; nicht davon zu trennen sind aber auch die zu
einem Paragraphen ^si quis hominem castrauerit ingenuum . . .
soL c culp. iud.' stehenden uuirodarde 185, 18 (cod. 6), uuidardi
186, 14 (cod. 7. 9), uuiradardi 187, 17 (Her.). Das vorkommen
des ausdrucks in zwei einen verschiedenen frevel erwähnenden
Paragraphen weist auf seine Verwendung hin zur bezeichnung
yon wegen Schädigung einer person (an seinem rechte oder
kOrper) zu entrichtender strafe; und wirklich berechtigen die
überlieferten lesarten zur ansetzung eines compositums, das
sich in zwei, den beiden teilen von leudardi (§ 89) semantisch
genau entsprechende glieder zerlegen lässt, in ^uuer- und zu
ahd. tarGn, terren, as. derian gehörendes A'-derivatum *-dard
(vgl. auch E § 128). Aus solchem semantisch ebenfalls dem
verglichenen compositum gleichzustellenden *uuerdard konnte
durch einwirkung von *leudcM^di eine neubildung *uuerdard^
entstehen (vgl. § 87 zu leodi). Nach uirdade und uidri darchi
für die vorläge der novelle (s. die anm.) anzusetzendes *ufiir-
dardi hat also « für e (wegen i für e und umgekehrtes vgl.
§ 4a; wegen des eingeschalteten d und des lat -i- der com-
positionsfuge beachte § 2d und 5/9; chi entstand aus di, indem
eft üach § 3^ aus di verlesen und dann das i nochmals als i
nachgeschrieben wurde, vgl die anm. zu § 28). In für die
specielle vorläge von cod« 7. 8. 9 vorauszusetzendem *uutchardo
^) Der betreifende paragraph und der nächstfolgende ^si nero pneUa
tmiderit hoc est extra consilio parentom' (vgl. § 90) sind in cod. 1 als no-
TeUen im besagten capitulare Überliefert Sie standen also nicht in vor-
läge X^ (Tgl. § Iß und 188) nnd erscheinen m cod. 2 (8. 4 5). 6. 7. a 9 und
der Heroldina in folge einer späteren ftinschaltnng in den text des volks-
rechtefl (vgl Bnumer, Deutsche rechtsgesch. 1, 908, 49).
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384 VAN HELTEK
(woraus aut- mit a für u nacli § 3a; uw- mit e fSr t, wofBr
§ 84 zu eantiasco zu vergleichen; huut- mit vorgetretenem h
nach § 4d) erkennt man eine aus *uuirdardi oder -e hervor-
gegangene lesart: Verlesung von ^ aus r (§ 8v), von ch (§ 3i)
aus durch Versetzung entstandenem di (*uurdi- statt *fMiird')
und substituierung von -o für 4 oder -e (vgl § 39 zu leodardo).
Der Überlieferung gemäss standen in der vorläge der
novelle zu 'si quis puerum crinitum ... totunderit u.s.w.' ge-
hörig zwei glossen: *uu^dardi als die straf e-^ '^charseharu
charoffin als die frevelbezeichnung. Beide giengen fib^ in
X^ und X^ (vgl. das § 90 zu erwähnende uu^darda der zweiten
Heroldschen hs.). In der speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9
blieb nur die erste, in cod. 6 und der Heroldina nur die zweite
ganz oder zum teil erhalten. Für cod. 1 und 2 ergibt sich
also ausfall der zweiten glosse.
Betreffe der zu 'si quis hominem castrauerit u.s.w.' stehen-
den glossenlesarten sei noch folgendes bemerkt: uuirodarde
von cod. 6 und uuiradardi von Her. weisen auf ein durch
fassung des compositionsgliedes als simplex (§ bß) entstandenes
*uuiro dardi von vorläge X* hin (das a für o bei Her. durch
assimilierende Schreibung nach § 2£); uuidardi von cod. 7. 9
steht für *tmiräardi oder (schon in X^ vorhandenes) *««tro-
dardi. Vgl. noch § 54 zu tisu dredo.
% 90. Zu ^si uero puella sine uoluntatem parentum ton-
sorauerit ... sol. xlv culp. iud.', betreffe dessen Inhalts und
herkunft § 89 im anfang und die anm. dazu nachzusehen
sind, steht als ^malb' tusdiada 128,6 (cod. 2), theoycata 131,3
(cod. 6), theochada 132, 2 (cod. 7), theo hichada 132, 2 (cod. 9),
iheocHdia 133,3 (Her. text), uuerdarda et thercoheata 133,3
(Her. var.).
In uuerddurda erkennt man die § 89 besprochene, also
eigentlich zum voranstehenden Paragraphen 'si quis puerum ...
totunderit' gehörende glosse: uuer- statt uuir-, das nach § 89
für die vorläge X* anzusetzen ist; -a für -i oder -e durch
assimilierende Schreibung (§ 2 s).
Die lesarten von cod. 6. 7. 9 und der beiden Heroldschen
hss. sind sämmtlich auf ein *(heaischada von vorläge X^ (vgl
%lß und 188) zurückzuführen: aus iheochada und theo kkiada
für die specielle vorläge von cod. 7. 9 zu folgerndes *iheaichada
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zu DEN MALBBRGISOHBN GLOSSEN. 89—91. 385
(einerseits ausfall yon i, andrerseits vortritt von h nach § 4(J)
durch ausfall von s (§ 2 a); durch Verlesung von ^ aus d (§ 3x)
entstandenes *theoischata von vorläge X*, woraus durch Ver-
lesung von y aus is (s. § 16 zu inzymus etc.) und ausfall von
Ä (§ 7 a) das theoycata von cod. 6, durch Versetzung von i für
die vorläge der beiden Heroldschen hss. vorauszusetzendes
^fheoschiata, das einerseits durch ausfall von s (§ 2 a), Verlesung
von cti aus ch (s. § 38 zu pedis), Versetzung von t vor i, in
folge dessen ein a ausfiel, und Schreibung von d fär ^ (§4/)
theoctidia (etwa durch eine mittelstufe Hheochtia hindurch),
andrerseits durch Verlesung von r aus s (§ 8 t), Versetzung
{rcöh für osch) und Schreibung von e für i (§ 4 a) ihercoheata
ergab. Dem tuschada von cod. 2 kann Hhiuischada oder *^/^em'-
schada (vgl. § 6/9 und 4 a) zu gründe liegen. Das theoi- von X»
hat ß für t und o für u (nach § 4a).
Indem hier ein ausdruck für 'unberechtigte haarschur eines
mädchens' oder 'die dafür zu entrichtende strafe' zu postulieren
ist, dürfte schada auf *s€harda (wegen des seh vgl. § 7 a) acc.
sg. eines die strafe bezeichnenden (vgl. § 39), durch suffix -ffö
gebildeten nomens zurückgehen, das formell mit ahd. scarta,
ags. sceard vulnus zu identificieren, semantisch den ahd. scara,
ags. scearu tonsura zu vergleichen wäre. In *thiui aber liegt
offenbar der gen. sg. eines in die t-declination übergetretenen
*ihiu (= ahd. diu, as. thiu) vor, das wie ahd. dioma und salfrk.
*ambachtun (§ 58) sowol für 'Jungfrau' als für 'dienerin' galt.
Der Zerlegung unserer glosse in theui und sJcaiho (K § 128)
widersetzt sich zwar nicht das für die vorläge der novelle
anzusetzende d (das zur not nach § 2/} als frühzeitige ver-
schreibung für th gelten könnte; -a für -o liesse sich nach § 2£
erklären); doch dürfte sJcatho hier keinen passenden sinn ge-
währen, da der paragraph nicht von der Schädigung eines
mädchens, sondern von der beeinträchtigung des vaterrechtes
handelt.
% 91. Zu 'si quis ingenuam puellam occiderit . . . sol. cc
culp. iud.' erscheint schmala ledi, smalchaledi, simalchaledi
132,2 b (cod. 7. 8. 9; also in der speciellen vorläge dieser hss.
smaJcha ledi\ sim- für sm- kann nach dem muster von vulgär-
lat sim für sm, vgl. Schuchardt, Der vocalismus des vulgär-
lat. 2, 352, geschrieben sein oder einfach durch dittographie
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXV. 25
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386 VAN HELTEN
nach § 2/ entstandenes i enthalten), ckisnuda 129, 3 (cod. 3),
hismala 131, 8 (cod. 6), ex mala leudi 133, 9 (Her.). Wegen
leudi und ledi (durch ausfall von o oder u) vgl. § 87. Für
schmala etc. hat Holder (Lit.-bl. f. germ. nnd rom. phiL 2, 54)
Zusammengehörigkeit mit bair. schmeüim (aus *8malhm%
schmüge (aus ^smalgia) 'mädchen' betont. VgL auch das in
den mnl. rittergedichten überaus häufige smale 'mädchen,
fräulein, dame' (aus '^snudha). Das nach des glossators Schrei-
bung h darstellende ch (§ 6/3) fehlt in ex mala (für nach § 6a
zu beurteilendes "^esmala und zwar durch latinisierung der als
e^ m4Üa geschriebenen oder wenigstens gelesenen lesart^ iukI
hismala (mit vorgetretenem h nach § 4<f), war demnach bereits
in vorläge X* (vgl. § 1/3 und 188) geschwunden (also lesart
dieser vorläge *e$mala oder *ismalä)] es blieb hingegen er-
halten in smalcha der speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9 und
in durch Versetzung aus *ismalcha entstandenem ckismala von
cod. 3, war demnach noch in vorläge X*"^ und X> vorhanden.
Bei Herold steht der nämliche paragraph noch einmal an
anderer stelle, mithin aus einer anderen vorläge als X^
(vermutlich aus X^, vgl. s. 356, anm.) stammend; die dazu
stehende glosse nuchala 133, 14 begreift sich als durch ausfall
von 8, Verlesung von nu aus im (§ Sv) und Umstellung von
alch entstandene entstellung. Ob der glossator *smaicha schrieb
als entsprechung des acc. 'puellam' oder als gen. sg. zu (in
einigen Codices fehlendem) leudi, ist nicht zu entscheiden (vgl
§ 100 zu *maschun).
Wegen ismala ^mädchens' und in aUeo steckendes *smalAa
s. § 54 und 59.
Eine nebenform mit g (vgl. bair. schmelge) wird für das
salfrk. bezeugt durch in mahantania (§ 58) enthaltenes, aaf
*) Romanische schreibnng x für s kann hier nicht Torliegen. Eine
solche begegnet nur vor t nnd zwar in folge des nmstandes, daas durch
phonetische entwickelung yon xt zu st (Tgl. Meyer-Lübke, Rom. gr. s. 321.
Schuchardt, Der vocal. des yulgärlat. 2, 351) die etymologische schreihnng
den lautwert st bekommen hatte; Tgl. für das Tulg&rlat die Ton Schuchardt
(a. a. 0.) citierten belege für xt statt st und in den texten der Sal. begeg-
nende senextra, senixtra 371. 374 Tar. 375 Tar. 377 Tar. (wo zugleich aach
dextra kann eingewirkt haben), tnixte 395, Ic Tar., next{hyi (in einer salfrk.
formel, s. § 152) und die gloase extrabo (§ 117).
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Zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 91—92. 387
den acc. *sfnalgia oder -e ^paella(in)' zurückgehendes ^maMa
oder -6 (wegen der endimgen vgl. § 9): ausfall von s und -ia
oder •€ und verschreibung von jb? aus jr (§ 89)).
% 92. In dem zu 'si quis cum ingenua puella per uirtutem
(gewaltsam) moechatus fuerit' gehörenden uueruanathe 131,2b
(cod. 6), uero manu 132, 9 (cod. 7), uerouhano 132, 9 (cod. 9),
siuaerohen 127, 1 (cod. 1), uirtuane 128, 3 (cod. 2) muss ein
ausdruck stecken für 'notzucht' oder (vgl. § 39) 'notzucht-
busse'. Aus den lesarten ist fOr hs. X^ (vgl. § 1/$ und 188)
die lesart *ueruanithe herauszuschälen: uueruanathe mit uu
für in den anderen hss. stehendes u (§2/) und mit a der
paenultima aus i oder dafür eingetretenem e (§ 2e); für die
specielle vorläge von cod. 7. 9 anzusetzendes *uero uanu (m für
aus u verlesenes n, vgl. § 2/. 3;r; einschaltung von h nach
§ 4d und substituierung von -o für -ü, vgl. § 41 zu -o für
salfrk. -un) mit -0 und u- als resten von doppelgeschriebenem u
(-0 wurde substituiert für -u von getrennt geschriebenem oder
gelesenem *ueru) und -ü für durch ausfall aus ^-ithe entstan-
denes *4t (vgl. § 38 zu cAene crucio); siuaerohen mit ae für e
(s. anm. 1 zu § 37), 0 für u (§ 4a), eingeschaltetem h (§ 4(f),
-en als rest von durch assimilierende Schreibung (§ 2^) aus
*'ane von vorläge X^ (s. unten) entstandenem *-ene und st-,
das wahrscheinlich auf ein ^fi- zurückgeht (nach § 3x), das
aus der anfangssilbe von einstmals folgender, nach firilayso
128, 4b von cod. 2 für cod. 1 anzusetzender glosse stammt
(vgl § 2 g); uirtuane mit durch einwirkung des im text
(s. oben) einstmals neben der randglosse stehenden ^uirtutem'
(das zufälligerweise grade in der Überlieferung von cod. 2
fehlt, nach den anderen hss. aber mit Sicherheit vorauszusetzen
ist) für *ueru- eingetretenem uirtu- (vgl. § 2?y am schluss) und
-ane als bereits in vorläge X' stehendem rest von *-anethe
(e für % nach § 4 a). Dem erörterten gemäss begreift sich auch
die bei Her. zum correspondierenden paragraphen stehende
lesart theurora 133,2b: durch Umstellung von -the, ausfall von
6 und a, substituierung von 0 für u (§ 4 a) und Verlesung von
r aus n (§ 3o) aus *ueruanathe, das mit rücksicht auf das
engere Verhältnis zwischen der Heroldina und cod. 6 nach
uueruanathe der letzteren hs. für die specielle vorläge dieser
beiden hss. anzusetzen ist.
25*
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388 VAN HELTEN
Aus *u€ruanithe der vorläge X" ist unschwer altes ^uuer-
stmrithi (mit a = ä und -i = -i) des glossators zu recon-
struieren: compositum aus *uuer- (mit u als Schreibung für 5,
vgl. § 6()) und zu *suäriu opprimo (vgL ahd. swären oppri-
mere) gehörendem derivatum mit suffix -ith%. Wegen der be-
deutung des verbalabstractums ^notzucht' oder (nach § 39)
^notzuchtbusse' vgl. mhd. nceten 'notzüchtigen'; wegen der
compositionspartikel beachte ahd. ubarhlwi adulterium, ubar-
muati superbus, xibartrunk vinolentia, as. ovarät, overdrank
'ttbermass im essen, trinken', ags. ofercet ingluvies, ofersldp
somnns nimius, awfries. ürscheer, ürmeth 'unberechtigtes mähen',
ürhoer 'ehebruch' (mit ür- aus *w5ur-) u.s-w. sowie salfrL
*uuerligithu (§93), *oferöf (§ 102), oforasta (§ 119). Die ent-
stehung von *ueruanithe begreift sich als die folge von aus-
fall von u vor dem ersten, von s vor dem zweiten u, von
Verlesung eines n aus r (§ 3ö) und substituierung eines -e
für 'i,
% 93. Zu 'si quis cum ancilla aliena moechatus faerit*
begegnet in cod. 6 und bei Her. als var. neben theolasina
'Verführung einer unfreien' oder 'dafür zu entrichtende strafe'
(§ 55) noch uertico 131, 1, uuirtico 133, 1. Kern beruft hier
(K § 133) ahd. ubarltgida adulterium, und ich möchte daran
anknüpfend vorschlagen, die lesarten zurückzuführen auf in
vorläge X* (vgl.* §lß und 188) stehendes *uuertico (das erste i
von uuirtico für e nach § 4a), das durch ausfall von li und
Versetzung von dt auf älterem *uu€rlicito beruht, das wider
durch verschreibung von c f ür ^ (§ 2ß) oder durch Schreibung
von c tm g darstellendes ch (§ Qß) sowie durch ausfall des A
von th (§ 6ß) und substituierung von -o für -u (vgl. § 60 zu
bonimo u.s.w.) aus *uuerligithu oder -licfiithu hervorgegangen
war (wegen des regelrechten -u vgl. Beitr. 17, 288 1). Wenn
Hlicolasin den frevel bezeichnete, diente das andere nomen
selbstverständlich appositionell zur präcisierung des frevek
Da in cod. 2. 7. 8. 9 und der Heroldina nur bez. teoUsma.
eualisina, aniUmna steht, ist für "^uuertico oder dessen Vor-
stufen ausfall in vorläge X« oder cod. 2, in vorläge X* (?)
oder der speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9 und in der Herol-
dina anzunehmen.
§ 94. Wenn ein 'seruus cum ancilla aliena' intime buhl-
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Zu DEN MALBERGI8CHEN GLOSSEN. 92—95 389
Schaft getrieben und die 'ancilla' in folge dessen das leben
eingebüsst hat, so hat der schuldige dem herrn der sclavin
6 sol. zu zahlen oder castration zu erleiden; der herr des sclaven
aber muss dann dem eigentümer des verstorbenen mädchens
den wert desselben ersetzen; hat die buhlerei keine tötliche
folge, so erhält der 'seruus' eine bestimmte anzahl schlage,
es sei denn dass er diese strafe mit einer busse von 3 sol. ab-
kauft. Siehe 136, 7. 8 (bez. 137, 4 etc.). Der gesetzgeber fasst
hier also zweierlei ins äuge: die dem ^seruus' zuzuerkennende
strafe und die für den herrn des 'seruus' aus seiner haftung
für diesen erwachsende Verpflichtung, den von letzterem ver-
ursachten schaden zu vergüten. Die zugehörige glosse bab
mundo 137, 5 (cod. 2), bathmonio 140, 4 (cod. 6) muss sich dem-
nach auf das eine oder das andere beziehen. Der *seruus'
des Paragraphen bringt auf die Vermutung, dass in bab und
bath- eine entstellung von *abacht vorliegt (wegen b für h vgl.
§ 3/, wegen der Schreibung ch § 6/9); für mundo und -monio
möchte man an ein aus dem bekannten mnndium zu erschlies-
sendes germ., casu quo salfrk. *mundi denken: -mundo durch
ausfall von i, -monio durch ausfall von d und substituierung
von o für w (§ 4 a) aus *-mundio mit lat. -o (§ 5 a). Aus der
gewalt über den sclaven geht die haftpflicht für denselben
hervor; und es dürfte darum nicht für unwahrscheinlich gelten,
dass altes *ambachtmundi sich als 'haftpflicht für den sclaven'
auf den passus des Paragraphen (der in cod. 1. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9
in zwei teile getrennt, doch in cod. 2 und bei Her. ungetrennt
überliefert ist) 'dominus uero serui capitale ancillae in locum
restituat' bezog. Die gleichung afries. nedmund = fränk.
bachmund, -moni (mit back- = ahd. -pah corrupto, s. K § 134)
befriedigt nicht, weil in unserem paragraphen nicht von not-
zucht die rede ist.
Aus der Überlieferung ergibt sich das Vorhandensein der
glosse in vorläge X^, X^ und X* (vgl. § 1/9 und 188); ausfall
derselben in cod. 1, der Heroldina und in vorläge X^ (?) oder
der speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9. Das fehlen von *ä- in
der Überlieferung weist auf bereits in Xi ausgefallenes ä- hin.
% 95. Zu 'si seruus anciUam alienam extra uoluntate
domini sui ad coniugium sociauerit (copulauerit)' steht die
glosse anthamo 140, 5 (cod. 6). 141, 4 (cod. 7. 8. 9), authanio
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390 VAN HBLTEN
142, 4 (Her.; i# für w, m für w nach § 3x und g). Znruck-
f übrnng derselben auf anthauia oder anffwfia (E § 135) ist
m. e. unnötig, weil das fiberlieferte anfhamo einen ganz passen-
den sinn gewährt: 3. sg. praes. opt. (wegen der yerwendong
dieses tempns vgl. § 8) zu *anth-hatm&n eig. = 'zu sich ins
haus nehmen', woraus 'heiraten' (man beachte mhd. keimen
4ns haus aufnehmen' und 'heimfahren, heiraten'); vgl. wegen
anth- § 63; wegen der bedeutung 'zu sich' got andninum,
ahd. enneman recipere, ahd. intphähan, as. antfiüian, mnd. eni-
holden 'aufnehmen, beherbergen', entgesten 'bewirten' (neben
gleichbed. gesten), mnl. onthalen 'als gast empfangen ', anOumden
'aufnehmen' u. s.w.; wegen des zweiten compositionsgüedes an.
heima, -aöa 'ins haus aufnehmen'; wegen der schreibang am
für aim § 4^.
§ 96. Für die deutung der zum tit. XXVI (bez. XXXVI
etc.) 'de libertis demissis' gehörenden glossen hat Kern (K
§ 136), zum teil im anschluss an Grimm (M xxx f.), in glänzen-
der weise den weg geebnet durch ansetzung von älterem
maltho : the (1. thi) cUameo, lito! und maltho : ihe {l ihi)
atomeo, theo!
das er durch '(si) concionetur (dicat) : te libero, Ute' bez. 'serve'
übersetzt und als entsprechung fasst von 'si quis litum alienum
. . . ingenuum dimiserit' bez. 'si seruum . . . ingenuum dimiserit'
des textes. Behufs Vervollständigung der erläuterung sei noch
folgendes bemerkt.
In malthochiado moeiheo 140, 2 (cod. 6) begegnet c für ^
(§ 3d), d f ür ^ (§ ^7) und oe für eo. Die andere lesart des
nämlichen cod. malthochiado freoledo 140, 1 lässt sich indessen
nicht mit dem von Kern angenommenen m. thi atomeo l ver-
einigen; ihr freo ist in keiner weise als entstellung aus meo
geltend zu machen, es weist vielmehr auf ursprünglich in der
ersten glosse stehendes *afrio, d.h. afrtö Lsg. praesw ini
von zu fri gehörendem denominaüv, 0 hin und nötigt also für
die erste glosse zur annähme von ursprünglichem *maUho thi
afrio litu: wegen des e von freo und ledo und des d von ledo
0 Ursprünglich der 3. schwachen angehörend; vgl. ags. friogan übe-
rare (Sievers, Ags. gr. § 416).
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Zu DEK MÄLBERGI8CHEN GLOSSEN. 95—96. 391
YgL § 4a und /; das do von malthochiado beruht auf enüehnung
ans der folgenden glosse (§ 2 t;).
Das nämliche '^afrio findet sich wider in den lesarten der
ersten glosse (141, 1) maliholüho friobliio (cod. 7), maicho itto
frioblito (cod. 8), maltho hüho frio bliio, woraus für die specielle
vorläge dieser hss. auf *mdltho üho frio blito zu schliessen ist
(in 8 c für ^ und tt für ih nach § Sd und 4£; das l von -litho
in cod. 7 nach § 2^ für ä, das für die nähere vorläge von cod.
7 und 9, vgl. § 188 am schluss, anzusetzen und nach § 4d zu
beurteilen ist); dieses aber begreift sich als die folge von Um-
stellung des thi zu ith, von durch maltho, frio, blito veranlasster
Verdrängung des für sufflx angesehenen a von afrio durch o
(§ 2«) und von Verlesung eines 6 aus fo (vgl. das d für ol,
§ 55 am schluss) aus *friolito durch dittographie (§ 2/) ent-
standenem *friololito. Beeinflussung der zweiten glosse durch
die erste (§ 2C) beobachtet man in malthofiato meoto, maltho
fiatho meoiho, maltho fratho meotho von cod. 7. 8. 9, woraus für
die specielle vorläge der drei hss. *mältho friatho meotho zu
folgern: das -o fri- der voranstehenden glossenlesart veranlasste
verschreibung von -o fri- für -o thi; wegen des ^ä für < in atho
meo vgl. § 7flf.
Die lesarten der Heroldina maltho theato meolito 142,1,
maltho theatha meotheos 142, 3 gehen auf *maltho thi atomeo lito
und ^maltho thi atomeo theo zurück: the für thi (§ 4«), th und
a von atha für t (§7«) und o (§ 2*), -os für -o, wie -as für
-a in seu landoueuas etc. (§ 74), indem das meotheos als zu
'solides' gehörender acc. pl. gefasst wurde. In der ersten glosse
war also das *atomeo der zweiten für *afrio substituiert.
Die nämliche substituierung ergibt sich auch für die vor-
läge X* (vgl. § l/J und 188) aus der Überlieferung in cod. 1
und 2: malthoitus meo letu 136, 1 (cod. 1) durch ausfall von t
und h und a, substituierung von -as für das für casusendung
angesehene -o (§ 5 a) und Schreibung von e für i (in U-) und
von -u für '0 (§4a); maltholatu metho 136,2 (cod. 1) durch
ausfall von t und h, Verlesung von Z aus i (§ Sfi), Schreibung
von u für 0, ausfall von o und e; malteohiatus meo lexm 137, 1
(cod. 2) mit t für th (§ Qß\ -eo für -ö nach dem muster von
folgendem meo (§ 2f), h für th, -us für -o und k- für K- wie
in cod. 1, ex fox et (wegen der ähnlichkeit der ligaturen für
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392 VAK HELTEN
et und ex ygl. in Arndts Schrifttafeln taf. 9 a, zeile 2. 3 und 7
von spalte 1) and -m durch Verlesung aus drei verticalstrichen
mit übergeschriebenem strich (§ 3§), d. h. aus einem zeichen,
das durch Substitution von -u für -o (§ 5 a) und dittographie
eines yerticalstriches (§ 2/) entstanden war (wegen leta for
Uto ygl. auch § 124 zu lecüm)] maltho hau homitto 137, 2 durch
ausfall von t, Versetzung von ia und latinisierung von omeo
theo oder daraus hervorgegangener entstellung zu homitio
(wegen h- vgl. § 4(J). Der iiberlieferung zufolge stand in vor-
läge X^ bereits hi für ihi (aus diesem hi das i bez. l von cod. 1)
und (in der ersten glosse) -tis für -o, 26- für !t%
In maltho erblickt Kern die 3. sg. praes. opt (wegen des
tempus vgl. § 8) zu durch metathesis (nach art von nmL und
der Theutonista zufolge auch mittelostnfrk. naelde = as. nädlcL)
aus "^matlün (= ags. maOelian) hervorgegangenem ^maUhm,^)
Die bereits in vorläge X» vorhandenen -e und -o von iUameo
und das -o von für diese vorläge anzusetzendem Uto stehen für
salfrk. -t- und -w (§ 4 a). Wegen des w-stammes *litu s. § 124.
§ 97. Als entsprechung von Hintinnum' erscheint thuo-
chapo, tuhochapo, thuochaido 141, Ib (cod. 7. 9 und 8), aurappo
142,1b (Her.). Der zurückführung von thuo- etc. auf chuo
vacca (K § 137) widersetzt sich das zu Hintinnum' stehende
'de inter porcos' bez. 'de porcina aliena' sowie das sonst nicht
diphthongierte ö der glossen (vgl. focifale etc. § 15, atomeo
§ 96, obdo § 101, oueppo etc. § 102, hiorotro etc. § 108). Die
überlieferten thuo- (tuho- durch Umstellung) und au- lassen sich
vereinigen durch die annähme von älterem Hhio-: u für i (nach
§ 2/), a statt ti (§ Sß) aus ihi (§ 6ß) und aw für oo durch
correctur des Schreibers, der glaubte es mit lat au zu tun zu
haben. Dies *thi0' aber könnte auf eine ältere, in der vorläge
X3 (vgl. § 1 ^9 und 188) vorhandene lesart Uheot- zurückgehen
(i für e nach § 4 a, wie in *stiorci § 28, piomarina etc. § 135),
das mit ahd. diozan personare zusammenhängen und 'sonitus'
bedeuten dürfte. Aus -chapo (woneben in cod. 8 cliaido durch
rätselhafte entstellung) und -rappo ist älteres ^-chrapo (vgl.
^) Eögel dachte (Gesch. der deutschen lit. 2, 424) für das yerb. an Ter-
wantschaft mit ahd. tneldün. Doch empfiehlt sich hier mehr die annähme
eines technischen ansdrucks = 'vor gericht erkl&ren*.
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zu DEN MALBER6ISCHEN GLOSSEN. 96—98. 393
§ 6ß. Y und 4^) zu erschliessen, dem als zur sippe an. hrapa
'eilen, sich schnell bewegen', hrapaör 'hast', mnd. mnl. rap
celer, agilis^) gehörig die bedeutung 'bewegliches, beweglicher
gegenständ' beizumessen wäre (das -o nach § 5a). Also salfrk.
*1heotchrap = 'beweglicher, geläute hervorbringender gegen-
ständ', d.h. 'tintinnum'.
Die glosse fehlt in cod. 1. 2. 6, wo few-, leodardi, leoö als
Strafbezeichnung steht (§ 89), das andrerseits in cod. 7. 8. 9
and der Heroldina fehlt; also durch ausfall veranlasstes fehlen
einer der beiden in vorläge X», X» und X* vorhandenen glossen
in vorläge X^, in der speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9 sowie
in cod. 6 und der Heroldina.
§ 98. Behufs deutung von horto pondo 149, 9 (cod. 6),
ortopodun 151, 22 (Her.) = 'in horto' des textes beruft Kern
(K § 142) ags. ort in ort^eard (vgl. auch § 42) xmipimd 'pferch'.
Das salfrk. compositum ist als *ortpund anzusetzen, wozu die
glosse *ortpunde oder -a (vgl. wegen dieser endung § 119) als
von (ausgefallenem) *an oder *m abhängender dativ. Daraus
durch substituierung von lat. simplex orto für ort- (§ 5i3), von
o für t* (§ 4 a) und von durch assimilierende Schreibung (§ 2^)
hervorgerufenem -ö für -e oder -a für die vorläge X* (vgl. § 1^
und 188) anzusetzendes *orio pondo, das einerseits durch vor-
tritt von Ä (§ 4d) horto pondo, andrerseits durch ausfall von n
oder nasalcompendium und substituierung von -ü für -o (§ 5 a)
die lesart der Heroldina ergab.
Die glosse ortobaum 151, 24 (Her.; dieselbe fehlt in cod. 6
durch ausfall) ist als = 'im garten stehenden bäum' zu fassen;
vgl. den text des Paragraphen 'si uero in horto fuerit', dem
ein paragr. 'si quis melarium aut pirarium decorticauerit'
vorangeht.
Zu 'in agrum alienum arborem insertum' stehendes ortho-
bano 149,15 (cod. 6; dieselbe fehlt in der Heroldina durch
ausfall) geht auf älteres *ortobaumo (lat. -o nach § 5 a) zurück
(th für t nach § 7 a, ufmn nach § Sjt, ausfall von nasalcompen-
dium) oder auf "^ortobaum (n für m, -o für versetztes -u nach § 4a).
^) Wozu auch ags. hreppan (3. sg. praes. ind. hrepeÖ) längere, mnd.
ninl. reppen * bewegen' und * berühren*; vgl. mhd. rüeren, nind. mnl. roeren
'bewegen' und 'berühren'.
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394 TAN HELTEN
§ 99. Za 'si qais retem ad angnillas (angnflaritiam etc.)
de flamen (flunio etc.) fnraaerit' stehen als glosse obtatbo
154, 19 (cod. 1), ohttMo 155, 18 (cod. 2), oMuplo 158, 26 (cod-6X
obdubas, obdtib, obdubus 159, 1 b (cod. 7. 8. 9), ob dopus 160, 3
(bei Herold). Die formelle ähnlichkeit der lesarten verbietet
eine trennnng derselben. Und in der tat wird nns ihre to*-
einignng ermöglicht bei beachtong der widerholt auftretenden
entstellung von t bez. d ans M (§ 6ß nnd 2ß) nnd der (§ 7ß
und 6d hervorgehobenen) substituiemng von ph (woraus pl
nach %2ß, p durch ausfall von h^) oder b (woraus bb nach
§ 4g) für /". So erhielte man als für die vorläge X» (vgL § Iß
und 188) anzusetzende lesart *obihufo oder (vgl. § 4 er) *obihofo
(die lesarten von cod. 8. 9 und obdubas von cod. 7, wofür § 3a
zu vergleichen, weisen auf obdubus in der speciellen vorläge
dieser drei mss. hin), welch letzteres durch ausfall von e aus
*obtheofo entstanden sein könnte, das widerum mit rucksicht
auf die sonstigen of- bez. ob- (aus of-) 'unten' oder *von unten
herauf (s. 77. 101. 135) auf ein *oftheofo des glossators zurück-
zuführen wäre, d. h. die 8. sg. praes. opt. (= 'de flumen fura-
uerit') zu *oftheofön (vgl. ags. in Ines Gesetzen 48 var. und in
Aelfr. Ges. 6 belegtes ^eö^ofian und beachte wegen des opt
praes. §8, wegen der Schreibung f § 6d). Die endung von
obdubus und ob dopus ist Substitut für das als nominalendung
gefasste -o (§ 5 a). Der Überlieferung gemäss stand die lesart
mit t bereits in vorläge X*, die mit d in vorläge X».
§ 100. In den zu 'si quis statuale(m) (statuam), trema-
cle(m) (tramaculam etc.) aut uerteuolum (uerteuelem etc.) fu-
rauerit . . . dc din. qui fac. sol. xv culp. iud.' gehörenden nas-
condinar 154,20 (cod. 1), nasco dinar 155,19 (cod. 2) (wegen
dinar s. unten), nasde 158, 27 (cod. 6), narcus, naschuSy nadmis
159,2 c (cod. 7. 8. 9, für deren specielle vorläge naschus anzu-
setzen ist; wegen r für ^ vgl. § 3r, wegen des ausfalls von A
bez. 5 § 7a und 2a), nastthus 160, 14 (Her.; tt für t aus c, vgl
§ 2/. 3d) erkennt man unschwer (vgl. M xlix. K § 148) ent-
stellungen aus altem *fnaschun (d. h. -ün) gen- sg. zu *masdui
^) Mit rucksicht auf die nähere verwantschaft zwischen cod. 6 nnd der
Heroldschen hs. ist für die specielle yorlage dieser beiden hs8. eine lesart
mit ph anzusetzen.
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zu DEN MALBEBOI8CHEN GLOSSEN. 99—101. 395
'netz' (wegen der schwachen flexion des nomens beachte Ahd.
gll. 2, 618, 47 *retia mascun^; wegen der Schreibung seh s. § 7«;
wegen der bedeutung *netz' vgl. die eben citierte glosse sowie
DWb. 6, 1694)0: für die vorläge X* (vgl. § li^und 188) anzu-
setzendes, durch verschreibung von n für m (§ 2ß) und sub-
stituierung von -0 für -« oder -un (vgl. § 41 zu -uano) ent-
standenes "^fMSi^oi daraus nach den lesarten von cod. 1 und 2
für die vorläge X^ anzusetzendes, durch Schreibung von sc für
scÄ (§ 7 a) entstandenes nasco (nascon in cod. 1 mit durch an-
lass des n von folgendem dinar eingeschaltetem n, vgl. § 2d,
oder mit n vor d wie in obdon, § 101) sowie in vorläge X»
stehendes, durch substituierung von -us für -o (§5a) ent-
standenes naschus {ncbsdc von cod. 6 für naschus durch Schreibung
von de nach § 4a für nach § 3e aus ch verlesenes "^di und
durch ausfall der enduug). Der gen. gehörte zu einem in
cod. 7. 8. 9 als taxaca, bei Her. als texacha (= 'busse wegen
diebstahls', § 20) erhaltenen, in vorläge X^ und in cod. 6 durch
ausfall fehlenden Substantiv.
Wichtig und belehrend ist das in cod. 1 und 2 überlieferte
für die vorläge X^ anzusetzende dinar, das schon von Holtz-
mann (Ueber das Verhältnis der Malberger glosse u.s.w. s. 15;
vgl. auch Lit.-bl. f. germ. und rom. phil. 2, 54) als an die glosse
angetretenes dinar erkannt wurde: mit rücksicht auf die (nach
§ 2£) vorauszusetzende ältere Verzeichnung der glossen als
randglossen ist für vorläge X^ die nämliche verzeichnungsweise
geltend zu machen; somit kann der antritt nicht bei einer
Verzeichnung der glosse im text stattgefunden haben, m. a. w.
es wird derselbe nur begreiflich bei der annähme, dass der
Schreiber von X^ na^co dinar als randglosse eintrug, indem
er in seiner vorläge *fiascho texaga (oder taxaga, vgl. § 20)
dinar dc (= *als strafe wegen entwendung eines netzes 600 den.')
vorfand-
Für die bedeutung und etymologie von lat. tre^nacle{m)
etc. und uerteuolum etc. s. Diez, Etym. wb. i. v. tramaglio und
bertovello,
§ 101. Der Paragraph 'si quis (e)screona(m) siue claue(m)
^) Eögels nasc = 'fischreuse' als nebenform zu ahd. nuosc fistula,
canale (Gesch. der deutschen lit. 2, 422) ist wol zu problematisch.
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396 VAN HELTEN
effrigerit (fregerit etc.)' enthält die glosse obdo 154, 21 (cod. 1).
158, 29 (cod. 6), obdon 160, 16 (Her.). Zu dem folgenden 'si
quis screona(m) qui dauern habet effrigerit (infregerit etc.)'
findet sich stronis anthedio 158, 28 (cod. 6), strona antidio (an-
thedio, anthidio) 159, 1 c (cod. 7. 8. 9), nasche streonas anfkedi
160, 15 (Her.). In cod. 2, der nur den anfang des ersteren und
den schluss des anderen Paragraphen gewährt, erscheint pronas
an thi so 155, 20.
Als entsprechung von 'effrigerit' etc. hat natürlich obdo
zu gelten mit -do = -dö 3. sg. praes. opt (vgl. K § 149 und
beachte oben § 8) und ob- 'herauf = got. uf-, wie in obtubbo
etc. (§ 99; wegen der latinisierung der partikel s. § 66), Das
n von obdon (bei Herold) schreibt sich wol daher, dass ein
copist (oder am ende der herausgeber selber) den nach vom
herübergelehnten oberschaft des im text folgenden d (der zahl
'de') für ein über dem o stehendes nasalcompendium ansah
(gegen die fassung von obdon als verschreibung für obduo
spricht sowol das oben § la erörterte als der umstand, dass
unsere glossen immer o = genn. ö haben, vgl. § 97). Der
Überlieferung zufolge ist die glosse aus vorläge X* (vgl. %lß
und 188) in X*, X» und X* übergegangen.
Das offenbar als genit. zu anthedio etc. = 'erbrechung'
bez. 'strafe wegen erbrechung' (§ 44) gehörende stronis etc.
(-OS als endung für den gen. sg. masc. oder ntr., vgl. § 119;
'is für 'OS nach § 3a; -a durch ausfall von s) steht selbst-
verständlich mit im text erscheinendem screona im Zusammen-
hang (wegen t für c vgl. § 3cJ; wegen der möglichkeit einer
Verlesung von p aus st vgl. in Arndts Schrifttafeln taf. 9 b,
spec. zeile 6). Aber in welchem? Das vulgärlat nomen be-
gegnet (auch als screuna, -ia, escreona, escreuna^)) ausser in
den oben citierten Paragraphen noch 168, 2. 169, 17 (si uero de
screona dauern efrigerit etc.), 68,1c. 69,1c. 70,1c. 71,1c
(si . . . tres homines ingenuam puellam de casa aut de screona
rapuerint etc.) und 73, 5. 76, 4. 77, 5 (si uero pueüa ipsa de
^) Wegen chreonanam als yerBchreibong für achreofiam vgl. oben § 2a
nnd /. Wegen der auch in schreonam 161, 33 sowie im lehn wort (e)8chmam
'schelle' 140, 3b und var., schiüam 143, 3 d var. (Tgl. §195) begegnenden
vulgärlat. Schreibung scJi für sc ygl. Schuchardt, Der Tocalismns des ynlg&r-
lat. 1, 73.
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zu DEN MALBEBaiSCHEN GLOSSEN. 101. 897
intro claue aut de screuna rapuerint etc.) sowie in einem
KaroL capit. de vill. (Mon. Germ. LL. sect. II 1, 87: de teguriis
id est sereonis\ in der LexSax. 33 (qui in screona aliquid
furauerit) und der L. Fris. Add. sap. tit. 1 § 3 (si quis . . . screo-
nam effregerit). Die bedeutungen, welche Kein (K § 78. 150)
für das von ihm in semantischer hinsieht mit mhd. tunc ver-
glichene wort geltend macht, nämlich ^(unterirdisches) gemach
zu frauenarbeit, zur aufbewahrung von feldfrüchten' findet sich
zum teil wider im afranz. escriegne 'unterirdisches gemach,
Sammelplatz der weiber und kinder für die abendzeit' (s. Diez,
Etym. wb. U c in voce), das sich von screona etc. nur hierin
entfernt, dass ihm eine form auf -nia (vgl. übrigens das zwei-
mal in cod. 4 der Lex Sal. erscheinende screunia 76, 4. 157, 18)
zu^unde gelegen hat.*) Für die etymologie des Substantivs
ist an aslov. Jcryti tegere anzuknüpfen, lieber sein suffix be-
lehrt uns die vergleichung der salfränk. und lat, wortformen:
aus der salfränk. flexionsendung -as ist auf ein nach art von
as. iekan, fekan, ahd. lougan 'leugnen', got liugn 'lüge' gebil-
detes neutr. *screun zu schliessen, das entweder als solches
oder, wenn die entlehnung' nach der entwickelung von salfrk.
eo (s. § 190 a am schluss) stattfand, mit eo entlehnt wurde und
die endung -a durch anlass des häufig verwanten dat. sg. auf -a
(vgl. § 119) erhielt (also entweder roman. disyllabisches eo für
eu oder ein solches eu für eo nach § 4 a); einer daneben stehen-
den bildung mit suffix -m^) entstammt das oben erwähnte, auf
den flectierten casusformen (des gen. und dat. sg. fem.) be-
ruhende screunia. Die bedeutung des wortes ist natürlich die
folge einer Übertragung vom abstractum auf ein concretum.
Für die glosse ist altes *screonas anzusetzen. Das con-
stante st und das p der Überlieferung sowie das mit einer
ausnähme durchstehende o für eo weisen auf frühzeitige ent-
stellung, auf in der vorläge X* stehendes *stronas hin; das e
der ausnähme streonas ist demnach nicht als altes e, sondern
als (nach § 2()) durch anlass von vor str stehendem e (s. unten)
eingeschaltetes e zu fassen.
0 Wegen der Yocalischen entwickelung des afranz. wortes vgl. afranz.
esttere 'Steuerräder' aus *8ieor oder *8tetir = ags. steor: ie aus in offener
tonsilbe stehendem e, Schwund von o oder u.
') ^gl- fS^^ taikns fem. t-stamm neben as. tEcan, ahd. zeihhan.
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VAN HELTEN
In nasche der Heroldina steckt die entstellung eines vom
yoranstehenden Paragraphen her hierhin verirrten *nasdtus
(vgl. § 100): nasch (durch ausfall von -uä) + e, das eigentlich
als (nach § 6 a) vorgetretenes e zu *stronas gehorte.
§ 102. Der paragraph ^si quis campo alieno aranerii et
seminauerit' erinnert, wie Kern (K § 151) bemerkt hat, an
den in awfries. rechtsquellen durch ureer 'unberechtigtes
pflügen (eines teils des angrenzenden nachbarlandes)' bezeich-
neten frevel (wegen ür- u.s.w. = 'unberechtigt, unerlaubt'
vgl. § 92). Die zugehörigen glossenlesarten gehen sehr aus-
einander: ou6ßpo andrepa 163, 24 (cod. 1), hoc her paande es-
crippas 164,22 (cod. 2), ohrebus andappus 168,2 b (cod. 7.8.9),
ohreppus 169, 19 (Her.). Doch lassen sich fOr das heranssch&leii
der ursprünglichen lesart die folgenden ausgangspunkte geltend
machen. Im ersten teil der glosse steckt dem awfries. «r-
(aus *t*SMr-) entsprechendes *ö5^-, vom glossator durch *o/cr-
dargestellt (§ 6d), woraus durch frühzeitige substituierung von
6 für /• (§ 6(J) bereits in der vorläge X« (vgl. § Iß und 188)
vorhandenes *o&er-, woraus ouep- mit w für 6 (nach dem muster
von Schreibungen wie fauaria(m) 145, 7. 146, 7. 149, 12. 152, 13
var. statt fabaria{m) 150, 2b. 152, 13, cauaüum 47, 1. 56, 1.
209,1. 218,1 statt normales cabailum) und p für r (§3(»);
hoc her mit vorgetretenem A (§ 40), c für dittographisches o
(§ 177) und h für b (§87); obre- in obrebus und obr^^pus (das
obre stand also bereits in vorläge X^).
Nach 'arauerit et seminauerit' ist für das mit *o/er- ver-
bundene compositionsglied ein semantisch beiderlei arbeitsarten
zusammenfassendes verbale zu vermuten; und als solches käme
*ö/* = mhd. uop 'landbau' in betracht -(wegen salfränk. ö vgl
§ 97).'). Mit rücksicht auf 'alieno' ist in and{r) der rest eines
als gen. sg. zu "^ander zu postulierendes "^andres zu erblicken
(wegen -es, nicht -as nach § 119, vgl. unten). In cod. 2 über-
liefertes escrippas hat selbstverständlich als die dem prototypus
am nächsten stehende lesart zu gelten, zu dem sich die in den
anderen hss. ei-scheinenden epa etc. als verstümmelte reste
^) Die richtigkeit der von Kern (K § 151) verdachtigten lesart * semi-
nauerit' wird bestätigt durch den Edictus Bothaiii (Mon. Genn. LL.4) 354:
si quis campum älienum araueritj sciefis non suum, aut sementum spaT^ert
prestimpserit, xierdat opera et fniges.
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Zu DEN MALBERGI8GHBN OLOfiSEK. 101—108. 899
verhalten. Die endungen -a, -as, -us lassen sich vereinigen
durch die annähme von -as des gen. sg. m. oder ntr. (vgl.
§ 119 und 3a). Für escrippas ist mnd. stHpe 'streifen lands'
heranzuziehen (wegen e- und wegen c für ^ vgl. § 6a und So):
demselben gemäss wäre ein in der nämlichen bedeutung ver-
wantes, nach art von ahd. chnopf, scopf, stock .u.s.w. (s.Beitr.
9, 167) gebildetes *stripp anzusetzen (auf pp des prototypus
weist das mit einer ausnähme durchstehende pp der Überliefe-
rung hin). Einer fassung von esc- als entsprechung von hd.
esch, got atisks (E § 151) widersetzt sich das nicht umgelautete
a der glossen (§ 36).
Somit dürfte aus der feder des glossators *oferof andres
strippeis geflossen sein = 'unberechtigte bearbeitung eines (an-
grenzenden) einem anderen gehörenden streifen landes' ev.
(vgl. § 39) 'die dafür zu entrichtende strafe'. Aus dieser lesart
aber lassen sich die überlieferten anstandslos herleiten: schon
in der vorläge X* stehendes, durch Versetzung und durch Ver-
lesung von p aus f i§SX) aus *-<?/" entstandenes *-jpo, woraus
in cod. 1 -po, in cod. 2 -pa mit a als durch folgendes a hervor-
gerufener assimilierender Schreibung (§ 2^); ande escrippas von
cod. 2 durch ausfall von r und es und späterhin erfolgte ditto-
grapfaie von e (§2/) aus für X^ anzusetzendem * andres escrippas
(oder estrippas), das durch ausfall von es und escr (oder estr;
das äuge des copisten sprang vom ersten r auf das zweite über),
Schreibung von e für i (§ 4 a) und p für pp (§ 4 g) sowie aus-
fall von 'S in cod. 1 überliefertes andrepa ergab; *-po konnte
durch substituierung von -us für das für nominale endung an-
gesehene -0 (§ 5 a) zu *'pus werden, während aus *andres
esereppus (oder estreppus\ das e f&r i nach § 4a, das u für a
nach § 3 a) durch ausfall "^andreppus hervorgehen konnte (das
äuge des Schreibers sprang vom ersten re auf das zweite
über); hiemach für X^ möglich zu erachtendes "^obrepus an-
dreppus konnte einerseits durch ausfall das obrepptts der He-
roldina ergeben (das äuge des copisten verirrte sich vom ersten
re nach dem zweiten), andrerseits durch Schreibung von b für
p (§ 4/), ausfall von r und assimilierende Schreibung (§ 2^)
zu obr^s andappus (cod. 7. 8. 9) werden.
§ 103. Zu 'si quis aratro de campo alieno ante ostauerit
aut iactauerit aut testauerit' gehört die glosse auuerphe 167, 18
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400 VAN HELTEN
(cod. 6), cuuaerso, chuuarso, chucarso 168, 3 (cod. 7. 8. 9; fftr die
specielle vorläge dieser drei mss. ist demnach auf ^dwimerso
zu scUiessen: c in 7 für oA nach § 6/9; in 8 aasfall von e\
ca in 9 ffir ea, vgl. § 3e, statt ae), anhunerbo 169,20 (bei
Herold; un für uu, § Sx). Der ursprunglichen lesart kam, wie
aus den überlieferten zu folgern, chuu (des glossators schreibimg
für hw, § 6/3), f (wegen ph, ft und 5 aus /" vgl. § 7ß. 6d. 3x)
und als in der zweiten silbe stehendes vocalzeichen e zo
(wegen ae als gelegentlicher Schreibung für e s. anm. 1 zu § 37);
für die (schon in der speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9 fehlende)
erste silbe wäre ursprüngliches an denkbar (a in cod. 6 für
an) oder auch a (an bei Her. mit nach §26 eingeschaltetem n).
Einer fassung der glosse als an hwerfe = *in the yard' (K
§ 152) steht das ^de campo' des textes im wege. Ausserdem
müsste man hier einen ausdruck (verbum oder verbale) er-
warten, der sich auf die im Paragraphen bezeichnete handlang
bezöge. Mit rücksicht auf ags. ahtveorfan avertere möchte
man darum vielleicht beim ersten blick zu der annähme von
achuuerfe, einer in ähnlicher bedeutung verwanten 3. i^. praes.
opt., geneigt sein. Doch widerspräche derselben das gegenüber
dem -e von cod. 6 in cod. 7. 8. 9 und bei Herold überlieferte
'0 und dürfte es sich mithin eher empfehlen, ein zu *akuuerfan
gehörendes verbale *ächutterf anzusetzen, dem als lat. endung
(nach § 5 a) ein -o angehängt war, das in cod. 6 oder einer
vorläge desselben in folge von assimilierender schreibang (§ 2 f)
durch -e verdrängt wurde. Wegen der event. für das verbale
geltend zu machenden bedeutung 'strafe für den bezeichneten
frever vgl. § 39.
§ 104. *Si quis mulierem (mulieri) brac(h)ile(m) furauerit'.
So 167, 31. 170, 38 in cod. 5. 6 und der Lex emend. Herolds
ausgäbe hat brachiale 169, 30. Wegen der bedeutung sind die
zwei von Ducange 1,731 und 730 aus Isidors Origenes und
einem Papias-ms. citierten stellen zu beachten: hoc (d.h. redi-
miculum stve succinctorium) vulgo Bracile, quasi bracialc
vocant, quamvis nunc non brachiorum, sed renum sit cinguJum.
— Brachile, quod succinctorium sive redimiculum didmus,
quod nunc non brachiorum, sed renum sit cingulum. Die
ähnlichkeit der zugehörenden glosse suhto, subiho (ffi für i
nach § 7flf) mit ahd. von Kern (K § 153) hervorgehobenem
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Zu DEN SIALBEBOISCHBN GLOSSEK. 103—105. 401
umhi^weift perizomata, femoralia lässt altes *sueft (mit e =^ e
aus ai, vgl § 4^) vermaten, das durch entstellung schon in der
vorläge X* vorhandenes subto ergeben hatte: ausfall von e,
antritt von lat. -o (§ 5 a) und latinisierung von suf- zu sub-
(vgl.§6d).
§ 105. ^Si quis (per) casam alienam sine consilium domini
(sine permissu possessoris) traierit . . . sol. xxi culp. iud.'
167,32. 169,31. 170,38 (das 'per' fehlt in cod. 6 und der
Emend., findet sich aber bei Her. und als var. zur Emend.).
Die fassung von trahere casam als 'disjicere c*' (s. Ducange
8, 149, sp. 2) befriedigt nicht: die ahndung einer solchen ge-
walttat mit 30 sol. wäre gar zu befremdlich. Geffcken (Lex
Salica s. 141) denkt an 'unbefugtes wegnehmen des hauses'
(das, 'überwiegend oder ganz aus holz errichtet, leicht ein-
gerissen und schnell wider an anderer stelle aufgebaut werden
kann'). Aber auch bei dieser annähme bliebe das 'per' des
textes unbegreiflich. Mit trahere 'laufen' (wegen dieser be-
deutung vgl. Duo. 8, 150, sp. 1) liesse sich hingegen sowol die
Verwendung von 'per' als die Verwendung eines mit einem
verbum der bewegung verbundenen accusativs in einklang
bringen: 'laufen durch das haus eines anderen' (wegen der
Verwendung des accusativs beachte currat vtam Duc. 2, 672,
sp. 3 und vgl. Diez, Gramm, d. rom. spr. 3, cap. 5, 2, 2 am schluss).
Zu dem Paragraphen, der mithin einen fall von haus-
friedensbruch erwähnen dürfte, steht als glosse alachis cido
cod. 6, ala chesddo Her., deren dUi- als intensivum auf damit
verbundenes adjectiv oder adverb hinweist. In 'sine consilium
domini' bez. 'sine permissu possessoris' liegt der gedanke an
eine gewaltsame handlung. Dies führt zu anknüpfung an ags.
JuBste violentus und ahd. in der Lex Alem. 49, 1 überliefertes
haistera handi (si quis in carte episcopi armatus contra legem
intrauerit, quod Alamanni haistera handi dicunt) und zu
ansetzung von aus der feder des glossators geflossenem ^ala-
chesto violenter (wegen ch als Schreibung für ä s. § 6^9; wegen
e aus ai vor muta § 4j?; wegen i für e in alachis und c für ^
§ 4a und 3(5). Das -ido der glosse führt im verein mit 'tra-
xerit' auf den gedanken an Hido, d. h. tidö 3. sg. praes. opt.
(wege des tempus vgl. § 8), das sich auf grund von nml. mnd.
iiden 'sich begeben, gehen' und von aofries. in der metapho-
Beiträge zur ge«chichte der deutschen spräche. XXV. 26
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402 VAN HELTEN
rischen bedentung 'sich an etwas machen* yerwanten Mia^)
für das salfrk. ansetzen lässt. Ans *alach€sto Udo aber konnte,
indem das äuge des Schreibers vom ersten t anf das zweite
fibersprang, *alachestido hervorgehen.
§ 106. Nach tit. XXVIII (bez. XLVI etc.) sind w^:en
mordversuchs strafbar: erstens wer eine person zur verabimg
eines mordes gedungen hat, zweitens wer sich zu dem zweck
hat dingen lassen und den mord versucht hat, drittens wer
event. bei solcher dingung als Zwischenhändler tätig war. Als
spui'en der ein solches versuchsdelict oder die dadurch ver-
wirkte strafe bezeichnenden glosse begegnen in cod. 6. 7. 8. 9
und bei Her. zu den zwei ersten paragraphen (167, 1.2. 168, 1.
169, 2.^) 3) die oben § 74 besprochenen seulandefa, tua, seuUmdo
efa. In cod. 2 findet sich hingegen dreimal morter 164, 1. 2. 3
(zum dritten paragr., indem der correspondierende paragr. der
anderen hss. kein seulandefa etc. enthält), das sich als ent-
stellte lesart {t für th nach § 6j9, r f fir ^ nach § 3 t) auf zu
*seolandauu€fa 'anstiftung, versuch' gehörendes *fitor^es 'vor-
bedachter tötung' zurückführen lässt. Es wäre also in cod. 2,
was die zwei ersten paragraphen betrifft, der eine, in cod. 6.
7. 8. 9. 10 der andere teil der alten glosse erhalten geblieben
und es dürfte somit nach § Iß und 188 für die vorläge X* das
fehlen der einen glossenhälfte als möglich, für X' das fehlen
der anderen als sicher anzunehmen sein. Ob morter 164,3
aus dem vorangehenden paragraphen entlehnt ist oder den rest
repräsentiert von altem *morthes seulandauuefa, das in X^
gänzlich geschwunden war, ist natürlich nicht zu entscheiden.
Theolosina 163, 1 von cod. 1 ist vom voranstehenden para-
graphen hierhin verirrte glosse (vgl. über die gl. und wegen
des falschen o von -h- § 55).
§ 107. In dem 'de debilitatibus' handelnden titel (XXVmi
bez. XLVn etc.) finden sich abwechselnd zur bezeichnung des
>) Man beachte die beleg^tellen in B § 32 (y. Richthofen 8. 154):
ßr sa thi ridieva (der zum verlnst seines hauses durch niederbremiiiDg Tei^
urteilte richter) En Eyn hüs hebbe, sä tldie tha Uüde (üdir oppcu
>) Die Heroldina hat ausserdem 169, 1 als (in den anderen hss. fehlen-
den) znsätz eine teilweise widerholnng des von der dingong eines m(Srden
handelnden paragraphen (die strafe wird hier aber als 'sol. o' statt als 'sol.
Lxii et dimid.' angesetzt). Wegen des hierin fiberlieferten aunena s. §74.
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Zu BBN MALBESGISCHEN GLOSSEN. 105—107. 408
*al)-' oder 'ansbanens. -schlagens* eines kOrpergliedes sicH 164, 1 b,
sedi 167,1b. 177,1,' secOie (fSr *8echte) 176,3, «icAfe 178, 1. 11,
soehte (durch *suchte aus sichte nach § 4a und 2y) 178, 2 var.,
sictae (mit -oe für -e nach anm. 1 zu § 37) 176, 12 und chamin
178,2. a 10 (Her.), chaminus 172,2 (cod.l), chamina 176,11
(cod. 6). 177, 8 (cod. 7. 8. 9), chaminis 176, 2. 5. 7 (cod. 6). 178, 2
var. 3. 5 (Her.), cramere 177, 2 (cod. 7. 9), (Gramere 177, 2 (cod. 8),
e&ramtre 177,3 (cod. 7. 8»)), chramine 177,3 (cod. 9).
Ffir sicti etc. liegt anknüpfung an lat. secare und dazu
gehörende ahd. sega, saga 'säge', sahs, segansa, sihhila, mnd.
^'cA^ falx, mnl. Bicht(e) falx u.s.w. auf der band. Das nomen
ist durch suffix -tiön (vgl. Kluge, Nom. stammb. § 126) gebil-
detes abstractum, das als sichte (mit -e für -ia, vgl. § 9) aus
des glossators feder geflossen sein muss; wegen in der Über-
lieferung erscheinender e für i und -i für -c sowie c für cä vgl.
§ 4a. 6/J.
Ffir cAatnm etc. erinnert Kern (E § 159) an aofries. ehern-
med, hammeth mutilatus (s. Aofries. gr. § 288^3). Zu einem
aofriesischem hamma, hemma entsprechenden salfrk. jo-verbum
konnte ein als *hafnmtn anzusetzendes verbale gehören (wegen
altes mm vgl. Otfrids hammes 3, 4, 8), das, vom glossator
(nach § 6^) als *chammin geschrieben (wegen des nicht um-
gelauteten a s. § 36), in folge frühzeitiger Vereinfachung des
mm (wie in chramin ffir *chrammin, s. § 82) in der vorläge X*
(vgl. §lß und 188) sich als diamin vorfand, woraus durch
antritt von lat. -t^s, -a oder -w (§ 5 a) chaminus, -a, -is. Die
lesarten von cod. 7. 8. 9 c(h)ramere etc. weisen auf in der spe-
ciellen vorläge dieser hss. stehendes chramire hin (wegen c
für eh und e ffir « vgl. § 6ß. 4a; diramine mit n f ür r nach
§ 3a), das sich als das resultat folgender Vorgänge begreift:
aus cfiamin durch Verlesung von r aus n (§ 3o) *chamir, das
bei latinisierung der endung anlässlich seines r dem Infinitiv
angeglichen wurde; in *chamire wurde dann (nach § 2(J) ein r
eingeschaltet.
Da sichte seiner nominativform zufolge nur als bezeichnung
des freveis gelten kann, ist auch chamin, ob es gleich seiner
form nach auch als im acc. stehende bezeichnung der strafe
^) Merkel liest hier (cod. 8) dvramire, Hesseis chramire (vgl. § 80*
26*
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404 VAN HELTESr
ZU fassen -wäre (vgl. § 89), als eigentliches verbale geltend za
machen. Zu beachten ist noch, dass von den parallelen Para-
graphen 172,2. 176,2. 177,1. 178,1 bez. 176,3. 177,2. 178,2
einige chaminus etc., andere sedi etc. haben, offenbar in folge
von Verwechslung der beiden glossen. Für die bestinunniig
der ursprünglichen stelle der einen und der anderen fehlt in-
dessen m. e. der anhält. Zwar könnte der umstand, dass in
zwei später folgenden paragraphen, nämlich 176, 11 etc. and
176, 12 etc., cJiamin(a) in allen hss. zu 'si uero pes capulatos
fuerit et ibidem teniat' steht, hingegen mit 'si uero pes ex-
cussus fuerit' sictae, sichte verbunden wird, beim ersten blick
dazu geneigt machen, ersteres wort auf das teilweise, das
andere auf das gänzliche abhauen zu beziehen; doch wider-
spräche solcher annähme das chaminis 176, 7. 178, 5 zu 'si quis
alteri tres sequentes digitos ... excusserit'.
Zu 'excusserit' von 'si quis poUicem de manu nel pede
excusserit' und 'si secundum digitum ... excusserit' begegnen
die glossen cUatham 172, 3 (cod. 1), alathanw 173, 2 (cod. 2%
athlata und ahlata 176, 4. 6 (cod. 6), älachtä und alatham 178, 3. 4
(Her.); zu 'mancatus' von 'si uero ipse poUex in ipsa manu
mancatus pependerit' (üafhamo 173,3 (cod. 2), ablatam 176.5
(cod. 6), alachtamo 178, 3 (Her.). Das durcheinander der belege
mit und ohne -o bringt auf die Vermutung, dass hier zweierlei
Worte vorliegen, ein verb. auf -amo und ein adjectiv auf -««,
deren endungen durch gegenseitige beeinflussung vielfach falsch
überliefert sind. Das alor von cod. 1. 2 und der Heroldina
weist auf in der vorläge X* stehendes dla- hin (also aüdaia
und ablata von cod. 6 als durch Versetzung entstandene ent-
stellungen; dblaia ausserdem durch ausfall von t und Verlesung
von h aus h nach § 3/). Aus den th von cod. 1. 2 und 6 ist
auf in der lesart von X^ stehendes th zu schliessen (also das
ch der Heroldina für th nach § 3d). Aus der Überlieferung
von cod. 6 und der Heroldina ergibt sich für vorläge X^ eine
lesart mit tht {alatham bei Her. durch ausfall von (). Es wäre
mithin für X^ zunächst entweder tht (th von cod. 1 und 2, also
von vorläge X^, durch ausfall) oder th (tht von X^ durch ein-
schaltung nach § 2()) für möglich zu halten. Mit alaihtamo
aber wäre, so viel ich sehe, nichts anzufangen. Hingegen
dürfte die annähme von *alathamo bei benutzung von Eems
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zu DEN MAT.BEBGISCHEN GLOSSEN. 107—108. 405
fingerzeig (ala- intensivum, 'Chamm- zu ahd. hamm, E § 160)
zu einer befriedigenden deutung der glosse = 'excusserit'
führen: altes *alachammo (wegen ^ für c und m für mm s.
§ 3d und 4^, wegen ch als Schreibung für h § 6ß) als 3. sg.
praes. opt (wegen des tempus vgl. § 8) eines nach art von
as. bilamon, ahd. pchamaUn mutilare (zu hamal) zu *älahamm
gebildeten denominativs; wegen der bedeutung vgl. mutilare
caudam Metam. 6, 559, naso auribusque muUlatis Liv. 29, 9.
Eine glosse alacham zu 'mancatus', d. h. 'zum teil ab-
gehauen' (vgl. das 'pependerit' des textes) wäre sinnwidrig.
Ich vermute altes *{c)hälfcham (vgl. § 6/), statt dessen bereits
in vorläge X* durch einwirkung von alu- der vorangehenden
oder der folgenden glosse entstelltes *dlacham stand (vgl. § 2C).
Ausser äblatam etc. steht zu 'si uero ipse pollex mancatus
pependerit' 176,5. 178,3 noch chaminis, ersteres aus einem
prototypus = 'mancatus', das andere aus einem den inhalt
des Paragraphen bezeichnenden prototypus (vgl. § 189).
Wegen alathamo 173, 4 (cod. 2) s. § 108 zu biorotro.
In 177,3 (cod. 7. 8. 9) zu 'si police de manu capolauerit'
überliefertes chramire (-ine) ist mit rücksicht auf die alatham(o)
etc. der con'espondirenden paragraphen in cod. 1. 2. 6 und der
Heroldina als vom voranstehenden paragraphen her ein-
geschleppte glosse zu fassen.
§ 108. In den paragraphen des XXVim. (bez. XLVH.
und XXXII.) titeis, welche die strafe für das abhauen eines
fingers bestimmen, begegnen nur in cod. 6. 7. 8. 9 und bei Her.
stehende glossenlesarten, deren prototypen offenbar als be-
nennungen des zweiten bis fünften fingers zu gelten haben.
Zu 'secundum digitum' stehen biorotro 176, 6, brioro 177, 4,
briorodero 178,4;
zu 'medianum' daphanu 176,8, thaphano, taphano 177,5,
taphano 178, 6 (Her. text), repphano 178, 6 (Her. var.);
zu 'quarto digito' melachano 176,9, melagno 177,6, male-
gano 178, 7 (Her. text), in clechano (mit in für m, § 3|) 178, 7
(Her. var.);
zu 'minimos digitus' mineclino 176, 10, menecleno, meledeno
(mit d für rf, § 3^) 177, 7, minechUno 178, 8.
Kern fasst (K § 160) biorotro etc. als entstellte lesart für
thrioro thero *der drei (finger)'; die glosse sollte eigentlich zum
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406 YAN HBLTEN
folgenden Paragraphen 'si qois alten tres seqnentes digitos
pariter nno ictu excosserit' gehören. Die annähme solcher
entstelinng Hesse sich freilich rechtfertigen: b (nach § 87) aus
hffiff {h\ d fSr ih (nach § 2ß); doch dflrfte die worteteUnng
thrioro thero befremden nnd mflsste man Oberhaupt als ent-
sprechong von Hres digitos' einen accnsativ, nicht einen genitiy
erwarten. Ich möchte demnach vorschlagen, die glosse als
wirklich zu ^secundmn digitnm' gehörend zu fassen nnd die
lesarten auf altes *briu- oder *briouroter (wegen des -o vgl
§ 5 a, wegen eventuelles 0 für u § 4a, wegen d für < § 4/)
zur&ckzuftthren, das sich zerlegen Iftsst in briu- oder brio-,
d. h. briU' oder 6rlo- *brei' (regelrechtes -u vor tr, vgl § 120
zu treu- vor w, oder -0 durch anlehnung an das sünplex ^brio,
vgl. § 190 1$), und 'Uröter, d. h. zu *wrötan (= ags. tvrotan, mnL
wroeten) gehöriges, durch suffix -ra gebildetes derivatum =
'zum wühlen dienendes Werkzeug' (wegen des anorganischen
-e- vor r vgl. § 8, wegen der annähme von salfrk. tor- § 110);
'breiwühler' wäre ja eine volkstflmliche benennung des zweiten
fingers, die mit den von W. Grimm in seiner abhandlung Ueber
die bedeutung der deutschen flngernamen (Kleinere Schriften
8, 438) hervorgehobenen Xixapog und lit. lüus = 'zweiter finger*
(eig. 'lecker') in einer linie stände. Vor biorotro etc. steht in
cod. 6 und bei Her. allatam bez. alcUham, was nach § 107 auf
ursprüngliches *aiachainino briu- (oder brio-) -uroter = 'secon-
dum digitum . . . excusserit' schliessen lässt. In cod. 7. 8. 9 ist
nur briaro überliefert. Der mit 'secundum digitum ... ex-
cusserit' correspoDdierende paragraph von cod. 2 hat alatiiamo
173,4, das mit rücksicht sowol auf das dlathanu) des voran-
stehenden Paragraphen als auf das sonstige fehlen in cod. 2
(und 1. 3. 4) von sich auf einen abgehauenen finger beziehenden
glossen (vgl. oben) als entlehuung zu gelten hat (vgl. § 2C).
Für daphanu etc. nimmt ' Kern (E § 161) ausfall von r
vor ph und Zusammenhang mit as. derdi improbus, andax, aa
cfjarfr 'frech' an; dieser fassung stehen jedoch die überlieferten
th' und t' im wege und es dürfte ausserdem eine bedeutung
'improbus (digitus)' nicht ansprechend erscheinen. Aus dem
überlieferten material ist auf in der gemeinschaftlichen vorläge
stehendes *thaphanu oder -ü zu schliessen (d fSr ih nach § 2ß;
t für th nach § 6^9; -w und -0 aus -wn, vgl. § 41), das wider
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zu DEN MALBKBGISCHEN GLOSSEN. 108—109. 407
auf ursprQnglichem *chafanun (vgl. § 3 J und Iß) beruhen könnte,
d. h. anf dem schwachen acc sg. masc. eines substantivisch
yerwanten und dem ahd. hapan, ags. JuBfen entsprechenden p.
prt = 'elatus' (wegen ch und f als Schreibung für h und B
s. § 6^9. d; wegen des fehlenden präfixes vgl. § 88). Das r und
das zweifache p von repphano begreifen sich nach § 3v und 27^,
das e für a ist wol nur zufällige verschreibung {taphano les-
art der näheren vorläge von den beiden Heroldschen hss.).
Die lesarten melackano etc. führt Kern (K § 162) an-
sprechend zurück auf altes ^uuelachan, starken acc. sg. masc.
eines substantivisch verwanten adjectivs *wela<:h dives; wegen
(schon in der gemeinsamen vorläge vorhandenes) m für uu
und '0 s. § 2ß und 5a; wegen ch als Schreibung für g und
wegen g durch c für cA vgl. § 6^ und 4/; malegano weist die
folge auf von Umstellung, in elechano von assimilierender
Schreibung (§ 2 s),
In betreff einer fassung von minedino etc. (K § 163) als
durch 'iclm (vgl. as. nessiklln) aus minn gebildetem diminutiv
durfte die durch keine analogie gestützte annähme eines solchen
aus comparativadverbium hervorgegangenen derivatums be-
denken erregen. Vielleicht empfähle es sich deshalb mehr,
altes *uuen€chUn = ^Schwächling' (vgl. mhd. wenig 'schwach,
gering', mnd. tcenich mit gl. bedeut.) anzusetzen: bereits in der
gemeinsamen vorläge stehendes m für uu und angetretenes -0,
wie in melacJiano; i für e und 6 für i (nach § 4a; der wurzel-
Yocal des wertes ist mit rücksicht auf ahd. zu weineg im ab-
lautsverhältnis stehendes wenag als e zu fassen; für eine form
mit altem ai wäre nach § 4j9 die Schreibung a oder ai zu er-
warten); c für ch (nach § 6/9); das l von meledeno entstand in
der älteren lesart "^menecleno (nach § 2^).
§ 109. Neben chamin(a) bez. sictae, sichte (s. § 107) er-
scheinen 176, 11 etc. und 176, 12 etc. zu 'si uero pes capulatus
fuerit et mancus ibidem tenuerit' und *si uero ipse pes ex-
cussus fuerit' noch chuldeclina, childeclina cod. 6, chudachina,
chuladachina (wegen des zweiten a vgl. § 2d), chludachina cod.
7. 8. 9, chcd de china, chul de china, chdldachina Her. Aus der
Überlieferung geht für die vorläge X^ (vgl. § IjS und 188) chuld-
hervor (child- mit i für m nach §2ß, cluM- mit a für m nach
§ 3a), für vorläge X^ -echina {-edina mit Hür A nach § 2^;
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408 VAN HELTEN
das einmalige -achina bei Her. mit durch c&aU- herrorgemfenem
-a- für -c- nach § 2e), für vorläge X^ (?) oder die specielle
vorläge von cod. 7. 8. 9 -(ichina, Entstehung des -«- letzt-
genannter lesart aus -e- wäre unbegreiflich; hingegen ist das
'6' von X^ als Substitut fOr als compositionsfnge gefasstes -a-
leicht verständlich nach § 5ß, Somit wäre für X' eine lesart
"^chuldachina anzusetzen, die sich durch annähme von aasfall
eines l auf älteres *cJiuldachltna zurückführen lässt^ dessen er-
läuterung uns keine Schwierigkeit bereiten kann. Ich erinnere
an an. hold 'körper' und got. agl alaxQov 1. Eor. 11,6 sowie
an die bei ursprünglich 'contumelia afficere' bedeutenden verben
zu beobachtende begriffliche entwickelung von 'entstellen, ver-
letzen, schädigen' (vgl. die bekannten bedeutungen von mhd.
nhd. schänden sowie mnd. mnl. sehenden 'schädigen', mnL hih^en
'schädigen', Mnl. wb. 3, 548, aloxvveiv 'entstellen, verunstalten').
Mit rücksicht auf das eine und das andere dürfte man die
möglichkeit anerkennen eines salfränk. aus *huld 'körper' und
*aglin 'Verletzung' (wegen des a vgl § 36) componierten no-
mens, das der glossator seiner Orthographie gemäss als *<^ul
dachlin niederschrieb (§6^3), woraus durch antritt von lat -a
(§ 5 a) *chulda€hlina. Als bedeutung der glosse hätte demnach
'körperliche Schädigung, körperverstümmelung' event. (vgl. § 39)
'die wegen dieses freveis zu entrichtende strafe' zu gelten;
bei ersterer bedeutung stände das wort demgemäss als syno-
nymon neben chamina und sictae, sichte (vgl. § 16 am schloss).
§ 110. Zu 'si quis alterum (alteri etc.) oculum euellerit
(eicerit, tulerit)' stehen inchabina 176, 13 (cod. 6), Haha haumOy
licauina 177, 10 (cod. 8. 9; Hesseis' luchauina 177, 10 von cod. 7
soll ausser betracht bleiben, weil nach des herausgebers be-
merkung 'the gloss is not very clear in the MS'), UdanUna
178, 12 (Her.). Für den zweiten teil der glosse zieht Kern
(K § 165) as. gihävid mancus zu *hävian, derivatum zu häf =
ahd. hamf mancus heran. Also ^-chauina (wegen ch und u
als Schreibung für h und 5 s. § 6/9 und 6) als verbale mit lat -a
(§ 5 a), woraus -chabina mit b ffir u (nach § 69), -ha hiwma
mit h für ch (§ 6/), dittographischem ha (§2/) und m für ui
. (§ 3|), 'Cauina mit c für ch (§ 6ß), -clamina mit i für * (§ 2ß)
und m für ui (§ 3 g) und dittographischem i. Die berechtignng
der annähme von salfränk. synkope von m vor altem f geht
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zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 109—111. 409
hervor aus mnl. mf 'fünf ', saefte, saechte, sachte, mittelostnfrk.
segtecheit (s. J. H. Kerns gloss. zu den Limburg, sermoenen),
sachte, vijf Teuthonista. Aus des glossators Verwendung von
tt zur darstellung der labialen spirans ergibt sich für die
Sprache der glossen die existenz von Beitr. 20, 511 f. bespro-
chenem, aus altem f entstandenem S: darstellung von f durch
u wäre ja kaum denkbar angesichts des umstandes, dass dem
glossator ein f zu geböte stand.
Für den ersten teil der glosse ist aus der Überlieferung
als lesart der vorläge X^ (vgl. § 1/9 und 188) li- zu folgern: in-
mit t für { (§ %(i\ n für u aus a (§ 3jr und 2ß)\ lia- mit ein-
geschaltetem a (nach § 2d). Mit solchem li- nun wäre hier
wenig anzufangen: die lesart kann nur der rest einer älteren
sein, die sich etwa folgenderweise wider auffinden liesse.
Nach '^chuldachlin = '(strafe wegen) körperverstümmelung'
zu 'si uero pes capolatus fuerit' etc. (§ 109) dürfte man als
glosse zu *si quis ... oculum euellerit' etc. einen ähnlichen
ausdruck für '(strafe wegen) antlitz Verstümmelung' denkbar
erachten. Zur widergabe aber einer solchen bedeutung könnte
ein compositum dienen, das aus "^-chauin und HUi- (= got. wlüs,
ags. wlite) gebildet wäre (ausfall von ti, indem des Schreibers
äuge vom ersten i auf das zweite übersprang). Wegen der
möglichkeit eines abfalls von w vor l gegenüber dem (nach
mol. wreken, ivroegen, wreet, wringen u.s.w., altostnf rk. wwröca
Ps. 57, 11, uurisil Ps. 18, 6, Gl. Lips. 1067, mittelostnfrk. wranc,
torase, wraMe, wreet etc., s. Teuthon.) für das salfränk. anzu-
setzenden wr- vgl. mnl. lispen, lespen 'stammeln' (zu ags. wlisp
balbus), altostnfrk. anliton f aciem, uultu GL Lips. 29.
§ 111. Für zu 'si nasum exciserit (excusserit) . . . sol. xlv
culp. iud.' gehörendem frasito 176, 14 (cod. 6), frasitto 178, 13
(Her.) weist Kern (K § 166) auf as. farslttan, ahd. farslvsan
abscindere hin. Ja für den glossator in anspruch zu nehmen-
dem *'Slit (wegen -o und tt für t vgl. § 5 a. 4$) wäre demnach
ein nomen zu erblicken = (ahd. slia ruptura) = '(strafe wegen)
abschneidung' bez. '-schlagung' (vgl. § 39). Das fra- könnte
man mit Kern als präfix gelten lassen. Doch ist zu beachten,
dass nach den § 109. 110. 112. 114 besprochenen, sich speciell
auf die Verstümmelung eines körperteils beziehenden glossen
auch hier ein gleichartiger ausdruck zu postulieren ist, also
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410 VAN HELTEN
etwa ein compositum mit consonantstamm nas- als erstem teil
Ein solches *nas' aber liesse sich aus dem überlieferten fra-
herauslesen: Umstellung von aus s verlesenem /* (§ 3x) und Ver-
lesung von r aus n (§ So).
§ 112. Zu ^si (quis) auriculam (alteri) excusserit . . . soLxv
culp. iud.' steht chanodeora 176, 15 (cod. 6), chunni deura 178, 14
(Her.); zu 'si quis alterius nasum aut auriculam excusserit . . .
sol. XV culp. iud.' (wo 'nasum' durch unrichtige Verbindung
dieses und des vorangehenden, oben § 111 besprochenen Para-
graphen eingeschleppt ist') funne dileura 177,11 (cod. 7. 9),
fune deura oder deura (cod. 8; für die specielle vorläge von
cod. 7. 8. 9 ist funne chleura anzusetzen, vgl. § 3^; wegen n
für nn s. § 4 g); ausserdem hat Herold als var. aus seiner
zweiten hs. zu 178, 11 ('si uero ipse pes excussus fuerit') noch
hierhin verirrtes, ursprünglich zu *si quis auriculam u.s.w.'
gehörendes chäna chlora. Aus diesen lesarten ist für die vor-
läge X3 (vgl. §1/9 und 188) das mögliche einer lesart mit dumn-
oder chunn- (zwei Zeugnisse, nämlich cod. 6 und Her. var., für a,
zwei, nämlich die Heroldina und die specielle vorläge von cod.
7. 8. 9, für w; wegen der Verwechslung von a und u s. § 3 a),
mit 'ichle- oder -echte' (vgl. § 4 a) und mit -ora oder -ura zu
folgern (zwei Zeugnisse, nämlich cod. 6 und Her. var., für o,
zwei, nämlich die Heroldina und die specielle vorläge von cod.
7. 8. 9, für m; wegen o und u vgl. § 4 a): dtanodeara durch
substituierung von o für aus n verlesenes u (§ 3jr), ausfall
von i oder e und Verlesung von d aus für chl eingetretenem d
(§3^ und 6j3); chunni deura mit c fAr ch; funne mit f statt
für ch eingetretenes c (§32); chäna mit -o für -t oder -e (nach
§ 2f) durch einwirkung von vorangehendem a oder durch das
a von chlora.
Auf ora, d. h. öra, als die ältere lesart weist das 'auriculam*
des textes hin. Es muss demnach in dem anderen teil der
glosse eine sich auf 'excusserit' beziehende 3. sg. praes. opt
stecken (wegen des tempus vgl. § 8). Mit rücksicht auf die
§ 4g hervorgehobene doppelschreibung dürfte man das nn als
durch frühzeitige entstellung entstandenes gelten lassen und
0 Man beachte die strafe von xlv sol. für das abhauen der nase, tob
XY sol. für das abhauen des obres (s. g 111 und 112).
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zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 111—113. 411
käme so bei annähme von chann- und -ichle als der lesart
von X^ zukommend zn in dieser vorläge stehendem *channichle,
das an das § 68 ffir das salfrk. erkannte '^nichal{l)iu 4ch werfe
nieder' erinnert nnd als durch ausfall einiger buchstaben und
Schreibung von nn aus *chanichdl(l)ie (wegen ch als Schreibung
^^ 9 ^e^- § ^ß) hervorgegangen sein könnte. Dass aber ein
'zu boden werfen' bezeichnender ausdruck sich zur Verwendung
in gedachter beziehung eignet, ist zu ersehen aus aofries. gers-
fälle, 'feUe, awfries. gersfallich *aufa gras gefallen, abgehauen',
z.b. in sa hwa sa ütherum ßt ofskit, thet hi gers feile is; en
hond of, ihet hiu gers feile se; dat ma htm een sfnre sex le-
dena binimpt, dattet gersfallich wirt (s. noch v. Richthofen,
Wb. i. voce). Kögels deutung der glosse (Gesch. der deutschen
lit.2,424) als thuno-^ thunniddeor, begrifflich = ahd. dunuwengi,
scheitert an dem umstand, dass solches compositum nicht 'ohr'
bezeichnen könnte. Gegen Kerns chlunnicleofa (K§ 167) spricht:
erstens das überlieferte r, das schwerlich als Verlesung aus f
zu fassen wäre; zweitens das problematische eines salfränk.
chlunni *ohr' = ags. hlynn 'laut'.
§ 113. Die musterung der zu 'si (quis) linguam alten
capulauerit' stehenden glossenlesarten achaltea 176, 16 (cod. 6),
cdchacio (cod. 7), alcheio (cod. 8), halachacio (cod. 9) 177, 12,
aichaltua 178,15 (Her.) ergibt für die vorläge X» (vgl. § 1/9
und 188) eine lesart *alchaUia: in cod. 6 a für aZ und e für i
(§ 4a) ; in für die nähere vorläge von cod. 7. 8. 9 anzusetzendem
(dchacio {alcheio durch ausfall von a und Verlesung von e aus
c nach § 3f, halo' mit nach § 4d vorgefügtem h und nach § 2d
eingeschaltetem a) a für aZ, e; für ^ (§ 3d) und -o für -a (nach
dem muster der häufigen formen auf -io, vgl. § 55. 58. 59); bei
Her. M für « (§ 2y). Kern weist für die deutung der glosse
auf hält mutilus hin (K § 168). An seine bemerkung an-
knüpfend und an das § 107 besprochene ^älachammö = 'ex-
cusserit' erinnernd, möchte ich als die aus des glossators ge-
flossene lesart *alachaltia ansetzen (wegen ch als Schreibung
ffir Ä s. § 6/9), d.h. die * capulauerit' widergebende 3.sg. praes.
opt. (wegen des tempus vgl. § 8) zu aus "^alachalt gebildetem
denominativ *alachalten (wegen -en für -ian vgl. -e für -ia,
§ 9; wegen des nicht umgelauteten a s. § 36). Wegen der im
opt. praes, in gedeckter Stellung regelrecht, in ungedeckter
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412 VAN HBLTEN
auf analogischem wege entetandenen -a (aas -e^- für -ai-) und -a
vgl. Hhichiüs (§ 152) und urtifugia (§ 79), *chalascia (§ 151),
alatrudua (§ 159).
§ 114. Die zu *si quis dentem excusserit' gehörenden les-
arten laclabina 185, 17 (cod. 6), inchhuina, inchauina, indauina
186, 13 (cod. 7. 8. 9; für die specielle vorläge der drei mss. ist
hiernach inchlauina anzusetzen), inclanina (mit n für u nach
§ 3jr) 187, 16 (Her.) gehen zurück auf in der gemeinschaftlichen
vorläge (vgl. %lß und 188) stehendes *inclauina\ la- mit i für i
(§ 3/m) und a statt des für u angesehenen n (durch einwirkung
von folgendem la, vgl. § 2e) und b für u (§ 69); inchlauina mit
ch für c (§ 7 a). Im zweiten teil der glosse erkennt man ein
mit lat. -a (§ 5 a) versehenes, zur salfrk. entsprechung von mnl.
mnd. cluven (nnd. klövm, Jclöwn Brem.-niedersächs. wb. und
Danneil, Wb. der altmärk. mundart i. voce), altnfrk. as. *dö-
dian 'spalten' gehörendes verbale: urspr. "^'clauuin (wegen au
und wegen u als Schreibung für B vgl. § 6d und 4:ß), Die glosse
muss also für 'das machen einer spalte in der kinnlade' oder
'die deswegen zu entrichtende strafe' (vgl. § 39) gegolten haben
und es liegt darum vor der band, in dem -in der vorläge X'
eine entstellung aus *cm- zu erblicken.
§ 115. Wegen zu 'si quis hominem castrauerit ingenunm'
185,18 etc. stehendes uuirodarde etc. 'composition' s. § 89. Statt
dieser in cod. 6. 7. 9 und bei Her. überlieferten lesarten hat
cod. 2 im correspondierenden Paragraphen gasferit 182, 5. E&
liegt nahe, hier an einen ausdruck zu denken, der 'entmannung'
oder als apposition zu ^uuerdwdi 'strafe wegen entmannung'
bezeichnete. Als solcher wäre ein (im nom. oder acc. sg. stehen-
des) verbale "^gafeurith (wegen eu s. § 39 zu leud-) mit auf
analogischem wege apokopiertem -u (vgl. § 12 am schluss) an-
zusetzen (vgl. Tatians arviuren castrare), woraus die überlieferte
lesart durch Verlesung von s aus dittographischem /" (§ 2/. 3x)
und ausfall von u und h (§ 6ß). Der zurückführung von gas-
ferit auf gart'frit 'the hurting of the virga' (K § 170) wider-
setzt sich sowol das 'castrauerit' als das problematische eines
frit 'hurting' (vgl. s. 359, anm. 2).
Das gasferit von cod. 2 weist auf hier oder in vorläge X*
(vgl. §lß und 188) durch ausfall fehlendes *umridard% oder
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Zu DBK HALBEBGISCHEN OL0S8EK. 118—117. 418
ähnliches hin, das uuirodarde etc. von cod. 6. 7. 9 und der
Heroldina auf in vorläge X^* fehlendes *gafeurith.
Zu 'si uero ad integrum tulerit uirilia' stehendes alatharde
185, 19 (cod. 6), alacharde 187, 18 (Her.) wird verständlich bei
der von Kern (K § 170) vorgeschlagenen fassung von charde
(iharde mit t tür c nach § Sc)) als acc. sg. zum saUrk. reflex
von ahd. hertia vlrga (wegen der Schreibung ch, des nicht um-
gelanteten a und der endung -e für -ia vgl. § 6/9. 36 und 9).
Das nomen wäre dann als bezeichnung der virgula geltend zu
machen und mit *aila acc. sg. fem. (woraus ala nach § 4 g)
als die glosse zu ^uirilia ad integrum' zu fassen.
§ 116. 'Si quis alterum dnitum clamauerit, malb quintliac,
sunt den . . . ' So 185, 1 (cod. 6). Als Varianten der glosse be-
gegnen quinte 186, 1 (cod. 7. 8), qninthe 186, 1 (cod. 9), quintuo
187,1 (Her.). Die etymologie des vulgärlat. Schimpfnamen
cinitum (varr. cynitum, cefiitum, cinido, -um, camitum, cenniium)
ist mir dunkel. Die bedeutung des wertes ergibt sich aus
der glosse, die auf grund folgender erwägungen = 'hundsfott,
lump' oder ähnL zu fassen sein dürfte. Die ausdrücke für
'eunnus' ftid und fotjs werden und wurden auch als Schimpf-
wort auf eine männliche sowie auf eine weibliche person an-
gewant (vgl. DWb. 4, la, sp. 43 f. und 363). Das zu fotjs ge-
hörende diminutiv ßtifel gilt für ^homo turpis, nebulo, hundsfott,
Schelm' (s. ib. sp. 45). Zu isl. kunta, aofries. kunte 'cunnus'
konnte eine gleichbedeutende bildung mit quint- (aius ^^quent-)
im ablautsverhältnis stehen (vgl. auch das bei Schmeller-Fromm.
1, 1396 aufgeführte quime membrum virile). Hieraus erfolgt
die berechtigung der annähme eines in semantischer hinsieht
mit fötzel in einer linie stehenden, durch diniminutivsuffix -uc
gebildeten *quiniuc. In bezug auf die überlieferten lesarten
beachte man ausser th für t (nach § 7 a) -ac mit a für u (§ 3 a);
'uo mit ö f ür c (vgl. § 47), -e durch ausfall von u und Ver-
lesung von e aus c (§ 3£).
Aus dem fehlen der für die vorläge X* (vgl. §lß und 188)
vorauszusetzenden glosse in cod. 1. 2 ergibt sich das fehlen der-
selben in vorläge X^.
§ 117. In den von lügnerischer beschimpfung handelnden
Paragraphen des titeis XXX (bez. XLVIII etc.) *de conuiciis'
(*8i quis . . . muliere . . . meretricem clamauerit et non potueret
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414 YAK HBLTEXr
adprobare' — 'si qnis alternm falsatorem clamanerit et non
potuerit adprobare' — -si quis ... alio improperanerit qnod
scatam säum iactasset ... et non potuerit adpi'obare') b^^egnen
die glossen soUs trabo, solestrabo 186, 4 (cod. 7. 9), is€(K)rabo,
hischrabo 186, 2 (cod. 7. 8. 9), extrabo 187, 2 (Her.), austrapo
187,5 (Her.).
Da die Überlieferung auf eine mit str anlautende form
hinweist (wegen t-, e- und hi- vor s + conson. ygL § 6a und 4d;
wegen ext- die anm. zu § 91 ; wegen (Krisch- durch (t)sc- ans
(^)Ä^ § 7a), möchte man aofries. straffia 'schelten' (s. v. Bicht-
hofen, Wb.), mnd. mnl. straffen Hadeln, schelten' berufen und
als die vom glossator niedergeschriebene form *straffo (d.L
straffö)y 3. sg. praes. opt. = 'clamanerit, improperanerit' an-
setzen (wegen des tempus vgl. § 8); daraus durch fr&hzeitige
Vereinfachung von /f (§ 4 g) und späterhin erfolgte snbstitde-
rung von 6 für /* (§ 66) bez. Verlesung von p bjis f (§31) -is
trabo etc. und -strapo.
Doch genügte dieses *straffo allein naturlich nicht um die
lügnerische beschimpfung zu bezeichnen. Und es dürfte
demgemäss nicht zu kühn erscheinen, in sol von solis irabo,
solestrabo eine entstellung von ^loso (d. h. löso) 'lügnerisch'
(vgl. ags. lias mendax, mnd. mnl. lös 'betrügerisch, lügnerisch')
und in au von austrapo einen rest von *los{p\ d.h. nach ro-
manischem muster (vgl. Schuchardt, Der vocalismus des vulgilr-
lat. 2, 303) durch au dai'gestelltes o, zu erblicken. Vor (A)£sc(A)-
rabo, extrabo muss also die adverbialform bez. die daraus her-
vorgegangene entstellte lesart weggefallen sein.
§ 118. Zu 'si quis hominem ingenuum sine causa ligauerit'
und 'si uero ipsum ligatum aliqua parte duxerit' stehen ande-
rebus 190, 1 (cod. 1). 191,1. 2 (cod. 2), andreiphus 194, 1. 2 (cod. 6),
andreppus 195, 1. 2 (cod. 7. 8), andrephus 195, 1. 2 (cod. 9X ob-
repus, andrepus 196, 1 (bei Her.), andrepus 196, 2 (bei Her.).
Dass hier mit Grimm (M xlix) und Kern (E § 174) Zusammen-
hang mit got. -raips, ahd. m/'u.s.w. anzunehmen, unterliegt
keinem zweifei. Nur wäre Kerns f assung andrepos mit plm-al-
suffix = as. 'OS (Grimm geht auf eine nähere deutung des
Wortes nicht ein) nicht unbedenklich, weil die existenz einer
solchen salfrk. endung nicht für wahrscheinlich gelten kann
(wegen -a als endung für den acc. pl. vgl. § 38). Ausserdem
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zu DEN MALBESaiSCHEK GLOSSEN. 117—119. 415
düi-fte hier nicht ein subst. = * fesseln', sondern vielmehr ein
sich aof ^ligauerit' bez. 'ligatnm duxerit' beziehendes verbom
oder verbale am platze sein. Indem nun mit and- versus, ad-
verstts in Verbindung mit solchem verbum oder nomen nichts
anzufangen wäre, möchte man in and- eine entstellung aus
*hand erblicken und als die ursprüngliche glosse zu *handr^
'handfessel' gebildetes denominativ *handr^o, d. h. handri^u,
= 'ligauerit' und 4igatum duxerit' gelten lassen. Also bereits,
in vorläge X^ (vgl. § 1/J und 188) stehende, durch ausfall von /*
(§ 4d) und substituierung von -us für als nominale endung ge-
fasstes '0 (§ 5 a) entstandene (noch bei Her. vorhandene) lesart
andrepus. Daraus: anderehus mit eingeschaltetem e (nach § 20)
und 6 für jj (§ 47); andreiphus und andrephus mit ph für p
(§7/3); andreppus mit pp (§ 4C). Das mit ausnähme von cod. 6
überall stehende e weist im verein mit rep- in rephuo uano,
reppophano (§ 41) auf salfrk. ai hin; das ei von cod. 6 muss
demnach als entstellung von e gelten: in zum ersten paragr.
gehörendem andrep(h)us wurde für e geschriebenes i (vgl. § 4 a)
zunächst durch übergeschriebenes e, jedoch ohne tilgung von i
corrigiert; daraus entstand in einer späteren abschrift ei (vgl.
das in ähnlicher weise entstandene ie von fistirbiero § 122);
die folgende glosse wurde nach der ersten geändert.
Aber obrepus? Das -reptis lässt altes andrepus als Vor-
stufe vermuten, für dessen als au (§ 3;r) gelesenes an nach
romanischer Schreibung (§ 4j9) 0 geschrieben wurde und dessen
d ala b copiert wurde, indem der Schreiber den verticalstrich
statt nach dem ö-teil des schriftzeichens davor stellte (vgl.
auch § 120 zu trio iobio in cod. 7). Die Verbindung obrepus
andrepus von 196, 1 beruht also wol auf dittographie der glosse
(vgl* § 2/ am schluss).
Wegen des hier aus der Überlieferung hervorgehenden
engeren Zusammenhangs einerseits der glossenlesarten von cod. 1
und 2, andrerseits derer von cod. 6. 7. 8. 9 und der Heroldschen
hs. beachte § IjS und 188.
§ 119. ^Si quis ligatum per superbiam aut per uirtutem
(d.lL mit gewalt) ad graphione tulerit' hat als glosse mitho-
forasta 194, 5, mitho fosa stadiuo 196, 5 (wegen des ein-
geschlichenen diuo s. § 2fj). Für die deutung derselben sind
die folgenden tatsachen zu berücksichtigen. Im mfrk. begegnen
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410 VÄS( HELTEV
neben mit, mide auch die formen müh, mühe (s. Bei tr. 22, 458
und vgl. auch got. mifi, aofries. müh, A, -e neben mü, Aofries.
gr. 8. 97, as. mid neben mid, s. Braunes glossar zn den Yatic.
bmchst). Die langobardischen gesetze gewähren widerholt
einen ^in rechtswidriger gesinnung' bezeichnenden aosdraek
asto (wegen der belege s. Brückner, Die spräche der Lango-
barden § 108, anm. 2, bez. den index zu den Leges Langob.X
.offenbar als instrumental eines zu got aha, ahma u. s.w. ge-
hörenden derivatums, das durch mit $t anlautendes, im german.
z. t. in femininen der t-declination, z. t. in nach der a-flezion
declinierten masculinen und neutren erscheinendes sufflx ge-
bildet war (vgl. ahd. hlast fem., mnd. last m. und fem., mnL
last m. fem. und ntr., ags. hUest ntr., ahd. emust fem. und ntr.,
ags. eomest fem., mhd. emest m., nmd. ernst m. und ntr., mnL
ernst m. und fem., ahd. dionöst ntr., as. thionost ntr. und fem.,
mnd. denst, mnl. dienst m. und ntr., aofries. (hianost ntr., ikianst
m., ags. ofost, -est fem., ahd. rost aerugo nt, ags. rust m. und
beachte meine schrift Zur lexicologie des altwestfries. s. 9).
Das salfrk. hatte einen durch andras (§61), -gas (§ 77), stireanas
(§ 101) und escrippas (§ 102), indirect durch alckatheocus (§ 64)^
rencus etc. (§ 124), reipus etc. (§ 141) bezeugten gen. %. m.
(und ntr.) der a-flexion auf -ew.«)
Aus dieser für altes -es eingetretenen genitivendung ergibt
sich die existenz eines salfrk. dat. -a (man beachte das Beitr.
21, 488, anm. über die entstehung von as. -as neben -es erörterte
und vgl. auch die in Tijdschrift voor nederlandsche taal- en
letterk. 15, 162 hervorgehobenen mfrk. genitiv- und dativ-
endungen -as, -es, -a, -e). Aus mfrk. miih und langob. asto
geht die berechtigung hervor einer annähme von salfrk. *mHk
und *ast 'rechtswidrige gesinnung', woraus durch composition
mit (hier als intensivum fungierendem) ofor 'unberechtigt* (vgl
§ 92) oforasta. So entpuppt sich aus unserer glosse ein in bezug
auf 'per superbiam aut per uirtutem' verwanter ausdmck.
Wegen des s für in mitho fosa staditw vgl. § 3r.
>) Der von Eögel (Gesch. der deutschen lit. 2, 422 f.) befürworteten
annähme von salfrk. genitivendung "Us (ans indog. -oso) widerspricht das
erfahmngsgemäss ausnahmslose germ. antedentale endnngs-a ans indog. o
(natürlich insofern keine beeinflussnng durch altes u der folgesilbe Yor-
liegt).
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zu DBN MALBEBGISGHEN GL0S8EK. 119. 417
Das hier erkannte mith oforasta erleichtert uns die deutnng
einer anderen glosse^ die
als mithostrasiatido 212, 3 (cod. 6), mithio frasitho (frasito,
frassitho) 213, 2 (cod. 7. 8. 9), mittinio frastatitio 214, xl (Her.
texths.), frastathinto 214,xl (Her. var.) in dem von der spurfolge,
d. h. ^de uestigio minando' (vgl. Brunner, Deutsche rechtsgesch.
2, 476 ff.) handelnden titel,
als mitio fristito 406, lxvi (cod. 1), mido fristatito^) 406,
sp. 3 (cod. Yossianus), mitio fristatito, mitio fristratrito Bubrik-
tal (s. Hesseis s. xxyiii) in einer aus der glosse entnommenen
Überschrift (vgl. § 71 am schluss) zu einer novelle zum besagten
titel fiberliefert ist.
Die mithostrasiatido etc. stehen zu ^et ei uiolenter tulisse
coniiincitur', beziehen sich also (in ihrer ursprünglichen gestalt)
auf den fall, dass ein bestohlener die von ihm im besitz eines
anderen betroffene vermisste sache, mit Unterlassung des ge-
setzlichen beweisverf ahrens (vgl. oben s. 262, anm.) in gesetz-
widriger weise an sich nimmt. Die zur novelle 'si quis truste
dum uestigio minant detenere aut battere praesumpserit' stehen-
den mitio fristito etc. unterliegen dem begründeten verdacht
einer entlehnung aus der zum titel gehörenden glosse. Wir
haben demnach ffir die bedeutung der glosse von 'et ei uiolenter
tulisse conuincitur' auszugehen.
Den ersten teil von mithostrastatido etc. zerlegt man so-
fort in *mithi ofrasta (oft in vorläge X^, vgl. § IjS und 188,
durch ausfall von o oder e; wegen oferasta beachte § 177),
das durch ausfall von i sowie durch Verlesung von sr aus fr
(§ 3x) und hinterher erfolgte einschaltung von t (§ 2d) mitho-
strasta, durch ausfall von ta mithio fräs, durch entstehung von
tt aus th (§ 4 g), Verlesung von in aus vor i eingeschaltetem m
(§ 3 g und 26) mittinio frasta, durch ausfall von mithio frasta
ergab.
F&r den zweiten teil der glosse erwartet man einen sich
auf das an sich nehmen beziehenden ausdruck und denkt im
hinblick auf das t und th der Überlieferung an ein zu *teunian
= aofries. (ln)tiuna vindicare (Beitr. 14, 273, anm. 1) gebildetes
^) So nach Holder in seiner ausgäbe des Yoasianiis (s. 58). Hesseis hat
mido fristati.o.
Bdtnge lur geschichu der dfCuUcfaea iprache. XXV. 27
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4l8 VAK fitiLTfiXr
deverbativ ^teunithu (wegen des eu vgl. § 39 zu feud-), worai»
durch substituierung von lat. -o für -u (wie in hanmo u-S.w^
§ 60; wegen erhaltung von -u im salfrk. vgl daselbst) und
ausfall von uni in (nach § 4a) entstandenem *üuniiho oder -a
(das äuge des Schreibers sprang vom ersten i auf das zweite
Aber) bereits in der vorläge X' stehendes *tiüu}, das in der
folge durch verschreibung von d für /ä (§ 2/9) tidoy durch aus-
fall von h (§ 6ß) und einschaltung von i (§ 26) HHo, durch
Umstellung von t und th und Verlesung von i aus t (der über
dem i liegende vordere teil des horizontalstriches von t wurde
fOr nasalcompendium angesehen, vgl. auch § 132 zu moaniheuikl)
fhinto ergab (für die specielle vorläge der beiden Heroldschen
hss. ist demnach *-o frastatitho vorauszusetzen); aus *mähio
frasta ütho entstand durch ausfall von to t für die specielle
vorläge von cod. 7. 8. 9 anzusetzendes mithio frasifho (wegeB
des t von 8 und des ss von 9 vgl § 6ß und 4f;).0
Die lesarten der entlehnten glosse weisen auf älteres
miHo frisUxMo hin (wegen c f&r t von micio und der in fri-
stratrito eingeschalteten r vgl § 3d und 2d) mit t fär ik und
f fär a durch assimilierende Schreibung (§ 2 c) aus *miäiio
frasta Htho.
Die unrichtige Verbindung von mith(i) mit o steht natur-
lich mit der häuflgkeit der glossen auf -to und -o in Zu-
sammenhang.
§ 120. Im XXXUI. (bez. LI. etc.) titel ist in zwei Para-
graphen die rede vom diebstahl oder von der tötung eines auf
die jagd abgerichteten hirsches. Der erste paragr. erwähnt
den fall 'si quis ceruum domesticum Signum habentem furauerit
aut occiderit ... et hoc cum testibus potuerit adprobare quod
eum dominus suus in uenationem habuisset'. Der andere den
fall 'si uero alium ceruum, qui in uenatione adhuc non fnerit,
domesticum occiserit aut inuolauerit'. Die je zu dem erst^rea
und dem folgenden gehörenden glossen fflhre ich durch einen
verticalstrich getrennt und nach den überliefernden Codices
^) Für die etymologie von agerm. ^tew^an yindicare ist an Sevofioi
'entbehren* (eig. 'sich entfernen', vgl. Bmgmanns Gmndr. 1*, 112. 523) nnd
SsI (ans Jf/ei) 'fehlt' (eig. 'liegt fem'} anzuknüpfen: agerm. *ieun (mit
snff. -fuh) 'abgehend, mangelnd', wozu *tem^an '(einem) etwas abgehend
machen', 'sich etwas aneignen', 'etwas beanspnichen'.
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zu DEN KALBERGISCHEN GLOSSEN. 119—120. 4ld
geordnet auf: cod. 1 throuidioso \ throueinso; cod. 2 trouisido \
trauisido] cod. 6 trouuido \ uuisnauida; cod. 7 tretmidio \ trio
iobio amestaUa; cod. 9 treuimdio \ trio iubeo amestella] bei He-
rold trouandio (als var. throuuido) \ trauuidio cham stala.
Ausserdem steht bei Herold noch in einem dritten, dem zweiten
unmittelbar nachfolgenden Paragraphen ('si quis ceruum lassum,
quem alterius canes mouerunt ..., inuolauerit aut celauerit')
irockauido, das sich hierhin, wie aus dem Inhalt der Para-
graphen hervorgeht, von dem vorangehenden her verirrt hat.
Die Vereinigung der je zum ersteren und zum folgenden
Paragraphen gehörenden lesarten scheint beim ersten blick
eine verzweifelte sache. Doch, glaube ich, ist diese au%abe
zu lösen bei ansetzung von älterem treuuidio \ Hhrodiuuisino
und bei der annähme, dass die beiden lesarten sich in folge
ihrer formellen ähnlichkeit beeinflusst haben (vgl. § 2 g).
Cod. 1. Das tre von <reu(u)üitV> wurde so zu thro und dem
-idio wurde die endsilbe der entstellten lesart ihroueinso Mer
einer Vorstufe derselben angehängt. Die zweite glosse verlor
ihr chu durch einwirkung von *thrauidio\ ausserdem wurde hier
-ismo durch substituierung von e für • (§ 4 a) und darauf er-
folgte umsteUung zu -einso.
Cod. 2. In der ersten glosse vmrde durch einwirkung der
zweiten ro fär re und u(u)isi für u(tt)i geschrieben; ausserdem
fiel hier das i vor o aus. Die zweite glosse änderte sich nach
der ersten.
Cod. 6. In der ersten glosse ro für re und ausfall von i
vor 0. In der zweiten ausfall von "^Oiroch oder dafür ein-
getretener entstellung und schwund von i vor no; ausserdem
anfügung von aus der ersten glosse entnommenem u(u)ido
{^-nouuido nach trouuido), für dessen -o späterhin durch ein-
wirkung des -a von einstmals folgendem cJuifnstalla oder ähnL
(vgl. diesen § am schluss) -a substituiert wurde (§ 2e).
Cod. 7. Die erste glosse blieb intact und verdrängte sogar
die zweite. In der Stellung zum zweiten paragr. blieb aber
die lesart ireuuiddo nicht erhalten: es wurde hier im abgetrennten
treu t für e und o für ti eingesetzt (§ 4a), für aus ui ver-
lesenes iu ein io substituiert, b verschrieben für d (wie in
obr^MS, s. § 118 am schluss).
Cod. 9. Das treuimdio entstand durch Verlesung von im
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420 VAN HELTKN
jaus für ui eingetretenem uu (§ 3jr und 2ß). In iubeo liegt
latinisierung vor von nach cod« 7 für die specielle vorläge von
cod. 7 und 9 anzusetzendem iobio.
Herolds ausgäbe. Für trotiandio ist Verlesung von an aus
für ui eingetretenem uu (§ 3 a und 2y) geltend zu machen und
tro für tre zu beurteilen wie in den anderen Codices. Die
Variante der ersten glosse zeigt nur substituierung von ro
für re (also für die specielle vorläge der beiden Heroldschen
hs& vorauszusetzendes *trauuidio, das mit rücksicht auf die
lesart von cod. 6 auch für die vorläge X^, vgl § 1^3 und 188,
anzusetzen ist), Schreibung von th t&r t (%7a) und ausfall
von t vor o. In zum zweiten paragraphen stehendem trouuidio
erkennt man das resultat der von einstmals zum ersten para-
graphen stehendem *trouuidio ausgegangenen einwirkung; dass
für dieselbe indessen zwei Stadien anzunehmen sind, dass zu-
nächst *trochuuidio, dann trouuidio entstand, geht hervor aus
dem. oben verzeichneten, für *tro€huuidio stehenden irad^uuido
des dritten paragraphen.
In dem alten treuuidio nun erkennt man eine lesart, die
zurückgeht auf *treuuiddiun (wegen -o für -un vgl. -lumo u.&w.
§ 41, wegen d für da § 4g), acc. sg. m. eines substantivisch
verwanten, schwachen, durch suffix -i, -ja aus '^treu- (wegen
des -u aus -w vor w vgl. § 190/9) und *-uuidu^) gebildete
bahuvrihi-adjectivs = ^ einen hölzerne fussbande (die unten zu
besprechende triutas) tragenden (hirsch)\ In *throchuuisino
aber dürfte der mit bogbagine etc., ocxino etc, socelino, sunddino
{§ 24) in einer linie stehende acc. sg. stecken zu mit *Anick
0= ahd. drüh compes, pedica^ wegen o für u vgl. § 4a) com-
poniertem *uuiso (= ahd. unso dux) = 'einem triut<is tragenden
leithirsch'.
Grimm erinnert bei erwähnung obiger glossen (M xxvi 1)
an die. vulgärlat. lehnwSrter triutis eta der L. Bib. und treudis
etc. der L. Alam., die 'dem jagdhirsch zur Verhinderung des
entlaufens angelegtes fussband' bezeichneten: si quis eenmm
domitum vel cum triutes (bez. triutis) occiderit out furauerit
Eib. (e codd« A und B) 42, 1 (als varr. stehen ausser triutis,
0 Einen 9- oder u-stamm; Tgl. gpt hunawida 'feaseL* mid vfidm- in
Ton Kern g 176 herangezogenen ags. tndoban, aofiies. widubm ob <K»Uare>.
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zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 120. 421
'tos und 'des mit d für < nach § 4/ auch die verderbten les-
arten tributis, truncis, troutis); et (st) cervus üle treudis non
habet und si treudis habet et cum ipso nihil sagittatwm est
Alam. 81, 20. 21 iy^xr. trehudis, 'es)\ si (cervia) traudis habet
ibid. 82, 4 (varr. treude sowie trudis, Schreibfehler für treudis;
die lesart der texths. hat mit rttcksicht auf die sonstigen belege
mit eu als fehlerhaft zu gelten). Wegen der bedeutung be^
achte Ahd. gU. 2, 354, 13 Hruitis (l. triutis) druHn' '(d.h. dat. pl.
drühin, vgl. ahd. druh, gen. sg. -i, n. a. pl. -e, dat. pl. -en).
Triutis und triutes gehören als dat. pl. (wegen vulgärlat. -es
für -is dat. pl. vgl. Schuchardt, Der vocalismus des vulgärlat.
2, 82 f.) zu iriuta (vgl. triutas als acc. nach cum)\ treudis als
acc. pl., treude als acc. sg. zu treudis. Das zweite t von triuta
kann durch lautsubstitution für ripuar. stimmloses, also gemi-
niertes th stehen (die var. triudes nach vulgärlat. Schreibung
för ^7 vgl. § 47); das d von treudis kann für stimmhaftes th
substituiert sein. Diese erwägungen führen zur annähme eines
rip. bez. alem. compositums aus "^treu- und *withtha (= ags.
unääe, aofries. witthe 'band, fessel') bez. *withi (vgl. ^khunauuithi
catena' gl. K 204, 32), woraus bei entlehnung zunächst *treuita
bez. Hreuidis, deren -i- in der folge schwand dui*ch die näm-
liche Synkope, die sich bekanntlich beobachten lässt in vulgär-
lat. naucella 'Schiffchen', auca 'gans' (ital. span. port. oca, franz.
(>ie\ aucellus (ital. uccello, franz. oiseau), gauta 'wange' (ital.
gota, franz. jöuc), paraula 'wort' u.s.w. aus navicella, avica,
aviceUus, gavata, paravola u.s.w (vgl. noch § 157). Wegen des
i von triutes etc. vgl. § 4«.
Die in cod. 7. 9 und bei Herold überlieferte glosse ante-
Stella eta (s, oben) wird von Grimm (M xxvii) und Kern
(K § 177) als entsprechung von 'domesticum' gefasst und mit
haim und stall in Verbindung gebracht. Wegen ante-, cham-
als erstes compositionsglied vgl. oben § 23; das zweite e von
amestella ist zu beurteilen nach § 26; wegen des l von cham
stala vgl. § 4^. Die endung -a, die mit rücksicht auf die
übereinstimmende Überlieferung als schon in der vorläge X^
(vgl § 188) vorhandene zu gelten hat (ausfall des wertes in
cod. 6) ist für -ä oder -an des starken acc. sg. masc. substituiert,
indem die endung vulgärlateinischem -a acc. sg. fem. = am
(oder -ä) gleichgestellt wurde (vgl. § 121. 146).
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422 VAN HELTBN
§ 121. 'Si quis apmm, quem alieni canes moaenmt et
alassaaeront, occiderit uel fnrauerit'. Dazu acuuema 19S,3
(cod. 7. 9), aruuemon 196,6 (Her.), haroassina 194,5 b (cod. 6),
worin Kern (E § 178) eine glosse erkannt hat, die sich durch
anknüpfong an ahd. anceran confectus erläutern l&sst Als za
'apnun' gehörendes attribnt mnsste dieselbe *aruueranan oder
mit 'in- als participialsnfflx (vgl. §31) ^aruueritian lantat
Statt dessen dnrch ansf all des zweiten a oder des i und sab-
stitnierung von -a für -an (vgl. § 120 am schlnss. 146) für die
vorläge X' (vgl. ^Iß nnd 188) anzunehmendes *aruuema, das
dnrch Verlesung von c aus r (§ 3 g) die lesart von cod. 7. 9
ergab und als in vorläge X^ übergegangene lesart einer-
seits durch ersetzung von -a durch häufigeres -o (vgL § 38 zu
-crudo) und hinterher erfolgte dittographie von n (§ 2d) ar-
uuemon, andrerseits durch arge entstellung, d. h. vortritt von h
(§ 4(f), Schreibung von o für u statt uu (§ 4 a), assimilierende
Schreibung von a für 6 (§26) sowie durch doppelschreibung
von aus r verlesenem s (§ 4g und 3t) und einschaltung von i
vor u (nach § 2/), die Überlieferung von cod. 6 (etwa zunächst
*hairuesina, dann haroassinä).
§ 122. ^Si quis per malum ingenium in curtem alterios
uel in casam uel ubilibet aliquid de furato miserit etc' Als
zugehörige glosse findet sich fistirbiero 199, 4 (cod. 1), friciebero
200, 4 (cod. 2), fertibero (Merkel las festibero) 203, 5 (cod. 6),
fermbera 204, lv (cod. 7. 8), ferthebero 205, 4 (Her.). Die ähn-
lichkeit des ersten teils der Überlieferung mit ags. ferf animos
ladet dazu ein, in dem den lesarten zu gründe liegenden wort
die entsprechung von 'per malum ingenium' zu vermuten. For
den zweiten teil möchte man dann an ahd. eiuero (adv. zu
eiuer amarus, acerbus) in sie eiuero (unwillig) imphiengen
stniu uuort Notk, Ps. 104, 28 anknüpfen. Also urspr. *ferthefiro
als adv. 'mit gesinnungsbosheit' (wegen salfrk. e aus ais vgl
§ 4^), woraus durch frühzeitige substituierung von ( für /*>)
(§ 6<J) schon in der vorläge X^ (vgl. § 1/9 und 188) vorhandenes,
noch bei Her. erhaltenes (somit auch für die vorläge X» an-
zusetzendes) ferthebero \ daraus durch ausfall von A (§ 6d) und
*) Das hier dem in § 110 ansgeführten snfolge aas altem stimmlosen
lant entstandenes b darsteUte.
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Zu DEN MALBBBGISCHEN GLOSSEN. 12^123. 423
sabstitaierang von i ffir e (§ 4 a) die in cod. 6, durch nmstel"
limg von ih oder von daraus (nach § So) verlesenem m, sub-
sütoiernng von t für 6 und einfache verschreibung von -a für -o
die in cod. 7. 8 überlieferte lesart; mit rücksicht auf den engeren
Zusammenhang der glossenlesarten von cod. 1. 2 dürfte für die
Yorlage X^ durch Schreibung von i für e und ausfall von h
(§ ^ß) entstandenes *firtebero anzusetzen sein, woraus einer-
seits durch Verlesung von s aus r (§ 3 t), Schreibung von i für
das erste e, einschaltung von r {%2d) (zunächst etwa ^firtir-,
dann fistir-) und entstehung von ie durch a' (wie von ei in
andreiphus durch e*, vgl § 118) die lesart von cod. 1, andrer-
seits durch Umstellung von ir und Verlesung von o aus ^ von
dittographischem tt (§ 3d. 4^) die lesart von cod. 2.
§ 123« 'Si quis seruus seruum aut andllam sibi similem
occiderit . . . homicida illum domini inter se diuidant' So im
1. Paragraphen von tit. XXXV (bez. LVI etc.). Die bestimmung
ist nach Jastrows plausibler, durch berufung der Form. Ande-
gav. 37 gestützter deutung (s. Gierkes Untersuchungen zur
deutschen Staats- und rechtsgesch. 2, 13, 5) zu fassen als: der
herr des totschlägers und der herr des getöteten sdaven haben
sich in eigentum und dienste des verbrecherischen unfreien zu
teilen. Demnach ist auf Kerns Vorgang (K § 181) bei der be-
urteilung der zugehörigen glosse theolede tholo thodina 200, 1
(cod. 2), theolidias teuleudina 201, 1 (cod. 3), theladina 203, 1
(cod. 6), theodilinia (cod. 7) und iheodtdima (cod. 9) 204, 1 (die
lesart von cod. 8, wo nach Hesseis ^the gloss is indistinct',
bleibt hier ausser betracht), theu leude aut theu leudinia 204, 1
(bei Her.) Zusammenhang mit ^homicida illum inter se diuidant'
anzunehmen und die Überlieferung von cod. 7 und 9 als der
alten lesart am nächsten stehend und zwar als auf *theoddina
(mit 'delin + lat. -a; vgl. wegen des e aus ai § 4/J, wegen -a
§ 5a) = 'teilung eines unfreien' zurückgehend zu fassen {i für e
nach § 4«; « für in der speciellen vorläge von cod. 7 und 9
stehendes i nach § 2/; einschaltung von i nach § 26; Verlesung
von m aus in gedachter vorläge stehendem ni nach § 3 g).
In theolede von cod. 2 und theu leude bei Her. erkennt
man leicht altes *theoleudi als bezeichnung für ^eines unfreien
wergeld' (wegen leudi vgl. § 87, wegen -w- für -o- und -e für -i
§ 4a). Demnach hat das theolidia von cod. 3 als entstellung
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424 VAN HELTEN
ZU gelten von ^theoleudi: ausfaU von u, Schreibung Ton e flbr i
(nach § 4a oder 26) und antritt von -a nach dem muster ron
folgendem teuleudina (§ 2e). In dem an diese lesart anged^
tenen s aber dürfte der rest stecken von altem *si (d.L ^
3. sg. praes. opt des verbum substantivum), sodass die alte
glosse anzusetzen wäre als *tiieoleudi $i theoddin = 'das wer-
geld des bez. der unfreien sei (für den fall, dajss ein unfreier
einen sclaven oder eine sclavin eines anderen herm tötet) die
teilung des unfreien (totschlägers)\ In cod. 6. 7. 9, welche mü-
den zweiten teil der glosse aufweisen, fehlt natürlich dieses sL
Für die Heroldsche lesart ist das frühere Vorhandensein des-
selben zu vermuten aus dem iheu leude nachfolgendem 'auf,
das für aus si hervorgegangenes 'siue' substituiert sdn kann.
Berücksichtigung der alten glosse macht uns die entstehung
begreiflich von für die vorläge X^ (vgl § 1^ und 188) anzu-
nehmender, durch einwirkung des ersten glossenteils auf d^
zweiten entstandener lesart *{heoleude si theoleudina, woraus:
durch ausf all einiger buchstaben, Schreibung von o f&r u und
dittographie von tho (§ 2/) die Überlieferung von cod. 2; durch
entstehung von theolidias (s. oben) und entstellung von theo
zu teu (§ 6/3. 4a) die lesart von cod. 3. Aus durch die näm-
liche assimilierung entstandenem, für vorläge X^ vorauszu-
setzenden *theoleude si theoleudina gieng einerseits durch aus-
f all des ersten glossenteils und Schwund von o und des zweiten e
von theoleudina sowie Verlesung von a aus ii (§ 3 a) thdadina
von cod. 6 hervor, andrerseits durch Schreibung von eu für eo
(§ 4a), entstehung von *aut' (s. oben) und einschaltung von i
(§ 2<J) die lesart der Heroldina hervor.
§ 124« Als entstellungen aus einer bezeichnung für 'be-
raubung eines unfreien' oder (vgl. § 39) 'deswegen zu entrich-
tende strafe' (zu 'si quis ingenuus seruum alienum adsallierit
et expoliauerit') begegnen in 203, 2b. 3b (cod. 6) teomasido,
theomusido, in 205,2 b theu nosdo (Her.) aus theo-mosido
(§ 55. 63). Statt dessen haben cod. 2 und 7. 9 in dem parallelen
Paragraphen rencusm^isdo 200,2 b, rincus modi, renchus mohsoi
204, 2, deren erster teil (wegen musdo^ modi, mohsot s. § 63)
auf in der vorläge X^ (vgl. § 1/3 und 188) stehendes *rineus
zurückgeht (wegen e für t und ch für c vgl § 4 a. 7a) mit
frühzeitig durch Verlesung von u aus a (§ 3 a) für das genitiv-
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zu DEN MALBEBGISGHEN GLOSSEN. 123—124. 425
Suffix 'OS (vgl. § 119) eingetretener endnng; also *rincas als
dem theo- entsprechender ansdruck, dessen bedeutnng sich mit
rücksicht anf die semantische Verwendung von ahd. kneht, ags.
ffe^n, ahd. degan etc. mit den für ags. as. rinc bezeugten ^mann,
Jüngling, krieger' vereinbaren lässt (vgl. auch K § 182). Ans
dem vorkommen der einen glosse in dieser, der anderen in
jener hs. ist ursprüngliche doppelglosse zu folgern (wegen
solcher doppelglossen vgl. § 16), deren einer teil hier und
deren anderer teil da erhalten blieb (die glosse mit theo- also
in der speciellen vorläge von cod. 6 und einer Heroldschen hs.).
Cod. 1 gewährt an stelle der besprochenen glossen leotos
musdo 199,2b, dessen leotos angesichts des umstandes, dass
der zweitfolgende paragraph von der beraubung eines halb-
freien handelt ('si quis homo ingenuus letum alienum expolia-
uerit'), als von jenem paragraphen hierhin verirrte, auf eine
Vorstufe Hetos beruhende glossenlesart (einschaltnng von o nach
§ 2tf) zurückzuführen ist
Mit diesem *letos aber sind zu vereinigen die in cod. 2 und
8. 9 zu besagtem 'si quis homo ingenuus letum alienum expo-
Uauerit' stehenden leciim musdo 200, 8b (für *letum, vgl. § 3(J),
letus (d. h. l + compendium für et + us) modi 204, lviiii (in
cod. 7 eracheint für letus nur et + compendium für voc. + r,
vgl § 3r). Alle drei lesarten gehen zurück auf "^Uto (wegen
-OS, -us^ -um für -o s. § 5 a) aus Hito (vgl. § 4 a), gen. sg. zum
ti-stamm *litu. Die berechtigung aber, einen solchen stamm
anzusetzen, gründet sich auf die folgende erwägung. Es be-
gegnen in den lat. quellen neben seltneren letus (Ußtus mit (b
nach § 87, anm. 1) und Udus (mit roman. d nach § 4/) L. SaL
(s. Hesseis ind.) als die normalen formen litus, lidus Lex Sal.,
L.Sax. (s. den ind. in den Mon. Germ. 5,98), L. ßib. und L.Cham,
(s. den ind. in den Mon. Germ. 5, 283). Hieraus ist auf eine anfrk.
und as. form mit i zu schliessen {letus, ledu^ also mit e für i
nach § 4a). Aus den verwanten bildungen ahd. loa 'halb-
freier' Ahd. gll. 2, 354, 30, ags. Imt Aeöelbr. Ges. § 26, afries. let
V. Richth., Wb. (oder läsf, IM, Ut?) ergibt sich, dass dieses i
anf e zurückgeht Die annähme von suffixalem i oder i bez. j
als erzeuger des i ist hier ausgeschlossen. So bleibt nur die
möglichkeit von -u(-) als f actor der qualitativen änderung des
wurzelsilbenvocals. Einen indirecten beweis für solches salfrk.
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426 VAN HELTEK
i aus e gewäbrt *fither (§ 186). Wegen altostnfrk. t ans e
vor u beachte hirot 'hirsch' GL Lips. 575, filo-, filu- GL Lipa.
325—328, uilo Ps. 18, 11, siuonualdun septaplom GL Ups. 824,
uuir{t)scapondis exultantis GL Lips. 1033, uuiihera, -o arietes,
-um Ps. 64, 14. 65, 15, sidin Ps. 67, 7. GL Lips. 823 (nnnrqir.
gen. sg. zu sido mos); wegen solcher as. lautentwickelmig s.
IF. 5, 184 1
Statt auf ^letus mosido zurückgehender überlief erung haben
cod. 6 und eine Heroldsche hs. zu 'si ... litum (lidom) alienuffl
expoliauerit' teomosido 203, 5 b, theu mosido 205, 6, für die mit
rücksicht auf die in denselben hss. zu einem der vorangehen-
den Paragraphen stehenden theomusido, theu nosdo die annähme
von durch letztere glosse veranlasster entstellung anf der band
liegt (das falsche *theo- stand also bereits in vorläge X^).
W^en sich auf an einem unfreien verübten leichenianb
Osi quis seruum alienum mortuum in furtum expoliauerit et
ei super xl denarios ualentes tulerit' und 'si spolia minus xl
denarüs ualuerit') beziehendes "^theo-ckreo- mosido, woraus in
vorläge X* stehendes *theufriomosido, woraus ieofriomasido
203, 6. 7 (cod. 6), then frio mosido 205, 5 (Her.), vgL § 67 und
32 (c f ür cÄ und /• für c) sowie 6ß. 3x und 4a.
§ 125. Zu ^si quis seruum alienum batterit et ei super
noctes xii opera sua tricauerit' steht dauditMrio 203,4 b (cod.6X
daus (cod. 7), dahus (cod. 9) 204, lvii, daudinarioB 205, 4b (Her.>
Das von Kern (K § 183) herangezogene ahd. murren, as. merrian
'hindern' führt uns auf den weg zur aufklärung der giosse.
Aus -narice und -nario ist für die vorläge X* (vgL § 1/3 und 188)
eine lesart mit nari- zu ermitteln, das auf altes *marri- zurück-
gehen kann (n für m nach § 2ß; r für rr nach § 4C). Aus
rw als Schreibung für -e (s. s. 292, anm.) Ifisst sich femer eine
flexionsform für die 3. sg. praes.opt erschliessen. Also ursprung-
lich *marrie = 'tricauerit' (wegen des tempus vgL § 8). Das
'0 für CB oder -e begreift sich als ein durch die hänflgkeit der
endung -io hervorgerufenes Substitut
Aus *marrie = 'tricauerit' ergibt sich für daudi (wegen
claudi mt cl fär d vgL %Bß) beziehung auf Lopera'. Die an-
nähme von durch Umstellung entstandener entstellung von
*dadio zu *daodi und von weiterhin erfolgter &nderuBg der
ungewohnten Verbindung aoiaau verhilft uns zu dem genitivus
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zu DEN HALBEBGISCHEN GLOSSEN. 124—126. 427
rei, der hier nach Oiera gauma ni gimerre Otfr. 3, 7, 72, thes
uulges gimerrit Otfr. 8, 26, 41, lade letton B6ow. 569 als zu
*fnarrie gehörig erforderlich ist
Cod. 7 und 9 enthalten als rest der alten glosse nur da(h)u
(wegen des h beachte § 4(5), fttr dessen dem yulgärlat. Schreiber
ungeläuflge endung -us substituiert wurde.
§ 126. Dass die in tit XXXVm (bez. XXXVII etc.) 'de
furtis cabaUorum uel equorum' zu 'caballum' bez. 'caballo
spado' sehenden lesarten ansacho, hanziam, chanzocho etc. mit
Grimm (M xxvm) und Kern (K § 187) auf einen prototypus
= ahd. hengist zurfickzuführen sind, unterliegt keinem zweifei.
Es genagt hier also die entstehung der überlieferten entstel-
lungen darzulegen.
Im 3. Paragraphen erscheint nach cod. 6 chanzisto 221, 3,
im correspondierenden paragraphen der Heroldina chengisto
223,2; beide lesarten gehen zurfick auf *changisto mit ch als
Schreibung für A (§ 6ß), nicht umgelautetem a (§ 36) und lat.
-0 (§ 5a); das jer für ^ ist zu beurteilen nach § S% das 6 für a
kann nach § 1 a nicht umlaut von a repräsentieren, es ist viel-
mehr zu fassen als e für « (§ 4a), das durch Verlesung (§ 3 a)
oder assimilierende Schreibung (§ 2^) für a eingetreten war.
Im 11. Paragraphen findet sich nach cod. 6 (msto 221, 11
(Schwund von h tür ch nach § 6/ und j9^ für 9); im correspon-
dierenden Paragraphen der Heroldina fehlt die glosse.
Die zum 1. paragraphen des titeis überlieferten lesarten
weisen durch ihr a und (s)ch auf schon in der vorläge X^
(vgl § 1^ und 188) vorhandenes *chaneischo hin (seh für sc
aus st, vgl. § 7a), woraus: chamocho 221, 1 (cod. 6) mit cA für seh
(nach § 2 a) und 0 für «' durch assimilierende Schreibung (§ 2e);
angesichts der engeren verwantschaft von cod. 6 und der He-
roldina hiermit zu vereinigendes chanco 223, 1 (Her.) durch
jüngeren ausfall von go und Schreibung von c für cA (§ 6j3);
aus channas zascho, canazaseo, chanzasdu> 222, 1 (cod. 7. 8. 9)
für die specielle vorläge dieser drei hss. zu erschliessendes
*chanazaseho {channas mit nn für n nach § 4$ und o^ für a
durch einwirkung von folgendem as nach § 2(5; cana- und -asco
mit c für cÄ nach § 6/J) durch einschaltung von a (nach § 2(5)
und assimilierende Schreibung von a für t (§ 2£); mit rücksicht
auf § lj3 und 188 aus anzacho 217, 1 (cod. 1) und hanziam 218, 1
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428 TAH HELTKV
(cod. 2) für die vorläge X^ zu folgerndes *hxng%€ho (ersteres
durch ansfall von h und afwmilierende schreibang von a fir i
nach § 2bj letzto-es dnrch einschaltnng von a nach § 26^ ver-
lesong von m ans ch nach § 3o nnd ansfall Ton -o) dmrh
snbstitaiemng von h im ch {^ 67) nnd ansfall von s (§ 2a).
Zn 'inmentnm (-am, -a)' bez. 'eqnam' gehören stalaehaia
221, 9. 10 (cod. 6), stalaOna 223, 11 (Her.; t for e nach § 3(f),
esthalatMa 223, 13 (Her.; w^en e- s. § 6a) sowie die schon
oben § 49 erwähnten staUackia^ stalacha; znm plnr. Mmnenta*
stalachia 230, 13 (cod. 6), siala sOUa 232, 16 ^er.; Yorstnfe
stalathia, vgl. § 26). Grimm (M xxi) nnd Kern (E § 192) ver-
gleichen treffend ahd. stalfeho inmenta; nnr ist hier nicht mit
6r. an ' stall vieh' zn denken (wie wäre man dazn gekommen,
einen solchen ansdmck speciell znr bezeichnnng der mähre za
verwenden?), sondern an ein compositum mit *stal(T) = ag&
stieU 'sprang, lanf'. In solchem verbale stand salfrk. nach
art von ags. ^ealdric^e *zauberin' (zn gealdor 'zanber*), scer-
{n)icge 'Schauspielerin' (zn *scem = ahd. scem scnrrilitfts)
gebildetes derivatnm (eig. = 'Springerin, länferin'), dessen snffix
jedoch, wie aus mit -inia, -unia von leodinia, chredunia n.s.w.
(§ 22) in eine linie zu stellendem -ocAia (ch nach § 6^ als
Schreibung für aus dem nom. sg. stammendes g) hervorgeht, im
gegensatz zu ags. Acse (stamm 'igjön) auf starkes *-a^, *-aä^o
zurückzuführen ist.^) Wegen salfrk. -ia für den acc sg. und
acc. pl. fem. vgL § 9; wegen Z für K s. § 4 J; wegen des ein-
geschalteten a von stalaehaia beachte § 2d. Arge entstellung
gewähren in cod. 7. 8. 9 statt stalaehaia etc. erscheinende sUa-
laim, sitabakim, sithabahun bez. -him 222, 6. 7, die auf in der
speciellen vorläge dieser hss. vorhandenes sitahahim hinweisen
(wegen tt für ^ und -un für -im vgl. § 7a. Sv) mit sit^^st-
durch galloromanische Schreibung (vgl E § 192 und Schnchardt,
Der vocalismus des vulgärlat. 3,284), b durch verlesnng aus
l vor a (wie in fribasina, s. § 55), -Mm durch Schreibung
von Ä für cA (§ 67) und dittographie eines verticalstriches
^) Zu dieser starken endnng stimmen mnl. meestrege, poerte^, cU^ppige
a.s.w. (neben diefegge, troesterigge, toasscrigge n.8.w. Mnl. wb. 2, 582), bei
Kiliaen verzeichnetes dappeye garmla sowie nwestfläm. ^nnege, vHuchege,
naaiege n. s. w. und spinneie, wascheie, naaieie n. s. w. (De Bo, Westrlaamsch
idioticon zu -ege): -ete weist auf altes -^gia hin.
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zu DEN MALBEBGI8GHEN GLOSSEN. 126—127. 429
beim nachschreiben von aus ia verlesenem iu (vgl. § 2/. 3 a
nndg).
§ 127. Zu 'adnüssario' (*armessario' etc.) oder 'uuaran-
(n)ionem' stehen die glossenlesarten uualderido 217, 2. 3 (cod. 1),
uaderedo 218, 2 (cod. 2), uuadrido 221, 2 (cod. 6), uuadreto, uua-
dretho, uuadseto (5 für r nach § 3t) 222, 2. 3 (cod. 7. 8. 9; für
die specielle vorläge dieser drei hss. ist demnach uaadreto an-
zusetzen), uuadrido, uuadredo 223, 3. 7 (Her.). Kern beruft
(K § 188) für den zweiten teil ahd. reit- in reithano gallus
gallinaceus und bei Kiliaen verzeichnetes rijder = ^cuniculus
admissarius' und setzt hiernach salfrk. (formell dem ahd. reito
auriga entsprechendes) *-rßrfo an (wegen e aus ai vgl. § iß),
dessen aus des glossators feder geflossener acc. sg. ^-redun
.anter der band des romanisierenden Schreibers nach art von
-uano U.S.W. (s. §41) zu -redo werden konnte (wegen des i
von 'rido, des t von -reto und des für * eingetretenen ih von
-refho vgl. § 4«. Sx* 7 a). Für den ersten teil geht Kern aus
von uudld- in uualderido; nach ihm läge hier ein compositions-
glied = an. vgllr 'park' vor und wäre das ganze wort als
'a Stallion of the stud' zu fassen. Doch müsste man für den
fall uualth- oder uualt- (mit t für th nach § Qß) erwarten, weil
in der spräche unserer glossen ff nach l seine spirantische
qualität nicht aufgegeben hatte (§ 142). Ausserdem aber em-
pfiehlt es sich, in der in allen anderen hss. überlieferten lesart
(u)uad' die ältere zu erblicken, zumal sich die einschaltung
von l unschwer nach § 2tf erklären lässt. Dürfte man etwa
schon in der vorläge X^ (vgl. § 1/9 und 188) vorhandene, durch
ausfall von h (§ 4<J) und Schreibung von d für f vor r (§ 4/)
aus *huuatredun hervorgegangene lesart annehmen, d. h. ein
compositum aus *hwat 'kräftig' und *redun? Wegen des ein-
geschalteten e der lesarten von cod. 1. 2 (mithin auch der
lesart von vorläge X*) vgl § 5/9. In dem unmittelbar nach
dem Paragraphen mit uuadreto (bez. -tho), uuadredo = 'ad-
missario (-ium)' stehenden Paragraphen begegnet in cod. 7. 9
und bei Her. uuadret(h)o 222, 4, uuadreto 223, 8 = 'poUetrum'
(^puledrum' etc.) als eingeschleppte, bereits in X^ vorhandene
Der Paragraph 'si quis admissario cum gregem suam, hoc
est Xn equas, inuolauerit' hat in cod. 1. 7. 8. 9 uualderido bez.
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430 VAN HELTEN
tmadreto etc^ doch in cod. 2. 6 und bei Herold znr hexeidmwug
von 'herde' dienendes sunnista 218,3, sonisia 221,5, huidke
sonisiha 223, 5 (s. § 25), beides als rest von zwei ehemals zum
Paragraphen gehörenden glossen, die von vorläge X* in X^
und X^ flbergiengen; in cod. 1 nnd 2, in vorläge X« mid der
speciellen vorläge von cod. 7. 8. 9 oder einer älteren vorläge
blieb dann nur die eine oder die andere erhalten. Die lesart
bei Her. geht auf doppelgeschriebenes sonisiha zorfick: huidke
durch ausf all von so, Verlesung von u aus n und e aas s
(§ 3x und 97), Verfügung von h vor u (§ 4d) und einfache ver-
schreibung von e fOr o.
Zu ^uuaranionem' gehören auch selcho 221, 4 (cod. 6), seiheo
223, 4 (Her.), worin (vgl. auch M xxvi und E § 189) ratstel-
lungen aus dem acc sg. des tca-stammes *schelo (vgL Ahd. g^L
2, 352, 18 ^enüssarium scdo^ und beachte w^en «dk § 7a) nidit
zu verkennen sind: seldM in der vorläge X^; daraus seiheo
durch ausf all von {, Verlesung von ^ aus e (§ 3d) und einschal-
tung von e (§ 2(f).
Wegen des fremdworts uiAaranione{fn) (s. aach HesseLs
425, 18. 23. 426, 3. 25) aus salfrk *uurainio = ahd. reb9(n)o,
mnl. torene, vgl. § 10 zu charamire (wegen des eingeschal-
teten ci), § 20 zu texaga etc. (a für fränk a%) und § 156 zu
arisUxlonem (gaUorom. -0, -onem = salfrk -o, H^n).
§ 138. Zu 'si quis equam pregnantem inuolaumt' stehen-
des marfhi 217, 5 (cod. 1) macht nicht viel muhe: durch Ver-
lesung von < aus c und substituierung von -$ für -e (§ 3 J und
4a) aus ^marche acc. sg. mit -e aus -ia (s. § 9; wegen dk als
Schreibung fBr A & § 6j9; w^en des nicht umgelauteten a
beachte § 36). Für an der parallelstelle in cod. 2 ersdieineB-
des anciaca 218, 5 lässt sich entstellung aus einer entqpredumg
von 'pregnantem' vermuten: zu *aucen (aus *aucian = ags.
iecan augere; vgl. wegen -en die § 9 erw&hnten -e ans -la)
gehörendes p. p. *aucid konnte in der nämlidien bedeutung
verwant sein wie ags. ^aeen, as. uhan 'schwanger'; der acc sg,
fem. *aucida konnte durch Verlesung von n aus u (§ Sx), ve^
Schreibung von c ffir d (§ 2^) und einschaltung von a (nach
§ 2d) die aberlieferte lesart ergeben.
Aus nui^hi und zum correspondierenden paragraphai in
cod. 6 und der Heroldina stehendem stalachaia 221, 10, estiuäatia
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zu DEN MALBERQISGHBK GLOSSEN. 127—129. 431
223, 13 (§ 126) ist zu folgern, dass der glossator hier zwei
gleichwertige glossen = 'equam' schrieb (vgl. § 16 am schluss),
von denen die eine in cod. 1, die andere in vorläge X^ ge-
langte.
§ 139. Nach 'si quis poletrum annicolum nel bimum
foranerit' hatte die den nahothna pondero 221, 7 (cod. 6), na-
bohot 222, 5 (cod. 7. 9), napodero 223, 9 (Her.) zu gründe
liegende glosse 'poletrum annicolum uel bimum' zu bezeichnen.
Aus naboih und nabohot (Versetzung von th und einschaltung
von 0 nach § 2d) ist auf in vorläge X^ (vgl. § IjS und 188)
stehendes naboih zu schliessen. Angesichts des engeren Zu-
sammenhangs der glossenlesarten von cod. 6 und der Heroldina
ist für die specielle vorläge dieser beiden mss. naboih napon-
dero anzusetzen (also die Heroldsche lesart durch ausfall von
naboffh und von n oder nasalcompendium). Die formelle ähn-
lichkeit von naboth und napon fuhrt auf den gedanken, dass
hier alte doppelschreibung des ersten glossenteils vorliegt.
Die erinnerung an an. vdfa 'sich hin und her bewegen' und
beracksichtigung der häufigen Verlesung von n aus u und t
aus c (§ 3x und S) sowie der substituierung von b für labiale
stimmhafte spirans darstellendes f des glossators (§ 6d) können
dazu veranlassen, für die ursprüngliche glosse ein durch suffix
-ttj gebildetes *uafoch (d. h. uäfoch) = 'hin und her laufend*
zu vermuten (wegen oft als Schreibung für g vgl. § 60), das in
Verbindung mit deor einen ausdruck ergäbe, der als bezeichnung
des beweglichen 'jungen pferdes' begreiflich wäre. So erhielte
man *uafoch deor, dessen erster teil zunächst zu "^nafofh wurde,
woraus durch doppelschreibung *nafoth nafoth, das wider durch
substituierung von b für f, Verlesung von p aus /" (§ 3Jl) und
entstehung von n durch m aus th (wie in ncUariiB u. s.w., s. § 9)
naboth napon ergab; für die entstehung von dero liegt die
annähme von Versetzung auf der band. Ob die dittographische
lesart bereits in vorläge X» stand oder erst etwa in vorläge
X« vorhanden war, lässt sich nicht entscheiden: naibohat von
cod. 7. 9 könnte ja auch auf naboth deor (oder dero) zurück"
gehen.
Der correspondierende paragraph hat in cod. 1 statt der
in cod. 6 u.s. w. überlieferten lesarten marsolem 217, 6, in cod. 2
.^nnigto 218,6, Letzteres ist natürlich (vgl. §25) die von
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432 VAN HELTEN
einem der yorangehenden Paragraphen (218, 3) hierhin ymnie
glosse (s. anch E § 191). In ersterer lesart erblickt Effli
(E § 193) entstellnng aus marfolen (nrspr. marekfulin) =
'stutenffiUen'. Doch wäre solcher aosdrack hier kaum an
platze, und ich mßchte darum folgendes in yorschlag bringies.
Im nächstfolgenden Paragraphen steht nach cod. 2. 6 imd
Herolds ausgäbe zu 'sequentem puletrum' die glofise nart
218, 7. 221, 8. 223, 10, die offenbar auf altes "^nari, d. b. näri
= 'zu nährendes' (« 'sequentem') zurückgeht Man vermisst
hier die zweifelsohne ausgefallene entsprechung yon 'pnletmml
Dieselbe aber findet sich in dem prototypus yon -solem, näm-
lich *fulin CfuUn): 8 fär f (§ 3x), o für t* und e für f (§ ia),
m ffir n (§ 2/). Läge es somit nicht nahe, das mar als ent-
Stellung aus ncure geltend zu machen und die ganze gloase als
eine ursprünglich zum nächstfolgenden Paragraphen gehörende
zu fassen?
§ 130. Wenn der entführte unfreie 'trans mare faerit
ductus et ibidem a domino suo fuerit peruentus et a quo ipee
in patria plagiatus est in mallo publico nominauerit^ tres ibidem
testes collegere debet'. Nachdem er dann 'citeri mare ta&it
reuocatus*, muss er zweimal yor gericht seinen entführer nennen
Cdebet . . . nominare') und die erklärung jedesmal durch drei
zeugen erhärten lassen; erst dann erfolgt die yemrteQnng des
Plagiators. Zu dem diesen rechtesatz enthaltenden paragraphoi
steht als glosse unistario 227, 3 (cod. 2), tnallo 228, 2 (cod. 3),
maUo uuiridariü 230,2 (cod. 6), mdl(T)o uieridario, inaiouieridario
231. 1 (cod. 7. 8. 9; ui für uu und m ffir m, § 2ß und 3^X «^^^«^
232. 2 (Her.), deren mal(l)o (wegen Z für K s. § 4 J) mit -o = -ö
sich begreift als die 3. sg. praes. opt eines zu *maU 'rede' (§ 185)
gehörenden denominatiys *inaü^, d.h. als entsprediung «it-
weder yon 'nominauerit' (wegen des praesens vgL § 8) oder
bei imperatiyer yerwendung yon 'debet nominare'. In tcmn-
dariu etc. wäre dann eine bezeichnung des freylers ('a quo
ipse ... plagiatus est') zu suchen und als solche liesse sich
ein mit ^uuerdardi (§ 89) in Zusammenhang stehendes, durdi
Suffix -Jan zu *uuerdaru 'Schädigung eines menschen' (ygl. ahd.
tara damnum) gebildetes *uuerdario geltend machen, dessen
accusatiyendung -un der romanische Schreiber in -o ändern
konnte (ygL -uano u.s.w. § 41; das sonst in der fiberli^enrng
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Zu DBH MALBEBOISGHKBC GLOSSEN. 129—131. 433
durchstehende -o verbietet, das -u von uuiridariü als die er-
haltene salfrL endung zu fassen; man hat an ein lat. Substitut
für -0 der vorläge X* zu denken, vgl. § 5 a). Aus *imirdario
aber (mit $ für a nach § 4a) von vorläge X» (vgl. § Iß und 188)
entstand einerseits unistario von cod. 2 mit un für uu (§ 3jr),
« für r (§ 3 t) und ^ für d (die abnormale Verbindung sd wurde
durch die normale st ersetzt), andrerseits für die vorläge X^
anzusetzendes, durch einschaltung von lat. compositionsfuge
oder durch das * voranstehender silbe hervorgerufenem -i-
(§ 5^. 26) entstelltes *uuiridario, das die in cod. 6. 7. 8. 9 und
bei Her. überlieferten lesarten ergab bez. durch substituierung
von -« für '0 (s. oben), von « für i (§ 4 a), verschreibung von
ui für uu (s. oben), von u für uu und ausf all von ar. In
cod. 3 fehlt der zweite glossenteil, wie umgekehrt in cod. 2
der erste.
In cod. 7. 8. 9 und den damit verwanten nicht glossierten
hss. ist dem passus des in rede stehenden paragraphen 'qui
eom plagiauit' der commentar ^hoc est uuargcmerit (uuargauit,
guuargauerity beigegeben. Kern beruft (K § 202) die bekannten
ahd. wctrg, as. warag, ags. wears ^geächteter, verfehmter' (wo-
raus das lehnwort uuargus, -o 352, 2. 354, 2. 356, 5. 357, xvii.
358, 1. 359, 5; uirgo 353, 2 mit i für a nach § 3a) und meint,
^since the notions of »outlaw«, exile and wretch, pass into one
another, as we see from A. S. wreccea, wrecca, E. wretch and
its cognate words, there is no rea^ion to doubt the correctness
of wargare, or to change it into wracare\ Doch geht aus den
citierten ags. und engl, nomina sowie aus ahd. elüenti exilium,
mhd. eilende * Verbannung' und ^trübsal' u.s.w. wol die ent-
wickelung von Trübsal' aus *verbannung', nicht aber die ent-
stehung von 'exul' aus *exlex' hervor, und ich möchte es des-
halb vorziehen, in (g)uuargare ein auf salfrk. *u7racdn in exilium
mittere (zu *wrac = ags. wrcec exilium) zurückgehendes fremd-
wort zu erblicken: einschaltung von a wie in uuaranio (§ 127),
sjmkope von schwach betontem a der zweiten silbe und ent-
stehung von ^ aus c (§ 4/), also zunächst *(ß)uuaragare, dann
(g)uuargare,
§ 131. Wegen zu 'si quis hominem ingenuum plagiauerit
et uendiderit' gehörender falconu, frio falcQijino etc. 227, 5.
231, Lxvi. 232,4 (cod. 2. 7. 8. 9 und Her.) s. § 57. In cod. 6
Beitrüge zur geschickte der deutschen spräche XXV. 28
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4S4 VA» HET^TBH
(und 5) and bei Herold hat der paragraph noch einen in cod.
2. 7. 8. 9 (und 1. 3. 4) fehlenden znsatz 'et post^a in patria(m)
reuersns fnerit' sowie eine ebenfalls in den letztgenannten hss.
(und in cod. 5) fehlende glosse chaldeficho 230, 4 (cod. 6, wo die
mit frio falchino etc. correspondierende glosse ausgefallen ist),
audel fecto 232, 4 (bei Herold, wo die glosse dnrch *seu' mit
vorangehendem frio fdltouo verbunden steht). Die beiden les-
arten lassen sich vereinigen durch die annähme von in der
vorläge X* (vgl. §1^9 und 188) stehendem *chdlande fieo oder
feco: durch ausfall von an und substituierung von ch tar e
(§ 7 a) (Aaldeficho; durch ausfall von cha, Versetzung von l
Verlesung von ti aus » (§ 3jr) und von t aus dittographisdiem c
(§ S6, 4 g) audel fecto. Aus ahd. gilante patriota, inlente in-
cole, urlenti incola ergibt sich die möglichkeit eines salfrk.
*gaiandi (wegen des a vgl. § 36), nach des glossators Schreibung
(§ 6ß) *(Jialandi (= 'als einheimischer'), woraus in besagter
vorläge (nach § 4 a) *chalande. So haben wir uns für den rest
der glosse nach einem ausdruck ffir 'reuersus fuerit' umzusehen;
und unwillkärlich denkt man hier an got ibuks nnd damit
zusammenhängendes, in den Ahd. gU. 2, 409, 57 erscheinendes
'Reuoluat ippichoge^ (pp aus 66, das sich in ags. ebba vorfindet)
und möchte fär das salfränkische ein zu *ibic öder *c6ä; ge-
hörendes denominativ *ibicsn oder *ed€cön i-everti in anspmch
nehmen^ wozu als 3. sg. praes. opt. (mit f als Schreibung fBr *,
§ 6d) aus des glossators feder geflossenes *ifico oder *efeeo
(wegen des tempus vgl. § 8), das in der folge sein erstes i
oder e einbfisste. Wegen des bei Her. stehenden, unrichtig
eingefügten 'seu' vgl. § 13. 24. 27. 41. 43. 49.* 54. 70. 85.
Dem erwähnten paragraphen folgt in cod. 6 (und 5) und
bei Her. ein nur in diesen quellen stehender *si quis hominem
ingenuum uendiderit et postea in patriam reuersus non fnerit'
(in cod. 6 ist ^non' ausgefallen) mit franchatno 230, 5 (cod. 6;
in 5 fehlt die gl.), fal eham 232, 5 (Her.), die natuilich auf
einen sich auf 4n patriam reuersus non fuerit' beziehenden
ausdruck zurückgehen. In fran- erkennt man sofort verschrei-
bung aus ^frarn (§ 2j3), in -cham und -chamo durch Schreibung
von a für ai (§ 4/9) bez. antritt von lat. -o (§ 5a) aus *chaim
entsteUte lesart {*chaim mit cA als Schreibung f ür %, s. § 6ß]
wegen der sufflxlosen form vgl. ags. Mm dat-loc und die
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zu DEN MALBEHGIBCHEar GLOSSEN. 181— 1S2. 436
Beitr. 15, 487 anfgefttlirten as. belege mit -hem im dativ). In
der entstellung von fäl aus fram (der eine abbreviatur be-
zeichnende pnnkt ist schreib- oder auf Herolds rechnung zu
stellender correcturfehler) liegt augenscheinlich die folge einer
beeinflussung von selten der zum vorangehenden Paragraphen
stehenden glosse faltouo oder einer Vorstufe derselben vor.
Also *fram cham = 'nicht im Vaterland' =^ *in patriam non
renersus'.
§ 132. In dem 2. und dem 3. (bez. 4.) Paragraphen des
XLL (bez.LXVIIL etc.) titeis 'de homicidiis ingenuorum' werden
zwei fälle des eigentlichen, an einem freien verübten mordes
erwähnt, erstens dass der täter behufs beseitigung der spur
seiner tat den leichnam des erschlagenen 'in puteum aut sub
«qua miserit', zweitens dass er in der nämlichen absieht den
leichnam 'de ramos aut de allis ('mit gestein', vgl. § 10 am
schluss) cooperuerit'.^)
Auf den ersten fall bezieht sich die den lesarten matte
Uodi 254, 2 (cod. 2), mathUote'^) 257, 2 (cod. 6), matddlio bez.
mathdaleo 258, 2 (cod. 7. 9), vuaih leudi 259, 2 (Her.); auf den
zweiten die den lesarten marchat 255, 4 (cod. 3), mortis leodi
bez. mortes 257, 3 (cod. 6. 5), modo Uodi bez. moSileodi (oder
-modi-; Hesseis bemerkt, dass 'an attempt seems to have been
made to erase the stroke through the d') 258, 3 (cod. 7. 9) zu
gründe liegende glosse.^) Beide frevel werden mit verdrei-
fachtem wergeld, mit *dc soU gebüsst (wegen des einfachen
wergeldes = 'cc sol.' s. § 87).
Zu einem folgenden, dem 5. (bez. 4.) Paragraphen, der die
beiden fälle zusammen und in bezug auf den leichnam einer
person, die 'in truste dominica est', erwähnt, stehen matheo
demortis leoÖ 257, 5 (cod. 6), math Imd muster 259, 5 (Her. aus
der zweiten hs.) und matheleode 253, 4 (cod. 1), matte leodi
254,4 (cod. 2), morcherter bez. molcherter 258,5 (cod. 7. 8. 9):
also die lesart von cod. 1. 2 durch ausfall des einen, die von
cod. 7. 8. 9 durch ausfall des anderen teils der ganzen glosse.
^) In einigen codd. ist noch 'ant incenderit' hinzugefügt
') So nach Hessels und G. Hnet (vgl. die anm. zu § 82). Merkel las
hier 'leode.
') In cod. 2 sind die beiden paragraphen zu einem zusammengezogen
und ist die ursprünglich zum zweiten gehörende glosse ausgefallen.
28*
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436 VAN HELTEV
Der 'in truste dominica' stehende, der 'antrostio* (vgL § 175),
liat das dreifache wergeld, also für die besagten Alle 'soL
MDCCC' (vgl. auch 253,3. 254,3 etc.).
Das zum 2. und 5. (4.) Paragraphen überlieferte material
weist entschieden auf altes tnath- hin, sodass znr&ckfühnuig
des ersten compositionsteils auf -tvat (E § 204) sich nicht em-
pfiehlt und die von math- abweichenden lesarten als entstellte
zu fassen sind: mathe- und matte- (mit tt aus th nach § 4g)
in cod. 1. 2 mit als compositionsfuge eingeschaltetem (§ 5^)
oder durch einwirkung des e von -leodi entstandenem -e- (nach
§ 2d; das -e- stand also bereits in vorläge X^, vgl %lß und
188); tnat' mt t t^ fh (§ 6ß); vuath mit i;u aus m (§ 2/).
Hiermit verbundenes -leudi ist der bekannte ausdmck fiir
'wergeld' (wegen des wortes und der fiberlieferten varr. sl
§ 87); in 'ddlio, -dcUeo liegt die folge von Silbenversetzung und
durch voranstehendes a veranlasster assimilierender schreibang
(§ 26) von a vor (wegen der ffir diese entstellungsvorg&nge zu
postulierenden, zwischen der speciellen vorläge von cod. 7. 9
und X' liegenden vorläge, etwa X*^, vgl. %lß); matheode zeigt
ausfall von l Für das math von X^ aber möchte man bei
berücksichtigung der Verdreifachung des weigeldes und unter
berufung des bekannten intensivums ahd. magan-, ags. itta^en*,
as. megin- einen hiermit in eine linie zu stellenden prototypus
*maht' annehmen; also *machtleud% = 'grosswergeld'.
Angesichts der mehrzahl der belege für mortis eta mit
folgendem leodi etc. ist für die zweite glosse als die alte lesart
*morthes leudi 'wergeld wegen eines mit verbergung des leich-
nams verbundenen totschlags' anzusetzen (w^en dieser be-
deutung von *morth vgl Kern § 207 und Brunner, Deutsche
rechtsgesch. 2, 627 ff.): mortes, -is, muster mit ^ für ä (§ 6^)
bez. latinisierter endung und u für o (§ 4a), s t&r r und r ffir ^
(§ 3r); marchat mit a für u, das Substitut für o (§3a. Aa\
c für ^ (§ Sd), a durch assimilierende Schreibung für e (§ 2^)
und < f ür r (§ 3v); marcherter mit c für * und ^ für ft (§ 6ß)
aus "^inortherther für "^morther oder *martJies (§ 2y); molcherier
für morcherter (nach § 2£); madi durch ausfall von r und s
(bez. r), verschreibung von d aus th (§ 2/9) und substituierong
von e für t (§ 4a); modo statt modi (das für die nähere vorläge
von cod. 7. 9 anzusetzen) durch assimUierende Schreibung (§ 2e).
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Zu DEN 1CALBEBQI8CHBN OL0S8EN. 182—138. 487
Dem erörterten gemäss wurde das erhöhte wergeld sowol in
bezng auf die erhöhnng als mit rücksicht auf den gmnd der
erhöhung bezeichnet. Daher die möglichkeit, dass *morthes
leudi auch als dem ^mahtleudi gleichwertiger ausdruck, als
allgemeiner terminus für 'erhöhtes wergeld' in schwang kam
(vgl § 86 und 167). Zum letzten der oben erwähnten Para-
graphen stand der Überlieferung zufolge also ursprünglich eine
doppelglosse (vgl. § 16 am schluss).
In cod. 8 findet sich ein nur hier vorkommender paragraph,
der als überflüssiger zusatz dem vorangehenden 'si uero ... in
pnteo aut sub aqua miserit, sol. dc culp. iud.' angehängt ist:
was in dem zusatz (255,3) durch 'si non fallaniuit (wol =
'nicht verheimlicht hat') ... sol. cc culp. iud.' bemerkt wird,
besagte bereits der allererste paragraph unseres titeis 'si quis
ingenuum francum aut barbarum occiderit ... sol. cc culp. iud.'
246, 1. Die zu diesem selbstverständlich von junger hand her-
rührenden Paragraphen stehende glosse moantlheuthi verrät
durch ihre form herkunft aus ursprünglich zum voranstehenden
*si uero ... in puteo ... miserit' gehörendem *fnathleudi (vgl.
§ 71 zu aHhifathio): durch einwirkung von unmittelbar folgen-
dem, dem überlieferten marchat (s. oben) zu gründe liegendem
^mofiher die compromissschreibung *fnaorth- (vgl. § 2£), woraus
weiterhin durch Umstellung und Verlesung von n aus r (§ 3ö)
überliefertes moanth-; ausserdem ausfall von l, Schreibung von
u far 0 (§ 4 a) und assimilierende Schreibung von th für d (§ 2^).
§ 138. Als glosse zu 'si quis antruscione dominico occi-
serit . . . sol. dc culp. iud.' begegnen leodem 253, 3 (cod. 1), leodi
254, 3, leude 255, 5 (cod. 3), leodi 257, 4 (cod. 6), leudi 259, 4
(Her.) und malcho{m) 258, 4 (cod. 7. 8). Letzteres lässt sich
zurückführen auf *mansla(M (malch- durch ausfall, indem sich
das äuge des copisten vom ersten a nach dem zweiten ver-
irrte, aus durch Versetzung entstandenem "^mansalch-^ *-^ nach
§ 4a für *-«), einen von leudi (§ 87) abhängenden, 'totschlags'
bedeutenden schwachen gen. sg. masc. (vgl. ahd. manslagon
homicidia und beachte wegen einer solchen flexionsendung § 67).
Der erste teil der glosse fehlte also in vorläge X^ und X^
(vgl. § 1/9 und 188), der andere in der näheren vorläge von
cod. 7. 8 oder vielleicht schon in einer älteren vorläge.
Von zu *si romanus . . . occisus fuerif stehendem, nur in
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438 TAN HBLTBN
cod; 2 Überliefertem uuala leodi 254, 5. 6 identificiert Kern
(E § 208) den ersten teil mit ags. wedlh, ahd. mdakz nadi
theu leude etc. (§ 128) ist ein compositum *uuaJacMeudi (mit
a als anorganischem voc. und di als Schreibung für h nach
§ 6^3) anzusetzen, woraus durch ausfall von ch überliefertes
unäla-.
§ 184. Das eingreifen in die execution eines yerfehmten
zu gunsten desselben war verpönt Straffällig war so, wer
'hominem (ingenuum) sine manus et sine pedis, qnem inimici
sui (natürlich in folge eines Urteils) in uia tnmcatnm reli(n)'
quent, occisserit' (und in der weise die sterbensqual des exe-
cutierten abkürzte). Die zu diesem Paragraphen überlieferten
disjecta membra frio ferto 253, 8 (Qod. 1), friofdUo 254, 7 (cod.2X
freih falto uuasbugo 257, 9 (cod. 6), uuaslmc(h)o 258, l.xxiii (cod.
7. 8. 9; ch in 8. 9, c in 7, woraus für die specielle vorläge eine
lesart mit ch vorauszusetzen), frio fald 259, 8 (Her. text), unas
bugo 259, 8 (Her. var.) lassen auf eine ältere in vorlag X^
(vgl. § IjS und 188) stehende lesart *frio fertho faüo uuasbw»
schliessen: -bugo (das g in vorläge X^), -hucho mit g bez. c*
für c (nach § 4/ und 7a; Ameo von cod. 7 mit c für db nach
§ 6i3); fald durch Verlesung von d aus ^ (§ 3;^) und aushll
von -o; unas' mit n für ti (nach § 3:r). Frio geht augenschein-
lich mit '0 für -un (wie in -uano u.s.w. § 41) zurück auf
einen schwachen acc. sg. masc. *fr%un = 'ingenuum'. Folio
wird verständlich, wenn man dasselbe, an salfrk. *falcön '(be)-
rauben' (§ 57) anknüpfend, als frühzeitige entstellung fasst aus
*falco (§ Scf), d. h. falcö 3. sg, praes. opt (wegen des tempus
vgl. § 8) zu *f(ücön privare. Den zu solchem verbum gehörigen
Instrumentalis rei erkennt man unschwer in "^ fertho (mit roma-
nischem -0 für -tt, vgl. § 60) zu "^ferth vita, dem wir schim
oben (§ 122) in der bedeutung 'animus' begegneten. In *«iias-
huco steckt nach Grimms fragender und Kerns positiver be-
merkung (M xlv. E § 210) das nomen büc truncus corp(»ris;
für den ersten teil des wertes möchte man, das oben ciüerte
'in uia' (bez. das 'in quadruuio' anderer Codices) berücksich-
tigend, an ahd. waso 'rasen' denken (vgl. auch K § 210) und
so den ganzen ausdruck gelten lassen als ursprüngliches ^uuasa-
bucun schwachen acc. sg. masc. eines substantivisch verwant^
bahuvrihi-adjectivs = 'einen^ dessen (verstümmelter) rümpf
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zu DEN MALBEBGIBOHEN GLOSSEK. 188—184. 439
auf dem rasen lieg^'O (vgl. amestaUa § 120); daraus durch
frühzeitigeii ausfall yon -or (wegen der ansetznng dieses -a-
vgl. § 190/)) und ebenfaUs frfihzeitige substituierung von -o
für -tin die für die vorläge X^ und auch wol für X» anzu-
setzende lesart. Das wort steht in prädicativem Verhältnis
zu *friun (^einen freien als ... des lebens beraube', was für
den gemeinten fall schon mehr eine erlösung war). Aus den
lesarten von cod. 1. 2 ist für die vorläge X^ ausfall von utMLs-
huco zu folgern; für vorläge X^ ist angesichts der Überlieferung
in cod. 6. 7. 8. 9 und bei Herold noch Vollständigkeit der glosse
anzunehmen. Wegen des inhalts unseres Paragraphen vgl.
noch G^ff cken, Lex Salica s. 163 f.
Straffällig war auch derjenige, der einen von gerichts-
wegen erhängten 'de furca abattere presumpserit sine uolun-
tate iudicis' und nach einem anderen Paragraphen wer das
' Caput de homine, quem suus inimicus in palo mississet^ . . .
sine permisso iudicis ... tollere presumpserit'. In den zum
ersten Paragraphen stehenden sdbanc heo 258, 1 (cod. 7. 9),
sanibadi^ (cod. 8; sabanchto in der speciellen vorläge dieser
drei hss.; wegen der Schreibung ^ vgl. s. 293, anm.) und zu
^ Caput ... in palo' gehörenden raba nal 259,10 (bei Herold)
und banchat, banchal 258, 2 (cod. 7. 8. 9; ausfall von ra-; t für l
nach dem muster von voranstehendem 'mal') erblickt Kern
(K § 267) composita aus ^rdha- (= mhd. rahe 'stange') und
aus der wurzel hang gebildetem derivatum. Als die vom
glossator niedergeschriebenen formen sind, da das e von -eo
auf i enthaltendes suffix hinweist und das -o mit rücksicht
auf den Wortlaut des betreffenden Paragraphen auf -un vom
schwachen acc. sg. masc. eines substantivierten adjectivs zurück-
zuführen ist (vgl. -uano u.s.w. § 41), *rackachangiun (wegen ch
und g vgl. § 6ß) und "^rachachangal (acc sg. ntr. zu dem glos-
sator vorschwebendem *chauuid 'köpf', vgl. wegen der form
and der Schreibung des Wortes § 80) anzusetzen. Hieraus
durch assimilierende Schreibung (nach§2e) und ausfall von
cha zunächst *r(uihanchio, *rachanchal, woraus in der folge
1) ESgels bemfang von ahd. iro trslagenin aweism occifui corpora
(G«84sh. der dentflchen lit. 2) 420) yentOsst gegen das salfrk. lantgesetz e
aus ai yor mata (g 4/?).
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440 VAK HKLTEN
durch Verlesung von 5 aus r (§ 3r) und von b ans ffir dl
eingetretenem A (§ 3/. 6/) sowie durch Schreibung von « für i
(§ 4 a) sabancheo, durch die nämliche entetehung von b seine
ausf all von ch bez. von ra die überlieferten rata nol, hanthdi
Die Übereinstimmung der Überlieferung beider glossen im ans-
fall von cha und in den entstellungen b und ch ttr g ^klftrt
sich daraus, dass die zweite glossenlesart von der ersten be-
einflusst wurde.
Zu 'si quis hominem uiuo de furca tollere ... praesompserit'
406,Lxvm steht mor chamo, behufe dessen deutung Kern (E§ 267)
schar&innig und überzeugend an. virgilnär und gdlgndr h&naü,
für welch letzteres er vermittelst einer stelle aus GrigAs 2, 131
[ef maör er hengär, oc heiUr sd gdlgndr. Oc scäl ffessa men»
alla (A.h.8CBmdr,grafndru.s.w.) gjaida niägj^ldum fföat Öeir
haß Uf sitt, svd sem Öeir s6 vegnir^ eine bedeutnng 'am
.galgen hangender, noch nicht verschiedener mensch' erweist
Hiemach anzusetzendes, gleichbedeutendes salfrk. ^worgainö
(vgl. as. wurgil 'strick, sträng'), nach des glossators schreibimg
(§ 6j9) ^uuorchalno, konnte durch verschreibung von m for ««
(§ 2ß\ ausfall von l und verschreibung von m für n (§ 27)
die überlieferte lesart ergeben. Dass ein sonst nicht belegter
reflex von got. ncms (pl. natveis), an. ndr auch im westgerm.
und speciell im salfrk. existiert hat, ist aus den unten § 157
zu besprechenden lehnwörtem naufo, noffo etc. und naicefco
zu folgern. Wegen der mOglichkeit von salfrk. durch anar
logische apokope entstandenem *nü vgl *fech (§ 38) und beachte
die i- und u-stämme altostnfrk. stad (Beitr. 16, 302), mittelost-
nfrk. und mnl. hat 'hass' (aus "^hoH oder *hatu\ sladi, siat
(Teuthonista und Mnl. gramm. § 269 opnt 1. 270. 277) sowie alt-
ostnfrk. 'ö 4nser (Beitr. 16, 301).
§ 185. 'Si quis hominem (ingenuum) in puteum iactauerit
et uiuus inde exierit ... sol. c culp. iud.' 253, 9. 254, 2b ete.
Der frevler hat also die hälfte des normalen wergeldes (vgl
oben § 87 und 132) zu entrichten. Solcher wurf eines lebendigen
ins Wasser unterscheidet sich mithin von dem § 132 zur spraciie
gebrachten 'mittere in puteum u.s.w.' eines erschlagenen, und
man dürfte demzufolge hier als glosse die Verbindung gewar-
tigen von 'eines lebenden' bezeichnendem, substantiviertem
adjectiv und einem 'den frevel des ins wasser Werfens' oder
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Zu DEN MALBSR0I8CHEN GLOSSEN. 184—185. 441
'die dafar zu zahlends geldstraf e' (vgl. § 89) bezeichnenden
verbale.
Ans den äberlieferten glossenlesarten cällissolio 257, 12
(cod. 6), chälip sub dupio 259^ 3 b (Her.), chaldis obduplo, challis
ohdupliOy callis obdüblio 258,xcyn (cod. 7. 8. 9; ffir die specielle
vorläge der drei hss. ist demnach diällis obduplio anzusetzen:
das d von chaldis ffir 2 in folge von assimilierender, durch
das d von obduplio veranlasster Schreibung, vgl. §2b] cfär ch
nach § 6/9 und 6 ffir jp vor liquida nach § 4/), aliofedo 253, 9
(cod. 1) ist ffir die vorläge X« (vgl. § 1/9 und 188) *chalifes ob-
duplio zu erschliessen: ffir X^ anzunehmendes, durch ausfall
von 6 und doppelschreibung von l (§40 entstandenes *challif
sobduplio, woraus cällissolio durch ausfall von h (§ 6ß), Ver-
lesung von 5 aus /* (§ 3x) sowie ausfall von bdup, chalip sub
dupio durch Schreibung von l ffir B, Verlesung von p aus /*
(§ 3;i), latinisierung von sob und ausfall von /, challis obduplio
durch ausfall von f\ aliofedo aus *chälifes obduplio durch Schwund
von ch (§ 6y), antritt von -o an ffir selbständiges wort an-
gesehenes ali (§ 5i9) und ausfall von s + ob (oder sub?) und
'plio sowie substituierung von -o ffir -u (§ 4 a).
In dem ersten teil der älteren lesart erbUckt man sofort
altes *chdlifes (d. h. ^gaMes; vgl wegen der Schreibung § 6/9
und d), gen. sg. eines aus *l%f gebildeten bahuvrihi - adjectivs.
Der andere teil lässt sich zurfickffihren auf ^ofdupli (wegen
ob- ffir of- vgl. § 6(J, wegen des angetretenen -o § 5«), com-
positum aus of- 'unter-' (beachte K § 211 und vgl. oben § 99)
und zu einem aus *dupl oder *dupl 'untertauchend' (vgl. got.
daupjan u.s.w., ags. dyppan 'immergere) gebildeten jaw-verbum
gehörendem l»-abstractum (vgl. § 5 a).
In 259,3 steht im text neben 'in puteum' noch 'in uipida\
das nicht zu trennen ist von in 412, xcvin (cod. 1) begegnen-
dem uopida ('in puteum iactauerit aut in uopida^), an dessen
stelle sich in dem correspondierenden Paragraphen (von cod. 11)
412, cni fovea findet. Kern denkt (E § 212) ffir das wort an
entlehnung aus dem salfrk. und zieht afries. wapul-, wapel in
wapul-, fjoapeldepene, -dranck 'wassertauche' (s. von Eichthofen
s. 1124 ff.) heran: also tvl^- im ablaut zu wap- und uipida
Schreibfehler ffir uopida (vgl. § 2e). Ffir die etymologische
deutung der beiden nomina kann ich keinen germanischen
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442 YAK HELTES
oder aussergermanischeii anhält ermitteln. Beider snffixe {-Um
ans salfrk. schwache feminina bildendem -tda) weisen auf eil
eigentliches nomen instmmenti hin (vgl Eloge, Nomin. stamin-
bild. § 89 und 99). Dass afries. waptU etc. nicht (wie von Bicht-
hofen angibt) 'sumpf, sondern 'fahrwasser' bedentet, geht mi-
zweideutig aus folgender stelle (Rechtsqu. 232, 11 fL) hervor:
thiü hägheste wapeldepefie is ihet: huu&rsa ma enne mon inna
enne ebba ieflha inna enne üthaldne sträm tcerpth üi eUt
stiäme and ma hine hent etre stewene u.s.w.'
Als Zusatz zu dem oben citierten Paragraphen erschdnt
bei Her. ein paragraph 'si uero in puteo mortuos faerit . . .
sol. DC culp. iud.' 268, 12, der als zur kat^;orie der in cod. 6
(und 5) und bei Her. begegnenden zusätze (vgl. §lß) gehörend
zu gelten hat und demnach durch späteren aasfall in cod. 6
(und 5) fehlt. Dazu die glosse musihest Statt der mordbosse
(*sol. Dc'), des dreifachen wergeldes (vgl. § 132), hat die Lei
emend. nur diejenige des einfachen totschlages: 'si antem qoi
praecipitatus est mortuus fuerit, tota leude sua componatur
269, 11 (vgl. auch die bei Her. als Variante zu 268, 12 stehende,
inhaltlich mit dem Paragraphen der L. emend. übereinstimmende
bestimmung). G^ffcken (Lex Salica 164) scheint letzteres das
richtigere, 'da das kriterium des mordes, die heimlichkeit^ nicht
tatbestandsmoment ist'. Meiner ansieht nach ist sowol das eine
als das andere richtig: die Emend. erwähnt das herabwerfen
von lebensgefährlicher höhe, was keine Verheimlichung des
leichnams zur folge zu haben brauchte; die Heroldina handelt
vom hereinwerfen in einen brunnen, was zu gleicher zdt die
verheimlidiung des leichnams zur folge hatte, mithin den in
tit. XLI (bez. LXVIII etc.) gemeinten tatbestand (s. § 1^)
herbeiführte. Demnach steht auch die oben angeführte glosse
an richtiger stelle: musihest mit ti f ür 49 (§ 4a), ^ (beide male)
für r (§ 3 x) und dittographischem t (§ 2d) aus *mortker (= got
maurßr; wegen des anorganischen e vgl § 8) 'mord' oder 'mord-
busse' (§ 39) = *morthes leudi (§ 132).
Zu 'si quis hominem ingenuum in pellago (wegBa pelagus
= 'quaevis aqua, etiam fluvialis' vgl Ducange 6, 249) inpin-
xerit' finden sich phimarina 266, 10 (cod. 6),. jpiomorma 268, 13
(Her.), woraus sich als in der vorläge der beiden hsas. vor-
handene lesart "^phiomarina ergibt, dessen phio- mit Kern
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Zu DEN MALBBBOI8CHEK GLOSSEN. 135—137. 443
(K § 213) auf *seO' (d.h. *5ä>-) zurückzuführen ist: jpÄ statt f
(§ 7/3), einer Verlesung aus s (§ 3x), io für eo (§ 97). Für
-marina ist an. f»cr;a 'stossen' zu berufen; also altes *-iwan»
(wegen des a s. § 36) als bezeichnung des freveis oder der
strafe (vgl § 39), woraus durch antritt von lat. -a (§ 5 a) die
.überlieferte lesart.
§ 136. Das zu ^si quis hominem ingenuum ex quolibet
crimen superdixerit et inde homo mortuus fuerit ... soL c culp.
iud.' stehende ago epha 266, 11 findet seine erläuterung durch
das oben § 74 erkannte fem. *uefa 'anzettelung, anstiftung'
(im schwachen nom. oder starken acc. sg.). Es ist in dem
Paragraphen die rede von einer Verleumdung, die einen rache-
act zur folge haben konnte (vgl den bei Herold und in der
Lex emend. stehenden zusatz 'ille uero, qui eum occiderit,
secnndum legem pleniter eum componat', d.h. mit vollem wer-
geld, während der anstifter nur die hälfte, c sol., zu entrichten
hat). Ein compositum aus solchem *uefa und einem ' Unfrieden,
beunruhigung (in passivem sinne)' bedeutenden nomen wäre
also geeignet, um den gemeinten frevel oder die deswegen zu
entrichtende strafe zu bezeichnen. Vgl. an. agi ^Unfrieden,
beunruhigung'. Also "^agauefa, woraus durch substituierung
von 0 für au (§ 4/9) und von ph für f {§7ß) die überlieferte
lesart.
§ 187. 'Si quis colecto contubemio hominem ingenuo in
domo sua adsalierit et ibi eum occiderit, sine (l. si in) truste
dominica fuit ille qui occisus est . . . sol. mdccc culp. iud.' Die
dazu stehenden glossenlesarten ambistaüe 262, 1 (cod. 1), bistoUo
263, 1 (cod. 2), chambestalice 264, 1 (cod. 3; wegen -ce s. s. 292,
anm.), chame habia 266, 1 (cod. 6), hesitalio 267, 1 (cod. 8), hasi-
talio 267,1 (cod. 9), chames talia 268,1 (Her.) lassen sich auf
eine in der vorläge X* (vgl. §11? und 188) stehende "^diam
bistaiie zurückführen (ich setze als endung -e an, weil sub-
stituierung von häufiger vorkommendem, den Schreibern ge-
läufigem -a oder -o für -e verständlich ist, einsetzung von -e
für -a oder -o aber kaum begreiflich wäre): aus X^ in X^
übei^egangenes *cham bistaiie, woraus die lesart von cod. 3 mit
e für i (§ 4o), ambistaüe von cod. 1 mit o- für cäo- (§ 67),
-üe für -lie, bistolio von cod. 2 ohne cham und mit 0 für a
durch as^inulierende^ nach der entstehun^ von -io aus -ie
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444 VAN HELTEK
erfolgte Schreibung (§ 2£); für vorläge X^ anzusetzendes, dnrch
ausfall von b und snbstituierung von -a ffir -e (§ 2s) entstandenes
*cham estalia, woraus einerseits chamc habia dnrch verimmg
des zuerst fiber m stehenden (mm fllr m, vgl § 4^, bezddi-
nenden) Strichs nach e, ausfall von st, vortritt von h (§ 4<f),
Verlesung von b aus li (vgl. § 48 zu a& chrates; nach der Ver-
lesung wurde das i noch einmal und zwar als t nachgesdirieb^
vgl. s. 284, anm.), andrerseits chames talia; besitdUo mit e für t
und basitalio mit a für e oder i (§ 26) aus in der speciellen
vorläge der hss. 7. 8. 9 stehendem besüalio oder dessen Vor-
stufe *bisttalio mit eingeschaltetem i (nach %2d oder wie in
sitabahim, vgl. § 126). *Bistalie aber kann mit Z ftr S (§ 40
zurückgehen auf *bistallie, die zu einem compositum ans *bi-
und *stalliu 4ch springe' (vgl. ags. stiellan 'springen') gehörende
3. sg. praes. opt = 'adsalierit' (wegen des tempns vgl § 8,
wegen des a § 36). Cham mit a für ai (§ 4^) und ch als
Schreibung für h (§ 6/9) ist entweder object des verbums oder
es steht durch frühzeitigen Schwund von -t für *chami (== ahd
heimt) als entsprechung von 'in domo sua'. Der ansetzung
von chambistallio = *in truste dominica' (K § 216) widersetzt
sich der umstand , dass ahd. bisteüo vicarius schwerlich zor
annahme besagter bedeutung für ein aus haim und bistaUio
gebildetes compositum berechtigt.
§ 138. Wenn bei einem Überfall 'coUecto contubemio'
das 'corpus occisi hominis tres piagas uel ampUns habuerit,
tres quibus inculpatur qui in eo contubemio fuisse conpro-
bantur, legem superius comprehensam (d. h. das zuvor erwähnte
wergeld) singillatim cogantur exsoluere; alii uero tres de eodem
contubemio ... sol. xc unusquisque eorum culp. iud. et tres
adhuc in tertio loco de eodem contubemio . . . sol. xlv singDfi
eorum cogantur exsoluere.' Zu diesem paragraphen stehen
zweierlei glossen: dructhelimiä 266,4 (cod. 6), dructe Umid ib.
(cod. 5), drucke lennici 268, 3 (bei Her. aus der zweiten hs.)
und seolasthtma 266, 4 (cod. 6), seo lastasia 268, 3 (bei Her. ans
der zweiten hs.).
In dructhe, dructe, drucke erkennt man mit Grinmi (M ix)
und Eem (E § 217) auf "^druckti gen. sg. zurückgehende les-
arten (vgl. § 140). Das limid erinnert an in gl. E[, Pa und Ba
begegnende limit favet, limendo, hUmando (mit falschem JU)
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Zu DEN MALBEBGIBOHEN OLOSSEN. 187—189. 445
ftdseBtator (s. Kögel, Ker. gl. 127 f. und Gesch. der deutschen
lit. 2j 435; litnit U.S.W. oder etwa limit und analogisch gebfldetes
limendo, hlimando?): den substantivisch yerwanten nom. pl.
masc. von hierzu gehörendem adjectiv *J^ig schiieb der
glossator (nach § 6^) als *limiche {*druclUi limiche = *de eo
contubemio', d.h. *die zur gef olgschaft des anfuhrers gehören-
den*), woraus mit c für ch (§ 6ß) und -i für -e (§ 4a) für die
vorläge X^ (vgl. § 1^ und 188) anzusetzendes limici, das durch
substituierung von e f&r i und verschreibung von nn für m
(§ 2y) lenniä ergab. Der ansetzung von druchtiuuiti contu-
bemii poena (E § 217) widersetzt sich das überlieferte -li-,
'le-, das schwerlich auf altes heli 'mann' oder 'halb' zurück-
zuführen wäre.
In seola- erblickt Kern (E § 217) durch Verlesung von e
aus c (§ Sa) entstandene lesart für *scola (vgl. ags. scolu
caterva). Der zurückführung von 'St(h)cLsia auf -strafa = hd.
strafe (Ka.a.o.^ widersetzt sich jedoch das -i- der endung.
Für die vorläge X^ anzusetzendes -stasia (wegen ^% für f s.
§ 7 a) geht zurück auf eine zur strafe 'mdccg den. qui fac.
sol. XLv' gehörende, die 'bandenangriffsbusse' bezeichnende
glosse. Berücksichtigung von mnl. mnd. anvaren aggredi
bringt auf den gedanken an die möglichkeit von altem ^-at-
faria als acc. sg, eines durch suf fix -l, -jö gebildeten nomens
(wegen -ia als endung vgl. § 9, wegen des nicht umgelauteten a
§ 36, wegen der bedeutung 'busse' § 39). Aus ^-atfaria aber
konnte durch Versetzung von t, Verlesung von ^ aus /* und r
(erstere Verlesung beim copieren von in angelsächsischer schrift,
die andere beim copieren von in der sogen, übergangsschrift ge-
schriebenen vorläge, vgl. § 3 x und r) -astasia hervorgehen. Also
urspr. *scolatfaria mit scolip)- als compositionselement.
§ 139. 'Si ... in conuiuio, ubi quattuor aut quinque
fuerint (et unus ex ipsis interfectus fuerit), illi qui remanent
unum de se conuictum reddant aut toti morti illius coniectant'.
Kern führt (E § 219) die hierzu stehenden lesarten seolandi
stadio 272, 1 (cod. 2), seulando ueua 273, 1 (cod. 3), seolande
stadio 275, 1 (cod. 6), seolanthis thadio 276, 1 (cod. 8), seolantis
ihadio 276, 1 (cod. 7. 9), seo laude esthadio 277, 1 (Her. aus der
zweiten hs.) überzeugend zurück auf *scolanthies (oder -as, vgl.
§ 119) stadi = 'putting the culprit at one's disposal'. Für
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446 * VAN HBLTE»
vorläge X^ (vgl. § 1/9 und 188) vorauszusetzendes, durch Ver-
lesung von c aus c (§ 3«), ausfall von -es (oder -as) und antritt
von -0 (§ 5 a) entstandenes *se6lanthi stadio, woraus den les-
arten von cod. 2 und 8 zu gründe liegendes seolandi stadio
von vorläge X^ durch substituierung von d t&r th (die Über-
lieferung von cod. 3 entstand, indem der copist durch anlass
der lesart seiner vorläge sich der in der Lex häufig erscheinen-
den, oben § 74 besprochenen glosse erinnerte); aus für vorläge
X^ anzunehmendem *seolanthi sthadio (Oi ^ t nach § 7 a)
gieng einerseits in der näheren vorläge von cod. 7. 8. 9 stehen-
des seolanthis thadio hervor (die lesart von 7. 9 mit i für th
nach § 6ß), andrerseits durch substituiemng von c2 for A und
Schreibung von -e für -i (§ 4 a) für vorläge X* anzunehmendes
*seolande sthadio, das durch ausfall von h bez. Verlesung von
w aus n (§ 3ä) und vortritt von e- (§ 6 a) die lesarten von
cod. 6 und der Heroldschen hs. ergab (die zweimalige snb-
stituierung von d für th beruht wol auf erinneVung an seolando
etc. § 74; verschreibung von dimth nach § 2/9 ist hier weniger
wahrscheinlich). Das nomen "^stadi (mit -t = -f aus -in, § 5 a)
gehört zu einem verbum, das an. steöja 'stellen', awfries. .$ieiUa
'sich stellen' (Beitr. 19, 426 f.) entspricht (wegen des nicht um-
gelauteten a s. § 86). Wegen des a und th des particips *«»-
lanthies (oder -as) vgl. § 36 und 70 am schluss. Die glosse be-
zieht sich auf 'unum ... conuictum reddant'.
§ 140. 'Si quis uero foris casa uel iter agens sine in
agro a contubemio fuerint (Z. fuerit) interfectus'. Dazu dmdi
flido 272, 2 (cod. 1), drocfledio 273, 3 (cod. 2), dructe didio 275, 2
(cod. 6), drocchlidio (cod. 7), droclidio (cod. 8), droddidio (cod. 9)
276, 3 (also in der speciellen vorläge dieser drei hss. droehtidio]
cch mit dittographischem c nach § 2y, c für cä nach § 6^),
druchtelidio 277,3 (Her.), in deren erstem teil der gen. sg.
"^druchti steckt (wegen o und e für w und t vgl. § 4a, wegen
der Schreibung ch § 6/9). Für den anderen teil ist aus vor l
stehenden f und c, die beide aus s verschrieben sein können
(§ 3x und f]), ein prototypus *slidio zu ersehliessen (also die
lesart mit fl in vorläge X*, die mit d in vorläge X*, vgL § 1^
und 188; droddidio vermutlich aus verschriebenem *draehtedk'
lidio, indem sich das äuge des copisten vom ersten di nach dem
zweiten verirrte; druditelidio, das mit dructe didio auf in X*
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Zu BEN HALBRSOISCHSN GLOSSEN. 139—141. 447
stehendes ^druckte clidio hinweist, durch ausfall von c). Dieses
*slidio aher begreift sich sofort als *slidi (d.h. slldt mit -t
ans -fn) + lat. -o (§ 5 a) bei berufung von got. -slei^jan 'schaden,
beschädigen' und beriicksichtigting von as. Uriany nerian, hürian,
ahd. werien: got. laisjan, nasjan, hausjan, wasjan. Wegen der
möglichkeit einer bedeutung 'strafe wegen bandentotschlags'
vgl. §39.
§ 141. Der XLmi. (bez. XLVm. etc.) titel handelt von
der gebfihr von 3 solidi und 1 denarius, die derjenige der eine
witwe heiraten wollte, nach salischem rechte in öffentlicher
gerichtssitzung einem verwanten des verstorbenen ehegatten
zu entrichten hatte. Der dieselbe bezeichnende, in die gallo-
romanische gerichtliche terminologie aus dem salischen ent-
lehnte ausdruck ist überliefert als reiptis (meist mit -us für -os
des acc. pL), -um, -i, -e 271, Ib. 2b. 3b. 272,7. 8. 274,2b. 3b.
276, Ib var. 2b. 277, Ib. 3b. 280, 5. 7. 8. 9. 10. 281 passim. 285,
6. 7. 8. 9. 286, 3. 287, 9 var., Eubriktaf . xxvi, reippus, -os, -um, -i
276, 2b var. 278, Ib. 2b. 4. 5 und var. 285, 7. 8. 9 var. 286, 3. 4.
287,8 und var. 10 und var. 11, Eubriktaf. a. a. o.^), reibus, -t
272,1b. 273, Ib. 2b. 282,8.9. 407,lxxii (cod.l), rebus 274,1b
und Eubriktaf. sowie 407,lxxi (cod. 11), reiphus, -i, -e 275, Ib.
4. 5. 277, 3 b. 284, 8. 9. 10. 11, reipphus 278, 5 var. Die lesart
mit p hat nach der Überlieferung als die ursprüngliche zu
gelten; die 6 und pp sind nach § 4y. g zu beurteilen; die ph
und das pph rühren je von einem Schreiber her, der den aus-
druck nicht kannte und nach § 7/9 das p durch ph ersetzte.
Das ei weist auf entlehnung des Wortes in einer periode hin,
worin der Salfranke noch diphthong vor muta sprach (vgl.
§ 190a).
Brunner hat in den Sitzungsberichten der Berliner aka-
demie 1894, s. 1289 ff. überzeugend dargetan: dass die in
unserem titel als zum empfang des reipus berechtigt an-
geführten verwanten (bez. der älteste schwestersohn, der
älteste söhn der nichte u.s.w.) die männlichen muttermagen
^) In der ttberschrift reipusse 276, 1 b steckt reipus und die den text
Csi qfsiB homo moriens . . . ') einleitende conditionale partikel se; vgl. in der
Bnbriktaf. 'de reiposse (reipuase) ut solit homo moriens u.s.w.' In 285,7.
8. 9 var. (cod. 9 und B) stehen reipsus, -i, -e als durch voranstehendes oder
folgendes 'ipsiis* oder 4psi' veranlasste yerschreibungen.
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448 VAH HELTEX
des yerstorbenen mannes waren; dass diesen, sowie, wenn die-
selben nicht vorhanden waren, dem bmder bez. den sonstigen
verwanten des ersten gatten (bis in das sechste glied), insofern
dieser bmder oder verwante nicht erbnehmer des besagten
mannes war, das recht znstand, der in der mnndschaft der
Sippe des ersten gatten stehenden witwe den heiratsconsens
zu erteilen, weil fflr die yerwanten dieser kategorie nidit,
wie für den nächsten erben des yerschiedenen gatten, ein
vermögensrechtliches Interesse auf dem spiel stand, wenn die
witwe zur widerverheiratnng gelangte. Es kann demnadi
nicht fraglich sein, ob reipus ^eine gebühr für heiratsconsens'
bezeichnete.
Grimm erblickt (Rechtsalt. s. 425 f. nnd M Lin) in dem
nomen einen dem got. rcUps, ahd. reif entsprechend^ symbo-
lisch verwanten ansdmck, dessen Charakter im dnnklen Uge.
Müllenhoff (bei Waitz, Das alte recht der saL Franken s. 292)
fasst das wort als 'bandgeld' oder 'ringgeld', ind^n er es
unentschieden lässt, ob man hier an die sitte, die braut za
binden oder an den bei Verlöbnis oder trauung altübUchen
ring zu denken hätte. Kern (E § 221) erinnert an an. baugr
^ring' und 'geld' und möchte reipus = ^geld' fassen« Aber
auch wenn man sich dazu verstehen wollte, fflr das salfränk.
Substantiv diese beiden bedeutungen anzusetzen, müsste es be-
denken erregen, dass so die eigenart der in rede stehenden
gebühr gar wenig hervorträte. Baips, reif, räp u. s.w. be-
zeichnete ein 'bindewerkzeug' ('seil, fassreif, haarband' U.8.W.).
Aus der bedeutung 'band' entwickelte sich gelegentlich die
bedeutung 'ehe'; vgl. awfries. böst 'ehe' als dmvatum zur
Wurzel band (s. meine abhandlung Zur lexicologie des Altwest-
fties. s. 9) und beachte auch xet^d^sgog 'Schwiegervater, -söhn'.
Wäre es demnach nicht denkbar, dass im salfrk. aus der be-
deutung 'bindewerkzeug' bei abstracter und einschränkende
Verwendung eine bedeutung 'mittel zur darstellung eines ehe-
bundes, eheschliessung' und hieraus weiterhin nach art von
afries. fretho (frethe), mlat fredus, freius 'friedensbusse' eig.
'behufe widererlangung des friedens zu entrichtende strafe',
nnd an. mundr 'behufs erwerbung des mund vom bräutigam
zu zahlende gebühr' eine bedeutung 'behufe erwerbung des ehe-
schliessungsrechtes zu zahlende gebühr' hervorgegangen sei?
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Zu DEN MAIiBEBOlSCHEK &L088EK. 141. 440
In einem im 11. jh. entstandenen, den hergang bei der
Verlobung einer *vidua Salicha' beschreibenden, langobardischen
cartularium (s. Mon. Genn. LL. 4, 599) finden sich die ausdrucke
repario = 'den verlobenden verwanten', reparia= 'die zu ver-
lobende witwe' und precio repario = 'verlobungsgebühr'. Die
formel lässt sich nach Brunner (in den citierten Sitzungs-
berichten s. 1290 f.) in sachlicher hinsieht nicht verwerten;
doch ist aus dem e des vom Verfasser des cartulars gebildeten
r^ario, -a zu folgern, dass derselbe in seiner quelle ein repus
(nicht reipus) vorfand, also eine form, welche das in der spräche
unserer glosse herschende e (vgl. § 4/9) durch anlehnung an
durch jüngere entwickelung entstandenes salfrk. e erhalten
hatte (wegen ähnlicher anlehnung vgl. § 156 zu cheristaduna).
Das nämliche e aber dfirfte man als den vocal des als glosse
erscheinenden nomens erwarten. Statt dessen findet sich zwar
ein ei in der glosse zu 'si uero istud non fecerit (d.h. der die
witwe heiratende die gesetzliche gebühr nicht gezahlt hat) . . .
sol. Lxx cum dimidio culp. iud.', nämlich reipus nihil sifias
271, 2b (cod. 1), reipus 272, 7 (cod. 2), reiphus heealisinus 275, 3
(cod. 6), reipus nicholessini^ {coi.. 7), reipus nicolensinus (coA.S),
reipus nichölissimus (cod. 9), reippus nic(h)olesinus (in vier
sonst keine glossen enthaltenden, den codd.7.8.9 nahestehenden
hss. der dritten farailie, vgl. §lß) 276,1b (woraus für die
nähere vorläge dieser sieben hss. reipus nichölesinus zu folgern ;
wegen ss ixa s, r^ für s, i f ür e, m für n, c für ch vgl. § 4g.
2d. 4a. 2y und 6/3), rei phus haec cha la sinus 277,2b (bei
Herold); doch kann dies nur eine durch die reipus etc. des
textes hervorgerufene Schreibung sein (vgl. wegen einer der-
artigen beeinflussung der glossenlesart durch die form des
correspondierenden fremdwortes § 20 und 65).
Die mit reipus etc. verbundenen lesarten lassen sich ver-
einigen durch die annähme von in der vorläge X' (vgl. § 1/9
und 188) stehendem "^nichölesinus : nihil sinus mit h für ch
(§ 67), i für a (§ 2«) und durch ausfall von e; das heea von
cod. 6 und das hmc cha bei Her. auf in vorläge X* stehendes
*he cha hinweisend (heea durch Verlesung von e aus c nach
§ 3£ und ausfall von h, haec cha durch Schreibung von ae
für e nach s. 292, anm. und dittographie von c nach § 2/)
mit h für n (nach § 26) und e für i (§ 4a); das li und la
Beiträge zur gcschichte der deutschen spräche. XXV. 29
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450 VAX HBLTEV
von cod. 6 und der Heroldina durch assimilierende Schreibung
(§ 2s); nicholesinus mit o aus a (§ 3a). Dass aber in diesem
*nichdlesinus die negative partikel ni und das yerbale ^gales^
'leistung' steckt (ausfall von t sowie antritt yon lat -us nach
§ 5a; w^en ch als Schreibung für g vgl. § 6ß) = 'nicht eine
leistung (erfolgt)' = 'si uero istud non fecerit', ist kaum zu
bezweifeln. Hiemach muss reiptis etc. einen zum yerbale ge-
hörenden genitiy repräsentieren und, wie rencus xls.w^ -as
fär -as enthalten (§ 119); wegen der lesarten mit pp nnd ph
vgl. die nämlichen im text begegnenden (s. oben).
§ 142. Nach titel XLV (bez. LXXVHH etc.) hatte jedes
gemeindeglied das recht des Widerspruchs, wenn ein ausmärker
in das durch tod oder abtretung frei gewordene besitztum
eines andern (d. h. des bisherigen besitzers) einziehen wollte
('si quis super alterum in uilla migrare uoluerit'; vgl wegen
der fassung dieser worte Schröder in Zs. der Sayigny-stiftang
2,56:0 wenn der ausmärker sich gegen solchen Widerspruch
gleichwol im dorfe niederliess, dann war ein bestimmtes yer-
fahren vorgeschrieben, durch welches er zum abzug genötigt
werden konnte: er wird yon dem bez. den widersprach er-
hebenden dreimal aufgefordert, aus dem dorfe zu gehen, dann
aber, wenn er der aufforderung keine folge geleistet hat, yon
seinem Widersacher bez. seinen Widersachern yor gericht ge-
laden und beim nichterscheinen auf verlangen des bez. der
letzteren vom grafen ausgetrieben, in welchem fall er ausser-
dem 'quia legem noluit audire, quod ibidem laborauit^ amittat
et insuper . . . sol. xxx culp. iud.' Dass die hierzu stehende
glosse vuidrisittolo 289, 1 (cod. 1), uuedresitdo 290, 1 (cod. 2%
uuidristholo 293, 2 (cod. 6), uuidrositeh (cod. 7), uuidrasiUto
(cod. 8), uuidrosithelo (cod. 9) 294, 3 (woraus för die n&here
vorläge dieser drei hss. uuidrositelo zu folgern; wegen th für t
s. § 7a; 'Silito durch Umstellung und Schreibung von t für «
nach § 4 a), uuidre sa ihalo 295, 1 (Her.) mit mhd. widersÜMe»
'widerstand leisten', mnd. weddersaie 'widerstand' in zusammen-
*) Von den daselbst als belegen für su^er aUerum = 4m bedtz* oder
Mn den besitz' angeführten stellen ist jedoch super me et furtuna pcno
(= <steUe ich mich und mein vermögen zum Unterpfand') ka streichen;
hingegen beachte man als nenen beleg rem super hominem in terUa nuam
mtUere 889,3. 890,2 etc.
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Zu DEN MALBEHaiSCHBN GLOSSEN. 141—142. 451
hang steht and als sich auf ^legem noluit audire' beziehend
in ihrer nnentstellten gestalt ^Widersetzlichkeit' (vgl. E § 222)
oder 'strafe wegen der Widersetzlichkeit' (vgl. § 39) bezeichnete,
steht ausser frage. Fflr das zweite glied der composition ist
aus den überlieferten lesarten als die in vorläge X> (vgl. § IjS
und 188) stehende -sitelo zu folgern: -sittolo mit tt für t (§4?)
und 0 durch assimilierende Schreibung (§ 2e) für e; -stholo durch
ausfall von i, Schreibung von th für t (§ 7 a) und assimilierende
Schreibung von o für e; sa thah mit dem ersten a durch Ver-
lesung desselben aus u für t (§ 8 a), Oi t&r t (dieses fh bei
Her. weist im verein mit dem ih von cod. 6 auf schon in
vorläge X^ stehendes th hin) und dem zweiten a in folge
von durch das vorangehende a veranlasster assimilierender
Schreibung. Aus -sitelo aber ist auf salfrk. zum adject. *sitel
(aus *sitil) gehörendes, durch suffix -an gebildetes abstractum
zu schliessen; also -sitelo entweder mit -o = salfi*k. -o des
nominativs, falls hier die tat gemeint ist, [oder mit -o für
salfrk. -nn des accusativs (wie in uano u.s.w. § 41), falls der
glossator die strafe (vgl. § 39) bezeichnet hat.
Aber unidri- bez. nuidre-, uuedre- (e für t nach § 4 a),
uuidro- (für umäri- oder -c- durch einwirkung von folgendem
sitelo y vgl. § 2fi) = ahd. mdri? Ausser nach volltonige silbe
auslautendem n (§ 70) steht in unseren glossen im inlaut auf
salfrk. f hinweisendes th oder (nach § 6ß) dafür eingetretenes t
(auch nach Z!): ymnis fith etc. (§ 12), amifheoto etc. (§ 23),
troitohen etc. (§ 40), famus fith (§ 87), uueruanathe etc. (§ 92),
uertico etc. (§ 93), morter, 4is etc. (§ 106. 132), gasferit (§ 115),
mithii) (§ 119), ferüiehero etc. (§ 122), ferto, freth (§ 134), mus-
ihesty mother (§ 135. 167), sacce muther (§ 154) und scult(e)
(§ 30), -falüiio etc. (§ 66), ac faltho (§ 81), maltho (§ 96). Die
gelegentlich neben th oder dafür stehendem t der parallelen
lesarten auftauchenden d sind demnach als nach § 2ß zu be-
urteilende verschreibungen zu fassen. Hiemach könnte man
auch erhaltung von d vor r für wahi-scheinlich halten und
dazu neigen, das d der in rede stehenden glossenlesarten als
durch frühzeitige entstellung für th eingetretene, bereits in
der vorläge X^ vorhandene Schreibung gelten zu lassen. Doch
findet sich auch an anderer stelle ein zweifelsohne mit west-
germ. Ö correspondierendes d, nämlich in umdrida/rchi (§ 150).
29*
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452 YAK HBLTBXr
Dass aber die nämliche yerschreibung in zwei von einander
unabhängigen glossen und zwar grade vor r statt^^efnnden
durfte wenig einleuchtend erscheinen; es ist vielmehr ans eben
diesen belegen mit d vor r der schluss zu ziehen, dass im
dialekt der glossatoren altes Ö vor r seine spirantische qualitat
eingebfisst hatte.
§ 143. In einem zum oben § 142 behandelten paragraphen
'de migrantibus' gehörenden, nur in cod« 6. 5, bei Herold und
in der Emend. stehenden zusatz heisst es 'si uero alium in nilU
aliena migrare rogauerit, antequam conuentum fnerit' (vgl
Schröder, Zs. der Savigny-stiftung 2, 56). Dazu die glosse a«-
düiheoco 293, 3 (cod. 6), anduu theocho 295, 3 (Her. ans der
zweiten hs.).
Als Überschrift zu 'si quis graphionem ad res alienas tollen-
das inuitauerit et eum (den Schuldner) legiümum iectinnm ant
admallatum non habuerit, ille qui eum rogat ut iniuste aliqnid
infiscare debeat . . . sol. cc culp. iud.' erscheint ando meto 326
(cod. 2), andodemito 329, 1 (cod. 6), antoctimetho 329, 1 (cod. 5;
das t für d nach § 3;^ oder durch assimilierende schreibnng
nach § 2£, th für t nach § 7a; in der Rubriktafel hat cod. 5
andoctitnetho), andocmiio 331, 1 (Her.). Es liegt hier offenbar
der ursprüngliche 'malb' vor; beachte noch 326, 1 (cod. 2)
ausser der Überschrift 'malb anihomito^ und vgl. § 71 am schluss.
In den beiden paragraphen wird das gesetzwidrige be-
treiben, hier einer anpfändung, da einer ansiedlung geahndet
Diese erwägung führt zur folgemng: ando (d. h. ando) sich auf
'rogauerit' bez. Mnuitauerit' beziehend als 3. sg. praesw opt
(wegen des tempus vgl. § 8) eines zu *ando 'böswillige ge-
sinnung' (vgl. § 74) gehörenden denominativs *andan 'in gesetz-
widriger weise betreiben'. Demnach müsste das wort, weldies
dem nach ausscheidung von andu (für *ando, s. unten) über-
bleibenden teil der überliefeiung ntheoco, u theocho zu gmnde
liegt, 'ansiedlung', das wort, aus dem die lesarten meto ete.
entstanden, 'anpfändung' bezeichnen.
Mit rücksicht auf mnd. intogelinck 'aus der fremde ein-
gezogener' und mnl. mnd. getoch, mhd. geeuc 'zug' ist salfrk.
*ingetog 'ansiedlung', nach des glossators Schreibung (§ 6ß)
^inchetoch, mit angetretenem lat. -o (§ 5 a) ^inchetocho anzu-
setzen, woraus sich unschwer die überlieferten lesarten ab-
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zu DEN MALBEROISGHEK GLOSSEN. 142--144. 453
leiten lassen: durch ansfall von i und entstehung von *andun
aus *ando + n (§ 4 a) sowie Verlesung von ^ aus c (§ 3(J) und
ausfall von t *anduntheocho, woraus einerseits durch ansfall
von h nach c (§ 6ß) andütheoco, andrerseits durch Verlesung
von u aus n (§ 3jr) anduu theocho.
Aus ando meto etc. ist auf eine ältere lesart *ando che-
oder chameto zu schliessen: durch ansfall von a oder e und
Schreibung von i für e (§ 4 a) entstandenes *chmito von vor-
läge X^ (vgl. § 1/9 und 188) ergab einerseits das cmüo bei
Her., andrei-seits das für die specielle vorläge von cod. 6 und 5
vorauszusetzende ^ctimiio mit cti durch Verlesung aus ch (§ 38)
(oder bereits in X^ die lesart mit cti?)] ando meto und antho-
mito von cod. 2 weisen auf älteres *andothoinito oder -eto hin
mit ^ für c (§ 3(J) und o durch assimilierende Schreibung (§ 2^)
für a oder e. Aus *cÄe- oder *chafneio aber ist unter berufung
von an. meta 'taxieren' salfrk. *gre- oder gamet zu folgern
{ch als Schreibung für g nach § 6ft -o durch antritt nach § 5a)
eig. = 'abschätzung', durch Übertragung, indem die taxierung
ein wesentliches element der pfändung bildete (vgl. L. Salica,
tit. L, paragr. 3), = 'anpfändung'. Vgl. die ähnliche seman-
tische entwickelung in awfries. utachtia 'gerichtlich beitreiben'
(s. V. Eichthofens Wb. s. 1118), eig. 'eine taxe als busse bei-
treiben nach erfolgtem achtia (d. h. taxieren) als zahlmittel
dienender wertobjecte'.
§ 144. Der titel, der die formalitäten aufzählt, die für
die erbeinsetzung eines jure suo nicht erbberechtigten erforder-
lich waren (vgl. hierüber Waitz, Das alte recht der salischen
Franken s. 147, sowie Sohm, Die fränkische reichs- und gerichts-
Verfassung s. 69 und beachte unter diesen formalitäten den als
symbolische anweisung der Vermögensabtretung zweimal vor-
zunehmenden halmwurf , einmal vom erblasser in den schoss
des treuhänders und einmal vom treuhänder in den schoss
des zum erben einzusetzenden!), hat nach einigen hss. die
Überschrift 'de hoc famirem' 289, 'de adfathamire' 290, 'de
acfatmire 291, 'de affactumire^ bez. ^afatumiri* 294 und var.
Zur bezeichnung des nämlichen gerichtlichen actes hat ein
capitulare der Salica adfatimus 407, Lxxm (adfacimus als var.
in cod. 11 mit c für 0 und die Lex Rib. in tit. XLVni und
XTiTX (bez. L und LI e codd. B) adfatimire, affatimire {ad-
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454 VAN HELTEN
fatinnire mit nn als Schreibfehler fOr m), adfatimi, -nüs, -mus,
-mum, affatimi, -mus, afaUmi, -mis, adfatimim, adfaium, ai-
fatim {adfatini mit ni für m?), adfoMmatione, adfiEÜmüs, -e;
in den Form. SaL Merkel s. 24. 25 nnd Lindenbrog. s. 13 (Mon.
Germ. LL. sect 5) begegnen noch affatimum, adfatimus sowie
ein adject adfadimas (duas epistolas — \ Diese in die gallo-
romanische gerichtliche terminologie aui^enommenen ansdröeke
beruhen auf einem fränkischen verbum und dazu gehör^idaii
verbale (auf -l = got -eins), die in etymologischer hinsidit
mit an. skeyta 'käuflich übertragen' (zu skaut 'zipfel*) und
loBsoverpire (s. unten) in eine linie zu stellen sind, indem ihnen
composition aus *at und zu altem *fajm 'schoss' gehörendes
jan-denominatiy zu gründe liegt (vgl. auch M vn. E § 224 und
beachte Ahd. gU. 2, 354, 39 'affatimire jriffifadimanney.
ac- und huc- (wegen h vgl. § 4<I) durch Verlesung für *a^
(E § 224); ad' für *at- durch latinisierung; af- für ad- durch
lat. assimiliemng; a/** geschrieben für äff- nach vnlgärlat
Orthographie (§ 4£);
das t von -/a^ als lat. Substitut für die zur zeit der ent-
lehnung noch stimmlos gesprochene Spirans (vgl. § 191; das d
in affactumire durch Verlesung von c aus t für it statt t nach
§ 4 g); das isolierte th in adfathamire als Schreibfehler oder
als zeichen für aspirata (wie in thungintAS etc., vgL § 145)?
•fatim- aus fränk. *fapim' mit irrationalem, qualitativ
durch das i bez. j der folgesilbe beeinflusstem vocal; -fatm-,
-fatum-, -fatham' bez. auf fränk. formen mit ^faptn-, -fapum-,
^'fapam- (das u und a durch anlehnung an substantivformen
mit homorganem u bez. durch durch einwirkung von a der
Wurzelsilbe entstandenem a vor m) hinweisend; in hoc famirem
liegt wol aus *hatfat(u)fnire verderbte lesart vor;
•mis für -mi durch latinisierung der endung; -mus, -tuffm
für -mi, indem dieses für die lat genitivendung angesehen
wurde; adfatimatio als lat. derivatum zu *adfatimare (vgl
wegen solches -are für -ire das bei Ducange 1,75 ans einer
Epist. Wittechindi abb. Corv. novae ad Grerardum abb. Corb.
vet. ann. 1196 citierte adf atomare)] in -faUmini, -faium, -fatimf
'fatmitis, -e liegen wol nur entstellungen der den jüngeren
Schreibern nicht mehr bekannten termini vor.
In einigen hss. der Salica steht als Überschrift af(f)atumkR
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zu DEN HALBEB6I8CHBN GLOSSEN. 144. 455
294 varr. (afetumiae daselbst mit e als Schreibfehler), affatomice
296; vgl. auch in der Rubriktai xxvi affatumiae (afaettmi§),
^fifyitomice, -te und im Capitulare Ludovici Primi X (Hesseis 419)
af(f)atomie bez. -i>. Die endung verbietet, hier an lat. formen
zn denken. Die lesarten begreifen sich hingegen anstandslos
bei der annähme eines Vorgangs, der sich dem oben § 143 zu
ando meto etc. (und auch sonstwo, vgl. § 71 am schluss) beob-
achteten zur Seite stellen lässt: ursprünglich als glosse zu
*(der erblasser) festucam in leso (schoss) iectet' stehendes
*€Ufathumie 3. sg. praes. opt. (oder eine Variante desselben)
wurde als ttberschrift verwant; an stelle von solchem für die
gemeinschaftliche vorläge vorauszusetzendem *atfathumie oder
ähnlichem (vgl § 189, anm.) wurde später zum teil das fremd-
wert affaiumire o. ähnl. bez. ad{h)ramire etc. (s. unten) ge-
schrieben.
Statt affatumire etc. begegnet als Überschrift in cod. 4
adramire 292, in cod. 5 und 6 adhramire, achramire 293, bei
Her. adframire und in der Rubriktai von hs. H (Hesseis xxvi)
adframire, woraus erfolgt, dass diesem verbum ausser den oben
s. 262, anm. verzeichneten bedeutungen gelegentlich auch die
*rechtsförmlich eine erbschaft versprechen' beigelegt wurde.
Vgl auch das in einem Inhaltsverzeichnis der L. Rib. das ad-
ftxtimire vertretende agramire Mon. Germ. LL. Sectio 5, s. 207.
Zur bezeichnung des symbolischen actes des in den schoss
Werfens eines halms finden sich in unserem titel 'festucam
iactet' (4ectet', 4actauit' etc.) in Verbindung mit der präpo-
sition 'in' laisum, -o, -u 289. 298 (cod. 1). 294 var. 303 var.
(codd. F.G). 304 (Her.). 296. 305 (Emend.), hisam, -sio 295.
304 (Her.), laeisum 294 var. 303 var. (codd. F.H), leisum 296
var. (codd.Q.T.V), Uesum (Icesum), -o, u 293. 302 (cod. 6). 294
var. 303 var. (codd. B.F). 299 (cod. 2), lesum, -o, -u 290. 299
(cod. 2). 292. 301 (cod. 4). 293. 302 (codd. 5. 6). 294. 303 (codd.
7. 8. 9), ksum 294 var. (cod. 8), lisum 294 var. 303 var. (codd.
F.G), lesium 291. 300 (cod. 3). In auf salfrk. *le3werp zurück-
gehendem verbale und in hieraus durch die endung -ire gebil-
detem verbum erscheint das nomen in einer formel bei Mar-
culfus 1, 13 (Mon. G^rm. LL. Sectio 5): Precepcio de leseuuerpo
per manum regis ... Quod ipsas mllas in suprascribtis locis
nöbis voluntario ordine visus e$t lesiuuerpisse vel c<mdonasse,
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456 VAN HELTEN
wonach in der Sal. tit. LXXVII bez. LXXVI als prädicat za
* causa' überliefertes partic laeuespita, leuerpita = 'durch in
den schoss werfen eines hahnes zur anwaltlichen fnhrung über-
tragen' (vgl. Brunner, Deutsche rechtsgeschichte 2, 350, anm. 5)
in laesi' oder laeseuerpita (s verlesen aus r, vgl. § 3r), lesi-
oder Useuerpita zu corrigieren sind. Für die etymologie des
Substantivs ist mit Kern (E § 225) an ahd. lista, ags. list 'säum,
borte' anzuknüpfen (vgl. wegen des Zusammenhangs der be-
deutungen ^schoss' und 'säum' got. skauts 'säum', an. skaui
' Zipfel', ags. sc^at 'zipfel, busen' u.s.w.). Das cU von laisum
etc. weist auf entlehnung des wortes in einer periode hin,
worin der germ. diphthong im salfrk. noch keine contraction
erlitten hatte (vgl. § 190 a). Wegen vulgärlat aei, ei (disylla-
bisch) für a-i vgl. Schuchardt, Der vocalismus des vulgärlat
1,204. 3, 111. 186; diesen Schreibungen zufolge ist dem ai von
laisum etc. ein lautwert a«-i beizumessen (vgl. § 4;?). Das e
{ae, ÜB, q, vgl. s. 292. 293, anm.) von lesum etc. beruht auf an-
lehnung an die jüngere salfrk. entwickelung *Us (vgl. § 156
zu cheristaduna); wegen lisum vgl. § 4a. Die neben -um bUl
und -am 9 auftretende endung -io, -ium begreift sich als die
folge von anlehnung an gremio, -tum. Das -i- bez. -e- Ton
lesiuuerpisse, leseuuerpo (yeiT.lesiuuerpo) ist die lat compositions-
fuge (§ 5ß).
§ 145. Der salfrk. beamtenname, über dessen bedeutung
'gaurichter' (der u. a. im ungebotenen ding den vorsitz führte)
[nicht 'Vorsteher der hundertschaft'] man Brunner, Deutsche
rechtsgeschichte 2, 150 f. gegen Waitz, Das alte recht der sal.
Franken s. 135 ff. und Sohm, Die fränk. reichs- und geiichts-
verfassung s. 71 nachsehe, ist in unserer Lex verschiedentlich
überliefert, und zwar zum teil in lesarten, aus denen sich das
in Vergessenheit geraten des wortes in jüngerer periode ei^bt
(vgl. auch Sohm s. 264 ff.): thungintAS, -um^-e 271,1b. 273,1b.
289. 298. 316, 2b. 379, lx (tunchinum, -ium 385, LXiii mit tünch-
für durch Versetzung entstandenes ^tungh-), thunjnnus, -um, -o
274,1b. 292. 301. 319,2b. 382,1b durch verschreibung von js
') Die endimg -am begegnet nur in der Heroldina, daselbst aber wider-
bolt. Doch dürfte die Zuverlässigkeit dieser belege angesichts der sonst
durchstehenden -um, -o, -u zn bezweifeln sein, zumal sich das laisam stets
in der unmittelbaren naohbarschaft Ton festucam findet
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zu DEN HALBEBGISCHEN GLOSSEN. 144—145. 457
für g (§ 39)); tunginus, -um 272, Ib. 276, Ib var. 277, Ib. 278, Ib.
290. 294 var. 299. 300. 304. 305. 317,2b. 318,2b. 381, lx.
384, Ib. var. 386,1b, tunginius 291. 300 (wegen tungyne 317,
tungire 318 vgl. § 3g> und o\ einfacher Schreibfehler liegt vor
in tuginus 299, tuncginum 386, Ib var.); iunzintts, -um, -o, -e
{-em), 'i 275,1b und var. 276,1b var. 293. 294. 302 und var.
303 var. 320,2 b und var. 321, 2 b und varr. 322,2 b. 380,lxii.
383, Ib und var. 384, Ib und var., tunzinio 303 (auch tumzinus
276 var. 294 var., tunzinnus 294 var.; wegen zonzinus vgl. § 2€
und 4a). Vgl. auch noch in der oben § 141 zur spräche ge-
brachten Veroneser formel tongino. Von den für das wort
vorgeschlagenen etymologien kommen zwei in betracht:
Mtillenhoffs (bei Waitz, Das alte recht u.s.w. s. 294) thungin,
urspr. part. prt. = ags. fiun^en, afi. githungan 'trefflich, an-
gesehen' und Kerns (K § 228) thungin, durch -in gebildetes
derivatum mit zu thmngan gehörender schwacher ablauts-
stufe, also eig. = 'rector, Vorsteher (des gerichts)' (vgl. ahd.
zu sceffen stehendes sceffin = 'der ein urteil schafft') 9. Nur
dürfte die erstere mit rücksicht auf die bei solcher annähme
zu postulierende bedeutungsentwickelung weniger einleuchtend
erscheinen. Das th von fhunginus etc. vergleicht sich dem th
von bei Ducange verzeichneten thainus, theinus (ags. öesn\
theodisca lingua, thingare, -atio und von aus der Merovinger-
zeit überlieferten eigennamen Theodegiselus, Theudoaldus, Theo-
dobaidus, Theodoberthus, Theodegildis u.s.w. (wegen der belege
s. die indices zu den Scriptores rerum Meroving., Mon. Germ,
tom. 1 und 2); es weist (wie das th in anthmallus und mithio,
s. § 185. 180) auf einen versuch hin, die german. spirans durch
aspirierten tonlosen dental widerzugeben und bildet so ein
gegenstfick zum ch = germ. A ia chrannis, machahim u.s.w.
(s. oben § 10).*^) Das t von tunginus etc. repräsentiert ein
*) Wegen Grimms deutungsvorschlag s. MüUenhoif a. a. 0. ; wegen von
Amiras ableitung des Wortes ans thurik (Pauls Gmndriss 3*, 123) Kögel in
Beitr. 16, 513 f. ; gegen von Amiras tunckinium = placitum spricht ausser-
dem der umstand, dass eine vergleichung der belegstelle, tit. LXTTT der
Heroldina, mit den correspondierenden stellen der anderen hss. ergibt, dass
iunchtmum auch hier den beamtennamen repräsentiert: das 4n' vor dem
nomen steht einfach in folge von durch vorangehendes 'in mallum' ver-
anlasster verschreibung für das *ante' der anderen hss. •) Wegen in
früherer periode entlehnter formen mit ih v^l. ThingsuSj Thuringi,
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458 VAN HBLTEN
anderes Substitut fflr p (vgl. auch tainus in Schmidts glossar
zu den Gesetzen der Angelsachsen, die bei Ducange yerzeich-
neten teotisca, tingatio und in den Scriptt. rerr. Merov. Teodvifus
1,648,43, Teodegisilusi\>.\U,Zh, Teudegüdis \\i.l^ljSl, Teodt
bertus ib. 2, 309, 31. 138, 22, Teudechildis ib. 138, 23, Teudeündis
ib. 120, 1 U.S.W.). Die belege mit suffibc -ius, -tum, -io erhielten
dieses durch aulehnung an den beamtennamen centenarius,
§ 146. Für den fall, dass die oben § 144 erw&hnte erb-
einsetzung angefochten wurde, musste dem betreffenden titel
zufolge durch verschiedene Zeugenaussagen der beweis geliefert
werden, dass die vorgeschriebenen formalitaten allesammt statt-
gefunden. So u. a. dass der zweite halmwurf , den d^ tren-
händer 'aut ante rege aut in mallo legitimo' (d. h. im un-
gebotenen, echten ding) vorzunehmen hatte, wirklich erfolgt
war: ^ista omnia iüi älü testes iurati dicent et hoc, quod in
mallo ante regem uel legitimo maüo publico iUe, quem (1. qui)
accepit in laisum furtuna ipsa (d.lL der treuhänder, der vor
dem könig oder im gebotenen ding durch schosswurf das be-
treffende vermögen in empfang genommen), aut ante regem
aut in maUo publico legitimo, hoc est in mallohergo ante
teoda aut thunginum, furtunam iüam quos heredes appdlauü
publice coram populo fistucam in laiso iactasset (den erben,
welche der vergebende genannt hatte, öffentlich durch
halmwurf übergeben hat)'. Hesseis 298. In den gesperrt ge-
druckten (mit auslassung von 'in mallobergo' auch in den
sogenannten nicht glossierten hss. der dritten familie, vgL ob^
§ 1^, und in der Emendata überlieferten) woi'ten haben Sohm
(Die fränk. reichs- und gerichtsverfassung s. 69 und 558 ft) und
Kern (K § 227) die durch latinisierung entstellte malb. glosse
zu ante regem . . . publico erkannt. Nur irrte sich ersterer
darin (s. anm. 40 auf s. 69), dass er, das vor thunginum stehende
aut als copulativ fassend und teoda unrichtig deutend, die
glosse durch 'vor volk und thunginus' übersetzte: der dem
(ante) thunginum zu gründe liegende teil der glosse = -vor
dem im ungebotenen ding den Vorsitz führenden thungin' (vgl
§ 145 im eingang) besagte wesentlich dasselbe wie in maUo
publico legitimo] in dem prototypus von ante teoda ist denmadi
die entsprechung von ante regem zu erblicken. Kern hat
scharfsinnig und treffend dem ante und aut salfrk. ani und
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zu DEN MALBERGISOHEN GLOSSEN. 145—147. 459
"^oiho ZU gründe gelegt, und zwar ersteres, indem er, an ags.
and coram in hcefdon gUam and driam and heora ardfruman
anknüpfend, salfrk. ant 'in gegenwart von, vor' ansetzte; nur
möchte man statt Kerns ant nach § 63 *anthi lesen. Es hätte
demnach als die ans des glossators feder geflossene lesart zu
gelten: *anthi theodan (wegen des eo vgl. § 190a am schluss)
otho thungin. Das -a von teoda entstand natärlich durch
latinisiemng von -an (vgl. § 120 am schluss und 121); t für th
(nach § 6j3). Als Varianten von ante teoda begegnen: anteuda
299, ante deuda 300, ante theuda 301, ante theoda 302, anteoda
(cod* 7 und in den sogenannten nicht glossierten hss. der dritten
familie), antheoda (cod. 8), antehoda (cod. 9; in der näheren
vorläge dieser hss. stand also antheoda 303), ante theada 304
(Her.). 305 (Emend.); das d für th von deuda durch verschrei-
bung (nach § 2j3) oder durch assimilierende Schreibung (nach
§ 2 c); wegen et* für ^o s. § 4a; ea steht für eu durch Ver-
lesung (§ 3 a) oder für eu bez. eo durch assimilierende Schreibung
(§26); aus dem constanten -a der lesarten geht bereits in vor-
läge X' vorhandenes -a hervor.
§ 147. De filtortis, qui lege salica (salica lege) uiuunt
301. 304, de feltortis, qui lege salica uiuant (uiunt) 302,
de feltortus, qui lege salica uiuent 299, de filtortus, qui
legem salicam uiuerit 300, de filtortis 298. 305, de filtorto
303. So lautet die Überschrift des titeis, der für den besitzer,
wenn er sich nach stattgefundenem anefang (über diesen vgl.
Brunner, Deutsche rechtsgeschichte 2, 495 ff.) auf die dritte
band beruft, aus der er die sache erhalten habe, das stellen
eines gewähren vorschreibt, der die durch verkauf oder tausch
oder Schuldzahlung erfolgte Übertragung aus seiner band in
die des gegenwärtigen besitzers bezeugen soll: et si intra Li-
gerim (die Loire) aut Carbonariam out citra mare ambo manent,
et qui cognoscitur (1. cognoscit) (d. h. der den anefang vor-
genommen hat) et apud quem cognoscitur, in noctes xl placttum
faciant et in ipso placito quanticunque fuerint, qui rem ipsam
uendiderunt aut camhiauerunt aut fortasse in solutionem dede-
runt, omnes intra placitum istum commoneantur. Hiemach ist
für filtortus ete. die bedeutung 'gewährsmann der geschäftlichen
Übertragung' zu vermuten.
Eine beßtätigung solcher fassung gibt aber eine das näm-
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460 VAN HELTEN
liehe wort enthaltende novelle unserer Lex (bei Hesseis s. 412,
xcix bez. Lx villi): der besitzer von durch anefang betroffenen
Sachen soll, wenn er die einrede erhebt, dass er die sacken
ererbt habe, durch zeugen beweisen, dass er dieselben im
nachlass seines vaters gefunden und wie sie dieser erworben
habe; bei erbringung beider beweise bleibt er im besitz der
Sachen; kann er nur den ersten beweis liefern, dann se de
damno ccbusa eliberat (erledigt er sich des processes vermittelst
des damnum, d. h. des Verlustes, der herausgäbe der Sachen,
hat also keine diebstahlsbusse zu zahlen); si nee istud fecerii,
ilU, qui eas intertiauit, suo feltroctum {-um für -ö; var. /i7-
torto) se causa eliberat (die drei letzten worte als ellipse
aus dem vorangehenden zu folgern) (dann erledigt sich der
den anefang vorgenommen hat des processes durch das stellai
seines gewährsmannes und hat folglich der verklagte die
diebstahlsbusse zu entrichten). Vgl. zu diesem rechtesatz
JBrunner, Deutsche rechtsgeschichte 2, 507 1 und Geffcken, Lex
Salica s. 253.
Mit rücksicht auf diese bedeutung ist für den salfrk.
prototypus des entlehnten Wortes ein compositum zn postu-
lieren, dessen erstes glied ^Übertragung' und dessen zweites
'gewährsmann' bezeichnete. Letzteres aber dürfte man ge-
winnen bei anknüpfung an die sich aus got. gatarhjan 'zur
schau tragen' und 'tadeln' (d.h. 'auszeichnen in malam partem'X
as. ags. torht clarus, insignis ergebende, griechischem ö^Qxo§iat
etc. entsprechende wurzel tarh, turh: hierzu ein salfrk. nomen
agentis mit urspr. suffix -tu *torht 'gewähre' (vgl. got. hUflnis,
an. vdttr aus *wahtus, u.s.w. und beachte Kluge, Nomin. stamm-
bild. § 29), für dessen h bei der entlehnung das Substitut c ein-
trat (wie in dructe, -i L. Sal. 77, 14. 78, 6. 80, 10 varr. 424, sp.3
aus salfrk. durch dructhe etc. und dructe etc. der glossen,
s, § 138. 140, belegtem druht, -i,0 das in der folge durch
assimilierung an das t erdrückt wurde: feltroctum (versdirei-
bung für feltorctum) und fei-, filtortis, -us, -ö. Für das andere
compositionsglied sind in formeller hinsieht got. -fiOt, in seman-
tischer ahd. as. Ufelhan 'übertragen' zu berufen; hiemach
1) Neben dnicte etc. erscheint auch als gallorom. form druchte 80, 10
mit ch wie in chrannis u.s.w. § 10. Die 80, 10 var. und 79, 10 überlieferten
druhte, drtUhe sind offenbar Yerscbiieben für solches druckte.
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zu DEN MALBEBGI8CHEK GLOSSEN. 147—148. 461
wäre für das saJfrk. ein subst. *felh 'Übertragung' anzusetzen,
dessen bei der entlehnung durch c widergegebenes A ebenfalls
durch assimilierung schwand (das i für 6 zu beurteilen nach § 4 a).
§ 148. Für die etymologie des aus der vulgärlat. gericht-
lichen terminologie bekannten sunnis, sonnis, sunnia, sunia,
sonia 'echte not' (wegen der belege aus der L. Sal. s. Hesseis'
index, 0 wegen anderer belege s. Ducange L v.) sowie der gleich-
bedeutenden ahd. sunne der Übersetzung der L. Sal. (bei Hesseis
s. XLiv, 2) und an. nauösyn hat Grimm (Rechtsalt. s. 848) an.
syn 'ableugnung, Verweigerung, ablehnung' und (Gramm. 3, 502)
got. sunjuns djtoXoyia berufen. Kern (K § 231) schwankt
zwischen anknüpfung an as. sunnea 'not, drangsal' und got
sunjGn 'rechtfertigen'. Die häufige Verbindung von sunnis
etc. als subject mit 'tricauerit', 'detinuerit', 'tenuerit' stellt es
ausser frage, dass identificierung des wortes mit as. sunnea
und 'Syn in nauÖsyn 'notwendigkeit, di'ingende reise, dringen-
des geschäft' das einzig mögliche ist; dass an. syn negatio,
recusatio seiner mit dem begriff 'notwendigkeit' unvereinbaren
bedeutung wegen hier fernzuhalten; dass dasselbe zu gelten
hat für sunjän, das seine bedeutung 'Justificare' (vgl. gasun-
jöda warp handugei edcxaiciü^f/ i] öo^la 2. Cor. 12, 19; ei sun-
jöma uns wißra izwis ort v/iIp dnoXoyoviitd-a) aus einer für
sunjis nach ags. soö justus, an. sannr 'recht, billig' anzu-
nehmenden bedeutung 'justus, rectus' herleitet. Rücksichtlich
der form sind sunia etc. und sunnis etc. auf germ. *swn2, flect.
*sunnja zurückzuführen: lat. -is für -t, lat. -ia durch anlass von
'ja; wegen des o für u vgl. § 4a; dass die lat. n und nn nicht mit
germ. n und nn in Verbindung stehen, ergibt sich aus § 4 g.
Für soniis (abL pl.) steht in der Überschrift einer novelle
agsoniis 411, ci, dessen ag- an das aga- 'beunruhigung (pass.)'
von *agauefa (§ 136) erinnert; also im salfrk. als tautologisches
compositum mit nauösyn zu vergleichendes *agasuni, -nnja,
woraus bei entlehnung *agasonia (wegen des o vgl. § 4 a)
oder vielleicht durch substituierung von -i- für -a- (§ 5ß)
*agisonia] [als auf *agisoniam zurückgehende entstellung hat
wol das acloniam zu gelten (c für g und Z für i nach § 2^.
>) Wegen der entsteUungen sumnis nnd mmis (für sunis oder sunnis)
Yg\'%2yjmdß. In stmnes steht e für % (nach §4a); ebenso in sontes,
yerschreibung für aonis oder sonnis.
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462 VAN HELTENf
Sfi nnd ausserdem ausfall von s) in sed quia Heldebemus ibi
non venu nee suam Äcloniam denuntiavit, in omnibus ffeUhms^)
apparuit: tunc judicaverunt ipsi scabinei iLS.w. bei Dacange
aus einer Notitia judicati in Charüs Burgundicis Perardi citiert].
Einer fassung von ctg- als entstellung aus act- (E § 284) wider-
setzt sich das g der Überlieferung.
§ 149. Zu 'si quis falsum testimonium preberit ael inra-
uerit' steht calistanio 308, 1 (cod. 2), dessen e und m (nach
§ 6/9 und 3 g) aus c% bez. m hervorgegangen sein können. Durch
die annähme dieser entstellungen und eines ausfalls von s vor
dem zweiten a erhält man eine lesart *chalistsamo, die hier als
entsprechung von ^falsum testimonium preberit' völlig passend
ei-scheinen dürfte: 3. sg. praes. opt eines zu Histsam *hinter-
listig' gehörenden schwachen verbums zweiter klasse (w^ien
des tempus vgl. § 8; wegen ch als Schreibung für jr & § 6/9).
§ 150. In zu *si (testes) uenire noluerint et (e)os snnnis
non tricauerunt' stehendem uuidridarchi 316,2 (cod. 1) oder
dessen prototypus ist ein sich auf zeugnisverweigemng be-
ziehender ausdruck zu erblicken. Die lesart uui€H kann
durch ausfall von -o auf *uuidrio zurückgehen, d. h. eine
3. sg. praes. opt. (wegen des tempus vgl § 8) von zu uuidri
(s. § 142) gehörendem *uuidriön (vgl. ahd. widarGn abnaere).
Für darchi ist ein salfrk. aus der entsprechung von got,
'tarhjan (s. § 147) gebildetes verbale *tareh% 'zeugnis' anzu-
setzen (wegen der endung beachte § 5 a, wegen des a § 36,
wegen der Schreibung ch § 6/9) und an die vulgarlat sub-
stituierung von d für ^ (§ 4/) zu denken.
§ 161. Zu *et si ei noluerit fldem facta soluere' begegnet
in cod. 1 thalasciusco 316, 1, in cod. 2 huc chram miio 317, 1.
Ersteres erinnert an an. iQskr 'träge, nachlässig', dessen salfrk.
entsprechung *lase ein denominativ *galasciu *ich versäume'
ergeben konnte, das in der 3. sg. praes. opt (wegen des tempus
vgl. § 8) "^galaseie oder -ia lautete (wegen -ia s. § 79, wegen
des nicht umgelauteten a § 36); aus letzterem, nach des glos-
sators Orthographie (§ 6/9) durch *chalascta dargestellt, ent-
stand durch Verlesung von f aus c (§ 3d), doppelschreibong
von sc (nach § 26) und antritt von lat. -o an das für snbst
>) D. h. jectivus (s. Ducange i. v.)-
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Zu DEN MALBEBQISCHSN OLOSSEIT. 148—152. 463
angesehene wort die überlieferte lesart. In der anderen glosse
vermutet man die entstellung eines als object mit *chdlascia
verbundenen Substantivs = 'fidem'. Nach den § 10 erörterten
volgärlat. entlehnungen achramire etc. ist für das saUrk. ein
in der bedeutung 'rechtsförmlich versprechen' verwantes verb.
*athram(m)ian zu postulieren; dazu ein verbale ^atchramüha
acc. sg. (ch für A nach § 6ß\ woraus die überlieferte lesai-t
durch vortritt von A (§ id), Verlesung von « aus a (§ 3 a) und
von c aus ^ (§ S6), doppekchreibung von m (§ 4 g, es sei denn
dass das verbale mit aus den verbalformen entlehntem mm
gesprochen wurde), Schreibung von t für th (§ 6ß) und sub-
stituierung von -0 für -a durch einfluss von einstmals voran-
gehenden ihalasciasco oder einer Vorstufe derselben (vgl. § 2e).
Wegen der Verschiedenheit der in cod. 1 und 2 überlieferten
glosse beachte die anm. zu § 188.
§ 162, Nach tit. L (bez. LI. LXXXV etc.) *de fides factas'
hat der gläubiger am stipulierten Verfalltage, mit Schätzungs-
leuten (die zugleich als zeugen fungieren) in des Schuldners
Wohnung zu gehen, um die schuld zu erheben. Zahlt der
Schuldner nicht (der hierdurch in eine Verzugsbusse von xv sol.
verfällt), dann soll ihn der gläubiger gerichtlich vorladen und
im darauf abzuhaltenden mallus (der dem gläubiger die ge-
legenheit gibt, sein recht zu beweisen und die Verurteilung des
Schuldners in die Verzugsbusse herbeizuführen, dem Schuldner
die gelegenheit bietet, die schuld zu bestreiten, vgl. Brunner,
Deutsche rechtsgeschichte 2, 447, 17 und Geffcken, Lex Salica
s. 194) folgenderweise die processuale formel nexü canthichius
sprechen {sie nexti canthichius mallare debet): rogo te, thun-
ffine (wegen dieses beamten vgl. § 145), ut nexti canthichus
gascLcio (Widersacher, partei) meum illo, qui mihi fidem fedt
ei debitum debet Dann spricht der thunginus: nexthe gan-
thiehio ego illo in hoc, quod lex salega ait
Grrimm legt den beiden formein (von denen die erste ein
verbum in der 2. sg. praes. opt., die andere ein verbum in der
1. sg. praes. ind. enthält) einen symbolischen Charakter bei
(s. MlivI) und fasst dieselben als 'flbulE, torque stringas'
bez. '-o', dann unsinnlich 'arctius astringas' bez. '-o'; next(h)i,
-e soll auf einen dat. sg. neste zu nest = an. nist fiubula zurück-
gehen, c(h)(mtigiu, -o dem ags. hentan 'ergreifen' entsprechen
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464 VAN HELTfiH
und verlängerte flexion haben wie ags. sealfi^e, neri^e. Das
missliche der annähme eines langsilbigen ^a-verbs mit snffii
'ig- fällt sofort ins äuge. Müllenhoff (bei Wadtz, Das alte
recht der sal. Franken s. 290 f.) erblickt in t(h)icJi(f)us nnd
(Mchio verbale formen zu Hhig{g)en = ahd. diggen, as. ihiggian
(ex)petere und zerlegt den ersten teil der formein in nisti
oder nichsti 'mit haft' und chandi *mit hand' und schlägt
eine Übersetzung vor durch 'forderst, fordere mit haft mid
band (band und band)'. Seiner fassung von t(hytchius etc. ist
allerdings beizupflichten (s. weiter unten), doch widersetzt sieh
dem chandi unbedingt das t bez. th der überlieferten lesarten
(vgl. auch die unten zu verzeichnenden Varianten); ausserdem
aber wäre für eventuelles salfrk. nest nach an. nist wol eine
bedeutung 'spange', nicht aber die von Müllenhoff postulierte
in anspruch zu nehmen. Kern (K § 238) schlägst eine teflung
vor in nextich, nestig, das er mit ags. neahst, an. tuest in Ver-
bindung bringt und als adv. = ^most closely' fasst, nnd an-
thichio, 'ias 4ntercedo, -as* (zu ahd. diggen intercedere) bez.
antichio, -ias 'mallo, -es' oder 'constringo, -as' (bez. zu ags.
intin^a causa oder ^ety^an constringere). Indessen verbietet
das constante a der glossen = a (§ 44), die für nextidi etc.
vorgeschlagene fassung zu acceptieren, und durfte die beredi-
tigung einer annähme von gedachtem antichio, -ias nicht ausser
frage stehen, noch ungerechnet dass es sich nach § la nicht
empfehlen dürfte, die formdifferenzen der überlieferten lesarten
auf verschiedene Prototypen zurückzuführen.
Nach § 4j3 kann das e von nexti etc. ein s aus ai repräsen-
tieren. Bei berufung von got. {ga)aistan ipzQijteaß'cu, 'respec-
tieren' begreift sich so ein nach art von ags. ncefs^ inops (ans
ne + hmfes) mit n(e) componiertes, im acc. sg. masc stehendes,
durch Suffix -lg gebildetes adjectiv *nestlgan, das in verbindong
mit einer 2. sg. praes. opt. Hhichias (mit ch als Schreibung
für g, vgl. § 6^9; wegen -a- der optativendung s. § 113) bez.
1. sg. praes. ind. Hhigiu (das einfache g der beiden formen
durch analogie; wegen der zweierlei Schreibung des g vgl.
unten das überlieferte material) die formein bildete: *(dass)
du (zur Zahlung) aufforderst' bez. 'ich f ordre (zur zaUung)
auf als seiner Verbindlichkeit nicht nachkommend'; vgL wegen
der semantischen entwickelung vulgärlat. di-, despicere^ con-
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Zu DEN BIALBERGI8GHBN GLOSSEN. 152. 465
temner e * seine rechtliche Verpflichtung nicht achtend versäumen
zu ...' in si quis ad mallum uenire contempserit Lex Salica
352. 854. 355. 357. 359; si quis ad mallum uenire dispexerit
ib. 356. 358; et si adhuc tunc rachinhurgii despexerint nee
legem dieere uolunt 368,2; si ad ipso placito (ipsum placitum)
uenire dispexit (despexerit) ib. 414, 6; u.s.w. Aus diesen
im ursprünglichen text stehenden formein *nestigan thichias
(zweimal), *nestigan thigiu aber lassen sich die überlieferten
lesarten sammt und sonders als durch Unkenntnis und Unacht-
samkeit der Schreiber entstandene entstellungen herleiten:
cod. 1 s. oben — cod. 2 nextieantigyus (zweimal), nexticanti-
gium ego — cod. 3 nestiganti huius, nestiganti his, nestigante
ego — cod. 4 ti cantidios, instigante cuius, instigante ego —
cod. 5 nestigante, nestio, nestigantio ego — cod. 6 nestigante,
nestigantio, nesiigatio ego — cod. 7. 8 nestigante huius,
nestigante, instigante ego — cod. 9 nestegante uius, nesti-
gante, inestigante ego — Her. nestigantio, ne istigante, ego
nestigantio.
Für die erste formel ist als die in vorläge X^ (vgl. § IjS
und 188) stehende lesart *nestigan tichius (t für th nach § 6^9;
"US für -as nach § 3 a), für die andere nestigante ego (t für th,
e tiiT i und -o für -u nach § 4a und ego durch Umstellung)
vorauszusetzen.
Durch verschreibung von c für g (§2ß) entstand in vor-
läge X* *nestican tichius, woraus: nexti canthich{i)us mit x
für s (vgl. s. 386, anm.), th für t (nach § 2d oder 7a); nextiean-
tigyus mit X für s, gy für gi (§ 3 9)), dessen g für c aus ch
steht (§ 4y. 6/3); nestiganti huius bez. his durch Schreibung
von 5r f ür c (§ 4y), ausfall von c (§ 6y) sowie quasi-correctur
von hius in lat. huius bez. ausfall von w; ti cantidios durch
ausfall von nes, verschreibung von d für ch (§ 2j9) und Schrei-
bung von 0 für u (§ 4 a), instigante cuius mit in für ni aus
ne (§ 4a), g für c (§ 4y), e für i (§ 4a), c für ch (§ 6^9) und
quasi-correctur von cius in lat. cuius. Durch Schreibung von
e für i (§ 4 a) bez. ausfall entstanden für X^ anzusetzende
^nestigante chius (oder vielleicht bereits huius durch ausfall von
c und quasi-correctur von hius) und nestigante, woraus die
lesarten von cod. 5. 6. 7. 8. 9 und der Heroldina {4io durch an-
tritt von '0 nach § 5a und Schreibung von i für e oder durch
Beiträge sur geschichte der deutschen spräche. XXV. gQ
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466 VAN HETiTBK
einwirkang von folgendem nestigantio; ne istigante dnrch tren-
nung in ne und stigante, dem nach § 6a ein i- Yorgefngt
wurde; vor nestigante steht in cod. 5. 6 die praposition cum,
welche der Schreiber der näheren vorläge dieser hss. ein-
schaltete, indem er das woi*t für im abl. stehendes pari. praesL
ansah: ad maUum manire et sie cum nestigante mo^Zore).
Aus in X2 übergegangenem nestigante ego gieng hervor:
nexthe ganthichio ego durch Schreibung von a; für ^ wie in der
voranstehenden lesart der ersten formel, von (h far t {^ 26
oder 7 a) und e fm^ i, sowie durch teilweise entlehnnng von
thichius aus der voranstehenden lesart (statt -us wurde -o ge-
schrieben als lat. Verbalendung); nexticantigium ego durch
Schreibung von x und c wie in der voranstehenden lesart und
teilweise entlehnnng von Higius (statt -us wurde zunächst die
Verbalendung -o geschrieben, die späterhin nach §5a durch
die nominale endung -um ersetzt wurde); nestigante ego (beachte
in cod. 8 zur Verdeutlichung des text^s eingefügtes teneoi nesti-
gante ego illum in hoc teneo, quod lex salica habet); instigante
ego mit in wie in der voranstehenden lesart. Ans ebenfalls
in X^ übergegangenem nestigante ego entstand: nestiga{n)iio
ego mit angetretener verbalendung; ego nestigantio statt des
nach der Überlieferung von cod. 5. 6 und der Heroldina für
X^ anzusetzenden nestigantio ego; instigante ego mit in für ni
aus ne (s. oben); inestigante, d. h. in estigante (vgl. das oben zn
ne istigante bemerkte).
Auch an einer anderen stelle unserer Lex, in tit LXXTUII
(bez. LXXIIII, im 3. capitulare), begegnet die zweite der er-
läuterten formein, natürlich wider in verderbter gestalt: si
quis debitorem suum per ignorantiam (ohne dass dieser durch
die pfändungsklage davon in kenntnis gestellt ist; vgl. wegen
dieser fassung des ausdrucks Zöpfl, Deutsche rechtsgeschichte
3,293,63. Brunner, Deutsche rechtsgeschichte 2, 448, 20. Geft-
cken. Lex Sal. s. 245) sine iudice pignorauerit, anteqtuxm eum
nesti canthe chigio (varr. nestigante higio, nestieani^
chigio), hoc es accusante (dieser commentar steht cod. 1. 11,
fehlt cod. 2), et debitum perdat et insuper, si male pignoraueriiy
cum lege componat In dem mit antequam eingeleiteten satz
fehlt augenscheinlich das verb. mallauerit: der Verfasser des
textes kann nur 'bevor er ihn durch die (vom vorsitzendea
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zu DEN MALBERGIBGHEN aLOSSEN. 152^-153. 467
des gericilts zu sprechende) f ormel nestigan fhigiu aufgefordert
hat' gemeint haben. Der ausfall von hiernach fUr die ursprüng-
liche recension zu vermutendem per begreift sich als die folge
des umstandes, dass der Schreiber in dem (nach § 4 a) für -u
eingetretenem -o der formel eine ablativendung erblickte. Aus
dem überlieferten material ist für die gemeinsame vorläge
nesticanthe chigio zu erschliessen mit c f&r g (§2ß) und durch
Schreibung von c für i und Verlesung von c aus ^ (§ 3(J) aus
dittographischem "^thithi hervorgegangenem the cht; wegen des
^ für c, < für th, h für ch und ^ für c s. § 4y. &ß. y. und
s. 293, anm. S. nachtr.
Einen indirecten beweis für die existenz eines salfrk.
verbums *Äston (= got. aistan) gewährt uns ferner die zu 'si
tunc (derjenige dem eine sache geliehen ist) noluerit reddere
nee fldem facere redd(end)i super debitum ei qui prestitit . . .
sol. XV culp. iud.' gehörende glosse necihanUo antesalina 838, 4
(cod. 6), nectanto 339, lxxxvii (cod. 7. 8. 9). Die mitunter vor-
kommende Verlesung von c aus 5 (§ 3?^) und der häufige antritt
von -0 (§ 5 a) berechtigen zur annähme von altem *nestanthi
{t für th und fÄ für ^ durch Verwechselung; nectanto mit -to
für *'thio oder *-<A6o), d. h. von einem abstractum mit suffix -l
zum part. *nestanthi (vgl. ahd. keiandi gratia, wesanti materia
U.S.W. und s. auch K § 242) aas *ne + estanthi (wegen -a-
aus -e- des schwachen verbums 3. kl. und wegen th des suffixs
beachte § 70); als bedeutung ist *nichterfüllung der Verbind-
lichkeit' anzusetzen; der form nach kann ein nomin. oder ein
casus obliquus vorliegen. In antesalina erkennt man bei be-
rücksichtigung von in § 63 erkanntem salfrk. anthi- ein zu
*anthtsal(t)en (-en für -tan, vgl. § 9 zu -e aus -ia) gehörendes
verbale ^anthisalln + lat. a (§ 5 a), dem nach ahd. ingeltun,
BS. antgeldan 'büssen' die bedeutung *busse' beizulegen ist
(wegen des th von anthi- vgl. § 63, wegen des nicht umgelau-
teten a § 36, wegen t für th und « f ür i § 6/S und 4a). Es
ist demnach nestanthi als gen. sg. zu fassen und für die ganze
glosse die bedeutung 'busse wegen nichterfüllung der Verbind-
lichkeit' geltend zu machen. Bei Her. steht als rest der älteren
lesart tauthe mit u für n (§ 3jr).
§ 158. Der paragraph unserer Lex, der von einer (oder
der?) function der durch saciharonea etc. bezeichneten könig-
30*
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468 VAN HELTBN
liehen beamten handelt (paragr. 4 von tit. Lllil bez. LV etcX
ist in allen Codices mehr oder weniger verderbt überliefert:
glücklicherweise jedoch nicht so, dass aus demselben nicht mit
Sicherheit folgender Inhalt herauszulesen wäre: in jeder gerichts-
sitzung brauchen nicht mehr als drei sacibarones zugegen m
sein; wenn dieselben anlässlich eines processes wegen
ihnen gezahlter gelder rechtsförmlich erklärt haben, dass
irgend welche bezahlung stattgefunden, dann soll die Zahlung,
worüber sie quittiert haben, nicht noch einmal vor dem grafen
geltend gemacht werden. Vgl. sadbaronis uero in singulis
mallibergiis plus quam tres non debent esse (so der erste teil
des Paragraphen nach cod. 1; die anderen hss. weichen hier
nur in für den inhalt unwesentlichen stücken ab;^) cod. 3 und 4
haben si quis in singulis malbergis bez. si quis sctcehorranem
in singulis malbergis durch einwirkung von si quis sctdbonme
bez. si quis saceborronem des voranstehenden para^^raphen); et
si de causa aliquid de (d. h. de eo) quod ei (1. eis) soluetur (als
praes. zu fassen mit e statt % vgl. § 4«) factum dixerii (L -inti
hoc ad grafßone non remouatur, Kunde Ulis (1. iüt) securiiatem
fecerint (so der zweite teil nach cod. 4, der hier von den hss.
der ersten familie den am wenigsten verderbten text darbietet:
die änderungen beruhen auf einer besseren lesart anderer
Codices; statt remouatur haben cod. 1 und 3 requiratur; die
jüngeren, in cod. 5. 6. 7. 8. 9 und der Heroldina überlieferten
recensionen kennzeichnen sich durch eine etwas knappere
fassung.2)
Nach Brunner (Deutsche rechtsgeschichte 2, 152; vgl. auch
Sohm, Der process der L. Salica s.235f.) sollten diese sacibarones
den pueri regis der Lex Burgundionum, *qui multam per pagos
exigunt' (wittiscalci genannt), nahe stehen, wäre also in onserem
0 Mit ausnähme der L. emendata, welche den wichtigen (?) commentar
zu maUohergns id est plebs quae ad unum mdllum conuemre sdei enthalt
^) Cod. 6. 5 : et de causa unde eis aliquid sohdtur et sanum dixeritU
hoc ad graphiofiem non remouatur, unde iUi securitaUm fecerint Her.: et
si de caussa iüi aliquid Sanum dixeriniy pendtus grauio nullam habeat
licentiam remouendi. Cod. 7. 8. 9: et si de causa aliqua ante iOos aliqu^
factum fuerit, penitus grafionem (acc. pro nomin.) remouere nati posseL
Wegen aliquid sanum dixerint als yar. von (aUquid) factum dixerint
'etwas für berichtigt erklärt haben' vgl. ital. sano *wie sichs gehört' nnd
ndl. de zaak ts gezond 'die sache ist richtig, im reinen*.
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zu BEN MALBBRQISCHEN GLOSSEN. 153. 469
Paragraphen die rede von dem flscus zukommenden geldem;
für den fall aber müsste man als die vor graffione etc.
stehende präposition a oder ab und nicht ad erwarten, das
als in cod. 1. 3. 4. 5. 6 durchstehende lesart i) schwerlich mit
der in mlat. hss. vereinzelt angetroffenen verschreibung ad
für a(b) (s. Hesseis' index i. v. ad und Mon. Germ. Scriptt.
rerr. Meroving. 1, 929) in eine linie zu stellen ist Eben dies
ad weist entschieden darauf hin, dass der Verfasser des Para-
graphen an gelder dachte, deren Zahlung eventuell, wenn die-
selbe nicht schon vor den saciharones erfolgt war, vor dem
grafen als executivbeamten von der in einem process ob-
siegenden partei geltend zu machen war. Das quod eis sol-
uetur ist mithin als die busstaxe zu fassen, die in die bände
der saciharones gezahlt wurde behufs überantwortung der-
selben an die in folge eines Urteils zum empfang solcher busse
berechtigte partei. Dass ferner diesen beamten als colle-
gium die befugnis der quittierung zukam, geht hervor aus
der bestimmung, dass die anwesenheit dreier saciharones in
jeder gerichtssitzung genügte. 2)
Für die etymologische deutung des im oben erwähnten
und in den zwei daran vorangehenden Paragraphen begeg-
nenden beamtennamen gewähren uns eine nicht zu verschmä-
hende hilfe das aofries. starke femin. hare 'klage' (s. v.Kicht-
hofen, Wb. i.V.) und das hiermit identische awfries. 6aer 'schieds-
gerichtliches gutachten' (s.v.Eichthofen undBeitr.l9,374,anm.3),
zu altem *bar 'offenbar' gehörendes er-derivatum (vgl. got J>arba,
*) Wegen cod. 7. 8. 9 und der Heroldina, wo die präposition fehlt und
durch änderung der älteren recension das remotiere dem grafio prädiciert
wird, vgl. s. 468, anm. 2. Die lesart von cod. 2 hoc grafimium remoueat
geht wahrscheinUch zurück auf h. grafio non rem.
^ Beachtung verdient die änderung, welche der passus unseres Para-
graphen si de causa . . . dixerint in einer jüngeren recension des textes (s.
die Emendata, woraus diese recension in die zweite Heroldsche hs. und die
jüngeren hss. der dritten familie, d. h. BFGH, übergieng) erfahren hat (die
£mend. entstand bekanntlich im anfang der regierungszeit Karls des
grossen): si causa aliqua ante iUos legibus (secundum legem) fuerit definita.
Das amt des sacebaro war in der Earolingerzeit geschwunden (Brunner,
Deutsche rechtsgeschichte 2, 172) und in folge dessen auch die erinnerung
an die function dieses beamten der Vergessenheit anheimgegeben; das causa
des textes legte den gedanken an eine vor den sacebarones geführte rechts-
sache nahe.
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470 VAN HBLTBN
triggwa zaparbs, triggws, ahd. wara *obhut' zu fear, hösa *hart-
herzigkeit' zu hüst) zunächst = * Öffentlichkeit', dann durch
Übertragung = 'an die öffentlichkeit gegebenes' bez. durch
semantische einschränkung = 'gerichtliche klage' oder 'rechts-
förmlicher schiedsmannsspruch'. Aus hiemach für das salfrk
anzusetzendem, durch eine ähnliche begriffliche entwickelung
'rechtsförmliche quittierung' bezeichnendem *baru entstand ein
durch Suffix -an gebildeter und mit *sacar 'process' compo-
nierter personenname (= 'der anlässlich eines processes rechte-
förmliche quittung abgebende beamte', vgl. das de causa d^
textes), der als *sacäbaro, flect. -un (im acc. sg. und nom. ace.
pl.) bei entlehnung in die galloroman. gerichtssprache soaS
sacebaro, 'One(m), -ones etc. ergeben konnte (lat compo^tion^
fuge i- bez. -e- für salfrk. -a-, vgl. § bß).
Aus daneben überlieferten, verschiedentlich entstellten
lesarten ergibt sich, dass wenigstens den späteren copisten
der name nicht bekannt war: saci-j sacehorone, -is 344, 2. 3. 4.
845, 2. 3 mit o für a durch assimilierende Schreibung (§ 2s):
sacerhorone (§ 26); saceborronem 346, 2. 3. 4 mit rr für r (§ 4C);
sachibarones, -em 347, 3 var. 349, 4 mit vulgärlat. Schreibung
für c (vgl. Schuchardt, Der vocalismus des vulgärlat 1, 73);
sagibaronem, -es 348, 2. 3. 4b varr. mit jr für c (§ 4 7); sagy-
baronem, -es 348, 3. 4 b var. mit y für i (§ 89)); sagsbar{r)on€(m\
'is 348, 2. 3. 4b und var. mit gs für *gis aus gy (§ 16); sax-
barone 348,4b var. mit x für gs; u.s.w.
Grimms 'der (das gesetz) sagende mann' (mit baro 'mann;
s. Rechtsalt. s. 783), Müllenhoffe 'vir litis, causae forensis' (saca
+ baro, s. Waitz, Das alte recht der sal, Franken s. 292) und
Kerns 'veröffentlicher einer (auferlegten) geldstrafe' (K § 244)
werden der aus dem text sich ergebenden function des beamteo
nicht gerecht. Dasselbe gilt für Kögels 'königsdegen, der einem
anderen, höheren folgt, ihn begleitet, ihm zur hilfeleistung zur
Seite steht' (sagt- 'folgend' und -baro 'königsdegen', s. Z& fda.
38, 13 ff.): die sacebarones waren ja Stellvertreter, nicht be-
gleiter des grafen. Gegen Sohms 'einforderer einer busse' (Die
fränk. reichs- und gerichtsverf . s. 94) wäre dieser einwand nicht
zu erheben; doch fehlt die berechtigung, mit diesem gelehrten
baro als = 'einforderer' ('veröffentlichen' > 'ansagen' > 'ein-
fordern') zu fassen.
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zu DEN MALBEROISCHEN GLOSSEN. 153—154. 471
Als mit saceharone gleichwertiger ausdruck begegnet 343, 2
obgrafionem 'untergrafen' (K § 243); die 346,2. 348,2. 349,2
stehenden graf(f)ionem, grauionem haben demnach als durch
ausfall von oh- (aus of- 'unter', s. § 99) entstandene lesai-ten
zu gelten.
§ 154. Zu 'si quis graflonum occiderit . . . sol. dc culp. lud.'
steht leodo samitem 344, 1 (cod. 2). Leodo beruht natürlich auf
älterem kodi oder -e (§ 87). Wegen samitem sei folgendes be-
merkt. Mitunter erscheint im texte der Sal. ein durch 'hoc
(quod) est' mit einem fremdwort verbundener, diesem zur er-
läuterung beigegebener ausdruck: 'in duropullo (duropalo etc.)
hoc est (in) Umitare^ 370. 372. 373 etc.; herburgium {chereburgium
etc.) hoc est strioporcium {-portio etc.) 397. 399. 400 etc. (vgl.
§ 168 und s. noch § 156 zu silaue etc.).
Durch Verwechslung eines solchen, zunächst am rande ver-
zeichneten commentars mit den malbergglossen entstand (bereits
von Holtzmann, Ueber das Verhältnis der Malberg, glossen u. s. w.
s. 5 hervorgehobenes) schülam de caballo . . . malb campania
140,2b. Als eine gleichartige falsche 'malb' aber lässt sich
samitem bez. dessen prototypus *cumitem (^ für c, a für w nach
%3rj und a; wegen w für o vgl. § 4 a), ursprünglicher com-
mentar zu 'grafionem', geltend machen (der commentar stammt
natürlich aus jüngerer zeit, aus der periode, wo die alte, in
Brunners Deutscher rechtsgesch. 2, 162 ff. betonte Verschieden-
heit des 'grafio' und des 'comes' geschwunden war).
Zu 'si quis sacebarone qui puer regiis (l regis oder regius)
fuit occiderit . . . sol. ccc culp. iud.' findet sich leude sacce muther
344,2 (cod. 2). Das wergeld beträgt hier also die hälfte des
für den 'grafio' zu entrichtenden. Man erwartet demnach ein
zum acc. sg. fem. *l€udi gehörendes adjectiv mit der bedeutung
'den halben wert betragend', d.h. ein aus *5äm- (= ags. sdm-,
ahd. sämi' 'semi-') und werth 'pretium' gebildetes bahuvrlhi-
adjectiv *samiiertha (wegen der endung vgl. § 193 a). Aus
diesem aber lässt sich die überlieferte lesart dui'ch die annähme
folgender Vorgänge herleiten: zunächst trennung in *sa und
*mtiertha; daraus durch einwirkung von im text (s. oben) einst-
mals neben der randglosse stehendem 'sacebarone' (vgl. § 2^7
am schluss) *sa€e, das durch doppelschreibung (§ 4 g) sacce
ergabt und durch ausfall von -a und Umstellung muther (das
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472 VAN HELTEN
in der folge wider die zu einem folgenden Paragraphen stehende
glosse beeinflusste, s. § 155).
§ 155. Zu ^si quis corpus hominis occisi antequam in
terra mittatur in furto expoliauerit' stehen: c{h)reO', erehamardo
348, Ib (cod. 7. 8. 9), cheo mosido 349, Ib (Her.), freomosido
347, Ib (cod. 6), uuaderido 343, Ib (cod. 1), muther 344, Ib
(cod. 2). Wegen der in cod. 6. 7. 8. 9 und der Heroldina über-
liefei'ten, aus *chreomosido für *chreomosid *leichenberaubung(s-
strafe)' entstandenen lesarten vgl. § 63. 67 am schluss und 32
(mit rücksicht auf die bedingung für die Verlesung von f aus
c ist für 347,1b älteres 'mal' statt des überlieferten *malb'
anzunehmen). Die lesarten von cod. 1 und 2 begreifen sich als
entstellungen aus für vorläge X^ (vgl. § Iß und 188) voraus-
zusetzendem, durch Umstellung der beiden ersten silben, ansfall
von r und o, Schreibung von u für o (§ 4 a) und Verlesung
von r aus s (§ 3 t) entstandenem *inucherido, das einerseits
durch verschreibung von uu für m (§ 2/), Verlesung von a aus «
(§ 3«) und verschreibung von d für cä (§ 2ß) uuaderido,
andrerseits in folge von beeinflussung durch zu einem voran-
stehenden Paragraphen gehörendes muther 344, 2 (s. § 154)
das muther von cod. 2 ergab.
Zum folgenden paragraphen ^si quis hominem iam sepnltum
expoliauerit' überliefertes wu^/i^ 353, 2 (cod. 2), beruht natür-
lich auf entlehnung; wegen der von rechtswegen hierher ge-
hörenden tumecale 353, 2 (cod. 2), UJCjomechale 356, 5 (cod. 6X
tumichal 357, xvii (cod. 7. 8. 9), thumichaU 358, 1 (Her.)
vgl. § 68.
§ 156. 'Si quis cheristaduna super hominem mortuum
capulauerit ... aut silaue, quod est porticulus, super hominem
deiecerit, de unaquaque . . . sol. xv culp. iud.' So nach 349, 4b
(Her.). An der parallelstelle in cod. 5 findet sich cheristadom
347,3b; die L. emendata hat hingegen daselbst zur bezeich-
nung des 'über einem grab errichteten gestelies' aristoionem
350, 3b, das zu den 96, 3 und var. 97, 9. 98, 4 und var. b^:eg-
nenden aristatonem, -conem, arestatonem, aristationem (^ super
hominem mortuum') stimmt (wegen testatorem 96, 3 var. vgl
§ 3<; und v).
Die formelle ähnlichkeit von cheristaduna etc. und arista-
tonem etc. macht es wahrscheinlich, dass beide lehnwörter auf
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Zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 154—156. 473
ein und dasselbe salfrk. nomen zurückgehen. Aus *hairistapo,
acc 'un 'ehrengestell, ehrens&ule', dessen erstes compositions-
glied ahd. hen dignitas und dessen zweiter teil gotischem in
luJcamastdpa überliefertem -stapa entspräche, konnte bei ent-
lehnung zu einer zeit, wo noch stimmlose spirans im inlaut ge-
sprochen Würde (vgl § 191), einerseits gallorom. ari^tato, onem,
andrerseits *charistatuna entstehen: beides mit a für ai (vgl.
§ 20) und t für germ. p; ersteres mit Spiritus lenis, letzteres
mit ch für germ. h (vgl. § 10); ersteres mit -o, -onem für sal-
frk. -0, -un (wie grafio, -onem § 6rf, uuaranionem § 127, saci-
haroy -onem § 153, antrustio, -onem § 175, gassacionem etc. § 179,
annt), letzteres mit -una = salfrk. accusativendung *-un +
lat. a. Für *charistatuna trat in der folge cheristaduna ein
durch anlehnung an durch jüngere entwickelung aus *hairistapo,
'un hervorgegangenes salfrk. "^heristaöo, -un (vgl. wegen ähn-
licher anlehnung § 20 zu texega etc., § 141 zu *repus, § 144
zu lesum etc., § 171 zu adhesium sowie § 174 zu regln- etc.
und § 181 zu ehrius etc.). Wegen des o von cheristadona und
des c von arestatonem beachte § 4a; in a/ristaconem steht c
für t (vgl. § 3(f); in aristationem liegt anlehnung vor an statio.
Cod. 6 hat 347,3 b cheristonicam vielleicht als entstellung aus
"^cheristadonicam, das ein copist, dem das gleichfalls 'grabmal'
bezeichnende basilica (vgl. paragr. 6 und 7 von tit. LV) vor-
schwebte, als compromissbildung niederschrieb.
Nach aristatonem steht in der L. emend. noch *hoc est
stap{p)lus\ Das nomen ist ebenfalls lehnwort = 'gestell' (vgl.
ahd. stafol basis, ags. stapol stipes) mit aus den flectierten
casus herrührender, auf analogischem wege (nach *appl€s ü.s.w.
zu *apul u.dgl.) entwickelter Stammform stappl- (wegen des
organischen endungsvocals vgl. an, stQpull\ beachte auch in
der zweiten Heroldschen hs. an stelle von oben citiertem 'por-
ticulus' zu silaue stehendes, folglich (vgl. unten) hierhin ver-
irrtes stafßus 349, 4b mit nach § 32 ausi>p verschriebenem ff).
Als glosse zu cheristaduna (cheristonicam) erscheint 349, 4 b
mandoado (Her.), 347,3 b madoalle (cod. 6); in der L. emend.
findet sich dieselbe als in den text aufgenommenes wort in
der form mandualem 350, 3b. Für die ältere lesart ist also
mand- und -uälle oder -uale in ansprach zu nehmen (wegen d
für U oder l vgl. § 26; we^en o für w s. § 4a). Kern (K § 248)
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474 VAK HELTEN
beruft für solches manduaUe aind. man^ala 'scheibe, umkreis,
runder gegenständ' und ags. weaU, an. vgllr 'wair, ahd. smu-
well, an. sivalr 'ganz rund' und übersetzt das wort durch 'the
fenced mound, moundfence, framework of the mound'. Hier-
gegen spricht jedoch nicht nur das unsta.tthafte der gleichong
mand = aind. man^ala, sondern auch der umstand, dass so
die semantische Übereinstimmung von -staduna etc^ siapplus
und der glosse unverständlich wäre. Auch Kögels bemerkung
(Geschichte der deutschen literatur 2, 421) *von seiner nmdcai,
walzenähnlichen form heisst dieser grabschmuck auch ma{ny
doalle ..., zu an. mgndull und dem in ahd. sinu-tveüa- »runde
steckenden nomen' dürfte nicht befriedigend erscheinen: dass
man bei der wähl einer bezeichnung für ein walzenähnliches
grabmonument an ähnlichkeit desselben mit dem stiel einer
handmühle gedacht hätte (dies ist ja m. e. aus Eögels werten
herauszulesen), leuchtet kaum ein. Man verlangt für unsere
glosse ein compositum, dessen beide glieder den compositions-
elementen von cheristaduna in semantischer hinsieht, wenigstens
ungefähr, entsprechen; und so bringt -oalle auf den gedanken
an eine ursprüngliche lesart *-^aHt 'gestell' (= ahd. 5ireSt
basis, mhd. swelle 'balken, grundbalken'; das überlieferte -t
statt 4 nach § 4 a) oder ^-sualle mit -e für -ia des acc sg. fem.
(vgl. § 9 und beachte mhd. fem. su)elle\ wegen des nicht um-
gelauteten a s. § 36), während mand- angesichts der häufigen
Verlesung von a aus w (§3«) altes *mMwd- (= ags. mynd 'er-
innerung') vermuten lässt. Das -o von mandoado begreift sich
als die folge einer durch vorangehendes do herbeigeführten
verschreibung (§ 2 b).
Für die beurteilung von im eingang dieses § citiertem
süaue (selaue an der parallelstelle in cod. 6 und der L. emen-
data, si lauaue mit doppelgeschriebenem au in cod. 5), das (in
der überlieferten form oder in derselben zu gründe liegender
gestalt) dem 'de unaquaque' zufolge eine andere art grabmäler
als die durch cheristaduna bezeichnete benannte, ist folgendes
in betracht zu ziehen: in si- (se-, si) kann die conditional-
partikel stecken, die im anfang des zweiten coordinierten
conditionalsatzes widerholt wurde; solche falsche Verbindung
wäre nur denkbar für den fall, dass dem Schreiber das dem
si nachfolgende wort ein unbekanntes war; solcher unbekannt-
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Zu DEN MALBEBOISCHBN GLOSSEN. 156—157. 475
heit zufolge ist die möglichkeit auch anderweitiger entstellung
der alten lesart nicht ausgeschlossen. Auf grund dieser er-
wägnngen möchte ich vorschlagen, einen prototypus *lautu^
anzusetzen als acc. sg. zu einer gallorom. entlehnung aus sal-
frk. *laübe (nom. sg. mit -e aus -ia schwacher flexion; beachte
wegen der endung § 9 und vgl. ahd. huppa, acc. sg. -un, mit
pp aus hbji): lat. spirans u für b, das Substitut von salfrk. d,
oder bei junger entlehnung des Wortes als directe entsprechung
von S; -is {-es) im nom. für salfrk. -e. Als die bedeutung des
nomens müsste demnach 'laubenartiger überbau' gelten, wozu
der commentar 'ponticulus' (so zu lesen statt des oben citierten
'porticulus' nach 'ponticulus' an der parallelstelle in cod. 6. 5
und der Emend.) = 'brückenähnlicher, gewölbter überbau'
passend erscheint. Wegen 'sequentem (-tis) mortuum' des
textes = 'zum gedächtnis des toten' vgl. K § 249.
Als glosse zu *laut^ hat cod. 6 cheoburgio, Her. chreo hurgio
nach der text-, chreo bardio nach der anderen hs. In -burgio
erkennt man bei anknüpfung an an. byrgi (gen. -is) 'hütte' die
genaue semantische entsprechung von *lanue (wegen des -o
vgl. § 5 a). Angesichts dieser entsprechung aber dürfte die
von Kögel (Geschichte der deutschen lit. 2, 421) mit rücksicht
auf das 'ponticulus' des textes vorgeschlagene annähme von
'burgio = ahd. brucca an berechtigung zurückstehen. Wegen
chreO' vgl. die composition leichenstein. Das a von bardio
steht durch Verlesung für m (§ 3a); das d für jr durch ein-
wirkung von folgendem d der zahl 'de' (vgl. § 2^).
§ 157. Zu 'si quis hominem mortuum super alterum in
petra aut in naufo (s. unten) miserit . . . sol. xlv culp. iud.'
steht nach cod. 1 chaminis 352, 4, nach cod. 6, Herold und cod.
7. 8. 9 edulcus 356, 4, idulgus 358, 2, hidulgus 96, 2 (der den
betreffenden Paragraphen enthaltende titel XVTII von cod. 7.
8. 9 repräsentiert die parallele zu tit. LV bez. LVI etc. der
anderen hss., vgl. 96 und 343 — 350). Dem Inhalt des Para-
graphen zufolge gehörte nur eine leiche in ein grab hinein,
galt es also für leichenverunehrung, wenn man in die ruhe-
statte noch einen zweiten toten hineinlegte. Man erwartet
demnach eine glosse, welche 'durch abermalige Verwendung
einer grabstätte verübte Verunehrung' oder 'die deswegen zu
entrichtende strafe' (vgl. § 39) bezeichnete. Für den einen
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476 VAN HELTEN
teil der glosse käme so ein vom glossator niedei^eschriebenes
*sc}iamin in betracht als verbale von zu *schafnu (= ahd. scasna
ignominia) gehörendem jan -verbum (vgl. mhd. bescemen *in
Schmach bringen'; wegen des seh beachte § 7«), woraus durch
ausfall von s (§ 2 a) und antritt von lat -is (§ 5 a) die Über-
lieferung von cod. 1. Für den anderen teil möchte man mit
rücksicht auf die zu postulierende bedeutung an ein compositum
denken aus id- = ahd. it-, ags. cd- 'abermalig' und im in-
strumental stehendem, 'leichenbestattung' bezeichnendem Sub-
stantiv, das in semantischer hinsieht nach ags. le^er 'grab'
und mhd. legen (in die leich legen 'begraben'), in formeller
nach mnl. mnd. lach (ntr.) 'gelage' als -lagu anzusetzen wäre;
aus solchem *idlagu konnte durch frühzeitige entstellung, durch
Versetzung von l, Verlesung von u aus a (§ 3 a) und snbsti-
tuierung von lat. -us für -u schon in der vorläge X* (vgL § 1^
und 188) vorhandenes idulgus entstehen, das weiterhin hidulgus
mit h (nach § 46) und edulcus mit c für t (§ 4 a) und e für g
(§ 2ß) ergab. Also erhaltung des einen glossenteils in cod. 1,
des anderen in vorläge X».
Das in dem oben citierten Paragraphen begegnende naufo
358, 2. 359, 4. 96, 2 var., -um 96, 2, naupho 356, 4, noffb 96, 2
var. 98,3 ist ausserdem noch belegt durch si quis corpus in
terra vel noffo vel petra vel pyramide vel structura qualibei
positum . . . eff ödere prcesumpserit Leg. Henr. I. reg. AngL cap.83.
[Wegen des in der Lex emend. (98, 3) und in der Heroldina
(97, 8) dem in noffo (in offo) aut in petra angehängten com-
mentars quae uasa ex usu sarcofagi dicuntur vgl. die bei Du-
cange i. voce, vas und sarcophagus für diese nomina belegte
bedeutung 'grabstätte'.] Dass in dem fremdwort der erste teil
gotischem natAs entspricht, liegt auf der band: *nau- für regel-
rechtes natüi' durch anlehnung an für das ältere salfrk. ans
*'nö 'leiche' (§ 134) zu erschliessendes simplex *nau (vgl. ahd.
mazsahs Ahd. gll. 3, 632, 22); das o in noffo als phonetische
Schreibung des aus au contrahierten lautes; daneben naufo
etc. mit au als historischer, zur darstellung von ö" dienender
Schreibung. Wie aber das -fo, -ffo etc. zu deuten?
Es begegnet unser subst noch in sancia corpora paUis
('leichendecken', vgl. Ducange 6, 112, sp. 2) ac naufis exomaia
(bei Ducange i. v. noffus citiert aus Grreg. Turon. In gloriam
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zu BEN MALBEBGI8CHEK GLOSSEN. 157—158. 477
confessomm), wo eine mit 'leichendecke' synonyme bedeutung
geltend zu machen ist. Und statt naufo etc. haben einige
hss. der Salica naucho 358, 2 yai\ (nachao 354, 3 als entstellung
mit versetztem, ans u verlesenem a), nauco 352, 4. 356, 4 var.
Naufus oder -um (? : aus den belegen ist das genus nicht
zu erschliessen) in letztgenannter bedeutung begi-eift sich als
auf salfrk. "^nau-wef zurückgehende entlehnung: Synkope von
schwach betontem vocal in "^nau-toefus wie in Hreu-widis (vgl.
§ 120); wegen *wef 'gewebe' beachte ags. bei Wrt.-Wtilcker
13,23. 364,23 stehendem 'oM^ßjT cladica', d.h. 'gewebe'.i)
Für naucho und -co sei an den § 72 bei der deutung von
machälum etc. zur spräche gebrachten schwund von h im an-
laut eines zweiten compositionsteils erinnert. Angesichts dieser
erscheinung Hesse sich ein aus "^nau- und *hag (= mhd, hac
*unifriedigung') gebildetes salfrk. *nauag = 'umfriedigte grab-
stätte' voraussetzen, das zunächst bei entlehnung gallorom.
"^nauachus bez. -cus (oder -chum, -cum), dann durch synkope
^nauchus bez. -cus (oder -chum, -cum) ergab mit ch bez. c in
folge von Substitution (für im auslaut stimmlos gesprochene
Spirans), die sich dem eintritt von ch bez. c für die aspirata
(vgl. § 10) vergleicht; man beachte auch Chhdovechus Mon.
Germ. Scriptt. rerum Meroving. 1, 57, 28. 80, 20. 106, 46, Hlo-,
Hludou{u)ichus ib. 58, 33. 34. 80, 43. 88, 25. 33. 36. 38. 106, 46.
109,32.47 U.S.W. und Chlodo-, Chlodevecus ib. 77,29. 80,43.
103,33. 104.45. 105,35 u.s.w.
Die formelle ähnlichkeit aber von naufus oder -um und
nauc(h)us oder -um konnte die Verwechslung der beiden
nomina, casu quo die Verwendung des ersteren wertes für das
andere veranlassen.
Wegen des ff von noffo vgl. graffio, -onem 328, 4. 330, 4
var. 346, 1. 348, 1 var. für grafio, -onem und beachte § 4 g. In
97, 8 und var. begegnen offo und aufa (-a für -o vermutlich
als Schreibfehler durch einwirkung von -folgendem ^^e^ra), deren
n durch unrichtige fassung der Verbindung in noffo, in naufo
als in offOy in aufo schwand.
§ 158. 'Si quis basilicam super hominem mortuum expo-
') Diese bedeutung des yulgärlat. Wortes ergibt sich aus *wefl cladica*
Wrt.-Wülcker262,ll. 364,23. 367,43.
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478 VAN HBLTEN
liauerit' 358, 5. Mit basilicam war natürlich eine art grab-
mäler gemeint (vgl. auch in der L. emend. ^si qnis domnm in
modum basilicae factum super hominem mortnum expolianerit'L
Die zugehörende glosse ehre ottar sino 358, 5, diereotasmo
356, 7, chrotarsino 357, lxxvi bezieht sich entweder auf *eipo-
liauerit' oder auf 'basilicam'. Grimm dachte an letzteres, »k
er (Mliii) die bemerkung niederschrieb: 'in tarsina ... er-
blicke ich ein s für z = g . . . , tarsina, tarzina, targina ist
aber septum, sepimentum, einfriedigung = ahd. zarga, mhd.
zarge, chreotargina munimentnm cadaveris.' Indessen 'ein-
friedigung' ist nicht = 'grabmal' und das von Grimm an-
genommene ^ f ür jer statt g lässt sich durch kein einziges
analogen annehmbar machen (wegen des von Grimm als stütze
angeführten -lastna s. § 55). Kern übersetzt tarsino durch
'spoiling, undoing, violation, profanation' (K § 253) und vö*-
gleicht ahd. eerren scindere, an. terra 'recken'. Bei solcher
fassung aber bliebe sowol die bedeutungsentwickelong aJs die
entstehung des s unerklärt.
Das tar- von tarsina erinnert an got. gatarhjan 'zur schau
tragen' (vgl. § 147) und ladet ein zu folgender annähme: *tarJis
als abstractum mit ^-sufflx (vgl. *taJiSy *tehs § 20); dazu ein
verbum mit *tarhsi- und "^tarsj- (synkope von h vor s + oon-
son.; wegen des a vgl. § 36); dazu ein verbale mit analogisch^n
rs für rhs *tarsin zunächst 'Zurschaustellung', dann 'denkmal';
mit lat. endung (§ 5 a) tarsino. Wegen ^^ für if in ehre ottar
sino vgl. § 4 g.
In chreo etc. steckt also chreo *leiche' (vgl. M Lm); wegen
des ersten e von chereo beachte § 2d.
§ 159. Zu 'si quis . . . basilica(m) incenderit' steht ehene-
ehruda 356, 7 (cod. 6), alatrudua 357, lxxv (coi 7. 8. 9), ah
trude theo tidio 358, lxxi (bei Her.). Aus aUUrudua und aJu
trude ist für die vorläge X» (vgl. § 1^ und 188) *ala oder *alu
+ Hrudia zu folgern (wegen des wechseis von a und ti vgl
§ 3a'; wegen u für % beachte § 2/ oder c; wegen -e für -t s.
§ 4 a). Bei berücksichtigung von 'basilica(m)' entscheidet man
sich für aU, das mit Grimm (M lii) und Kern (K § 253) auf
"^alach = BS. alah zurückzuführen wäre (ausfall von cä> indem
das äuge des Schreibers von dem für t angesehenen c auf das
folgende t übersprang). In -ia erkennt man eine endung für
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zu DEN MALBEBGI6CHEN GLOSSEN. 158--160. 479
die 3. sg. praes. opt eines ja -verbums (vgl. § 118); für dieses
verbum aber ist salfrk. ableitung aus einem verbale *turd
(stamm turdi-) ^Zerstörung* geltend zu machen (vgl. got. gataurps
'Zerstörung' und beachte wegen des grammatischen wechseis
P : ä Kluge, Nomin. stammbild. § 127). Also urspr. *dlach turdia
{ru durch alte Umstellung für ur) = 'eine kirche zerstöre'
(wegen des tempus vgl. § 8), das als unvollständige entsprechung
von 'incenderit' auf die ursprüngliche Zugehörigkeit eines 'durch
brandstiftung' bezeichnenden nomens schliessen lässt. Als hier-
für verwanter ausdruck wäre ein dat. sg. *ehetundt denkbar
(wegen -l aus -In vgl. § 5«; wegen ch als Schreibung für g
s. § 6/S), woraus durch antritt von lat -o (§ 5 a) und frühzeitige
Umstellung *chentudio, das weiterhin die überlieferten theo tidio
und chenechmda ergeben konnte: man beachte für ersteres die
Verlesung von t aus c (§ So), die Schreibung von o für aus n
verlesenes w (§ 4 a und Sjt) und die verschreibung von i für u
(§ 2ß) oder die § 2« hervorgehobene assimilierende Schreibung;
der anderen lesart aber liegt durch voranstehendes (später aus-
gefallenes) "^älatntdia veranlasste contamination (vgl. § 2 g) zu
gründe, d.h. *4udio wurde durch "^-trudia verdrängt und aus
hierdurch entstandenem *chmtrudia gieng in der folge durch
einschaltung von e (nach § 2(5) und Schreibung von ch für aus
t verlesenes c (§ 7 a. 3d) sowie durch ausfall von i chenechmda
hervor.
§ 160. Zu 'si quis presbiterum interfecerit' stehendtjs
teorzine,theorzine S57,l und zu 'si quis diaconum interfecerit'
gehörende teargiae, theorgice, theorgie 357,2 sind nur in den
hss. 7. 8. 9 überliefert. Für die vorläge dieser drei codd. an-
zusetzende theorjsine (vgl. § 6j9) und tJieorgtce sind offenbar von
haus aus identisch: Hheorgine (wegen z und -ae, -m vgl. § Sy;
und s. 292, anm.). Dieses *th€orgine bez. dessen protot^^pus
bezieht sich entweder auf die mordtat oder auf den gesell-
schaftlichen stand des ermordeten. Auf eine function der
glosse zur bezeichnung von 'geistlichen' weist tJ^o hin als
entsprechung des ersten teils eines 'presbiterum' und 'diaconum'
des textes umfassenden 'servus dei'. Demnach ist für den
anderen teil der glosse ein ausdruck == 'dei' zu postulieren.
Es begegnen im agerm. zur bezeichnung 'einer' oder 'der gott-
heit' verwante ausdrücke, als deren eigentliche bedeutung
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480 YAK HELTEN
'ratschlagende, bestimmende schicksalsmacht' zu gelten hat
nämlich as. metod, ags. meotud, an. migtodr (vgL Greins AgSw
gloss. i V., Heynes gloss. z. Hei i. v. und Beitr. 21, 463, anmi
und an. regln, rggn 'götter' (vgl. got. ragin *ratschlnss' nnd
as. regano-, reginu-, regino-, regangiscapu 'das von der gött-
lichen macht bestimmte geschick'. Hierna€h wäre für -rgine
ansfall von a (wegen des nicht amgelauteten yocals vgl. § 36)
und 'S anzunehmen.
§ 161. 'Tunc ipse (qui ad mallum uenire contemnit) cnl-
pabilis et omnes res suas erunt. Et quicumque emn (dem is
folge seiner hartnäckigen Weigerung, vor gericht zu erscheinen,
der könig seinen schütz entzogen hat) aut pauerit aut hospi-
talem dederit . . . sol. xv culp. iud. donec omnia quae inj^tatnr
conponat'. Dazu die glosse (nur in cod. 1) lampieü 361, die
Kern (K § 254) auf einen prototypus samplicti *for acce^ariness'
aus sam- 'mit-' (vgl. ahd. samwist consortium) und -plicti (d.h.
-plichtt) zurückführen möchte. Dem Inhalt des paragraphen
zufolge dtii'fte man hier jedoch eher einen sich auf *pauerit
aut hospitalem dederit' beziehenden ausdruck ei-wartan, der
entweder als nom. den frevel oder als acc. die dafür zu ent-
richtende strafe (vgl. § 39) bezeichnete. Und als solcher wäre
ursprüngliches *haimplega oder -pliga 'pflege im haus' (vgl
wegen des angesetzten stammsuffixes afries. plegha, pliga 'ge-
wohnheit', wegen der möglichkeit eines durch das ü der endnng
-un hervorgerufenen i aus e afries. pliga und oben § 124 zu
*litu) bez. *haimplegun oder -pligun (mit -tm = -ün) begreif-
lich, woraus durch verschreibung von l für h (§ 2^), Schreibung
von am für aim (§ 4^^), ausfall von l, event. Schreibung von t
für e (§ 4 a), verschreibung von c für ^ (§ 2/9) (oder, wenn
etwa der glossator das g nach %6ß durch ch dargestellt hatte,
durch ausfall von h) und Verlesung von u (woraus it) aus a
(§ 3 a) oder ausfall von n oder nasalcompendium *lampicu, es
sei denn dass lamp durch Umstellung aus ampl, d.h. am-pl
(§ 67) entstanden wäre.
§ 162. 'Nach altfränkischem rechte fordert die partei die
rachineburgen auf, zu sagen, was rechtens sei. Diese anf-
forderung kann schon nach der Lex Salica zunächst in fonn-
loser weise geschehen. Ist sie erfolglos, so wird sie in rechts-
förmlicher weise erhoben, indem die partei den zwang des
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Zu DEN HALBERGISCHEN GLOSSEN. 160—162. 481
Tangano geltend macht. Nach der Lex Salica verlangt dies-
falls der kläger das urteil mit den Worten: hie ego vos tangano,
ut legem dicatis secundum legem Salicam'. So Brunner in
seiner Deutschen rechtsgeschichte 2, 855 anlässlich des 1. Para-
graphen des LVn. (bez. LVIin. etc.) titeis unserer Lex. Vgl.
noch in der Lex Ribuaria tit. LV mit ungefähr gleichem Inhalt.
Das nämliche verbum erscheint auch in der bedeutung 'den
beklagten in feierlicher weise auffordern, die klage rechts-
förmlich zu beantworten' und zwar in der Lex Rib. LVm, 19;
daneben zur bezeichnung solcher aufforderung das subst. tan-
ganum L. Rib. LVEI, 20. XXX, 1 und LIX, 8. Vgl. zu diesen
stellen Brunner, Rechtsgesch. 1, 180. 2, 345 f.
Für die etymologie dieser aus dem fränkischen in die
galloroman, gerichtliche terminologie aufgenommenen Wörter
(das verb. bürgerte sich auch in die spräche ein als 'drängen,
antreiben' vgl. afranz. tangoner) gewährt Grimm einen flnger-
zeig durch seine bemerkung in den Rechtsalt.5: 'In tangafiare,.,
steckt eine deutsche wurzel, die mit dem ahd. zanga, güengi
zusammenhängt.' Aus gizengi {himilo), gizango (himile) 'gen
(himmel) dringend', ags. ^eten^e 'dringend zu', 'bedrängend',
'bedeckend' (vgl. \dX.premere 'drückend bedecken'; wegen der
ags. belege s. Greins gloss.), as. Utengi 'dringend gen', 'be-
deckend' (s. Sijmons in der Zs. fdph. 28, 147) und vielleicht auch
aus mnga 'zange' (vgl. mhd. zwange 'zange' zu zwingen) er-
gibt sich eine wurzel tang 'drängen', wozu ein nach art von
ahd. zeihhan, ags. tdcn, ahd. feihhan, ags. fäcen, ags. swefn,
as. swebcm gebildetes *tangan (mit anorganischem -a-) und
*tangon (durch anlehnung an das verb., s. unten), flect. *tangnes
U.S.W. (mit imauslaut der silbe als c gesprochenem guttural);
dazu als denominativ *tangnUn (gespr. tanc-nön) bez. (durch
anlehnung an *tangan) *tanganUn und (mit durch assimilierung
dunkel gefärbtem vocal der mittelsilbe) *tangonön. Daher die
Verschiedenheit der überlieferten lat. formen (einige in den
hss, der L. Rib. vorkommenden Schreibfehler lasse ich un-
erwähnt): subst. (im abl.) tangano, -u Rib. XXX, 1 und varr.
LVni, 20. LES; 8 und LX, 20 (e codd. B). LXI, 8 (e codd. B),
tangono Rib. XXX var. (e codd. B). LX, 20 var. (e codd. B),
tangno Rib. XXX var. (e codd. B), tancano Rib. XXX, 1 var.
(durch compromiss aus tangano und tancno)\ verb. tangano,
Beiträge sur geschichte der dentBchen spräche. XXV. 31
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482 VAN HBLTEN
-et SaL 364. 365 var. 367. 368, Rib. LV und LVH (e codi B).
LVm, 19 und LX, 19 var. (e codd. B), tangono, -et SaL 362.
365. 366 var. 368 var., Eib. LVII var. (e codd. B). LX, 19
var. (e codd. B), tancno Sal. 363, tancono SaL 361. 366. VgL
noch auf fränk. "^tangenön (mit -e- durch anlehnung an ans
^tangenes^ -e hervorgegangenes *tangen) hinweisendes tangend
Rib. LVm, 19 var. LX, 19 varr. (e codd. B).
§ 163. Dem die Überschrift 'de chrene cruda' etc. tragen-
den titel Lym (bez. LX etc.) zufolge musste der zur entr
richtung eines wergeldes verurteilte, wenn sein vermögen
nicht zur Zahlung desselben ausreichte, durch eine symbolische
handlung seinen nächsten verwanten zur Zahlung des fehlenden
herbeiziehen, d. h. er musste, nachdem er durch zwölf iuraiores
eidlich erhärtet hatte, dass er nee stiper ietram nee suhtus
terram plus facultcUem habe als er schon abgetreten hatte>
in casa sua introire et de quattuor angulos terrae in pugno
cpUigere und, sich dann auf die schwelle des hauses stellend
und in dasselbe hineinblickend, diese erde mit der linken
band ttber die schulter iactare super iUum quem praximum
parentem habe(ba)t, der für den restbetrag des wergeldes auf-
zukommen hatte. 1) Dass chrenec(h)ruda als in die auf salfrL
rechtsgebiet geltende gallorom. gerichtliche terminologie auf-
genommener ausdruck die gedachte terra bezeichnete und das
werfen dieser terra als Symbol für die durch Zahlungsunfähig-
keit gebotene belastung der Sippschaft galt, geht hervor bjos
einem sich speciell auf die leistung der magschaf t beziehenden
passus unseres titeis: si uero de Ulis quicumque proainnar fuerü
ut (1. et) non habeat unde integrum dehitum saluai (L soluai),
quicumque de Ulis plus habet (sc. soluat); iterum super iüum
(den reicheren) chrenecruda ille, qui pauperior est, iactei ut
iUe tota lege solimt Als die richtige form des wortes hat von
den überlieferten, z. t. mehr oder weniger verderbten lesarten
die 370 in der übei^schrüt und im text sowie 374 in der Über-
schrift belegte chrenecruda zu gelten; daneben die entsteUungen
chrcnechruda 374 var. des textes, 376 text und 377 nberschr.
und text mit ch Via c (nach § 7a oder wol eher nach § 2^);
^) Die betreffende stelle ist zwar in allen hss. verderbt überliefert,
doch ermöglicht es die yergleichnng der yerschiedenen lesarten, den oben
erwähnten sinn mit idemlicher Sicherheit ans dem text heranssnleB».
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Zu DEN MALBER0I6CHEK GLOSSEN. 162—163. 488
cJirenediruda 875 text mit di für ch (§ 3i); c(h)renechruca,
-chruta, -chrucx 875 varr. der Überschrift mit c für d (§ 2ß),
t fm d (§ Sx), X f&r a (durch?); chenecruda 874 text; crene-
cruda 871 überschr. 875 überschr. 877 var. des textes mit c für
ch (nach § &ß oder 2^); crenucruda 875 var. des textes mit u für e
(nach § 2b); crenecurando 871 text mit -curando als vermutlich
durch Umbildung in ein lat wort aus *-curuda (für -cruda nach
§ 2(i) entstandene entstellung; chera cruda 372 überschr. und
text durch ausfall von r, Verlesung von r aus » (nach § 8 a)
oder Umstellung von re und ausfall von n sowie durch assimi-
lierende Schreibung von -a für -e (nach § 2 t); fheunetruda 878
überschr. durch zweimalige Verlesung von t aus c (§ 3(J), aus-
fall von r und Verlesung von u aus n in nw für n (§ 8jr und
4g); cÄren ccwdc 876 überschr. durch ausfall von r, Umstellung
von e c und assimilierende Schreibung von -e für -a (§ 2 c);
c{h)rinne cQi)ruda 875 var. der überschr. und des textes durch
substituierung von i für e (§4«) und doppelschreibung von n.
Auch die rubriktafel (Hesseis xxvu) hat noch einige andere
entstellungen.
Bezüglich Grimms bekannter deutung, chrenecruda =
'reines kraut', das mit graminis herba pura der Kömer zu
vergleichen wäre (Kechtsalt. s. 111 f.), ist dreierlei zu erwägen:
erstens dass herha pura und in die faust aufgelesene erde sich
nicht gegenseitig decken; zweitens dass mit rücksicht auf die
Verschiedenheit des Zweckes die bei den Eömem behufs heili-
gung des bündnisses stattfindende Verwendung der herha pura
sich nicht vergleichen lässt mit der betr. salischen symbo-
lischen handlung; drittens dass nach § 4i9 und Mackel, Die
germ. elemente in der franz. spräche s. 114 ff. (vgl auch oben
§ 20) die entlehnung aus salfrk. "^hrainir kein e enthalten
konnte.
Holtzmanns phantastische deutung, chamchröda (compositum
aus Cham = lat. cum und chröda = aind. gräddha 'totenmahl')
= 'proximior parens' (Deutsche myth. s. 204 und 252 f.) erfor-
dert aus vielerlei gründen keine Widerlegung.
Kern (K § 256) hält fest an Grimms chrene- = hreini-
und denkt an die möglichkeit sowol von -chruda (mit urspr. h)
= ahd. hruda Scabies oder an. hrüSr 'kratze', die zur annähme
von salfrk. hrüda oder hrud 'schabsel' berechtigen sollten, als
31*
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484 YAN HELTEN
von -cruda = crüd, dem er auf grund von nl, kruit (mnL
cruut) 'schiesspnlver' eine im salfrk. geltende bedentnng ^nlver^
beimisst Hiergegen spricht jedoch nicht nur das oben in
bezog auf chrene- bemerkte, sondern auch die tatsache, dass
die mehrzahl der lesarten auf ursprüngliches -cruda hinweist,
sowie der umstand, dass die annähme einer alten bedeutnog
von crud 'pulver* sich schwerlich durch mnl. cruut, nmd. crüt,
mhd. crüt 'schiesspulver' (eig. 'zaubermitter, vgl. DWb. 5, 2110)
rechtfertigen lässt
Der wergeldschuldner, der durch die herausgäbe sdnes
sämmtlichen mobilen eigentums seine schuld nicht g&nziidi
decken kann, gibt dieses symbolisch zu erkennen durch die
Sammlung von erde aus den vier ecken seines hauses: er be-
sitzt nur noch diese immobilie (in die nach Bethmann-HoUw^,
Der civilprocess des gemeinen rechts 4, 518, anuL 93 eine exe-
cution zur zeit der L. Sal. noch nicht möglich war). Nun
wendet er sich behufe deckung des deficits an seinen nächsten
verwanten, indem er die gesammelte erde auf denselben wirft
und ihm so symbolisch mit dem recht an sein (wol als pfand
für den vorzustreckenden geldeswert dienendes) immobiles
eigentum (vgLGeffcken, L.Salica s.219 ff.) die weitere zahlnngs-
pflicht überträgt. Solche belastung des verwanten wurde also
symbolisch durch berührung desselben vermittelst besagter
erde dargestellt, und es konnte demnach der gerichtliche aet
durch einen ausdruck für ^belastung durch berührung' be-
zeichnet, dieser ausdruck aber wider auf das symbolische
mittel der berührung übertragen werden. Mit rücksicht nun
auf das eine und das andere liesse sich unser fremdwort auf
salfrk. *hrinicruda zurückführen (wegen ch = germ. h und e
= geruL i vgl § 10 und 4a), compositum aus *Arfni- (= agSL
hnne tactus) und -cruda, acc. sg. eines starken oder nom, sg,
eines schwachen, zur sippe ags. *crudun 'drucken' (SievCTS,
Ags. gr. s, 385, anm. 1), mnd. krot, hrut 'belästigung', mnL crade
(fem.) 'belästigung' u.s.w. gehörenden femininums (wegen des
angesetzten kurzen vocals vgl. im Teuthonista, ausg. 1804,
neben croden 'belästigen' aufgeführtes craiden, dessen ai auf
herkunft aus o hinweist, vgl. daselbst baide 'böte', baich 'bogen',
caicken 'kochen', caicker 'kocher' u.s.w,)»
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zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 163—165. 485
§ 164. Als zur bezeichnong von 'schwelle' dienendes
fremdwort erscheint in tit LVin (bez. LX etc.) duropuUo 370,
duropalo 372, duropelle 373. 375, duropello 374. 376, durbilo,
-illo, dur-, dorpilo 377 und varr. Die Überlieferung lässt auf
salfrk. *duropil bez. *durupil schliessen (wegen e für i und ü
für l sowie wegen in *durobilo, -illo entstandenes 6 für j) vgl.
§ 4a. g und /; in duropalo liegt vulgärlat. anlehnung vor an
palus] in duropuUo steht aus a verschriebenes u, vgl. § 3 a),
das die Zerlegung des wertes in duru imipäl verbietet. Ausser
diesem *durO', *durupil (= mnl. mnd. dorpel,.durpel, siebenb.-
sächs. dirpel Fromm. Mundart. 5, 40, 103) sind noch für das
germ. als gleichbedeutende nomina zu verzeichnen mnl. und
aostfries. dreppel, mnd. druppel, mnl. und awestfries. drempel,
drumpel, drompel, nnd. drumpel (Brem.-nieders. wb. 1, 261),
holsteinisches drumpel (Schütze 1, 262), in deren -el (aus -ü)
das bekannte, instrumentalnomina bildende sufflx nicht zu ver-
kennen ist. Für die wurzeln drap, drup, dramp, drump kenne
ich weder germ. noch indog. anknüpfungspunkte. Zu *drupil
aber verhält sich wol als volksetymologische • Umbildung
*durupil
§ 165. In dem als Überschrift von tit. LVmi (bez. LXI
etc.) begegnenden 'de <il(t)odi$ (-esy steckt ein nomen alodis
{de cum acc.) oder älodum {-es für -is abl. pl. nach Schuchardt,
Der vocalismus des vulgärlat. 2, 62) = 'erbgut'. In 'de alode^
386 der Lex emend. und in 'in ahde^ von titXCIX etc. (Hesseis
412) liegt gleichbedeutendes älodis vor. Neben diesen auch
sonstwo belegten formen (s. die indices Mon. Germ. LL. 3
und 5 sowie Ducange) findet sich in mlat. quellen noch al(T)0'
dium (Ducange). Ausser für 'erbgut' (im gegensat'z zu 'durch
kauf oder Schenkung erworbenes gut') gelten die nomina auch
für 'eigenbesitz' (im gegensatz zu 'beneflcium', 'lehan', s. Du-
cange). Nach Grimms deutung 'mere proprium' (Rechtsalt.
S.493), d. h. 'in seiner ganzheit besitz, sodass niemand als
lehnverleiher daran ansprach erheben kann', hat letztere be-
deutung als die ursprüngliche, erstere als die abgeleitete zu
gelten (nur der eigenbesitz war ja vererbungsfähig, vgl.
Branner, Deutsche rechtsgeschichte 2, 252). Äl(l)odis und
al(l)odium beruhen auf einer nach art von got. faurafilli, andch
nahti, ahäi. brustbeini, volmäni u.s.w. (Kluge, Nom, stammbild.
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486 YAK HELTEN
§ 76) entstandene compositionsbüdnng; alodum geht auf *dlod
zurück.
§ 166. 'Si quis alten de mannm suam desoper altenun
(die beiden letzteren worte = 'per uirtatem', 'per uim" anderer
codd.; wegen super alterum = 'altero nolente' vgl. Dacaoge
i. y. super 1) aliquid rapuerit, rem in capat reddat et insup^
... soL XXX culp. iud.' So 388, 1 (cod. 1), wozu alcham (die
glosse fehlt in den anderen hss.), das man mit rücksicht auf
den inhalt des Paragraphen auf zu *fcdgiu 'ich beraube' (§ 59)
gehörendes verbale *falchin (ch = g, vgl. § 6ft -in = -In, vgl
§ 5ß) = 'beraubung' oder 'beraubungsstrafe' (vgl § 39) znrock-
ftthren möchte: zunächst antritt von -a (also *falMna nach
§ ba\ dann ausfall von f und Versetzung von (nach § S§) ans
in verlesenem m.
Wegen mosido, freomosido und charoen{n^ etc. dieses
titeis LXI (bez. LXIH etc.) s. § 67 und 80.
§ 167. Auf der heerfahrt verübter totschlag wurde mit
dreifachem wergeld gebüsst: 'si quis hominem ingennum in oste
occiderit ... soL dc culp. iud.' tit LXm (bez. XLVI eta), 1
(das einfache wergeld betrug 'cc sol.', s. den 1. paragr. von
tit. XLI bez. XL etc.). In cod. 1 wird diese strafe durch die
glosse leude 888, Ic bezeichnet (vgl. § 87); in cod. 2 und einer
Heroldschen lis. findet sich statt dessen falsches Uo-y leudardi
389, XLVI und 394, 3. 4, das durch Verwechslung von leode, leude
mit einer sigel für leo-, leudardi, näml. leod, leuö entstand (vgl
a. a. 0.). In der besagten Heroldschen hs. stand nach leudardi
noch tres pellia, das Kern (E § 260) unter berufung von ahd.
zwispild 'doppelt' (1. *zwispildi = mhd. jnoispilde) auf (hrispeUia
acc. sg. fem.* zu thrispelli zurückführt Für die saUrk. form mit
22 aus Z (vor f) und ohne ih (= ahd. d, vgl § 142 wegen sal-
frk. Ith) sind mhd. ewispü 'doppelter betrag' und sunspü
'zwiefach' (adv.) zu vergleichen. Aus des glossators feder
floss *thrispillia, woraus die überlieferte lesart mit tres durch
latinisierung und pel- durch substituierung von e für t (§ 4a).
Das zu *l€udi gehörende (der Überlieferung von cod. 1. 2 ge-
mäss in vorläge X^, vgl. §lß und 188, ausgefallene) adjectiv
gewährt eine wichtige stütze für die § 87 vorgeschlagene
deutung von *leu€^ als femininer analogiebildung nach *le<h
dardl.
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zu DEN MALBER6ISCHEN GLOSSEN. 124—126. 487
Bei totschlag auf der heerfahrt eines *in trustae dominica'
stehenden mannes wurde das wergeld noch einmal verdrei-
facht: 'si aero in trustae dominica fuerit qui occisus est . . .
MDCCC sol. culp. iud,' 388,2c. 391,2b. 394,4 (390,2b steht
fehlerhaftes *dccc'); vgl. wegen einer gleichen Verdreifachung
die § 132 besprochenen Paragraphen. Die Heroldina hat hier
leudardi trcs pellia 394, 4, cod. 1 mother 388, 2 c. Hieraus ist
mit räcksicht auf das in § 132 erschlossene "^morthes leudi
* verdreifachtes wergeld* altes *inorthes leudi thrispillia 'drei-
faches verdreifachtes wergeld' zu reconstruieren: mother durch
ausfall von r und Verlesung von r aus s (§ 3 t).
§ 168. St quis alterum herburgium clamauerit, hoc est
strioporcium aut illud (1. illufn) qui hineo portare dicitur ubi
strias coccinant. So nach cod. 1 im 1. Paragraphen des die
Überschrift 'de herburgium' führenden LXim. (LXVI. XCV.
etc.) titeis. Die anderen hss. haben im text bez. in der
Überschrift barbaro, ereburgiis (cod. 2), herborgium, erborgium
(cod. 3), herburgium (cod. 4), chereburgiuni, -o (cod. 6. 5), here-
hurgio (cod. 7), herburgio, hereburgio (cod. 8), recemburgio
(cod. 9), hereburgio (cod. B. H. der 3. familie) und herebungio
(cod. F. G. der 3. familie mit n für r, vgl § 3<i; die Überschrift
fehlt in den vier letzteren hss.), cheruioburgum, herburgium
(bei Herold), (h)er(e)burgium (Emend. und varr.).
Der dem offenbar als lehnwort zu fassenden nomen bei-
gegebene commentar strioporcium (strioportio etc.; in allen
hss. 8tri0'[) verbreitet kein licht, da der lat. ausdruck selber
völlig unklar ist. Ducanges 'qui strias ad nocturna sacra
deportare creditur' (s. i, v. stria) befriedigt gar wenig. Ausser-
dem müsste bei Zerlegung des Wortes in strio- und portio (zu
portare?) das -o auffallen, sodass man schwerlich umhin kann,
das zweite compositionsglied mit o- anfangen zu lassen, und
zur Vermutung gedrängt wird, dass die worte illum qui hineo
portare dicitur ubi strias coccinant nichts anderes sind als ein
in die textrecension aufgenommener versuch, das nicht ver-
standene nomen etymologisch zu erläutern. Woher aber dieses
'Oportio, -um?
Kern beruft sich für seine deutung von herburgium etc. auf
an. herJcerling, dem er die bedeutung 'hexe' beilegt (K § 261).
Aber auch wenn diese bedeutung als feststehend gelten dürfte
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488 VAN HELTEN
(vgl. indessen Fritzners wb. i. v.), wäre die gleichnng an. her-
(aus *hari-) = salfrk. her- nicht zulässig mit rücksicht auf die
§ 36 hervorgehobene erhaltung von a vor i oder j der folge-
silbe. Grimm deutet das compositum (Eechtsalt. s. 645, anm.
und Myth. s. 998) im hinblick auf qui kineo portare didUw
als = 'kesselträger' : (c)Äwcr(i)- (= an. hverty ags. htcer) und
'hurio\ in cheruiöburgum (Her.) sollte dann eine lesart vor-
liegen, die das alte u, wenn auch an unrichtiger stelle, ge-
rettet hätte. Doch ist zu erwägen: erstens dass eine solche
erhaltung angesichts der anderen lesarten ohne u, speciell des
neben cheruiöborgum bei Her. überlieferten herburgium, min-
destens für sehr unwahrscheinlich zu halten wäre; zweitens
dass es fraglich sein dürfte, ob bei der deutung des composi-
tums von qui kineo u.s.w. auszugehen ist; drittens dass, audi
wenn man hier eine durch frühzeitiges in Vergessenheit ge-
raten des lehnwortes veranlasste erhaltung von schon im
archetypus der recensionen der ersten familie (vgl. § 1^)
stehender verderbter lesart (ohne u) gelten lassen wollte, der
deutung von -burgius als * träger' die erforderliche gnmdlage
fehlt, weil uns eben die berechtigung sowol einer annähme
von salfrk. -burio * träger '0 als der zurückführung von -burgius
auf 'burio abgeht, das nur gallorom. -burio, -burigo oder event
'burius, "burigus hätte ergeben können (vgl. § 174).
Mit rficksicht auf das eine und das andere möchte ich
die folgende Vermutung vortragen, die sowol der Wahrschein-
lichkeit eines nie in unserem lehnwort vorhandenen conson. u
als des durch die Überlieferung -gium, -gio gesicherten -gius
rechnung trägt: salfrk. compositum *kerdburgio 'hexengönner'
mit zu ags. kdr, an. Mrr 'grauhaarig' gehörendem stamm
eines femininums = 'hexe' (diese bedeutung durch entwicke-
lung aus 'altes weih', vgl. Grimms bemerkung in seiner
Myth. s. 991) und *-burgio, dem (nach § 174) die ursprungliche
*) Die bernfnug von ahd. buren movere, tollere ist ansgeschlosseiif ds
die nomina agentis auf -jan, -tan denominativen Ursprung anfweiaea
(vgl. Kluge, Nomin. stammbild. § 12 und 13); die existenz vor altem bor
Uast' aber ist durch keinen germ. beleg wahrscheinlich zu flachen. Daae
nach Ahd. gU. 3, 425, 40 die zu 'Patronus^ stehende glosse als muntpurto
oder als muntpurto gelesen werden kann, hat angesichts der sonstigen
belege für muntporto, -purto (s. Graff 3, 169) keine beweiskraft
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zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 168—169. 489
bedeutung 'gewähr leistender' zukommt. Wegen ch- und (h)-
= salfrk. h- vgl. § 10; das e der ersten silbe = salfrk. e aus
ai weist auf verhältnismässig junge entlehnung des Wortes
hin (salfrk. ai hätte gallorom. a oder a4, e-i ergeben, vgl.
§ 156 und 176); das -e- für -a- ist zu beurteilen nach § 5ß
(dielesarten mit eher- u.s.w. durch ausfall); wegen des o von
-bargium vgl. § 4 a.
Als entstellung zu fassendes cheruiohurgum begreift sich
als durch vermittelung der verschreibung ^chere- oder *cÄm-
buburffium entstandene lesart: Verlesung von -utO' aus ^-tuo-
mit u f ür & (wie in fauaria, cauallum, s. Hesseis' index) und
o für t* (§ 4 a). Barbara ist lat. Substitut für das nicht ver-
standene und wahrscheinlich als berbargio (vgl. § 3/ und a)
gelesene wort. Die entstehung von neben Äcr(c)- von cod. 7. 8
in cod. 9 überliefertem recem- ist offenbar die folge des um-
standes, dass der copist sich des beamtennamens receniburgius
erinnerte (man beachte diese grade in cod. 9 begegnende, unten
im § 174 zu besprechende form).
Wegen des in diesem titel erscheinenden, jedoch nur in
cod. 1 fiberlieferten humnisfith 397, 1 aus Smnissith 'composi-
tion' s. § 12.
Zu 'si Stria hominem commederit' stehendes granderba
401, 3 fasst Kern (K § 264) unter berufung von an. grand
'frevelhafte tat' und djarfr 'ruchlos' als im schwachen nom.
sg. fem. stehende entsprechung von 'stria' (wegen des b vgl.
§ 66). Man vgl. wegen der composition ags. dädcene und
beachte Eerns deutung von ags. Grendel als durch sufflx 41
aus grand entstandener adjectivbildung.
§ 169. 'Si quis caballum alienum sine consilium domini
excorticauerit et interrogatus fuerit confessus, caballo ipso in
capitale restituat (dann hat er den wert des toten pferdes zu
ersetzen); si uero negauerit et ei fuerit adprobatum . . . sol. xv
culp. iud.' So tit. LXV nach cod. 6 mit der glosse tumechroso.
In cod. 1 erscheint statt dessen secthis (die anderen hss. ent*
behren der glosse).
In chroso erkennt man sofort chros (= 'caballum'; wegen
ch vgl. § 6/9) + lat. '0 (§ 5 a). Demnach muss in turne die ent-
sprechung stecken von 'excorticauerit'. Kern denkt (K § 265)
an altes curve 3. sg. praeter, opt. zu cervan 'kerben' und zwar,
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490 VAN HELTEN
indem er decorticare (statt 'excorticauerit' von cod. 6 und der
Emend. varr. und ^excortigaueret' von cod. 2 haben hs. 3.
Herolds ausgäbe und die texths. der Emend. ^decorticauerit'.
'decortigauerit') für 'an inaccurate spelling for decurticare er
decurtare to curtair ansieht und curve chroso = *secaverit
equo' mit ausgelassenem object tagl fasst. Man beachte jedocL
dass in den glossen sonst immer ein praes. opt als entsprechung
des lat perf. conj. begegnet (vgl § 8); dass im fragment der
ahd. Übersetzung die Überschrift unseres ütels äer andres kros
bifillit (s. Hesseis xliv, 1) lautet; dass sich Ahd. glL 2, 354.38
'excorticauerit biscindiV findet; dass in cod. 1 und 4 für 'excor-
ticauerit' stehendes decotauerit zwar zur not als auf decaudaverit
zurückgehend zu fassen wäre (vgl. § 4tß\ ebenso gut aber auch
als = decutaverit (zu cutis) verständlich ist. M. e. ist hier mnL
nnl. tomen 'genähtes lostrennen' heranzuziehen, das nach west-
nfrk. lautgesetzen auf altes *trunnian beruhen muss (metathess
von r vor kurzem vocal + tautosyllabischem dental, vgl
Francks Mnl. gr. § 106, meine Mnl. gr. § 120; o ans u vor r,
auch wenn in der folgesilbe i oder j stand, vgl mnL borstd,
dorre, störten, worgen etc.): zu hiernach anzusetzendem salfrL
Hrunnen (e für ia nach § 9; die annähme von metathesis des
r verbieten die § 83 besprochenen bracte, hruche = *hruste\
dem die durch Übertragung entstandene bedeutung 'schinden'
beizumessen wäre (zunächst durch einschränkung 'die haut
abziehen', dann 'abhäuten'), gehörte als 3. sg. praes. *trunma
oder -e (§ 79), welch letztere form durch ausfall von n (§ 4c),
Umstellung von r, Schreibung von e für % (§ 4 a) und ausfall
von -a oder -e überliefertes turne ergeben konnte.
Die glossierung von 'caballum excorticauerit' schliesst die
glossierung des für die bezeichnung des freveis unentbehrlichen
'sine consilium domini' ein, d. h. 'unberechtigterweise'. Dies
konnte ein adverbialer genitivus modi ^unrechtes (wegen A
vgl. § 6/9) ausdrücken: daraus durch ausfall von un oder %,
Verlesung von ^ aus r (§ 3r), Umstellung von M und Schreibung
von i für e (§ 4a) secthis. Somit enthielten die beiden hs&
je ein disjectum membrum der ganzen glossa Kerns secOtis
'genit. sing, of a fem. sechti denial' (E § 266), das mit afries.
seJctmrd 'leugnung' zu verbinden wäre und sich auf 'si uero
^egauerit' begehen sollte, ist mit rüoksicht mt d^s e der
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zu DEN MALBEROISCHEN GLOSSEN. 169—171. 491
Überlieferung (dem salfrk. wort käme nach § 36 ein a zu)
für weniger plausibel zu erachten.
§ 170. In einer novelle zur Salica heisst es (tit.LXVlilll):
si quis mulier qui cum seruo suo in coniugio copulauerit, omnes
res suas fiscus adquirat et illa aspellis faciat (1. faciatur und
vgl. wegen dieser form Ducange i. v. facitus). Brunner über-
setzt aspellis (Deutsche rechtsgesch. 1, 172 und anm.27) treffend
durch 'friedlos', indem er auf das in der Salica dreimal (LVI, 5.
LiXXVlll, 9. CVI, 9) begegnende extra sermonem, foras sermone
ponere = 'friedlos legen' hinweist (vgl. auch am schluss der
novelle et uero muliere ipsius deparentibus aut quaelibet panem
aut hospitalem dederit, sol XV culp. iud,). Das adjectiv ist
demnach als lehnwort zu fassen aus *äspilli (in welchem fall
das lat. e nach § 4a zu beurteilen wäre) oder *äspelli (mit e
durch anlehnung an das simplex), ia-bildung aus ä- (= ar-)
und spell, dem nach awfries. eedspil 'gerichtssprengel' und
gleichbedeutendem mnd. dinxspil, mnl. dinxpel (s. Schiller-
Lübben i. v. und MnL wb. 2, 205 f.) die bedeutung 'sermo,
rechtsgebiet' beizumessen ist. Die var. aspeüias (cod. 11) hat
ein nach § 2d zu beurteilendes eingeschaltetes a.
§ 171. Bei Verheiratung einer witwe hatte erstens der
bräutigam den oben (§ 141) zur spräche gebrachten reipus zu
zahlen, zweitens nach tit. LXXII (bez. LXXI) der Salica die
braut den eitern bez. dem bruder oder dem söhn des ältesten
bruders des verstorbenen mannes, event, wenn diese verwanten
nicht vorhanden waren, dem (nach Sal. LX bez. LXn etc. erb-
loses gut antretenden) fiscus eine gebühr zu entrichten, die
der einen Überlieferung (cod. 11) zufolge durch ad(h)esius be-
zeichnet wurde (in dem einmal begegnenden hacesium steht ä
durch vortritt nach § 4(J, c durch verschreibung für d nach
§ 2ß), nach der anderen (cod. 1) achasius hiess. Nach Rives
Überzeugender erörterung (Geschichte der deutschen Vormund-
schaft 1, 279 f.) repräsentiert diese gebühr einen loskauf des
Wittums vom erbrecht der verwanten des ersten mannes (vgl.
auch die von Geffcken, Lex Sal. s. 239 und 240 erwähnte lite-
raturO). Demnach könnte man erwarten, in dem ausdruck
^} Geffcken bezweifelt (Lex Salica 8.240) die richtigkeit yon Bives
lassuiig: an ein erbrecht der verwanten des ersten mannes wlü^ hier nicht
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492 YAN HELTEN
ein 'loskauf ' bezeichnendes wort widerzufinden. Doch ist auch
folgendes ins äuge zn fassen. Den verwanten des verstorbenen
mannes, deren erbrecht dnreh die widerverheiratung
der witwe keine einbusse erleiden konnte, stand das
recht zu, der witwe den heiratsconsens zu erteilen (vgl
oben § 141 und den daselbst citierten aufsatz Brunners). Dass
aber bei solcher widerverheiratung des verstorbenen gatten
erbe, dem ja ebenfalls (wenn nicht etwa sogar in erster linie)
die mundschaft über die betreffende witwe zukam, gänzlich
bei Seite geschoben würde, dürfte nicht für wahrscheinlich
gelten. Vielmehr ist von vornherein anzunehmen, dass diesem
bei besagter gelegenheit ein gewisses recht, wenn aach jao
forma, zustand. Diese annähme aber wird zur Sicherheit durch
einen passus des in rede stehenden titels: et $i isti (die vorher
erwähnten verwanten, die eitern bez. der bruder oder der söhn
des ältesten bruders des verstorbenen ehemannes) non fuermi,
tunc in mallo iudici, hoc est comiie aut grafiane, raget de eam
(reflex. = de se), in uerbum (uerbo) regis mittat (soll die heirats-
lustige witwe den richter ersuchen, sie im auftrage des konigs
freizugeben, aus der mundschaft zu entlassen), i) Et achasium,
quem parentibtis mortui mariti dare debuerant (L -c»/')), parti
fisci adquirat (1. nach der anderen hs. -atur; pars fisci steht
hier als synonymon der bei Ducange 6, 182, sp. 2 als ^fiscos'
gedeuteten pars regia). Was nun dem richter als bevollmäch-
tigtem des an die stelle des verwanten getretenen königlichen
Vormundes behufs empfangs des achasius für den ftscns oblag,
lag ebenfalls casu quo dem verwanten als empfänger des aAa-
sius ob; auch dieser hatte die witwe bei entrichtnng besagter
zu denken, weil im titel von einer durch kinder beerbten ehe die rede ist
Er tibersieht aber, dass es auch so noch ein yerwantenerbrecht gab, das
event beim abieben der kinder geltend gemacht werden konnte.
^) So nämlich ist m. e. der passus zu fassen, nicht als &n sich auf
die aufnähme in den königsschutz beziehender satz (dem Geffcken s. 241
als solchem einen declaratorischen Charakter beimessen möchte). £b handelt
sich hier ja nicht um die eben durch das fehlen eines yerwantlichen Tor-
munds bereits in kraft getretene königliche mundschaft, sondern um die
erlangung der ftir die eheschliessung erforderlichen mitwirkung des könig-
lichen Vormundes.
*) Es sei denn dass der Verfasser (in beiden hss. steht -ant) sich den
bräutigam und die braut als subject gedacht hat
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Zu DEN MALBERGISCHEK GLOSSEN. 171—172. 493
gebühr aus der mundschaft freizugeben, d. h. zu verloben. So
war mithin die freigebung der witwe mit dem loskauf des
Wittums verbunden, war der loskaufspreis (ungefähr ein zehntel
des Wittums, vgl. in unserem titel per decinus solidos singuli
in achasium debentur) gewissermassen eine Verlobungsgebühr
(man beachte auch Bives werte a.a.O. s. 280 'so hat diese gäbe
auch hier nur die bedeutung, als symbol die einwilligung des
Vormundes zu documentieren'), und es konnte demzufolge ein
ausdruck, der eigentlich 'Verlobung' bezeichnete, auch als ter-
minus für 'preis für den loskauf des Wittums' Verwendung
finden. Demnach wäre man berechtigt, in unserem achasius,
ctdhesius ein ursprünglich 'Verlobung' bezeichnendes wort zu
vermuten und für die deutung desselben mit Kern (K § 270)
den ags. fem. t-stamm hces 'befehl' zu berufen: aus für die
Periode der a*- herschaft anzusetzendem salfrk. *a(hais 'Ver-
lobung' (vgl. ahd. antheizan spondere, giheiean, as. gihetan
polliceri) konnte ja durch anlehnung an die flectierten formen
auf -i ein gallorom. achasius entstehen (ch für germ. h nach
§ 10; a für ai wie in texaga etc. § 20, uuaranionem § 127
und aristatonem § 156; Schwund von d des für at- eingetretenen
lat. ad- durch assimilierung); daneben überliefertes adQi)esius
mit lat ad- und durch anlehnung an jüngeres *athes, •% für
-himus (mit ä = germ. ä, vgl. § 10) eingetretenem -hesius
(wegen ähnlicher anlehnung vgl. die § 156 zu cheristadunam
etc. erwähnten formen).
§ 172. Am schluss des § 171 besprochenen titeis LXXn
findet sich die bestimmung: de puellas militurias (1. militu-
nicis und vgl. das gleich folgende citat sowie § 3<i) uel Utas
haec lex medietate seruetur. Also die militunia bez. die Uta
zahlt bei ihrer Verheiratung als witwe die hälfte des adhesius,
den die zum stand der freien gehörende witwe zu entrichten
hat. In ähnlicher weise heisst es im LXXVL (bez. LXXVII.
etc.) titel am schluss einer reihe die mishandlung bez. tötung
einer schwangeren frau betreffender strafbestinmiungen: haec
lex de militunias (var. miletunias bez. falsches multitudinis)
uel letas {sitie) romanas in medietate conuenit obseruare,
Militunia bezeichnet offenbar eine in stand der Uta, der halb-
freien, nahestehende frau und zwar, wie aus im ersten citat
mit miUturias verbundenem puellas hervorgeht (das dem zu-
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494 VAK H£LTEN
sammenhang zufolge nicht = 'madchen' sein kann), eine un-
freie. Brunner verbindet das wort mit miles, das er dem
ministerialis gleichstellt auf grund der semantischen Identität
von puer der Sal. XLII, 4 und Extrav. A VI, 2 mit nüles von
LXXVIin,2 der Sal. und mit rücksicht auf die verwendui^
der ministeriäles, der den liti nahestehenden unfreien höheren
ranges, welche den dienst zur führung des hanshaltes ver-
sahen (s. Deutsche rechtsgesch. 1,234 f.), zum kriegsdienst; mili-
iunia wäre demnach = 'ehefrau des miles oder ministerialis
(vgl. ib. 235, anm. 32). Woher aber die unlateinische endon^
des Wortes, statt deren man -issa (vgl. mlat. militissa 'ehefran
des ritters', comüissa, maiorissa u.s.w.) erwarten dürfte? Dem
s. 320, anm.l erörterten zufolge war im gallorom. das fremd wort
*afnbactonia (-unia) als bezeichnung für 'arbeiterin', 'pnella ad
ministerium' in schwang. Nach diesem muster konnte sich ans
*milüissa die hybride form milüunia entwickeln.
§ 172.* In tit. LXXnn (bez. LXXVI, Hesseis s.40a
sp. 1. 2) werden den meliores die minoflidis gegennbeif^teUt
Das nämliche lehnwort steht im Pactus Älamannomm (Mon.
Germ. LL. 3) 2,37. 40 und 3,25: si baro fuerit de mino
flidis (im gegensatz zu medianus Älamannus und prmus
Älamannus 2, 38. 39); $i femina mino flidus fuerit (im gegen-
satz zu mediana und prima Alamanna 2, 40. 41); ^de mino
fledis^ (im gegensatz zu medianus und meliorissimus 3, 26. 27);
vgl. auch die dazu begegnenden, Mon. Germ. 3,118 abgedruckten
varr. de medio fledis, de media flidis, dimidio fledis, de medio
fredis. Nach Brunner, Deutsche rechtsgesch. 1, 249 t gilt
minoflidis in der Sal. als bezeichnung für 'den besitzer eines
geringeren hofes, den gemeinfreien, der das normale mass des
grundeigentums besitzt', melior als bezeichnung für 'd«i gross-
grundbesitzer', ist aber ersterer terminus bei abfossong i&
alamannischen Pactus auf den gemeinfreien angewendet wordea
indem die mediani daselbst einen niederen, die primi bez. me-
liorissimi einen höheren adel bezeichneten. Schröd^ (Z&^ für
rechtsgesch. 7, 18) und Brunner (a.a.O.) fassen das sabsL als
ein compositum, dessen zweites glied den an. ags. as. flei, ahi
flezi, flxizi entspräche. Doch ist diese deutung sowol in for-
meller als in semantischer hinsieht unbedingt abzuweisen.
Aus dem comparativadverb. min und flai{t)i gebildetes bahn-
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Zu DEN HALBEEGISCUEK GLOSSEN. 172—173. 495
vrlhi-compositum hätte ein lehnwort minflat(t)ius bez. -is oder
mit lat. compositionsfuge (vgl. § 5ß) miniflai(t)ius bez. -is er-
geben können, keinenfalls aber ein minoflidus oder -is mit o
in der zweiten, flid in der dritten silbe bez. einer endung -as;
und eine bedeutung 'inhaber von bäuerlichem kleinbesitz'
liesse sich nicht mit den bedeutungen, worin flet etc. begegnen,
nämlich 'fussboden, bett, bank, halle, haus' vereinbaren. M. e.
ist hier von zu ahd. uoben (agrum) colere gehörendem, nach
art der wurzelabstracta got. ptvahl, fainveitl, ags. äreal, gifl
U.S.W. (vgl. Kluge, Nomin. stammbild. § 156) gebildetem salfrk.
*öfl auszugehen, dessen ursprünglicher abstractbegriff *agri-
cultura' durch Übertragung sich zu 'ager' entwickelt hatte;
hierzu durch ableitung nach art von ags. hyrned, ^elyfed
^gläubig', as. höhhurnid, got. unqenips 'unbeweibt' ein adjectiv
"^öflid 'grundbesitz habend', das im verein mit dazu stehßudem
min gallorom. minoflidus 'in geringerem mass grundbesitz
habend' ergab mit der endang -us, die den im Pact. Alam. be-
gegnenden belegen zufolge dem gallorom. zukam. Ob die aus
dem nom. pl. minoflidis der Sal. zu folgernde endung eine
ebenfalls ursprüngliche ist, dürfte zweifelhaft erscheinen: -is
findet sich m. w. in lehnwörtem nur, wenn die zu gründe
liegende form -i, -l oder -e hatte; und vielleicht wäre demgemäss
der plur. minoflidis (-es) als eine durch anlass von meliores
{-is) für *minoflidi eingetretene form zu fassen. Wegen des e
von mino fledis vgl. § 4a; de medio flsdis etc. rühren offenbar
von Schreibern her, die das fremdwort nicht kannten.
§ 173, Si quis muliere^n excapillatierit, ut ei obbonis ad
terra cadat. So in der novelle bei Hesseis 408, sp. 2 (cod. 2).
In cod. 1 steht ahonnis, in cod. 11 ohclinis.^) Die drei les-
arten weisen auf älteres obbonis hin: a für m aus o (§ 3a)
und b für bb, nn für n (§ 4C); c für versetztes o (s. auch § 177
und vgl. zu ö für c § 47) und li für b (vgl. § 64 zu äliunde).
Solches obbonis aber kann durch ausfall aus *obbondis ent-
stÄuden sein, das sich als fremdwort (auf solches weisen ja
die entstellungen hin) auf mit mhd. (von Kern § 272 hervor-
gehobenem) underbendc discriminale zu vergleichendes salfrk.
') Wegen des obpinis von Merkel s. 37 ygl. Holden ausgäbe des cod.
Yossianus b.44.
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496 VAN HBLTEN
*oßundi (mit of- 'unter', vgl. § 99) zurückfahren lässt: ob-
als lat Substitut für of-, o für t« (§ 4a) und 4s durch latini-
sierung der endung.
§ 174. Die widerholt in der Salica sowie in anderen
quellen für frankische rechtsgeschichte erwähnten rac(h)inlrtirgii
waren iiii älterer zeit sowol behufs urteilst indung eingesetzte
mitglieder der gerichtsgemeinde (vgl. Sohm, Die fränk. reiche
und gerichtsverfassung s. 372 ff., Brunner, Deutsche rechtsgesch
2, 220) als amtliche Schätzungsleute oder amtszeugen (vgl SaL
tit. L etc. LXXVni, 7. 9, Extrav. B 1, Lex Kib. 32, 2. 3 und
beachte auch Geffcken, Lex Sal. 198 f. 213 t). Als zur zeit
Karls des grossen an ihre stelle als ständige und königliche
beamten die scdbini getreten waren, erhielt sich insofern noch
eine erinnerung an das frühere Institut, da^ mitunter diese
scäbini mit dem namen ihrer Vorgänger benannt wurden (vgl
Sohm, ibid. s. 385).
Nach der seit Grimm (Bechtsalt. s. 775 und 293) allgemein
acceptierten ansieht hat der erste teil des compositums als
die entsprechung von got. ragin zu gelten. Nur beachte man
hierbei, dass die neben rcyinburgios, -iis, -ü, -n SaL 323, 2b.
332 oben. 359, lix. 368 oben. Extrav. B 1, Lex Rib. 32, 2. 3 und
55 weit häufiger begegnenden belege mit ch und c (s. unten)
auf die existenz einer fränk. nebenform zu *ragin, nämlich
*rahtn hinweisen (vgl wegen lat. ch und c = geruL h oben
§ 10, wegen der angesetzten form got. rahnjan).^) Für -bur-
gius denken Grinun (Rechtsalt, s, 775) und MüUenhoff (bei
Waitz s. 291) an fränk. -burio ferens, lator. Kern (K § 240;
an 'buri: ersteres (vgl. auch s. 488, anm.) hätte gallorom. -burio,
'onis bez. (als -burigo) -burigo, -onis (vgl. sadbaro, -onis § 153)
^) Die Überlieferung des götaländischen königsnamen Chothäaico
Scriptores rerum Meroving. 2, 274, 20 (= an. Hugleikr) berechtigt m. e.
nicht zur annähme von gallorom. di als Substitut für inlautende sal&k.
Spirans g, zumal sich in den aus salfrk. formen herrührenden enüehnnngi«
immer g = inlaut. spir. g findet: -hur gius (s. oben und § 168), nutüiöergus
etc. (§ bß), uuargus (s. Hesseis' index i. y.), BagohMua, Dagobertus, Sigi-
hertiis, SigivcUdm u.s.w. (s. die indices zu den Scriptores rerr. Merov. 1
und 2). Man beachte die entstellungen des besagten namens Chloi^üakhum,
Chrochilaicho, ChXodüaichum, Hrodolaicum, UloddcLgo u.s.w. (Scriptt. rerr.
MeroY. 1, 110, 18. 44. 45. 2, 274, 48), die auch für ChoMkueo verderbte über^
liefemng wahrscheinlich machen.
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zu DEN HALBEROISCHEN GLOSSEN. 173—174. 497
oder (bei substituierung von -us für -o, wie in gasadus etc.
^ 179, anm.) -burius bez. -hurigus ergeben; aus -huri wäre -lurius
oder (durch anlass flectierter formen Amriges u.s.w.) -hurigus
hervorgegangen. Möglich wäre hier nur eine grundlage ^-burgi,
d. h. zu *burg oder *borg (= ags. borh, mnd. horch *bärgschaft')
.gehörendes ia-derivatum, oder *'hurgio (= as. auf *-hurgio
zurückgehendem burio 'bürge' der Ess. glossen). Die für das
eine wie für das andere anzusetzende bedeutung 'bürge' dürfte
hier eben durchaus verständlich erscheinen bei beachtung des
umstandes, dass besagte urteilsfinder nach Sal. LVEE (bez. LVIII
etc.) und der Eib. 55 für das von ihnen einzubringende urteil
zu haften hatten; mit rücksicht auf die für das germ. durch
as. burio, ahd. purgio, purigo, ags. byri^a belegte existenz des
schwachen nomens gebührt der ansetzung desselben für das
salfrk. der vorzug.
Neben rachin- Sal. 332 oben var. 359, lix var. 365, 1. 368
oben var. und 1. 2. 374, 3. 4. 377, 4, Kib. 32, 2. 3 var. 55 var. 32,
2. 3 und 55 (e codd. B) (das einmalige rahin- Sal. 320, 3 b ist
wol nur verschreibung für rachin-), racin- Sal. 330 oben var.
366 oben. 366, 1 var. 375, 3 var., Rib. 32, 2. 3 var., Form. Bign.
27, rachim- Sal. 332 oben var. 365, 1 var. 374, 3. 4 var. Rib. 32,
2. 3 (codd. B) var. 55 (codd. B) var., Form. Sen. recent. 4, rar
chym- Sal. 359, lix var. 368 oben var. 410 oben sp. 1 und 3, Rib.
55 (codd. B) var. (mit y für i wie z. b. in 8ygibert(h)us Mon.
Germ. Script, rerr. Meroving. 1, 103, 26. 141, 39. 46. 142, 27. 29.
49. 172, 30. 34. 35, Chylpericus ib. 141, 40, Brunechyldis ib.
141, 43, Chyldebertus ib. 142, 36, paradysus ib. 108, 47, symul-
acris, cybi, -t^, styrpe ib. s. 913. 916. 917. 918), racim- Sal.
329 oben var. 330 oben und var. 357, Ib var. 365, l var. 366
oben var. und 1 nebst var. 375, 3 und var., Form. Sen. recent.
1 und 6 mit m als phonetischer Schreibung, rochen- Sal. 356, 1
var. 365, 2. 3 und 1 var., Rib. 32, 2. 3 (codd.B) var. 55 (codd.B)
var., rachem- Sal. 329 oben, Rib. 32, 3 (codd. B) var., raceni-
Sal. 321, 3 b. 330 oben var. 366 oben und var. 366, 1 und var.
357, Ib und var., Rib. 55 (codd. B) var. mit e für i (§ 4«) finden
sich noch: racÄim- Sal. 318,3b. 327 oben. 332 obeu var. 363
oben. 373,3, racini- Sal. 362 oben. 362,1. 371,2, rachine- Sal.
316,3 b. 325 oben. 352, lvi. 356,1. 361 obeu. 363 oben. 361,1.
370, 3, racine- Sal. 317, 3. 326 oben. 353, lviii. 354, lvi. 362
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXV. 32
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498 VAN HBLTHf
oben. 363, 1, Rib. 55 (codi B) var., Form. Merk. 27. 28. 30
mit lat. -4' bez. -e- der compositionsfage (§5ß)] dnrdi Tolks-
etymologische anlehnimg an ratio umgebildetes rati<me' SaL
319,3b. 328 oben. 355, lvl 364 oben. 373,3; raihin' SaL 358,
Ib. 2b. 367,1. 376,2, Rib. 55 (codd. B) var., raikim' SaL 331
oben, rathnii' Sal. 322, 3, rathi- und rathen- 367 oben und L
377, 2, offenbar dnrch verschreibnng ans der teäer eines
copisten hervorgegangen, dem der name nicht mehr bekannt
war. VgL auch ramdm- Rib. (codd. B) 55 var.
Neben ragin- begegnet raghin- Rib. 32, 2. 3 var. 55 var^
dessen gh wol dadurch entstand, dass dem Schreiber radtm-
vorschwebte (vgl. ghaJmaUa § 179). Aus den gelegentlich er-
scheinenden composita mit regin- Rib. 32, 3 var. 55 var., regia^
32, 2. 3 var., Vaissette, Hist du Languedoc 2, no. 163, regoh
Trad. Fuld. 2, 40 ist die existenz einer gallorooL nebenfonn
mit e zu erschliessen, die entstand durch anlehnong^ an das
im jüngeren fränk. (nach entwickelung des in den malb. glosBen
noch nicht vorhandenen umlauts von a, vgl. § 36) gesprochene
^regin-^) (wegen solcher auch sonst zu beobachtenden anlehnnng
vgl. § 156 zu cheristaduwi). Durch derartige anlehnong an
salfrk. VeAm- entstanden die formen mit recem- SaL 366, 1
var. (cod. 9). 375, 3 var. (cod. 9) und recyne- Sal. 326 oben
(wegen des y vgl. oben zu rachym-). Ob ragan- Rib. 32, 3 var.
55 var. auf salfrk. *ragan' beruht oder Schreibfehler ist für
ragin-, lässt sich nicht entscheiden. Wegen des Schwunds von
g in raimburgis Ademar 3, 19 (Mon. Germ. SS. 4, 122) vgl
Schuchardt, Der vocalismus des vulgärlat. 2, 461.
§ 175. Wegen trustis ^schütz', 'hilfe', 'königliche gefolg-
schaff, 'bände', 'polizeischar' und antrustio 'zur königlichen
gefolgschaft gehörender' vgl. Grimms Rechtsalt s. 275. 943,
^) Eine andere beorteilnng erfordert natürlich das e Ton nebea
{t)^aruarium, -o 43, 4. 42, 4 und var. 44, 4, sparoario 41, 4 var. belegten
{{)speruar%um 41, 4. 42, 4 varr. ans ^spannuari = ahd. sparwari 'spezfier':
der Tocal ist die folge von vnlgärlat entwickelung yor r (vgl. Schudiardt
Der vocal. n. s. w 3, 335, anm.). Als ein gleicher laut hat wabncheiBlicb
auch das e zu gelten von im 7. abschnitt der 2. Extaravagantia (Hesaeb
s. 421) begegnendem sterdäre (ch als roman. Schreibung für c vor t) 'gewähr
leisten', das von Kern (K § 298) mit as. sterkian, aofHes. sterka identificiert
wird und sich in semantischer hinsieht mit awfries. sUrkia 'den gericht-
lichen beweis für etwas erbringen* (s. v. Richthofens Wb. i. t.) verglekfat
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Zu DEN HALBEBOI8CHEN OLOSSEN. 174r-176. 499
Kern in K § 215, Brunners Rechtsgesch. 1, 142. 2, 97. 496. 570
und Zs. f. rechtsgesch. 2 9, 210 ft Ich erwähne hier die Wörter
nur: erstens um die herkanft von trtistis ans salfrk. /i-stamm
*trust flect -1 zu betonen (gallorom. -is durch anlehnung an
die flectierten formen); zweitens um wegen des Zusammenhangs
der bedeutungen 'hilfe' und ^gefolgschaft' ^bande' = 'hilfe
leistende schar' an die bekannte und überaus häufige Über-
tragung einer bezeichnung der handlung auf das subject dieser
handlung zu erinnern; i) drittens um das erste compositions-
element von antmstio^) hervorzuheben, das als '(dem könig)
nahestehend' zu fassen ist und sich vergleicht mit an(a)' in mhd.
anerbe, mnd. anerve 'nächster erbe', got. analeikö, ahd. anagilih,
ags. anllc (aus den endungen -o, -onem u. s. w. des lehnwortes
ist auf salfrk. *antrustto flect. -un zu schliessen; vgl. § 156
zu arestatonem).
§ 176. 8i quis stadalem uaidaris ceruum aut bouum
cerui atribute^) saUuerit 410, Lxxviiin. In der rubriktafel
steht si quis stadalem uaidaris ceruum aut bouem cerui
atributaria^) salierit
Kern führt (E § 276) stadalis zurück auf salfrk. stadali
'stationary', derivatum zu stadal 'Station' (1. ^staÖalU oder -ali
und *stafat), und vergleicht stadalem ceruum mit ags. stcelhrdn
'lockrentier' (eig. 'im stalle stehendes renntier'). In uaidaris
erblickt er den gen. von uaidaris 'jäger' aus salfrk. mit ags.
wdä, ahd. weida venatio in Zusammenhang stehendem uuaidari
(l.*i««at^ön): entlehnung in einer periode, worin der diphthong
noch keine contraction erlitten hatte (vgl. § 190a),
>) Abzuweisen ist Kahles in Schröders Deutscher rechtsgesch.' 32, 27
vorgeschlagene annähme einer Volksetymologie, welche eine nebenform zn
druht, nämlich druhst, mit trust in Verbindung brachte: die existenz von
altem druhst (vgl. Kahles behanptnng bei Schröder 32, 26) ergibt sich weder
ans ahd. gadrasci cohors, mhd. gedrusche, gedrosch (das wegen des anf jE»
hinweisenden d hier fernzuhalten ist; Zusammenhang mit ags. Ih-ecU ca-
terva) noch ans mhd. getruste ^ schar* (coUectivbildnng zu *^n4«0, noch ans
as. drusten 'herr' (das gar nicht existiert); auch wäre eine form druhst
einem bekannten lautgesetz zufolge nicht grade für wahrscheinlich zu
halten.
') Wegen der Varianten andrustio, cmdruscio vgl. § 4/ nnd SS.
') So nach Holder in seiner ausgäbe des cod. Yossianus. Hesseis hat
ceruia tribute bez. ceruia tributari asalierit,
32*
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500 YAN HELTBN
Bos cerui soll nach Kern (E § 277) 'a clumsy Latinizaüon'
sein *of some word like N.H,6. hirsdihih, a doe, properly a
deer-cow.' Müsste man aber bei solchem verfahren des Ver-
fassers des lat. textes nicht vielmehr uaccam cerui erwarten?
Besser käme man dnrch bei der annähme von cerui als dui*ch
vorangehendes ceruum veranlasster verschreibung für carucae
^also bouem carucae = 'pflugrind'); s. gleich nnten.
Für atribute (statt *atributare) bez. atributaria denkt Kern
(E § 278) an entstellung aus chatriuü Hriutim habens' (weg^
triutis oder besser triuta vgl. § 120) oder einem ähnlichen
ausdruck 'which some scribe, in his eagerness to give a Latin
shape to a word which he did not understand, changed into
{a)tribute' Doch bleibt bei dieser annähme das -ar- nnerklärt
Und was wäre hier ausserdem mit saliuerit bez. salierit oder,
wenn das vorangehende a eigentlich zum verbum gehörte.
asalierit anzufangen? 'Springen' oder 'bespringen' oder 'an-
greifen' würde in diesem Zusammenhang keinen sinn gewähren.
An Eems hervorhebung von 'triutim' anknüpfend bemerke ich,
dass in atributa unschwer eine durch Verlesung von b ans
hiatusfüllendem A (§ 3/ und 4tf) entstandene entstellnng ans a
(präpos.) triuta zu erkennen ist. 'Von dem hölzernen (fuss)-
bande' lässt auf mit dem nomen verbundenes verbum 'los-
machen' schliessen; so aber liegt es auf der band, in *re sali-
uerit bez. ria salierit entstellungen zu erblicken aus *resolueiiL
Der in unserem Paragraphen gemeinte frevel wäre also das
losmachen eines jagdhirsches (vgl. oben § 120) oder pflugrindes
vom fussband, was dem tiere die gelegeuheit gäbe, fortzu-
laufen.
§ 177. 'Et qui (l si) in ipsam mansionem aut sortem
aliquid petrio iaratro fuerit factum' steht als glosse acre bra-
stasit 411, Lxxxviiii (aus dem cod. Vossianus; s. auch Holders
ausgäbe der hs. s. 48. 49). Das monstrum petrio taratro steht
dem Verständnis unseres paragraphen im wege. Doch scheint
es mir nicht unmöglich, da die arge entstellung anf ein
zu gründe liegendes nichtlateinisches wort hinweist, an der
hand eines bereits aufgedeckten salfrk. ausdrucks der ursprüng-
lichen lesart beizukommen. Aus *mithi oforasta, das wir oben
§ 119 als technischen terminus für 'per uirtutem' oder 'per
superbiam' kennen lernten, und vor dem ausdruck stehendem
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zu DEN MALBEBGISCHEN GLOSSEN. 176—178. 501
lat. per (wepfen ähnlicher Verwendung von per vgl. § 74 am
schluss) lässt sich nämlich bei berücksichtigung einiger in
unserer glossenüberlieferung zu beobachtenden entstellungen
das citierte abracadabra herleiten: petrio durch Umstellung aus
*i?6r ti 0 für *per mithio (ausfall von mi und Schreibung von
t für th nach § 6j9); taratro aus '^-ferasta (wegen ofer-, nicht
ofoT' s. unten) durch assimilierende Schreibung von t für f
oder (nach § 6d) dafür eingetretenes b (§ 2f) und von a für e
(§ 2 t), Versetzung von (nach § 3 t) aus s verlesenem r und
assimilierende Schreibung von -o für -a (nach petrio, vgl. § 2£
am schluss). Die annähme gewinnt an Wahrscheinlichkeit
durch a&re brastasit, das sich als aus *mithi oferasta + ^sunt'
des texte« (vgl. § 2?;) entstandene lesart begreift: zunächst *ti
für *mithi nach dem muster der im text stehenden lesart
(s. oben), dann Verlesung von a aus *ti (nach § 3/3); ausserdem
c durch Verlesung aus o (vgl. § 173), re b durch Umstellung
aus *ber für *fer (§ 6cJ), r durch einschal tung (nach § 26), sit
durch verschreibung für 'sunt' (vgl. K § 283).
§ 178. Die der tochter bei ihrer Verheiratung bez. dem
söhne bei vornähme der ersten haarschur gegebene Zuwendung
brauchen die so bedachten sich bei der erbteilung des väter-
lichen nachlasses nicht anrechnen zu lassen (vgl. Geffcken, Lex
Salica s. 253). Der diesen rechtssatz enthaltende paragraph
(412, c bez. Lxviiii etc.) führt die Überschrift 'de chane creudo^
cod. 1 bez. 'de cane creuto^ cod. 2, 'de ane crenodum^ cod. 11,
woraus sich als eine ältere lesart *chane crenodo erschliessen
lässt (wegen ca- und a- für cha- vgl. § 6|9. y; u in cod. 1. 2
für no durch ausfall von o und Verlesung von w aus n, vgl.
% Sj€ und 188; t für d nach § 3x). Das in dieser lesart
steckende, ursprünglich als glosse zum Paragraphen stehende
nomen (vgl. § 71 am schluss) muss also 'Schenkung' oder ähn-
liches bezeichnet haben. Auf grund der anderwärts zu beob-
achtenden Verlesung von n aus u (§ 3^) und von r aus s
(§ 3 t) sowie der üblichen Schreibung von e für i (§ 4 a) und
des antritts von lat. -o (§ 5a; wegen -um für -o s. daselbst)
ist die möglichkeit von ursprünglichem *chauecsin od anzu-
nehmen, d. h. von im gen. sg. stehendem, aus *gaba und *€cso
(=BS.ecso 'besitzer'»)) gebildetem compositum (wegen ch als
^) AuffäUig ist das c, statt dessen man g oder mit rücksicht auf die
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502 YAK HELTEK
Schreibung für g und u als Schreibung für S s. § 6ß, d; wegen
e aus ai vgl § ^ß) und *öd 'besitz'. Oegen Eems (E § 285)
chandiclenodo spricht: erstens dass sonst keine verwechslnDg
von l und r begegnet; zweitens dass sich für altes ai Tor
nasal in den glossen sonst immer a oder auf ai hinweiseDdes
acht bez. i findet (§ 4ß und 18. 75); auch dürfte die nach d^
von Kern berufenen hantgdbe, -giß 'angeld' anzusetzende be-
deutung 'arrha' in unserem Paragraphen nicht passend er-
scheinen.
§ 179, Frank, anlautendes g konnte bei der widergabe
desselben auf dem wege der lautsubstitution im gaUorom.
fremd wort yerschiedene behandlung erleiden: man sprach, die
spirantische qualität vernachlässigend, die media g oder man
verfuhr, indem man diese qualität zu gehör bringen wollte,
wie bei der widergabe der aspirata h (vgl. § 10), d. h. sprach
ch, h oder Spiritus lenis. Vgl. gasacium, gasacchionem etc.
'Widersacher' tit. L (bez. LI etc.). LI (bez. LH etc.). XCI (cod.
7. 8. 9, s. Hesseis 866) aus salfrk. *gasaMio,^) gamaUus (-um)
'gerichtsangehöriger' 307 und 308 oben (cod. 1. 2) aus *gamal{l)
(bildung nach art von ags. ^es0 'zum gefolge gehörig^',
^eleod 'Volksangehöriger'), doch rhamallusSlS (r durch Verlesung
aus c, § SQ, hamallus 309. 311. 314, am(m)allus 312. 311 und
314 van (s. auch L. Rib. 33, 1). Die nämliche doppelformigkeit
erhaltong gattoraler spirans vor s im as. und salfrk. (ygl. § 28) bei pbo-
netischer Schreibung hs bez. chs gewärtigen machte. Dürfte man hier
etwa an die frühere existenz eines nomens Eco (mit c aus altem ^n') denken,
das die regelrechte form egso beeinflusst hätte?
1) BeztSglich der überlieferten formen dieses wortes gctsaecntm 323,
2 b Tar., gasacium 317,2 b. 330,1, gassacium 321,2 b yar., gc^atium 330,1
Tar. 332,1 yar., gasacio (acc.) 316,2 b, gas{s)ackio (acc.) 322,2 b, gasae-
ch(i)um 323, 2 b. 332, 1 und var., gasackium 331, 1 yar., gassacümem 321,
2b yar. 366,1 yar., gasationeim) 321,2b yar. 366,1, gassaU^me 320,2b
yar., gasacchionem 323,2b, gassaccionum 323,2b yar., gasationum 321, 2b
beachte die aus -ium, -io zu erschliessende nominatiyendung -itis = salfrk.
'io (ygl. auch § 34. 168. 174 und die anm. zu § 192); die endungen -ione^my
'ianum durch anlehnung an salfrk. -mn des acc. (ygl. § 156 cn aristatonem);
die Schreibungen c für cc und ss für s (§ 4^; die roman. schreibimg <A
für c yor i und t für c yor » (§ SS),
Als durch Unkenntnis des wortes entstandene entsteUungen begegnen:
sagatium, -to 321,2 b. 318,2 b, satacium 321,2 b yar., cassatium 319, 2bt
cassahone 320, 2b, causattonem 366, 1 yar.
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Zu DEN MALBBROISCHEN GLOSSEN. 178—179*. 503
begegnet in zu diesem gamaUus etc. gehörendem chamälta bez.
gauialio (ui durch Verlesung aus m, § 3gX gamalta 414, sp. 1.
3. 4 in der mitte, das auf salfrk. *gamalthu (flect. -a, -u) ^ge-
richtsangehörigkeit' oder *-zwängigkeit' zurückgeht (derivatum
mit Suffix 'ij>ö, vgl. auch K § 288, nach art von got. weitwö-
dij>a zu weitwödSj ags. mce^Ö * verwantschaft', äteß 'diebstahl'
zu mä^, deof) und ein t als Substitut für bei der entlehnung
des Wortes noch nicht zu Ö gewordenes p (vgl. § 191) sowie
durch anlehnung an die flectierten formen auf -a entstandene
endung aufweist (das -o von gauiaUo ist offenbar Schreibfehler).
Wegen der bedeutung des nomens vgl. die belegsteile: et tres
erunt (drei zeugen) qui dicant (wenn der von einem stand-
genossen wegen wergelds belangte antrustion trotz wider-
holter aufforderung nicht vor gericht erschienen ist) quod (der
kläger) in XIIII noctes ei (dem beklagten) solem collocasset,
et Uli (d.h. nie) nullatenus de andrustione (mit bekanntem
vulgärlat. -e für -es, -is des genitivs) chamälta se legibus du-
xisset (sich der gerichtszwängigkeitspflicht des antrustions
entledigt habe; wegen dieser fassung von se ducere vgl. Hesseis'
index). Als Überschrift zu unserem titel steht in cod. 11 (s. 413)
de andustrione ghalmalta^ mit gh als compromissaler Schreibung
(vgl. § 174 zu raghin-) und l der ersten silbe durch einschaltung
(nach§2(J).
§ 179»* Als gerichtliche termini zur bezeichnung von 'am
anberaumten gerichtstage bis Sonnenuntergang auf den gegner
warten' waren bei den Franken das verb. *söl sat(t)ian (mit
regelrechtem tt oder durch analogiewirkung entstandenem t,
vgl. § 152) und das verbale *sölsatt (vgl. wegen der endung
§ 5 a) in schwang; man beachte die daraus entlehnten, in der
Salica und in fränk. formein begegnenden ausdrücke solsatire
Hesseis 413, lxxvi (wegen der möglichkeit von lat. t = germ.
tt vgl. § 4g; daneben die entstellungen solisacire 413, xcviir,
sole latere 413, cvi). Form. Marc. 1, 37, solsadire Duc. 7, 522,
sp. 1, solsadio ib. (roman. d für t, vgl. § 4/). Grimm erläutert
(Bechtsalt. s. 817) die Wörter durch die Umschreibung von Greg.
V. Tours 'placitum usque ad occasum solis observare'. Der
eigentliche sinn der Wörter aber ist offenbar (was ich hier
hervorheben möchte) 'die sonne untergehen lassen'. Für soU
tritt im lat. wort häufig durch Volksetymologie die präposition
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504 VAN HELTEK
sub' ein; vgl. die bei Ducange a.a.O. citierten suhsadire und
suhsadina {-sadina aas "^-satln, beachte wegen der endung § 5 a).
Bekanntlich begegnet in den gallorom. texten ausser dem er-
wähnten lehnwort auch eine Übersetzung des verbs solem
coüocare, culcare, coUicare etc. (s. Hesseis' index, Grimms Bechts-
alt. s. 817, Ducange 2, 410).
§ 180. Bruhner hat in seiner schönen abhandlung Mithio
und Sperantes (in der Festgabe für Beseler) den endgUtigen
beweis erbracht, dass dem in Marculfs Formeln und in mero-
vingischen bez. karolingischen schütz- oder immunitätsbri^en
begegnenden mU{h)io (mithius) die bedeutungen ^gerichtliche
verantwortimg' (s. Mithio s. 4ff.) und *kreis der personen, für
welche der herr gerichtlich verantwortlich ist' (ib. s. 17 ff.)
zukam und die in diesen quellen widerholt erscheinende formel
mit{h)io redebere 'zu gerichtlicher Verantwortung verpflichtet
sein' bezeichnete. 1)
Ein mti(t)hio ^Verantwortung' erkennt Brunner auch (ib.
s. 23) in den beiden stellen des 5. capitulars zur Salica (bei
Hesseis s. 413. 414) in illo mallobergo respondere aut conuenire,
ubi antrusciones mithio reddant (bez. mittiu redebent) und
quod ibi fuerint, ubi mitthio (bez. ad mitteo d.h. behufe der
Verantwortung vor gericht) ad noctes XIIII (der kläger dem
beklagten) solem coUocasset Für mitio (michio statt mithio
nach § 3()) in drei rubrikverzeichnissen zur Salica {si quis in
mitio bez. michio alieno per ingenio furtum fecerit) nimmt er
treffend (ib. s. 25 ff.) eine bedeutung 'bereich der Verantwort-
lichkeit' an. Wegen der glossen mithio frasito etc., tmiho-
forasta etc. und andometo etc., deren mith(t)o und meto etc.
^) Zwar hat Hermann in seiner schrift Noch ein wort über Mitliio die
richtigkeit yon Brnnners ergebnissen beanstandet, doch befriedigen seine
ansführungen keineswegs in sachlicher noch auch in etymologischer hin-
sieht (mitio = got. mats, as. metil).
Zu den belegsteilen für 'kreis der personen u.s.w.^ gehört noch der
Ton Brunner nicht besprochene, in Hermanns schrift (s. 65) angesogene
passus aus einem schutzbrief von kön. Pippin d. kl. für das kloster Amisola:
praecipirmts, ut neque vos neque juniores aut successores vestri cMaÜbwi
ipsiiis loci nee micio (wegen ci für U vgl. oben § 3(5) poiestatis iUamm
nee homines, qui per ipsos legibus sperare videnlur, inquietare . . . prae*
sumatis.
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Zu DEK MALBERGI8CHEK GLOSSEN. 179^—180. 505
Bmnner (ib. s. 19 ff.) gewaltsamerweise mit dem besagten
fremdwort identificiert, vgl. oben § 119 und 143.
In dem bekannten Paragraphen von Chilperici Edictum
(bei Hesseis s. 409) stmiliter conuenit, ut quicunque ad mallum
fu^t et in ueritate testimonia non habuerit, unde sc aeducat,
et necesse est aut initium ßdem faciant, et non häbuerit
simili modo, qui pro eum fidem faciat, et ipse in sinextra
manu fistucam teneat et dextera manu auferat möchte Brunner,
die von anderen vorgeschlagene änderung ut mitium mit recht
abweisend, entweder ad inium oder ut (in) inium = 'über
den kesselfang' lesen (Mithio s. 24 f.) und zwar mit rücksicht
auf das recht des beklagten, der keine eideshelfer anbieten
kann, sich der kesselprobe als reinigungsmittels zu bedienen.
Die eine sowie die andere construction wäre jedoch befremd-
lich. Dürfte man hier vielleicht in ut mutuam ändern (was zu
gleicher zeit die ersetzung von faciant durch faciat unnötig
machen würde)? Man beachte Hermanns bemerkung zur in
rede stehenden stelle (in der oben citierten schrift s. 25): 'der
beklagte . . . leugnet seine schuld, bietet aber keinen reinigungs-
beweis an. . . Der beweis muss unter diesen umständen dem
kläger zuerkannt werden; und es ergeht deshalb das urteil,
dass der beklagte schuldig ist, die und die busse zu zahlen,
falls der kläger den und den . . . beweis bringe. Die erfüUung
dieses urteils müssen natürlich beide parteien sich gegen-
seitig durch arramition zusichern'.
Für die etymologie von mit(h)io ist mit dem umstand zu
rechnen, dass das fremdwort an den fundsteilen sowol mit th
als mit t begegnet (s. wegen der belege Brunners Mithio s. 3
und sonst passim; die sehr vereinzelten lesarten mit tth, tt
sind nach § 4g zu beurteilen). Dies führt zur ansetzung von
salfrk. ja- oder i-bildung, deren geminierte und somit stimmlos
gesprochene bez. einfache, in älterer periode noch nicht zu Ö
erweichte dentale Spirans (vgl. § 191) durch t widergegeben
werden konnte (wegen t = thth vgl. § 120 zu triutis etc.)
oder auch nach art des inlautenden consonanten in anthmallus
etc. (s. § 185) und des anlautenden in thunginus, thingare u. s. w.
(s. § 145 am schluss) durch thA) In solchem *miththi oder *mithi
») Vgl. auch das ih von in früherer periode entlehnten Wörtern: Ner-
ihu8, Juihungt, Greuthwngi, Goihones.
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506 VAN HELTEN
aber erkennt man sofort ein mit aind. mithas ^gegenseitig',
aslov. mite 'abwechselnd', got missö verwantes nomen (vgl
auch Brunner, Deutsche rechtsgesch. 2, 276, anm. 7), dem also
ursprünglich die bedeutung 'wechselrede' eigen war. Das
fremdwort erscheint meist mit -o (wofür ausnahmsweise -u,
vgl. § 4 a) als accusativ- oder ablativendung; durch mithius
in Mon. Germ. DD. M. no. 66, p. 59 wird aber das masc genos
belegt. In mitico und mitigo 'personenkreis u.s.w.' (vgL Bran-
ners Mithio s. 18. 19) begegnet eine vulgärlat Weiterbildung
auf 'ico, -igo (vgl. § 4y), d. h. substantiviertes adjectiv mit
sufflx 'icus. Die nämliche endung findet sich auch in den von
Brunner (ib. s. 27) hervorgehobenen infra- und forasmiticum.
§ 181. Si quiscumque domum uiolenter distruerit, d4>mum
si pro finnanientum elrius hdbuisse probatum, qui hoc facere
praesumpserit . . . XLV sol. cülp, iud. tit. CVII (s. 414). Dieses
ebriu^ von cod. 1 steht auch in cod. 2; cod. 11 hat hd^rius
(vgl. § 4(J), cod. 10 iberus. Als prototypus ist demnach ebrius
vorauszusetzen (iberus als entstellte lesart mit « für e und
versetztem e). Kern (K § 293) denkt an ein lehnwort ans
salfrk. eber (ahd. epur, eber, -ir, ags. eofor, an. igfurr) nnd
legt demselben unter benifung von nl. beer 'eberschwein' und
'Stützbalken' die letztere bedeutung bei. Gegen diese etymo-
logie spricht erstens der endungsvocal von eptir u.s.w., zweitens
das i der endung der gallorom. form. Ich möchte das wort
in besagter bedeutung auf salfrk. *adri, derivatum zu altem
*abr = got. abrs Ioxvqoq, zurückführen: zunächst durch eni-
lehnung '^abrius (b als Substitut für die lab. Spirans); dann
durch anlehnung an durch jüngere entwickelung entstandenes
*ebri (vgl. § 174 zu regin- statt ragin-) ebrius (das b als zeichen
für auf gallorom. Sprachgebiet aus der media entwickelte
Spirans; vgl. § 156 zu lauu£). Das -us der bel^^n form ist
natürlich endung für den acc. pl. (statt -os).
§ 182. Zu 'si quis flliam alienam sponsauerit et se retra-
xerit et eam noluerit prindere' steht nach cod. 7. 8. 9 eine glosse
frifcLsüna bez. fribastina (mit b für /) § 6d) 420, sp. 1. Ein in-
haltlich hiermit übereinstimmender paragraph hat 'malb. /h-
frasigena^ 420, sp. 2 (cod. 10). Durch Kerns berufung von as.
fri 'frau' und an. fastna, mhd. vestenen 'verloben', ahd. festm
pactum (K § 294) wird uns frifastina klar als verbales sahst.
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Zu DEN HALBEBGISGHEN GLOSSEN. 180—182.* 507
auf 'in mit angetretenem lat. -a (§ 5a; wegen des nicht um-
geläuteten a vgL § 36; wegen eines anderen compositums mit
frt' s. § 55). Für frifrasigena zieht Kern ahd. farsagen renun-
tiare heran. Welche form indessen für das hierzu gehörige
verbale anzusetzen sei, ist nicht zu entscheiden: -sagm mit
aus den flectierten casus stammendem -e- (sagan mit in ge-
schlossener Silbe aus -e- entstandenem -a-, vgl. das § 70 zu
*leuanth(i)emo bemerkte, ist im hinblick auf die Überlieferung
nicht wahrscheinlich) oder -sagtn mit -In durch analogiebildung?
Mit der üblichen Verwendung der glossen zur bezeichnung des
freveis oder der strafe stände aber die Überlieferung von cod.
7. 8. 9 in Widerspruch. Man verlangt einen ausdruck =
^kündigung der Verlobung' event. 'dafür zu entrichtende
busse* (vgl. § 39), also ursprüngliches *frifastin (gen.) farsagen
oder 'in, woraus durch latinisierung '^frifastina farsagena oder
'ina, das einerseits durch ausfall des zweiten glossenteils fri-
fastina, andrerseits durch ausfall von -tina (das äuge des co-
pisten sprang von fas über auf far; wegen der ähnlichkeit der
schriftzeichen für r und s vgl. § 3 t) und Verlesung von t aus a
(§ 3«) *frifarsigena oder -ina ergab, woraus dann durch Um-
stellung (und event. substituierung von c für i nach § 4 a) die
lesart von cod. 10.
§ 182.* Wenn der herr des eines freveis beschuldigten
sclaven diesen nicht am festgesetzten termin vor gericht stellt,
hat er selber nach paragr. 12 ^ des Pactus pro tenore pacis
(Hesseis s. 418) inter fretum et feitum = 'sowol das (der öffent-
lichen gewalt gebührende) friedensgeld als die (der verletzten
partei zukommende) sühnbusse' zu entrichten (varr. inter freto
et fedo, inter fredo et faido, inter fredum et faidum\ wegen
inter ... et = 'sowol ... als' vgl. Ducange L v.; wegen des
Charakters der beiden geldstrafen s. Brunner, Deutsche rechts-
gesch. 2, 621 f.). Der nämliche ausdruck begegnet auch in tit.
XXXV, 7 (bez. XXXIV, 5. XXXV, 6, s. Hesseis s. 55. 56. 57):
inter freto et faido, inter fretum et faidum, in facto (entstellt
aus inter faido oder faito) et freto. Aus einer Urkunde kön.
Chlodwigs ni. citiert noch Sohm pie fränk. reichs- und ge-
richtsverf. 107, 16) in exfaido (zu verbessern in inter faido)
et fredo, Freto etc. begegnet auch sonst in der Salica: fretus
77,6. 127,5. 128,8. 131,5var. 334,4. 335,2. 338,2b. 4b. 418,
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508 VAN HELTBN
16 und LxxxviiiT, fredus, -os, -0, -um 75, 4. 78, 2 und var. 79, 5.
80,5. 129,7. 130,7. 132, xxxm var. 133,6. 134,9. 326,3. 327,3.
328, 3. 330, 3. 332, 3 etc., fritus, -o 73, 6. 325, 3. 334, 2, fridus,
-0 132, xxxm. 328, 3. 337, 2. 4. 339, 2. 4.0
Das t der beiden fremd Wörter weist auf entlehnung derselben
in einer periode hin, worin das ]> noch nicht zu ff geworden
war (§ 191), also noch fri]m, faihipti gesprochen wurde. Das
für t eingetretene d repräsentiert die romanische erweichung
(vgl. § 4y). Wegen des e von fretus etc. vgl. § 4 a. Feitum,
faidum, -o durch Schwund von h = salfrk. aspirata (wegen
anderer Substitute dieser aspirata s. § 10) und substituierung
entweder von a oder von ai für salfrk. ai (vgl. § 20 zu te^mga
etc. und iaxaia etc.; also entweder fahi-, woraus fa-i-, fe-i-, oder
faiki-, woraus fori-, fe-i-, vgl. § 144 zu laisum etc.). Das e von
fedo ist entweder durch voranstehendes freto veranlasste ver-
schreibung oder es repräsentiert durch anlehnung entstandenes #
(wie in cheristaduna u.s.w., s. § 156). Die endung von fcitum
etc., nämlich -um, -o oder (wenn in diesen -tiw, -0 ein acc. sg.
masc. vorliegt) -us, geht auf das suffix des nominativs (vgl.
§ 192) zurück im gegensatz zu dem auf -a des gen. aca s^,
beruhenden -a von faida der L. Sax. (s. den index auf s. 96
der Mon. Germ. LL. 5), der L. Langob. und anderer quellen
(s. Ducange i. v.). Wegen der bedeutungsentwickelung von
fretus etc. und des ihm zu gründe liegenden *frithu vgl. § 141;
wegen *faihithu und feitus oder -um = 'wegen feindlicher,
böswilliger Schädigung zu zahlende composition' beachte § 39.
§ 183, Als Überschrift (vgl. § 71 am schluss) bez. als glosse
(im cod. Wolfenbüttel) findet sich in einigen hss. der L. emendata
^) Statt /rec^u» schrieb ein copist einmal freda 131,5, indem ihm lat.
rrnilta vorschwebte. In cod. 4 findet sich einmal für fredus sabstitnieites,
den jüngeren rechtsverhältnissen entsprechendes furban 76,5 = 'königs-
bannbusse* (furban eig. = * verbot', dann 'die im verbot angedrohte
strafe'); wegen der in jüngerer zeit für das friedensgeld eingetretenen
königlichen bannbnsse s. Sohm, Die fränk. reichs- nnd gerichtsverf. s. 102 C
Nach Brnnner, Deutsche rechtsgesch. 1, 147, 22 sollte furban in gedachtem
Paragraphen si uero pueUa, qui irakitur, in uerbo regia est, furban exinde
MMB den culp. itid. ursprünglich die zu uerbo gehörende glosse sein.
die in den text geraten wäre und daselbst fredus verdrängt hätte. Doch
lässt sich diese annähme kaum rechtfertigen, indem die überliefemng der
texte der Salica von solchem Vorgang kein analogon aufweist.
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zu DEN MALBERGISCHBN GLOSSEN. 182—183. 509
inuictu stricto, inuitu stricto, inuittis tritto, vuistritto (s. Hesseis
S.420, sp.3) zu 'si quis pitto alterius excusserit', einem Para-
graphen, der offenbar zurückgeht auf 'si quis compari suo i)t<-
tnm excussQrit' 188, 9 (der Emend.).
Für stricto (woraus stritto durch Verlesung nach § 3(J)
vergleicht Kern (K § 295) afries. ofstrtca in enre frowa hire
hnese (nackentuch) ofestrizen. Das betreffende nomen ist
entweder als nom. == salfrk. "^strichto (mit sufflx 4ari^) oder
als acc. = *strichtun (wegen -o der Überlieferung aus *-Mn s.
§ 41) oder es steht mit angetretenem lat. -o (§ 5 a) für "^stricht
(wegen c für ch vgl. § 6j3). Für inuitu ist mit Kern ahd.
witta infula crinalis, ags. widfe 'band', afries. withthe, witte
*band' zu berufen, deren salfrk. reflex im gen. sg. als *uuith-
thün anzusetzen wäre: aus *uuithun des glossators (mit ein-
fach geschriebenem ih, wie im afries. sniithe, swethena u.s.w.,
vgl. Aofries. gr. § 123 j5) durch dittographie eines vertical-
striches von u (§ 2/), Verlesung (nach § 3jr) von n aus w,
Schreibung von t für th (§ 6/9) und ausfall von n oder nasal-
compendium inuitu (das et von inuictu durch einwirkung von
-folgendem stricto, vgl. §2rf; tmi durch ausfall von i und tu
und Verlesung von m aus « nach § 3jr). Also *uuithun stricht
oder '0 = 'das abreissen des haarbandes' oder (nach § 39)
stricht bez. -un = 'die dafür zu entrichtende strafe', woraus
hervorgeht, dass die Salfranken ein das lange haar hinten am
köpf haltendes, der durch an. hgfuö-, sJcarband bezeichneten
haarbinde zu vergleichendes band zu tragen pflegtien.
Die deutung der glosse ermöglicht es, dem beim ersten
anblick rätselhaft erscheinenden pittus des textes zu leibe zu
gehen. Auf grund des für den vorwestgerm. nom. sg. der
jö-stämme anzusetzenden *-f (s. Beitr. 21, 474) sind als die sal-
frk. für diesen casus verwanten bildungen formen mit einfachem
conson. und 4 denkbar (vgl. aus ahd. redia, brunia zu er-
schliessende *refi, *bruni) oder auch (ags. sib(b), brycg u.s.w.
entsprechende) formen mit auf analogischem wege entstandener
geminata, nach welcher das -i regelrecht geschwunden war.
Als bildung letzter kategorie konnte im salfrk. dem ahd. jö-
stamm fizza 'fädengebinde' (vgl. wegen des Stammes as. fittea,
ags. fitt 'abschnitt eines gedichtes') ein nom. sg. *fitt ent-
sprechen, der in der bedeutung 'ausfädengebinden gefertigtes
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SlO VAN HBLTSir
haarband' ein galloroman. lehnwort *fiUus ergeben konnte,
woraus durch Verlesung von p sxjis f (nach §SX) das im text
überlieferte pittus.
§ 184, Zu 'si quis alteri cultellnm furauerit' findet sidi
als Überschrift 'de cultello sexxaudro' 420. Nach Kern (K § 296)
läge hier scxxandro vor, der gen. pl. 'of the partieiple, Dsed
as a Substantive, from sexxan f or sexian, older sahsian^ a verb
which, with slight difference, agrees with O.N. saxa, to chop,
hack'. Ein solcher gen. plur. wäre befremdlich und unerklär-
lich. Ich möchte darum in sexxaudro die entstelinng ^nes ur-
sprünglich als glosse stehenden (§ 71 am schluss), zu 'alten
cultellum' gehörenden *sadis andras erblicken (wegen chs vgl
§ 28, wegen -as als genitivendung § 119): das e durch Ver-
lesung aus durch anlass von folgendem c für a verschriebenem e
(§ 3a), X < CS diVia chs (§ 6ß; etwa zunächst *sccs, dann^erX
XX durch dittographie (wie in texxaga § 20), u für n (§ 3x),
-0 dm^ch anlass von 'cultello' für durch Verlesung ans *-as
entstandenem ^-us (§ 3 a).
§ 185. Die zwei ersten abschnitte der Extravagantia B
(bei Hesseis s. 421) handeln vom verfahren im freiheitsprooess.
Der erste bespricht den fall, dass der als höriger in anspruch
genommene (und fem vom gericht, zu dem die erste ladung
ergeht, beheimatete) durch hingäbe eines wadiums und Stellung
eines bürgen sich dazu verpflichtet, ut anthmallo legitimas
(1. -o) in patria de qua est testes sue liberiaiis dare ddfeat
Im zweiten abschnitt wird der fall erwähnt, dass der beklagte,
der behauptet, quod ipsius servus non stt et suam Uberiaiem
in suo anthmallo proportare possit, keinen bürgen stellen
kann und der comes denselben dem kläger übergibt, ut eum
salva custodia inlesum ducat in anthmallo suo ad suam Über-
tatem proportandam. Vgl. Geffcken, Lex Salica s. 284 iL
Kern erblickt (K § 297) in anthmal 'a bad spelling for
hantmal, O.S. Jiandmahal, M.D. hantmael, which Eiliaen renders
by Forum competens; forum proprium, bannus scabinalis, iuris-
dictio in qua quis natus magistratu fungi potest, patritius ma-
gistratus, patritiatus'. Homeyer identiflciert anthmaUus in
ähnlicher weise (s. Abhandl. der BerL akad. 1852, s. 47. 72. 73)
mit mnd. hantgemal 'stammgut' und legt dem lat lehnwort
eine aus 'stammgut' entwickelte bedeutung 'heimat' bei. Sohm
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Zu DEN MALBERGISGHEN GLOSSEN. 183—186. SU
(Die fränk. reichs- und gerichtsverfassung s. 31 7 ff.) beanstandet
diese fassong, indem er das unstatthafte einer Übersetzung von
anthmallo legitimo in patria de qua est durch 4n der rechten
heimat (ih.) in der heimat, woher er stammt' betont und,
aus zwei ebenfalls vom verfahren im freiheitsprocess handeln-
den capitularien den passus ubi antiquitus consuetudo fuit de
libertate sacramenta adhramire vel jurare bez. in patria, id est
in legitimo sui sacramenti loco hervorhebend, anthmallus als
* Stätte des freiheitsbeweises' erklärt.
Meiner ansieht nach ist letzterer, sachlich begründeter
(auch von Geffcken a. a. o. befürworteter) f assung wenigstens
in der hauptsache beizupflichten, zumal sich mit derselben das
wort in der überlieferten gestalt auch in etymologischer hin-
sieht vereinbaren lässt. Lateinischem mallus zu gründe liegen-
des germ. (salfrk. ripuar. u.s.w.) *mall (mit II aus dl, vgl.
Sievers, IF. 4, 335 f.) kann nach ags. mmol, as. mdhal sermo
auch für 'rede' gegolten haben. Der erste teil des compositums
erinnert an die § 63 erkannte präposition *anth; für dessen th
den glossenlesarten anthi falthio und antesalina zufolge auch
in hochtoniger silbe erhaltung der spirantischen qualität an-
zunehmen ist. Also salfrk. *anthmall = 'gegenrede' bez.
* Stätte der gegenrede', woraus anthmallus (legitimus bez. suus
= 'gesetzliche, rechte statte der gegenrede') mit th (aspirier-
tem t) zur widergabe von p, wie in mithius, -o (§ 180) und in
aus der Merovingerzeit überlieferten eigennamen Chlotha(c)ha'
ritis, GunthakariuSy Gunthechramnus u.s.w. mit th = noch nicht
erweichtem ]> (wegen der belegstellen s. die indices zu Scrip-
tores rerr. Meroving. 1 und 2).
§ 186. Die Heroldina enthält eine die Überschrift *Inci-
piunt chunnat^ führende tabelle (bei Hesseis s. 424), worin neben
dem in solidi ausgedrückten geldstraf enbetrag die Umrechnung
derselben in denarii (1 sol. = 40 den.) glossenmässig ver-
zeichnet steht:
1. 'Hoc est unum thoa lasthi, soLin culp. iud.' (also 120 den.)
2. ^Sex anchunna, sol. xv culp. iud.' (600 den.)
3. ^Septun chunna, sol. xvii (l, xvii et dim.) culp. iud.'
(700 den.)
4. ^Theu vualt chunna, sol. xxx culp. iud.' (1200 den.)
5. ^Theu septen chunna, sol. xxxv culp. iud.' (1400 den.)
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ßl2 TAN HELTKN
6. ^Theu vuenet chunna, sol. xlv culp. iud.' (1800 den.)
7. ^TJw to condi vueth chunna, soL lxh et dimidio colp.
iud; (2500 den.).
8. ^Fit temu sunde, sol. c culp. iud.' (4000 den.)
9. ^Äcto et usunde, sol. cc culp. iud.' (8000 den.)
10. ^Theio (ho sunde ter theo chunna, sol. dc culp. lud.*
(24000 den.)
11. ^Fit temo sunde thue apfheo chunna, soL dccc ddp.
iud.'
Die nämliche tabelle findet sich auch in coi 8 (bei Hesseis
a.a.O.) und zwar in ihren lesarten im grossen und ganzen
dermassen mit der Heroldschen übereinstimmend, dass die her-
kunft der beiden aus ein und derselben, bereits erheblich ent-
stellten vorläge nicht zu bezweifeln ist (in cod. 8 sind die ab-
schnitte 3 und 5 ausgefallen):
1. 'Hoc est unum thoalasti, solidos iii culpabilis indicetür*.
2. ^Sexan chunna, sol. xv c. L'
4. ^Thu uualt chunna, sol. xxx c. i.'
6. ^Theu uene chunna, sol. xlv c. i,'
7. ^Thothocundi fitme chunna, sol. Lxn e. dim.^
8. ^Fit tertius chunde, sol. c c. i.'
9. ^Actoetus chunde, sol. cc c. i.'
10. ^Triofhvs chunde therte chunna, sol. DC c. L'
11. ^Fit tertos chunde tue apta cJmnna, sol. Dcc a L'
lieber abschnitt 1 wurde schon in § 11 gehandelt. Der umstand,
dass die Zahlbezeichnung desselben sowie die von abschnitt 5
und 7 auch als glosse begegnet (s. unten), lässt für die ganze
tabelle auf Zusammenstellung aus glossen schliessen. Wegen
der herkunft der vorläge der beiden tabellenüberliefemngen
aus vorläge X^ vgl. § 11.
Aus ttic, thue von 11 und aus theu von 5. 6 für tue (§ 7ß)
= salfrk. '^tue ergibt sich für das dem überlieferten dtnnna
ZU gründe liegende nomen neutrales genus: salfrk. Viunn, nach
des glossators Schreibung (vgl. § 6/9) *chunn acc. pl. ntr., dem
eine lat. pluralendung angehängt wurde nach art der häufigen
singularia mit lat. -o (§ Sa).*) Das nn der form, das schwerlich
>) Der Schreiber der Überschrift ^Incipiunt dmnnas^ nad des am
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zu DEN MALBBBOIBCHEK QL088BN. 186. 513
durch assimilienmg aus nd entstanden sein kann (vgl. § 40),
ist auf die consonantenverbindnng n + dental + n zui*ückzu-
f Uhren; das suff. führt zur annähme einer distributiybildung (vgl.
an. tvennir, Örennir u.s.w., got. tweihnai, lat. binus, trinus u.s.w.),
die durch Substantivierung als bezeichnung für 'hundertzahl'
in schwang kam.
In sex-an von abschn. 2 steht sex als latinisierung von
salfrk. *sechs (wegen chs vgl. § 28), -an als Verlesung (nach
§ 3 a) für aus septun des folgenden abschnittes entnommenes -un.
In dem pt von septun hat man vielfach einen rest von
indog. pt erblickt (salfrk. ft); doch dürfte es sich angesichts
des sonstigen fehlens von germ. form mit t eher empfehlen,
mit Kern (K § 301) an latinisierung von altem *sifun zu
denken (vgl. auch sex; wegen des i von *sifun vgl. § 124 zu
litus etc.).
In theuvualt, thuuualt von abschn. 4 liegt natürlich (s.Mxv
und K § 301) verderbte lesart vor aus *tuualif: th für t (§ 7 a),
theu (Her.) für thu durch einwirkung von theu des folgenden
abschnitt«, dreifaches u durch dittographie (§ 2y), ausfall von
'if und Verlesung von t aus doppelgeschriebenem c von chunna
(§ 3cf).
In theu septen chunna steht theu für tue (s. oben), septen
durch latinisierung (die sich auch dem vocal der endung zu-
wante) für *5i/M«; aus der Verwendung von tue geht hervor,
dass "^sifun mit chunn ein compositum bildete = 'siebenhundert-
zahl'. Als glosse zu 'den. mcccc' (bei Her. in tit. II) begegnet
die Zahlbezeichnung in tua septunchunna 16, 10 mit tua für
tue nach dem muster der endung des folgenden wortes (§ 2e)
(wegen des in dieser glosse vor tua stehenden et cepto vgl.
K § 21 und das § 96 über die Verwechslung von et und ex
bemerkte).
Theu vuefiet bez. theu uenc chunna in abschn. 6 gehen auf
*/t«c niunchunn 'zwei neunhundertzahlen' zurück: aus *niun
(wegen des i vgl. § 124 zu litus etc.) durch ausfall eines ver-
ticalstrichs "^niui, das durch Verlesung von u aus n und n aus u
schluss der tabeUe (in cod. 8) stehenden ^Explicit (/. Ezpliciunt) chunnas^
sah das chunna offenbar für einen sg. fem. an {-as als für den nom. yer-
wante accasativendnng).
Beiträge sur geschichte der deutschen tpracha XXV. 33
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514 VAV HBLTEV
(§ Sjt) sowie schreibang von e für i (§ 4a) uene ergab; daraus
dnrch doppelschreibang von u (§2/) und entstehiug Ton /
wie in vualt von abschn. 4 die bei Her. stehende iesart
In ihoihocundi and tho to condi von abschn. 7 erkennt man
HuGj d. h. tuä acc. pl. fem. (dass diese form and nidit tmo, d.h.
tuü, anzusetzen, lehrt die gleich anten za erwähnende glosse),
und einen plar. (== %oi. pusundjös) mit saffiz -e aas -ia (§9):
0 der Überlieferung für w und -t für -e (§ 4 a). S. noch weiteres
zu abschn. 8. In fitme chunna von cod. 8, das sich g^enüber
dem vueth chunna bei Her. durch die zu 'mmd den.' gehörende
glosse tua eymis fit mihachunna 16, 11 (Her.) als die weniger
verderbte lesart herausstellt und durch sein fitme »» fit mi
auf in der vorläge der tabellenüberlieferung stehendes fiime
oder -t hinweist, muss eine bezeichnung für 'fünfhondert'
stecken. Man postuliert demnach zunächst */S/'(d. h. fif; wegen
der Synkope von m vgl. inchabina etc. § 110) chunna. Aber t
(das keineswegs als verschreibung aus f gelten kann) + me
bez. -mi? Für die Verbindung von 'zweitausend' mit 'fünf-
hundert' ist die Verwendung eines copulativs denkbar, das, mit
rücksicht auf in den aJtostnfrk. und in den altmittelfrk.
Psalmen neben inde erscheinendes, durch in unbetonter sQbe
erfolgte assimilierung von d aus *ind entstandenes in, für das
salfränkische als Hnni anzusetzen wäre. Aus *ini aber konnte
durch Verlesung von ^ aus t (vgl. § 38 zu ihertesun 'in') und
verschreibung von w für w (§ 2/) tmi hervorgehen, das ent-
weder so oder in weniger verderbter gestalt durch Versetzung
nach fi(f) zu stehen kam; tme für tmi (nach § 4a). Also ur-
sprünglich *inni fif chunn. Die lesart der glosse hat nach
mi noch durch Schreibung von h für ch (§ 6/) und verlesnng
(§3a) aus dittograpischem *cAw entstandenes ha (§2/); das
tua zymis der glosse ist dem thothocundi etc. der chunnas-
tabelle zufolge als verderbte lesart zu fassen: zum voran-
stehenden paragraphen (16, 10) gehörendes in eymis (§ 16)
veranlasste durch contamination die entstehung einer lesart
tua (von Hua thusunde o. ä.) und jsymis (von in gymis). Das
vmth der Heroldina hat selbstverständlich als die entstellong
von aus dem vorangehenden abschnitt entnommenem vuenei
zu gelten.
Wegen fit ter, d. h. fitter, und acta von abschnitt 8 und 9
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2Ü DEN MAIiBBBGXSCHEK aLOSSSN. 186. 516
ans */?Ä€r ^vier' (das i ans altem *fipur mit durch u hervor-
gerufenem Yocal der paenultima; vgl. § 124 zu laus; das e der
endimg für u dnrch abstufung; Tgl. ags. fider- neben feodor-)
und ^achto 'acht' vgl. § 4g und 6^3. Aus üus chunde und ^-
ehunde von cod. 8 soll nach der vulgatansicht auf salfrk.
ih^hund zu schliessen sein. Doch stehen diesen lesarten als
Zeugnisse fflr Hhusund die thocundi und to condi yon ab-
schnitt 7 in beiden hss. (thocundi der vorläge mit c für ^ nach
§ ^ri) und die nu sunde, t usunde der Heroldina gegenüber,
während sich die tius chunde, tus chunde begreifen als ent-
stellungen aus *thusunde: trennung in *ihus und nach dem
muster der voranstehenden chunna für unde geschriebenes
chunde. Die lesart tertius beruht auf latinisierung von tertus
(d. h. -ter und tus für *thus); temu + s hat aus ti der vorläge
verlesenes n (wegen der möglichkeit solcher Verlesung vgl.
in Arndts Schrifttafeln taf. 14). In actoetus (acta et usunde
mit getrenntem et, das der copist für die lat copula ansah)
liegt bereits in der vorläge stehendes e vor, das durch Ver-
lesung (§ 3 c) aus (nach §26) eingeschaltetem c entstanden
war (Eögels ansatz ctctoe tuschunde = ahtöuui thüsuntä, s.
Gresch. der deutschen lit. 2, 424, ist abzulehnen, weil die car-
dinalia 4 U.S.W., bei adjectivischer Verwendung vor ihrem
nomen stehend, in den altwestgerm. quellen stets unflectierte
form aufweisen).
Für abschnitt 10 und 11 vermuten Holtzmann (lieber das
Verhältnis der Malberger glosse u.s.w. s. 6) und Kern (K § 301)
die Verwendung einer multiplicierenden bezeichnung. Ersterer
setzt thriotuc bez. fittertuc stundom acto chunna an, letzterer
ihfio bez. fiuer stunde tahte{t)o chunna. Ob man hier ausdrücke
für *drei-, viermal' oder 'dreissig-, vierzigmal' anzunehmen
hat, hängt natürlich von der deutung ab, die für ter tJieo bez.
therte und thue aptheo bez. tue apta geltend zu machen ist.
Weder acto noch tahte(t)o (= ahd. ahtozo) lassen sich in gra-
phischer hinsieht mit der Überlieferung vereinigen. Andrer-
seits drängt die berücksichtigung von tue, thue in abschnitt 11
und von oben erschlossenen Hue sifunchunn = * vierzehnhun-
dert', *tue niunchunn = * achtzehnhundert' zur Vermutung,
dass den betreffenden lesarten ähnliche Zahlbezeichnungen zu
gründe liegen.
38*
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&16 VAN HSLTEN
Das therie von abschnitt 10 in cod. 8 fährt auf den ge-
danken an altes *tue fithertichchunn 'zwei vierzighnndertzahlen,
achttausend' (wegen fithertich vgl. § 13), das durch frühzeitigen
ausfall von fi und ch (oder schrieb der glossator etwa fither-
tichunn?) sowie durch Schreibung von e für i (§ 4a) ein *iue
therte chunna ergeben konnte, woraus durch ausfall von tue
für die vorläge von cod. 8 und der Heroldina anzusetzendes
therte chunna, das in cod. 8 intact, bei Her. als ter theo chunna
(Verwechslung von th und t und antritt von lat -o nach § 3a)
begegnet. Für den ersten teil der Zahlbezeichnung wäre dem-
nach als Prototyp ein multiplicativ *thriostund (= ahd. drio-
stunt 'dreimal') anzusetzen, das durch beeinfiussung von selten
des vorangehenden abschnittes die überlieferte lesart gewähren
konnte: zunächst Verdrängung von *stund durch *thusunde
{Uhrio thusunde nach dem muster von *achto thusunde% dann ent-
Stellung von * thusunde zu tho sunde (vgl. § 4 a) bez. (nach dem
muster der im voranstehenden abschnitt stehenden betreffenden
lesart, s. oben) zu thus chunde. In theio steht e für c aus r (§ 3f. C).
Für abschnitt 11 ist zu beachten, dass die überlieferte
zahl 'sol. Dccc (bez. Dcc)' durch ausfall von m (bez. m und c)
für ursprüngliches 'sol. mdccc' steht: es begegnet in unserer
Lex keine busse von *sol. dccc', wol aber von *sol. mdccc'
(= 72000 den.); vgl. 253,4. 255,7 etc. 262,1. 263,1 etc. und
388,2c. 394,4 etc. (in 255,6. 390,2b und 256,5 sind *dccc'
■ und 'mccc' nach der Überlieferung der parallelstellen in mdccc
zu corrigieren). Aus fit tertos chunde und fit temo sund€ ist
dem zu abschnitt 8 und 10 erörterten zufolge ein prototypos
*fitlierstund (= ahd. fiorstunt) zu erschliessen: auch hier zu-
nächst ersetzung von *stund durch *thusunde, das einerseits
tos chunde, andrerseits no sunde (mit no für nach dem muster
von fit temu sunde von abschnitt 8 für thu oder tu geschrie-
benes *nu) ergab. Das tue und thue entsprechen dem in ab-
schnitt 10 durch ausfall fehlenden *tue. Demnach muss in
apta chunna und aptheo chunna eine Zahlbezeichnung *niun-
tich(ch)unn (vgl. das zu abschnitt 6 erörterte) stecken: ausfall
von ni, Verlesung von a aus w (§ 3 a) und von j> aus n (wegen
der ähnlichkeit der schriftzeichen für p und n beachte in
Arndts Schrifttafeln taf. 9 a und vgl. oben § 3(> und ö), apta
in folge von assimilierender (durch das a voranstehender silbe
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zu DEN MALBERGI8CHEN GLOSSEN. 186—187. 517
oder das -a von folgendem chunna hervorgerufener) Schreibung
(§ 2e) und aptheo mit -theo wie in ter theo von abschnitt 10
für *apte mit -te wie in abschnitt 10 aus *-^«(cA).
§ 187. In der Lex Salica, der Ribuaria, der L. Angliorum
et Werinorum und der L. Chamav. begegnet widerholt bei er-
wähnung von verbrechen gegen das eigentum (diebstahl, raub,
brandstiftung, Vermögensbeschädigung) neben dem einfachen
(durch capitale oder damno bezeichneten) oder dem mehrfachen
ersatz der gestohlenen oder beschädigten sache eine busse, die
in den drei ersteren quellen als düatura, delatura (wegen e
für i vgl. § 4 a), dilatio, in der L. Cham, als wirdira bezeichnet
wird. Aus den bisherigen, diese eigentlich dem fränkischen
recht angehörende und daraus ins thüringische entlehnte neben-
busse betreffenden Untersuchungen (wegen der literatur s. u. a.
Brunner, Deutsche rechtsgesch. 2, 624, Schröder, Deutsche rechts-
gesch.3 s. 343) geht hervor, dass wir es hier nicht mit einem
anzeigelohn oder einer leugnungsbusse zu tun haben, i) sondern
mit einem gelde, das der verurteilte dem berechtigten eigen-
tümer mit rücksicht auf den durch den gerichtlichen termin
verursachten Verzug der Zahlung des (oben gedachten) ersatzes,
d. h. als Vergütung für die ihm hierdurch auferlegte entbehning
zu entrichten hatte (vgl. die glosse zu Dilaiura ^quod longe
est quod non persoluitur', Mon. Germ. LL. 5, 277). Für die
deutung von tvirdira und des in der Übersetzung der Salica
zur widergabe von düatura verwanten acc. sg. wiröriun (for-
üzan haubitgelt inti mrdriun = excepto capitale et dilatura,
Hesseis s. xliv, 3) zieht Brunner (a. a. o.) ahd. wirdir (nebenform
zu toidir) und tvirdron (neben mdirUn) ^weigern, sich wider-
setzen, hindern' heran. Doch befriedigt solche berufung gar
wenig sowol in formeller als in semantischer hinsieht: nach
aus einer präposition gebildeten abstracta mit sufflx -ja (aus
-jön) oder -u (aus -ö) sieht man sich im germ. meines Wissens
*) V&l« 1^®^ ^^' 17, 1. 2: 8% quis hominem per noctem latenter incen-
derit, 600 solidos ciüpabilis iudiceiur et iixsuper damno ei dilaiura restituat
Aut si negauerit, cum 72 iurit — St servus hoc fecertt, 36 solidos culpa-
büis iudiceiur et insuper damno et dilaiura restituat Auit si negauerit,
dominus eius cum 6 iurit, S. noch ib. 18, 1. 2 und beachte auch Vander-
kinderes ausführung in den M^moires couronnds publi^s par rAcad^mie
Boyale de Belgique, tome xli, *La dilatura' 8.23 ff.
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318 VAN HBLTEN
vergeblich um nnd 'weigern' a.s.w. passt gerade nicht zu einer
ffir unsere sabstantiva zu postulierenden bedentong. Das capi-
tale (haubitgeü) repräsentiert den ersatz ffir den direct erlitten^
die dilatura den ersatz für den indirect erlittenen schaden,
also die Preiserhöhung der zu entrichtenden Vergütung. 'Zu-
nahme des Preises' aber konnte ein aus dem comparativ
*mrpir' durch sufflx -jön (vgl. got. gariudjö zu gariuds) oder -ö
(vgl. got. ^arba, triggwa zu pirhs, triggtvs, ahd. bösa, wara zu
bösi, war) gebildetes nomen bezeichnen: ahd. wiräria bez. an-
frk. *mrffiru, aus dessen acc. sg. ^iviröira das lehnwort toirdira
hervorgehen konnte.
Zur Überlieferung, zum Charakter und pir datierung
der glossen.
§ 188. Für die Paragraphen der älteren kategorie (s. § 1|^)
ist auf grund der widerholt für alle mit einander correspon-
dierenden glossenlesarten direct oder indirect nachzuweisenden
nämlichen entstellung eine gemeinschaftliche vorläge X<
vorauszusetzen, die bereits manche, mehr oder weniger ver-
derbte glossenlesart enthielt; wegen dieser fälle vgL § 10. 12.
14. 16. 18. 19. 21. 22. 23. 26. 32. 37 (zu feto), 42, 43, 45. 48.
55. 58. 61. 64. 65. 66. 67. 68. 70. 71. 74. 75. 76. 77. 78. 80.
81. 82. 84. 85. 88. 90. 92. 94. 96. 99. 100. 101. 102. 107. 118.
120. 122. 124. 126. 127. 130. 132. 134. 135. 137. 139. 140. 141.
142 (?). 146.
Die mitunter zu beobachtende Übereinstimmung der glossen-
lesarten von cod. 1 und 2 in einer speciellen entstellung oder
Omission führt zur folgerung, dass zwischen diesen Codices und
der vorläge X^ eine diese specielle entstellung enthaltende
oder dieses glossenteils bez. dieser glosse bereits entbehrende
vorläge X^ stand; vgl. dazu u. a. 1, 1 und 2, 1 (§ 8). 1, Ib und
2, Ib (§ 9). 10, 10 und 11, 10 (§ 22). 19, 2 und 20, 2 (§ 30).
19, 3 und 20, 3 (§ 26). 19, 4 und 20, 5 (§ 32). 19, 5 und 20,6
(§ 33). 28, 1. 2b und 29, 1. 2b (§ 38). 37, 3 und 38, 3 (§ 44)l
91, 1 und 92, 1 (§ 71). 100, 3 und 101,4 (§ 75). 109,3 und
110, 3 (§ 82). 127, 1 und 128, 3 (§ 92). 127, 4 und 128, 2 (§ 55).
136, 1. 2 und 137, 1. 3b (§ 96). 154, 19 und 155, 18 (§ 99). 154,20
und 155,19 (§100). 181,2b und 182,2b (§65). 190,1 und
191,1. 2 (§ 118). 217,2 und 218,2 (§ 127). 226,1 und 227,1
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zu DEN MALBEBOI80HBN GLOSSEN. 187—188. 519
(§ 30). 253,3 und 254,3 (§ 133). 253,4 und 254,4 (§ 132).
343,1b und 344, Ib (§ 155). 388, Ic und 389, xlvi (§ 167).
413, ein und 413, lxxiii (§ 71 am schluss). 412, c und 412, lxviiii
(§ 178). 0
Unter den seltenen glossen von cod. 3 und 4 (vgl. § IjS)
findet sich eine als Überschrift fiberlieferte, die in der lesart
dieser hss. und der Codices 1. 2 die nämliche specielle' ent-
stellung aufweist (s. § 80) und so auf das Vorhandensein dieser
entstellung in einer gemeinsamen vorläge X^ hinweist. Wegen
der Übereinstimmung von cod. 2 und 3 in einer speciellen Ver-
lesung s. § 140, wo cod. 1 und 2 bez. in cod. 2 und 3 zu corri-
gieren sind.
Die des öftem zu beobachtende Übereinstimmung der
glossenlesarten von cod. 6. 7. 8. 9 und der Heroldina bez. der
zweiten Heroldschen hs. in einer speciellen entstellung nötigt
zur annähme einer diesen hss. gemeinsamen quelle, vorläge X^,
welche diese entstellung den besagten hss. übermittelte (dies
gilt natürlich sowol für die paragraphen der jüngeren als für
die der älteren kategorie); vgl. dazu 5, Ib. 6, Ib. 7, Ib (§ 36).
5,5b. 6,2b. 7,5 (§ 13). 14,9. 15,3. 16,9 (§ 17). 14,17. 15,7.
16, 19 (§ 24). 23, Ib. 24, Ib. 25, 1 b (§ 36). 32, 3. 33, 3. 34, 3
(§37). 32,2b. 33,2b. 34,2b (§38). 32,1b. 33,1b. 34,1b. 2c
^) Angesichts dieser Übereinstimmung fäUt der umstand, dass die
beiden Codices manchmal gänzlich verschiedene lesarten aufweisen oder nur
einer derselben (meistens cod. 2) eine glosse enthält, nicht ins gewicht.
Letzteres begreift sich als die folge von (besonders in cod. 1 zu tage
tretender) glossenomission (man beachte auch die durch solches verfahren
veranlasste Seltenheit der glossen in cod. 3. 4. 5, vgl. § 1/9) oder glossen-
yeriming; ersteres als das resultat z. t. von glossenverirrung, z. t. von
glossentrennung (der eine teil der in X^ stehenden lesart blieb in cod. 1,
der andere in cod. 2 erhalten). Man beachte wegen besagter verimmg
1, 2b und 2, 2b (§ 12). 1, 4b und 2, 4b (§ 19). 10, 10 und 11, 8 (§ 22).
10, 11 und 11, 9. 10 (§ 22). 28, 3 und 29, 3 (§ 37). 37, 1 und 38, 1 (§ 48).
46, 4 und 47, 4 (§ 48). 100, 5 und 101, 3 (§ 75). 109, Ic und 110, Ic (§ 84).
163, 1 und 164, 1 (§ 106). 199, 2b und 200, 2b (§ 124). 217, 6 und 218, 6
(§ 129); und wegen der erwähnten trennung 28, 4 und 29, 5 (§ 37). 28, 2d
und29,2d (§43). 46, 3 und 47, 3 (§48). 55,1 und 56,1 (§61). 64,1c
und 65, Ic (§ 58). 73, 1 und 74, 1 (§ 63). 91, xv und 92, 2 (§ 70). 100, 9
und 101, 9 (§ 79). 109, 2 und 110, 2 (§ 81). 109, Ib und 110, Ib (§ 82).
109. 4 und 110, 3b (§ 84). 118, 1 und 119, 1 (§ 86). 217, 3 und 218, 3 (§ 127).
217. 5 und 218, 5 (§ 128). 316, 1 und 317, 1 (§ 151).
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520 TAN TIBLTEN
(§40). 32,2c. 33,2c. 34,4b (§41). 41,5. 42,6. 43, 5 und 4L 6.
42,6. 43,7 (§46). 41,10. 42,8. 43,8 (§47). 50,5. 51,5. 52,Db
(§ 49*). 59, 6. 60, 2. 61, 6. 8 (§ 54). 77, 9. 78, 7. 79, 11 (§ 60).
77, 12. 78, 5. 79, 8 (§ 61). 86, 4. 87, 4. 88, 4 (§ 64). 96, 8. 97, 1
(§70). 95,1.96,1.97,1 (§71). 104,3.105,4.106,3 (§75).
113,2. 114,2. 115,1. 3 (§81). 118,4b. 114,4. 115,4b (§83).
113,3c. 114, XXVII. 115,3c (§84). 122,1b. 123,1c 1241c
(§86). 122,6.7. 123,2b. 3. 124,4.5 (§88). 131,3. 132,2.
133.3 (§90). 158,26. 159,1b. 160,13 (§99). 176,6. 177,4.
178.4 (§108). 176,8. 177,5. 178,6 (§108). 176,9. 177,6.
178,7 (§108). 176,10. 177,7. 178,8 (§108). 176,11.12.177.
8.9. 178,9.10.11 (§109). 176,13. 177,10. 178,12 (§110).
176,15. 177,11. 178,14 (§112). 176,16. 177,12. 178,15
(§113). 185,17. 186,13. 187,16 (§114). 212,3. 213,2. 214, xl
(§ 119). 221, 7. 222, 5. 223, 9 (§ 129). 257, 12. 258. xcra
259,3b (§ 135). 275,2. 276,3. 277,3 (§ 140) u.s.w.
Aus einer gleichen fibereinstimmung der glossenlesarten
von cod. 6 und der Heroldina bez. der zweiten Heroldschoi
hs. geht engerer Zusammenhang dieser hss. und herknnft der-
selben aus einer zwischen der Überlieferung und X* liegenden
vorläge X* hervor; vgl. dazu 5,1b. 7,1b (§11). 5,7. 7,7
(§15). 14,4. 16,4 (§18). 14,16. 16,18 (§23). 2-3,2. 25.2
(§28). 23,6. 25,6 (§31). 23,9. 25,8 (§35). 32,3. 34,3
(§37). 32,1.34,1 (§38). 32,2b. 34,2b (§38). 50,4.52,3
(§48). 50,2 b. 52,2 b (§49). 59,6. 61,8 (§54). 68,1a 70,1c
(§ 58). 77, 12. 79, 8 (§ 61). 95, 5. 97, 11 (§ 73). 104, 5. 106,5
(§ 76). 104,7. 106,6 (§ 77). 113,1b. 2b. 3b. 115,1b. 2b. 3b
(§82). 113,3b. 115,3b (§82). 113,4c. 115,3c. 4c (§84).
113, Ic. 2c 115, Ic. 2c (§ 84). 122, Ib. 124, Ic (§ 86). 131, 3b.
133,3b (§55). 131,8. 133,9 (§91). 131,2b. 133,2b (§92).
131,1. 133,1 (§93). 149,9. 151,22 (§98). 167,31. 169,30
(§104). 167,32. 169,31 (§105). 176,4.6. 178,3.4 (§107).
176,14. 178,13 (§111). 185,19. 187,18 (§115). 203,5b. 205,6
(§ 124). 203,6.7. 205,5 (§124). 230,4. 232,4 (§131). 293,3.
295,3 (§143) U.S.W.
Wo die glosse in cod. 6 fehlt und die lesarten von cod. 7.
8. 9 und der Heroldina eine gemeinsame entstellnng aufweisen,
vgl. 24,1. 25,1 (§27). 114,2. 115,1.3 (§81). 123,1b. 124,1b
(§85). 168,2b. 169,19 (§102). 195,2b. 196,4b (§120). 222,4.
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zu DEN MALBEROI80HEK GLOSSEN. 188—189. 521
223, 8 (§ 127), ist diese entstellung dem ausgeführten gemäss
ftr die Torlage X^ vorauszusetzen.
Engerer Zusammenhang von cod. 7 und 9 gegenüber 8,
m, a. w. die übeimittelung von 7. 9 durch eine zwischen letzteren
Überlieferungen und der speciellen vorläge von 7. 8. 9 liegende
vorläge, geht aus der tatsache hervor, dass einige male cod.
7 und 9 in der glossenlesart die nämliche entstellung aufweisen,
die in cod. 8 nicht vorhanden ist; vgl. 15, 6 (§ 23). 132, 10 (§ 55).
141, 1 (§ 96). 276, 1 (§ 139); beachte auch K § 3.
Die widerholt zu beobachtenden fälle, wo die correspon-
dierenden Paragraphen in folge von Omission oder glossen-
verirrung in den Codices verschiedene glossen enthalten, sind
oben in den betreffenden §§ hervorgehoben.
§ 189. Nach Grimm (M lxiv) sollten die malbergischen
glossen 'Schlagwörter' sein, 'mit welchen der richter, wenn er
die composition aussprechen wollte, den nagel auf den köpf
traf. Walter glaubte (Deutsche rechtsgesch. § 151), dass der
mit der malberg. gl. beginnende schlusssatz der bussbestim-
mungen der L. Sal. den auf verschlag der redactoren des ge-
setzes gefassten 'beschluss des malberges' über die straf sanction
enthalte. Waitz erblickte (Das alte recht der saL Franken s.24)
in den glossen 'Überbleibsel alter formein oder bezeichnungen
von verbrechen und bussen, die mündlich überliefert wurden'.
Nach Holtzmann (Ueber das Verhältnis der Malberger glosse
U.S.W. s. 16) und Kern (K § 4) haben die glossen als reste
eines ursprünglicheren, dem lat. text der Salica zu gründe
liegenden fränkischen textes zu gelten. Sohm (Die fränkische
reichs- und gerichtsverfassung s. 559 ff.) fasste die sigeln 'mai'
'malb' (einmal ausgeschrieben 'in mallobergo', vgl. a. a. o. und
oben § 146) als = 'in der gerichtssprache' und hielt die glossen
denmach für repräsentanten von in der gerichtssprache ver-
wanten formellen ausdrücken. Nach Brunner (Deutsche rechts-
gesch. 1, 296 f.) 'wollen' die glossen 'den inhalt des lat. textes
durch technische ausdrücke erläutern und ergänzen, wie sie
auf der gerichtsstätte, in mallobergo, gebraucht wurden' und
'mögen' nur 'einzelne glossen auch processualische formelhafte
bedeutung haben'.
Dass Grimms, Walters, Waitz', Sohms und Brunners
fassungen unbedingt abzuweisen, ergibt sich aus den zahl-
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522 VAN HELTEK
reichen glossen der art *es afterga = '(si) non uenerit' (§ 8),
*fertascho = '(si) furauerit' (§ 37), schoto = *(si) expdlere
presumpserit' (§ 50), *affalchia = '(si) furauerit' (§ 51), * fechte
= '(si) adsalierit' (§ 66), ^affalchie oder -a = *(si) tollere nol-
uerit' (§ 70), *urtifogia = '(si) euas(s)erit' (§ 79), *atdtefe =
^(si) dederit' (§ 81) u.s.w. (s. noch die § 8 in bezng auf die
Verwendung von praes. opt. = lat praet conj. citierten §§
sowie § 141. 144). Hier liegen weder Schlagwörter vor noch
beschlüsse des malberges noch formein oder bezeichnungen
von verbrechen und bussen noch in der gerichtssprache ver-
wante formelle ausdrucke noch technische, auf der gerichts-
stätte gebrauchte termini, sondern Sätze oder Satzteile, die
ein element eines gesetzesparagraphen bildeten. Eüner
gleichen fassung aber fügen sich auch die häufigen bezeich-
nungen der Sache, des tieres oder der person, woran, oder die
bezeichnung des ortes (s. § 98), wo der geahndete frevel verfibt
wird, sowie die Zahlbenennungen (§ 11. 13. 186), die dem ver-
zeichneten betrag der busse oder eines ersatzes als prfidicat
beigegebenen Strafebezeichnungen (§ 12. 20. 39. 87. 89. 138. 152
und 76) und ausdrücke, wie die Schimpfnamen *quintuc (§ 116),
*grand(ß)erfa = 'stria' (§ 168), oder wie *an{hifaUhi = *in
superuentum' (§ 63), *(of) scolo bez. *of sculthich = *et ei
(cui) fuerit probatum' (§ 30), *an andres tilithu = *in messem
alienam' (§ 49*), mith oforasta = per superbiam aut uirtut^n'
(§ 119), *ferthefero = 'per malum Ingenium' (§ 122), *th€oleudi
si theodelin = 'homicida illum domini inter se diuidant' (§ 123).
*druchti limiche = *(tres) de eo contubemio' (§138), *(c)half
Cham = *mancatus' (§ 107), während sich die ausdrucke für
eine entehrende handlang, eine Verpflichtung, einen frevel oder
ein gerichtliches verfahren (vgl. § 48. 60. 81. 82. 85. 93. 107.
119. 139 und 39 sowie die § 71 am schluss. 80. 119. 143. 144
zu affatumioB. 178. 183. 184 besprochenen glossenüberschriften)
als bezeichnungen des ganzen oder (ausnahmsweise, & § 94)
des teilweisen inhalts des Paragraphen verstehen. Da nun
die lat. redaction der jüngeren sowie der älteren partien der
Salica selbstredend auf ursprünglich in der spräche der frän-
kischen Völkerschaft verfassten rechtssätzen, königsgesetzai
und weistümern beruhen muss, kann man schwerlich umhin,
Holtzmanns und Kerns ansieht beipflichtend^ in den glossen
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zu DEN MALBEROISCHEN GLOSSEN. 189. 523
ans der fränk. redaction entnommene fragmente zn
erblicken, die 'were intended as a guarantee for the substan-
tial of the translation' (E § 4 am schlnss). Man beachte auch
Eems schlagende, anf die analogie von span. fuero 'gericht'
mid *gesetz' fassende fassung von 'mal', 'malb' ('in mallobergo',
vgl § 146) = 'im gesetz, im rechtssatz'. Dass die besagten
salfrk. grandlagen schriftlich abgefasst waren, möchte ich in-
dessen, wenigstens was die älteste partie des gesetzes betrifft,
nicht fflr ganz sicher halten. Kern hält hier eine mUndlich
überlieferte basis für unwahrscheinlich (K § 4) 'because it (der
lat. text) shows all sorts of blunders not easily committed by
a trained oral tradition'. Doch dürften diese versehen mit
rücksicht auf die entstehung unserer Überlieferung (s. § la)
wol eher auf die rechnung der lat. Schreiber zu stellen sein.
Der von Brunner (Deutsche rechtsgesch. 1, 296, 22) auf grund
der glossierten Überlieferung einiger jüngeren anhänge der
Salica gegen die Holtzmann-Eernsche ansieht erhobene ein-
wand lässt sich an der band des oben bemerkten beseitigen.
Gegen v. Amiras ansieht (Grundr. der germ. phiL 8^, 72), nach
welcher die glossen einen niederschlag der privatinterpretation
des 6. Jahrhunderts repräsentieren sollten, spricht das die glosse
begleitende 'mal' etc., wofür, da eine Übersetzung desselben
durch 'in der gerichtssprache' dem oben erörterten zufolge
ausgeschlossen ist, nur die von Kern erkannte fassung geltend
zu machen ist.
Aus dem ausgeführten resultiert also die möglichkeit,
dass der jedesmalige Verfasser des textes auch der glossator
desselben war.
Die ursprüngliche auf Zeichnung der glossen als randglossen
wurde oben § 2g hervorgehoben.') Aus nasco{n)dinar (§ 100)
ergibt sich, dass solcher glosse zunächst der betreffende teil
des textes beigeschrieben war. Dass letzterer aber später in
der regel fortgelassen wurde, ist zu folgern aus der tatsache,
0 Ans dieser auÜEeichnnngsweise erklärt sich auch die einige male
begegnende überliefenmg der glosse als Überschrift (ygl. die am schluss
TOB § 71 erwähnten §§): die randglosse der Torlage wurde über den Para-
graphen geschrieben. Dass gedachte Überschriften bereits in der gemein-
samen yorlage standen, geht aus der Übereinstimmung aller hss. in solcher
Überlieferung hervor (wegen einer scheinbaren ausnähme vgl. § 144).
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524 VAN HKLTEN
dass die malbergfiberlieferung nahezu ausnahmslos an
fester stelle, vor dem busssatz oder (wenn dieser fehlt)
vor dem schlusssatz eingeschaltet erscheint, mithin
die glosse durchgängig, wo dieselbe keine Strafebezeichnung
war, an unrichtiger stelle überliefert istJ) Man beachte auch
die neben einander stehenden zweierlei glossen in 5, Ih.
7, Ib (§ 10 und 11). 5, 5b. 6, 2b. 7, 5 (§ 12 und 13). 5, 8.' 7, 8
(§ 9 am schluss und 16). 14, 9. 15, 3. 16, 9. 7, 8 var. (§ 17
und 16). 16, 11 (§ 9 und 186). 23, 3. 24, 2. 25, 3 (§ 16. 26
und 29 am schluss). 34,5 (§41). 34,2dvar. 41,3. 43,3 (§43.
44). 50,5. 52,5b (§49*). 104,3 (§75). 123,1b. 124,1b (§85).
176, 5. 178, 3 (§ 107). 232, 4 (§ 131).
Zur datierung der glossen sei folgendes bemerkt Die zu
den Paragraphen der älteren kategorie (vgl. § IjS) überlieferten
stammen aus salfrk. rechtssätzen, die zur zeit der ältesten
codificierung cursierten, repräsentieren also elemente der in
den zwei letzten Jahrzehnten des 5. jh.'s gangbaren spräche.
Die den paragi-aphen der jüngeren kategorie zu gründe liegen-
den rechtssätze (königsgesetze, weistümer) entfernen sich zeit-
lich nicht sehr von den älteren: keine glosse der jüngeren
kategorie gewährt einen beleg für fortgeschrittene sprachliche
entwickelung (man beachte von den § 36 gesammelten belegen
für nicht umgelautetes a die in den Paragraphen der jüngeren
kategorie überlieferten trasile, solampinam, trachlagic^ changi-
chaldo U.S.W.; die belege für Ith, s. § 142, stehen leider nur in
den pai'agraphen der älteren kategorie).
^) Dreimal ist die nicht an oben besagter steUe stehende glosse ia
yerbindang mit den glossierten Worten überliefert, offenbar in folge des
umstandes, dass diese worte in der vorläge noch der randglosae bet-
geschrieben standen, als die glossen dem tezt einyerleibt worden; TgL
56, 5b. 57, 6b. 58, 4 (§ 54). 266, 4. 268, 3 (§ 138). 347, 3b. 349, 4b (§ lo*5u
In den anderen ausnahmefäUen rührt die überlieferte anomale Stel-
lung von einem schreibversehen her: 59, 2 (cod. 6). 232, 2 (Her.). 263. 1
(cod. 2), woneben die anderen hss. die normale glossenstellung anfweisei;
in 52,5 b, wo dittographisches Mx)so negante si adprobatum fnerit' die im-
nächst vor die bosstaxe eingeschaltete glosse von dieser busstaxe trennt:
in 84, 5 nnd 353, 2 mit entlehnter glosse (§ 66 zn turpefcUW, § 155 n
muiher) sowie 92, 1 nnd 356, 5, wo der eigentlichen glosse eine ditt^
graphische vorangeht (§ 74 zn selane effefa, § 68 zn tomechttU}.
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zu DEN MALBEBOISCHSN GLOSSEN. 189—190. 525
Zur grammatik des salfrBnkischenJ)
§ 190. a) Der vocalismns der Stammsilben. Das a
ist noch nicht umgelautet (§ 36); aus den fremdwörtem receni-
burgiis etc. (§ 174) und ebrius etc. (§ 181) ergibt sich ent-
wickelung von e für eine jüngere periode als die durch die
glossen fiberlieferte. Aus an vor x entstand ä (§ 72).
Für altes e steht i vor u der folgesilbe (§ 124 zu liti^ etc.).
Altem ä« entspricht a (§ 44).
Altes ö hat keine diphthongiemng erlitten (§ 97).
Altes ai ist contrahiert zu e ausser vor nasal, wo aH
hei'scht (§ 4j3). Auf in älterer periode gesprochenes ai bez. ei
weisen die a und ai (aei, cei, ei) bez. das ei in lehnwörtem
hin (§ 20. 127, 156. 171 und 144. 176. 182* sowie 141).
Altes au ist contrahiert zu ö vor dental, l und r sowie
im auslaut; vor labial und wahrscheinlich auch vor guttural
gilt a^u (§ 4/3).
Altem eu entsprechen eu (s. § 39 zu leud-) und eo (das
überwiegen von eo in der Überlieferung von Wörtern mit
altem eu ohne i, % oder u der folgesilbe weist auf die existenz
von eo in der spräche unserer glossen hin, vgl. § 23. 41. 52.
146 und beachte auch § 97. 99. 101; wegen der für eo öfters
eintretenden copistenschreibung ew s. § 4 a).
ß) Der vocalismns der end- und mittelsilben so-
wie der schwach betonten präfixe. Wegen der vocale
der flexionsendungen s. § 192 — 194. Besonders zu beachten
sind die -e und 4a (s. auch § 9), die -aSy -a des praes. opt.
(§ 194) und die -a- aus -e- für -ai- der 3. schwachen conjuga-
tion (§ 194). Ausserdem sei bemerkt, dass ungeachtet der
durchstehenden Überlieferung mit -o für die als instrum. sg.
') Die notizen gelten selbstredend durchgängig für die ans den glossen
zn erschliessende sprachperiode (ansgang des 5. und eingang des 6.jh/s).
Nur ausnahmsweise gewährt uns ein früh entlehntes bez. ein durch an-
lehnnng an eine jüngere salfrk. form umgebildetes lehnwort einblick in
eine ältere oder jüngere periode.
Was die frühzeitige entlehnung betrifft, so sei daran erinnert, dass
bereits in der zweiten hälfte des 4.jh.'s, als die Salfranken nach sÜden
über die Maas yorzudringen und die romanisierte GkiUia Belgica zu erobern
anfiengen, eine beeinflussung des galloromanischen Wortschatzes durch das
salfräukische stattfinden konnte.
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526 VAK HELTBH
masc. und neutr. eines a-stammes, als nom. oder dat sg. eines
e?-stammes oder als 1. sg. praes. ind. eines jan-yerbmas zu
fassenden glossen mit rücksicht auf das alter derselben altes
-« anzusetzen ist (wegen -o für -un, -um bez. -ä s. § 41).
Für den yocalismus anderer end- und mittelsilben beadite:
-id (§ 63. 172*), -ach' (§ 108. 126), -og-, 'Och(-) (§ 54. 89. 129),
-eck' (§ 108), -ich- -ig- (§ 40. 70. 138. 152), alac- (§ 66), efecö
oder ificö? (§ 131), -uc (§ 116), -al- (§ 68. 134. 176), el- (§45?
142), -ili-) (§ 35. 45? 49. 164), -ol- (§ 45), -in, -in- (§ 145. 160.
174), -ina oder -inu (§ 76), -inus (§ 76), -inia, -unia (§ 22),
-m (§ 129) und -lin (§ 108), -und- (§ 186), -ar (§ 38), fitkeri-)
(§ 13. 186), auor- (§ 56), afer-, uuer- (§ 102. 177. 92. 93), ofor-
(§ 119), hrundir (§ 26; so ist wol die endung trotz der Über-
lieferung -ero mit rücksicht auf das alter der glosse anzusetzen),
-is, -US (§ 76. 16) und -issith (§ 12), changist (§ 126), sanista
(§ 25), -ühi") (§ 12. 49.* 60. 115. 119. 151) und uuidri- (§142X
müht (§ 119), chUo-j chreo-, seo-, seola-, schelo, theo, theo-
(s. den § 195 verzeichneten Wortschatz), ireu-y nau- mit vor k
der folgesilbe erhaltenem u (§ 120. 157; wegen brtouroter oder
briuuröter? s. § 108). Wegen des nicht umgelanteten a der
mittelsilbe s. § 36.
Als secundärvocal begegnet a vor n (§ 162) und l (§ 42)
sowie in uualach- (§ 133), e vor r (§ 8), u vor m (§ 144); in
folge von assimilierung a und i vor w (§ 144), o vor n (§ 162).
Synkope von mittelvocal gewähren andres, -as (§ 49.* 61.
102. 184), seola- (§ 74) und gamalthu (§179; wegen erhaltung
von -i- der endung -(^- nach langer silbe oder zwei silben vgl
§ 60. 119. 151 sowie 92; in tüithu § 49* Uegt regelrechte
-i- vor).
Als erstes compositionselement entbehren die lang- und
mehrsilbigen a-, i- und w-stämme des suffixvocals: chaim-, ekar-,
chreo-, chun{n)' u.s,w., alac-, leud-, madit-, säm-, seo- und ckand-,
lumd-, ein- (s. den § 195 verzeichneten Wortschatz). Die ta-
und ja-stämme haben -%•: drachi-, chari-, changi-, gangi-, ßdi-
(§ 19. 32. 84. 62. 15). Für einen kurzsilbigen ^stamm ergibt
sich -a durch racha- (§ 134); hingegen ist für oUchardis etc.
(§ 48) wol altes *ülchardes anzusetzen. Die kurzsilbig»! «-
und u-stämme sind mit -i- und -u- anzusetzen (§ 110. 163 und
71?) mit ausnähme von nau- (§ 157); wegen thiu- s. § 55. Die
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Zu DEN MALBEROISCHEK GLOSSEN. 190—191. 527
kurzsilbigen a-stämme gewähren synkope oder erhaltung: huuaU,
chasif; theo-, uuer- und ala-, smata-, uuega- (s. § 195). Die
schwachen stamme haben -a- und -t-: aga-, chana-, seotanda-,
uuasch, hera-, hairi-, heri- (s. § 195).
Wegen der vocale nicht hochbetonter präflxe beachte:
a- in der yerbalcomposition (doch a- in der nominalcomposition)
und ar-, ur-, anth-, anthi- (auch in der nominalcomposition), at-
(auch in der nominalcomposition), cha-, che-, ga- und gi- (§ 85), .
far-, fer-, for- und fw- und in der nominalcomposition über-
liefertes tur-f das wahrscheinlich auf der yerbalcomposition
angehöriges iur- zurückgeht (wegen der von den betreffenden
composita handelnden §§ s. § 195).
§ 191. Die consonanten. Das j der endung bleibt
erhalten; vgl. die declinationsendungen -ia (§ 9), -iun (§ 21.
120. 130. 134), Aan (§40), die conjugationsendungen -ie, -ia, -ias
(§ 51. 59. 70. 79. 118. 125. 137. 144. 151. 152. 159), -iu (§ 96.
152), -iö (§ 150) und s. auch § 43 zu uueiape, uueiano etc.
Wegen gf für j s, § 79.
Anlautendes to bleibt erhalten vor r (§ 110), ist geschwun-
den vor l (§ 110). Wegen thungin? s. § 31. Ausfall von tr
im anlaut des zweiten compositionselements begegnet in leo-
dardt (§ 39) und theofard (§ 52). Zwischen zwei i stehendes
to ist synkopiert (§ 55). Wegen theo, chreo-, theo- u.s.w. s.
§ 190/?.
Wegen der metathesis von thl zu Ith s. § 96 am schluss.
Der nasal ist synkopiert vor altem f (§ 110) und natür-
lich auch vor altem ä (x) (§ 72). Vor altem p blieb n er-
halten (§ 70 am schluss). Wegen der apokope von n in der
endung -in vgl. § 5a und 192 zu den fem. abstracta auf -i
Altes einfaches f und p ist im inlaut zu 5 (vgl. § 110)
und ä geworden; die letztere qualität ergibt sich für den
durch ih dargestellten consonanten aus nach n und vor r da-
für eingetretenem d (§ 70 am schluss und 142). Auf in älterer
Periode (vgl. die anm. zu § 190) gesprochene f und p gehen
die /"und t (th) zurück der lehnwörter grafio (§ Od), adfatimire
etc. (§ 144), aristatonem (§ 156), ganialta etc. (§ 179), mü{h)io
(? § 180), fretus etc. und feitum (§ 182*). Wegen t bez. th im
fremdwort aus pp vgl. § 120. 180 (?).
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528 TAN HELTEBT
In der Verbindung ft bleibt f erhalten (§ 8 und 70 zn o^
tica etc.). Aus hn entstand mn (§ 12).
Aus d wurde d vor r (§ 142) und nach hochtonige sDbe
auslautendem n (§ 70 am schluss); die spirantische qoalität des
dentals erhielt sich aber nach schwachtonige silbe auslauten-
dem n und nach l (§ 70 am schluss und 142).
Wegen nn aus n<i in schwach betonter silbe s, § 186
zu fitme.
Wegen sei für sl s. § 56.
Aus der Schreibung seh für se (§ 7 a) geht spirantische
ausspräche von mit s verbundenem stimmlosen guttural hervor.
Für spirantisches g zeugt die Schreibung ch (§ 6^) im
anlaut, in- und auslaut (wenn der consonant nicht geminiert
oder mit vorangehendem nasal verbunden ist); für explosives g
die nichtVerwendung solcher Schreibung für geminierten oder
mit vorangehendem nasal verbundenen stimmhaften guttural
(§6^).
In der Verbindung Jis bleibt die^-aussprache erhalten (§28).
Auf intensive ausspräche der aspirata ist aus der häufigen
Schreibung eh für h (§6/3) zu schliessen. Wegen ausfalls von
Ä im anlaut eines zweiten compositionsteils s. § 72. 157.
Auf analogischem wege für regelrechte geminata ein-
getretenen einfachen consonanten gewähren die substantiva
auf 'inia, -unia (§ 22) und stallachia (§ 126) sowie die verbal-
formen thiehias, thigiu (§ 152). Wegen stappl- vgl. § 156.
§ 192. Declination der substantiva. Die a-dedi-
nation: sg. gen. -es (§ 48. 65. 86. 106. 132. 135. 160. 167) und
-a5 (§ 119), dat. -a (§ 119), instrum. -u (§ 134. 157), dat-locat
ohne endung (§ 131 zu eham)] pl. acc. masc. -a (§ 38), ntr. ohne
endung nach langer silbe (§ 186), dat. -um (§ 88).
Die ia- und ja -stamme: sg. nom. acc. masc. -t" (§ 40. 43.
176), ntr. -i (§ 73. 94. 156. 173).
Die (^-declination: sg. nom. -u (§60. 76? 89. 93. J19)
bez. ohne endung (§ 72 und 52? 115?), gen. -a (§ 54. 59? 91?),
dat. u (§ 47. 49.* 81), acc. -a (§ 25. 59? 70. 73. 76? 90. 91?
151 und 71? 74? 136?); aus dem nom. entlehnte suffixlose form
steht als acc. (§ 12. 52? 115?); wegen des suffixlosen stund
in thriostund, fitherstund vgl. § 186. Von den f-, io-stämmen
findet sich ein gen. sg. auf -e (§ 82) und -ia (§ 54), ein acc. sg.
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Zu DSH MAIiBEBGUCHEH OLOSSEir. 192— lOB. 529
auf ^e (§ 9, 115. 128. 156?) und 4a (§ 22. 29. 46, 54. 88. 126.
138), ein acc pl. auf -e (§ 186) und -ia (§ 126); auf einen
suffixlosen nom. sg. weist das fremdwort ßtus (§ 183) hin.
Die femininen abstracta auf -i und -in: nom. bez. acc. sg.
der verbalabstracta -f und -*n (§ 5 a), gen. sg. -in (§ 182), dat.
Big. -4 (§ 63. 159); gen. und nom. oder acc. der nominalabstracta
-I (§ 82. 92. 152).
Die masc. kurzsilbigen {-stamme: nom. sg. -i (§ 75. 85)
Und acc. sg. ohne endung (§ 134).
Die fem. langsilbigen t-stämme: sg. gen. -i (§ 10. 138. 140),
dat. -i (§ 61; vgl. noch § 147. 175); pl. gen. -io (§ 125), dat
-im (§ 83), acc. -i (§11.81); wegen des gen. sg. thiui vgl. § 90.
Die u-declination: nom. bez. acc. sg. der lang- und mehr-
silbigen ohne Suffix (§ 10 zu haUus, § 16 und 76 zu -is, -us aus
*-issu, *'tissu)] nom.-voc. eines kurzsilbigen Stammes -u (§ 96),
hingegen fech 'vieh' ohne suffix (§ 38 zu pecti etc.), gen. sg. -o
(§ 37. 124 und nachtr. zu § 71).
Die schwache declination (der substantiva und substan-
tivisch verwanten adjectiva): masc. sg. nom. -ö*) (§30. 34.
168. 174. 179, anm. und 77? 142? 183?), gen. -in (§89. 178)
und -un (§ 57. 67. 133), dat. -un (§ 70), acc -un (§ 41 und 21
sowie 77?) und -in (§ 24); fem. sg. nom. -a (§ 168 und 71? 74?
136? 161?) bez. -e aus Ua (§ 107. 156), gen. -un (§ 100. 183),
acc. -un (§ 161?); ntr. sg. acc. -a (§ 112).
§ 193. ä) Das adjectiv. Die starke flexion: nom. sg.
masc. und acc. sg. ntr. ohne flexionsendung (§ 107. 131 und
17. 27. 31. 36. 129. 134), gen. sg. m. und ntr. -es (§ 49.* 102.
135. 169) und -as (§ 119), dat. sg. m, -emo oder -amo oder -emu
bez. amu? (§ 70), acc. sg. masc. -an (§ 40. 54. 108, 120. 121.
152), gen. sg. fem. -era (§ 54), acc. sg. fem. -a (§ 70. 115. 128)
und -e aus *-ta (§ 14. 36) bez. -ia (§ 9. 167); nom. pl. masc. -c
^) Ich setze die endnng als bereits gekürzt an nnd zwar mit rück-
sicht auf das in der anm. zn § 179 hervorgehobene gallorom. -iua för fränk.
-io des schwachen nom. sg. masc: die identificiemng dieses -to mit gallo-
rom. -io des acc. sg. masc. (woraus dann ein nom. auf -tu« abstrahiert
wurde) wird nur begreiflich bei der annähme von kurzer ausspräche der
frank, endung. Nach solchem -o ist auch fQr die endung des gen. plur.
und fOr das suffix des gen. dat. sg. und nom. acc. pL der t- flexion auf
kürzuttg zu schliessen.
Beiträge xur yeschichte der deuuchen spräche. XXV. 34
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630 YAK HELTEH
(§ 138). Ein nom, acc. pl. fem. -o geht indirect heiror aas
thrio in ihriostund (§ 186 am schlnss).
ß) Das adverbium. Wegen der endung -o TgL § 105.
122. Als comparativadv. erscheint min (§ 172*).
y) Die numeralia: tuä acc. fem. (§ 186), tue acc ntr.
(§ 186), thrio acc. fem. in ihriostund (§ 189 am schlussX /Uher,
ßf, sechs, sifun, achto, niun (§ 186), tehan (§ 11), tualif (§ 11.
186), fithertich (§ 186), muhtich- (§ 186), chunn and ^Attsimd
(§ 186); die zahladverbia thrio-, fiiherstund (§ 186).
6) Pronomina: -es (§ 8), thi (§ 96 und nachtr. zu § 152X
them (§ 83).
§ 194. Conjugation. Die l.sg.praes.ind. erster schwacher
klasse -iu (§ 96. 152), zweiter schwacher klasse -ö (§ 96).
Der opt. praes.: 2. sg. erster schwacher klasse -«w (§ 152),
3. sg. der starken flexion -e (§ 66. 81), der ersten schwachen
klasse -ie (§ 125. 137. 144) und -ia (§ 51. 59. 113. 151. 159X
der zweiten schwachen klasse -ö (§ 37. 50. 84. 95. 96. 99. 105.
107. 117. 118. 130? 131. 134. 143. 149. 150) und ogia (§ 79).
Der imperat. sg. zweiter schwachen klasse -ö (§ 130?).
Das part. praes. auf -nthi (§ 70. 139. 152).
Das part. prt. ohne präfix (§ 31. 88. 108. 128). Das starke
part. prt. auf -in (§ 31) und -an (§ 108); das schwache erster
klasse auf -id (§128), zweiter klasse auf -öd (§ 88).
Altem endungs-ai der dritten schwachen klasse entspricht
in geschlossener silbe a (§ 70. 152).
Von den praeterito - praesentia findet sich ein part pr.
scolanthies oder -as (§ 139).
Die athematischen verba sind belegt durch die opt«tive
afterga (§8), ofdöi§ 101) und si (§ 123).
Der aus den glossen^ formein und lehnwortera zu
erschliessende salfränkiscbe Sprachschatz.
§ 195. Die glossen und die formein werden, abgesehen
von der quantitätsbezeichnung, so aufgefOhrt, wie dieselben
als die prototypen vorauszusetzen sind, die aus der feder des
der salischen spräche kundigen Verfassers des lat. rechtssatzes
geflossen sind (die nomina und verba in der verwanten flexions-
form); wo die alte form nicht mit genügender sicherhdt zu
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zu DEV HALBEBGISCHBN aUOSSBY. 194—195. 631
^eren ist^ werden zwei oder mehrere formen mit fragezeichen
verzeidmet; wegen der widerholt verwanten Schreibung ch
für g (spirans) bez. h vgl. § 6j? (die mit g und h anlautenden
formen stehen zum teil unter g bez. h, zum teil unter cK)\
wegen f bez. u als zeichen für 5 vgl. § 6(J. Die den fremd-
wörtem zu gründe liegenden nomina werden im ncmi. sg. auf-
geführt (wenn die bildung des lehnwortes von einer flectierten
form beeinflusst wurde, mit hinzufügung des betreffenden casus),
die verba im inflnitiv (die schwachen erster klasse mit -tan,
da die correspondierende endung -ire auf entlehnung aus einer
form mit altem -ian hinweist; wegen des für die spräche der
glosse anzusetzenden -en für -ian vgl. § 9 zu -c aus -ia). Die
zahlen bezeichnen die §§.
achto 186. ächuuerf 103. <ari 181. af 70. affalchia und
event. auch -ie 51. 59. 70. afrtö 96. aftergä 8. agasuni flect
rsunnia 148. agauefa 136. ainiäria 9. älacfalthl 66. alach
159. alachaltia 113. alachammö 107. alachesto 105. alamach-
ttchas 64. cdla 115. alöd, alödi 165. anibachtmundi 94. am-
hachtunia 54. 58. an 61. 88. anblid 75. andö 143. andras,
-es 49.* 61. 102. 184. antedt? 44. anthi 146. anthaimö 95,
anthdefa 71. an^^di? 44. anthifaüht 63. an^At^afön 152.
a»^Äwaü(i) 185. aw^rw^^'ö 175. artiti^ronan oder -inan? 121.
OÄC 84 und 3t (wo asco, -um zu lesen), äspilli oder -speUi? 170.
a^ 47. afbundian 64. atchefe 81. atcliram{m)itha 151. a^
/aZ^Ä 81. atfath(u)inian, -imian -amian 144. atfathumie 144.
a^Aai^ flect. -t und a^Afö flect. -i 171. athram{m)ian 10. 144.
afeFmtti 96. aucida 128. auorsclut- oder auor5c2oton^/t)^(7l? 56.
&atno 75. iacin 24. &arc7» 23. 24. &eoä 4 a am schluss. U 83.
&«a 73. bistallie 137. 6nM- oder hnourUter? 108. brustim 83.
&Mai5 77. mit cä für jr chabuggi 73. chaechtiun 70. chalandi
131. chalasda 151. cAaZfö^n 141. chaltfes 135. chalistsamö
149. cÄaWe und -ia 9. cÄawe^ oder cÄewe^? 143. chanichal(l)ie
112. charaumn 80. chasifhrit 75. chäuecsin 178. cAerauum
80. chetcardar 38. cÄ^j^tineß 159. christiun 21. mit cÄ für A
cAa/onun 108. cAa?m und chaimi? 131. 137. chaimstalla 120.
chaimfheoth 23. cAammfn 107. cAana^um^^un 46. chandchor
finas 76. changiasc 84. changist 126. cÄortfe 115. cÄaWcÄ^ton
32. chärogin 89. chärscJiaru 89. cAfe(06arwl 69. chörochera
34*
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532 VAK HELTEK
und chOrogan 54. chörogunia 54. ekrammln 82. chrann fled.
4 10. chreöburgi 156. chreodefa 71. chr&mösid 63. 67. 155,
chreotar^n 158. cAro^ 169. chuldachlm 109. e&tinn 188.
cAtmn^ oder -o^? 40. c/tunnt 40. cAunuuanun 41. cZödio 125.
defa 71. (fcor 129. dradiichalte 19. drwcW flect. -* 138. 140.
147. durupil 164. ^« 61. ebri 181. e/ece^ oder ificö? 131.
eochaßtcha 70. e^ 8. föton 152. faihithu flect. -a 182.^ /äldUa
59 (?), /afcÄl(n) 59 (?). 166. /afc^ 134. falcön 57. /aöi# 47. far-
sag/in oder -ßrj? 182. fech, -o 37. 38. /feÄo 84. fechte 66. feOUarht
147. /er- und forbannan 'zur gerichtssitzimg laden' (zu folgen
aus /er-, forbanniü, -os 'zur gerichtssitzung geladen' 316,3.
317, 2 etc. 410, sp. 1). fertaschö 37, ferthefero 122, /ärAtf 134.
/t/* 186. fimichan 40, firinblet oder -ftfeto oder -bletun? 77.
/i^Aer 186. fiiherstund 186. fithertich 13. fithertichchunn 186.
^tt 183. fodichalte 15. forbannan (s. ob. zu ferbannan). fram
131. /rf/a5fö»182. /riicwln 55. frisch 27. friihulSZ.* friun
gen. und acc. sg. m. 57. 67. 134. /uZln 129. /ur&o» 182, anm.
gafeurith 115. gamdll 179. gamälthu flect. -a 179. gangiehaJd
62. gasaccio 179, anm. ^frff/Jo 6rf. 10. grand(d)erfa 168. Aa/eni
38. haimplega oder -|}Z«flfa oder -plegün oder -pligün oder ^AatM-
jpIecAa U.S.W.? 161. hairistatho flect. -un und heristatho flect
-un 156, halfcham 107, ÄaZi 10, handduifinu oder -a? 7&
liandrepü 118, heraburgio 168. hirdunia 22. AZeue^ oder -os?
71. Äö>it^ÄM 60. hrinicruda 163, hrosgisü, hrosridi 85. hrundir
26. Ätitia^rerfun 127. huerfes 65. «dZo^* 157. t/i^ oder c/iw»?
131. imnissith 12. inchetoch 143, tn^fmt^ und -m5 16. »nm 186.
cinclauuln 114, Zais und Zfö 144. Zocin 65. 2amp 36. Joiiip-
Äa/era 38. Zaw«e 156. tene, -t 36. fetidarcif 39. leudinia 88.
lesuuerp 144. Zewdl 87. Zetiaw^Äemö oder -temo oder -em«
oder -iemu? 70. ZÄwieÄe 138. litichaum 110. 2ite und -o 96.
124. ;^5o 117, macAaZ 72. mae&^2eudi 132. malta29. moKo
130. malthö 96. mannian 57, anm. man^IoeAun 133. marcAe
128. «narne 125. maschun 100. mer 38, min 172.^ imO,
-i 119. 177. mithihi oder mitte? 180. moriher 135. fttorOes
86. 106. 132. 167. morthes leudi 86. 132. mosid 63. mund-
^aZZi oder -e? 156. nän 129. no^^fo'^ 111. nauuefxmAnauuag
157. nestanthi 152. nestigan 152. m 141. mt«ne&«inff 186.
ocA^'n 28. e7d 178. of 30. o/'ftwwdi 173. ofdö 101. o/a«jpft
135. ö/era^to 119. 177. oferfff 102. o/^ö^ö 153. ofhrii 77.
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zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. 195. 533
iJflid 172.* oforasta 119. oftheoß 99. e^a 112. oribaum
98. ortfochal 42. or^^nende oder -a? 98. öttö 68. 146. quintuc
116. rachachangal, rackachangiun 134. raginhurgio, reginburgio
und raAin&ur^'o 174. ragines 160. reip und rg? 141. r^p-
uuanun 41. Wnca^ 124. ^ocA^ 184. sacabaro 153. sdludefa
oder «ato de/a? 71 und nachtr. sämuertha 154. sat{i)ian 179.*
5cÄ€imfn 157. scharda 90. 5CÄeK oder ÄCÄtK oder schella oder
schilla? 101, anm. 1 (die flexion ist weder aus den ahd. belegen
schella, säUa, s. Graff 6, 476, noch aus den lat. formen schella,
schilla zu erschliessen, die auf den acc. sg. eines starken oder
den nom. sg. eines schwachen f emininums zurückgehen können ;
wegen der möglichkeit einer salfrk. form mit e oder i vgl.
§ 4 a). schelo 127. scimada und -o 38. sclupan 56. schod oder
^cAöd (mit altem ü) oder ^cft^d (mit altem aii)f 58. scolanthies
oder -ww? 139. scolatfaria 138. äcoZö 30. äcäo^J 50. screonas
und 5creon flect. -a, «creuw flect. -i (einer älteren periode an-
gehörend screun, -a, screun, -i) 101. sculthtch 30. sechs 186.
seolandauefa 74. ^^owarln 135. 5t 123. sichte 107. si/tiw 186.
sifunchunn 186. stmamaruiasc 84. «ßdf 140. smalafech 38.
smdlcha 54. 59. 91. smalge oder -«a? 91. smaß charde 82. söcelin
oder -iKn? 45. 5öZ 179.* sulsatl 179.* solscampinia 46. sonista
25. 5partiwart 174, anm. 5tottaZ(r)i 176. 5todil39. ställachia 12Q,
stapol flect. stappl- 156. starkian 174, anm. steoric oder steuric
28. strajfü 117. 5^ncA< oder strichto bez. -wn? 183. strippas
102. ^undolm 45. 5um flect. sunnia 148. suainchalte 18.
Ättärc 14. 5w^/? 104. 5Win 17. tachsaiga 20. tow^ra», -on,
tang(a)nön, -onön 162. torcÄI 150. tonn 68. tauuergefu oder
'Chefu? 81. ^6Äan 11. techsaiga und -^//a 20. teunithu 119.
^tdö 105. ^tZi^Äw 49.* treuuiddiun 120. treuuiththa 120.
irocuuithian 40. trunnia oder -ie 169. ^rti«^ flect. -e 175.
^wrdia 159. turnichall 68. <wä, ^w^ 186. fu(u)alif 11. 186.
^MaZi/i und ^«aK/lfi 11. ^Mtari 17. ttßt» 83. ^Äeo 96. 160.
theochreomösid 124. theodan 146. theodelln 123. theofard 52.
^Aeo/Uuanun 41. ^^o2emn 55. theoleudl 123. theomösid 124.
theottichsaiga, theotechsaiga 51. theotchrap 97. ^Ai 96 und
nachtr. zu 152. thichias und ^Ai^m 152. ^%im 90. ^At- oder
fheuisches oder -os? 54. ^AmJo^m 55. thrachil 49. thr<ml
35. thriostund 186. thrispillia 167. thrispiüio 34. ^ÄrwcÄ-
t^umn 120. thungin part. prt. oder thuungin? 31. thungin
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534 VAN HELTEN
Biibst. 145. thurpfalthl 66. thUsunde 186. Ulchardes 48.
unnamödun 88. unrechtes 169. unscaml 60. uriifogia 79.
uuerligithu oder utierlichithu? 93. tiuar^ti^Kn^Al 92. uuadfaU
78. uuei/bcA 129. utiat^n 176. fctia2ac%2eu(fö 133. «ti^ntcm 88.
tiuar^ 130. uuasabücun 134. ue^aJacfM, flect -im 65. tiii^Uari,
uuehiarun 43. t«ti^2ac^n 108. uuenecMin 108. titferdardt 89.
ttuerciarttin 130. uuidriö 150. uuidrisitelo oder -tit»? 142.
ui4t^A(^%)i}n 183. uudjpiYAa 135. uuordialnö 134. «firamto
127. tiwrocö» 130.
Nachtrage.
Zu § 71. Mit rücksicht auf das anzusetzende *hleiiesoL
'OS defa möchte man auch an die möglichkeit von mit defa
verbundenem gen. sg. *salo denken (zu *salu; vgL § 192 znr
14-declination), in welchem fall *saludeba (s. s. 349) nach § 4a
zu beurteilen wäre.
Zu § 124 (am schluss). Dem *theu von X^ zufolge ent-
stand ft&rc durch anlehnung an u (nicht, wie § 3;i angenommen
wurde, durch anlehnung an n).
Z u § 143. Vgl. auch as. ags. metan 'achten' (Zs. f da. 44, 135 f.).
Z u § 152 (s. 467). Entgegen dem über die entstehung von
the Chi bemerkten möchte ich jetzt vorschlagen, die formd als
*nesUgan thi thigiu mit thi 'dich' anzusetzen.
Corrigenda.
S.233, Z.15 V. 0. 1. 141 (statt 140) — s. 237, z. 8 v. n. L *brusti
— 8. 239, z. 8 V. 0. 1. bracti aus %rusti — s. 240, z. 6 v. o. 1. autkanio
— 8. 241, z. 3 V. 0. 1. c^co, -um — b. 241, z. 10 v. u. l. leoti für leadi —
8. 251, z. 17 V. u. 1. trasile (neben traslo) — s. 274, z. ll v. u. L § 39 -
8. 277, z. 2 V. u. und s. 289, z. 2 v. u. L solampinam — s. 296, z. 11 t.o. L
§ 77 — 8. 300, z. 15 v.u. 1. fitmi statt fitma — s.326, z. 18 v.o. 1. § 90 -
8. 412, z. 1 V. 0. l. -a- (für das erste -a).
INDEX.
(Die zahlen bezeichnen die §§.)
abantonia 54
abazym 31
a(b)bundire 64
ab chratis, ab grates 48
abhacto, abha(t)to 70
ablatS) -tarn 107
abmundire 64
abonnis 173
abteca 70
abtena 8
abthega, abtica, abtiga
70
acfaUa47
acfatmire 144
achaltea 113
achasius 171
achramire, achramnlre
10 o. 144
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zu DEN MALBEBGISCHEN GLOSSEN. INDEX.
585
acre brastasit 177
actoetns chonde, acto
et Tisiinde 186
acunerna 121
adchramire, adcramire
10
adepaltheo 78
adesins 171
adfacimus, adfathamire,
adfatimns etc. 144
adframire, adharamire
10 u. 144
adhesins 171
adhram(m)ire, -mnire
10 u. 144
adnouaddo 88
adramire, adrhamire 10
U.144
af atomie, afatumise, afa-
ttuniri, afetumiae,
affactumire 144
afialthecha 70
affatomise, affatomie,
affatnmise, affatumire
144
affectu 81
a(f)frainiTe 10
afirse, afres 38
ago epha 136
agramire 10
agsonia 148
ahe lepte 11
ahramnire 10
alacfacis 64
alac falthio 66
alacharde 115
ala chescido, alachis
cido 105
alachra et hü 64
alachtaco 64
alachts, alachtamo 107
alafalcio, alafalmo 66
alagra et Mi 64
alatfaltheo 66
alatham, alathamo 107
alatharde 115
alatrndua 159
albis 10
alcata alchatheocns 64
alchacio, alchaltua 113
alcham 166
alchatheocns 64
alcheio 113
alesnm 10
ale thardis 48
alfalchio 59
alfathio 71
aliofedo 135
a(l)lii8 10
a(l)lodis 165
alteo 9
alteofaltheo 59
althifathio 71
alu trade theo tidio 159
alnndire 64
amachallnm 72
amba othonia 54
amba 54
Sbilicae 75
ambistaile 137
Sbitania, abotanea 54
ameo amitheoto 23
amestalla, ame8tellal20
ammallns 179
ana stheo 61
anciaca 128
anda dil 71
andappns 102
andeabina, andeafen 76
andeba, andebau 71
andechabinnS) andecho-
bina 76
anderebus 118
ande8i(t)to 49*
andocmitO) andoctemito,
ando meto 143 u. s. 534
andrat(h)eo, andratho 61
andreiphns, andrephus,
andre(p)pus 118
andrepa 102
andrnstio 175
andütheoco, andnn the-
ocho 143
ane crenodom 178
anestet 61
anfamia 60
anhnnerbo 103
anilasina 55
annas uinido 46
anneando, anno ano, an-
nona, anno (n)ano, an-
nonnado, annonuano,
anoano 88
anomeo anitheotha 23
anorlenet 56
anona(d)do 88
anteba 71
antedeo, antedi 44
antedio 44. 61
ante denda, ant(h)eoda,
antehoda, antenda 146
anteotho 23
antesalina 152
antete 44
ante theada, t(h)eoda,
thenda 146
anthamo 95
anthedi(o) 44
antheoco, antheodio 44
anthidlo 44
anthi falthio 63
an thi so 44
anthmallo 185
anthomito 143
anthonins 58
antidio 44
antoctimetho 143
antomia^ antonio 58
antrustio 175
annano 88
anzacho 126
aper 38
apten 8
arba theus 70
arestato, aristaco, ari-
statio, aristato 156
aritbeocto 32
aroena 80
arunemon 121
aschara 86
a8pelli(a)8 170
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536
VAN HELTBK
athlata 107
atribute, atribntaria 176
aude af ennB 76
andel fecto 181
anfa 157
aniappo 97
austrapo 117
antchardo 89
anthanio 95
anthedio 44
authnmia 58
anuena 74
annerphe 103
aasto 126
babane, babani, babene
24
bab mundo 94
badiani 24
banchal 134
baofaUa 47
baragameo 23
barcho 24
barcoanomeo 23
bartcho, bartho 23. 24
basitalio 187
bathmonio 94
beodo, -dum, -to, beudo
4 a am schlnss
besitalio 137
biabigo, bic(b)a, biggeo,
bUa 73
biorotro 108
bistolio 137
bogbagine 24
bonimo 60
borio 8it<h)o 85
bracho 23. 24
bracü 83
brarecho 24
bratho 24
brioro, briorodero 108
briosito 85
bmche, bnicte 83
bnrgo sitto 85
ca(b)imo 23
calcio, -ium 9
califitanio 149
callis obdablio, callis-
BoUo 135
callus 10
calte, -i 9
canazasco 126
candechapaniu 76
cane crento 178
cannas nnido, cannas
ninido 46
cantiasco 84
canthicbins, cantidios
152
caroen, carohen, caro-
titieno, caiTO enno,
canrenna 80
cassahone, cassatinm,
causationem 179
cenecnida 163
cbacbaro 86
cbaeroeno 80
chala 9
chaldacbina, chal de
China 109
chaldeficho 131
chaldifl obdnplo, chalip
sub dnpio, chaUis ob-
duplio 135
cbalty ehalte, -i, -eo 9
chamachito 33
chamalta 179
chambestali» 137
chamciosco 84
chamS habia, chames
taUa 137
chamim, -in 82
chamin, -inns, -ina, -inis
107
chaminis 157
chamino 82
chami thento 23
chammino 84
chSmitnm 33
chamni, chamnini
chamno, chamnnm 82
Cham stala 120
chamutheao 23
Cham wj aoco 84
chanasuoido 46
chanchiiida,cliaiiii^iia38
chanoo 126
chane cnndo 178
changichaldo 62
chSna chlora 112
fthmiinMi zascho 1^
chanodeoia 112
chanzaso(h)o 84
chaacaficho, chaaDsto,
chanzocho 126
chanzyn 31
chanzjso 84
charamire 10
charcaldo 10
chaio(h)aro 86
charfrido 75
chariodto 32
charoena, -enna 80
charohitnm 32
charonneno 80
chascaio 89
chegmeneceo, chegme-
neteo 33
chenechnida 159
chenecrada 163
ebene crado 38
ehengisto 126
eheobarbio 69
cheoboigio 156
cheolbarbio 69
cheo moeido 63
chera crada 163
cherebu^ns 168
cherecheto 32
chereno 80
chereotasino 158
cheristadona^ -stadona,
-fltonica 156
cheroiobiungiu 168
chesfrido, chicsio Mt 75
childeclina 109
chisio Mt 75
chiomala 91
chisto 50
chlebarbio 69
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Zu DEN MALBERGISGHEN GLOSSEN. INDEX.
537
chlndachina 109
chramen, chrafiiSO
chramere 107
chrami 82
chramine, -ire 107
chramnechalti, chrane
calcium, chranne
chalü, chranalteo,
chranchalteo 10
chrannis 10
chrannes, -is malie(h)-
ardi 82
chrascaro 86
chrednuia 22
clirenec(h)rada, -dirada
etc. 163. 38
cbreobardio, chreo bnr-
gio 156
chreodiba 71
chreomardo, chreo
mosdo 67
ehre ottar sino 158
ehren rnnsido 67
chriimechrada 163
chrinne chultis 10
christiao 21
chrochro 54
chrog^ino 89
chrotarsino 158
chncarso 103
chnc Cham 23
chüdachina, chnlada-
China, chnl de china,
chnldeclina 109
chnnabana 41
chunnas 186
chnnni clenra 112
chnnnonano, chnno nano
41
chnnarso 103
clalns 10
dandinario 125
cornntn, comntn 40
conirgo 81
cramere 107
cranniB 10
crehomardp 67
crenecmda, -cnrando
etc. 163
creobebat 71
creo mardo 67
cren beba 71
crinnecmda 163
criBt(i)an, cristiano 21
cmene 80
cnrnntn 40
onsfredHy -dnm, -tu 75.
77
cnnaerso 103
dahns 125
daphann 108
dandinarise, dans 125
deba 71
denda 146
dialti 9
dirSni 10
dorpilns 164
drace, dracechait,
drache, dränge 19
drocchlidio, drocfledio,
droc(h)üdio 140. 188
dmche lennici 138
dmchtelidio, dmcte cli-
dio 140
dmcte limici, dmcthe-
limici 138
dmcti flido 140
dnrbilns, -iUns 164
dnropalns, -peius, -pel-
1ns, -pnllns, dnrpilns
164
ebrins 181
ednlcns 157
elecharde 48
erami 82
erborgins, erebnrgins 168
escreona, escrenna 101
esthalathia 126
ethatia 9
enaleslna, -lisina 55
exachalt 9
excoto, excnto 50
ex mala 91
extrabo 117
faido, -nm 182*
faisseth 37
fal.cham 131
falc(h)ino, fiedcono, fal-
conQ 57
famiis fith 86
faras 168
fectho 84
feisfecho 37
feitnm 182*
feltortnsi -troctns 147
fernere, -ire 84
ferbanniti, -os 195
ferimbera, ferthebero,
ferübero 122
ferto 134
fetischefo 37
feto, f^to, fetns cheto 37
fhrio mosido 67
fhnnnichnns 40
filtortns 147
fimere, -ire 84
firilayso 55
fistirbiero 122
fit mihachnnna, fit temo
(temn) snnde, fit ter-
tins chnnde, fit tertos
chnnde 186
flemere 84
flnnnicns hns 40
focichalta, focifale 15
forbanniti 195
franchamo 131
frannis 10
fra8(s)it<h)o 119
fra8it(t)o 111
frastathinto, frastatitio
119
fredo, -nm, -ns l^'^
fredolasio 55
freobleto 77
f^eodo 27
freomosido, f^eomnndo 67
freth faltho 134
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y
y
538
freto, -um, -tw 182*
freto, fretns chaeto 37
f ribasina 55
fribastina 182
fricho 27
frictebero 122
frido, -HB 182*
frifafitina, frifrasigena
182
frilafina 55
frioblitto 77
friocho 27
frio falc(h)ino 57
frio fald, friofalto 134
frio faltouo 57
frio ferto 134
frio lasia 55
friomoaido, -mnrdum 67
fristatito etc. 119
fiito, -US 182*
fun(n)e c(h)leura 112
frirban 182* anm.
gamallus 179
gamalta 179
garafio 10
ga8ac(c)io, -sac(c)ium,
-Ba(c)chium etc. 179
gasferit 115
gasfrit 77
gaugec(h)aido, gaugie
altho 62
gauiaito 179
geiäofredo 77
gestabo 85
ghalmalta 179
graf(f)io, graphio 6d
granderba 168
habundare, -ire 64
haceaius 171
hac fa(l)la 47
hac f amirem 144
hachramire 10
halachado 113
haldempa 71
hallus 10
hamallos 179
VAN HELTEN
hanziam 126
haper 38
harauuano 80
haroaasina 121
harouueno 80
hebriuB 181
her(e)borgius, -bnrgiuB
168
hidulgus 157
himnes theca, hiimifiht
12
hischoto 50
hischrabo 117
hisifreth 75
hismala 91
hoc her paande escrip-
pas 102
hocticla 42
holecardo, -chartis 48
honema, honomo 60
horhut 42
horogauo 54
horogaut orogania 54
hortifnda 42
horto pondo 98
hrannis 10
huc chram mito 151
huicthe 127
humnisfith 12
hunuane 41
huutchardo 89
hymnis sith, hynmis
thetica 12
iberus 181
ibidem bmche 83
idulgus 157
imnis fit 12
inalouieridario 130
inanbina 75
inchabina 110
inch(i)auiiia, indanina,
inclauina 114
in elechano 108
ingismuB, ingzimus, in-
zimis, -US, inzymis,
-US 16
inui(c)ta, iniüta 183
iso(h)rabo 117
iscreona 101
ismala 91
ispar-, isperaarinm, -o
179*
it€ bracti 83
lacina 65
lsu:labina 114
laetus 124
laeuespire, leueniireetc.
144
laeisum, lalsam, -a, -io
144
lamilam, lammi 96
ISphebrofi, ISphebros
mala 38
lampidi 161
lampse 36
lap 36
-lasina, -ia 55
lauaue 156
lausmata, lauxmada 38
-lazina 55
leciim musdo 124
ledus 124
leodardi, leudardi etc. 39
leisum 144
lem36
leodi etc. 87
leodeba, leodecal, leo-
deua 71
leodinia, -e 88
leodosanii 87
leosdasdi 39
leosdeba 71
leotos musdo 124
lerechala, lescalti 96
lesium, -um 144
letus 124
leudi 81. 87.
leudinia 88
leue, leui 36
leuti 87
[iaha hauma licMÜiUL
liclamina hq
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Zu DEN MALBERGISCHEN GLOSSEN. INDEX.
539
Udos, Ütiis 124
lisnm 144
machalmn 72
machina 65
madoalle 156
mafla, maf(o)lo, -nm,
magalnm, mahalnm,
ma(h)oliiin 72
mala, mala 29
malach faltio 66
nuJcho 133
malcho itto frioblito 91
malchom 133
malegano 108
malia 29
malic(h)ardi 82
mallacina 65
mallo, malo 130
malteohiatns meo lexffi,
malthochiado freo-
ledo, maltho fiatho
meotho etc. 96
malzantania 91
mandoado, mandnalis
156
mane charde 82
maii(n)ire 57 amn.
marchat 132
marsolem 129
marthi 128
marthocla 42
matdalio, mathdaleo,
matheleode, matheo
demortis, mathleote,
math lend moster,
matte leodi 132
manfolum, manolnm 72
melachano, melag^o 108
meledeno, menecleno
108
meotheo 53
micio 180
milettmia 172
milicharde 82
milituniaj militnria 172
min 82
minechleno, mineclino
108
minoflidns 172*
mithio 180
mithio iTa(s)sit(h)o, mi-
thof orastai mitlio f osa
stadiuo, mithostrasta-
tido, mitioi micio fri-
statito etc. 119
mitio 180
mittin 180
mittinio frastatitio 119
moalnm 72
moantheuthi 132
moCi) modo, mohsot 63
moffoiom 72
molcherter 132
mor Chamo 134
morcherter 132
morter 106
mortes, -is leodi 132
mosedo, *ido 63. 67
mother 167
murdo 63
muscisimada 38
miis(i)do 63
muster 132
mnsthest 135
mnther 155
nabohot, nabothna pon-
dero 129
nachao 157
nachns 100
naobfocla 42
napodero 129
narcos 100
nare 129
nare chalt(e), narethal-
thi, nari calti 14
nasche, naschns, nas-
co(n)dinar, nasde,
nastthns 100
natarisB 9
nancho, nanco, nanfo,
-nm, nanpho 157
nectanto,necthanteo 152
necha(n)na 40
nesti canthe chigio,
nestiganti hnins,
nexticantbichins etc.
152 a. 8. 534
noffo 157
norchlot, norchot 56
noreb'r 67
nosdo 63
nnchala 91
nnrdo 63
obbonis, obclinis 173
obdo(n) 101
ob dopus, obdub, obdn-
bas, -US 99
obdnblio, obdupl(i)o 135
obdnplo 99
obgrafio 153
obosino 28
obrebos andappns, ob-
reppus 102
obrepns 118
obscalt(e) 30
obtobbo, obtnbbo 99
ochsaiora, ocsteorci,
ocxino 28
odocarina 68
offo 157
ohseno 28
olecharde, -is, -phardis,
-thardis 48
onemo 60
orbis nia lazina 65
orfloda 42
orogania 54
ortfocla 42
orthobano 98
Ortho fagia 42
ortifacla 42
ortobanm 98
ortofogia 42
ortopodnn 98
oneppo andrepa 102
pandete 43
pecti(s) 88
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540
VAN HELTEN
pedero 26
petrio taratro 177
phimarina 135
phnnuichaiu 4eO
piomarina 135
pittvfl 183
podero, podor, ponde-
ro(8), pordor, por-
dorsH, potero 26
prio mosido 67
pronas 101
protero 26
qointe, qninthac, quin-
the, qnintao 116
qno nirgo 81
raba nal 134
rachin(i)-, rachinebnr-
gius etc. 174
radonia 22
ran(n)i8 10
reapte 8
rebus 141
recbalti, redialti 36
redonia, -ii 22
reibus, reip(b)UB, reip-
pns etc. 141
rei phns haec cha la Si-
nns, reiphns heealisi-
nns etc., reipns ni-
cholessinus etc. 141
rencnsmnsdo, renchns
mohsot 124
reodemia, -imia 22
rephuo uano, reppo-
phano 41
repphano 106
retns cetho 37
rhamallus 179
rhammodo 23
rhanne, rhannechala,
rhanne cbalteo 10
rinciis modi 124
rosdmada 38
rosidio 85
sabanc heo 134
sacce niQther 154
sace-, sadbaro etc. 153
sagatinm, -io 179
8ag(s)barO| sagibaro etc.
153
8aldeba(n) 71 o. s. 534
sambach^ 134
samitem 154
satadnm 179
saxbaro 153
scedo 30
schmala ledi 91
schodo 58
schoto 50
schreona 101
schnisara 89
scolo 30
screona, 8creiin(i)a 101
scuto 50
secthe 107
sectbis 66. 169
secti 107
selando effa, selane effa,
effefa 74 n. 75 anm.
(8. 359)
selaue 156
selcbo 127
senio 17
seolandefa, seolande fa-
disco landefa 74
seolande stadio 139
seolandeua 74
seoiandi stadio 139
seolande, seolando efa,
seolando et nas hal-
dem pa, seolando
nena, seolando nena
74
8eolant(h)iB thadio 139
seolast(h)a8ia 138
seo laude esthadio 138
septen, -un chnnna 186
setheo 127
seulandeba seulandefa,
seulandeneuas, seu-
lando efa^ seulando
nauas, seulaaido 1
seulando uena, sea
landoueuas 74. 108 n.
139
sexan chunna 186
sexxaudro 184
sichte, sictae, sicti 107
silaue, si lanaiie 156
simalchaledi 91
simithio 180
sinani 17
sitabahim, sitabum, si-
tbabahim, sithaliahiDi
126
siuaerohen 92
smalchaledi 91
soagne chalt(eX aoagni
17U.18
socelino 45
sochte 107
solam pbinam, sols^s,
solampinam 46
sole lateie 179*
solestrabo, aolis Inbo
117
solisadre, solsatire 179*
sondolino 45
sonesta 25
sonia, sonies 148
sonischalt 9
sonista, sonisUia 25
sonnis 148
sonnista 25
sparaarium, -o, sparoa-
rio, spemarinm 174
anm.
stadalis 176
stafflus 156
stalacha, staladuda,
stalachia, stala sthia,
stalathia, stallschia
Stapplus 156
stercbire 174
streonas 101
stricto 183
stro^au 54
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aSU DEK MALBEBGISOHEir GI/088BK. INDEX.
641
strona, stroniB 10t
Buane calte 18
snbtho, sabto 104
sncelin 4b
BTÜani, sui aimi 17
smniSi sanmis 148
Bundela 71 n. 8. 534
snndelino, sundleno,
sundoleiio, sundolino 45
sunesta 25
snnia 148
snnista 25
STumes 148
snimeBta 25
snnnia, -is 148
snnnista 25
sunt dilino 45
snnachine calte 18
tacxaga 20
tancano, -cono, -cno,
tangano, -geno, -gono,
-gno 162
tantedio 44
taphano 108
tanthe 152
taxaca, -ga 20
teobardo 52
teoda 146
teodocco, -dacco 51
teofriomosido 124
teolasina, teolosina 55
teomosido 124
teophardo 52
teorgiae, teorzine 160
teothexaca, teoxaca 51
tertega 13
tenlendina 123
texa, texac(h)a 20
texachalt 9
texaga, texara, texeca,
texxaga 20. 51
thalaptas 11
thalasciasco 151
thaphano 108
theachro 54
theada 146
theca 13
theio tho sonde ter theo
chmma .186
theladina 123
thelazina 55
thenca 54
then fno mosido 124
then lasinia 55
theobardo 52
theochada 90
theocho 54
theoctidia 90
theoda 146
theodilinia, theodnlima
123
theofano 41
theo hichada 90
theolasina 55
theolede tholo thodina,
theolidias tenlendina
123
theolosina 55. 106
theomnsido 124
theophano 41
theophardo 52
theoprano 41
theorgiee, theorgie, the*
orzine 160
theoBtaxaca 51
theoycata, thercoheata
90
therteann, thetica 13
thenbardi 52
thenca 54
thenda 146
then la sina 55
then lende, then len-
dinia 123
then mosido 63
thennetruda 163
then nosdo 124
thenrora 92
thens taxaca, then te-
xaca, then tha texaca
51.53
then septen chunna,
then ynalt chnnna,
then (v)nen6(t) chnn-
na 186
thexacha 20
thinzimns 16
thoalapns, thoalast(h)i
11
thoonerpo hac lade,
thoonerpota sado 81
thornechale, -les 68
thorogao 54
thothocnndi fitme
chnnna, tho to condi
Tneth chnnna 186
thoynespho (-fo) ac fal-
tho 81
thradilagia 49
thro thaxaca 54
throneinso, thronidioso,
thronnido 120
thne septen chnnna 186
thnnginns 145
thnochaido, thnochapo
97
thnmichale, -ehalt 68
thn nnalt chnnna 186
tomechale, -challis 68
tonerbns 81
trachlagia 49
trasile, traalo 35
tres bellio 34
tres pellia 167
tres pellins, tres pellios,
tres pillins 34
trendis 120
trenimdio, trennidio 120
trio iobio 120
triothns chnnde therte
chnnna 186
trispellinSy -spilins 34
tritto 183
trintes, -is 120
trochnnido 120
troci nnithier cnnni,
troitohen hnnni 40
tronandio, tronisido 120
tronner, tronnerpo 81
tronnidio, -do 120
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(48 TAN BBIiTBir, Zu DEN XALBRBQXBCBBV QWBSa. DTDEZ.
tronuidonnano tnene
channe 97
trnstiB 175
tna 74
tnaJepti 11
tna septnncliiiima 186
tua symis fit miha-
chnnna 186
tnhochapo 97
tnnzinns etc. 145
tomecale 68
tnmechroso 169
tnmicale, -chal(is) 68
ttirpefalti, -phaldeo,
turpha falchio, tor-
phaldeo, torriphathio
66
tnschada 90
naderedo 127
nad faltOy nadofalto 78
naidaris 176
narachalt 14
iie(e)leiit(h)emo 70
neganns 43
uena 74
nero manü/ueTonhaiio 92
nerthi fnginm 42
nertico 93
nialacina, uiae ladma,
nia lazina, oia lazyna
65
nidri darchi 89
uieridario 130
Qipida, nopida 135
nirdade 89
uirgo 130
niridio 130
nirtnane 92
oito ido efa 74
nina 73
ninisio feth 75
unas bngo 134
nnistario 130
nnnm ahe lepte, thoi^
la8t(h)i, tualepti 11
nrbis nia lacina, nrb nia
lacina, nrbis nia If^
zyna 65
nrthefocla 42
nrtifngia(m) 79
nsn dredo 54
nnadefaltho, -flat 78
nnaderido 155
nnadfaltho 78
nnadredo, nnadret(h)o,
nnadridOi nnadseto
127
nnala leodi 133
nnalderido 127
nnaldphalt, nnalfach,
-f oth 78
nnale nanae 43
nnaranione(m) 127
nnargare, murg^na. -o
130
nnasbacho, -bnco, -bngo
134
ynath lendi 132
nnedrefiitelo 142
nneiano,naeiape, nneip-
pe 43
nneidarda 90
nnernanathe 92
nneä adepaltheo 78
nnidardi 89
nnidifalt 78
nnidre sa thaio 142
nnidridarchi 150
nnidrisittolo, -süiolo,
nnidrosilitOy -süek»,
-dthelo 142
nniradardi 89
nniridariü 130
nnirio 81
nnirodarde 89
nnirtico 93
nnisnonida 120
ynistritto 183
nnzchardo 89
ymnis fith 12
zymiaengano 17
zymis 16
GRONINGEN, december 1899.
W. VAN HELTEN.
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DIE UNECHTE NEGATION BEI OTFRID
UND IM HELIAND.O
*Die Verneinung richtet sich gegen den versuch einer
isynthesis und setzt also eine irgendwo von aussen heran-
gekommene oder innerlich entstandene Zumutung, subject und
prädicat' zu verknüpfen, voraus. Object einer Verneinung ist
immer ein vollzogenes oder versuchtes urteil' (Sigwart, Logik
1, 4, 150). Die spräche gebraucht jedoch die negation nicht
ausschliesslich in diesem logisch correcten sinn. Vielmehr
werden wir bei jedem Schriftsteller negativen urteilen begegnen,
durch die keine versuchte oder vollzogene, positive Synthese
zurückgewiesen wird. Dieser gebrauch der negation soll als
'unecht' bezeichnet werden.
Die frage, ob eine negation echt oder unecht ist, lässt
sich häufig nur durch das subjective Sprachgefühl, nicht mit
objectiver Sicherheit entscheiden. Umschreibungen für einen
ausdruck mit negativem sinn (z. b. nicht sehend für blind) sollen
als unechte negation betrachtet werden, da wir in diesen fällen
den ausdruck mit negativem sinn, nicht eine Wendung mit
negation erwarten. Eine erklärung der unechten negation ist
nicht immer möglich, oft müssen wir uns darauf beschränken,
dieselbe als stilistische eigentümlichkeit eines Schriftstellers zu
constatieren.
% 1. Uneciite einfache negation.
a) Beispiele.
0. 4, 9, 24 thar sae . . ni fon imo ouh ferron einlif daga-
sterron weist keineswegs das versuchte urteil zurück: 'die
jünger sassen ferne von Jesus'; vielmehr ist die negation hier
^) Citate nach den ausgaben von Erdmann und Sievers (hs. M).
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644 lSbghbb
lediglich eine nmschreibimg des positiven nrteils: 'die j&nger
Sassen rings am Jesus (et duodeeim apostoli cum iUo L. 22, 14).
Aehnlich sind ih sunnun er ni gisah 3, 20, 147. ^e$ gi-
siunes gibrusti S, 20, 84. unht ni mohta sehan er 3, 21, 3 nega-
tive umschreibongen für lat. caecus, — filo .. (hie ffio mid
firihon ne sprac H. 5676. unquefhar^des . . . filo 5661 = dt-
menta muta (Greg. hom. 10), ne habda liudeo ihan mer 1028
= 'er war allein'; ganz ähnlich H. 6521 860 ff. mamto fih
ne uuissa 2038 f. = 'wenige', ihia stedi . . thar gio helido lam
gumon ne bigruobun 5736 ff. (monumentum novum J. 19. 41). —
er fuar in einoti, ni deta er iss hi noH 2,3,59 (= 'freiwillig',
certaminis voluntate Beda zu Mt 4, 1). — ni hangta 2, 11, 16.
3, 25, 10 = 'er verbot' (dagegen ni henge 4,4, 11 wol echt);
ähnlich ni giüioloian H.4174 = 'einschreiten gegen'. — #m
will ih themo . . undoron 3, 12, 42 (= erit solutum Mt. 16, 19).
— ealtun . . thae ni was 4, 19, 29 = 'sagten falsch ans' {d^
falsi festes Mt. 26, 60, uuarUse man H. 5071). — ni liag ä
sehan . . thojs ira . . lioht 0. 4, 33, 2. ni mahta suigU lioht sconi
giscinan H. 5625 f. {obscurattis est sol L. 23, 45). — Weitere
fälle 4, 33, 37. 5, 24, 9 f. Nis thit Judeono folc, erlös enuuordie
H. 3042 f. (alii . . alii [sc. dicunt] Mt 16, 14. saUun fmssilih
gimah 0. 3, 12, 10). te enaru tidi ni humen H. 3505 1 umefnu
quamun 3447 (diversis horis Hrab. zu Mt. 20, 3 — 7. gpiomin
mislico 35111).
Rhetorische frage + negation ist gleich positiver wendung:
ni that nu furn ni uuas? H. 3988 (nunc quaerebant etc. J. 11, 8;
vgl. 0. 3, 23, 31 auch positiv).
Erst' und 'nur' schliessen immer die negienmg ein«-
behauptung in sich; negative Wendungen dafür sind also edit
ni latan use fera uuid ihiu uuihtes uuirdig, neba . . H. 3999 1
'wir wollen unser leben nur dazu wert sein lassen'. Eboiso
H.470f. 3613 und an anderen orten.
b) Litotes.
Der negative ausdruck ist seinem Inhalt nach schwächer
als der zu erwartende positive (litotes). ni was ouh boralang
Ihaz 2, 3, 13 {siMto L. 2, 13). nist lang ei themo ihinge, nub
2, 14, 38. nist iz lang eiuware 3, 13, 10. tho ni uuas lang aflar
thiu H. 243 (= sar 0. 1, 5, 1). tho ni uuas lang te ihiu (hat
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UNECHTE NEOATIOir. 545
H. 315 1 (ecce Mt. 1, 20). Ebenso H. 959. 2016 f. 2254 f. 2781 f.
4087 t 5769 f. ni dm ie tA spati 3, 1, 20 ('alsbald'), tho te
lat ni uuard S, Petrus H. 3053 f. (vgl. Schütze s. 34). — ni
det er ig bi guate 2, 5, 20 ('er tat es aus böser absieht'), nir-
geit iwo iz ei guate 2, 19, 6 (*er muss strafe leiden'), nist thaz
wort guat 3, 20, 139 (maledictum est Beda und Ale. zu J. 9, 28 f.);
sprickist, tJicus ni scalt 3, 22, 44 (blasphemia J. 10, 33. uuah,
men H. 3950 f.). — that nist thi alloro frumono negen H. 1094
('das schlimmste'). Aehnliche, aber echte Wendungen mit fruma
H. 1854. 2411. 3817. — Umschreibungen für töten, sterben:
thoh sie nan ni eretin 3, 16. 31 'obgleich sie ihn töten wollten'.
nu ic giuuinnan mag, that Ae . . . ald ni uuirdit H. 725 f. ni
uuanda .. lengron libes 2245 f. 3154 f. ne uuandun ira fera
egan 5801 (facti sunt velut mortui Mt. 28,4. selbso dote 5, 4,35).
Vgl. auch libu bilosien H. 2781 (decollavit Mt. 14, 10). 2676. ni
uuelde thit Höht agelen 4756. ir ni thurfut . . In thiu 0. 4,
15. 45. Dagegen echt 2, 21, 21. 5, 18, 5. — ni was Noe . . iliaz
minnista deü 1,3,9 'er war das wichtigste', nis that min-
niste thero uuiteo H. 4331 f. 'die grösste'. — Sonstige ver-
schiedene fälle: ni sueih 0. Hm. 81 (parallel mit ereta).
Halbecht: ni duet . . . machon 2, 16, 33 (beati estis Mt. 5, 11,
salige warin H. 1320). Aehnlich 2, 16, 40 und ni gieiscota er
thae woroltman 3, 20, 157 'er tat es aus eigener macht', bristit
..m..ni sie sih Jwjszon 5, 23, 152 'es fehlt, dass sie sich hassen'
= 'sie lieben sich', faruter laster H. 81 (iusti L. 1, 6, drudiu
1, 4, 5). ni . . licon H. 3193 'zürnen', era ni uuitun 3747
'schändet' (interent 2, 11, 25). ni uuas . . othi 4593 f. 'schwer',
vgl. unodi 3294. 3298.
Anm. Die negative wendnng geht auf das original zurück 2, 11, 3 f.
ni was er borcUango = non miUU's diebus J. 2, 12.
c) Falsche Stellung der negation.
Die falsche Stellung der negation lässt diese als unecht
erscheinen: ni wanu, iz wola intfiangin 1, 27, 21 'ich denke,
sie verstanden es nicht'. Dasselbe 4, 16, 25. ni wan ih 2, 4, 36.
ni wani 4, 2, 11. ni thunkit 1, 27, 57.
d) Anhang. Phraseologische zusätze.
Otfrid macht häufig zu seinem original parenthetische Zu-
sätze in echt negativer form, die für den Zusammenhang nicht
Beiträge zur ge«chichtc der deutschen spräche. XXV. 35
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546 LÖSCHEB
unbedingt notwendig sind, sondern gewissermafisen nur an-
merkongen zum text enthalten: sprah der gotes boto tho —
ni thoh irbolgono 1, 4, 57. Die negation ist hier echt, da der
engel über den Unglauben des Zacharias tatsächlich hätte er>
zttmt sein können. Weitere stellen: 2, 11, 12. 3, 6, 56. 14, 86.
15,3. 20,24.107. 22,9. 4,5,42. 5,44. 12,43. 16,38. 17,24.
24,33. 27,15. 5,9,31. 9,33. 10,6. 15,11£. 23,1.
Diese zusätze füllen (mit ausnähme von 3) je einen halb-
yers. Es ist daher anzunehmen, dass sie dem dichter dazo
dienten, zu einem durch die erzählung gegebenen halbrers
den fehlenden halbvers zu liefern. Dass Otfrid für diese zn-
sätze in der alliterierenden dichtung ein vorbild hatte, be-
spricht Schütze s. 18. Im Heliand (wo die positive form d^
Variation mehr hervortritt, vgl. unten) sind sie viel seltener:
menes ni sahun H. 741. 4916. ne uuardoda im nieuuiht iUa
suarun sundiun 5471 f. Aehnlich 0.: ni west er thoh tho, wai
er wan 4, 24, 33. ni westun wws si fuartun 3, 22, 9. Weitere
Zusätze H.2933. 5108 f. 5890.
§ 2. unechte doppelte negation.
Die doppelte negation ist als echt zu betrachten, wenn
sie sich gegen eine versuchte oder vollzogene Verneinung
richtet, die Unmöglichkeit dieser Verneinung behauptet (Sig-
wart 1, § 24). Die negation: 'diese tatsache ist mir nicht un-
bekannt' ist echt, wenn sie eine antwort ist auf die behanptung:
'diese tatsache scheint Ihnen unbekannt zu sein'. Unecht ist
die doppelte negation, wenn sie an die stelle eines zu erw£x-
tenden positiven urteils tritt: 'niemand ist es unbekannt,
dass ...' = 'jedermann weiss, dass ...'.
Die doppelte negation mit positivem sinn kann bei Otfrid
und im Heliand nicht aus negation + negation (ni — »^ m—
nihein, ni — nio etc.) bestehen; denn diese hat immer negativen
sinn (s. anhang nach § 6). Sie besteht vielmehr aus 1) nega-
tion + verb oder Substantiv mit negativem sinn: z. b. ni—
midan, nist duäla; — 2) negation + excipierendem conjuno
tionalsatz {nist man — ni); — 3) negation + adverb mit nega-
tivem sinn (ni — thiu miti); — 4) negation + äna; — 5) nega-
tion + ä-, wn-.
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UNECHTE NEGATION. 547
1) Negation + verb oder Substantiv mit
negativem sinn.
ni — auutsan: siu ni mohta thuo hofnu a. H. 5917 {plorans
J. 20, 11). — ni — biltban mit folgendem thaa 0. Hm. 98; mit
folgendem ni 4, 1, 37 f. H. 1968 1 — ni biscribun giouuiht H.
752 = 'nicht hielten sie sich zurück'. — ni bristit (echt
2, 22, 5. 11. 4, 9, 9). ni b,, ni thu hortist 0. Hm. 39 1 4, 15. 39.
Mit gen. der sache und dat. der person sehr häufig; z. b. thojs
giiates uns ni brusti 4, 27, 16 = 'Christus vergoss sein blut,
dass wir segen in fülle hätten'. Femer 0. L. 82. S. 45. 2, 1, 9.
4,36. 4,100. 10,21. 3,6,39. 14,80. 26,69. 4,15,57. 27,16. 31,35.
5, 20, 78. 22, 15. 23, 104. — ni — duellen absolut: noh ni dualta
1, 19,17 = 'alsbald'; ebenso 1,22,8. 27,16; mit gen. drofher
es ni dualta 2, 7, 34; femer 1, 1, 58. 2, 9, 89. 3, 25, 6; mit acc.
2, 3, 16; mit folgendem nubi vnht ni dualta ... nub 3, 8, 35
(= he uuard garu sano H. 2939); mit folgendem suntar 2, 9, 49.
— ni — irduellen 1, 11,5. — thes ouh ni was tho duala
4, 12, 4. 17, 23. 28, 22; vgl. Schütze s. 34. — ni — elten: si ouh
thojs ni eltent, then gotes drut so sceltent 5, 25, 76 (vgl. firlai^an);
femer 4,6,45. — he ni uuili ... faruuernien H. 35021 =
'er will nicht abschlagen, er gewährt'. — ni — firberan:
gilih, quad, goton warin, in thiu sie iis ni ßrbarin ('wenn sie
den apfel ässen') 2,5,17, ebenso 1,20, 31 f. — ni — firgän;
theia ouh inan ni firgeit, thann ellu worolt ufsteit 3, 24, 24
(resurget J. 11,24). — ni — firlazan oder ni — laean\ ab-
solut: thiu thioda ne latta H. 5642 {continuo Mt. 27, 48). ni
lajset ni ir gihugget 0. Hm. 153; mit acc.: joh iz ouh ni firliaz
4, 8, 25; ferner 2, 14, 4. 21, 20. (hat sie thes ne uuord ne uuerc
uuiht ne farletin 2034 (facite J. 2, 5. t> iagilidier dati 2, 8, 26).
Dasselbe H. 2116. Ferner 3840. 5917 f. (echt 1353 t 3774 f.).
— ni firlazan — nub 0. S. 33 f. 4, 1, 24 f. — ni f. — ni 2, 22, 27 f.
ni mosta forlatan negen idis ...ne 454 — 456 (praecepit ...lex
ut Hrab. wiezod . . . gibot 0. 1, 14, 9). — wiht es ni firleiben
ni 2, 24, 31 f. — ni — firlougnen u. ä. man nihein ni lougnit
... 3, 22, 53 f. thes nist lougna nihein 3, 20, 89 (scimus J. 9, 20).
wio mag thaz sin firlougnit, thaz 2,3,20. ni ... firlougnen,
nub 5, 25, 13 f. alle man nintneinent 3,10,36 = 'jedermann
stimmt bei'; älmlich 5,20,38. ni mäht ... thara ingegin
85*
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548 LÖBCHBB
rachon wio 5, 23, 133 f. = 'jedermann weiss'. — ni firsachan:
er wihtes ni firsechü 2, 13, 13 f. = 'er weist nichts ab' (audii
vocem eins J. 3, 29). — joh thes ouh ni gisuikhit, sie emmizen
bisuikhit 5,23,156; mit nub 3,15,44. — es man nihein ni
helfe 3,17,16 'niemand solle es unterlassen, jeder ton'. —
nist laha ... nub er sculi ... ihulten 5,19,15 — 18 = 'es ist
keine hilfe da, er mnss dulden'. — helen: ni hilu sehr hanfig
pleonastisch gebraucht ähnlich wie in alawar, ana tcan, ana
baga: giwisso ih sagen iu in alawar, thcus ni hiluh iuih sar
2, 18, 5 {amen qnippe dico vobis Mt. 5, 18). gitüisso^ thaz ni
hiluh thih O.L. 47. Hm. 58. 2,19,23. 3,8,2. 4,7,30. 25,11.
4, 15, 42. 19, 51. 23, 218. tha^ ni hiluh thih u. ä. 2, 16, 36. 19, 14.
3, 18, 18. 23, 4. 24, 31. 4, 15, 34. 23, 41. 5, 8, 37. 12, 3. ni hden
wir 4,36,5 (recordati sumus Mt. 27,62; huat thu uuest huo
H. 5751). ni hslct mih 3, 12, 21 (quem me esse didtis Mt. 16, 15);
ähnlich 3,7,44. 12,5. 3,17,20. 4,15,10. nu ni uuiUiu ik tu
leng helen H. 4665 = 'ich will euch mitteilen'; vgl. Schütze
s. 42. nist iciht . . . firhohnojs 5, 18, 12 = 'er sieht alles'.
unfarholan = 'offenbar' 2, 3, 6. 7, 20. 4, 34, 7 f. 5, 25, 55. iom
nis biholan neouuiht H. 1577. 4178 (qui vid^et in abscondito
Mt.6,6); ähnlich H. 3198 f. — tliaa thir es wiht ni inifalle
2, 21, 3 = 'damit es dir zu gute komme'. — ni Icus thir jsit
thes ingan 1, 1, 48 = 'benütze die gelegenheit'. — sih zaharin
-er ninthabeta 3, 24, 58 (lacrimatus est J. 11, 35). ni mohi ih mih
inthaben, ni ... 2, 7, 29 f. = 'es drängt mich, zu ... ' — er es
er io nirtvant 4, 20, 25 = 'beständig', fon doihe ni irtcunU
2, 6, 8 = 'so würde er sterben'. — nist thes gisceid nok
giwant 4,20,27. — thass ih ni mangolo thes drof O. Hm. 6.
— ni — mtdan: absolut: tho ni mähte ... midan Martha ...
uuid mahtigne sprak H. 4078 f. (didt ei M, J. 11, 39). uuordun
mitJian 1975; ferner 5880. Mit acc. ni sccd ih inan midan
4, 26, 30. ni mithuh iuer nihein 3, 22, 32 = 'ich meide keinen,
ich sage es offen'; vgl. ni hiluh\ femer 1,20,311 5,25,75.
Mit gen.: mithan siu is thuru thia minnia ni uuissa H. 5931.
Reflexiv und mit gen.: joh sih es wiht thar ni meid 3, 11, 8;
ferner 1, 11, 38. 4, 5, 10. 19, 72. Mit folgendem ni: ir ni midet
nir iu kind bisnidet 3, 16, 35. 41. Mit folgendem nub: 5, 25, 37;
mit folgendem suntar: ni meid sih suntar sie ougti, then gotes
sun sougti 0. 1, 11,38 (m was ira hugi twifli H. 385 ff.). —
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UNECHTE NEGATION. 549
w — himtdan: mit acc: he ni mag is tidi beniiden H. 3627 ^der
mond kann seine zeiten nicht vermeiden'; ferner 2, 7, 73. 12, 39.
3,26,65^8. 4,37,36. Mit gen.: ni mahtun sie is bemühan
H. 4936. Mit ni: ni inahte he bemidan ne hi far theru menigi
sprac 2049 (et dicit ei J. 2, 10). Mit suntar: bimidan tku ni
tvolles, suntar thti imo folges 3, 20, 132 (= thti sis iungoro sin);
ferner 2,12,39. — ir ihes ni missedruet 4,15,12 = 'glaubt
fest daran'. — sin ni missifiangin 2,3,37 (neben thasi sie /n
imo ouh giangin). — ni tharben: thaz nihein , , , tharbeti thar
suertes 4,14,8 (emat gladium 1j. 22, SG); ferner 2,12,26. — ni
— wanJcon: ni mugun sie tu w. 2,23,11 (cognoscetis eos Mt.
7, 16; thea mugun gi san antkennean H. 1739); femer 2, 21, 8 f.
— ni wenken: bürg nist thes wenke 1,11,13 = 'jeder ort
soll Steuer entrichten'; femer 2, 10, 20. 12, 42. in guates nio
ni tcangta 2,10,6 = 'sie hatten es im überfluss'. Mit ni: ni
wani, si ouh thes wangti, ni si thar giscankti 4, 2, 1 1. — ni
— bitpcnken 5, 20, 58 (Mt. 25, 33 und H. 4389 positiv). — ni —
zuivoUn u.a. [echt H. 328. 385 f. 1896. 3501. 4662. 4703 f.
47421 0.1,5,28]: ni mifolo thu thes 4,29,53; ähnlich 3,23,
37 f.; ferner 3, 2, 33. H. 948. nis mi hugi tuifli H. 287. 4871.
Mit neba: 5300. nist thes zuival nihhein 2, 12, 7 (scimm J.
3,2). that sie im ni letin iro mod tuehon 4171. thes ni mag
enig tueho uuerden 3520 (ecc« L. 18, 31); femer H. 4780. nist
tueho — ne 3190 ff. 46811; «et« 2904 f. — thes nis giuuand
enig 4083 f. 4547 1 nis geuuand . . . that 4460 f. (scitis Mt. 26, 2).
nis g. nebu 4042 1; vgl. ni irwintu s. 548, auch Erdmann, Syntax
1, § 267.
2) Negation + excipierendem conjunctionalsatz.
a) Der excipierende conjunctionalsatz ist angeschlossen
durch ni: nist es tviht in thanke mit iru man iz ni wirke
5, 25, 18 = 'alles kann man mit liebe vollbringen', nist nih-
einig siner drut .,, ni er queme 5, 19, 3 f . == 'alle kommen';
ähnlich 4, 26, 21. ni si man nihein so veigi, ni sinan zins eigi
1, 11, 10. nist . . . ni 5, 17, 35. nist ni si avur wolle 3, 1, 33 f.
= 'sie will durchaus', ni ward er io zi manne, ni er gesehe
1,23,31 (videbit omnis caro \j.3,Q)\ femer 4, 14,3. 5,20,49.
H. 4681 t;
b) durch ni si: kuning nist in worolti, ni si imo thiononti
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550 LÖRCHEB
1, 5, 48 (omnibus dominaiur Ps. 102, 19). nist—ni si 2, 13, 23;
ferner 2, 4, 10. 4, 31, 13 [echt er anderan — nämlich den taifel
— ni betoti ,.. ni si druhtin einan 2, 4, 97 t;
c) durch nub: gisuichen sie thir aüe, nub ih io änMvcoüe,
nub ih giweizejg 0. 4, 13, 25 f. (vgl Kelle, Wb, s. 445 b). nist man
. . . nub 5, 20, 23 f. (pmnes gentes Mt 25, 32. helido harn . . . aUa
H. 4383 f.). nist .., nub 2, 14, 106. 5, 2, 11. 19, 7 f.;
d) durch suntar: ni si man nihein so feigi . . . swüer
1, 24, 5 f. nist — suntar 1, 23, 53 f. ipmnis arbar L. 3, 9). 1, 5, 63
(pmne verbum L. 1, 37),
3) Negation + adverb mit negativem sinn.
ni — thes thiu min = 'nichtsdestoweniger'. Obwol man
dafür 'dennoch' einsetzen kann, ist es doch echt negativ; denn
'er hasst mich, dennoch liebe ich ihn' ist = 'er hasst mich,
ich aber liebe ihn deshalb nicht, wie man erwarten könnte,
weniger'. Durch 'dennoch' wird also eine zu erwartende
negation abgewiesen. — Echt z. b. untharthio was er in, ni
was er druhtin thes thiu min 1,22,57; femer 3,8,47. 22,47.
4, 2, 32. 5, 5, 7 f. 6, 25. 7, 12. 23, 152 ff. — Unecht ist m — min,
wenn es einfach Umschreibung für 'ebenso' ist: ni eemo ant-
dagen min quam er 5, 11, 5 = 'ebenso kam Jesus nach acht
tagen wider'. Aehnlich 5,4,61. 17,30. ni weis ih inan th&
thiu min 3,16,65 = 'aber ich kenne ihn'. — ni — thiu les
echt H. 2462.
ni — aUes (wio)] vgl. Schütze s. 34: iha^f nist aUes, suntar
so 3, 18, 47. Dasselbe 3, 6, 52. ni meg iz werdan aUes 3, 13, 24
= 'so möge es geschehen'. Ebenso 3, 17, 28. aUeswio ni datin
3,20,80. 4,5,26. Weitere fälle Hm. 24. 5,24,17. — Mit folgen-
dem ni: sie älleswio ni datin, ni sie inan minnotin 4, 1, 14 =
'sie sollten ihn lieben'; femer 1,1, 23 f. 2,23,3/4. 5,19,3/4. —
Mit folgendem ni si: "ich weiss that thu dUeswio ni daii ni
si dl SOS ih thih bati 3,24,94 {semper me audis J. 11,42; vgl.
H.4092); ferner 4,8,10. — Mit folgendem nub: 5,9,31 u.36.
ni moht iz sin in ander ni 4,32,4.
nist thiz alles wanana ni si sines selbes redina 4, 30, 33
(so thu habis selbo gisprecan H. 5568).
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UNECHTE NEGATION. 551
4) ni — äna.
Ni duent sies wiht . . . ana sin girati 1, 1, 106 = 'sie tun
alles mit gottes rat'; ferner 2, 1, 37, wo es aber aus dem ori-
ginal herübergenommen ist.
5. ni — a-, ni — un-.
Ädeilo thu es ni bist 5, 23, 123 = 'auch du wirst die wonne
empfangen'; ni — adeilo auch 2, 7, 26. 9,4. — nah ungidan hiUbe
1, 24, 10. Hm. 30. 2, 2, 6. ungilonot ni hileip 0. S. 20. er wihtes
ungidan ni liaz 5, 4, 46. niheina stigilla ni firliae . . . unfirsla-
gana 2,4,9 = 'jede hintertür verrammelte er'.^)
§ 3. Negative yariatlon.O
Heliand und besonders Otfrid lieben es, einem positiven
satz einen negativen zur seite zu stellen, und zwar steht ent-
weder das negative glied zuerst, das positive zuletzt (nicht A,
sondern B), oder das positive zuerst, das negative zuletzt (A,
nicht B). Dabei sind nun folgende fälle möglich:
1. Jedes glied enthält einen eigenen gedanken oder wenig-
stens je die besondere seite eines solchen; beide können wir
dann als echt bezeichnen.
2. Das negative glied enthält den erwarteten gedanken;
zur Verdeutlichung desselben wird das positive gegenteil phra-
seologisch hinzugefügt. Das negative glied ist also echt, das
positive phraseologisch.
3. Nach dem Zusammenhang wird eine positive aussage
erwartet, die im positiven glied ausgesprochen ist. Das nega-
tive glied enthält dann die Variation des positiven; die negation
ist unecht.
Streng genommen gehört zum vorliegenden thema nur no.3:
no. 1 und 2 werden der Vollständigkeit halber kurz berührt.
I. Nicht A, sondern B.
1. Die fälle, in denen die Variation in der ausdrucksweise
des Originals ihren grund hat, sind keine stilistischen eigen-
tümlichkeiten unserer beiden Schriftsteller, sind also von vorn-
^) Als anhang hierzu folgt die hänfnng der negation (s. unten nach § 6).
*) üeber den Zusammenhang der Otfridschen Variation mit der allite-
rierenden handelt Schütze s, 1—10.
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552 liÖUCHBR
herein auszuscheiden, z. b. ni was er thaz Höht . . . Ouu tkar
ihen liutin irskein, suntar quam, sie matwü 2, 2, 11 f. {non
erat iüe lux, sed ut testimonium perhiberei ... J. 1, 8). Ferner
O.l,20,29f. = Mt2,18. 0. 2, 2, 29 f. = J. 1, 12. 0.2,1^314
= J.3,34. 0.2,17,13 = R 1405 ft und 1409 ff. = Mt5, 15.
teiht ni forahtet ir iu, gihabet iuih baldo 3, 8, 29 1 = «e «' n«
forht hugi, gibariad gi baldlieo H. 29, 28 f. = habete fidueiam . . .
nolite timere Mt. 14, 27. 0. 3, 11, 9—11 = Beda, Hom. 2. 0. 3,
16, 14 = J. 7, 16. 0.3,16,23t = J. 7,19t 0.3,16,451 =
J.7,23. 0.3,18,16t = J.8,49. 0. 4,3,4 = J. 12,9. 0.4.
2, 27—29 = J. 12, 6. 0. 4, 19, 41 = H. 5078—80 = Mc 14, 61.
0.5,4,27 = Mt28,2. 0. 5, 8, 39 1 = Ale. zu J. 20. — H.514
—516 = L. 2, 37 (0. 1, 16, 7 ff. nur positiv). H. 1068 ff. = Mt
4, 4. HL 1610—12 = Mt. 6, 13. H. 1637 1 = Mt 6, 19. H. 1744
— 1750 = Mt 7, 17 1 H. 1810 ff. = Mt 7, 25. H. 1919 t = Mt
7,21. H.3062— 64 = 0.3,12,29t = Mtl6,17. H. 3533— 37
= Mt 20,28. H. 3802—04 = Mt 22, 16. H.4158— 60 = J. 11,54.
H. 5138—42 = J. 18, 28. H. 5211—13 = 0. 4, 21, 11 ff. = J,
18, 35. H. 5478 t = 0. 4, 24, 27 t = Mt 27, 24. H. 5520 1 =
0. 4, 26, 29—34 = L. 23, 28. H. 5699 1 = J. 19, 33. H. 5720 1
= L. 23, 51. H. 5822 t = Mt 28, 6. H. 5851 t = L. 24, 6.
H. 5944—46 = L. 24, 19 und Mc. 16, 10. H. 5953 = Mt 28, 10.
2. Beide glieder sind echt Z. b. ni scribu ih nu in alatcar,
so sih ther ordo dregii thar, suntar so thie dati mir quement
in gilhahti 3, 1, 7 t; ferner 0. Hm. 51. 1, 1, 9 1 2, 17, 21 (obgleich
lat nur positiv). 3,17,65. 26, 65 ff. 4,19,62 t 24,2. 5,7,31i
14,17 t 21,3 t 25,63 t R 2360— 62. 3497—99. 4933 t 4973—
4975. 4975 1 5155 1 5882 1 und an anderen orten.
3. Das negative glied echt, das positive phraseologisch.
Die unechtheit des positiven gliedes tritt besonders an den-
jenigen stellen deutlich hervor, die eine echt negative Wendung
des Originals durch * nicht A, sondern B' widergeben, z, b. Ao
betota ih ... bi thih, in giloubu ni giwangtis, joh rnuates thih
giJiariis 4, 13, 17 1 {ut non deficiat fides tua L. 22, 32). te hbid
ni do thu it ... ac do im thurk odmodicn hugi H. 1555 f. (noli
tuba canere ante te wie die Pharisäer Mt. 6, 2). ni scalt thu
sie leng egan, ac mid ire an thinumu mode 2715 t {non licet
tibi liäbere eam Mt. 14, 4). that sie erbiuuard egan ni mastun,
ac uuarun im barno los H. 86 1 {et non erat Ulis filius L, 1, 7).
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UNECHTE NEGATION. 553
Ferner 3, 10, 15 f. H. 818-21. 1375 ff. 1541 f. 1622 f. 1631 f.
1726 f. 3236 f. 34931 3700 f. 3703-05. 3875—77. 3935—38.
4033 f. 4281 f. 5136 f. 5437 f.
4. Das positive glied ist echt, das negative unecht.
a) Ein ganzer ausdruck wird variiert: giborganero dato
ni pligit man Mar nu thrato, sih ougit thar ana wank ther
selbo Itmlo githank 5, 19, 39 f.; ferner 1, 23, 7 f. 2, 6, 58 (vgl. 3,
22, 25—28). 2, 21, 24 u. 26. 3, 1, 11. 4, 37, 21 f. ni uuelde sie im
te brudiu tho ... ac bigan . . . thenkean, huo he sie so forleti
H. 301—03 (vohiit occulie dtmittere eam Mt. 1, 19). Der Heliand
liebt es, statt einer conjunction ('dann', 'hierauf') die formel zu
setzen: 'er tat nicht mehr, was er bis jetzt tat, oder was man
nach dem vorhergehenden erwarten sollte . . . , sondern', z.b. ne
uuolda thero Judeono thuo leng gelpes horian, .,, ac hie im . . .
fuor obar Jordanes ström 3955 — 57 {et dbiit J.10,40. so fuar er
0. 3, 22, 67). Dasselbe 1106. Aehnlich 2365 f. 2379—83. 2677
—2681. 2893 f. 3208 f. 3502—04. 3568—70. 3649—51. 5727 f.
ni mende ik ... te bidemienne . . . thit sculun gi uuitun 2432 ff.
ni forhal, ac ,,. sagde 3174 f. {dixit Mt.17,21); ähnlich 0.4,
34, 7 f. Beliebt ist im Heliand auch folgende Wendung: ni
uueldun the mixht godes antkennien kudlico, ac sie uuid is kraft
mikil mmnun 4122 ff. Ganz ähnlich 2339 ff. 2672 f. 4217—21.
4265 f. 5286 f. Weitere stellen mit unechter negation: 1, 2, 17.
2, 45 f. 2,13,21. 4,5,45—47. H. 1821 f. 2012—16. 2511—13.
2758 f. 32191 3773 f. 3994 t 4818 f. 4440 f. 4756 f. 4918—20.
5589 f. 56251
b) Das negative glied enthält häufig eine allgemeine Wen-
dung, die nicht der directe gegensatz des positiven gliedes ist
und daher den verschiedensten positiven aussagen an die seite
treten kann: ouh alles wio ni datin, mit minnu got irknatin
4, 5, 26. 5, 11, 24; ähnlich 4, 27, 29. ni wenken 1, 24, 16. 2, 10, 6.
10, 20. ni firsechit 2, 13, 13 f. ni alta 4, 6, 45. ni det er .,,
bitaj hiaa ... 5, 11, 21. ni bimidan . . . ac H. 3627 — 29. ni deda
... so, ac H. 3773 f. ni deda siu es avur mer, giklagota 3, 11, 7 f.
sie ni uueldun . . . farlaten, ac H. 3840. ni ... athengean, ac
4574 f.; femer 3, 1, 29. 5, 5, 7 f.
c) Das prädicat eines satzes wird durch sein directes
gegenteil variiert: thes nist lougna nihein, thojs duent buah
festi 2, 3, 1 1 nist ... 0uival — wir wizun 2, 12, 7 f. tha:^ . . ,
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554 LÖBCHBR
m tcankon, sin fasto 2,24,15; ähnlich 4,29,58£. H.4780. m
deta . . . bita — giilta 8, 24, 40 (cito J. 11, 29); ebenso 5, 4, 10.
7,65. ni helet ... gitvisso saget 3, 12, 5 f.; ähnlich 3,17,20,
H. 636 f. 1974—76. 3198 f. sagen ih — ni ... gelbo 1, 23, 63 1
ni rometi (falten werfen) — biquami zioro 4, 29, 37 1; ähnlich
4, 29, 45 f. innan ... ni las — fliuh 1, 18, 41 i m tcari . . .
jfi ... suari — i/s mohti irfuUen 2, 6, 9 f. ni ... giborgan —
ofan 2, 17, 19 f. ni intfalle — irge jn guate 2, 21, 3. munto —
ni wunto 3, 1, 34. ni fliehen — ^ ebine gieiehen ('gleichschätzen")
3, 3, 22. nihein . . . bileib — iagüih sin eiloia 3, 17, 43 f. {ex^
J. 8, 9; ut ... gengun H. 3878 1). ist ungilih — ubarsügü 5, 7,
25 f. ne latad . . . folgan — ac scuddiat H. 1946 ff. ms ...
fast — te luttil 2253 f. (Mt 8, 26 hat zwei positive glied^).
unodo — suaro H. 3294 f. (tristis Mt 19, 22). ni uuopu auuisien
— uuas . . . sereg H. 3688 ff. (flevit L. 19, 41).
d) Variierung eines einzelnen wortes: nist «r lang — sare
3, 13, 10. te lat ni uuard — san H. 3053 f. nist aUes, suntar
so 3,18,47. ni habat er iro niera — einigon ^jQ, 9 t; ähnlich
H. 860 ff.
e) Zuweilen wird ein ausdruck mit negativem sinn dnrch
ein paralleles glied mit negation variiert: ni tcurti mari —
firholan tcari 1, 19, 14; ähnlich H. 538 ff. ni firwerdent — /Sr-
mident then tcewon 3, 22, 25. innowo ('herberge') ni ondun —
selidono irbondun 4,4,70. ni westi — ssi wizanne is firbari
5, 17, 7 f. faken ne gidorstun ac midun is H. 4228 1 qui&is
{hat ih thin herro ni si, ac thu farmanst H. 4694 f. (me negabis
Mt.26,34; lougnis min 0.4,13,35).
IL A, nicht B.
Bei A, nicht B sind, was die echtheit der glieder betrifft,
dieselben möglichkeiten vorhanden wie bei nicht A, sondern B.
1. A, nicht B ist durch die ausdrucksweise des Originals
veranlasst: jah er tho, sos ia was, ni giang in strit umbi ikag
1, 27, 17 f. (et confessus est et non negavit J. 1, 20). ni gab . . .
antuurti . . . inti thagetu 4, 19, 41 f. (tacebat et nihil respondit
Mt. 14, 61). War lat. nur das negative glied vorhanden, so
wurde analog der citierten stelle das positive hinzugefügt:
suigeta ... ni gab antwurti 4, 23, 33 f. {responsum nan dedit
J, 19, 9). Ebenso 3, 10, 15 f. (nicht A, sondern B). 4, 12, 33 1
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UNECHTE NEGATION. 555
H. 5381 f. Ferner 0. 1, 17, 74 = H. 684 f. = Mt. 2, 12. 0. 1,
25, 25 ff. = Beda zu Mt. 3, 16. 0. 2, 4, 58 = Mt. 4, 6 (H. 1088 f.
hat positive Variation). 0. 2, 11, 30 = Beda Hom. 0. 3, 24, 29
— 32 = J. 11, 25 f. (H. 4055 f. nur negativ). 0. 5, 15, 9 = Beda
und Ale. zu J. 21, 18. H. 2390 — Mt. 13, 5.
Lat steht 'nicht A, sondern B', deutsch 'A, nicht B': sos
iz thih githunkit, nales so er githenJnt 3, 13, 26 (non sapis . . .
ea quae äei sunt, sed ea quae hominwn Mt. 16, 23). Aehnlich
3, 12, 29 f. = Mt. 16, 17 (H. 3061 ff. nicht A, sondern B); femer
0. 1, 12, 8 = L. 2, 10 (H. 396 f. nur negativ). 0. 3, 15, 35 = J.
7, 10. 0. 3, 25, 39 f. = J. 11, 54 (H. 4180 f. nur negativ).
2. Beide glieder echt, z.b. 3,20,107. 4, 30, 13 f. 32,9. 33, 3 f.
3. Das negative glied echt, das positive phraseologisch, das
original negativ: 0. 2, 9, 77 f. = Rom. 8, 32. 0. 3, 6, 47 = J.
6, 12 (H. 2865 auch nur negativ). 0. 3, 14, 37 f. = L. 8, 47.
0. 3, 22, 26—28 = J. 10, 28. H. 2196 ff. = L. 7, 13.
4. Das positive glied echt, das negative unecht.
a) Variiemng eines ganzen ausdrucks. Statt der negation
steht ein ausdmck mit negativem sinn 1,28, 11 ff. (bimtdan).
2, 24, 41 und 43 (mtdan). H. 2701 (farUtan). — Das negative
glied ist subordiniert: in hus mih ouh intfiangi, theih wallonti
ni giangi 5, 20, 74 {hospes eram et coUegistis me Mt. 25, 35);
ähnMch 2, 22, 21 f. Femer 0. Hm. 5 f. 3, 6, 39. 3, 7, 9 f. 4, 2, 32.
5,1,14. 20,39—41. H. 1813 f. — Das negative glied ist coor-
diniert: ih sagen thir in wara (ni tharft es eiskon mera) 2, 12.
29 ff. (amen, amen dieo tibi J. 3, 5. Vgl. 2, 20, 13 f. = Mt. 6, 2).
Aehnliche Wendungen: 3, 7, 44 spentot ni hol. H. 4176 ff. uuisse
— ni hiholen. 0. 3, 10, 36 (= H. 3018 f. mit positiver Variation).
H. 4547 f. — Femer 0. L. 48 f. (ähnlich H. 4894 f. 5120 f.). S. 13.
Hm. 30. 1,1, 60 f. 19,15. 20,5—8. 27,50. 27,66. 28, 5 ff. 28, 9 f.
2, 3, 16. 21, 8 f. (ähnlich 5, 15, 20). 21, 20. (Hei. 1571 f. nur ne-
gativ). 22,7. 22, 27 f. 22, 37 f. 3,1,37. 8,39 (H. 2946 f. nur
positiv, vgl. H. 2919— 22). 14, 119 f. 20, 15 f. 20, 67 f. 23,59.
4,2,32. 15, 51 f. 19,15. 23,21t 33,33—36. 37, 11 f. 5,4,51
—56. 12,22. 23, 37 f. 23, 149 f. H. 837— 41. 1956. 2185 f. 2300
—2302. 2916—18 (Mt. 14, 24 und 3, 7, 14 nur positiv). 3302—4.
3774 f. 4618 f. 4851—54. 4869—72. 5161 f. (Mt. 27, 5 nur
positiv).
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556 LÖRCIIER
b) Das negative glied enthält eine allgemeine w^idnng
(vgl. s. 553): iz was mit druhtine sar, ni hrast imos io ihar
2, If 9 (et verbum erat apud detAtn J. 1, 1). ni bresten aadi 0.
O.L.82. 3,6,39. 14,77—80. 5,16,43. ni mangolo O.BiSLbt
ni missin 2, 5, 17 f. — Wendungen mit ni — alles mo im
zweiten glied: z. b. mit iawihtu alles tcio vs nist 3, 6, 52. Hm. 24.
3,17,28. 20,80. 4,6,44. 8,7. 8,10. — ni — midan im zweiten
glied: giklagota eJcrodo ira ser ... joh sih es unht thar ni
meid 3, 11, 7 f.; ferner 0.3,26,65—68. H. 5878— 80. 5929-31.
ni missifahen 2, 3, 37. 3, 7, 9 f. ni elte 5, 23, 52. ni firliaz 4,8,25.
nirdualtin 1, 11, 5. ungidan ni büeip 2, 2, 5 f. ni biscribun
H. 752 f.
c) Variation des prädicats: wis horsam — ni hori Üiemo
muate 1,18,40; ähnlich 1,3, 29 f. mari — unfarholan 2,3,6.
meldod — ni mag . . . farhelan H. 1753 f. {profert L. 6, 45).
thageta — ni gidorsta sprechan 4, 12, 33 f. {innuit J. 13,24);
ähnlich H. 168—70. 0. 3, 20, 83. 3, 21, 3. houhncnti — nales spre-
chenti 1, 4, 77. iltun — ni dualctun 1, 22, 8 (cum redirent L.
2, 43. forun im ... thanan H. 796). niazen — ni faren ...uz
1, 28, 16 f. inifiangin — irri nigiangin 2, 1, 46. klibit — ni
libit 2, 6, 36. fare — ni nahe 2, 23, 29 f. (discedite Mt 7, 23).
tharzua hvggen — ni firleiben, ni mr . . . gikldhen 2, 24, 31 f.
irwelke — sih ... ni irrihte 3, 7, 67 f. (calcare et premere Beda
und Ale. zu J. 6, 10). thuruh queme — ni firtcerde 3, 8, 41 f.
wa^ . . . festi — nintweih 3, 9, 19 t la^ze haben Hb — itt . . .
loufe joh ... ni ruafe 3, 10, 19 f. irwortan — ni ... funian
3, 10, 25 (perienmt Mt. 15, 24). gifestit — ni bristit 3, 26, 69.
scadon lidan — ni Jcann inan bimidan 4, 5, 10. influhun —
ni gidorstun irwintan 4, 17, 27 und 30 (fugerunt Mt 26, 56,
uuarun gesuikana H. 4931 f.). alang . . . gihaltinu taurti — ni
wurti . . . firbrochan 4, 29, 16 f. thaz wir . . . woraMun — ni
forahtun 4, 31, 11. uuas mari — ni uuas ... is gimaco H. 5400.
d) Variation eines einzelnen wortes.
Ein einzelnes wort wird öfters durch einen ganzen,
negativen satz erläutert. Dieser ist coordiniert: giwisso,
thaz ni hiluh thih an zehn stellen, s. s. 548. giwaro — mit
iawihtu alles wio iz nist 3, 6, 51 (vere J. 6, 14). Andere fälle
3, 6, 56. 4, 5, 14. 5, 23, 46. H. 5582 1 Mar ist hneht einer, ni
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UNECHTB NEGATIOlf. 557
tveijg ih toiht es Mar mer 3, 6, 27 {puer unus J. 6, 9); ähnlich
3, 9, 9 f. 3,14,20.46.
Der negative satz ist subordiniert: durch relativ: thie
fridusame . . . ihie in herzen ni eigun niheincus wig 2, 16, 25
{paäfid Mt. 5,9); ganz ähnlich H. 1316 f. Umschreibung von
sundea te lone H. 2146 ff. von thiome H. 2789. — Durch con-
junction: te euuondage, huand gio endi ni cumid H. 4729. 30.
Dasselbe 1324. Umschreibung von fuglos alasun 2403 f. frü-
brean 4017 f.
Ein begriff wird durch seinen negierten gegensatz
erläutert: en hreo ... enan liflosan lichamon H. 2180 f. {de-
ftmctus L. 7, 12). hörn heiles, nalles fehtannes 1, 10, 5 (comu
salutis L. 1, 69). Weitere fälle mit nalles S. 16. 1, 1, 83. 19, 10.
2, 2, 19. 6, 21. 3, 19, 9. er duat ie sclbo . . . ander botono nihein
5,19,62; ähnlich 5,20,29.
e) Variation eines ausdrucks mit negativem sinn: farlaten
habbiad uualdandes uuord ... ne uuilliad iro druhtine horien
3ü03 ff. (perierunt Mt. 15, 24). Femer sind durch einen nega-
tiven satz variiert farwerpa 1497 f. farlaiit 3453 f. farstodi
4741 ff. firliazi 2, 3,43 f. firbarin 4, 6, 42. firsagen 4, 11, 29.
inthabeti 1, 14, 13. irdualta 1, 17, 3. haiin 3, 13, 1 f. fon imo
neman . . . ihen tvan 4, 21, 9 f. biniman H. 5447 f. zwivalemo
muate 5, 11, 20. brast 2012 ff.
Wie lässt sich nun der häufige gebrauch der negativen
Variation, besonders bei Otfrid erklären? Lässt er sich viel-
leicht auf irgend ein Vorbild zurückführen?
Für Otfrid könnte man zunächst an eine nachahmung der
alliterationspoesie denken. Den Zusammenhang mit dieser hat
Schütze in der mehrmals citierten schrift nachgewiesen. Aber
für die erklärung der negativen Variation kann diese quelle
nicht so sehr in betracht kommen, da die alliterationspoesie
mit grösserer Vorliebe die appositioneile Variation verwendet
(s. H. Herzog, Zs. fda. 34, 114). Daher sind auch die fälle nega-
tiver Variation im Heliand ungleich seltener als bei Otfrid (so
hat z. b. H. 3003 f. appositionelle, 0. 3, 10, 25 negative Variation).
Auch ein einfluss des psalmenstils (den Herzog a. a. o. nach-
weist) kann hier weniger mitspielen. Denn der parallelismus
membrorum besteht dort verhältnismässig selten in negativer
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558 LÖRCHBR
yaiiation, sondern in der regel in der verwendnng verschied^er
bilder (er weidet mich auf einer grünen atie und führet miA
SU frischem wasser Ps. 23, 2). Aus dem neatestamentlichen
Stil ist die negative Variation häufig in Otfrid und den Heliand
Übergegangen, wie schon s. 552 und 554 f. gezeigt ist. Dass der-
selbe indirect auch auf weitere stellen eingewirkt hat, ist deut-
lich in den § 3, II, 1 citierten fallen sichtbar.
Ueberhaupt liegt es in der natur des geistlichen stils, einen
gedanken von allen selten in breiter und behaglicher dar-
stellung zu beleuchten. Insbesondere ist der religiöse schrift-
steiler häufig veranlasst, in negativer wendung von mensch-
lichen schwächen abzumahnen, in positiver zu geistlicher lügend
anzufeuern; einerseits das irdische für nichtig zu erkläreit
andererseits auf das himmlische hinzuweisen. Hierher gehören
stellen wie ni uns ei dumpmuati, fimim thesa lera 1, 3, 29 1
thojs mtiat ist in io tharasun, ni mugun sih frewcn herasun
5,23,46; ferner 1, 18, 40. 2,6,21. 16,25. 24, 31 f. H. 1324 t
3453 f. etc.
Endlich ist es zweifellos, dass Otfrid häufig durch seinen
vers zur negativen Variation verleitet wurde. Füllte die posi-
tive Wendung die eine halbzeile, so lag es nahe, die andere
mit der negativen zu füllen. Diese Verteilung der beiden
glieder trifft in der mehrzahl der citierten fäUe zu. Dass das
negative glied zur füllung dient, zeigen halbverse, die jeden
Inhalts bar sind, besonders deutlich z. b. er tar fasto gihias joh
ie ouh ni firliasf 4, 8, 25. tJuir thultent heh ßlu heia, so ih ig
alles wio ni weiz Hm. 24.
In Versen von der form *A, nicht B' ist die zweite halb-
zeile durch das negative glied gefüllt 1, 1, 83. 4, 77. 11, 5. 22, 8.
27,50. 2,1,46. 3,6. 3,37. 5,18. 6,36. 3,7,10. 11,8. 17,28 etc.
In versen von der form * nicht A, sondern B' ist die erste
halbzeile mit der negativen Wendung gefüllt 1, 2, 17. 19, 14.
2,12,83. 13,21. 21,3. 24,15. 3,3,22. 13, 9 f. 17,20. 22,25.
24,40 etc.
Gern wird die eine langzeile mit dem positiven, die andere
mit dem negativen glied gefüllt 'A, nicht B': er weis ana
zuival, tluus ir es bithurfut ubar cd, ni mugut ouA firlagcM, ni
ir suliJi sculit niazan 2, 22, 27 f. Ebenso 1, 1, 59 1 28, 9 1
2, 24, 31 f. 3, 7, 67 f. 9,191 16, 14 f. 20,671 etc.; — 'nicht A,
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UNECHTE NEGATION. 559
sondern B': 2, 6, 9 1 13, 13 f. 3, 1, 7 1 12, 5 f. 4, 29, 38 f. 37, 21 f.
5,7,25f. 7,31 f. 17,7f. etc.
Anm. Anch dreigliedrige formeln finden sich, z.b. 3, ll, 7 f. 26, 65—68.
H. 3703—5 (nicht A, sondern B, nicht A). H. 2012—16. 2927—29. 4869—72
(A, nicht B, sondern A). Dieselben sind sowol bei A, nicht B ; als auch bei
nicht A, sondern B citiert.
§ 4. Negation = snperlnüy
(vgl. Schützes. 20— 24).
Um einen ganz besonders hohen grad der Steigerung aus-
zudrücken, bedienen sich Otfried und der Heliand gern der
unechten negation, und zwar besitzen sie folgende Wendungen.
1. man irzellen ni mag u. ä.: thie ziti sint so heilag,
thaa man irzellen ni mag 1, 22, 3. hi geuuaJd habda te to-
geanna tecan^ so (hat ni mag gitellien man H. 2162 f. Dasselbe
1,3,21. 11,48. 18, 7 f. 2,24,5. 3,1,6. 14,73, 4,9,33. 5,12,86.
21,24. 22,13. 23,19. 23,127. 23,176. H. 2076 ff. 4243—46. —
ni mag gisagen 5, 22, 8; ähnlich 1, 17, 1 f. 5, 23, 19. H. 4107 f.
nist ther irscribe 1, 20, 36. ni irredinon 5, 23, 191. ni queman
jBfi ente 1, 18, 5 f. 5, 12, 87. ni girinnit mih thero worto ('es
rinnen mir nicht, es fehlen mir die worte') 1, 18, 4,
2. nist ther ... u.a.; z.b. oüh nist ther er gihorti so
fronisg arunti 1, 12, 10; ähnlich 5, 23, 24. Ferner 1, 3, 21. 11, 47
—50. 11,52. 17,2. 20,12. 20,15. 20,36. 3,1,6. 22,30. 4,4,23f.
17,7. 29, 53 f. 5, 17, 17 f. 23,19—26. 23,127.
3. Negation + comparativ: ni ward io ubar worolt-
ring uns giwissara thing 2, 3, 41. ni uuard sconiera giburd
H.279 (vgl. 0. 1, 5, 61 f.). tmr ni geron mhtes mer 2,24,42
('das ist das höchste, das uns zu teil werden kann'), ni —
mera femer 3, 7, 11 f. 5, 19, 52. H. 2125 ft 4497 f. Negation +
comparativ femer 2, 9, 88. H. 734 (= 0. 1, 20, 12). 747 f. (= 0.
1,20,15). 1462 f. 2875 f. 3482 f. 42751
4. ni — so, ni — gimah, ni — sullh, ni — gilih u. ä.:
ni was er io so mari 1,22,40; femer 2, 3, 41 f. H.280. 925—
927. ni uuard . . . enig man ...so spahi 571 f.; ähnlich 4243
— 4246. ni fretmt wiht Mar unser muat, so (hin ablast duat
3,1,30; femer 1,27, 5. 2, 1,1 f. 3,7,12. 4,13,43. 29,53f. 35,llf.
H. 310— 12. 2272 f. 2663—65, 4863 f. 5008-10. 56791 thes
man nihein io gimah in worolti er ni gisah 1,9,32; ähnlich
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560 LÖBCHEB
2,6,49. 5,12,46. Weitere stellen 2,8,52. H. 941 ft 1835.
2125 ft (ne — gimacon = tantam). 26421 27921 5400. ni
gisah nian er io sulih thing 5, 17, 26; dasselbe 3, 8, 26. 4, 26, 34.
er ni ward io sulih fdl ouh iamer werdan ni sccU 4, 7, 32 (= H.
43311 n«5...»n«wn«ffc);ähBUcli2,3,91 8,51 4,9,211 5,20,16.
H. 925— 27. 41201 Weitere stellen mit ni -sulih 1,20,231
3,10,2—4. H.538. 590—92. ni sah man io ... ihesemo gili-
chaz 1,20,22; feiner 5,12,79. 19,37. H.7851 24901 iz ist
. . . then anderen allen ungilih 3, 23, 4; femer 5, 7, 25 1 20, 15 1
ni habit . . . gigadon H. 25. ni uuet . . . man . . . uuidarlaga
H. 26391; hierher auch H. 55771
5. Für begriffe, welche jenseits der Sphäre des
endlichen liegen, fehlen uns häufig die Wörter. Wir sind
daher genötigt, zur negation zu greifen, wenn wir davon reden
wollen. So gebrauchen auch Otfrid und der Heliand gern die
negation, wenn sie von gott, himmel, höUe, ewigkeit sprechen:
then anagin ni fuarit, ouh enti ni biruarit 2, 1,11. ana enii
3, 22, 26 und an anderen orten, vgl. § 6. neo endi ni kumid H.
267 1 {= non erit finis L. 1,33); femer 1324 1 47291 imu
nis biholan neouuiht 1577 (= * allwissend', videt in ahscondiio
Mt. 6, 6). nist zdla noh ouh rim 3, 14, 1. Hierher auch 3, 12, :}4.
5, 7, 24. Bei beschreibung der höUe gebraucht Otfrid die ne-
gation 5,21,24, und besonders gern, wenn er vom ewigen
leben spricht, so 1, 18, 4—10. 5, 22, 7—14 und 5, 23 das ganze
capitel durch; ebenso H. 2529 ff. (original auch negativ).
% 5. Zusammensetzangen mit un-.
1. An folgenden stellen geht un- auf einen negativen
ausdruck des Originals zurück: unforahtenii 1, 10, 16 = sine
timore L. 1, 74. — ungelico H. 1833 = non sicut scribcte Mt
7,29. — ungiloubige 1,4,43 = incredulos L. 1, 17. — ungise-
tcanlicho 2, 12, 44 = nescis J. 3, 7. — unhuMi 4, 24, 5 = non
es amicus J. 19, 12 (ne bist . . . hold H. 5358 1). — unJcund
2, 14, 64 = ncscitis J. 4, 22; ebenso 3, 20, 113 = J. 9, 25. —
unmaht 3, 20, 16 = nemo potcst operari J. 9, 4. — unredina
3, 13, 48 ^ nesciens L. 9, 33. — unrehto 3, 4, 35 = non licet
J. 5, 10. — unreini 1, 14, 12 = iminunda Hrab. Hom. = nn-
tremia H. 1526 1 = infirmitas Hrab. — mit ihinemo Unwillen
5, 15, 44 = qtcod tu non vis J. 21, 18.
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UNECHTE NEGATION. 561
Das urteil 'ich bin unschuldig am blut dieses gerechten'
(Mt. 27,24) ist gleichbedeutend mit 4ch bin nicht schuldig an'
etc. Es enthält also nichts als die Verneinung des erwarteten
positiven Urteils 'Pilatus ist schuldig' etc. Es ist daher echt
negativ.
Dagegen enthält der ausruf *du unseliger!' nicht etwa bloss
die Verneinung des versuchten Urteils 'du bist ein seliger
mensch', ist nicht gleichbedeutend mit 'du bist nicht selig';
dieser ausruf vertritt vielmehr den positiven 'du elender, be-
jammernswerter'. Man sieht also, dass sich die Wörter mit
ufi' häufig nicht darauf beschränken, ein versuchtes, positives
urteil zu verneinen, sondern dass sie häufig positiven gehalt
haben, indem sie gern die bedeutung des gegensatzes ihres
Simplex annehmen. Das präfix un- ist dann eine unechte
negation (vgl. Sigwart 1, 181 f.).
2. Echte negation liegt z.b. in folgenden fällen vor:
unbera was thiu quena 1, 4, 9 {sterilis L. 1, 7; ni muosta im
erbiuuard . . . gibithig uuerihan H. 79 f.); ebenso 1, 5, 59. 4, 26,37
(= {kern gio harn ni uuard H. 5525). — umbiruah 5, 6, 17. 6, 72.
25, 34. — nu ligit uns umbitherbi thaz unser aäalerbi, ni
niazen sino guati 1, 18, 17 f.; ebenso 2, 2, 22. H.1728. — unefno
H. 3447. — unfirslagan 2, 4, 9 {un- enthält hier an und für
sich echte negation, die doppelte negation aber ist unecht). —
unfiuhitg 4, 1, 10. — ungidän Hm. 30. 1, 24, 10. 2, 2, 6. 5, 4, 46.
— ungilöndt S. 20. — ungilouba 4, 5, 27. 5, 29. 5, 6, 34. 6, 45.
7, 64. H. 2661 (= incredulitatem Mt. 13, 58). — ungilöbig 30U6 f.
(variiert ne uuilliad iro drohtine horien 3005). — ungimah
1,1,57 ('ungeeignet'); femer 4,29,10. — ungimerrit 5,12,26.
— unginät 4, 29, 32. — ungisaro 4, 17, 8. — ungiscafan 2, 1, 6.
— ungiwar (ni warun wola wakar) 4, 7, 65 f.; ungiwara 5, 25,44.
— ungizami 3, 3, 1. — unhund 5, 9, 24 {non cognovisti L. 24, 18).
— unUsiid H. 1427. — ummaht 'mangel an kraft' 3, 2, 8. 4, 25.
— unnotag 3, 4, 36. — unrehto 3, 16, 45. — unreht H. 308. 5139.
— unsculdig H. 752. 3086. — unsundig H. 2722. — unthankes
3,25,34. 4,1,36. — unthräti 3,14,100. 26,14. 4,7,4. — un-
ihurf 2, 4, 80. — unuuamma H. 5619. — unwirdig 4, 29, 21.
3. Die Zusammensetzungen mit un- treten als unechte
negation = Superlativ in folgenden fällen auf: unfirslagan
heri 3,6,9. 4, 16, 17 f. — eld tmfuodi H.2574 ('unersättlich').
Beiträge zur geichichte der deuUchen spräche. XXV 3Q
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562 LÖRCHBB
— ungüih 5, 12, 3. 42. 43. 5, 20, 15. — ungimezzon, zen 4, 31, 31.
5, 10, 24. — ummejseigcus ser 5, 23, 93. — unmet grSt H. 3299.
4329 und het 3437. — unrttn H. 410 (muUitudo L. 2, 13).
4. Uebersicht über die Zusammensetzungen mit
un-, welche unechte negation enthalten. In manchen der
folgenden composita war das präfix ursprünglich unecht negativ;
die Verbindung zwischen präfix und Stammwort ist aber so
intim geworden, dass diese Wörter als positive begriffe er-
scheinen und ihre negativität nicht mehr durchgefühlt wird,
so bei ungiräti, ungiunderi, unreht^ unstäii, untreuua, ummaht
U.S.W.
Substantive.
undät 2,11,20. 21,44 (peccaia Mt6, 15; uuamdädi, grm-
utierc H. 1622 f.). 2, 24, 25. 3, 17, 14 (uuam H. 3842). 4, 23,4.
23, 12. — unira 'schände' 4, 23, 10. — unfrewida 5, 9, 13 {trisUs
L. 24, 17; gornondia H. 5965; vgl. unwunna, unfro), — unfruati
'vermessenheit' 3,22,46. — unganzi 'krankheit' 3,4,34; vgl
unheili, ummaht — ungifuari 'kummer' 5,7,20 (quid ploras
J. 20, 13) ; = 'Verdammnis' 5, 20, 115. — ungimah 'not, knmm^'
3,8,26. 18,24. 24,53. 24,70. 4,19,19 (iwaZMmJ.18,23). 4,19,65
(Uasphemiam Mt. 26, 65). 22, 33. 4, 26, 34 (qualm K 5530). -
ungimacha 'gewalt, ungestüm' 3,7,18; u, joh egisUcha racka
4,4,69; = 'missliche läge' 3,20,8. — ungimuati 'kränkung'
8,14,110. — ungiräti 'böser anschlag' 5,4,5. — ungiunderi
'stürm' H. 1811 (pluvia et . ,, flumina et ,., venti Mt. 7,25);
ungiwitiri 3, 8, 10 (contrarius ventus Mt. 14, 22). — ungitcurt
neben nid 3,18,25; ferner 3,20,2. 5,16,13. — ungizami, icic
ther thiot quami 4, 7, 56. — ungizunft 'streit' 5, 23, 110. —
unheilt 'krankheit' 5,16,41; ygl. unganzi, ummaht — unhuldi
'feindschaft' H.5498. — unkust 'arglist, ranke' 1,2,31. 17,40
(invida cogitatione Hrab. zu Mt. 2, 8). 2, 7, 56 (dolus J. 1, 47)l
5, 21, 18. — ummaJitj echt = 'mangel an kraft, schwäche*:
min ummaht duit iz spati 3, 4, 25; femer 3, 2, 8; ummahü, (hursi
inii hungar b,2S, 77; unecht = 'krankheit' 3, 3, 7. 5,2 (langue-
hat Beda). 9, 5. 14, 56 (male habentes Mt. 8, 16; seokora manno
H.2222). 3,20,9. 20,118. 23,6. 18.19.21. 5,20,87 (infirmum
Mt. 25, 37); vgl. unganzi, unlteili. — zi ummezze 'im übermass*
5, 23, 109; vgl. ungimezzon, unmet etc. — unredtna *irrtiim'
1,22,17; 'Unverstand, torheit' 2, 4, 70. 3,13,48, 16,56. 3,20,164.
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UNBCHT£ NEGATION. 563
4, 15,26. 29. — unreht H. 1625 (neben grimuuerc, utmmdäd)]
an unreht 1638; unreht enfald 3747 (= undaü 0. 2, 11, 20).
3842 (= adulterio J. 8, 3; undati 0. 3, 17, 14). — unrtm H. 410
(multitudo L.2,13; menigi 0. 1, 12,22). — unspuod H. 3454
(neben It^ta, utieroldsaca). — unstätt 5, 14, 9 (= turbida et
tufnentia . . . volumina Ale); ebenso 3, 7, 16. — unthulti 'be-
trübnis' 3,24,4. 16 (neben leides). 5,7,17. — unireuua'M^h-
heit' H. 1036. — in mihilan unwän 5,4,20 'gegen ihre er-
wartung' (nicht bloss 'ohne dass sie es dachten'). — in godes
unuuillean H. 2459 = 'gegen gottes willen'; vgl. unwän. —
unuuirdi 'frechheit' 4, 12, 24 (audacia Hrab). — unwtjsH 'Wahn-
sinn' 3,9,8 (qui daemonia habebant Mt. 4,24). 3,10,11 (a dae-
monio vexatur Mt. 15, 22; geuuitteu benumane H. 2990). 3, 18, 27.
3, 20, 62. — unwunna 'betrübnis' 4, 7, 35; vf 1. unfreunda, unfro.
Adjective, adverbien und participien.
umbitlierbi neben dumb 4, 5, 15. 26, 51 als gegensatz zu
gruani {arido L. 23, 31). — uniblidi 'zornig' 3, 18, 26; frost, ther
umblider ist 5, 23, 135. — unfarholan neben märi 2, 3, 6; u. duan
2,7,20 (dicit J. 1,38 f.). 4,34,7. 5,25,55. — unfirslagan heri
3, 6, 9 (multitudo magna J. 6, 2; uuerod H. 2812). 4, 16, 17 (turba
multa Mt. 26, 47; brahtmu thiu mikilon H.4809). — unfrö 4, 12, 1
(turbatus est spiritu J. 13,21; uuard . . . is hugi drobi H. 4570).
5, 15, 30 (coniristatus est J. 21, 17). 5, 23, 251; vgl. unfreunda,
unumnna. — eld unfuodi 'das unersättliche ewige feuer' H. 2574.
— gihortun ungerno neben hintarquam 1, 17, 32 (uuard . . . härm
H. 606 f.). — ungiUh 'grösser als' 3, 23, 4. 4, 7, 30. 5, 7, 25. 12, 3.
42. 43. 20, 15. — was ungimah 'unangenehm' 1, 8, 2; neben
angustitun 3, 20, 104; neben egisUh 4, 17,29. — ungimacho 'heftig'
5, 7, 20 (sero H. 5922). — ungimezen, -zzon 'masslos' 5, 10, 24.
4, 31, 31; vgl. unmet, ummejs, ummezzig, ummezlih. — ungimuati
'peinlich' 1, 8, 11 (mod gimerrtd H. 295 1). 3, 18, 60. — ungiring
'inhaltsschwer' 3, 18, 12. — ungeuuiUig H. 1817 t (viro stulto
Mt. 7,26). — ungiwurt 'empörend' 3,19,22. — duent ... un-
guate 'weh' 4,25,8. — unhiuri fiund 'unheimlich, entsetzlich'
H. 1076. 5443 (diaholus Hrab.). — unhold man neben fiond H.
2555 (inimicus Mt. 13, 28); unholde an hugi, härm an modeH.
3720; unholde neben modaga uuihti H. 39301 (daemonium J.
10, 20). — unhöno neben scono Hm. 59 (iustus atque perfectus
36*
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564 liÖBOHER
Gen. 6, 9); adv. 2,4,21. — ummaUige man 'kranke' 3,14,68:
vgl. ummaht. — uninet grot H. 3299 {enormem Hrab.). 4329; «,
Mt 3437. — ummezBig 5,23,93; ummejsUh 4,5,12; vgL ungi-
mejuen, ummes. — unnöto 'freiwillig' 2,4,3. — unodi 'schwer'
5,14,3. H.3298 (*//ic?fe Mt. 19,23); unödo H.3294. — unque-
thandi H. 5661 (mutus Greg. Hom. 10). — unredihaft ' verm^s^'
Hm. 70; adv. 2, 11, 6; vgl. unredina. — unreht neben derbi tt
1691. 1695. 1697. — unsiiig neben firdanun Hm. 121. — «n-
scant 'ehrenvoll' 1, 1, 66. — unsconi 'hässlich' H. 153; vgl. ii«-
uudnlic. — unsuazi 'grob' 3, 20, 70. — unsuoti suek H. 4081 1
(ist fuler 3,25,83); u. ecid H.5645 (bitieremo lide 4,33,19 t).
— unuuand 'treu' H. 70. — wntiiianilc'hässlich' H.4957; vgl
unsconu — unuuts H. 1817 f. (stultus Mt. 7, 26).
Der unechte gebrauch des präfixes un- hat nichts auf-
fallendes; er ist auch in unserer heutigen spräche häufig und
erklärt sich dadurch, dass die negation vermöge der psycho-
logischen assoclation leicht die Vorstellung des gegensatzes
eines begriffes hervorruft. Indem wii* diesen gedankengang
von der negation zum gegensatz eines begriffes häufig voll-
ziehen, kommen wir schliesslich dazu, den gegensatz selbst
durch die negation zu bezeichnen (vgl. Sigwart 1, 181).
Beim Heliand läge die annähme nahe, dass der (übrigens
nicht besonders häufige) gebrauch der Zusammensetzungen mit
un- durch die alliteration veranlasst wäre. Nun liegt ungefähr
in der hälfte der fälle sichere, in einigen weiteren mögliche
alliteration vor. Diese tatsache kann jedoch zu keinem weiteren
schluss berechtigen. Denn wenn dem dichter einmal ein com-
positum mit un- in die feder kam, so lag es nahe, dasselbe zur
alliteration zu verwenden, da ja das präfix meist den ton trägt
% 6. än€u
Die Präposition äna enthält bei Otfrid unechte negation
in folgenden fällen: äna langlicha frist 4, 15, 24 (utique J. 14, 7),
— äna not 2, 16, 19 (neben sdoro). — äna enti 3, 22, 26. 26, 21
= 'ewig'; a. theheinig enti 5, 21,22 (neben in ewon 1, 5, 30)
(= L. 1, 33. H, 267 f.). 5, 6, 60. 63. 64 (non coepit esse Ale. zu
J. 20); zu äna enti s. Schütze s. 30 — äna bäga ahnlich wie
ni hilu 1, 3, 2. 4, 19, 61. 5, 15, 29. — äna duala Hm. 26 (ähnlich
wie äna bäga). 3,11,30 (neben sär). — äna wän 'sicherlich*
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UNECHTE NEGATION. 565
2, 12, 96. 23, 18; giwisso msit äna wän 2, 23, 21. 5, 11, 12;
ferner 3, 13, 46. 5, 9, 38. — äna wanc (echt 4, 29, 38. 50. 52.
33, 29); = amen 2, 20, 8; giwisso äna wank 5, 23, 113. Mit
alhnMcher bedeutung S. 26. 3, 7, 82. 4, 1. 49. 5, 23, 149. 179.
Vielleicht ist der gebrauch von äna wank veranlasst durch
den reim mit thank S.26. 2,20,8. 4,1,49; mit githank 3,7,82.
5, 23, 113. 149. gifank war durch den Zusammenhang notwendig
in 4,29,38.50.52. — äna mival: er weiz a, z, 2,22,27 {seit
Mt.6,32; we^H.1665). Aehnlichl,3,23. 5,1,7. 20,91f. 23,119.
Anhang: häufung der negation.
Für das ahd. und as. hat der satz: duplex negatio affirmat
keine geltung, denn negation + negation {ni — nihein etc.)
haben dort stets negativen sinn (2, 10, 1 f. ist niawiht keine
negation): ni woU er fon niawihti .. . then seihon win tcirken
= non ex nihilo facere voluit Beda und Ale. zu J. 2). In der
regel nämlich wird neben nihein , niamer, nio, niaman, häufig
neben noh, niawiht noch ein ni zum verb gesetzt.
Diese mehrfache negation dürfte durch Verschmelzung
zweier ausdrucksweisen entstanden sein. Die heutige spräche
kennt sie noch im zusammengezogenen satz: ni uuard sconiera
giburd, ne so mari mid mannun H. 279 f. können wir wörtlich
übersetzen; than ne samnod gi hir sine miJcil, silobres ne goldes
H. 1642 ist zusammengezogen aus ne samnod sine m, silohres,
ne (samnod sine m.) goldes. Heute würden wir dafür sagen:
'sammelt keinen grossen schätz an silber oder gold'. Auch
in dem beispiel er anderan ni betotij in worolti niheinan
2, 4, 97 f. können wir leicht die zwei ursprünglichen gedanken-
glieder erkennen: er anderan ni betoti und er niheinan betoti
Analog solchen fällen müssten wir uns z. b. den satz nist boum
nihein in worolti 1, 23, 53 entstanden denken aus nist boum in
worolti nihein, sc. ist in worolti.
Doppeltes ni = 'nicht' beim verb: ne ic gio mannes
ni uuard uuis 272 f. (virum non cognosco L. 1, 34). Femer
2660 f. 3747. 3886. 3948. 3988. Dieses zweifache ni findet sich
bei Otfrid nicht (nur nales — ni 4, 2, 34). Das eine ne ist an
diesen stellen emphatisch an die spitze des satzes gestellt:
'nein, ich erkannte nie einen mann'.
ni beim verb, nachfolgendes ni bez, noh = 'noch':
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566 LÖRCHER, UNECHTE KE6ATI0N.
bürg nist ... in felde noh in tcalde 1,11,13t 27,17t 2,3,9.
H. 1642.
ni beim verb, daneben ni — ni 'weder — noch': ne
uuord ne uuerc uuiht ne farlatad H. 2116. Dasselbe 20S4 t;
ferner 287 t 1513. 1736 t 1765 t 1809 t 2642 t
noh — ni bei 0: siu fuart er, noh ni dtudta 1, 19, 17.
20,23. 23,62. 27,19. 2,14,63. 17,4. 3,3,2. 7,40. 13,40. 14,92
\noh — ni — nihein). 18,10. 22,60. 4,14,17. 30,13. 5,22,10.
25,43. 25,44,
ne — ni, nee — «i, noh — ni im H.: nis thes bodon
gimaco ..., ne nu aftar ni seal uuerdan ... K. 941 ft 1511 1
1561. 1743. 1746. 3063. 3272. 3341. 4219 t 4300. 4962.
ni — nihein: ni intratent sie niheinan 1, 1, 98. 5, 38. 9, 32.
11,10. 12,8 {nales — nihein). 17,2. 20,8. 20,20. 22,55. 23,53.
24. 5. — 2, 3, 1. 4, 9. 4, 42. 4, 97 1 6, 16 (noh — nihein). 12, .>8
(noh — nihein — ni). 12, 61. 12, 75 (ni — niheiniger). 16, 25.
18,16. 19,2. 20,7. 22,1 22,31. 22,34. 23,3t — 3,5,9. 14,11.
16, 52. 16, 59. 17, 16. 20, 89. 21, 27. 22, 32. 22, 53. — 4, 6, 1 1.
6,25 t 9,21. 15,21. 15,39. 22,6. 29,18. — 5,7,33. 12,22.
13.6. 17,7. 17,35. 19,3. 23,19. 23,261.
ni — negen u. ä. H.226. 454. 1094. 1886 t 2245 t 2904 t
3097. 3190 t 3700 t 3802 t 3872. 4369 (nenig ni). 5198.
ni — ntamow 3,4,23. 12,44. 4,3,10. 29,47. R 1405. 1507.
ni — niawiht 1, 25, 27. 2, 5, 12. 4, 16, 20. ni — neouuiht
H. 695 ff. 1577 1 3892. 5120. 5382. 5471.
ni — nio 2,10,6. 4,26,36. H.267t 514. 558. 738. 925.
1518. 1695. 1858. 2285 t 2462 t 3894. 3936. 4055.
ni — niatner 1, 18, 46. 4, 15, 57.
ni — ni wedar 'keines von beiden' 5, 6, 62. 12, 75.
ni si — ni 2, 7, 60.
CEAILSHEIM, 4. april 1900. ERNST LÖRCHER
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SAXONICA.
1. Das Taufgelobnis nnd der Indicnlus snperstitionum.
Die frage nach der heimat und entstehungszeit des Sächsi-
schen taufgelöbnisses (in Wadsteins ausgäbe der Kleineren as.
Sprachdenkmäler, nach der ich im folgenden dtiere, s. 3) und
des in unmittelbarem anschluss an dieses überlieferten so-
genannten Indiculus snperstitionum et paganiarum (ebenda
s. 66) ist noch immer nicht zu einer befriedigenden lösung
geführt worden. Auch die bemerkungen, mit denen der jüngste
herausgeber die merkwürdigen denkmäler begleitet hat (s. 119.
142), bedeuten keinen irgend nennenswerten fortschritt, fassen
vielmehr nur die bisherigen aufstellungen in kürze zusammen.
Die im folgenden vorgetragene neue auffassung der heimat
des Taufgelöbnisses ist kürzlich in einer flüchtig hingeworfenen
anmerkung (Zs. fda. 43, 345) von Wrede zuerst öffentlich aus-
gesprochen worden: dem gegenüber darf ich bemerken, dass
die grundlinien meines aufeatzes bereits concipiert waren, als
sein anfsatz über die heimat der as. bibeldichtung in meine
bände kam.
Jeder neue versuch, das schwierige problem zu lösen,
muss der natur der sache nach mit einer erörterung über die
handschrift einsetzen, in der uns die in rede stehenden
stücke überliefert sind. Der Cod. palatinus 577 der Vaticana,
aus dem anfang des 9.jh.'s stammend und mit ags. schrift
geschrieben, enthält in der hauptsache den ersten teil der
canonensammlung des kleinen Dionysius. Was von einer
zweiten band hinter den canones eingezeichnet ist, geht uns
hier nichts an. Dagegen ist vor ihnen ein, wie die schluss-
formel expUcit deo gratias beweist, für sich abgeschlossener
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568 LEITZ^MANN
teil eingeheftet, der sehr verschiedenartige aufeeichnnngeii.
darunter auch unsere beiden denkmäler enthält. Die beste
Übersicht des Inhalts gibt Scherer in den Denkm. 23,317 (vgL
auch Wadstein s. 1 19), mit dessen weiteren auMellnngen über
zweck und heimat dieses teilcodex wir uns zunächst aus-
einanderzusetzen haben.
Nachdem Scherer bemerkt hat (s. 318), dass die datierbaren
stücke dieser teilhs. chronologisch geordnet sind und diese reihe
die jähre 742 und 765 zum anfangs- und endpunkt hat, spricht
er (s. 319) die ansieht aus, die ganze teilhs. sei 'offenbar ndt
beziehung auf die Sachsenmission in Fulda zusammengestellt';
auf seine zeitliche bestimmung dieser Zusammenstellung komme
ich später zurück. Auffällig bleibe allerdings, dass die wich-
tige capitulatio Karls de partibus Saxoniae (Boretius, Capitt.
reg. Franc. 1, 68) nicht darin enthalten sei; die Zusammen-
setzung des codex, in den sie bei dessen bestimmung zweifellos
aufgenommen worden wäre, müsse also wol vor jene capitulatio
fallen, was demgemäss auch angenommen wird, unbedingte
Zustimmung hat diese ansieht Scherers nur bei Gallee (As.
sprachdenkm. s. 245) gefunden. Gegen die von ihm vertretene
ansieht, dass die ganze hs. beziehung zur Sachsenmission habe,
und gegen die herleitung derselben aus Fulda sind gewichtige
einwände von Jostes (Zs. f da. 40, 185) und Koegel (Gesch. d. d.
lit. 1, 2, 444; anders noch in Pauls Grundr. 2 *, 1, 244) erhoben
worden. Der Fuldaer Ursprung allein wurde weiterhin an-
genommen, ohne auf eine analyse der einzelnen teile des codex
einzugehen, von Heyne (Klein, and. denkm.^ s.xiii), Kelle, Gesch.
d. d. lit. 1, 44) und Schlüter (bei Dieter, Laut- u. formenl. der
agerm. dial. s.xxix) und erscheint auch Hauck 'nicht unwahr-
scheinlich' (Kirchengesch. Deutschi. 2^, 392, anm. 1); energischen
einspruch gegen diese provenienz des codex erhebt von einer
ganz andern seite der betrachtung her Falk in seinen wert-
vollen Untersuchungen über die ehemalige dombibliothek zu
Mainz (s. iv. 11).
Eine musterung der einzelnen bestandteile der hs. zeigt
deutlich, dass von einer beziehung zur Sachsenmission nur bei
einigen wenigen die rede sein kann (Koegel s. 444). Die beiden
ersten stücke De diver sis causis, De lapsu episcopi velpresbyteri
und Dida Hieronymi preshyieri sind ganz allgemeinen Charakters
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SAXONICA. 1. 569
und legen keinerlei specielle beziehungen nahe. Es folgen die
beschlüsse der ersten beiden austrasischen synoden Karlmanns
von 742 und 743, von denen die erste an einem uns unbekannten
orte, die zweite zu Estinnes abgehalten wurde (Boretius 1, 24.
26 ; vgl. auch MG. Epist. 3, 310). Ueber die kirchengeschicht-
liche bedeutung dieser synoden orientiert Hauck (1^, 502. 514):
Karlmann hatte sich nichts geringeres als eine gründliche
reformation der austrasischen kirche an haupt und gliedern
vorgesetzt und verfugte in der ersten synode in die bisherige
kirchliche Verwirrung tief einschneidende massregeln und Vor-
schriften für die disciplin der geistlichkeit und das religiöse
leben der gemeinden; in Estinnes wurden die im vorhergehenden
jähre gegebenen Verordnungen fast nur bestätigt und in kleinig-
keiten ergänzt. Die ideale höhe der hier erstrebten zustände
lässt naturgemäss weder an eine rasche durchführung der ge-
planten reformen noch an eine expansive stärke denken, wie
sie eine auf dauernden erfolg hoffende missionstätigkeit zur
notwendigen Voraussetzung hat. Von einer solchen auf sächsi-
schem gebiete oder anderswo ist daher auch gar keine rede:
zwar beschliesst der fünfte paragraph der ersten synode gegen
eine reihe paganiae, darunter auch das dann wider in unserm
Indiculus (66, 18) erwähnte niedfyr vorzugehen; doch darf man
daraus wol nicht zu viel schliessen, denn in Karls erstem
capitulare von 769 (Boretius 1, 44), das eine reihe von Para-
graphen aus jenem ersten des Karlmann wörtlich herüber-
nimmt (so gering war der erfolg in fast einem menschenalter
gewesen; vgl. Hauck 2 2, 280), ist gerade diese schon durch ein-
führung der volksmässigen deutschen bezeichnung prägnant
hervorstechende stelle wider fortgelassen worden. Die Nomina
episcoporum, qui missi sunt a Romana urbe ad praedicandum
in Qallia haben widerum mit Sachsen nichts zu tun. Ein
gleiches dürfte von dem nun folgenden Verzeichnis der 762
oder 763 in Attigny versammelten bischöfe (Boretius 1, 221)
gelten: alles was wir von dieser synode wissen (ich folge hier
wider Hauck 2 2, 67), ist nur, dass sich ihre teilnehmer auf
anregung Chrodegangs von Metz zum abschluss eines gebets-
vereins entschlossen, also eine tatsache von rein gemütlicher
bedeutung. Hinter Taufgelöbnis und Indiculus, die an dieser
stelle eingereiht sind, stehen dann noch zwei entwürfe zu
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570 LEITZMANN
predigten (dass sie das sind und nicht, wie man froher meinte,
bischöfliche ansprachen, hat Hauck 2^,398, anm.2 dargetaoX
bei denen die beziehung anf die Sachsenmission möglich ist,
aber auch nicht mehr: die von Hanck ffir diese beziehung gel-
tend gemachten gründe sind zwar bestechend, gewinnen aber
auch für ihn erst durch die 'wahrscheinliche bestimmung der
hs.' volle beweiskraft, die ihnen also, wenn man mein^i bis-
herigen erörterungen beistimmt, wider entzogen sein wurde.
Warum sollte an sich nicht auch an Friesenmission oder yiel-
leicht, wozu allerdings der gesammtcharakter der stücke mir
nicht recht zu passen scheint, an musterentwürfe ohne be-
stimmte locale beziehung gedacht werden können? Abgesehen
von Tanfgelöbnis und Indiculus bleibt also nur für diese pre-
digten eine nicht gar zu illusorische möglichkeit, da^ sie för
die Sachsenmission bestimmt sein könnten.
Noch müssen wir mit zwei Worten auf die von Sdierw
hervorgehobene tatsache eingehen, dass die so eminent wich-
tige Capitulatio de partibus Saxoniae nicht unserm codex ein-
verleibt worden ist. Was ihre datierung anbetrifft, die Boretius
zu allgemein innerhalb der jähre 775—790 ansetzte, so nehme
ich mit Hauck (2 2, 386, anm. 1) an, dass sie 787 oder 788 er-
lassen wurde, also zweifellos vorhanden war, als unser codex
geschrieben wurde. Es gibt keinen kaiserlichen erlass die
Christianisierung und sittliche cultiviemng Sachsens betreffend
(die politische oder staatswirtschaftliche bedenklichkeit mancher
Vorschriften, die sich im laufe der späteren entwicklung der
dinge bitter gerächt haben, habe ich hier nicht zu erortemX
der sich an fundamentaler bedeutung mit dieser Capitulatio
nur irgend vergleichen liesse. Ihr fehlen in einer h& die
eigens für sächsische Verhältnisse zusammengestellt sein soll,
muss aufs höchste wunder nehmen. Scherer (s.319) sah sich
deshalb genötigt, die Zusammensetzung des codex vor den erlas
der Capitulatio zurückzuverlegen: wir haben jedoch durchaus
keinen grund anzunehmen, dass unsere hs. älter ist als das
beginnende 9. jh. Jostes (s. 186) sagt mit recht, dass die
Capitulatio, wenn sie wirklich in der hauptvorlage unseres
codex nicht stand, leicht anderswoher hätte entnommen werden
können und müssen, wenn die hs. wirklich zu dem angenom-
menen zwecke zusammengestellt wurde^ und möchte aus dem
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8AX0NICA. 1. 571
fehlen der Capitulatio ^eher umgekehrt schliessen, dass die hs.
gar nicht für die Sachsenmission bestimmt war'. Diesem
Schlüsse wird man in anbetracht der bisherigen darlegungen,
wie ich glaube, beistimmen mflssen. Bedenkt man femer, dass
das Taufgelöbnis in seinem zweiten teile, der confessio, unvoll-
ständig ist (Kelle s. 43), sowie in seinem ersten, der abrenun-
tiatio, abweichungen in der anordnung der fragen und der
formuJierung der antworten von dem vorgeschriebenen latei-
nischen texte darbietet (Scherer s. 316), in beiden fällen also
keinen irgend officiellen text aufweist (vgl. auch Wilmanns'
bemerkungen in den Gott. gel. anz. 1893, s. 538, der deshalb
aufzeichnung aus dem gedächtnis annimmt, was mir nicht
glaublich ist und auch zur erklärung nicht genügen würde),
so dürften wir wol zu dem endresultate gelangen: Scherers
these, dass unsere ganze hs. mit beziehung auf die
Sachsenmission gewissermassen kanonisch zusammen-
gestellt worden sei, ist als unerweislich abzulehnen.
Wie steht es dann weiter mit der von Scherer behaup-
teten Provenienz des codex aus Fulda? Die ansichten jüngerer
forscher habe ich oben übersichtlich zusammengestellt. Unser
codex enthält wie eine ganze reihe anderer (vgl. darüber jetzt
Falk s.2.25) den vermerk, dass er der bibliothek des Martins-
domes zu Mainz angehört hat. Dieser wurde im jähre 1036
durch erzbischof Bardo geweiht und übernahm kleriker und
inventar von dem älteren Mariendome, dessen grfindung, nicht
mit voller genauigkeit bestimmbar, etwa in die mitte des
8. jh.'s zu setzen ist (Hauck 2 2, 796). So wanderte denn auch
der büchervorrat des alten domes um 1036 nach dem neuen
hinüber (Falk s. 11). Im laufe des mittelalters ist dann, wie
Jostes gezeigt hat (s. 129; vgl. auch Falk s. 116. 124. 133), weiter
auch die bibliothek des klosters St. Alban (gegründet 805; vgl.
Hauck 22, 567) der dombibliothek einverleibt worden. Da
keine einzige der alten Mainzer hss. eine andere provenienz,
aus Fulda oder sonstwoher, bekundet, so hat Jostes und ihm
folgend Koegel mit recht betont, dass zu der annähme, unser
codex stamme aus Fulda, mindestens keine nötigung vorliegt,
und es vorsichtiger ist bei Mainz stehen zu bleiben. Auch Falk
hat jüngst (s. iv) die für Fulda geltend gemachten gi-ünde als
* nicht durchschlagend, ja hinfällig' erklärt und schliesst seine
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572 LEITZHAKN
erörteruDg über die frage (s. 12) mit dem satze: 'es müsste
als ein ganz eigenes Verhängnis bezeichnet werden, wenn alle
alten buchdeckel mit dem provenienzvermerk Fulda zu verlnst
geraten wären'. Scherers annähme beruhte wesentlich auf
einer älteren notiz Giesebrechts, der eine reihe Mainzer hss.
auf grund der darin gebrauchten ags. schrift und einer durchaus
nicht gesicherten beziehung zu Marianns Scotus dem berühmten
Fuldaer scriptorium zuweisen wollte. Inzwischen hat uns
Kauffmann in seinen bedeutungsvollen Studien über ahd. Ortho-
graphie (Germ. 37, 243) gelehrt, dass die kenntnis der ags.
schrift aller ^^Wahrscheinlichkeit nach in allen literarisch reg-
samen klöstem verbreitet gewesen ist und neben Fulda gerade
in Mainz besonders im schwänge war (vgl. ebenda s.258 nnd
Philol. stud. für Sievers s. 125). Die existenz eines oder gar
mehrerer Mainzer scriptorien (vgl. Falk s. 3) kann keinen
zweifei unterliegen, wenn man nicht etwa annehmen will, die
metropole der deutschen kirche habe ihren literarischen bedarf
ständig von ausserhalb beziehen müssen. Dass ein reges lite-
rarisches leben in Mainz im ausgehenden 8. und beginnenden
9.jh. hei-schte, ist durch die geistige bedeutung der drei erz-
bischöfe Lul, Rikulf und Heistolf ohne weiteres klar (vgL über
sie Hauck 2 2, 46. 151, anm. 3). Alle jene hss. können demnach
sehr wol in Mainz selbst, sei es für den alten Mariendom, sei
es für das kloster St. Alban, geschrieben sein, ja es spricht
alle Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies der fall war. Es
liegt also kein grund vor, mit Scherer den Ursprung
unserer hs. ausserhalb Mainz, speciell in Fulda, zu
suchen.
Von dem bisher festgelegten fundamente aus können wir
nun den an das Taufgelöbnis im besondem sich anknüpfen-
den fragen und problemen nähertreten. Es wird sich empfehlen,
zunächst die sogenannte Interpolation in der dritten ant-
wort der abrenuntiatio zu besprechen. Die Überlieferung dieser
antwort ist nach der bis heute allgemein giltigen auffassnng
folgende (3, 9): end ec forsacho allum dioboles wercum and
wordum, Thunaer ende Woden ende Saanöte ende aüum äiem
unholdum, the hira genötas sint Alles was nach wercum steht,
erklärte Scherer (Denkm. 2\ 316 und, nach Holt^mamis ohne
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SAXONIGA. 1. 573
gründe ausgesprochenem Widerspruch Germ. 9, 7i, ausführlicher
in den Klein, sehr. 1, 577) für einen späteren zusatz, eine inter-
polation. Seine begründung lautet (s. 316): *die annähme einer
Interpolation ergibt sich daraus, dass die eingeklammerten
werte in der frage fehlen, dass für die worte Thunaer u.s.w.
die einzig passende stelle nach der ersten frage gewesen wäre
und dass für denselben begriff, der vorher durch diobol, diäbol
gegeben ist, hier wie im Fränkischen taufgelöbnis, dem grossen
Bibelglossar und den Hymnen . . . unhoUa gebraucht wird'. In
dem letzten gründe sieht er (s. 577) eine 'äussere bestätigung',
die jene beiden erwägungen zu stützen geeignet sei. Weiter
heisst es bei ihm (s. 577): *man glaubte jene einfachen drei
fragen nicht genügend; es schien notwendig, die heidnische
poesie (die teufelsworte) ausdrücklich mit einzuschliessen und
dem begriff des teufeis durch die nennung der hauptgötter die
vollste und unzweideutigste bestimmtheit zu verleihen. Die
hervorgehobenen worte, an den rand eines exemplars der ur-
sprünglichen einfacheren formein geschrieben, waren nichts als
eine andeutung und erinnerung für den taufenden, auf welche
gegenstände sich seine abschwörungsfragen sonst noch zu er-
strecken hätten, und es blieb ihm selbst überlassen, die fragen
zu formulieren.' Diese auffassung Scherers fand bedingungs-
lose Zustimmung bei Heyne (2 s. 88), Kelle (s. 43) und Gall6e
(s. 246); die ebenso unbedingte ablehnung von Jostes (s. 189)
berücksichtigt nur Scherers ersten punkt und scheint mir auch
für diesen bedeutungslos zu sein. Eine wichtige und die ganze
frage erheblich klärende modification an dem Wortlaut Scherers
nahm Hauck (2 2, 392, anm. 1) vor, indem er die wähl des aus-
drucks 'Interpolation' beanstandete, *da er den schein erweckt,
als sei der den gewöhnlichen tauffragen beigefügte zusatz nur
geschrieben, nicht gebraucht, während es sich offenbar um eine
aus praktischen erwägungen hervorgegangene beifügung han-
delt'. Dieselbe ansieht sprach, ohne Hauck zu eitleren, bald
darauf Wilmanns (Gott. gel. anz. 1893, s. 538) aus: auch er po-
lemisiert gegen den ausdruck Interpolation', hält jedoch daran
fest, dass die betreffenden worte ein zusatz sind, der uns vor-
liegende text also auf einer contamination beruht, die mit hilfe
derselben alten formel zu stände kam, die uns in der dritten
frage des Fränkischen taufgelöbnisses (Denkm. 52, 5; allerdings
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574 LErrZMANN
entspricht diese dritte frage der sächsischen zweiten, was Wil-
manns nicht hervorhebt) überliefert ist, *nur dass, was sie in
allgemeinen ausdrücken verlangt, hier den Verhältnissen des
Sachsenvolkes gemäss specialisiert ist'. Koegel endlich (dem
früher in Pauls Grundr. 2^, 1, 244 die annähme eines Zusatzes
* durchaus unwahrscheinlich' vorgekommen war) hat (s. 448)
für die so modificierte ansieht Scherers die treffende formulie-
rung gefunden, die sogenannte interpolation könne wol ^ein
mit dem übrigen gleich alter eventualzusatz sein, den man
anwendete, wo besondere gründe dazu vorlagen*. Soviel über
den heutigen stand der ansichten.
Mit vollem recht hat Scherer (s. 577) mit rncksicht auf
Holtzmanns Opposition seine oben citierten Schlüsse als 'einfach,
natürlich und selbstverständlich' charakterisiert: man wird
ihnen, glaube ich, durchaus beistimmen müssen. Andrerseits
aber ist ebenso klar, dass dies nur mit einer modification in
der von Hauck, Wilmanns und Koegel übereinstimmend ein-
geschlagenen richtung geschehen kann. Dass aus dem neben-
einander von diobol und unholda eine Verschiedenheit des
Sprachgebrauchs für text und zusatz zu erschliessen sei, ist
von Kauffmann (Beitr. 18, 153) mit guten gründen in abrede
gestellt worden: es sei durchaus nicht derselbe begriff in dem
einen falle mit diobol, in dem andern mit dem plural von un-
holda bezeichnet worden; das lehre schon der gebrauch des
plurals. Dass diobol wirklich eine specifisch ags. bezeichnnng
ist und ihr vorkommen hier, wie Kauffmann will, auf ein ein-
dringen ags. terminologie in die deutsche kirche zui^ückgefuhrt
werden muss, scheint mir nicht so sicher erwiesen (vgl. Koegel
s. 446): wir wissen von den anfangen der deutschen kirche in
dieser hinsieht doch zu wenig und das zufällig erhaltene spär-
liche Sprachmaterial reicht für einen solchen schluss meines
erachtens nicht hin. Das Fränkische taufgelöbnis beweist uns,
wie Wilmanns gesehen hat, dass vor der, vielleicht sogar noch
neben der lakonischen formel des ordo romanus specialisiertere,
den individuellen Verhältnissen und localen bedüi-fnissen an-
gepasste ausführlichere formein in geltung waren- So wird
auch in unserm denkmal dem farblosen, so zu sagen officiellen
terminus, der noch dazu ein fremdwort ist, durch die nen-
nung der götternamen und das ihnen beigefügte einheimische
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8AX0NICA. 1. 575
f^nhcldum^) individuelles leben verliehen. Wir haben ein in-
teressantes capitulare Karls vom jähre 811 (Boretius 1, 162),
eine art programm für eventuelle Synodalverhandlungen und
besprechungen mit den kirchenhäuptern, in welchem (§ 9) ein
tieferes inneres Verständnis der lakonischen tauf- und ab-
schwörungsformeln und ihrer termini von den clerikem ver-
langt wird, die bestimmt sind, durch leben und lehre den laien
ein Vorbild zu geben. Wenn es nun hier heisst, dass selbst
die cleriker gut daran tun, sich einmal die frage ernstlich zu
ül)erlegen, quis sit ille satanas sive adversarius, cujus opera
veZ pompam in bapiismo renuniiavimus, wie viel mehr musste
es einem denkenden missionar nötig erscheinen, seinen täuf-
lingen klarere Vorstellungen vom wesen und den werken des
diabolus beizubringen. Wenn dies nun auch sicherlich in
erster linie in der predigt geschah, so haben wir in solchen
erwägungen, meine ich, doch auch den psychologischen grund
für die eventualzusätze zu den formein zu suchen, und es wurden
wol auch schon früher als 811 derlei kaiserliche fragen der
missionierenden geistlichkeit nahegebracht.
Es fragt sich nun, ob man sich bei den bis zu diesem
punkte gewonnenen resultaten beruhigen kann, ob alle anstösse
beseitigt, alle Schwierigkeiten gelöst sind. Ich glaube nicht.
Unser eventualzusatz zeigt einen Januskopf: die erwähnung
der Worte des teufeis neben seinen werken lässt ihn als zur
dritten (nach dem ordo romanus eigentlich zweiten), die nen-
nung der göttemamen, wie schon Scherer bemerkt hat, als
zur ersten frage gehörig erscheinen. Beides zugleich ist nicht
möglich, jedes einzelne schief und unlogisch: es muss hier
etwas nicht in Ordnung sein, und zwar steckt meiner Über-
zeugung nach der fehler in den ersten beiden Worten des Zu-
satzes. Wie der Schreiber unseres denkmals an einer andern
stelle zwei worte seiner vorläge falsch getrennt hat (3, 10 en
dewoden statt des richtigen ende Woden) und zwar ebenfalls
innerhalb des Zusatzes, so hat er hier ein zusammengehöriges
einheitliches wort in zwei auseinandergerissen. Statt and
') Ob man mit Scherer (s. 578) und Koegel (s. 448) ein femininum nach
dem ahd. oder mit Eanffmann (s. 154), dem nenerdings Wadstein (s. 235)
folgt, ein mascnlinnm nach dem ags. ansetzen wiU, ist eine frage von
untergeordneter bedentiing.
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576 LEITZMANH
wordum ist andwordum zu lesen und diese form ist nichts
anderes als der dat. pl. von andwordi: da das wort im as. sonst
nur im nom. oder acc. sg. belegt ist (Hei. 930. 1759. 2432. 4040.
4085. 4294. 5967. Gen. 176. 206. 239; in den kleineren denk-
mälern fehlt es), so ist nicht auszumachen, ob die zu erwar-
tende endung -ium durch lautliche entwicklung (vgl. Holthansen,
As. elementarb. § 173 und Schlüter bei Dieter 1, 279) oder etwa
durch angleichung an wordum ihr stammhaftes i verloren hat.
Der sinn des wertes, hinter dem nach modemer interponction
ein kolon zu denken wäre, ergibt sich, wenn wir beachten,
dass in unserm denkmal jede antwort durch den lateinischen
Vorsatz resp, eingeleitet wird , den man seit Boretius (1, 222)
und Gall6e (s. 248), ich sehe nicht ein warum, immer in respon-
deat auflöst (so auch Wadstein 3, 5. 7. 9). Liest man responso
oder responsis, so ist andwordum davon die wörtliche Über-
setzung. Der ganze satz mit den götternamen sollte in der
antwort gebraucht werden und gehört, da nun nicht mehr von
Worten des teufeis die rede ist, klärlich zur ersten frage, wie
schon Scherer sah: an stelle des oder neben den farblosen
diabolus traten die germanischen hauptgötter der gegend, für
die die formel bestimmt war, sammt den ihnen gleichwertigen
unholdum. Unser eventualzusatz stand also wahrschein-
lich, wie schon Scherer annahm, in der vorläge unseres
codex am rande neben der formel für die abrenuntiatio
und sollte zur ersten frage in beziehung stehen, wurde
aber vom abschreiber falsch verstanden und der
dritten frage angehängt.
Bei dieser auffassung von and wordum als andwordum
ist nicht nur sachlich alles in Ordnung, sondern es fallen damit
zugleich drei steine des anstosses weg, die bei der bisherigen
ansieht Schwierigkeiten bereiteten. Erstens die merkwürdige
Übersetzung von opera des teuf eis durch 'werke und worte',
wobei nicht klar ist, was man sich eigentlich unter den Worten
des teuf eis zu denken hat: sie müssten geradezu ohne beson-
deren sinn rein der alliterierenden formel zu liebe hinzugefügt
worden sein, denn mit Scherer darunter die heidnische poesie
zu verstehen, wird ohne parallelstellen kaum angehen; wie
käme auch eine rücksichtnahme auf diese in eine kirchliche
formel? Zweitens ist der Wortlaut dieser alliterierenden formel
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8AX0NICA. 1. 577*^
höchst auffällig, worauf Koegel (s. 447) hingewiesen hat: die
formel heisst sonst stets wordum endi werhum, also gerade
umgekehrt (reiche as. und ags. belege in Sievers' Heliand s. 466
und anm. 1; vgl. ferner Grimm, Eechtsaltert. 1*, 10 und Hoff-
mann, Reimform, im westgerm. s. 60). Drittens verschwindet
die form and damit aus dem texte, an die mancherlei behaup-
tungen und Schlüsse angeknüpft worden sind. Scherer (s. 316)
sah darin einen sicheren anglosaxonismus, und zwar (s. 578)
nicht wegen des stammvocals a, der auch sonst auf sächsischem
boden vorkomme, sondern wegen der weder as. noch ahd. nach-
weisbaren apokope des schlussvocals vor folgendem consonanten
(ähnlich Kauffmann, Beitr. 18, 153). Dem gegenüber wies Koegel
(s. 445) mit recht auf ant und end im Keronischen glossar und
vor allem auf das ganz gewöhnliche afries. and hin (vgl. Richt-
hof en, Afries. wörterb. s. 604); eher könnte man daher von einem
frisonismus reden. Aber ganz abgesehen von diesen auswärtigen
parallelen muss in einem texte, der unbetonte silben und form-
wörter so consequent und einheitlich schreibt (man beachte
die 4 for-, die 7 ge-, die 6 ec, die 6 -o der 1. sg. praes., die 4 -an
im acc. sg. des adjectivs, endlich die 9 -um in den dativen),
vereinzeltes and neben consequentem siebenmaligem end, ende
verdacht erwecken. Die hebung dieser drei Schwierig-
keiten dürfte als ein weiteres moment für die von mir
vorgeschlagene emendation sprechen.
Die letzten erörterungen haben uns noch zu einem weiteren
nicht unwichtigen ergebnis verhelfen: das uns erhaltene
Taufgelöbnis ist keine Originalniederschrift, sondern
eine copie aus einer vorläge. Denn nur durch ein mis-
verständnis der vorläge waren Wortlaut und Stellung des
eventualzusatzes zu erklären. Nach Koegel (s. 448) hätten wir
eine erste niederschrift 'nach dem gehör, also aus dem gedächt-
nisse oder auf grund eines dictates' vor uns: die sandhi-
erscheinungen aber, die er als beweis anführt, können das
allein nicht begründen, zumal dann nicht, wenn gewichtigere
beobachtungen zu einer anderen auffassung nötigen. Koegel
selbst spricht sonderbarerweise wenige blätter vorher (s. 444)
von einer 'vorläge, die dieser copist vor sich hatte'. Welcher
art diese vorläge gewesen sein mag, darüber ist natürlich
nichts sicheres zu sagen; liier sind wir auf Vermutungen an-
Beiträge zur geschichte der deuuchen spräche. XXV. 37
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578 ifiTZMAFir
gewiesen. Ich möchte kaum glaaben, dass die ganze teiUi&,
wie sie oben analysiert worden ist, so wie sie yorliegt, ganz
nnd gar ans einer vorläge copiert ist, nehme yielmehr an, dass
die stocke nach nnd nach ans nns nicht mehr erkennbaren
motiyen zusammengestellt nnd verschiedenen vorlagen ent-
nommen wurden. Der niederschrift des Tan^ielöbnisses kann,
schon wegen seiner nnvollstandigkeit nnd nnordnnng (vgL oben
S.571) nnd wegen des Vorhandenseins einer randb^nerknng,
ganz wol ein fragmentarischer entwnrf oder eine kladde mit
correcturen, schwerlich eine oMcielle reinschrift zu gründe
liegen. Aber die wunderliche dialektmischung möchte ich
schwerlich schon dieser kladde, sondern eher dem copisten zu-
schreiben.
Damit treten wir der frage nach dem dialekt des denk-
mals näher oder mit anderen worten der frage, für welche
gegend des sächsischen landes es in Mainz aufgezeichnet wurde,
in welcher gegend es seinem Sprachcharakter nach praktische
Verwendung finden sollte. Passend hat man sie in erster linie
mit hilfe der kirchengeschichte lösen wollen, ind^n man von
dem heimatsorte der hs. nnd seinen missionsgeschichtlich nadi-
weisbaren oder wahrscheinlichen beziehnngen ausgieng. Schlier,
der den codex aus Fulda ableiten wollte, hat demgemäss (s. 318)
den bezirk der Diemel, der zunächst jenseit der Sachsengrenze
an Hessen stösst, also den bereich des späteren bistoms Pad^-
bom in Übereinstimmung mit Eettberg, der die Fnldaer mission
hierher verlegte (vgl. aber neuerdings Hauck22, 377, anm.4),
als heimat des denkmals, das demnach engrischen dialekt
tragen würde (s. 319), bezeichnet; Heyne (^ s. xin) und Gallte
(s. 246) sind ihm darin gefolgt. Dagegen machte Jostes (s. 185)
geltend, dass vor der gründung des Paderbomer bistums diese
ganze gegend nicht zum Mainzer, sondern zum Würzburger
Sprengel gehörte; Koegels zweifei daran (s.444) sind durdiaus
unberechtigt, da wir in der Translatio Liborii ein sidieres
historisches zeugnis dafür besitzen (Hauck 2^ 377). üebrigens
kommt für beide gelehrte die ganze frage der Fnldaer mission
gar nicht mehr in betracht, da sie den codex in Mainz loca-
lisieren; trotzdem haben sie eine Umschau von diesem ihrem
neugewonnenen ausgangspunkt aus zu halten und damit einen
neuen localisierungsverauch zu machen unterlassen. Es ist zu
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8AX0NICA. 1. 579
fragen, was die beglaubigten kirchengeschichtlichen Zeugnisse
hierfür ausgeben. Nach Haucks darlegungen (2«, 375) wurden
auf der Paderbomer synode von 777 die kirchlichen Verhält-
nisse Sachsens, soweit es überhaupt damals schon der fränki-
schen machtsphäre unterstand, nicht sowol durch abgrenzung
genau bestimmter Sprengel aJs vielmehr durch bildung von
einzelnen missionsgebieten geordnet, welche den bestehenden
kirchlichen Instituten des reiches zur geistlichen Versorgung
zugewiesen wurden; später sind aus diesen teilgebieten die
eigenen sächsischen bistumssprengel erwachsen. Die Zuteilung
geschah in der weise, dass neben entfernteren bistümern wie
Würzburg und Lattich, vielleicht sogar Reims und Chälons
sur Marne, in erster Unie die grenzbistümer Utrecht, Köln
und Mainz für die ihnen besonders nahe liegenden gegenden
herangezogen wurden. So fielen Mainz die südlichen gaue der
Engem, soweit sie nicht wie die Paderborner gegend ander-
weitig vergeben waren, und das benachbarte Ostfalen zu. Was
speciell den sächsischen ost- und südostwinkel anlangt, so sind
dortige gaue für zwei Mainzische klöster mit allergrösster
Wahrscheinlichkeit als Wirkungsgebiete ihrer mission zu er-
schliessen, für St. Alban in Mainz und für Hersfeld. Eine Ver-
pflichtung Hersfelds zur missionstätigkeit im Hassagau und
Friesenfeld erhellt daraus, dass die zehnten dieser gebiete dem
dortigen kloster urkundlich zugestanden wurden (vgl. Hauck
22, 378, anm. 2 und Wrede, Zs. fda. 43, 348; das Verzeichnis der
zehntpflichtigen orte hat zuletzt Schröder in den Mitteil. d.
inst. f. österr. geschichtsf. 18, 1 behandelt); auch Quedlinburg im
benachbarten Hardagau stand zu Hersfeld in beziehungen. Für
den nördlich angrenzenden gau Nordthüringen wissen wir,
speciell für die gegend von Magdeburg, durch Jostes' glänzende
entdeckung eines Magdeburger kalenders in der altsächsischen
Genesishs. (vgl. über sie jetzt auch Falk s. 132), dass dort das
Mainzer St. Albanskloster tätig war (Hauck 2 2, 376, anm. 3
stimmt Jostes bei). Wii- sahen oben (s. 572), dass unser codex
so gut der bibliothek des alten Mainzer Mariendoms wie der
des St. Albansklosters entstammen kann; andrerseits würde
auch möglich sein, dass er für Hersfelder missionare in Mainz
geschrieben wäre; Sicherheit ist hier wol schwerlich zu er-
reichen, wenn sie nicht der noch immer ausstehende zweite
37*
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580 LEITZHANN
band des officiellen katalogs der yaticanischen Palatmi Yid-
leicht bringt. Von diesen kirchengeschichtlichen er-
wägungen ans werden wir also mit allergrösster
Wahrscheinlichkeit annehmen dürfen, dass unser
Taufgelöbnis znr Verwendung in einem der ostfäli-
sehen gaue, also in dem reichlich mit ingwäonischen
dementen durchsetzten Sprachgebiet Sndostsachsens
bestimmt war.
Wie verhalten sich zu dieser annähme die sprachformen
des denkmals selbst? Bei dem geringen umfang desselben,
der durch die vielen wortwiderholungen noch mehr zusammen-
schrumpft, können wir a priori schon kaum auf ein vielgestal*
tiges beweismaterial uns hoffnung machen: wir werden viel-
mehr mit wenigem zufrieden sein oder gar mit der tatsache,
dass nichts gegen die vermutete Realisierung spricht, uns
bescheiden müssen. Der wunderliche mischdialekt, in dem uns
das denkmal entgegentritt, hat der Wissenschaft viel kop&er-
brechen verursacht: noch Jostes nennt ihn in offenbarer rat-
losigkeit (s. 190) 'ganz bastardhaftig'; Koegel gewann wenig-
stens einen schritt boden, indem er West&len entschieden
ablehnte (s. 446); der jüngste darsteiler der altsächsischen
grammatik, Holthausen, gelangt gar zu einer vollständigen
negation, indem er sowol in seinem Elementarbuch das denkmal
im Verzeichnis der quellen des altsächsischen (§ 19) ganz fort-
lässt, als anderswo (Anz. fda. 26, 35, anm. 1) kategorisch erklärt:
'zu diesen gehört das wunderliche Taufgelöbnis gewis nicht!!.
Trotzdem muss es versucht werden, dies wunderliche sprach-
gewand noch einmal unter die lupe zu nehmen. Da das
scheinbar ags. and durch unsere emendation beseitigt ist, so
bleiben von den drei verschiedenen gruppen von spracheigen-
heiten, die Koegel (s.445) in dem denkmal unterscheidet, nur
zwei übrig, die sächsischen und die hochdeutschen elemente.
Betrachten wir zunächst die ersteren, so finden wir aller-
dings ein sicheres anglofriesisches oder anders ausgedrückt
ingwäonisches characteristicum, das aufs beste zu unserer an-
nähme stimmt Zweimal gleichlautend (3, 18. 19) ist hälogan
gast mit ä aus germ. ai überliefert (ich setze, wie bisher all-
gemein geschehen ist, Miogan mit d an, da ich mit Eoegels
a IF. 3, 287 mich nicht zu befreunden vermag). Dasselbe ä
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SAXONICA. 1. 581
ist fünfmal im Gott., einmal im Mon. des Heliand, einmal in
der Genesis belegt (die stellen verzeichnet Schlüter bei Dieter
s. 96). Gewöhnlich sieht man darin, wie neuerdings auch
Bremer (Pauls Grundr. 3 2, 862), spuren ags. Schreiber; ich
glaube jedoch nicht, dass alle diese fälle einheitlich zu be-
urteilen sind. Für den Schreiber des Gott, mag diese erklärung
zutreffen, denn formen wie drihtnes, scealt, steorra, on, thon
kann man wol nur einem Angelsachsen zutrauen (vgl. Sievers
s. xv); derselbe verfiel dann wol auch vereinzelt in sein hei-
misches Scan, äräs, hälag. Ueber das einzelne hälagon im
Mon. will ich kein urteil äussern. Wenn wir aber durch
Jostes wissen, dass der Schreiber der Genesis ein Ostfale war,
so werden wir in dem einen läro neben den zwei Ura doch
wol hier auch ein ausgleiten des schreibenden in die heimische
ostfälische mundart annehmen können; der Schreiber braucht
darum so wenig ein Angelsachse gewesen zu sein wie der des
Taufgelöbnisses. Man unterscheidet, wie mir scheint, nicht
immer streng genug zwischen ags. schrift und ags. lautgebung:
jener konnte sich auch ein Deutscher recht gut bedienen, ohne
notwendig in diese verfallen zu müssen; dieser konnte nach-
geben, wem sie angestammt war, auch ohne jene anzuwenden;
beides braucht sich nicht gegenseitig zu bedingen, am wenigsten
die Schrift den laut. Koegel (s. 446) und ihm beistimmend
Braune (Brachst, d. as. bibeld. s. 12) fassen jenes ä nicht mehr
als anglosaxonismus, sondern als frisonismus auf; wir vereinigen
gewissermassen beides, wenn wir es, wo nicht wie beim Gott.
ein ags. Schreiber auch sonst sich klar zu erkennen gibt, für
ingwäonisch halten, falls nichts anderes dieser annähme ent-
gegensteht. In welchen localen grenzen diese ingwäonisch
gefärbte mundart gelebt hat, ist eine zur zeit noch nicht be-
friedigend gelöste frage. So bestechend auch Bremers hypo-
these zweier social getrennter sprachschichten im Sachsenlande
(Pauls Grandr. 3 2, 866) mir gewis wie andern erscheint, so
braucht man doch, auch wenn man ihr im grossen und ganzen
zustimmt, nebenher nicht in abrede zu stellen, dass für gewisse
gebiete auch locale Umgrenzung angenommen werden kann
oder muss, wie schon die gaunamen nahelegen. Dass der be-
weis für den sächsischen Südosten erbracht ist, kann kaum
einem zweifei unterliegen: hier war die spräche besonders stark
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582 LBITZHANN
mit ingwäonischen bestandteflen durchsetzt (vgl. zuletzt Wrele,
Zs. f da. 43, 340). Ich bemerke, dass ich deshalb so wenig vie
Bremer (s. 835. 852) an Seelmanns Warnen in Thfiringen und
Eruier an der Havel glaube. — Weiterhin hält Ko^el (s. 447)
das rc in den göttemamen Saxnöt (3, 11) für einen frisoniianus,
da sonst hs auf dem sächsischen Sprachgebiete allgemem zu ss
assimiliert werde. Dass der buchstabe x auf ags. schreib-
gewohnheit beruht, ist klar; die lautverbindung jedoch, die er
bezeichnet, war wol zur zeit unseres denkmals noch nicht
assimiliert; die Chronologie dieses lautüberganges ist ganz
unsicher (vgl. Holthausen § 215 und Schlüter bei Dieter s. 281).
Auch im südöstlichen Sachsen wird naturlich hs lebendig ge-
wesen sein und wir können auch hier den frisonismus ent-
behren. Ich schliesse bei gelegenheit des namens Saxnot hier
gleich eine mythologische bemerkung an. Bekanntlich begegnet
der name ausser in unserm denkmal nur noch in der ags.
genealogie von Essex als Saxneat (Grimm, Mythol. 3*, 379. 382).
Das stimmt vortrefflich zusammen, denn auch unser Saxnot
wäre, wenn wir richtig localisieren, ein von Ingwäonen ver-
ehrter gott gewesen. Schon Jacob Grimm hat ihn (Klein,
sehr. 5, 30) mit Freyi*-Ing, dem stammgotte der Ingwäonen,
identificiert, dessen seh wert sjdlft vegesJc vipjQina dstt (Skimes-
m(Jl 8, 3), diese gleichung aber später (Myth.* s. 169. 178) wider
fallen lassen zu gunsten des Ziu, dessen ursprüngliche wesens-
gleichheit mit Freyr er noch nicht erkannte (vgL Mogk in
Pauls Gnindr. 3^, 316. 319). Jedenfalls haben wir kein recht
zu der annähme, dass Saxnot ein im ganzen sächsischen ge-
biete geläufiger göttername gewesen sei. — Die übrigen von
Koegel (s. 446) angeführten frisonismen wollen nichts besagen:
statt des unumgelauteten forsachistu ist mit Wadstein (3, 4)
forsaichistu mit umlaut zu lesen (vgl. auch alamehtigan 3,14.
15 und Braune, Ahd. gramm.^ § 26, anm. 4); das vorgeschobene
h in hira (3, 12), mag es nun rein graphisch oder nach ana-
logie des nom. he angetreten sein (Holthausen § 332, 2\ steht
nicht nur vereinzelt in der Genesis und im Cott des Heliand,
sondern auch im mfrk. Trierer capitulare (Denkm. 66, 9. 12,
13. 19). — Noch sei des merkwürdigen ec (3, 5. 7. 9. 15. 17. 19)
mit seinem consequent widerholten e gedacht: es findet sich
nur in diesem denkmal; ein zweiter beleg in den Essener
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SAXONICA. 1. 583
Srlossen, den Gallfee (s.47) brachte, ist durch Wadsteins coUa-
tion der hs. illusorisch geworden (vgl. dessen ausgäbe s. 56,
amn. 9); daher ist auch die von Koegel (s. 446; doch vgl. s. 652)
behauptete beziehnng des Taufgelöbnisses zu diesen glossen
besser beiseite zu lassen. Dieses ec direct mit dem in heutigen
nd. mundarten zwischen Oberweser und Mittelelbe geltenden
eÄ; zu identificieren, das schon ün mnd. sich aus unbetontem
ih neu entwickelt hat, ist schon dieser seiner wahrscheinlichen
genesis wegen unmöglich (vgl. auch Tümpel, Nd. stud. s. 75.
132). Es bleibt also nichts anderes übrig, als in diesem süd-
ostsächsischen ec eine altertümlichkeit zu sehen und es als
eine directe fortsetzung der fürs urgerm. vorauszusetzenden
orthotonierten form *ek (vgl. Streitberg, Urgerm. gramm. s. 54)
zu fassen.
Ueber die hochdeutschen demente in der Überlieferung
unseres denkmals bleibt nach Koegel (s.445) wenig zu sagen.
Er führt als solche an: forsacho, forsaichtstu (3, 4. 5. 7. 9), allem
(3,11; durch correctur in as. allum verwandelt) und got, gotes
(3, 14. 15. 17). Uebersehen ist sint (3, 12) für as. sind. Diese
hochdeutschen elemente fallen sicher dem Mainzer abschreiber
zur last, der demnach ein Nichtsachse gewesen sein dürfte.
Trotz dieser vereinzelten fehler hat er doch im ganzen, worauf
ich schon oben (s.577) mit einzelbeispielen hingewiesen habe,
recht consequent und gewissenhaft copiert. Von seiner vor-
läge nehme ich deshalb an, dass sie die reine ostfälische
mundart streng durchführte, also vielleicht von einem Ostfalen
selbst niedergeschrieben war; keines der hd. elemente nötigt
dazu, es schon für die vorläge vorauszusetzen, wenn auch die
möglichkeit einer vereinzelten solchen form im princip zu-
gestanden werden muss. Es steht also auch von selten
der sprachform nichts im wege, das Taufgelöbnis im
ingwäonischen Sprachgebiet Ostfalens zu localisieren.
Zum schluss bleibt uns nun noch die abfassungszeit
unserer sächsischen taufformel zu besprechen. Scherer (s. 319)
nahm an, dass die uns vorliegende Übersetzung in den anfangen
der Sachsenmission, also bald nach 772 angefertigt sei; als
terminus ad quem galt ihm, wie oben (s. 568) bemerkt und
besprochen ist, der erlass der Capitulatio de partlbus Saxoniae,
den er (freilich über ein decennium zu früh: vgl. oben s. 570)
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584 LErrzMAKN
um 775 oder 777 ansetzte. Alle neueren forscher sind ihm
darin gefolgt: Kelle (s. 43) nahm sogar 772 als festen tennin
und den Wormser reichstag dieses Jahres als yeranlassong an;
noch Koegel (s. 445) erklärt, dass die zahl 775 zwar der festen
Stützpunkte entbehre, aber gewis nicht weit vom richtigen
abirre; auf Jostes' einwände (s. 186), die zu keiner recht klaren
Position gelangen (er schwankt sogar s. 189 zwischen Sachsen-
mission und Dänenmission, also etwa zwischen 800 und 825),
obwol er schliesslich (s. 190) entstehung im ersten decenniom
des 9. }h.'s für das wahrscheinlichste hält, komme ich nachher
zurück.
Zu praktischer Verwendung bei der sachsischen, nach
unserer localisierung speciell südostsächsischen mission wsr
die formel zweifellos bestimmt; auch dass sie in die anfilnge
dieser missionstätigkeit zu setzen ist, kann man, obwol es
nicht erweislich ist, als wahrscheinlich gelten lassen. Die
frage ist, in welche zeit diese anfange fielen und wie lange
sie etwa gedauert haben werden: die antwort darauf kann
uns nur das gesicherte material der kirchengeschichte geben,
und wir dürfen hoffen, wenn wir der bewährten ffihning
Haucks vertrauen, zu einem einigermassen gesicherten ergebnis
zu gelangen. Ich benutze im folgenden dankbar seine neueste
behandlung der Christianisierung Sachsens (2 2, 360). Die exi-
stenz christlicher kirchen vor Karl dem grossen ist speciell
in den südostgauen Sachsens weder beweisbar noch audi nur
wahrscheinlich zu machen. Erst das schwert Karls konnte
Sachsen dem christlichen glauben erschliessen, aber erst nach
jahrzehntelangen kämpfen. Ich stimme Hauck bei, wenn er
(s. 370) ausführt, dass den ersten räche- und plünderungszügen
des kaisers ins sächsische gebiet, also den feldzügen der
jähre 772, 774 — 775 und 776 keinerlei missionspläne zur seit«
giengen: die Sicherung der unruhigen grenzen und die er Weite-
rung der fränkischen machtsphäre waren seine ziele. Wenn
besonders Einhards annalen das schliessliche resnltat der
langen fehde, die Christianisierung Sachsens, dem kaiser schon
als treibendes motiv in seinem ersten zuge von 772 unter-
schieben, so ist das nichts als eine Verwechslung von erfolg
und zweck, und zu tiefdringende kenntnis der motive darf man
bei der damaligen geschichtschreibung überhaupt nicht erwarten.
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SAXONIGA. 1. 585
Die tatsache, dass erst im frieden von 776 die religiöse frage
zum ersten mal in betrachtung gezogen wird, spricht deutlich
genug. Schon damit aber rücken wir von den bisher giltigen
datierungen des anfangs der Sachsenmission weg, und es kann
jedenfaDs von 772 oder 775 keine rede sein. Ein weiterer
fehler der betrachtung ist, dass man den begriff des anfangs
für unsere datierungsfrage viel zu sehr gepresst hat. Dieser
anfang hat in Wirklichkeit decennien gedauert, und mehrfach
ist das kaum gepflanzte reis des glaubens von dem im innem
doch noch heidnisch gesinnten volksstamme mit der wurzel
ausgerissen worden. Erst mit der taufe Widukinds 785 konnte
eine ruhigere und einigermassen organisierte missionsarbeit
wirklich beginnen, und noch im jähre 796 bekennt Alcuin (MG.
Epist.4, 164): misera Saxanum gens toties haptismi perdidit
sacramentum, quia nunquam häbuit in corde fidei fundamentum.
Der ganze briefwechsel Alcuins ist voll von ausfällen gegen
die maledicta generatio und den populus nefandus: es ist daher
kaum richtig, wenn Jostes (s. 189) sagt, nach der Capitulatio
de partibus hätten sich keine beiden mehr halten können;
denn dieser erlass war sicher in seiner strenge gar nicht gänz-
lich durchführbar, wie denn keine drakonische gewaltmassregel
den angestrebten idealzustand zu erzwingen vermag. Dass
den forderungen der Capitulatio nicht nachgelebt wurde, lehren
die Zwangsverpflanzungen der neunziger jähre, der verlauf des
seit 792 aufs hartnäckigste erneuerten kampfes und der um-
stand, dass Karl in seinem Gapitulare saxonicum von 797 die
Vorschriften seiner älteren Capitulatio aufs neue einschärfte,
bei der ansetzung der strafen jedoch bedeutend milder vorzu-
gehen sich genötigt fühlte. Man hat demnach das alter
unseres Taufgelöbnisses bisher stark überschätzt, und
wir werden schwerlich fehlgehen, wenn wir seine ab-
fassung in die jähre still sich ausbreitender missions-
tätigkeit, die etwa mit Widukinds taufe anhebt, also
in die zeit von 785 — 792, rund etwa um 790 setzen.
Zu Jostes' auseinandersetzungen (s. 186) sei noch eine be-
merkung gestattet. Er behandelt den auch von Gallfee (s. 252)
und neuerdings von Wadstein (s. 144) abgedruckten anonymen
brief eines deutschen metropoliten an Karl den grossen mit
den deutschen werten siniu gelp anda sinen tcillon als über-
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586 LErrzMAVir
Setzung von pompae diaboli, der jetzt als eine dem Amalar
Yon Trier untergeschobene epistel hinter seinen echten briefan
in den MG. Epist 5, 273 abgedruckt ist (vgL darüber Haack
2^, 181, anm. 6). Jostes setzt diesen brief um 800 — 802 an und
bringt ihn in beziehung zu Karls Capitula de examinandis
ecclesiasticis (Boretius 1, 109). Diese pseudo-amalarische epistel
gehört doch aber klärlich, wie auch Hauck annimmt, zu den
antwortschreiben auf Karls grosse umfrage über die tauf-
ceremonie vom jähre 811 (vgl. Boretius 1, 161. 168. 246. 247;
die antworten sind, soweit sie erhalten sind, gedruckt in den
MG. Epist 4, 538. 5, 242); in seinem schreiben an Amalar, dem
die übrigen doch wol ganz oder nahezu gleichlautend, mit
dem sie sicher aber inhaltlich identisch waren, fragt der kaiser
ausdrücklich betreffe des tau&ymbols (ebenda 5, 242), quid sä
ejus interpretatio secundum Laünos. Es ist mir nnerfindlidi,
wie Jostes (s. 188, anm. 1) den pseudo-amalarischen brief von
den übrigen antworten auf jene umfrage trennen kann mit d^
begründung, jener beschäftige sich ebenso ausschliesslich mit
der taufe von erwachsenen, wie diese mit der kind^tanfe; die
texte der antworten und Karls schreiben geben für eine solche
Scheidung, soviel ich sehe, keinen anhält Demnach gehört
diese pseudo-amalarische formel weder f actisch in dieselbe
zeit wie unser Taufgelöbnis, noch ist wegen des verschiedeuen
Wortlauts beider ihr nebeneinanderbestehen zur gleichen zeit
unmöglich. Natürlich kamen sie in verschiedenen gegenden
zur Verwendung, und es gab wol keine allgemeingiltige officielle
Übersetzung des symbolums: jeder missionsbezirk mag seine
eigene gehabt haben; das lehrt uns sowol der pseudo-amala-
rische brief als der eventualzusatz unserer ostfäUschen formeL
Bei einer betrachtung des Indiculus superstitionum
kann ich mich wesentlich kürzer fassen. Wofür man ihn im
ganzen anzusehen hat, scheint mir nicht zweifelhaft Schwer-
lich hat Boretius recht, wenn er sagt (1,222): 'ab homine
privato in Saxonia saeculo octavo conceptus esse videtur';
dieser mann müsste geradezu ein verfrühter Vorläufer unserer
mythologen und folkloristen gewesen sein. Schon Scherer er-
kannte richtig (s. 318), dass wir es mit einem 'vorläufigen
Verzeichnis' dessen zu tun haben^ 'worauf die köni^bot^n
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8AX0KICA. 1. 587
oder richtiger die bekehrenden priester zu achten hatten'. Für
die auch hier und da (z.b. bei Grimm, Myth. 3^, 404), zuletzt
von Hauck (2 2, 393, anm.2) ausgesprochene ansieht, es handle
sich um die capitelllberschriften einer verlorenen abhandlung,
kann meines erachtens keinerlei Wahrscheinlichkeit angeführt
^werden, während wir ähnlich gehaltene lakonische programme
für Synodalberatungen und specielle kaiserliche gesantschaften
in die provinzen in menge erhalten haben (vgl. Boretius 1, 62.
65. 99. 102. 114. 121. 122. 138. 140. 149. 161. 162). Der Indi-
culus .kann daher nur eine Instruction für königs-
'boten oder eine aufstellung von Gapitula de causis
cum episcopis et abbatibus tractandis sein. Auf eine
Yolkskundliche und mythologische erläuterung der einzelnen
nnmmem, zu der man die pseudo-augustinische Homilia de
sacrilegiis (herausgegeben von Caspari, Christiania 1886) mit
glück herangezogen hat, zumal auch sie höchstwahrscheinlich
in den nordgegenden des Frankenreichs zu localisieren ist,
kann ich hier nicht eingehen: ich verweise dafür ausser auf
Haucks bemerkungen (2*^,393) auf eine germanistischerseits, wie
es scheint, gänzlich übersehene abhandlung von Saupe, Der
Indiculus superstitionum et paganiarum, ein Verzeichnis heid-
nischer und abergläubischer gebrauche und meinungen aus
der zeit Karls des grossen, aus zumeist gleichzeitigen Schriften
erläutert (programm des städtischen realgymnasiums zu Leipzig
1891); sie enthält neben manchem in der beurteilung verfehlten
viel brauchbares material aus der zeitgenössischen literatur,
das allerdings aus den capitularien und briefen der karolingi-
sehen epoche sich leicht verdoppeln oder verdreifachen liesse.
Wichtig ist die spur einer zweiten hs., die den Indiculus
enthielt (vgl. 6all6e s. 251 und Wadstein s. 143): unter auf-
zeichnungen, die Franciscus de Nelis, bischof von Antwerpen,
sich 1783 aus hss. der klöster Trier, Stablo und Echtemach
anlegte, jetzt in der Brüsseler bibliothek aufbewahrt, finden
sich Notationes ad indiculum superstitionum, bemerkungen zur
1., 3. und 8. nummer unseres textes, der wörtlich citiert wird.
Diese bemerkungen scheinen von Nelis selbst zu stammen und
erweisen nicht, wie Gall^e gemeint hat, die existenz eines
sich auf den Indiculus beziehenden documents, sondern meines
erachtens nur die einer zweiten hs. des Indiculus selbst Die
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588 liEITZMANN
frage wäre einer erneuten nachforschnng nnd imtersachiiiig
wol wert, zumal wir auch fiber den gesammtcharakter jener
aufzeichnungen des Nelis nichts wissen.
Uns interessieren vor allem natürlich die vier deutschen
Worte, die der Indiculus uns überliefert Drei davon snd
schon längst einleuchtend und widerspruchslos gedeutet, für
das vierte bisher gänzlich unerklärte lege ich im folgenden
eine Vermutung vor, die wenigstens den versuch einer Idsnng
des darin enthaltenen rätseis macht und einer besseren deutnng
gern das f eld räumen wird. Ueber die dddsiscts (66, 4) handeln
Grimm in der Myth. ^ s. 1027 und neuerdings Koegel, GescL d.
d. lit. 1, 1,51 (vgl. auch Hauck 2^ 761): die ableitung aus dod
und einem zum stamme von ahd. sisuua gehörenden worte ist
sicher und lässt uns totenzauberlieder darunter verstehen; zur
as. form im besondem vgl. Eoegel s. 51. Die nimidas (66, 8)
hat gleichfalls Grimm (Myth. ^ s. 540. 3, 187) erklärt: der deut-
liche sinn 'waldheiligtum' nötigt zur anknüpfung an lat n^ntic^,
gr. ÖQvvifistog, air. nemed 'heiligtum' (= agall. nemeton Win-
disch, Beitr. 4, 223; vgl. auch Fick, Vergl. wörterb. d. indog. spr.
2^,192); es ist der pl. eines diesen auswärtigen verwanten
genau entsprechenden nimid. Die bedeutung von nodfßr (66, 18)
ist ausführlich erörtert von Grimm, Myth. * s. 502 und jungst
von Jahn, Die deutschen opfergebr. s. 26: es begegnet schon
in den beschlüssen der ersten synode Earhnanns als niedßr
oder neidßr (Boretius 1, 25), formen, die uns mit ihrem ge-
schlossenen, nach I hin liegenden e (so muss man doch wol
die diphthongische Schreibung auffassen) an die im afries. ganz
gewöhnliche form ned (Eüchthofen, Afries. wörterb. s. 945) ge-
mahnen. Ich sehe nicht ein, wie Jostes (s. 190, anm. 1) zu der
annähme kommt, dass in Earhnanns synodalbeschluss eis
anderes wort gestanden haben müsse, das der Schreiber unseres
codex in niedßr umgeschrieben habe, ^denn weder konnte Earl-
mann niedßr schreiben, noch die adressaten es verstehen': der
name kam wol den synodalen oder überhaupt der fränkischen
kirche zuerst aus einer friesisch sprechenden oder ans friesische
angrenzenden gegend zu obren und wurde sicher verstanden,
sonst wäre er hier nicht in den lat context aufgenommen
worden; die annähme einer willkürlichen Veränderung durch
den Schreiber scheint mir gänzlich in der luft zu scbweben,
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SAXONTCi. 1. 589
zumal auch die form im Indicolus durch ihr d von der im
synodalbeschluss abweicht. — Der bisher unerklärte punkt 24
des Indiculus lautet (66,27): De pagano cursu, quem yrias
T^Ofninant, scissis pannis vel caldamentis. Die älteren, sämmt-
licli lautlich unmöglichen deutungen brauche ich nicht ein-
g^ehend zu besprechen; sie sind bei Saupe (s. 29) verzeichnet,
der eine meines erachtens gleichfalls unmögliche (zu ahd. ero,
aisL^Vm) hinzufügt; auchEoegels anknüpfung an namen wie
lurio und Euriger, die selber in ihrem etymon unklar sind
(Gesch. d. d. lit. 1, 1, 27, anm. 2), ist wohl abzulehnen. Ebenso
ist Massmanns emendation Frias, die noch Müllenhoff als
genetiy wie got. gibös, der aber dann westgerm. erhaltenes s
zeigen würde, gelten lassen wollte, lautlich undenkbar wie
inhaltlich gewagt und hätte daher von Hauck (2 2, 393, anm. 3)
lieber nicht erwähnt werden sollen. Ich möchte mit allem
vorbehält folgende deutung zur erwägung stellen. Der zusatz
scissis pannis vel cälciamentis deutet, wie Koegel richtig ge-
sehen hat, auf einen volksumzug und -brauch, der dem Winter-
austreiben oder, wie es an andern orten heisst, dem todaus-
tragen verwant ist (vgl. darüber Grimm, Myth. ^ s. 637): der
person, welche dabei den winter darstellt, oder der puppe,
welche ihn symbolisiert, werden dabei die kleider zerrissen.
Diese feier kehrt jährlich wider, sie leitet den schöneren und
wärmeren teil des jahres ein, ist gewissermassen die Jahres-
feier schlechthin. So scheint es mir nicht zu gewagt, in jenem
yrias eine ableitung des Stammes 'jähr' (as. ger, afries. ier)
zu suchen (der pl. scheint, auf cursus bezogen, keine ganz
genaue glossierung) und es als 'jahresfest' zu deuten. Laut-
lich wäre für die Stammsilbe von dem as. ger, afries. ier (pho-
netisch eigentlich ier) auszugehen, dessen e, stark geschlossen
und nach i hin gesprochen, dem hörer und aufzeichner, der
kein Interesse an allzu genauer reproduction des namens ge-
habt haben wird, mit dem consonantischen i sich zu einheit-
lichem i (geschrieben y, nach ags. weise) verband. Einfluss
des vorhergehenden palatals auf das e, wie ich ilm hier an-
nehme, weist Siebs (Zur gesch. d. engl.-fries. spr. 1,202 und
Pauls Grundr. 1 2, 1214) gerade für afries. ier aus dem dem
sächsischen benachbarten saterländischen nach: ich weiss nicht,
ob es angängig wäre, die anfange dieses palataleinflusses schon
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590 LEiTziCAinr
in so frühe zeit zu setzen; dann wäre zugleich eine m5glich-
keit für die localisiernng des Indiculus gewonnen. Was die
ableitungssilbe betrifft, so müsste man wol identität unseres
Wortes mit afries. ierich, i^eck, mnd. jdrich annehmen und
yrias als ^jeri^as auffassen; doch scheint mir diese anknüpfang^
obwol sie auch wirklich pluralisch genommen einen guten sinn
gäbe, bei weitem weniger sicher als die etymologisierung der
Stammsilbe.
Bei der gesammtbetrachtung des Indiculus scheint mir
seine allzu enge yerkoppelung mit dem Taufgelöbnis, die bisher
allseitig angenommen worden ist, vom übel gewesen zu sein.
Aus der Überlieferung beider stücke folgt weder,
dass sie in dieselbe zeit gehören, noch auch dass sie
aus derselben gegend stammen müssen. Da uns im
Indiculus nur vier deutsche worte überliefert sind, kann von
einer irgend gesicherten localisiernng keine rede sein. Aber
wertvoll ist, dass in einem punkte seine spräche sich von der
des Taufgelöbnisses unterscheidet: germ. au ist hier durch ä
(dädsisas), dort durch d (Saxnot, genötas, gelob-) widergegeben.
Dieses ä erinnert zunächst an das friesische (vgL Siebs in
Pauls Grundr. 1^, 1231), wohin uns ja auch unsere deutnng
von yrias wies, ist aber auch einige mal im Monacensis des
Heliand und häufig im Freckenhorster heberegister bel^
(Holthausen § 29 und Schlüter bei Dieter s. 97), mit welchem
letzteren wir nach dem bistum Münster gelangen würden.
Ich möchte die geltung des Indiculus für friesische,
den sächsischen benachbarte gaue nach den bespro-
chenen sprachlichen eigenheiten für nicht unwahr-
scheinlich halten. Noch weniger kann man die abfassnngs-
zeit des denkmals genauer fixieren. Nur das ist sicher, dass
man sein alter bisher ziemlich stark überschätzt hat Wenn
Eoegel (s.445) von den notizen des Indiculus behauptet, dass
sie 'auf grund eines noch ganz ungebrochenen heidentums'
zusammengestellt seien, 'wie es im anfange des 9.jh.'s unter
den Sachsen gewis nicht mehr zu finden war', so widerspricht
das allem, was wir geschichtlich und kirchengeschichtlich von
diesen dingen wissen; es zeigt sich hier eine auch sonst in
Koegels literaturgeschichte hervortretende bedauerliche un-
bekanntschaft mit den ergebnissen kirchengeschicbtlicher
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8AX0NICA. 1. — BUKCHABDI, GOT. NÄHTAM. 591
forschung. Unser codex gehört in den anfang des 9. jh.'s:
eine datierung des Indiculus um rund 800 wird nicht
weit vom richtigen abirren.
JENA, 28. mai 1900. ALBERT LEITZMANN.
NOCH EINMAL GOTISCH NAHTAM.
(ZuBeitr.24,534ff.)
Beitr. 24, 534 ff. bemuht sich Pipping, eine erWärung des
auffälligen got. dat. pl. nahtam zu geben, der im femininum
ohne parallele ist. Was er gegen die gleichsetzung von nahtam
mit skr. naJctdbhis vorbringt, ist alles recht schön und gut:
man kann ihm nur darin beistimmen, wenn er gegen die indog.
f ormenriecherei front macht Auch mir scheint, ehe man eine
ganz auffallende germ. form ohne weiteres einer ebenso auf-
fallenden indischen gleichsetzt und darin etwas urindog. wittert,
sollte man lieber nicht so sehr in die ferne schweifen, sondern
sich umsehen, ob das gute nicht näher liegt. Das hat bereits
Kahle getan, und Pipping schliesst sich ihm an, in der an-
sieht nämlich, dass man in nahtam weiter nichts zu sehen
habe, als eine neubildung nach dem masc dat. pl. dagam, die
bei der häufigen Verbindung dagam jah nahtam entstanden sei,
wie das ahd. nahtes nach tages gebildet ist. Aber wozu der
lärm? Ausser der ablehnung von Joh. Schmidts gleichung
nahtam = skr. naJctdbhis und der deutung von naJctdbhis als
entstanden durch anschluss an ahdbhis bringt der aufsatz
durchaus nichts neues, denn den gedanken, dass nahtam nur
analogiebildung nach dagam sei, hat bereits im jähre 1849 ein
schriftsteiler ausgesprochen, der heute allerdings etwas un-
modern geworden, aber immerhin doch noch ganz lesenswert
ist: Jacob Grimm. Die ursprüngliche abhandlung erschien in
der Zs. f da. 7, 455 f. und ist wider abgedruckt in J. Grimms
Kleineren Schriften 7,238f; dort mag man das nähere nachlesen.
Uebrigens ist auch andern sprachforschem dasselbe wider-
fahren wie Pipping: ihnen allen ist entgangen, dass J. Grimm
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592 BTOCHARDI, GOT. NAHT AH,
in dieser frage de. Vorrang gebührt, sonst dürfte man wol er-
warten, einen hinweis darauf an einem orte zn finden, wo man
ihn nur sehr ungeme vermisgt: im DWb. 7, 145 (bearb. von
Lexer) ist zwar die form nahtam erwähnt, aber mit keiner
Silbe angedeutet, dass J. Grimm bereits 1849 auf dem rechten
wege zur erklärung war; auch unter nachts sp. 211 fehlt ganz-
lich ein derartiger hinweis. Möchte dies doch ein fingerzeig
sein, die werke des ehrwürdigen altmeisters der deutschen
Philologie nicht als blossen zierrat in den bibliotheken aufeu-
stellen, sondern auch wirklich zu lesen: man findet darin auf
schritt und tritt gedanken, die noch immer der entdeckung
harren.
LEIPZIG, 3. mai 1900. GUSTAV BUECHARDL
O» Halle a. S. l>ruck von Ehrhardt Karras.
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the Library on or before the last date
stamped below.
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beyond the specified time.
Please return promptly.
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